Читать книгу Clarissa und Fiete IV - Hans Müller-Jüngst - Страница 3

Clarissa ist schwanger

Оглавление

Clarissa und Fiete lebten zusammen ein geordnetes Leben in Worpswede, beide gingen ihren Berufen nach. Sie waren inzwischen auch verheiratet und Clarissa hatte anklingen lassen, dass sie Kinder haben wollte. Fiete redete mit ihr beinahe an jedem Abend über Kinder, wenn sie von ihrer Arbeit zu Hause waren und gemeinsam zu Abend aßen.

„Findest Du den Zeitpunkt für Kinder jetzt richtig?“, fragte Fiete dann, und Clarissa antwortete:

„Ich bin jetzt 29 und will nicht länger warten, wir müssen uns nur überlegen, wie wir dann unseren Alltag organisieren wollen!“

Fiete ließ Clarissas Worte dann immer in sich wirken und hatte im Grunde keinerlei Einwände gegen Kinder geltend zu machen, Clarissa war in ihrer Ehe ohnehin die Tonangebende, und er fügte sich immer. So war es auch schon bei ihrer Hochzeit, die sie mit der ganzen Verwandtschaft in Worpswede gefeiert hatten. Es war Clarissas Wunsch, dass sie alle vor dem Ehevollzug auf dem Standesamt auf den Weyerberg zum Niedersachsenstein spazierten, wo eine Menge Fotos geschossen wurden. Bubenhäusers waren aus Braunschweig angereist und Isolde war mit Jasper aus Hannover gekommen, wo die beiden inzwischen lebten. Jan war auch noch mit seiner Britta zusammen, und die beiden kamen aus Bremen. Und von Süderland waren Fietes Eltern und Oma Stevens angereist. Für sie bedeutete die Reise große Mühsal, genauso für die Bubenhäusers, denn die Jüngsten waren sie alle nicht mehr, besonders Oma Sevens, die schon bald auf die 83 zuging. Sie hatte inzwischen doch Probleme, sich zu bewegen, und Fiete schob sie in ihrem Rollstuhl, was auf Süderland sein Vater oder seine Mutter erledigten. Aber auf Süderland machten sie keine großen Ausflüge, es kam höchstens vor, dass sie einmal auf den Boulevard gingen und dort auf das Meer schauten. Wenn es das Wetter zuließ, setzten sie sich für zwei Stunden auf eine Bank, Frau Kleen hatte dann Proviant eingepackt, den sie aßen, und wobei sie nicht viel redeten.

In Worpswede hatte sich Clarissa mit den Bauern der Umgebung angefreundet, was ihr am Anfang nicht immer sehr leicht gefallen war, denn ihr Vorgänger wurde von allen Bauern sehr geachtet. Als dann eine junge Frau dessen Nachfolge angetreten hatte, rümpften sie erst einmal alle ihre Nasen. Nach und nach akzeptierten sie aber Clarissa, sie respektierten vor allem ihren großen Sachverstand, den sie immer dann unter Beweis stellte, wenn sie komplizierte Krankheiten bei den Tieren behandelte. Fiete hatte eine kleine Firma mit Sitz in Osterholz-Scharmbeck, in der er sich zusammen mit drei Mitarbeitern um Windkraftwerke kümmerte, die von ihren Ausmaßen her sehr klein waren und sich für die Versorgung kleiner Gemeinden eigneten. Natürlich konnte er viel von der Erfahrung in seine Arbeit einfließen lassen, die er bei seinem früheren Arbeitgeber E.ON gesammelt hatte, und er kam mit seiner Firma sehr gut zurecht.

„Wie findest Du den Namen Pascal für einen Jungen?“, fragte Clarissa ihn an einem Abend, als sie wieder einmal zusammensaßen und über Kinder redeten.

