Читать книгу Die Angst, dich zu verlieren: Dr. Walldorf - Ein Landarzt aus Leidenschaft Band 3 - Hans-Jürgen Raben - Страница 7

2. Kapitel

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Doktor Alwin Walldorf trocknete sich nach dem Waschen sorgfältig die Hände ab und blickte dabei auf die Uhr. Die Sprechstundenzeit war gleich zu Ende, und er fragte sich, wie viele Patienten immer noch im Wartezimmer saßen.

Doktor Walldorf war achtundfünfzig Jahre alt und von beeindruckender Statur. Buschige Augenbrauen, grau meliertes, aber noch volles Haar und freundliche Augen in einem rosigen, gesunden Gesicht waren das Erste, was seine Patienten bemerkten.

Seine Praxis befand sich im Ärztehaus in der Nähe des Marktplatzes der Kleinstadt Bolzenhagen, die im sogenannten Speckgürtel Berlins in Brandenburg lag. Er und seine Frau lebten gern hier, schließlich war er selbst hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seine Ausbildung und seine ersten Meriten als Arzt hatte er allerdings in der Großstadt erfahren. In Berlin hatte er es bis zum Oberarzt in einem Krankenhaus gebracht.

Als ihn eines Tages ein alter Freund aus Bolzenhagen anrief und ihm anbot, dort eine Praxis zu übernehmen, hatte er nicht lange gezögert.

Der Freund war jetzt Bürgermeister und auch Doktor Walldorf saß im Stadtrat. Seine Patienten schätzten nicht nur seine medizinische Kompetenz, sondern auch die Tatsache, dass er ein guter Zuhörer war. Viele medizinische Probleme hatten oft ihre Ursache in ganz anderen Dingen, und so kam es, dass er auch ein offenes Ohr für Probleme der Menschen hatte, die nicht mit Tabletten zu behandeln waren.

Kurzum: Er war ein geschätzter und beliebter Arzt in Bolzenhagen.

Quietschende Bremsen und zuschlagende Autotüren weckten seine Aufmerksamkeit. Er trat ans Fenster und sah zur Straße hinunter. Direkt vor dem Haus war ein Golf vorgefahren. Eine junge Frau war gerade dabei, einem ebenso jungen Mann aus dem Auto zu helfen, dem es offenbar nicht sehr gut ging.

Rasch ging er zum Empfang. Roswitha Schäfer, die Dame hinter dem Tresen, hob den Kopf.

»Wir bekommen wahrscheinlich gleich Besuch«, sagte er. »Haben wir noch Patienten im Wartezimmer?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, für heute ist alles erledigt. Wir haben keine offenen Termine.«

Es klingelte.

»Ich glaube, diesen Patienten müssen wir noch annehmen. Ist Susanne noch hier?«

Roswitha Schäfer schüttelte den Kopf. »Frau Schrader ist heute etwas früher gegangen.« Sie betonte den Nachnamen, obwohl die beiden Damen sich untereinander duzten. Susanne Schrader war die medizinisch-technische Assistentin in der Praxis und von Doktor Walldorf ebenso geschätzt wie ihre Kollegin Roswitha, die für den Empfang der Patienten sorgte, die Termine überwachte und für zahlreiche andere Aufgaben zuständig war. Walldorf war stolz auf sein kleines Team.

Walldorf sah Roswitha etwas irritiert an, begriff dann aber, dass er eine der kleinen Spitzen mitgekriegt hatte, mit denen die beiden Damen ihre gelegentlichen Eifersüchteleien austrugen. In diese Dinge mischte er sich grundsätzlich nicht ein.

Roswitha hatte inzwischen den Türdrücker betätigt, und die Praxistür wurde geöffnet.

Walldorfs Blick fiel zuerst auf den Mann. Er war leichenblass, seine Haut feucht, und er schwitzte.

Hohes Fieber! Erkannte Doktor Walldorf sofort.

