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„Hinter blauer Wälderwand ...“
ОглавлениеUnter dem Sternzeichen der Zwillinge, das Ehrgeiz, Lebenslust und Anpassungsfähigkeit verheisst, schlüpfte er, den 3. Juni 1844, ins Dasein. Seine adligen, aber armen Eltern gaben ihm den ruhmreichen Namen Friedrich, und nicht nur, weil der Landgraf Friedrich von Hessen, von Kopenhagener Gnaden Statthalter von Schleswig, einer der Taufpaten war. Lebten sie doch in dem damals dänisch bedrängten Kiel und blickten sehnsüchtig gen Südost nach der deutschen Erlösung aus. Es war das Jahr, in dem wenige Wochen später zum erstenmal das Freiheitslied ihrer Heimat erklang: Schleswig-Holstein, meerumschlungen —.
Liliencrons Grossvater Andreas noch hatte bedeutende Güter in Besitz, war aber einer der norddeutscheu Landjunker unbekümmerter Sorte, wikinghaft unbegrenzt, so dass ihm die angetraute flotte Komtesse Brockdorf durchging, und zwar mit dem Vorfahren des Taufpaten Friedrich. Andreas nun, der zum Beispiel als Student in Göttingen „die Geschichten mit Bürgers dritter Frau gehabt hatte“, hielt sich nach wie vor schadlos, geriet aber bei der hübschen leibeigenen Kaffschreiberstochter, Schweinehirtin und Gänsemagd Friederike Gries an die Unrechte oder vielmehr Rechte, indem sie tatkräftig durch einen Kniefall vorm dänischen König das jus primae noctis in das Recht auf alle Nächte erweiterte.
Durch die ungleiche Heirat ging den Erben der Genuss der Güter und Renten verloren. Wie oft hat der Enkel, mit bitterster Alltagsnot kämpfend, darüber geflucht. Aber ohne die Blutauffrischung wäre er sicherlich höchstens ein blasser Platen geworden.
Das Liliencronsche Adelswappen mit den drei Schwertlilien war noch nicht alt. Aus Dithmarscher Bauernstand aufsteigend, hatte nach dem Dreissigjährigen Kriege Andreas Pauli mit Erfolg im politischen Ödland gepflügt und war zu Wien Freiherr von Liliencron und zu Kopenhagen Staatsminister geworden. Seine Nachkommen verbrauchten sich rasch auf Gesandten-, Obristen- und Seekommissarsposten. Der Restbestand versank haltlos auf den Gütern oder verdämmerte still in Gelehrtenstuben und Fräuleinstiften. Nur einer noch ragt bedeutsam hervor, sein Onkel Rochus (1820—1912), der gelehrte und feinsinnige Klosterpropst zu Schleswig, der ausgezeichnete Musikforscher und Germanist.
In „besseren“ Kreisen sprach man abfällig von den „bösen“ Liliencrons und deren „Mesalliancen“, unter denen eine „Indierin“ und eine „Apfelhökerin“ war, ganz abgesehen von der „Gänsemagd“ Friederike.
Friederikes Kinder aber verstreuten sich tapfer in die Welt. Nur Louis Ernst, der Älteste, der Vater des späteren „Detlev“, blieb im Lande, und war er auch kein Licht, so war er doch gesund und brachte es auf neunzig Jahre.
Die märchengleich von der Schweinehirtin zur Baronin emporgekommene Friederike zeigte sich für Bildung empfänglich und in Anmut begabt. Sie führte ein Tagebuch und kränzte die Feste des Jahres und der Familie mit aufgelesenen Dichterworten. Nach dem Tode ihres Mannes erreichte sie, dass ihren Kindern der abgesprochene Adelstitel neu bestätigt wurde. Sie besorgte ihrem zurückhaltenden Ältesten auch eine ausgleichend lebhafte, zudem adlige Frau, Adeline Sylvestra von Harten, Waise eines deutschamerikanischen Generals, die sie in einer Altonaer Pension kennengelernt hatte. So kam unser Dichter zu einer sehr hübschen und klugen Mutter, wie das liebliche Bild zeigt, das noch heute über des Verblichenen Schreibtisch zu Rahlstedt bei Hamburg hängt. Lieblicher aber noch ist das daneben hängende von Adelinens Mama, eine Miniatur von guter Künstlerhand, vielleicht von dem berühmten Heinrich Füger; war doch die so reizvoll in rotem Sammetkleid Dargestellte, derzeit in zweiter Ehe mit einem amerikanischen Diplomaten, eine der strahlendsten Erscheinungen des Wiener Kongresses. Sie stammte aus portugiesischem Herzogsblut und war blauäugig aus normannischer Beimischung. Als Adeline zur Welt kam, war sie erst dreizehn. (Noch heute beginnt in neun nordamerikanischen Staaten die gesetzliche Heiratsfähigkeit mit zwölf Jahren.) Die schöne Frau verlöschte schon mit zwanzig mitten im Festrausch der Neuordnung Europas und der Gründung des Deutschen Bundes 1815.