„Pascal finde ich sehr gewöhnlich, ich finde, der Name hat etwas Proletenhaftes und würde meinen Jungen nicht so gerne Pascal nennen, lass uns lieber einen anderen Namen aussuchen!“

„Ich habe auch über einen Mädchennamen nachgedacht und bin auf Anna gekommen, wie findest Du diesen Namen?“

„Anna finde ich ganz gut, ich meine aber, dass dieser Name inzwischen sehr verbreitet ist, lass uns doch einen ausgefalleneren Namen nehmen!“ Und so saßen sie da und sinnierten einmal wieder über Namen nach, sie überlegten hin und her, es fiel ihnen kein passender Name ein, der ihnen beiden zusagte, weder für ein Mädchen noch für einen Jungen. Einige Tage später war Clarissa draußen bei Bauer Kampen, um beim Kalben seiner Lieblingskuh zu helfen. Die Geburt des Kalbes gestaltete sich sehr kompliziert, und Clarissa musste dem Kalb im Mutterleib Stricke um die Läufe binden, an denen sie und Albert Kampen das Kalb herauszogen. Als Herr Kampen sah, dass es sich bei dem Kalb um ein Mädchen handelte, rief er aus:

„Da bist Du ja endlich, Sophia!“, und Clarissa sah ihn an und sagte:

„Albert, Du nennst Dein Kälbchen Sophia, was für ein schöner Name!“ Als sie am Abend wieder mit Fiete zusammen hockte, teilte sie ihm mit:

„Fiete, ich habe einen Mädchennamen für unser Kind , wenn ich ein Mädchen gebären sollte, heißt es Sophia!“

„Wie kommst Du denn auf Sophia?“, fragte er, und Clarissa erzählte von der Kälbchengeburt und dem Namen, den Albert Kampen dem Tier gegeben hatte.

„Sophia gefällt mir ausgesprochen gut, ein Name, den man nicht sooft hört!“

„Das finde ich auch, ich hatte einmal eine Tante, die Sophia hieß, sie war eine herzensgute Frau, von der Isolde und ich immer Süßigkeiten bekommen hatten.“

„Mich erinnert der Name Sophia auch irgendwie an früher, ich hatte aber niemanden in meiner Verwandtschaft, der so hieß, ich denke, dass der Name schon uralt ist!“

„Jetzt fehlt uns nur noch ein Jungenname, aber der wird uns auch schon noch einfallen, ich habe eine Zeit lang über Friedrich nachgedacht, den Namen aber schnell wieder verworfen.“

„Friedrich ist ja wohl das Letzte, so hieß der Bruder meines Vaters, so würde man heute aber wohl niemanden mehr nennen!“, entgegnete Fiete entrüstet. So saßen sie mal wieder und führten eine angeregte Namensdiskussion, wie sie wohl alle Eltern in spe führten, ohne so recht zu einem Ergebnis zu kommen, und bei allen war es oft der Zufall, der den richtigen Namen brachte, so wie es bei Clarissas Sophia der Fall gewesen war. Sie wollten die Sache nicht übers Knie brechen und abwarten, natürlich hatten sie auch Namensbücher, die sie zum Teil geschenkt bekommen hatten, aber sie wurden auch in ihnen nicht fündig. Für das anstehende Pfingstfest hatten sie etwas ganz Besonderes vor, sie hatten Solveig und Ole von den Lofoten zu sich eingeladen. Die beiden sollten schon zu ihrer Hochzeit kommen, waren zu diesem Zeitpunkt aber verhindert. Geplant war, dass sie am Freitag vor Pfingsten kommen sollten und am Dienstag wieder abreisten. Fiete würde sie in Hamburg-Fuhlsbüttel am Flughafen abholen und auch wieder dorthin zurückbringen.

Als der Besuchsfreitag angebrochen war, sagte Clarissa beim Frühstück plötzlich zu Fiete:

„Ich glaube, ich bin schwanger, ich habe schon zweimal meine Periode nicht bekommen und werde im Laufe des Tages einmal meine Frauenärztin aufsuchen.“

Fiete bekam bei dieser Nachricht ganz glänzende Augen, so sehr freute er sich darüber, Vater zu werden.

„Clarissa, das ist ja eine ganz tolle Nachricht, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!“, und er stand auf und nahm seine Frau in seine Arme. Er drückte sie an sich, sah sich dabei aber vor, dass er nicht allzu heftig vorging, denn wenn Clarissa schwanger wäre, müsste er Rücksicht auf sie nehmen. Er hielt seine Frau lange in seinen Armen und sagte zu ihr:

„Ich werde Dir, wo ich kann, Arbeit abnehmen, damit Du Dich schonst, kann ich Solveig und Ole die Neuigkeit schon unterbreiten oder willst Du ihnen selbst die Nachricht übermitteln?“

„Wenn Du mit den beiden hier bei uns bist, werde ich ihnen schon von meiner Schwangerschaft erzählen, sag ihnen bitte bis dahin nichts!“ Clarissa und Fiete hatten sich diesen Tag beide freigenommen und wollten sich ganz auf ihren Besuch einstellen. Sie hatten Solveig und Ole seit Fietes Lofotenzeit nicht mehr gesehen, und die lag inzwischen schon drei Jahre zurück.

