Читать книгу Atlan 564: Auf geheimen Wegen - Hans Kneifel - Страница 4
1.
ОглавлениеEin erster Impuls, der durch die Hauptverbindungen des riesigen Körpers fuhr, weckte das Geschöpf ENI'AIL auf.
Trotzdem verharrte das gigantische Ding unbeweglich.
ENI'AIL besaß kein eigenes Bewusstsein. Es war ein Teil von allem. Es war von Befehlen und einer Unzahl feinster Umweltreize abhängig. Abermals huschten unhörbare Befehle durch die gewaltige Konstruktion, die dem schuppigen Körper eines phantastischen, urzeitlichen Tieres oder einer verfaulenden Dschungelpflanze glich. An Hunderten von Tentakelenden öffneten sich sensorische Flecken.
Die Impulse hatten das Geschöpf in einen Zustand versetzt, der ENI'AIL auf kommende Ereignisse vorbereitete.
Zwischen Felsen und dicht bewachsenen Bezirken des Landes hatten sich die Tentakelenden wie Federn aufgerollt, wie gespannte Spiralen. Nur der Hauptkörper der langen, dicken Schlange war deutlich zu erkennen, die vielfachen Abzweigungen verbargen sich am Abhang des gelben Windes unter Felsen, Sandhügeln, Geröll und wild wuchernden Gewächsen. ENI'AIL rührte sich nicht um einen Millimeter. Es verließ seinen Platz am Hang niemals. Aber in dem Augenblick, da reine Energie in den Körper strömte, verwandelte sich ENI'AIL in eine tödliche Gefahr für jeden, der sich in weitem Umkreis zeigte – am Boden oder in der Luft darüber.
Nicht einmal ENI'AIL wusste, dass es und seinesgleichen Roboter waren; seltsam hochempfindliche Wesen zwischen Leben und Maschine, zwischen Fleisch und Konstruktion. Sie waren von einer unbekannten Macht hergestellt worden, um einen Teil des Schutzgürtels zu bilden. Nur einen kleinen Teil; von anderen Bestandteilen zwischen dem Bauwerk und dem Gipfelgrat wussten die Lianen und die anderen Giganten nichts.
ENI'AIL war aktiviert worden.
Wenn etwas in seinem Handlungsbereich auftauchte, gleichgültig, was es sein würde, handelte die gigantische Liane mit der ihr eigenen Schnelligkeit und mit tödlicher Konsequenz. Noch war kein Feind zu sehen, kein Gegner zu spüren.
Die Liane wartete.
Ihre gefährlichen Systeme waren aktiviert worden. Dies bedeutete das sichere Zeichen, dass Geschöpfe auftauchen würden, die es zu zerstören galt.
*
Vorlan Brick strich mit der bloßen Hand über sein schwarzes Haar, wandte sich an den Arkoniden und erklärte:
»Böse Zungen meinen, wir trieben zu viel Aufwand für diesen rätselhaften Tdibmufs und seine unlogische Landschaft im Nichts. Starten wir?«
Atlan machte eine abschwächende Handbewegung und deutete dann in die Richtung der SOL. Aus sämtlichen Luken und Hangarschleusen schoben sich wahre Unmengen von kleinen Raumflugkörpern. Korvetten und Space-Jets bildeten die größte Anzahl der Schiffe, die alle die Landschaft im Nichts zum Ziel hatten, oder »Paradiso nirwana«. Diese Bezeichnungen gaben den wahren Inhalt der selbstgestellten Aufgabe nur undeutlich wider. Wie winzige Wespen ihren gewaltigen Bau umschwirrten die potentiellen Gäste Tdibmufs', die eingeladenen Urlauber, das große Fernraumschiff.
»Warte noch, Vorlan«, meinte Sanny. »Wir müssen uns noch mit Solania genau abstimmen.«
Die beiden Jets trieben in zwei verschiedenen Pulks langsam auf die riesige Scheibe im leeren Raum zu. Obwohl die Solaner in der Mehrzahl von der künstlichen Welt und deren Einrichtungen zumindest fasziniert, zum Teil sogar hingerissen waren, unterschätzte niemand die verborgenen Gefahren – von denen bereits einige nachdrücklich in Erscheinung getreten waren. Gegenüber dem einladenden Tdibmufs hatten sich die Verantwortlichen der SOL darauf hinausgeredet, ihre Leute auf den Urlaub vorbereiten zu müssen. Außerdem wären besondere Maßnahmen zu treffen, um das Funktionieren der Schiffseinrichtungen auch während der Abwesenheit von fast der ganzen Mannschaft sicherzustellen.
