Читать книгу Perry Rhodan 809: Mensch aus dem Nichts - Hans Kneifel - Страница 4

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1.

Die riesige Metallkonstruktion war verlassen. Aber Maschinen, für Jahrhunderte wartungsfreien Betrieb konstruiert, schalteten sich ein und aus, schmierten ihre Lager selbst, fuhren das einprogrammierte Verfahren, erzeugten Hitze und Kälte, führten winzige Kurskorrekturen durch und beseitigten Schäden, die im Lauf der langen Zeit auftraten. Es knisterte und summte, es knackte und pfiff, brauste und jaulte, ein scharfes Ticken war ebenso zu hören wie die längstwelligen Vibrationen langsamlaufender Aggregate. Aber in der Station gab es nicht ein einziges Geräusch, das darauf hingewiesen hätte, dass sich ein lebender Organismus in einer der vielen leeren Kammern befand.

Etwa hundertzwanzig Jahre lang war SI-RS-290 verlassen.

Hier, treibend im leeren Raum der galaktischen Eastside, als stählerner Mond von den gelegentlichen Streifen der Blues nicht einmal mehr beachtet, befand sich jener unwichtige Rest der der terranischen Expansionsbestrebungen.

Solares Imperium, Relaisstation Nummer 290. Die Buchstaben glänzten gelb und schwarz auf den makellos silberfarbenen Flanken und Rundungen, Bullaugen und Antennen, die dicken Rahmen von Schleusen und Hangars, die offenen Landeplattformen für die Schiffe der Handelsabordnungen – alles wirkte nicht gerade wie neu, doch nicht im mindesten verwahrlost.

Eine von unzähligen Stationen dieser Art und Größe, die das Solare Imperium montiert hatte, damals ...

Die Erhabenheit der Sonnen und Dunkelwolken umgab dieses stählerne Staubkorn. In einer riesigen Kreisbahn, die an einigen markanten stellaren Feuern vorbeiführte, driftete SI-RS-290 seit mehr als einem Jahrhundert ohne einen Mann Besatzung durch das All.

Wo waren die Terraner, die mit den Blues verhandelt hatten, die Einblick in das komplizierte und technisch-logische Denkvermögen, in die teilweise befremdlichen Sitten und die superspartanische Lebensführung der Gataser gewonnen hatten? Verschwunden, zerstreut, gestorben, untergegangen in dem zermalmenden Strom aus Zeit und Abenteuer. Keiner der Namen, die hier in der Zentralpositronik verankert waren, hatte heute noch die geringste Wichtigkeit.

Und doch waren einmal Hunderte von Frauen und Männern die Besatzung der Kugel gewesen. Ihre Stimmen und Lebensäußerungen hatten die Hallen und Kammern erfüllt; sie waren der eigentliche Zweck der Anlage. Erst durch die Anwesenheit von Menschen und Blues erhielt die Station ihren Wert.

Heute gab es hier weder die einen noch die anderen.

Eine Positronik war nicht in der Lage, Bedauern oder Niedergeschlagenheit zu empfinden. In diesem Fall hätte sie sich abgeschaltet, sämtliche Nebenaggregate desaktiviert und die Station irgendwann in eine Sonne stürzen lassen. Aber seit dem Jahr 3460 arbeitete die Zentrale, arbeiteten die untergeordneten Maschinen, schwebten summend sogar die vielen Arten von Robotern umher, deren einzige Aufgabe es gewesen war, lebendigen Menschen zu dienen und deren Arbeit leichter und angenehmer zu machen.

Ein Jahrhundert verging in der leeren Station.

*

3563: 21. 9. – 14 h 34 m 55 s:

Ein fingergroßer Meteor traf die Außenhülle, stanzte ein sechskantiges Loch und verwandelte sich auf dem rasenden Flug durch einen mit vierundzwanzig Grad Celsius temperierten Laderaum in einen weißglühenden Metalltropfen, der wie ein Geschoss eine Plastikdecke durchschlug, abermals einen Teil seiner Masse und seiner kinetischen Energie verlor und die Sitzfläche eines Sessels verwüstete. Unterhalb des hochlehnigen Sessels blieb eine winzige Glutkugel liegen und verschmorte den knöcheltiefen Wand-zu-Wand-Teppich.