»Können Sie meinem Mann helfen?«, fragte die junge Frau, die ihren leicht schwankenden Partner stützte. »Denner ist mein Name. Silvia Denner. Das ist mein Mann Uwe.«

Walldorf eilte auf sie zu und ergriff den anderen Arm des noch jungen Mannes. »Bringen wir ihn auf die Behandlungsliege in meinem Sprechzimmer«, sagte er, und gemeinsam schleppten sie den Kranken vorwärts.

Währenddessen musterte er die Frau unauffällig, und er meinte sich zu erinnern, dass er sie schon einmal behandelt hatte. Sie war attraktiv, doch im Moment sah sie aus, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Ihre Miene war mehr als besorgt.

»Was ist mit ihm passiert?«, fragte der Doktor, während sie den Mann auf die Liege bugsierten.

»Wir sind heute aus Afrika zurückgekommen, und ...«

»Afrika?«, unterbrach Walldorf, und sämtliche Alarmglocken gingen bei ihm an. »Wo in Afrika?«

»Togo, das ist in Westaf...«

»Ja, ich weiß, wo Togo liegt. Wurde er gestochen?«

Roswitha war hereingekommen und starrte auf den Patienten.

»Ziehen Sie eine Spritze mit einem fiebersenkenden Mittel auf!«, rief er ihr zu, etwas lauter als gewöhnlich. »Blutdruck messen! Wir müssen den Mann stabilisieren.« Roswitha machte sich nützlich.

»Nicht gestochen«, antwortete sie. »Er hat etwas Falsches gegessen. Was es genau war, weiß ich nicht.«

»Im Hotel oder im Flugzeug?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, gestern Abend. Wir haben ein Dorf besucht, und dort hat Uwe probiert, was bei einer Zeremonie gegessen wurde.«

»Haben Sie das auch probiert?«

»Nein, der Reiseleiter hat noch abgeraten, aber es war schon zu spät.«

Walldorf setzte die Spitze an, die Roswitha ihm gereicht hatte. Anschließend legte sie die Blutdruckmanschette an.

»Wusste der Reiseleiter, was Ihr Mann zu sich genommen hat?«

»Nicht genau. Ich erinnere mich nur an Schlangen und Fledermäuse.«

»Fledermäuse?« Jetzt klang Walldorfs Stimme schriller als sonst, und auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, den Roswitha Schäfer noch nie bemerkt hatte.

Es war Angst.

»Roswitha, schließen Sie sofort die Praxis ab. Es darf keiner mehr herein. Und außer uns ist niemand mehr da, oder? Legen Sie Handschuhe und Schutzmaske an.«

»Nein, es ist niemand sonst hier.«

»Gut. Dann rufen Sie das Gesundheitsamt an und auch die zuständige Behörde in Potsdam. Wir brauchen Spezialisten für Seuchenschutz und Quarantänemaßnahmen. Erklären Sie ihnen, dass wir hier einen Verdachtsfall auf ein hämorrhagisches Fieber haben.«

Roswitha Schäfer stand mit erschrockenem Gesicht wie erstarrt da.

»Nun machen Sie schon!«, herrschte der Doktor sie an. Gleich darauf zog er aus einem Schrank medizinische Masken und reichte eine davon Silvia. »Ich hoffe, dass keine Übertragung durch die Luft erfolgt.«

»Was ist ein hämo...hämorra...«, fragte Silvia Denner ängstlich.

»Vielleicht haben Sie schon mal von Ebola gehört«, sagte Walldorf. »Das ist eine der Viruserkrankungen, die man unter dem Begriff hämorrhagische Fieber zusammenfasst.«

»Ebola?«, murmelte sie und sah auf ihren Mann, der stöhnend und unruhig auf der Liege lag.

Walldorf legte eine dünne Decke über den Patienten und dachte angestrengt nach, was er über tropische Krankheiten wusste. Er konnte sich noch gut an einen Vortrag bei einem Ärztekongress erinnern, bei dem es um die möglichen Ansteckungen bei solchen Erkrankungen ging. Und dabei waren die Fledermäuse als Überträger bei ihm hängen geblieben.

Uwe Denner musste so schnell wie möglich in eine Isolierstation. In Bolzenhagen waren in dieser Hinsicht die Möglichkeiten beschränkt. Wahrscheinlich war auch das Kreiskrankenhaus nicht die richtige Wahl.

