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1 Die Leistung

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Eine Frau sollte die Liebe eines Mannes nicht dahin ausnutzen, ihn von seinem innersten Berufe abzubringen. Je schwerer der Beruf ist und je wichtiger für die Allgemeinheit, desto tapferer muß sie es ertragen.

Es gibt eine Menge solcher Berufe, die der Liebe feindlich sind. Und leicht ist ein Satz von so himmlischer Pflicht hingeschrieben, von so unirdisch schwerer Aufgabe. Es wäre womöglich besser, nicht davon zu reden, sondern glatt zu raten: Laßt solche Männer allein! Das aber wäre noch aussichtsloser, denn das Herz ist geneigt, sich den Dingen zuzuwenden, die es bewundert, und es bedenkt nicht den Kummer, der daraus entstehen kann. Es glaubt bei jedem Anbeginn, der es beglückt, daß es stärker sei als alle Engel und Teufel, die hinter den Wundern lauern, und es ist auch stärker, solange es nicht mürbe wird.

Ich höre einen der Weisen aus langem Barte murmeln: Liebe, verliert euch nicht zu sehr an solche Männer, die auf den Außenposten des Lebens stehen, an die lauten oder stillen Helden des Körpers, der Technik oder des Geistes. Sie, die sicher wenig Lust haben, falls sie darüber nachdenken, zur Einsamkeit verurteilt zu sein, bedürfen einer anderen Liebe als der der guten Hausfrauen und Ehegesponse, sie müssen mitsamt ihrem Beruf geliebt werden, der sie dem Hause, der Liebe und der Sicherheit so oft entführt ...

Leicht gesagt!

Liebe und Sicherheit, das ist nebenbei — würde Herr Bottwender einwenden — auch zweierlei.

Jawohl, leicht gesagt!

Rings um die Sonne lauert die Finsternis überall und reicht an uns heran bis in den hellsten Tag. Wir wollen die arme Laterne der Pflicht in uns anzünden, daß sie uns unser Stück des Wegs geleite, der von Dunkelheit her zu Dunkelheit geht.

*

Alvel Hörn, ein junges Mädchen in Södehaven, liebte den Kapitän eines Bergungsdampfers. Dieser Kapitän hieß Kai Tralssen und war sehr erfolgreich in seinem Beruf.

Wo die Schiffahrtswege der Welt sich den Küsten zufädeln und Barren, Riffe und Sände das schmaler werdende Fahrwasser gefährlich machen, vor den großen Strommündungen, an den seichten oder harten Ecken der nassen Handelsstraßen, da lauern die Bergungsdampfer. Sie sind Privatunternehmungen und machen ihr Geschäft, wenn es andern schlecht geht. Aber zugleich könnte man sie als rettende eiserne Engel bezeichnen. Gerät ein Schiff in Seenot und ist es noch nicht reif für die Rettungsboote, besteht noch Aussicht, Schiff und Ladung dem Verderben zu entreißen, dann jagen die Bergungsdampfer herbei. Sie sind klein, aber wendig und stark und sind bemannt mit Leuten, die den Teufel nicht fürchten. Denn wenn die Bergungsdampfer ausfahren, dann ist auf See meistens die Hölle los. Wenn andere sich in die Häfen flüchten, dann ist ihre Zeit gekommen. Sie suchen, koste es, was es wolle, das hilfsbedürftige Schiff zu erreichen, um es in Schlepp zu nehmen und in Sicherheit zu bringen.

Der Bergungsdampfer „Tiger“, den Kapitän Tralssen fuhr, lag am Seebollwerk zu Södehaven auf Station. Tralssen kannte Fräulein Hörn vom Büro der Reederei her, für das sie größere schriftliche Arbeiten, zumeist die Bergungsberichte, mit einigen Durchschlägen in die Maschine schrieb. Er hatte auch einmal auf dem letzten Seefahrtsball mit ihr getanzt. Es war, eben bevor er wieder an Bord ging, um seinen ersten Steuermann abzulösen. Und sein erster Steuermann, der allgemein als schneidig und forsch bekannte, sportliche Anzüge und einen hellen Hut bevorzugende Herr Bottwender, hatte danach auch mit Fräulein Hörn getanzt.