In der siebenundfünfzigsten Sekunde wirkte der Alarm bereits.

Ein Roboter erfasste den Strom der entweichenden Luft, schaltete die Antigravanlage ein und trieb mit dem Spezialarm einen spitzkegeligen Kunststoffpfropfen in die Außenhülle.

Dann begann der Kunststoff sich zu erhitzen, breitete sich aus und ging mit dem Stahlplastik eine unlösbare Verbindung ein. Der winzige Druckverlust in diesem Teil des Systems wurde aus einem nicht einmal zu zwei Zehntel geleerten Vorratsbehälter ersetzt. Ein zweiter Robot peilte die Reparaturmaschine im Innern von SI-RS-290 an und rollte auf magnetischen Walzen im Vakuum über die Rundung. Eine schimmernde Metallscheibe wurde auf das Loch gelegt. Ein Vakuumschweißgerät blitzte vierzig Sekunden lang auf, dann begann ein Schleifteller rasend zu rotieren, schliff die Schweißnaht glatt, und die Maschine kontrollierte die Dichtigkeit. Zufrieden summend kehrte die Maschine wieder zurück.

Das Sitzpolster des Sessels wurde von einer anderen Maschine aufgehoben. Sie las die einmagnetisierte Kodenummer und verließ den Raum. Minuten später war aus einem Magazin ein Ersatzteil geholt, die Metallschale des Sessels ebenfalls ausgebessert, der Teppich an der verschmorten Stelle ausgeschnitten und neu verklebt und das Loch in der Decke dieses Privatraums gedichtet.

*

3583: 30. 9. – 12 h 00 m 02 s:

Zuerst: eine dumpfe Vibration, die dem Aufprall von rund neunzig Kilopond auf einem teppichbedämpften Untergrund entsprach. Augenblicklich erwachten Hunderte verschiedener Messeinrichtungen.

Dann: das unverkennbare Geräusch, das entstand, wenn ein zweibeiniges Individuum langsam durch einen Raum ging. Wo? Mittelebene. Aufenthaltsraum neben halbautomatischem Restaurant. Richtung? Korridor mit Endpunkt Computerterminal IV. Einige Linsen wurden von elektronischen Schranken eingeschaltet und lieferten, in mehrfarbige Rasterpunkte aufgeschlüsselt, der Zentralen Positronik ein Bild des Besuchers.

Das Bild:

Ein männlicher Terraner, etwa dreißig Jahre alt, mit grauem halblangem Haar und grünen Augen, schlank, Größe 191 Zentimeter, neunzig Kilogramm und 750 Gramm schwer. Er trug einen weißen, modern geschnittenen Overall mit gefälligen Taschen und hohem Kragen, die Ärmelaufschläge waren offen. Form des Gesichts: länglich-oval. Kein Bart. Die Maschine war nicht dahingehend programmiert, Gesichtsausdrücke richtig interpretieren zu können. Sie hätte festgestellt, dass der Besucher verwirrt und unsicher wirkte.

Die Positronik speicherte und protokollierte dies alles, aktivierte dann die zur Lebenserhaltung notwendigen Subsysteme und bewirkte, dass die Robotküche zu arbeiten begann. Auch die Lampen und Geräte des Terminals, auf den der Besucher zuging, schalteten sich ein.

Es war, als begänne für den hochkomplizierten technischen Organismus von SI-RS-290 ein neuer Abschnitt des Lebens.

*

Ich weiß, dass ich Chung Lo bin. Etwas über dreißig Jahre alt, an Körper und Geist gesund. Zuletzt war ich, und hier beginnt die Erinnerung zu flimmern wie heiße Luft über einer sonnenbeschienenen Straße, Chefmechaniker; ein wertvoller Mann, den man zu allen möglichen Spezialarbeiten heranzog. Wie ich hierher komme, weiß ich nicht. Aber ich lebe, und das ist wichtig.