Atlan beugte sich vor und näherte sein Gesicht dem eingebauten Mikrophon. Federspiel und sogar Sanny, die Molaatin, trugen wie alle anderen Mitglieder des kleinen Teams die hervorragend ausgerüsteten Einsatzanzüge. Der Arkonide nickte Solania von Terra zu und musterte ihr Bild auf dem Monitor.
»BINGO I an BINGO II. Wir verlassen den schützenden Schwarm so spät wie möglich, in Ordnung?«
»So und nicht anders plane ich es auch«, antwortete Solania. »Es wird wohl noch einige Zeit dauern.«
»Wir haben es nicht eilig«, warf Oserfan ein.
»Steht die Verbindung zwischen Federspiel und Bjo?«, erkundigte sich Atlan mit einem weiteren Seitenblick auf Federspiel.
Schweigend nickte Federspiel. Er sagte nichts.
Das Team, das mit zwei Space-Jets zu landen versuchen würde, bestand nur aus zehn Personen. Ein genauer Aktionsplan war längst entwickelt worden. Breiskoll hatte sich ebenso wie Joscan Hellmut entschlossen, die Landschaft im Nichts nicht zu betreten. Dafür saßen sie in der Ortungsabteilung und versuchten, zu kontrollieren, was auf der dünnen Scheibe vor sich ging.
Zwar standen die Jets und die Funkzentrale der SOL – noch! – in perfekt funktionierender Verbindung, aber die Unterbrechungen waren in der letzten Zeit viel zu häufig gewesen, als dass es Zufall hätte sein können.
Lyta »Bit« Kunduran nahm deshalb am Einsatz an der Seite Atlans teil, weil zu vermuten war, dass sich im Zentralkegel Positroniken oder ähnliche Einrichtungen befanden.
Breckcrown Hayes' Stimme dröhnte trocken durch die Lautsprecher.
»Viel Glück, BINGO I und II!«, sagte er. »Passt gut auf. Das Leben von mehr als hundert Solanern hängt von euch ab.«
»Wir bringen alle wieder heil zurück«, versicherte Tralee Sharri, eine junge Frau der Pionierabteilung.
»Hoffentlich!«, kam es aus der SOL.
Atlan und der High Sideryt arbeiteten auch während dieser rätselhaften Unterbrechung der langen Reise eng zusammen. Das Vertrauen zwischen ihnen hatte bisher jedem Angriff von außen standgehalten. Während die SOL langsam um die Sonne Super gekreist oder einen Punkt in der Nähe Supers umflogen hatte, waren die Robotfabriken des Schiffes zu neuer Aktivität angelaufen. Die Mitarbeiter, Programmierer und alle, die sich mit den Anlagen beschäftigten, hatten sich mit grimmigem Eifer an die Arbeit gemacht.
Oserfan unterbrach Atlans flüchtige Überlegungen und sagte kurz:
»Erste Transmitteraktivitäten. Schaltzeiten erfolgen nach Plan.«
Atlan sah die Anzeigen eines winzigen Sichtschirms, nickte zufrieden und antwortete zufrieden:
»Sehr schön. Durch den auffallenden Verkehr der Schiffe und die Transmitteremissionen werden wir Tdibmufs hoffentlich gehörig verwirren!«
»Davon gehen wir aus!«, bekräftigte Hayes aus der SOL.
Ebenfalls aus der Zentrale der SOL wurde nach einem vorsichtig kalkulierten Plan der seltsame Gastgeber verständigt. Hayes ging in einzelnen Abschnitten vor. Je länger die bisher deutlich erkennbare Hauptperson dieser verblüffenden kosmischen Rätselwelt im Unklaren gelassen wurde, desto sicherer konnten sich die Solaner fühlen. Die ersten Schiffe waren also inzwischen auf der Ebene gelandet, hatten die mitgeführten Transmitter aufgestellt und aktiviert.
