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Die Erweckung
Оглавление3 & Knokere ad sepeliendum 73 personas Vitalienses.
Kämmereirechnung Hamburg 1401
Item anno 1402 do grepen de Hamburger Wikbolten vnde Gotke Michel. Vnde sse worden ok gerichtet vppe dem Broke lxxij vnde de houede vp pale gesettet, alsse sserouer recht is.
Wendesche Cronicon
Da fiel ein Tropfen ins Meer, und das Meer erscholl und brach in meinen Traum. Der Finger der Ewigkeit war ausgestreckt und wies auf den Ablauf der Zeiten, und eine kleine Spanne war der Zeiger gerückt und war wie ein Kindermund klein und lächelnd, so jung war die Zeit, und war dahin fünfhundert Jahre und etliches.
Da sah ich auf. Eine Wolke stand steil über Helgoland. Der Mond sank früh herab.
Lange war mein Schlaf, dunkel mein Traum, voll von der Windharfe, die schweigt nicht auf der Westernsee in Ewigkeit.
Verwest war ich lange, doch über den Spanten meiner Rippen grünte der Brook, bis das Gras zertreten war, da wuchsen die Hellinge, da wuchsen die Mauern, die Schlote, da fing sich die Zeit in Röhren und Drähten, die Speicher wuchsen, die Häfen schnitten an mein Gebein, die Schienenstränge sangen mir die Weise Unbekannt. Die Dampfer schallten tief zu mir herab wie die Posaune am jungen Tag. Mein morscher Schädel stak wie einst im Wind, zerknirschte und verging. Da sammelte mich ein Möwenschrei, der schrie wie einst. Mein Spielball Schädel flog ihm zu, segelte am Wind, segelte an den Winden auf und ab, die Kranketten waren wie lange Zöpfe hinter ihm her. Ahoi, sie spulten sich heraus, die alten Windungen voll Glück und Jammer. Klirr, Kette Hirn, Glied um Glied in Flammen geschmiedet, lass sie uns wieder fangen, die tollen Tage, reiss nicht! Reiss nicht! Fang und zerbrich!
Gering ist der Mensch, ein Spott sind die Jahre, doch unendlich ist die Süsse des Lebens.
Auf den Werften sass ich, hoch wie die Wolken. Die Laufkatzen schnurrten unter meinen Hacken. Der Strom bäumte sich unter mir, unersättlich von Fernweh. Die Tatzen der Flut lagen gleich Weiberhänden gepflegt auf den Ufertischen, säuberlich zwischen die Schuppen gefingert. Fühlhörner, Füllhörner der Erde, zahm und gleisnerisch vor der klüftigen Weltmannsschnauze der Stadt.
Waren wir nicht auch zahm vor dir, du Tor und Mauergebirg? Du zackiger Wulst voll Hoffart und Schwüle, du grossmächtiger Narrenstock voll Mensch! Himmel und Meer haben wir vergessen in deinen Löchern voll Wollust und auf deinen Bänken voll Tüftelei und Hirngedünst. Aber als wir unterm Winserturm die Rattenzähne spürten und der Modersaft auf unsere Haare troff, da sprangen wir über deine Ketten und Galgen davon, du Recht vor Recht, du Bürgerverstand, da fiel dein gelangweilt geiles Licht von unseren Sohlen ab, da prangten wir wie einst stracks am Bullerwind und knallten die Steven ins Morgenrot, so rot es aus unserm Halse schoss, als der Henker das Schwert über uns geneigt.
Ein Schrei ist das Leben, verzückt und ohne Unterlass! Mund, Augen, Ohren und der Arme Lust, der Beine Macht, der Brust Unmässigkeit, des Bauches Ohneruh. Dahin, dahin! Ein Steinwurf ist der Mensch, steil standen wir im Zenit. Zersplissen musste Fall und Reep, verwurmt sind Rah und Stengen. Schön war der Tag, die Wellenaugen blau hinter dem roten Blut, da war die Zeit zu Ende.
Eine Lüge ist der Tod, eine Schäkerin von Lüge, ein kleiner Trost vor dem fragwürdigen, das dennoch kommt, eine bange, bleichgesichtige Lüge. Verflucht! Verwest war ich lange, doch ewig war ich wach im Schlaf. Ungelöscht war meine Last voll Lust, unerledigt die Frachten nach allen Häfen der Welt.