Zunächst spürte ich, wenn ich in meinen Körper hineinhorchte, Durst und Hunger.

NUR KEINE PANIK, LO!

Wo bin ich? Jedenfalls in einem Umfeld, das durchaus menschlichen Bedürfnissen entspricht. Saubere, kühle Luft mit hohem Sauerstoffanteil. Geruch nach Sauberkeit und Frische. Unter mir ein moosgrüner, wunderbar weicher Teppich. Ein Korridor mit metallenen Wänden. Also bin ich in einem Raumschiff aufgewacht.

Sehr rätselhaft ... partielle Amnesie. Soll vorkommen. Ruhig bleiben, Lo! Irgend etwas ist passiert, und du wirst dich schon wieder zurechtfinden, alter Junge. Damen scheint es hier nicht zu geben, dafür jede Menge Platz.

Ich weiß, dass ich ein methodischer Mensch bin. Muss ich auch sein, als Mechaniker. Also muss ich versuchen, auch jetzt und hier methodisch vorzugehen. Andernfalls werde ich verrückt. Und natürlich niemand da, den ich fragen kann.

Erst einmal einen kräftigen Schluck trinken – wenn es hier überhaupt etwas gibt.

Ich glaube, ich sollte versuchen, jemanden zu finden, der mir erklärt, wo wir sind.

*

Chung Lo blieb an der Stelle stehen, an der sich der Korridor verbreiterte. Dann hob er den Kopf und rief laut: »He! Hallo! Ich bin hier und suche Kommunikation!«

Er bekam keine Antwort.

Chung Lo hob die Schultern, sah sich noch einmal um, las dann die Beschriftungen und erkannte die Piktogramme an der Wand. Sie waren in Kennfarben gehalten; selbst ein Analphabet hätte den Weg dorthin gefunden, wo es Essen und Trinken geben musste. Also setzte sich Chung Lo in die betreffende Richtung in Bewegung und schob die Tür zur halbautomatischen Küche auf.

Überrascht blieb er stehen und richtete seine Augen auf die bunten Lämpchen, auf die aufleuchtenden Schriftzeichen und die Anlage, die einen gebrauchsfertigen Eindruck machte.

»Verblüffend!«, sagte er laut. »Und so wohnlich.«

Er las die Aufschriften, tippte eine Anzahl von Gerichten, suchte sich Getränke heraus und benutzte diese Einrichtung so geschickt und problemlos wie seine eigene Küche. Einige Gerichte waren wohl nicht in den Magazinen, daher druckte die Automatik entsprechende Hinweise aus, andere waren vorhanden. Aus einem Fach der Ausgabestelle rutschten steril verpackte Teller, Bestecke und Sets, Gewürze und Servietten. Chung Lo trug schließlich das fertige Essen zu einem Tisch des kleinen Speisesaals, öffnete eine Dose dunkles Bier und begann zu essen.

Irgendeine Automatik registrierte einen Gast im Speiseraum, schaltete zusätzliche Beleuchtungen ein und ließ ein Musikprogramm ablaufen. Nur an zwei Bearbeitungen klassischer Stücke von Boncard und Grey konnte sich der hungrige Mann erinnern, alle anderen Melodien waren ihm fremd.

Nach etwa vierzig Minuten fühlte sich der einsame Mann etwas besser. Zumindest das körperliche Wohlbefinden war wiederhergestellt. Er wischte sich die Lippen ab, goss den Inhalt der zweiten Bierdose ins Glas und trank mit geschlossenen Augen.

Wo waren seine Erinnerungen?

Chung Lo wusste nicht, woher er kam. Vage Gedanken an die Erde, an den Zustand der Menschen in der Endphase der Aphilie, an ein plötzliches Aufhören aller gedanklichen Funktionen stiegen wie Schattenbilder in seinem Geist hoch und verschwanden wieder.

Er trank aus und stand zögernd auf. Was sollte er tun? Vielleicht gab es hier eine Art Bibliothek, eine Auskunftei, einen mechanischen Fremdenführer. Es gab unendlich viele Fragen. Würde er auch Antworten bekommen?