Der Kontakt zwischen Fiete, Solveig und Ole war immer besonders intensiv gewesen. Fiete mochte Solveig, seit er sie das erste Mal in ihrem „Hansa“ gesehen hatte. Damals lebte ihr Vater noch, aber Solveig managte da schon den Kneipenbetrieb vollständig in Eigenregie. Ole war ein sehr verlässlicher Mitarbeiter gewesen, und Fiete und ihn verband etwas, was schwer zu beschreiben war, vielleicht war es so etwas wie eine gemeinsame Auffassung von der Welt. Als Fiete damals mit Ole eine gemeinsame Angeltour im Boot von Solveigs Bekanntem gemacht hatten, spürten sie beide dieses verbindende Band besonders stark, auch als sie danach in der Mannschaftsbaracke ihren Fisch zubereiteten. Fiete fuhr am Mittag von Worpswede los, die Maschine würde um 14.05 h, von Oslo kommend, landen. Solveig und Ole würden den gleichen Flug nehmen, deb Fiete in seiner Zeit bei E.ON immer genommen hatte. Sie würden mit der Fähre nach Bodoe übersetzen, von Bodoe nach Oslo fliegen und dort nach Hamburg umsteigen. Fiete verabschiedete sich von Clarissa und nahm die gute Nachricht mit, er dachte auf der Fahrt unentwegt daran, dass er bald Vater sein würde und freute sich riesig darüber. Er fuhr in Gyhum auf die A 1 und weiter nach Hamburg und wusste, dass er vor dem Elbtunnel in einen Stau geraten würde, wenn er Pech hätte, aber so viel Zeit hatte er schon eingeplant.

Und tatsächlich, eine halbe Stunde später kam er am Elbtunnel an und geriet in einen Stau, der eine Viertelstunde seiner Zeit nahm, sich im Tunnel aber langsam auflöste, sodass er immerhin durch den Tunnel gemächlich rollen konnte. Eine weitere halbe Stunde später erreichte er in Fuhlsbüttel den Flughafen und stellte seinen Wagen ab. Bis zur planmäßigen Landung der Maschine aus Oslo hatte er noch etwas Zeit und er setzte sich im Flughafengebäude in eine Kaffeebar und bestellte sich einen Kaffee. Immer dachte er an Clarissa und ihre gemeinsame Zukunft mit Kindern.

„Wenn wir ein Mädchen bekommen, heißt unser Kind Sophia, was ist aber, wenn wir einen Jungen bekommen?“ Ein Jungenname wollte ihm nicht einfallen, so sehr er auch über einen Jungennamen nachdachte, und Friedrich kam schon einmal gar nicht in Frage, so viel stand für Fiete fest. Er trank seinen Kaffee aus und lief langsam zu dem Gate, an dem er seine Freunde von den Lofoten in Empfang nehmen wollte. Er war aufgeregt, die beiden nach so langer Zeit wiederzusehen. Die Anzeige verriet dass die Maschine aus Oslo gelandet war und damit wenigstens keine Verspätung hatte. Jetzt würden alle Passagiere noch zum Kofferband gehen und ihr Gepäck aufnehmen, dann käme der Moment des Wiedersehens. Kurze Zeit später öffnete sich die Schwingtür und die ersten Passagiere aus Oslo kamen heraus. Es dauerte eine Zeit, bis Fiete Solveig und Ole ausmachen konnte, er hatte sie unter den anderen Passagieren sofort wiedererkannt, Solveig war schön wie immer und völlig unverändert, sie trug ihr langes blondes Haar zu einem Zopf geflochten, wie sie es auch im „Hansa“ immer gehabt hatte, und auch Ole war der Alte geblieben. Fiete stürmte sofort auf die beiden los und umarmte jeden von ihnen zur Begrüßung, Solveig gab er einen kräftigen Kuss auf die Wange. Als er sie in seinen Armen hielt, glaubte er einen Bauch an ihr zu spüren und sah sie fragend an:

„Ja, ich bin im fünften Monat schwanger!“, rief Solveig voller Freude aus, und Fiete gratulierten den beiden.