Gegen Duhnen komm ich über die Heide, wo das Land spitz wird und doch ein brauner Teller ist. Da stieg die Kimmung silbern über den Kring der Weite, blitzte an meine Stirn, so hell war mein Sinn. Hier hatten wir des Teufels Küche zu etlichen Malen. Viele der Schalme Brüder hieben die Pranken hier ins Kraut, als sie sterben mussten. Aber da schraubt sich der Turm von Neuwerk gen Westen herauf. Blaue Lämmer sind die Dächer bei dem guten Hirten Wankenicht.
Peilte ich aus den Luken gegen den Dämmerwind; auf den Sänden in Lee stand die Brandung. Schon flogen Seil und Treil unter die Marsen, die krengten wie blake Kerlsköpfe über dem Prielgischt, der auf den Sänden bebte wie flandrische Hemdsäume.
Ahoi! Du Westernsee! Was sangen die Kurrendeknäblein vor Unserer Lieben Frauen Dom? Ein Requiem dem Magister. Prost, ihr Scholares sub jugo, euer Joch schneidet nur langsamer als ein Schwert, ihr Ochsen des Herrn! Schweigt, ihr Weihrauchfässer! Dies ist der Duft der Westernsee. Toppt auf! Überall! Überall! Universitas ex! Vivat universum!
Sieben Masten sah ich auf einem Schiff, die Rahen takelten bis in den Himmelsgipfel. Und die Hölle sah ich fahren, die See war schwarz von Gestank, der aus den gelben Türmen quoll. Auch hörte ich ein Geheul, das war böser als die Dampferorgeln und kam aus dem grossen Qualm der Siebenmeilenstädte und schrie nach Freiheit und war rot vom Widerschein der Blutfahnen. Da waren viele Hände von Weinen und Streit so gierig als milde und langten nach Brot und schlugen die Reichen und verschwemmten in den Städten und wurden wieder still.
Segen Rostock sprachen die Glocken verrostet, die Fenster schliefen seit jener Zeit. Meines Vaters Stimme rief aus einem Stein gegen den Hafen zu, der war sein Grabstein gewesen. Es schliefen die Wimpel. Wie sprangen die Rahen, als wir an Bord liefen, die Kaperbriefe für den weiten Horizont im Latz.
Auf dem Marschenfett runksten die Bauernkühe, das war nicht anders geworden. Da schnitten wir manch strammen Säckel aus den prallen Höfen.
Gegen Marienhave war der Wind trandunstig und wehmütig. Unterm Dach grinsten mich die alten Steinköpfe an.
Da war es Sommer auf Scharhörnsriff, wo ich bäuchlings lag. Die Dünung klomm den Heven auf und dahl. Der heisse Sand klickerte unter den Wrackhölzern. Da hob sich die Woge wie Glas, war über mich gebogen als ein kühles Zelt, so wie ich schlafend lag in der Muschel Erde. Schon warf sie den Kamm zurück, und in dem Augenzwink, da sie zusammenbrach, sah ich die Welt in der Gillung gespiegelt, vereinigt Hellinge und Häfen, der Länder Überseegebrülle, Schwalch, Fieber und ungeheure Masse, sah auch die grosse Kunst des Menschen, der über die Länder der Erde mit kleiner Stimme hinwegspricht und Räume und Zeiten regiert mit wenig Hebeln. Und als ich noch staunend lag, dem Rauschen der Maschinen und dem Schmettern der gebahnten Blitze hingegeben, da zog sich das grosse Mass zusammen, vor dem sich Himmel und Meer verkrochen hatten, da wurden Himmel und Meer sehr hell. Da war der Woge Spiegelgatt der alten Tage Bild, und war doch nichts verändert als das Mass.
Denn es besteht des Menschen Seele unverändert, und sein Hunger und Durst ist ungestillt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und ewig ist das Meer und ist der Himmel, darein des Menschen Pflug nicht Falten noch Furchen reisst, die länger währten als ein Hauch.