»Nun, ich habe keine Eile. Es hat eine Küche gegeben, es wird auch ein Bett geben«, sagte er halblaut, nur um seine Stimme zu hören.

Lo trat wieder hinaus auf den Korridor. Gemächlich schlenderte er geradeaus, bis er das Schild Zur Zentrale und das Piktogramm für Zentrum entdeckte. Er folgte der moosgrünen Farbe des hochflorigen Teppichs und blieb stehen, wenn es einen für ihn interessanten Blick in ein Labor gab, in einen verlassenen Saal mit normalen Sesseln und solchen, die wirkten, als wären sie für nonhumanoide Wesen entworfen und gebaut worden. Dann sah er wieder einen Computerterminal, schließlich änderte der Boden seine Kennfarbe und wechselte übergangslos in ein sattes Gelb über.

»Ich wette, auch hier ist niemand!«, rief Chung Lo laut.

Er behielt natürlich recht.

Niemand antwortete. Ein paar Metallschotte, mit dicken Gummidichtungen versehen, öffneten und schlossen sich und zeigten ihm, dass diese technische Anlage sich entweder im Weltraum oder auf einem Planeten mit giftiger oder problematischer Gashülle befand. Sie war in mehrere Bezirke unterteilt, wie ein Raumschiff, das auch noch dann Überlebenschancen bot, wenn es havariert war. Wieder eine neue Erkenntnis, dachte er fatalistisch. Er freute sich innerlich, dass er derartig stabil war, ruhig und selbstsicher. Trotzdem fühlte er tief innen in seinem Bewusstsein, dass da irgendwo ein deutlicher Schub von Panik lauerte, der nur darauf wartete, aufzutauchen wie ein Albtraum.

»Noch nicht, mein Freund«, murmelte er. Vor ihm surrten zwei dicke Kunstglasscheiben auseinander, und er sah vor sich einen mittelgroßen, schätzungsweise vier Meter hohen Raum, der von vier riesigen Panoramabildschirmen beherrscht war. Zu vier Fünfteln umlief ein gewaltiges Instrumentenpult den Raum; es war kreisförmig, abgeschrägt, in viele verschiedenfarbige Sektionen eingeteilt. Der Raum selbst war rechteckig.

»Aha«, machte Chung Lo. Dann zog er scharf die Luft ein und sah zu, wie sich scheinbar vor den Bildschirmen das Bild erstellte; ein Effekt der dreidimensionalen holografischen Wiedergabe.

»Die Sterne!«, sagte er fassungslos. Er stand in der Mitte der Zentrale, klammerte sich an die Lehne eines leeren Sessels und blickte langsam von einem Bildschirm zum anderen. Da waren sie: weiß, gelb, rot und blau, größer und kleiner, weiter entfernt und näher. Pfeilspitzen aus Licht, drohend und kalt, ohne den Effekt, den eine wärmende Sonne auf einem Boden eines Planeten hatte. Myriaden Sterne in völlig unbekannten Konstellationen. Senkrecht zu der Schwerkraftebene verlief ein breiter, vielfach verzweigter Arm einer atemberaubenden Konzentration von Tausenden und aber Tausenden ferner Sonnen. Sie bewegten sich nicht, nichts bewegte sich dort draußen.

»Sterne. Ich bin in einer Raumstation ... Aber in welchem Teil des Kosmos?«, stammelte Chung Lo. Er fürchtete die Sterne nicht, aber diese eindringlichen Bilder überwältigten und schockierten ihn. Jetzt erst, als die optische Verbindung zwischen drinnen und draußen herbeigeführt worden war, packte ihn das deutliche Gefühl, das einen Menschen befallen muss, wenn er ohne Erinnerungen sich an einem Ort wiederfand, den er nicht kannte.

Verloren im Kosmos. Verirrt, hingeschleudert in einen entlegenen Bezirk des Alls. Wo war die Sonne der Erde?

Wo gab es in diesem Gewimmel von Lichtpunkten einen festen Bezugspunkt?