Die Charité in Berlin!

Das wäre die beste Wahl. Nun, das hatte er nicht zu entscheiden.

»Leidet mein Mann an einer gefährlichen Krankheit?«, fragte Silvia Denner angstvoll.

»Ich will Sie nicht beunruhigen«, antwortete Walldorf. »Derzeit wissen wir nicht, was dieses Fieber verursacht hat. Es gibt viele Möglichkeiten. Allerdings sind einige dieser Krankheiten in der Tat sehr gefährlich, das will ich nicht verheimlichen. Und sie sind ansteckend, deshalb meine Vorsichtsmaßnahmen. Es wird nicht lange dauern, bis wir Ihren Mann in eine Einrichtung verlegt haben, wo ihm geholfen wird. Meine Praxis ist dafür nicht ausgerüstet.«

»Meinen Sie, dass ich ihn begleiten kann?«

Walldorf lächelte. »Ganz sicher, Frau Denner. Auch Sie müssen in Quarantäne. Denn es könnte sein, dass Sie sich angesteckt haben. Falls es eine ansteckende Krankheit ist.«

Er überprüfte die Temperatur des Patienten. »Ich glaube, das Fieber ist schon etwas gesunken. Doch es ist viel zu früh, daraus Schlüsse zu ziehen. Ihr Mann muss jetzt auf die einschlägigen Viren untersucht werden. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.«

»Und was ist mit Ebola, das Sie erwähnt haben? Es ist tödlich, oder?«

Walldorf blickte nachdenklich auf seinen Patienten. »Ich glaube nicht, dass es Ebola oder das verwandte Marburg-Virus ist. Ich war nur im ersten Moment erschrocken, als Sie berichteten, dass Ihr Mann Fledermaus gegessen hat. Sie können diese Viren übertragen. Doch die Inkubationszeit scheint mir zu kurz, also die Zeit zwischen möglicher Ansteckung und Ausbruch. Es ist ja erst vierundzwanzig Stunden her. Doch möglicherweise ist Ihr Mann schon früher von einer Mücke gestochen worden, und diese Viecher übertragen auch einige gefährliche Fiebererkrankungen.«

Über Silvias Wange rann eine einzelne Träne.

Doktor Walldorf ergriff ihre Hand. »Bleiben Sie optimistisch. Wir wissen bald mehr. In solchen Fällen reagieren die Behörden ausgesprochen schnell.«

*


Doktor Alwin Walldorf stand am Fenster seines Sprechzimmers und blickte auf den Streifenwagen hinunter, der genau vor der Tür des Ärztehauses stand. Einige Passanten blieben stehen, stießen sich an und deuteten auf das Polizeifahrzeug. Wenn es etwas Ungewöhnliches in Bolzenhagen zu sehen gab, war sofort das Interesse daran geweckt. In der Stadt passierte nicht viel, sodass schon ein geparkter Streifenwagen mit Besatzung Aufsehen erregte.

Doktor Walldorf war bewusst, dass der Wagen seinetwegen hier parkte. Die Polizisten sollten darauf achten, dass die Quarantäne, in der sich seine Praxis befand, auch gewahrt blieb.

Der erkrankte Uwe Denner und seine Frau waren noch in der Nacht von einem speziell ausgerüsteten Krankenwagen abgeholt worden. Die ganze Szene mit den Personen in Schutzanzügen und durchsichtigen Helmen, dem zuckenden Blaulicht und dem von Autoscheinwerfern erhellten Hauseingang hatte etwas von der bedrückenden Atmosphäre eines Science-Fiction-Filmes gehabt.

Jetzt war heller Vormittag, und nichts verriet, was sich in der Nacht hier abgespielt hatte.

Die Leiterin der Operation, eine Frau Doktor Fiedler, hatte ihn zu seiner schnellen und richtigen Reaktion beglückwünscht.

»Sie haben völlig richtig gehandelt«, hatte sie gesagt. »Oft erleben wir es, dass in der ersten Aufregung zu viele Menschen mit einem Erkrankten in Kontakt kommen.«

»Wie geht es jetzt weiter?«, hatte er gefragt.