Alvel Hörn war um die Zeit nahe an sechsundzwanzig. Sie betreute den kleinen Haushalt ihres Großvaters, ja, sie war die Enkelin des alten Knurrbarts Fischer Hörn. Ihre Eltern waren tot, und sie besorgte sich ihr Taschengeld selber. Der alte Hörn hatte ihr eine Schreibmaschine geschenkt. Er nahm oft Gelegenheit, dies Symbol des Kaufmannsstandes mit der Hoffnung zu verknüpfen, daß seine Enkelin eines Tages keinen Seemann heiraten möge. Ihr Vater war auf See geblieben, es war eine trübe Geschichte. Ihre Mutter hatte es schlecht verwinden können und war widerstandslos, ohne eigentlich krank zu sein, nach wenigen Monaten dem Toten nachgefolgt.

Hafen ist Hafen und Küste Küste. Was Alvel auch zum Abschreiben oder im Diktat übernahm, es stand in Beziehung zur Seefahrt. Von der knarrend hadernden Stimme des Alten beschworen, wuchs anfangs aus jedem eingespannten Bogen das ertrunken bleiche Antlitz ihres Vaters, und hinter jedem Zeilenende, wenn sie den Wagen zurückschob, seufzte der Kummer ihrer Mutter. Nach jenem Seefahrtsball aber wurde es anders. Alvel hatte nicht viel erlebt, und es war die erste Tanzmusik nach der langen Zeit der Trauer. Die gespenstische Anwesenheit ihrer Eltern verdämmerte, zog sich zurück, lauernd anfangs, späterhin zustimmend, so war es ihr, oder sie wollte, daß es ihr so sei. Nach diesem Ball war ein harter, lebendiger, heißer Glanz überall versammelt, auf Tasten und Bögen und Hebeln, auf Geschirr, Fenster und Laken, auf ihren Händen selber, doch war kein Gesicht dabei und im Geräusch der Maschine keine unmittelbare derb gutmütige tiefe Stimme, es hatte vielmehr alles seine gewöhnliche Ordnung. Geräusch war Geräusch, Papier Papier, ungespenstisch, ohne verwandelnde, beschlagnehmende, nach Trauer lüsterne Schatten. Der Glanz war schattenlos, war im Ganzen eine durchsichtige pulsende Kapsel, darunter alles taktvoll und ohne Forderung in sich selber beruhte. Sie begriff mit Gedanken schlecht, wie solche Strahlung sich in ihrer Stube versammeln konnte und auszugehen vermochte von dem derben Stück Mensch, von dem ungeschlacht gutmütigen Aufbau, der Kai Tralssen hieß, von der starken, knochigen Nase mit den unbewegten Flügeln, von dem breiten Munde, der sich beim Sprechen nur ungern zu öffnen schien und die Zähne als mißtrauisches Gatter beließ, so daß die Worte sehen mochten, wie sie nach außen kamen. Wie deutlich sah sie das alles, die starren Wangen, von der ewigen Windpritsche zu Kupfer gehämmert, den sturen vorgestemmten Nacken, den gleichsam ausgelaugt blonden Haarschopf, die blaß gebeizten Augen, das blankgeschrapte, porige Bollwerk des Kinns, und darunter den groben Adamsapfel, der von Evas Zeiten im Halse steckenblieb, dort immer noch voll Überredungskunst lauernd und zur Rache bereit, geneigt zu verführen, zu knechten und mit Donnergewalt immer einmal wieder das Paradies zu verlieren. Dieser mager sehnige Gurgelknoten war während des Tanzes das einzige gewesen, was sich an Kai Tralssen außer den Füßen bewegt hatte, ein paarmal, da er anscheinend der Höflichkeit halber zu einer Bemerkung ansetzen wollte.

Den Gedanken nach schien Alvel das glattere Wesen des Herrn Bottwender angenehmer, das mit plätschernder Unterhaltung, smartem Lächeln, metallischer Stimme, mit Schneid, Manier und geölter Bewegung von unendlichen Parketts zu ihr herreichte und gleichsam den Arbeitstisch anhob und in Schwingung versetzte, das die Schmächtigkeit streichelte und das Frösteln erwärmte, das die laue Einsamkeit durchtönte der leeren Stube, als die Alvel sich sah und in der inmitten nichts hauste, so war ihr, als ein unklar brennendes Verlangen, das wie ein Blick aufschlug, den heimlichen Besucher scheu und zärtlich zu begrüßen. Doch vor diesem Aufblick der Empfindung wandelte sich allemal die Gestalt des hellgekleideten Steuermanns in das sachliche Dunkelblau, in das gröblichere Gewicht Tralssens, von dem aus sich alles mit jenem harten, heißen, lebendigen und durchsichtigen Glanze füllte. Sie betrachtete es nicht mit Jauchzen, sie fühlte sogar Abneigung gegen die großen Hände des Kapitäns, die auf edlem Gerüst gebaut waren, aber gedunsen waren von der Rauheit seines Berufes, prall von Blutspannung in ungastlichem Klima, in der Saalwärme blaurot, als wollten sie platzen.