»Es gibt ... keinen«, flüsterte Chung Lo. Er fühlte, wie eine unbekannte Schwäche ihn ergriff. Nicht die Art von Zusammenbruch, die rein körperlich nach einer Überanstrengung auftrat, sondern eine Sinnesverwirrung. Sekundenlang zuckte ein bohrender, scharfer Schmerz durch seinen Schädel. Er machte ihn halbblind. Seine Identität begann – besser konnte er sich in Gedanken nicht ausdrücken – zu flimmern. Eben noch hatte er die Kontrolle über seinen Verstand und seinen Körper besessen und sich gefreut, dass er nicht wahnsinnig geworden war in diesem Einsamkeitsschock, jetzt fühlte er, wie die Identität Chung Lo bedeutungslos wurde. Etwas anderes schob sich blitzschnell vor alle seine Sinne und ersetzte dann jenen Chung Lo. Nein, in Wirklichkeit wurde Chung Lo ausradiert.

Chung Lo merkte nicht, was ihm passierte.

Er wusste auch nicht, dass dieser Vorgang innerhalb von Sekundenbruchteilen oder gar noch schneller erfolgte.

Jedenfalls schien derjenige, der schwankend und halbblind um den Sessel herumtaumelte und sich schwer in die Polster fallen ließ, ein anderer Mensch zu sein.

*

Ein faszinierendes Halbpanorama! Ich könnte mir vorstellen, dass diese Versammlung von Sternen grob gesehen der Eastside zuzurechnen sein könnte; dieser senkrechte milchstraßenartige Ast, sicher nur eine lokale Erscheinung, aber immerhin charakteristisch. Ich muss einmal nachdenken, denn ich kenne dieses Bild, wenn auch nur aus Photos und entsprechenden Studienaufnahmen, ebenfalls mehrfarbig und stereoskopisch.

Keiner soll sagen, dass Abd el Pumán nicht in jedem Teil der Milchstraße zumindest nicht ganz fremd ist. Ich kenne nicht gerade jeden Stern, aber schließlich hat ein professioneller Astronom einen sechsten Sinn dafür, wo er sich gerade befindet – ich erinnere mich der spielerischen Tests, die wir während der Ausbildung zu Tausenden über uns ergehen lassen mussten. Ein holografisches Bild, zehn Sekunden Zeit, dann eine schnelle Antwort. Von hundert möglichen Treffern erzielte ich stets Zahlen zwischen einundneunzig und neunundneunzig. Natürlich, ich bin in der Eastside der heimischen Milchstraße, in dem Gebiet der Blues.

So weit, so gut. Aber ... wie bin ich hierhergekommen?

Ruhe, Abd el Pumán! Keine Panik. Du spürst deinen Körper, hast auf der Zunge den widerlichen Geschmack von dunklem Bier, befindest dich in einem mäßig hellen Schaltraum in einem Sessel sitzend, und du bist ratlos, weil dir ein gewaltiger Abschnitt deiner Erinnerungen fehlt.

Wo bin ich?

»Keine Ahnung!«, muss ich zugeben. Irgendeine Raumstation. Eastside? Blues? Eine gewisse Ruhe und Stille?

Merkwürdig. Ich kann mich nicht erinnern, vor kurzer Zeit gegessen und ausgerechnet dunkles Bier getrunken zu haben! Ich habe irgendwann das Bewusstsein verloren und bin von jemandem oder von etwas in eine ziemlich leer scheinende Raumstation im Einflussbereich des Reiches der Gataser-Abkömmlinge mit ihren tellerförmigen Köpfen gebracht worden. Darüber hinaus glaube ich zu wissen, dass mein Körper irgendwie anders ausgesehen hat. Oder anders war. Der Körper, den ich jetzt spüre, ist schlanker als meiner, den ich in Erinnerung habe. Ich glaube, ich werde noch einmal diese faszinierenden Sternanhäufungen studieren und dann versuchen, in diesem Observatorium jemanden zu finden, der meine Fragen beantwortet. Hoffentlich gibt es hier einschlägige Beobachtungsinstrumente; ich glaube zu wissen, dass ich inzwischen viel verlernt habe.

Wo ist der Kollege, der die Bildschirme eingeschaltet hat?