Ein halbes Jahrhundert später zog ihr Enkel ins Feld gegen Wien, weil inzwischen veraltet war, was man damals begossen hatte.
Es waren also mancherlei romantisch gefasste Zuströme, die in des biederen Louis Ernst und Adeline Sylvestras blonden Knaben mündeten. Was Wunder, dass dieser, früh unklarer Bedrängnisse voll, oft befangen und empfindlich erschien. Und was Wunder, dass aus solch bunter Ahnentafel später ein gelegentliches Feuerwerk brach, das den Bürger erschreckte.
Die Schulgefährten nannten ihn Lille, und nicht nur in Abkürzung seines Namens, sondern weil es auf dänisch „klein“ bedeutet. Er hatte nicht die robuste hohe Gestalt seines Vaters geerbt, sondern die Zartheit seiner Mutter.
Noch eins kam hinzu, den Knaben verschlossen zu machen: frühe Trauer. Eine seiner Schwestern starb mit zwei Jahren. Die andere, an der er mit doppelter Liebe hing, wenig jünger als er, fand im zwölften Lebensjahre einen ungewöhnlichen Tod. Man pflegte adlige Verwandte im Kloster Itzehoe zu besuchen. Dort am Parkteich fütterte das kleine heitere Fräulein die Schwäne. Ein allzu gieriges Tier drang flügelschlagend näher und verwundete das Kind unrettbar an der Halsschlagader.
Der Knabe fühlte sich danach sehr allein. Sein Vater, obschon nur dänischer Zollbeamter, hielt ihn standesgemäss „exklusiv“ und von der Strasse fern. Die Särge und die Einsamkeit seiner Jugend schatten tief bis in seine Dichtung; wohl machte es sein Herz gefeiter gegen Unbill und Leid, aber auch sehnsüchtiger nach Freude.
Früh war er den grossräumig lohenden, weltschmerzlichen Versen Byrons aufgeschlossen, die seine Mutter in der Ursprache, der Sprache ihrer Kindheit, mit feurigem Gefühl und voll Anmut vorzutragen vermochte. Wie jede freier denkende Anglikanerin war Frau Adeline nicht nur in die Poesie, sondern noch mehr in das Leben und Sterben des eleganten und unglücklichen Freiheitskämpfers verliebt, war auch stolz darauf, dass ihr Name dem der einzigen Tochter Byrons, Ada, glich. Die dunkeln Liebesgerüchte, wegen derer die englische Gesellschaft den Stab über den „teuflischen Hinkefuss“ gebrochen und sein Begräbnis zu Westminster verweigert, schienen ihrer frommen Seele Verleumdung (freilich war Tante Beecher-Stowe, die mit dem Gartenlaubeidyll von Onkel Toms Hütte den Sklavenkrieg aufs Gewissen nahm, damals noch nicht zum fünfzigsten Jubiläum von Byrons Ehescheidung mit der Anklage posaunen gegangen, er habe ein schändliches Verhältnis zu seiner Halbschwester gepflogen).