Auch seine Augen taten ihr weniger wohl, obschon sie gutmütig zu schlafen schienen, weißliche Lichter hinter verkniffenen Lidern, hinter Tankschlitzen, die gerötet glommen von der Ätzung des Salzwindes.

Wir sind hinter Panzern, dachte sie. Sie lebte in einer kriegerisch flackernden Zeit. Die illustrierten Blätter waren voll Stahl und Beton. So kam sie auf den Vergleich.

Lange Wochen wurde kein äußeres Wort zwischen Tralssen und ihr gewechselt, das über einen Gruß hinausging, und vorerst brachten die zufälligen Begegnungen im Büro oder am Bollwerk den Schritt kaum bis an die Tür jener Panzerung. Ja, die Straße des Alltags schien von da ab nur mit wandelnden Panzertürmen bedeckt; Fischer Hörn, der Inspektor, die Seeleute und die Wirtin, Tante Butt, ja selbst Tine Möller, deren Kinder und Mutter Neels einbegriffen. Die Öltanks und die Glocken sehen ähnlich aus, haben aber keine Türen. Der Direktor der Bergungsreederei gehörte entschieden zu den türlosen Öltanks, der Pastor entschieden zu den Glocken, bei denen niemand lange lebendig neben der schwingenden Zunge wohnt. Tralssen jedoch hatte die Tür zu sich selber sicherlich nur allzu lange zugeschlagen, um ungestörter das zu tun, was er beliebte, nämlich auf Beute zu schießen, gewalttätig der See zu Leibe zu gehn, seine Mannschaft zu beherrschen und, drei siegreiche Lampen übereinander im Vormast, einträgliche Erfolge in den Hafen zu schleifen.

Tralssen war ein Mann von sechsunddreißig Jahren, auf der Kante des Lebens, da es sich entscheidet, ob man Junggeselle bleibt oder nicht.

Immerhin hatten seine Tankschlitze schärfer als die braunen hübschen Mandeln seines Steuermanns ein Bild Alvels, des Büromädchens sowohl als der Tänzerin, aufgenommen. Und es war das seiner flüchtigen Tänzerin, das sich ungefragt in ihm aufstellte neben Seekarten und Peilkompaß, Bergungsberichten und Besatzungssorgen, das zwischen Sachlichem, Gewohntem, Handlichem und Seefestem sich blumenhaft eingefunden hatte, aus seefremden Gärten das schmale Etwas in wenig mehr als einem Hemd von sandgelbem Abendkleid, ihrer Haarfarbe ähnlich, dies Wesen dennoch Fleisch und Blut, die zarten Gewölbe, die den Sinnen zur Freude sind und so unvergleichlich wesenloser blühten als die Erinnerung vergorener Matrosenjahre, als das nasenbrechende Parfüm, das prasselnde Licht, das Gold und Knallrot und der billige lila Tüll, als die marksaugende, dampfige überdrüssige Üppigkeit hinter den Spielbudenplätzen der Häfen. Nach dem Tango hatte sie von dem Stuhl, dahin er sie zurückführte, einen blaßgraugestreiften Seidenschal genommen und sich um die Schultern gelegt. Die anmutige Bewegung, mit der sie diese Verhüllung vollzog, war Tralssen besonders klar im Gedächtnis geblieben. Er fand später, daß der Seehorizont oftmals die gleiche Farbtönung aufwies wie Alvels Schal, und an solchen Tagen fand die Mannschaft den Kapitän in trefflicher Laune.

Tralssen dachte also oft an Alvel.