Die ersten Hosties gingen durch die Transmitter.
Der seltsame Name war für die Gäste Tdibmufs' geprägt worden. Es waren nämlich keine Menschen.
Das auffallende Geschehen auf den Ortungsanlagen, über die zweifellos auch Tdibmufs verfügte, dazu die vielen Transmitterschocks, die er ebenso sicher anmessen konnte und würde, sollten ihn verwirren. Etwa dreißigtausend Hosties befanden sich in den Raumschiffen und bewegten sich aus mehreren Transmittern heraus, um sich anscheinend fröhlich, entspannt und nichtsahnend über die paradiesischen Zonen der Landschaft im Nichts auszubreiten.
Alle Hosties waren Roboter!
Sie waren nach mehr als zwei Dutzend Originalen hergestellt worden. Sie sahen aus wie Solaner!
Natürlich, sagten sich Atlan und Hayes, würde diese Täuschung nicht lange wirken. Die etwa hundert echten Solaner, die zwischen den Hosties aus den landenden Schiffen kamen oder die Transmitterschenkel passierten, waren die wirklich handelnden Faktoren dieses schwierigen Einsatzes.
Während die Jets und die Korvetten in wirren Flugbahnen, sowohl ihre Positionen als auch die Geschwindigkeiten ständig verändernd, sich auf die einzigartige, künstliche Landschaft der Scheibe zubewegten, hielten sich BINGO I und II jeweils im Zentrum einer besonders dichten Ballung von Flugkörpern.
»Je mehr wir uns der ›Landschaft‹ nähern«, sagte Sanny plötzlich, die ununterbrochen die Nebelzone, den Reflex des Zentralkegels über der Ebene und die schroffen Bergspitzen der Formation betrachtet hatte, die von den Solanern Alpenin getauft worden waren, »desto weniger traue ich Tdibmufs.«
»Kannst du endlich deine Abneigung begründen?«, fragte Vorlan. Er bewegte die Jet inmitten eines kleiner gewordenen Pulks anderer Schiffe auf jenen Teil der Landschaft zu, die auf der hinteren Seite des Gebirges lag. Also im »Norden«, wie es die Ortung der SOL definiert hatte.
Auch viele bereits vorhandene Roboter waren umgestaltet worden. Eine äußere Hülle war aufgebracht worden, eine Täuschung, die ihnen das Aussehen von Menschen verlieh und die unsichtbaren, unbekannten Machthaber der Landschaft im Nichts verwirren sollte. Eine wahre Heerschar von angeblich Urlaubssuchenden würde binnen kurzem sich über das Feriengebiet ergießen.
»Nein!«, antwortete die Molaatin nach einiger Zeit des Nachdenkens. »Ich bin aber sicher, dass Bjo mit seiner Vorsicht Recht hat.«
Das Vorhaben, das Hayes und Atlan gestartet hatten, war nicht nur gut vorbereitet, sondern entsprach langer und intensiver Überlegung.
Ob zu Recht oder nicht, vermuteten die beiden Verantwortlichen einen hinterhältigen Plan, der möglicherweise von Tdibmufs ausgeheckt worden war. Aber ebenso wahrscheinlich war, dass Tdibmufs nur ein Werkzeug war wie beispielsweise die Metallmenschen oder die Libellenmenschen.
Für Hayes und Atlan stand fest, dass man die Solaner aus dem Schiff locken wollte. Deshalb dieses großangelegte Täuschungsmanöver.
Warum die Besatzung das Schiff verlassen und sich bis auf den letzten Mann in der Landschaft im Nichts verlieren sollte, war für beide Verantwortliche noch unklar. Aber die Falle würde auf diese Weise nicht funktionieren; in kosmischen Verschwörungen und den Versuchen, ihnen elegant auszuweichen, war Atlan ein wahrer Meister.
Auch nur deshalb, sagte sein Logiksektor, weil dein Misstrauen dir keinen anderen Ausweg mehr offen ließ.