Um die Verträumtheit des Knaben und sein Alleinsein aufzulichten, auch um dem mageren Gehalt des Vaters bei wachsenden Schulkosten etwas beizusteuern, wurde ein Pflegesohn in die Enge der Mietwohnung genommen, August Thomsen, der spätere Admiral und Chef der Ostseestation. Die Freundschaft der beiden Jungen war schon vorher (Liliencron war elf, Thomsen neun) und bezeichnenderweise durch eine ritterliche Prügelei besiegelt worden: „Wir wohnten damals noch in einem grossen Hause, etwas ausserhalb Kiels. In der Nähe war eine Mühle, und das einzige Kind, mit dem ich spielen durfte, war die kleine zehnjährige Müllerstochter. Sie hatte dunkle, grosse, braune Augen, wilde, natürliche Locken, und ich sehe sie noch vor mir in ihrem kurzen Kleidchen, mit dem grossen Strohhut. Ich war ihr ‚sehr gut‘, und als Thomsen zu uns kam, sagte ich ihm sehr wichtig, jetzt solle er meine ‚Braut‘ sehen. Bon; wir versteckten uns hinter einer Hecke, wo sie vorbeikommen musste. Da kommt sie, da kommt sie! rief ich. Der aber, mein ‚Bruder‘, sieht und sagt auch schon im ersten Augenblick: Nein, das soll meine Braut werden. Ich gab ihm einen furchtbaren Schlag ins Gesicht; er zog sein Messer, und im nächsten Augenblick sass mir ein Zoll glattes Eisen im Rücken. — Aber dann sass er an meinem Bett, und wir sind unzertrennlich fürs Leben geworden. —“
In diesem Erlebnis, das Liliencron sechzehn Jahre später an seine erste tatsächliche Braut berichtet, steckt schon der ganze Mann. Liebe und Freundschaft, Schwärmerei und Tapferkeit, das wird sein Herz bewegen bis zum letzten Schlag.
Viele Jahrhunderte lang hatte Schleswig-Holstein friedlich in dänischen Händen gelegen, man hatte dem Deutschtum kein Härchen gekrümmt, selbst die Hofsprache zu Kopenhagen war jahrhundertelang deutsch. Auf einmal wurde Hannemann unklug. Er begann mit jenen unglücklichen Ideen von Grenzmarkpolitik und „kultureller Umschichtung“, die seither, überall nachgeahmt, Europa wie einen altmodischen Dampfkessel überheizen. Aus Deutschen sollten durch weitverzweigte Schikane so bald wie möglich Dänen gemacht werden. Was deutsch war, wurde gekränkt oder vernachlässigt. So auch die Kieler Gelehrtenschule, deren biologische Lehrmittel aus nichts als einem einzigen schadhaften Fuchsgerippe bestanden.
Dieses wie die ganze Schule behagen dem Knaben wenig. Er hat manchen Ansporn nötig, ist bald Primus, bald Letzter. Er hasst die Mathematik, wie jeder Träumer, und liebt die Geschichte. Seinem Geburtsstern gemäss drückt er sich gern dort, wo er nicht alsbald glänzen kann. Er lernt weder Schwimmen noch Schlittschuhlaufen, turnt auch nicht gern. Erst auf der Kadettenanstalt wird sich zeigen, wie gewandt und zäh sein Körper ist.
Einige aus Kiel gebürtige Damen hegen die Überlieferung an einen Spottvers, den ihre Mütter als höhere Töchter und Backfische hinter dem Rücken eines gewissen, etwas menschenscheuen jungen Mannes geflötet haben:
Liliencrönchen,
Muttersöhnchen,
Zierbarönchen!
Er hat nachmals die höheren Töchter darum — einen ersten grossen Versuch ausgenommen — lange nicht so gern gehabt wie die Mädchen einfacherer Sorte, die weniger spitzfindig waren und aus denen „Acker, Blume, Himmel und die Urweisheit der Erde noch unverfälscht leuchten“.
Er geriet an Storms „Immensee“, das als einziges Werk neuerer Literatur auf dem Schreibtisch seiner Mutter stand. Er versenkte sich am Klavier in schwermütige Phantastereien. Er begleitete seine Mutter, die den „Erlkönig“ in Scotts Übertragung englisch sang. Er strich „verhangenen Auges“ durch die Feldwege, die Knicks der ländlichen Umgebung, die so nahe an die stille Kleinstadt reichte, darin noch nichts von Werftlärm, Schlachtschiffzauber und Kulibetrieb zu spüren war.