Aber deswegen die Panzertür aufmachen? Er sah immer das Nächstliegende. Er war wie viele Leute seines Schlages ein naturhafter Rechner, der das Gegebene ohne Umschweife einsetzt und um die Lösung nicht bange ist, der die Logarithmen benutzt, ohne nach ihrer Herleitung zu fragen, dem die Unbekannten sich ohne große Mathematik zu Bekannten wandeln, wenn es die Gnade so will. Alvel schien ihm sehr unbekannt. Und die Gnade ließ auf sich warten.

Die Wandlung geschah erst nach der Bergung des Tankdampfers „Pontos“.

Eine Bergung, die ihn zugleich berühmt machte und sein Fallstrick wurde.

*

Es war wildester April. Da geriet jener norwegische Walöltanker „Pontos“ vor der Insel Sylt in Höhe Hörnum auf Grund. Er rief um Bergungshilfe, und im Verlauf von sechs Stunden waren drei tüchtige Seeschlepper zur Stelle, aber zwei gaben während der Nacht den Kampf mit der schweren See auf. Nur Tralssen hielt aus. Es gelang ihm gegen vier Uhr morgens, als die Flut unerwartet hoch stieg, durch Brecher und Brandung hindurch an den gestrandeten Tanker so weit heranzukommen, daß vom „Tiger“ eine Leine hinübergeschossen werden konnte.

An der Leine wird das Wier befestigt, der Schleppdraht, und von den Leuten auf dem Havarierten eingeholt und auf dem Vorschiff um Ankerspill und Mastfuß oder wie es geeignet scheint, belegt, fest und dreifach gesichert und an den Scheuerstellen mit Schmattings umwickelt, mit irgendwelchem Plünnenzeug, damit es um Gottes willen halte, das gesegnete stählerne Rettungstau, das zum Bergungsdampfer hinübergeht, und die kostbare schenkeldicke, wundervoll federnde Manilatrosse, die am Schlepphaken hängt.

Alles ging soweit gut. Aber was war mit der Manila?

Die Leute des „Tiger“ arbeiteten auf dem Achterschiff bis an die Brust im tosenden Wasser. Die Manila, immer so sauber an Deck aufgeschossen, war in den wilden Erschütterungen unklar geworden, war ein verkinkter riesiger Schlangenknäuel, daran die harten, triefenden Fäuste verzweifelt rissen. Tralssen stand hoch darüber auf dem Laufsteg, der um den Schornstein herum nach achtern führt. Unter ihm die wühlende Masse kochte gleichsam im Scheinwerferlicht; zum erstenmal in seinem nüchternen Gehirn stieß ihm eine Bemerkung, die er in einem Buche über eine ähnliche Sachlage gelesen, als treffend auf, ja, der Trossenballen kochte wie ein Riesenknödel im Gischt, und nun sah er eine neue steile Brecherwand wie eine ungeheure Schaumkelle heranfegen. Und indes er schon dem Manne, der am gelegensten stand, zubrüllte, er solle den Schlepphaken wahrnehmen, sah er, wie die heranstürmende Woge, den Scheinwerferkegel erreichend, gelb aufleuchtete, und das erinnerte ihn in diesem Augenblick, der seine Gedanken weiß Gott zu anderem als zu Erinnerungen brauchte, an ein gewisses mattgelbes seidenes Abendkleid. Die Schaumkelle indes, groß wie ein Kuppeldach, kämmte schon krachend über das Achterschiff hin, und es mutete ihn fast lächerlich an, als sie das verklammerte Riesenbündel aus gedrehtem Hanf und Ölzeuggestalten wie einen Suppenkloß abfischen wollte. Wie Tralssen vorausgesehen, slippte der Schwung die Trosse vom Haken oder hätte es vielmehr getan, wenn nicht Bootsmann Möller, rechtzeitig durch die unmenschlich brüllende Stimme seines Kapitäns aufmerksam gemacht, sich mit jäher Wucht auf die Trossenschlinge geworfen und sie tatsächlich über die armdicke Eisenzinke zurückgebracht hätte.