*

Abd el Pumán sah sich zwanzig Minuten später in einem großen Spiegel. Eben noch war sein Gesicht anders gewesen; jetzt waren die Augen auf rätselhafte Weise dunkler geworden, die Mundwinkel zogen sich leicht nach unten, die Haltung der Schultern war die eines Mannes, der große Teile seines Lebens vor Instrumente, Tabellen und Rechnern verbracht hatte, dessen Liebe nicht Tieren, Maschinen oder Raumschiffen gehörte, sondern den Vorgängen in den Chromosphären und Kernen der Sterne aller Klassen und Größen.

In einem brausenden Luftstrom trocknete sich Abd el Pumán die schlanken Hände ab und drückte auf einen Schalter, der sein Gesicht mit einem feinen Nebel wohlriechenden Gesichtswassers einsprühte.

»Das ist wieder ein solches Observatorium der Selbstgespräche«, sagte er laut. In dem strahlend sauberen Toilettenraum hallten seine Worte wider. »Niemand da. Eine merkwürdige Stimmung. Na ja, immerhin stört mich keiner.«

Noch hatte er kein Identitätsproblem. Bisher war er überzeugt, dass er er war, nicht ein anderer. Aber ein deutliches Gefühl der Unsicherheit verließ ihn nicht, als er anfing, das Observatorium in dieser Sternenstation zu suchen und sich überhaupt einen Überblick zu verschaffen. Vielleicht, so dachte Abd el Pumán skeptisch, fand er denjenigen, der ihn hierher gebracht hatte? Alle anderen Probleme, die mit seiner nicht vorhandenen Erinnerung, mit jener gewaltigen Lücke zu tun hatten, vergaß er zwar nicht, aber er verschob ihre Klärung auf später.

*

Fünfhundert Minuten vergingen, ehe der Astronom müde wurde und mutlos zu werden begann. Er war endlose Gänge, Korridore und Rampen entlanggewandert. Er hatte in mehr als zweihundert verschiedene Räume hineingeblickt und hatte folgendes festgestellt:

Alle Räume und Verbindungsgänge, die so eingerichtet waren, dass sie Menschen zum Aufenthaltsraum dienen konnten, waren klimatisiert, an eine »südpolar« orientierte Schwerkraftanlage angeschlossen, beleuchtet oder beleuchtbar, für mehr als hundertfünfzig Menschen berechnet, hervorragend ausgestattet und für eine kleine Ewigkeit verproviantiert.

Er hatte große Magazine gesehen, in denen Ausrüstungsteile gelagert waren, benutzte und neue Raumanzüge, Wassertanks, Aufbereitungsanlagen und winzige, abgekapselte Systeme, die Grundsubstanzen herstellten, aus denen eine sinnreiche Automatik Proteine, Fette und Zucker herstellte. Ein Schwimmbad war ebenso vorhanden wie ein Solarium, ein Sportraum von phantastischen Ausmaßen konkurrierte mit einem Auditorium. Es gab auch ein Observatorium, aber die Geräte waren integriert in die Zentrale Kybernetik der Station.

Die Station selbst wies einen von ihm geschätzten Durchmesser von etwa hundertfünfzig Metern auf und war sicherlich kugelförmig. Es gab kein einziges Raumfahrzeug – die Hangars für Space-Jets und andere Beiboote waren leer. Die Besatzung schien mit ihnen geflohen zu sein.

Abd el Pumán stöhnte auf: »Und es gibt keinen einzigen Menschen außer mir! Nicht einmal Spuren!«

Er korrigierte sich. Es gab Spuren. Hier ein Bildwürfel, der eine junge Familie zeigte, dort einige Buchspulen, die einem Besatzungsmitglied gehört haben mochten und beim Aufbruch zurückgelassen worden waren. Dort ein großes Bild eines lachenden jungen Mannes oder eines lächelnden Mädchens. Seltsam. Warum lachen auf Photos die Personen immer? Warum waren sie nicht ernst? Warum weinten sie nicht, da sie doch ahnen müssten, dass sie denjenigen Menschen, der ihr Photo aufstellte oder an die Wand heftete, niemals wiedersehen würden?