Kinderland, du Zauberland,
Haus und Hof und Hecken.
Hinter blauer Wälderwand
Spielt die Welt Verstecken.
Und Busch und Baum und Feld und Klee und der Nebel in den Wiesen und die streichenden Krähen waren ihm mehr als die See, deren Grossartigkeit er notgedrungen erst als gereifter Mann auf der andern Seite der Heimat erfassen lernen sollte.
Der kleine Thomsen, unruhig heftigen Blutes, lächelte über Liliencrons Gefühlsseligkeit. Er sah auch in (dem von Liliencron verehrten) Storm weniger den Dichter als den Märtyrer für die Sache der Heimat. Er entfachte das „deutsche Feuer“ in dem Pflegebruder, stachelte seinen Ehrgeiz an, entzog ihn der allzu frommen Konfirmationsstimmung, entflammte sein Herz, bis sie sich gegenseitig schworen, in preussische Dienste zu treten, um dem dänischen Unterdrücker an die Gurgel zu gelangen.
Liliencrons Eltern war es recht. Es bestand eine entfernte Verwandtschaft mit dem Hause Hellmuth von Moltkes, der ja selber von dänischen in preussische Dienste übergetreten war. Der Knabe verliess die Kieler Gelehrtenschule, ohne sie zu Ende durchzumachen. Er ging mit mittelmässigen Zeugnissen zur letzten Vorbereitung nach Erfurt, kam von der Sekunda in die Obertertia und hatte es nicht leicht, genau so wenig wie August Thomsen, der mit ihm gleichzeitig Kiel Ade gesagt hatte und trotz dänischen Verbots auf eigne Faust zu Berlin in die preussische Marine wollte.
Liliencrons Heimweh war anfangs gross. Und nun bewies sich das tüchtige Gemüt seines zu Haus so wortkargen Vaters, der dem Einzigen mit langen Briefen gut zuredet:
„Über Deinen Styl hab ich mich sehr gefreut, weniger über Deine Hand, die oft das Gepräge der Flüchtigkeit an sich trägt und zuweilen sehr schwer zu entziffern ist, man nehme sich das gefälligst ad nota! — Leg Dich nur tüchtig auf Mathematik und Sprachen. Was sonst nöthig, wirst Du mit Deinem guten Kopf schon capieren, darum bin ich garnicht bange. — Bläue so nebenher alle Deine Mitschüler, die Dir etwa unverschuldet ans Rad laufen, wie man zu sagen pflegt, mit Deinen holsteinischen Fäusten tüchtig ab; das übt die Kräfte und setzt Dich bei den Jungen in Respekt. — Treibst Du nebenher auch noch oft Musik? Und mein Herrchen, wenn man irgendwo in Gesellschaft ist, wo getanzt wird, zähle man sich zu den erwachsenen Herren und nicht zu Jungen. Man tut gut daran, wenn man sich auch ein wenig vordrängt und sagt: Ich bin auch hier! Sonst geht es in dieser Welt nicht. — Mit einem Päckchen sollst Du auch etwas Geld wieder haben, mein Söhnchen! Bis dahin musst Du Dir durchhelfen. —“
Der junge Mann musste sich sehr durchhelfen bei dem knappen Wechsel, den ihm das Elternhaus schicken konnte. Der Lehrgang machte ihm Mühe. Die Mitschüler standen dem „Ausländer“ fern. Die Lehrer nannten seine Anlagen „im ganzen gut“. Er beginnt, Goethe zu lesen neben Spittas „Psalter und Harfe“, das ihm die mehr und mehr fromme Mutter in den Koffer gelegt. Er besucht Weimar und die Fürstengruft und schreibt in sein Merkheft Kampf- und Trostsprüche des Altmeisters, bald auch Gedichte von Eichendorff, Uhland, Heine, Strachwitz. Er muss Privatstunden nehmen, um sein Wissen abzurunden.
Als er Januar 1863 zwischen den zukünftigen Helden in dem finsteren Berliner Militärgebäude zur Prüfung antrat, wirkte er fast mädchenhaft, so rosig und zierlich sah er aus. Er glänzte in Geschichte, trat im Deutschen gewandt für seinen Landsmann Klaus Groth ein, leistete in Latein, Französisch und Englisch Befriedigendes und versagte in Mathematik und Zeichnen.