Atlan nickte schweigend; genau dies traf zu. Die wahren Machthaber hinter dieser illusionären Landschaft waren unbekannt; offensichtlich schienen sich die Herren von Tdibmufs nicht einig darüber zu sein, mit welchen Mitteln die Solaner von Bord gelockt werden sollten.
Von der SOL kam die verschlüsselte Durchsage:
»Aktion verläuft bisher nach Plan.«
Atlans Ziel war der Zentralkegel. Das seltsame Bauwerk befand sich südlich der höchsten Erhebungen des Alpenin-Gebirges und östlich der Zone im Nebel. Es galt als sicher, dass der Vorstoß schwierig und gefährlich sein würde. Zwischen dem Gebirge und dem Rand der Scheibe, deren glatter Fels im Licht der Sonne an einigen Stellen grelle Reflexe warf, befand sich ein schmaler Streifen Land, innerhalb dessen es keine feststellbaren Siedlungen gab. Es schien sich um wildes, unbewohntes Land zu handeln. Die Fernortung hatte keinerlei Spuren oder Bewegungen feststellen können – aber in diesem Land war Illusion alles, die Realität wandelte sich ständig.
»Auch wir gehen nach Plan vor«, bestätigte Atlan halblaut.
In langsamem Flug driftete ein Schwarm von Schiffen, der sich in zwei wolkenähnliche Zusammenballungen geteilt hatte, auf die sichelförmige Landfläche zu. Ununterbrochen gingen die Informationen hin und her. Auf den Monitoren der beiden Jets zeichneten sich die aufgenommenen Szenen ab. Kommentare kamen aus den Lautsprechern.
Tdibmufs befand sich bei den landenden Schiffen und begrüßte die Solaner.
Seine Transportkugel schwebte zwischen den einzelnen Gruppen hin und her. Mit ruhigen Gesten und tiefen Blicken seiner vertrauensvoll blickenden Augen schüttelte er Hände, sprach mit den Ankömmlingen und deutete hierhin und dorthin.
Federspiel brummte verdrossen:
»Je mehr er sich um die Hosties kümmert, desto weniger bemerkt er uns.«
Unter den Strahlen der gelben Sonne funkelten die Bereiche des ewigen Eises auf den Bergspitzen und den Hängen auf. Die Schiffe schwebten näher heran. Einige Korvetten nahmen Fahrt auf und fegten über die fast fünftausend Meter hohen Berge hinweg. Ein Schwarm Jets schlängelte sich zwischen den Hängen und Schründen hindurch.
»Irgendwo verbirgt sich hier Hidden-X«, meinte Solania von Terra. »Oder zumindest beobachtet es alles.«
»Nicht unwahrscheinlich, deine Ansicht«, stimmte Acarra Vy zu. Der stämmige Mann saß vor den Ortungsschirmen der BINGO II und versuchte, Einzelheiten des vor ihnen liegenden Gebietes zu erkennen und präzise herauszuvergrößern. Plötzlich wurde eine wichtige Passage aus einer Unterhaltung zwischen Tdibmufs und einer kleinen Gruppe Hosties wiederholt und in größerer Lautstärke wiedergegeben.
»... willkommen. Ich hoffe, dass auch die letzten Kameraden von Bord kommen werden«, sagte der Gastgeber. Ein Solaner, offensichtlich kein Roboter, antwortete in überaus herzlichem Tonfall:
»Sie werden kommen. Aber du musst verstehen, dass es seine Zeit braucht, um das riesige Schiff entsprechend vorzubereiten.«
»Ich verstehe. Wie lange werden sie dazu benötigen?«
Die Antwort klang vage, aber der Mann war ein guter Schauspieler.
»Wir rechnen, dass die letzten Besatzungsmitglieder in etwas mehr als zwei Tagen endlich auch Urlaub wie wir machen können.«
»So lange braucht ihr?«
Trotz der Tatsache, die ihn nicht erfreute, verlor Tdibmufs nichts von seiner würdevollen Herzlichkeit.
»Wir schaffen es nicht in kürzerer Zeit. Nicht wahr?«
Der Solaner wandte sich an die Umstehenden. Sie nickten und erwiderten reichlich abgelenkt und zerstreut, dass es sich genau so verhielte.