Da stand an der Heckgillung manch Name, den die Salzsee verwischt und eingetrunken hat in ihre ewige Unschuld und Wandelbarkeit. Sunte Mareiken, so hiess unser Schiff und war eine schöne Hulk. Klaas schrie mir zu, die Glocke bellte acht Glasen. Farewell! Oxford und Rostock! Docende, discere!
Als ich im Speigatt lag und die Sterne durch die Spritzflocken zwitscherten, hatte ich ein Gesicht. Da sprengte die schwarze Stute Magret über den Norden her, dreibeinig und rünstig. Ihr entgegen, auf einem blutigroten Elefanten, stampfte Timur Lenk von Osten her und schwang die Satansgeissel. Aber von Westen her zog Godeke Michels auf seiner blauen Hulk und blies das Horn Gottes.
Gegrüsst, du Dreiländerweib, Dronning Margareta! Gegrüsst, du Völkerfrass, du Peitsche Pest, Khan Timur! Gegrüsst Godeke Michels, du guter Steuermann!
Wir hatten einst ein seines Nest auf Gotland, wo wir brüten wollten, ein Geschlecht von Rammsporn und Gerten, doch die Ostsee wurde ein dänischer Kammertopf. Die Westernsee hatte reinere Lüfte. Klar zum Wenden! Halse oder Ree! Vitalienses!
Da gab uns Störtebeker das Gesetz: Mein ist auch dein! und lehrte es uns: Frei ist die See, und vogelfrei ist der Erde Krämer, ob Baienfahrer, ob Hannemann, ob Hanse, ob Balte, Flandern oder Engeland. Richtschwert und Hochaltar bauen sich vor sein Schmalznapf, dem Ansatz seines Doppelkinns Gewähr zu leisten: denn sie fressen beide aus des Krämers Hand. Wir frassen nicht aus seiner Hand! Wir frassen seinen Speck aus Gottes Hand; Messer Gottes waren wir, schnitten scharf und zagten nicht. Unser war die See. Gottes Freunde hiessen wir und die rechten Kinder seiner Huld, ja, seiner Hulk, die ist der Erdkreis, der da segelt gleich einer runden Hulk in der Himmelssee.
Du warst unser Steuermann, Gottes guter Steuermann, Godeke, du Kerl!
Aber an dem grossen Mein und Dein, da mussten wir zerschellen, du und ich, denn die Zeit war nicht reif, und wir waren die Zeit.
Ich vergass den Aristoteles, die bucolica Vergilii, selbst den lustigen Ovid und die krummen Giebel der Kinderstrasse, die Korinthenklöben im Grossmuttergarten, die Mädchen auf dem Tanzhaus zu Augsburg, die Fontäne zu Siena, den Gestank zu Paris, die Muttergottesbilder zu Köln und die Jungfrauen am Lettner im Lieben Frauendom zu Hamburg. Vergass die Berge und Wälder, die Täler und die kleinen säuselnden Schluchten der Flüsse. Ein Reff in die Hügel! Tot sind die Berge, soviel auch der Wein darauf wächst, tot dem, der die Wogen geschmeckt hat und den Sturmpfiff in den Novemberwanten oder die Sehnsucht danach. Da vergass ich auch fast die Begine Hilgesill, die ich liebte. Einen Sommer lang war ich trunken vom Meerwein.
Godeke Michels, wenn deine roten Borsten sich am Nacken spreizten, dann ging ein schwalkiger Wind, dann schmolz die Mannschaft wie Blei zu einem Klumpen, der schwer unter deinen Augen lauerte; Gasten, die den Teufel mit seinem eigenen Schweif erdrosselt hätten, sie waren in deiner Hand. Ein Zuck, da flogen sie auf wie griechisches Feuer, stiessen in Kehlen und Kadaver, wären mit vertäuten Armen und Beinen die Besanrute emporgegangen, aufrecht, wenn du es gewollt hättest.
Dein Lachen bricht über die Schanzen. Es liess die Blumen blühen vor Emdens Polder, es liess die Tuchschacherer über die Reling hüpfen, den Fischen zum Frass. Magister war ich, das Meer ein Bild in der Kammer. Dein Lachen schwang über Helgoland, die Klippen bebten. Klein wurde die Westernsee vor deinem Lachen. Da seilten wir die Hoofden durch. Die Spanische Bucht drehte uns die Därme durch die Gurgeln. Dein Lachen schlug auf meine Karten. Ich legte den Passer aus der Hand, lange hatte ich an den Meridianen gezirkelt. Mein Kielwasser war schwarz von Tinte. Da stiegen wir an die Küste und standen auf Kap Finisterre. Nach Westen! sagte ich. Hallo! Antilia! Zipangu! Voll und bei!