„Wisst Ihr denn das Geschlecht und habt schon einen Namen?“

„Es wird ein Mädchen werden und wir werden es Astrid nennen!“ Auch Ole strahlte über sein ganzes Gesicht, Solveig und er waren ein Paar, wie man es vielen wünschte, sie verkörperten geradezu das Glück und gaben das auch jedem zu verstehen. Fiete nahm einen ihrer beiden Rollkoffer und ging mit den beiden langsam zu seinem Wagen. Unterwegs fragte er Ole:

„Stehen unsere Windräder noch in Flakstad, oder hat sie der Sturm schon umgerissen?“

„Alle drei Windräder stehen und verrichten gute Arbeit!“, antwortete Ole, und er sah seinen ehemaligen Chef dabei an, als wollte er ihm immer noch seinen Respekt für die Arbeit aussprechen, die sie damals zusammen ausgeführt hatten.

„Hat sich denn auf den Lofoten bei Euch sonst irgendetwas Nennenswertes ereignet?“

„Bei uns geschehen so schnell keine nennenswerten Dinge, wie Du Dir vielleicht noch vorstellen kannst, aber bei Euch hat sich ja einiges verändert!“, sagte Solveig.

„Ja, ich bin inzwischen selbstständig und habe eine kleine Firma, in der ich zusammen mit drei Kollegen Windräder konzipiere, die für nicht ganz so finanzstarke Kommunen gedacht sind, es läuft ganz gut in der Firma, und Clarissa ist, wie Ihr ja wisst, Tierärztin und versorgt die landwirtschaftlichen Betriebe in der gesamten Umgebung, aber das wird sie Euch alles erzählen, wenn wir bei uns angekommen sind, setzt Euch in den Wagen, wir fahren los!“ Ohne Probleme fuhren sie nach Worpswede zurück und Solveig und Ole trauten ihren Augen nicht, als sie sahen, wie schnell Fiete seinen Wagen über die Autobahn steuerte, denn Autobahnen gab es auf den Lofoten nicht, und man fuhr dort eher vorsichtig. Zu Hause begrüßte Clarissa die beiden, und die gegenseitige Freude war groß, obwohl Clarissa die beiden bei ihrem Besuch auf den Lofoten gar nicht richtig kennenlernen konnte. Aber es herrschte auf beiden Seiten große Sympathie, Clarissa hatte sofort Solveigs Schwangerschaftsbauch bemerkt, und Solveig strahlte sie geradezu an:

„Ich bin im fünften Monat schwanger!“ Clarissa ging mit allen ins Haus, und als Solveig und Ole ihr Gepäck abgestellt, und sie sich alle an den Kaffeetisch gesetzt hatten, sagte sie:

„Ich war heute bei meiner Frauenärztin, und sie hat mir eröffnet, dass ich im dritten Monat schwanger bin!“ Fiete sprang auf und ging zu Clarissa, er nahm sie in seine Arme und küsste sie, er sagte:

„Da haben wir also jetzt Gewissheit, ich freue mich riesig!“ Solveig und Ole legten ihre Arme um Clarissa und gratulierten ihr:

„Jetzt haben wir zwei werdende Mütter unter uns!“, sagte Ole.

„Fiete, wir müssen unsere Frauen jetzt mit Vorsicht behandeln!“ Und gleich war Fiete bemüht, alles um sich herum selbst in seine Hände zu nehmen und Clarissa zu entlasten. Er stand auf, kochte für alle Kaffee und stellte Kuchen auf den Tisch, Ole half ihm dabei und während die beiden mit dem Kaffeetisch beschäftigt waren, sagte Solveig zu Clarissa:

„Im dritten Monat musst Du besonders auf Dich Acht geben, da haben die Schwangeren die meisten Fehlgeburten!“

„Ich werde schon auf mich aufpassen, ich weiß, dass Fiete mir ein große Hilfe ist, und in meiner Praxis werde ich ein wenig kürzer treten, bis ich den Praxisbetrieb für eine Zeit ganz stilllegen werde.“

„Wie wollt Ihr Euer Kind denn nennen?“

„Ein Mädchen soll Sophia heißen, aber einen Namen für einen Jungen haben wir noch nicht gefunden!“ In diesem Augenblick kamen Fiete und Ole zu den beiden, Fiete sah Clarissa an und rief aus:

„Ich weiß einen Jungennamen, wir nennen unseren Jungen Ole!“ und Clarissa rief:

„Ich habe in diesem Augenblick dieselbe Idee gehabt, wir nennen unseren Jungen Ole, der Name ist schön, und er wird uns immer an Deine Zeit auf den Lofoten erinnern!“ Ole schaute leicht verlegen Solveig an, die versicherte ihm, dass er stolz darauf sein könnte, dass sein Name in Worpswede verewigt werden würde. Fiete lief noch einmal in die Küche und holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, aber noch bevor er sie geöffnet hatte, winkte Clarissa ab und sagte, dass sie von diesem Tag an während ihrer Schwangerschaft keinen Alkohol mehr trinken würde und auch Solveig verzichtete. Also brachte Fiete die Flasche wieder zurück und holte für Ole und sich einen Schnaps, den sie beide auf ihre Kinder ex tranken. Anschließend widmeten sie sich ihrem Kuchen und unterhielten sich über ihre Alltagsprobleme. Solveig erzählte, dass an Wochenenden das „Hansa“ immer noch von Gästen überquellen würde.

„Ich bin dann immer froh, dass Ole mithilft, allein könnte ich den Betrieb gar nicht bewältigen!“

„Ich habe auch ab und zu Hochbetrieb, wenn ich die Praxis geöffnet habe und gleichzeitig beinahe alle Bauern auf einmal etwas von mir wollen, ich bin dann immer froh, wenn an solchen Tagen Feierabend ist!“ Auch Fiete hatte natürlich in seiner Firma manchmal Stress und Ärger mit den Kommunen, die zu seinen Kunden zählten, wenn er sich mit deren Kämmerern nicht einig über den Preis für seine Anlage werden konnte, er hielt sich aber zurück und wollte die anderen nicht mit seiner Firma belästigen.

„Wir können Morgen am Pfingstsamstag einmal zu meiner Firma rüberfahren und uns Osterholz-Scharmbeck ansehen, das ist ein ganz netter Ort, und wir können dort einen kleinen Spaziergang machen.“ Nach dem Kaffeetrinken zeigten Clarissa und Fiete ihren Gästen ihr Zimmer, in das sie ihr Gepäck brachten, und in dem sie sich frisch machten.

„Ein sehr schönes Haus habe Ihr beide, mit viel Platz, da könnt Ihr noch viele Kinder in die Welt setzen“, sagte Solveig. Clarissa und Fiete gingen wieder ins Wohnzimmer, und Fiete hielt Clarissas Hand, er war glücklich und machte keinen Hehl daraus.

„Wir müssen so langsam daran denken, ein Kinderzimmer einzurichten, wir sollten bei Gelegenheit nach Bremen zu IKEA fahren und uns Ideen holen, wir können uns vorher den IKEA-Katalog im Internet anschauen“, meinte Clarissa. Fiete fügte sich wieder, ohne auch nur einen Ton des Widerspruchs von sich zu geben.

„Wir können an dem Wochenende nach Pfingsten nach Bremen fahren“, antwortete er. In diesem Augenblick stießen Solveig und Ole wieder zu ihnen und Clarissa klärte die beiden darüber auf, dass sie sich gerade mit Fiete Gedanken überein Kinderzimmer machte.

„Das haben Ole und ich bei uns in Flakstad schon längst getan, und wir haben das meiste auch schon zusammen, es fehlen nur noch eine Wickelkommode und ein Heizstrahler, aber die Sachen haben wir schnell besorgt.“

„Bei uns gibt es das große schwedische Möbelhaus IKEA in jeder größeren Stadt, wir werden am nächsten Wochenende nach Bremen zu IKEA fahren und uns die ersten Sachen kaufen.“

„Lasst uns, bevor wir ins Restaurant zum Essen gehen, einen Spaziergang durch Worpswede machen, unser Künstlerdorf wird Euch sicher gefallen“, schlug Fiete vor und sie hielten sich gar nicht mehr lange auf und liefen los. Unterwegs zum Dorfzentrum musste Clarissa jede Menge Passanten grüßen, weil sie als Tierärztin inzwischen in Worpswede bekannt war wie ein bunter Hund. Sie spazierten ganz gemütlich durch das Dorf und Clarissa und Fiete steuerten die „Käseglocke“ an, die ihren Namen wegen ihrer ungewöhnlichen Form bekommen hatte. Solveig und Ole staunten über das schmucke kleine Haus, nachdem sie dort angekommen waren und Fiete erklärte, dass es 1926 nach den Plänen eines Architekten für einen Schriftsteller errichtet worden war und heute eine Art Heimatmuseum wäre.