»Es ist wohl nicht zu ändern. Wenn ich euch einlade, dann möchte ich nicht, dass andere griesgrämig abseits stehen müssen«, erklärte der grauhaarige Mann in der zerschlissenen Bordkombination. »Breitet euch aus! Nehmt Besitz von diesem herrlichen Land unter der gelben Sonne.«
»Mit Vergnügen!«
Atlan schob den Lautstärkeregler zurück, als er auf dem Bildschirm sah, wie die Hosties wartende Transportmittel bestiegen und davonfuhren. Grimmig sagte er:
»Sie wollen unbedingt, dass sich die SOL bis auf den letzten Mann leert. Welch eine edle Absicht!«
»Und ein durchsichtiges Vorhaben. Wer immer in die SOL eindringen will, er will keine Wachen und keine Verteidiger. Sie scheinen nicht in sein Konzept zu passen.«
Cobos Arutunian lachte sarkastisch.
Er kauerte neben Acarra vor der Ortung und sah zu, wie Solania die Jet geschickt dicht über dem Boden in einigermaßen schnellem Flug steuerte. Hin und wieder folgte der Diskus den Formen eines steilen, eisverkrusteten Hanges, der im Sonnenlicht grell aufstrahlte. Über ihnen bewegten sich die größeren Schiffe auf die große Ebene zu.
»Irgendwann wird es zum großen Knall kommen«, sagte Vorlan.
»Dann sind auch hoffentlich Collinia Brackfaust und ihre Leute gefunden und in Sicherheit gebracht worden«, murrte Atlan. »So groß ist Paradiso nirwana auch wieder nicht.«
Einige Minuten vergingen, ohne dass zwischen BINGO I und II Kommandos gewechselt wurden. Dann sagte Solania plötzlich:
»Ein fabelhafter Landeplatz. Ich gehe hinunter, Atlan. Dort, schräg rechts, die eisverhangenen Felsbrücken.«
Atlan blickte hinüber und erkannte, was sie meinte. Sofort gab er zurück:
»Ausgezeichnet. Ich suche einen ähnlichen Platz.«
Die beiden Jets hatten die letzten Gipfelgrate überflogen. Jetzt steuerte BINGO II auf eine überhängende Felsenmasse zu, die eine Art unregelmäßigen Tunnel bildete. Gigantische Eiszapfen und breite, blasige Vorhänge aus gefrorenem Wasser hingen in dicken Schichten über dem Stein und schufen eine Höhle, aus der leicht zu entkommen war. Ein paar Schüsse mit den Hitzestrahlern konnten in kurzer Zeit einen großen Teil der Eismassen schmelzen. Vorsichtig und langsam steuerte Solania die Jet durch ein Stück phantastische Landschaft. Das Sonnenlicht wurde von den kantigen, runden und wachsartig verlaufenden Eisschichten vielfach gefiltert und in vielen Spektren gebrochen. Dann fuhren die Landestützen aus, und am Rand eines schrägen, weit nach unten ziehenden Hanges sank die BINGO II auf das massive Eis herunter.
Direkt vor der Schnittkante der beiden Diskusschalen begann der Hang, nur getrennt von einem welligen Vorhang aus vielfarbig flimmerndem Eis.
Von diesem Punkt hatten die Insassen des Diskus einen fast ungehinderten Blick über die gesamte Ebene, den riesigen Nebel und die beiden Ausläufer des Alpenin-Gebirges. Und fast direkt vor ihnen, nicht weit entfernt von der absoluten Mitte der Landschaft im Nichts, stand der Zentralkegel.
»Ich habe ebenfalls einen hervorragend getarnten Landeplatz entdeckt«, meldete sich kurz darauf der Arkonide.
BINGO I wurde zwischen einem kleinen Wald aus bizarren Felsnadeln hindurchgesteuert. Die letzten Flugkörper schwebten über das Gebirge, blinkten mit ihren Scheinwerfern und nahmen Kurs auf die Treffpunkte, von denen bereits einige leere Raumschiffe starteten.
Die Jets des Einsatzkommandos waren allein.