Da fuhren wir zurück, um Klaas Störtebeker zu holen. Doch sie hatten ihn gefangen, den kessen Klaas. Seine Hulken waren in den Grund gegangen. Da hatten wir die neuen Länder im Traume gesehen und wagten es nicht allein. Es kam der Herbst, die Schiffe klebten von Racheblut. Dann kam der Schlafwinter zu Helgoland.
Viel Glück ist auf der See gewesen. Ein Hort der unverletzlichen Schalme, das war Helgoland. Zu Marienhave hatten wir Gold, Weiber und Wein vollauf, die Friesen hatten Vieh, und ihre Mädchen waren stur wie die blanke Flut, der Turm von Neuwerk war des süssen Schlemmens voll die Nacht im Mai, auf der Heide wuchsen Masten und Spanten, wie Kühe zogen die vollen Rümpfe von Hamburg gen Flandern und England. Wir molken nicht schlecht, was Gottes Gabe war, Likedeeler, das waren wir, dein war auch mein, die grosse Ordnung der Gleichheit suchten wir, die Freiheit und den Nichtjammer, das freie Recht der See und ihre Heiligkeit. Darum hatten wir sooft den Tort gegen die scheelen Herren der Welt, bis ihre Türme zitterten, da sie uns und einander das Brot der Wogen missgönnten.
Als Klaas von Alkun, der mit dem Stürzebecher, Störtebeker, der tolle Klaas, vor die Hunde gegangen war, da ging auch unser Glück dahin, denn wir hatten ihn sehr geliebt, du vor allen, Godeke.
Da blühte mir aus der Not die süsse Lust des Friedens, da rief ich den Meerfrieden gegen alle Küsten. Ach, einen kleinen Sommer lang waren meine Augen aufgetan, dann war es vorbei.
Ein Schläfer ist besser als die Toten, ein Trunkener besser als ein Schläfer, wieviel mehr muss der Lebendige gut sein, dessen Augen die Schönheit der Erde erblicken!
Bei uns war nicht Rang noch Neid, ein jeder war der Schalme Bruder, der Schalme lieber Bruder und ein Likedeeler zu gleichem Teil.
Doch was hat es genützt, das strenge Mass, die brennende Sucht, die selige Absicht! Es kamen die verwachten Nächte, die mir das Herz absengten, und die Ungewissheit und das erbärmliche Anrechnen und das Misstrauen, das ins Nichts frisst und die Seele zerätzt. Es kommt die Bosheit über den Menschen, so sehr er auch liebt, und sie macht ihn schlecht, so sehr er das Gute will. Da ging es seinen Gang. Kein Gift des Herzens war stark genug und keine Liebe. Denn alles hat seine Spanne Zeit.
Nie war die See so schön wie das Jahr, als wir wussten, dass wir sterben müssten, ehe der Sommer um sei. In den Häusern der Sterne las ich die schlimmen Sicheln, die uns mähen sollten.
Es sang eine Flöte unter der blonden Sonne. Da verschwand ich in die Wälder und war ein Bräutigam.
Es sang eine Stimme unterm Wind. Und der Wind kam von Ost. Da kam ich zurück auf die See.
Die Kugel Welt lag in unseren Händen, da war das Steuer mir anvertraut, jungfräulich stieg das Land aus der fremden See.
Aber Gott blies uns zurück, ein Wrack war unsere Hulk. Doch ungetröstet brannte die alte Sucht.
Sieh, das hattest du vor mir voraus, Godeke, der ich dein Schreibknecht war: Weiss war dein Kielwasser von Sturmgischt.
Unser Blut schoss in die gleichen Poren dieser Erde. Da hattest du nichts mehr voraus, Godeke Michels, da war unser beider Kielwasser rot von Tod.
Verwest war ich lange.
Klirr, Kette Hirn!
Die Sonne geht auf über Helgoland.