Dann aber wurde Möller von dem abschießenden Strudel gefaßt, und der prellte ihn rücklings über eine der Gleitschienen, die wie die Rippen eines Verdecks das halbe Achterschiff überspannen. Der gewaltige Sog packte auch das Trossenknäuel und klemmte es hinter die Trommel der Trossenwinde. Das freie Stück bis zum Haken zog sich steif, das dicke Tau quetschte sich über die Brust des unglücklichen Bootsmannes. Zwei Leute würgten sich heran, packten Möllers Beine, aber die Trosse hielt ihn fest, zumal das Achterdeck wie eine Schaukel aus dem Getobe hochkippte. Man hörte in dem Aufruhr Möllers Stimme nicht, aber man sah in dem unbarmherzigen Scheinwerferlicht, wie gräßlich er litt. Bottwender war es, der plötzlich ein Beil zur Hand hatte und Miene machte, die Trosse zu kappen, doch nicht ohne vorher, befehlsgewohnt, einen Blick zum Kapitän hinaufzuschicken. Und Tralssens kurze Gebärde, mehr als sein scharfer, vom Sturm zerhauener Zuruf, stoppte Bottwenders Versuch, den Armen zu befreien. Wie durch ein Wunder allerdings begann gerade jetzt der verklemmte Trossenklumpen sich zu entwirren. Die Trosse lief aus, als sei nichts gewesen, sie hob sich von der Winde, und Möller rutschte leblos aufs Deck. Sein Rückgrat war gebrochen, sein Brustkorb eingedrückt, dennoch atmete er noch. Man brachte ihn in die Messe, eben bevor das Licht auf dem „Tiger“ erlosch und Scheinwerfer, Peildeck und die halbe Funkbude über Seite gingen.

Die gleiche zertrümmernde Grundsee rollte, kaum geschwächt, mit furchtbarer Gewalt sodann gegen den Tanker, der fünfzig Faden weiter quer auf der Schlickbank saß. Auch seinen Aufbauten spielte sie übel mit, schob ihn aber zugleich schräg über die Bank hinweg auf eine Rinne zu, die quer dahinter läuft und bei der hohen Flut genügend Wasser führte, so daß er plötzlich flott kam.

Tralssen hatte sich in dem Höllensturz gehalten. Die Laufstegnock in Lee, seiner naturhaften Mathematik ohne viel Überlegung der richtige Standpunkt, war im Schutz des dicken Schornsteins unversehrt geblieben. Er erkannte sofort, als der „Tiger“ sich bebend aufrichtete, daß der Kampf nicht verloren, sondern, falls Maschine, Ruder und Trosse hielten, gewonnen sei. Ohne die Gewalt der Brecher hätte sein Schlepper allein den Neuntausendtonnendampfer schwerlich vom Sand heruntergekriegt. Wie in ähnlichen Lagen früherer Erfolge erstand in ihm eine jähe Erleuchtung, die er halb erstickt, halb sonderbar verzückt in sich brennen fühlte. Ihm war, indes er sich durch den Wirrwarr nach vorn tastete, als habe er das ahnungsweise alles so eingerechnet.

Die beiden Funker des „Tiger“ wrangen sich halbtot, abgeschunden, aber nicht ernstlich verletzt aus den Trümmern ihres Bereichs. Die letzte Meldung, die sie von der „Pontos“ durchs Funktelephon ergattert hatten, besagte, daß dort ein Bodenschaden nicht festgestellt sei.

„Los!“ knurrte Tralssen. Er hatte die Sekunde vorher das abgedeckte Ruderhaus erreicht und das Maschinensprachrohr und hatte das Ruder selber übernommen. Sein Gesicht war eisig hart, und Fräulein Hörn hätte sich erschrocken vor solch entschlossenem, ja brutalem Ausdruck, fremd von unten her geschattet durch die helle Scheibe des Kompasses, dessen Sonderbatterie eine Zeitlang das einzige Licht auf dem „Tiger“ hergab, das die hereinfegende Schneebö auch noch auszulöschen suchte.

Tralssen wußte wohl, was er getan hatte. Er hatte einen seiner besten Leute und Kameraden geopfert, weil ein zweites Mal die Leine nicht mehr rechtzeitig zu dem Tanker hätte hinüberbefördert werden können. Nun liefen die beiden Dieselmotoren des „Tiger“ voll voraus ihre höchste Umdrehungszahl, sie waren in Ordnung, er fühlte in den Fußsohlen ihr gleichmäßiges Surren, das jeweils geschickt abgedrosselt wurde, wenn das Heck frei überm Wellental schwang. Es war der genaue unwiederbringliche Zeitpunkt, wo die Trosse sich zu straffen hatte, um den hilflos treibenden Koloß abzufangen, der zweiunddreißig Männer an Bord hatte, die ihre letzte dumpfe Hoffnung auf den „Tiger“ setzten und die mit ihrem Schiff bei nochmaliger Strandung wahrscheinlich verloren sein mußten. Denn jenseits der Rinne begann, anders als die harte Schlickbank, eine Stelle gnadenlosen Mahlsandes.