Über den Felsen, die wie die Stacheln eines aufgeregten Igels nach allen Seiten aus dem Boden wuchsen, hatten sich Brücken und Bögen aus milchigem Eis gebildet. Immer wieder staubten Schauer von Bruchstücken herunter und klirrten auf das Metall der Flugkörper. Unter einem fast waagerecht schwebenden Felsen, der einer dreieckigen Zunge glich und ebenfalls von gewaltigen Eismassen bedeckt war, stellte Atlan den Diskus ab.
Unmittelbar vor den Landestützen fing eine riesige Halde an, die sich wie das Bett eines geschmolzenen Gletschers oder die Spur einer Lawine aus feinem Geröll bis tief zu den bewachsenen Hügeln am Fuß der Bergriesen erstreckte.
Von links trieb ein nicht zu heftiger Wind eine gelbe, dünne Wolke den Hang abwärts und auf den Zentralkegel zu. Das Bauwerk sah, mit den Linsen der Ortung betrachtet, von hier aus sehr klein und unbedeutend aus. Die Wolke wirkte wie ein gefärbter Nebel, der mit biegsamen Fingern oder Krakenarmen von den Klippen des Alpenin hinunter in die Ebene schwebte.
»Es ist«, sagte Atlan trocken, »kein großer Unterschied zwischen dem, was wir uns in unseren Überlegungen vorgestellt und dem, was wir hier vorgefunden haben. Es wird wohl auch weiterhin so bleiben.«
»Deswegen die achtundzwanzigtausend falschen und die hundert richtigen Urlauber!«, bekräftigte Bit Kunduran. »Wie lange wollen wir uns hier verstecken?«
»Wir brechen in Kürze auf!«, sagte der Arkonide.
Niemand an Bord konnte in Wirklichkeit ahnen, ob sich die Machthaber hinter der Landschaft im Nichts, der rätselhafte Chef von Tdibmufs (oder war er vielleicht selbst sein eigener Vorgesetzter?), möglicherweise sogar Hidden-X, einig über ihre Absichten und über die Methoden waren. Die Absicht war ohne jeden Zweifel, die Solaner restlos von Bord zu locken und hier in eine subtile Form der Gefangenschaft zu überführen. Übertriebene Gastfreundschaft an einem Ende der Skala, bösartige Attacken auf dem anderen.
Mit den Angriffen wollte der Geheimnisvolle offensichtlich die Solaner dazu zwingen, schon allein aus Erschöpfung sich nur noch an den Gedanken an Urlaub zu klammern. Zudem rechnete »man« nicht ohne Grund mit dem Hunger der Solaner nach Erlebnissen und Abenteuern, die außerhalb der Erlebnissphäre im Innern eines Raumschiffes lagen.
Ein recht originelles Spiel mit gefährlichem, vielleicht tödlichem Hintergrund, flüsterte das Extrahirn.
Atlan und die Schiffsführung sahen als Quintessenz aller dieser und zahlreicher anderer Überlegungen in diesen Versuchen nur Zweifel und Widerspruch.
Und hinter allem vermutete Atlan ein Stück des Geheimnisses, das mit der gewaltigen Menge verschwundenen Nickels und mit Hidden-X verbunden war.
Er stand auf und deutete auf Sanny.
»Wir werden dich tragen. Federspiel, Lyta und ich versuchen so schnell wie möglich, den Kegel zu erreichen.«
»Wann brechen wir auf?«, stellte sie abermals die Frage. Sie kannte wie jeder des Kommandounternehmens die einzelnen Stufen des Einsatzes.
»Wenn uns Solania das Zeichen gibt!«
Atlan ging ans Pult, schaltete die Verbindung zwischen den Jets und sah, dass auch in der BINGO II versucht wurde, das Gelände genau einzusehen und einzelne Punkte festzulegen, an denen Atlans Vorstoß sicherer und schneller gemacht werden konnte.
»Solania?«, fragte Atlan.
»Zehn Minuten. Dann riskieren wir den Vorstoß.«
»Verstanden.«
»Und du, Vorlan, bleibst unsere letzte Chance, wenn alles schiefgeht. Ich denke, es wird nicht ganz leicht werden.«
»Das habe ich von Anfang an einkalkuliert«, schloss Vorlan.