»Vielleicht lachen sie gerade deswegen!«, murmelte der Astronom und sah sich um. Er befand sich jetzt im eigentlichen Wohnbezirk; es war abseits des absoluten Zentrums ein zylinderförmiger Hohlraum, ausgefüllt von robotgepflegten Pflanzen und Blüten. Übereinander verliefen einzelne Rampen, hinter denen die Eingänge in kleinere und größere Apartments lagen. Hervorragend gebaut, aus einem verwirrenden, aber sinnvollen System von Fertigteilen, genormt und dennoch abwechslungsreich.

Er blieb auf halber Höhe des zylinderförmigen Hohlraums stehen und blickte nach oben, dann nach unten, bewunderte die wuchernden Pflanzen und die makellose Ordnung, dann reckte er seinen Körper und gähnte.

»Vielleicht bringt der Schlaf die Erleuchtung«, murmelte er und öffnete die nächste Tür. Er ließ sie geöffnet, schaltete sämtliche Lichter in dem mittelgroßen Apartment ein und fand das Bett. Er machte alle jene Handgriffe, mit denen sich die Bettnische in eine Zone der reinen Gemütlichkeit verwandelte.

Er gähnte und zog sich die Stiefel aus.

Dann erinnerte er sich an den Bildschirm, tippte einige Tasten und projizierte das Verzeichnis der Musikbänder auf den Schirm. Es waren Tausende von verschiedenen Programmen. Er suchte die Musikstücke, deren Namen und Bezeichnungen ihm etwas sagten, schaltete die Raumlautsprecher auf Maximalstärke und zog sich aus. Dann verschwand er in der Hygienezelle und fand auch dort alles, was er brauchte. Anschließend nahm er ein leichtes Schlafmittel und legte sich bei heruntergedimmter Helligkeit ins Bett.

Die Musik rollte und tobte, einmal rhythmisch laut, dann wieder einschmeichelnd und einschläfernd leise, durch den verlassenen, menschenleeren Bezirk, und sie störte niemanden.

Mitten in einer langen Adagio-Passage schlief Abd el Pumán ein.

*

Etwa fünf Stunden später registrierte die Automatik, dass sämtliche Beleuchtungskörper des Solariums und des Schwimmbads eingeschaltet wurden. Ein nackter, schlanker Mann warf sich mit einem langgestreckten Hechtsprung ins Wasser, ohne vorher die Temperatur geprüft zu haben. In einem kochenden Wirbel schwamm er, immer schneller werdend, im Becken hin und her, stieß sich von der Wand ab und schwamm lange Strecken unter Wasser. Schließlich, nach knapp einer Stunde, verließ er triefend den Pool und stellte sich unter die heiße und kalte Dusche.

Die Haltung des Körpers hatte sich gänzlich verändert. Im Gegensatz zu Chung Lo, der schlaksig und ein wenig unsicher gewirkt hatte, ganz anders als Abd el Pumán, der die Haltung eines lebhaften Wissenschaftlers mit den eindeutigen Gesten eingenommen hatte – jetzt wirkte der Körper straff, aufgerichtet und zeigte sportlich-knappe Bewegungen. Deutlich war zu erkennen, dass Hubert Kelassny sich über dieses Bad und die Robot-Vibrationsmassage freute und jede Sekunde davon genoss.

Er fühlte sich wie neugeboren, als er die Erholungszone verließ und in einem langsamen Trab durch die matt erleuchteten Gänge lief. Die Automatik hatte, wie immer seit Hunderten von Jahren, vor kurzer Zeit die Beleuchtung und Versorgung der Nachtphase eingeregelt.

Mühelos fand Kelassny den einzigen bewohnten Raum dieser Station. Auf dem Laken des Bettes sah er noch die eingedrückte Stelle seines eigenen Körpers. Er legte sich, jetzt entspannt und beruhigt, wieder hinein und löschte das Licht.

Dann verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und dachte zum ersten Mal, seit er aufgewacht war, intensiv nach.

Perry Rhodan 809: Mensch aus dem Nichts

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