Sie warfen einen Blick hinein und betrachteten die kunsthandwerklichen Gegenstände und Bauernmöbel, besonders Solveig war sehr angetan von den schönen Ausstellungsstücken und sagte, dass sie sich das eine oder andere Stück gut bei sich im „Hansa“ vorstellen könnte. Von der „Käseglocke“ aus spazierten sie durch das Dorf zurück Richtung Bahnhof, der schon ein Stück entfernt lag, und sie gingen in den „Worpsweder Bahnhof“, inzwischen ein Restaurant der gehobenen Kategorie. Da gerade Pfingsten war, wurde dort natürlich Spargel in allen nur erdenklichen Variationen angeboten und Clarissa und Fiete legten Solveig und Ole den Spargel wärmstens ans Herz. Wir haben noch nie in unserem Leben Spargel gegessen, bei uns auf den Lofoten gibt es einfach keinen Spargel, und ich bin gespannt darauf, wie er schmeckt!“, sagte Solveig. Fiete hatte für diesen Abend einen Tisch reservieren lassen, ohne Reservierung kam man im „Worpsweder Bahnhof“ schon längst nicht mehr zurecht, und sie wurden vom Kellner zu ihrem Tisch geführt. Der Ober nahm auch gleich die Getränkewünsche auf, und die Frauen bestellten sich jede eine Apfelschorle, Fiete und Ole nahmen jeder ein großes Bier und einen Korn. Der Blick in die Speisekarte erübrigte sich eigentlich, jeder bestellte Spargel mit zerlassener Butter und gekochtem Schinken.

Während sie auf das Essen warteten fragte Fiete Ole nach den alten Arbeitskollegen, besonders nach Stieg und Björn, der damals bei einem Arbeitsunfall eine Hand verloren hatte.

„Ich weiß, dass Stieg auf dem Festland bei einer Hochbaufirma als Kranführer untergekommen ist, und dass Björn sein Rentnerdasein genießt, so wie ich gehört habe, kommt er wunderbar mit seiner Prothese zurecht und spürt kaum eine Beeinträchtigung, Genaueres weiß ich von unseren ehemaligen Kollegen aber auch nicht.“ Als der Spargel serviert wurde, betrachteten Solveig und Ole neugierig die weißen Stangen auf ihren Tellern und schnitten sich jeder ein Stück von ihnen ab, so wie es Clarissa und Fiete auch taten. Beide kosteten ihren Spargel und hoben der hervorragenden Geschmack des Gemüses hervor, sie waren voll des Lobes.

„Schade, dass es bei uns keinen Spargel gibt, ich könnte mir glatt vorstellen, den im „Hansa“ anzubieten!“ Sie unterhielten sich beim Essen darüber, dass Clarissa und Fiete im Sommer, wenn Clarissa ungefähr im sechsten Monat wäre und Solveig ihre Astrid bekommen hätte, einmal auf die Lofoten an Fietes alte Wirkungsstätte kommen sollten, und die beiden nahmen die Einladung gerne an. Als sie wieder bei Clarissa und Fiete zu Hause waren, setzten sie sich gemütlich zusammen und Clarissa stellte allerlei Nüsse, Plätzchen und sonstige Leckereien auf den Tisch.

Fiete holte für die Frauen Apfelsaft und Sprudel und für Ole und sich stellte er jeweils ein Bier und einen Korn hin. Prompt bekam er von Clarissa zu hören, dass er sich nicht mit Ole besaufen sollte und ließ die Aufforderung unkommentiert im Raume stehen.

„Ich werde Morgen meine Eltern in Braunschweig anrufen und ihnen mitteilen, dass sie bald Großeltern werden und Du Fiete musst nach Süderland anrufen!

„Bei uns hat es nur Oles Eltern gegeben, die noch leben, und denen wir Bescheid gesagt haben, ihre Freude war unbeschreiblich groß, wie ihr Euch vorstellen könnt, aber das werdet Ihr morgen bei Euren Eltern auch erfahren!“ Sie unterhielten sich an diesem Abend noch darüber, wie sie ihren Alltag mit Kind organisieren würden.