Jetzt kam es auf sichere Beobachtungen und Erfühlungen an, auf ein erfahrenes, ja seherisches Auge, das die lichtlose Dunkelheit zu durchdringen hatte, abschätzend in überwacher Geistesgegenwart am Lauf der gischtigen Kämme, wo die noch mögliche Tiefe sei und wo der günstige Durchlaß in die offene See. Es kam an auf das unterbewußte Empfinden für den Standort des Schiffes, der anders in der völligen Nacht nicht auszumachen war, so wie hier, wo es galt, durch die Planken hindurch zu erfühlen, wie der Tanker im Schlepp sich gebärde, ob er folge und wie er ausschor und ob die Trosse sich nicht sirrend überspanne. Es war keine Verbindung mehr zur „Pontos“ als nur die Trosse, oder vielmehr das Gefühl der Trosse, man sah das große Schiff vorerst nicht mehr, die Trosse verschwand nach dreißig Faden wie aufgesogen in der heulenden Nacht voll gepeitschten Flockenschnees. Aber Tralssen fühlte, der Tanker folgte. Sicher war man dort so schlau, falls möglich, langsam die Maschinen in Gang zu bringen, um den Seedruck zu vermindern, der auf die riesige Bordwand stürmte, und es somit dem kleinen trotzigen Haufen Eisen, der sich „Tiger“ nannte, etwas zu erleichtern, mit der Beute ins Freie zu kommen.

Vergebens spähten die Steuerleute Bottwender und Wolters nach dem Hörnumfeuer aus, das während der Nacht zwischen den Schneeregenflagen ein paarmal als matter Pritschenschlag in Südost sich gezeigt hatte. Tralssen aber starrte wie gebannt voraus durch die zerborstenen Fenster des Ruderhauses. Man konnte glauben, er habe die Augen geschlossen und klammere sich ans Steuerrad nur, um nicht umgeworfen zu werden. Sie aber wußten von ihm, daß er in dieser schwierigen, fast aussichtslosen Lage in unbändiger, starrer Anspannung das besaß, was man im besten Sinne Führertum nennt. An ihm bewies sich, daß Seemannschaft mehr ist als grobe Arbeit, daß die See für den, der sie beherrschen will, letzte Anforderungen an die feinsten Schwingungen der Sinne stellen kann, ja, daß etwas Urhaftes dazu gehört, etwas, das dem Namen des Bootes gemäßer war, als der Reederei beim Taufakt grob bildlich und beuteverheißend vorgeschwebt haben mochte. Das tierhaft Naturverbundene, jene für den Europäer seltene Verfassung, war bei Gefahr groß in Tralssen. Man könnte es in seiner Art Genie nennen. Andere nennen es Glück.

Schlafwandlerisch überwach war Tralssen eins mit dreierlei, mit seinem Schiff, mit dem geschleppten Schiff und mit der tobenden See. In ihm verschmolz sich, ohne Lästerung gesagt, als bittere, nüchterne, sorgenvolle Offenbarung das Gleichnis der Dreifaltigkeit, das der hohe Ausdruck ist für die innersten Beziehungen alles Lebendigen. Das war ganz ungeistig klar und bieder in ihm, zugleich aber schien er betäubt vom gepeitschten Kreischen der Elemente, schien wie zwischen starren Eisenblöcken nichts als ein unbewußter, unheimlicher Kampf ohne jede Mißweisung.

Daß aber hinter diesem Kompaß, der er selber war, etwas am Ruder stand, gereckt und vorgebogen wie die Schaumkelle der Sturzsee, seidig sandfarben leuchtend wie ein gewisses Abendkleid, das grau überdeckt wurde und dunkel verwandelt wurde und auf einmal dumpf drohend Bootsmann Möller hieß, diese merkwürdige Vorstellung, gemischt aus bedrängter und liebender Erinnerung, die treulich steuernd in die Ruderspeichen griff, bedurfte seiner ganzen sturen Verbissenheit, damit sie ihn nicht ablenke.

Die Bergung

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