»Der Patient und seine Frau kommen auf eine Quarantäne-Station, und dann werden wir sämtliche Blutproben, auch Ihre natürlich, auf eventuelle Viren untersuchen. Wir werden die Ergebnisse noch im Laufe des Tages bekommen. Dann können Sie entweder mit Ihrer Kollegin die Praxis verlassen oder müssen ebenfalls in Quarantäne. Je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt, müsste dann die Praxis desinfiziert werden.«

»Wie ist Ihre persönliche Meinung?«, hatte er anschließend gefragt.

»Ich habe mir Herrn Denner angesehen und auch ausführlich mit seiner Frau gesprochen. Danach würde ich Ebola oder Marburg ausschließen, seine Symptome weisen darauf nicht hin. Dengue-Fieber oder Gelbfieber kann ich aber noch nicht ausschließen, ebenso wenig wie eine ganz normale Grippe, die häufig auf Reisen auftritt. In den meisten Fällen, mit denen wir es zu tun haben, handelt es sich um eine solche Grippe, doch man kann nicht vorsichtig genug sein. Die Symptome ähneln sich eben sehr.«

Nachdem sich Frau Doktor Fiedler mit den besten Wünschen verabschiedet hatte, wollte sich Walldorf auf der Behandlungsliege hinlegen, um etwas Schlaf nachzuholen. Doch daran war gar nicht zu denken.

Roswitha Schäfer hatte die Liege im Behandlungszimmer für sich auserkoren und Decken für sie beide herausgesucht. Walldorf hatte seine Frau angerufen und sie über die Lage informiert. Sie würde am Morgen Frühstück in die Praxis bringen.

Walldorf setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Roswitha Schäfer hatte inzwischen wieder ihren Platz hinter dem Tresen eingenommen und telefonierte mit ihrem Sohn. Die Termine für den heutigen Tag hatte sie bereits weitgehend absagen können.

Alwin Walldorf lauschte in sich hinein, fand aber nicht das geringste Anzeichen, dass etwa nicht in Ordnung wäre. Es war auch noch viel zu früh, denn die Inkubationszeit betrug für jedes der gefährlichen Fieber ein paar Tage. Dennoch maß er seine Temperatur. Er schaute auf das Thermometer. Wie erwartet: alles im Normalbereich.

Seine direkte Durchwahl klingelte. Maike, seine Tochter. Sie erkundigte sich nach seinem Befinden und klang besorgt. Er beruhigte sie, merkte aber, dass es ihm nicht ganz gelang.

Vor dem Haus klappte eine Autotür. Er blieb sitzen, weil er nicht wagte, nach draußen zu sehen. Womöglich stiegen in diesem Moment einige Personen in Schutzanzügen aus, um Roswitha und ihn abzuholen.

Es klingelte.

Roswitha drückte den Knopf, und er hörte die Stimme von Frau Doktor Fiedler. Sie klang nicht so, als würde sie unter einem Schutzhelm sprechen.

Fröhlich grinsend betrat sie das Sprechzimmer, und er erhob sich.

»Hallo, Herr Doktor!«, rief sie. »Es ist alles in Ordnung. Die Blutproben wurden analysiert, und es wurden keine gefährlichen Viren festgestellt. Nur bei Uwe Denner wurde ein Rhinovirus festgestellt, der für den Ausbruch der Grippe verantwortlich ist. Wir beobachten ihn noch, aber er wird vermutlich morgen entlassen. Seine Frau hat sich zum Glück nicht angesteckt. Ich dachte, ich bringe Ihnen die frohe Botschaft persönlich.«

»Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte Walldorf. Die Anspannung war sichtlich von ihm abgefallen.

»Ich wäre ohnehin in der Nähe vorbeigekommen, das war nur ein kleiner Umweg für mich.«

»Entschuldigen Sie, doch ich muss gleich meine Frau anrufen.«

Sie hob die Hand. »Ich bin schon wieder weg. Genießen Sie den Tag.«

Kaum war sie gegangen, stand Roswitha in der Tür. »Ist es vorbei?«

Walldorf nickte. »Es ist vorbei!«

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