Für die Artillerie, die Truppe des rechnerischen Scharfsinns, wäre es ungenügend gewesen. Aber der junge Freiherr wollte gern Reiteroffizier werden. In ihm geisterte ungestümer, lyrisch beschwingter Tatendrang, dem Attacke und Säbelschwung als Ideal der Schlachten und des Lebens vorschwebten. Die väterlichen Mittel aber liessen nur die Wahl der Infanterie zu, der „kindlichsten, mittelmässigsten, aber billigsten aller Truppengattungen“. (Der Dienst war damals weniger vielseitig als heute.)
Somit verschloss der angehende Fähnrich seine heissen Empfindungen, sah dem Geschick tapfer ins Auge, seiner Natur gemäss, und schrieb sich einen kräftigen Leitspruch ins Merkheft:
Mag es auch schmerzen,
Männlich steh!
Zwing dich zu Scherzen!
Kopf in die Höh!
Er hatte Glück und kam zum Westfälischen Füsilierregiment Nr. 37 nach Mainz. Mainz war 1815 zur Bundesfestung erklärt worden und war 1863 Standort hessischer, preussischer und österreichischer Truppen aller Waffengattungen. Es galt nach Moltkes Ausspruch dem Offizierkorps als bevorzugter „klimatischer Kurort“ und war berühmt durch den munteren Umgangston, durch gute Weine und hübsche Mädchen.
Liliencron wurde nach drei Monaten Gefreiter, im August nach der Parade vor Kaiser Franz Joseph Unteroffizier und im September Fähnrich. Es gibt ein Bild von ihm aus jener Zeit, das ihn zwischen den Unteroffizieren seiner Kompanie zeigt: ein schlanker Knirps zwischen bärtigen Riesen. Seine Kameraden rühmen seine Heiterkeit und Schneidigkeit. Er schien wirklich seinen Beruf gefunden zu haben und fing an, bei nicht allzu aufreibendem Dienst, in den angenehmen Theatern und Kaffeehäusern und bei mancher winterlichen Tanzgesellschaft die Freuden der Erde kennenzulernen.
Aber schon kündigte sich ein neuer Geist im Heere an. König Wilhelm, 1861 auf den Thron gelangt, begann durch straffere Grundsätze die Schlagkraft seiner Armee neu zu beleben. Er sah grosse Notwendigkeiten und glorreiche Ziele vor sich. 1863 half er, den Aufstand der Polen zu zerdrücken. Ein Jahr später zog er gemeinsam mit Österreich gegen Dänemark, um Schleswig-Holsteins ungeteilte Unabhängigkeit zu sichern. Die Polen witterten Morgenluft, aber neue preussische Regimenter rückten in die Provinz Posen ein und liessen es zu keinen weiteren Unruhen kommen.
Auch der Fähnrich Liliencron gelangte auf diese Weise an die Ostgrenze nach Rawitsch. Es war ihm lieber, als gegen „gammel Danmark“ zu ziehen, das einstmals allem guten Deutschtum so fördernd verbunden gewesen war. Er schätzte die singige Sprache, die innigen Volkslieder, die Eddavergangenheit, das helläugige, kunstverständige Behagen des stammverwandten Nordvolkes. Die Polen achtete er zwar, aber sie waren seinem Herzen fremd.
Er machte sein Offiziersexamen, tanzte mit den Töchtern der deutschen Bürger, ging mit den Gutsbesitzern auf die Jagd, flirtete, französisch parlierend, mit einer schönen Polin und sprudelte äusserlich über vor Lebenslust und Laune. Der Chansonette eines Wandertheaters hätte er gern Schubertlieder beigebracht, aber es fehlte das Klavier. Kurzerhand liess er eins von Breslau anrollen und, da es nicht durch die Tür des Miethauses ging, wo die Schöne wohnte, in den dritten Stock hinaufwinden. Auf halber Höhe rissen die Seile. Das Instrument zerplatzte wie eine Bombe. Die kleine Stadt hallte wider von Gelächter. Und der flotte Secondeleutnant buchte die Kosten zu seinen übrigen Schulden.