„Tagsüber haben wir das „Hansa“ ja geschlossen, und Ole und ich können uns gemeinsam um Astrid kümmern, von daher haben wir es schon besser als andere Berufstätige und abends, wenn ich hinter der Theke stehe, kümmert sich Ole um unser Kind, aber es schläft ja dann, und wir haben ein Babyphone, mit dem wir unten in der Gaststätte hören können, ob Astrid wach ist oder schläft.“

„Das ist bei uns natürlich anders, Fiete ist in seiner Firma und ich bin den ganzen Tag allein mit unserem Kind, und irgendwann möchte ich meinen Beruf auch wieder ausüben, wir werden dann auf eine Kinderfrau zurückgreifen müssen, damit haben Fiete und ich überhaupt keine Probleme.“

„Ich hätte damit auch keine Probleme, man muss sich natürlich die in Frage kommende Frau vorher genau ansehen und mit ihr ein Gespräch führen, bei dem man herausbekommen muss, was sie für ein Mensch ist, für mich wäre das Wichtigste, dass sie Herzenswärme und Geschick mitbringt, Sauberkeit ist auch wichtig, ich könnte aber über so manche Unordentlichkeit hinwegsehen, wenn ich wüsste, dass mein Kind in guten Händen ist.“

„Bei uns in Deutschland bieten sehr viele Polinnen ihre Dienste als Kinderfrauen an, ich glaube, wenn sie ein halbwegs gutes Deutsch sprechen können und ein gutes Herz haben, kann man es durchaus mit einer Polin versuchen!“, sagte Clarissa und sah dabei Fiete an, der sich noch nie über eine Kinderfrau Gedanken gemacht hatte und Clarissa nur zunickte. Gegen 23.00 h brachen sie ihren gemütlichen Abend ab und gingen schlafen, Clarissa und Fiete wünschten ihren Gästen eine gute Nacht und verschwanden in ihr Schlafzimmer. Sie hatten am Abend ausgemacht, dass sie um 9.00 h frühstücken wollten und Fiete stand um 8.00 h auf und deckte den Frühstückstisch.

Kurze Zeit später erschien Ole bei ihm und wünschte einen guten Morgen, er hätte geschlafen wie ein Stein, sagte er. Anschließend liefen Fiete und Ole zum Bäcker, um Brötchen zu holen. Als sie wieder zu Hause eingetroffen waren, standen die Frauen in der Küche und kochten Kaffee, sie wünschten sich alle eine guten Morgen und umarmten sich zur Begrüßung.

Danach setzten sie sich an den Tisch und begannen zu frühstücken.

„Ich fand unser Frühstück in Flakstad auch immer sehr gut“, sagte Ole, „es fehlte im Grunde an nichts“, und Fiete pflichtete ihm bei.

„Heute fahren wir nach dem Frühstück nach Osterholz-Scharmbeck, das ist eine kleine Stadt, die 8 Kilometer von uns entfernt liegt, und in der ich meine Firma habe, vorher machen wir aber noch eine kleine Besichtigung von Clarissas Praxis.“ Das Frühstück glich dem auf den Lofoten, nur die Brötchen waren krosser, was Solveig und Ole positiv bemerkten, weil sie die krossen Brötchen gegenüber den weichen bei sich zu Hause leckerer fanden. Cereals aß niemand von ihnen, jeder begnügte sich mit zwei Brötchen mit Wurst, Käse oder Marmelade und einigen Tassen Kaffee. Nach ungefähr einer Stunde standen sie alle auf und räumten den Frühstückstisch ab. Anschließend machten sie sich frisch und gingen in Clarissas Praxis, die am Samstag leer dalag.

„Mein Vorgänger hat mir die Praxis ziemlich altmodisch hinterlassen, ich habe erst einmal alle Wände weiß streichen lassen und helle Möbel in die Praxisräume gestellt, wie gefallen Euch meine Praxisräume?“

„Also wenn ich ein krankes Tier hätte, käme ich gerne zu Dir, die Praxis wirkt sehr einladend, und man kann sich gut vorstellen, dass sich Deine Patienten bei Dir wohlfühlen“, antwortete Solveig. Nachdem sie die Praxis besichtigt und Solveig und Ole sie sehr ansprechend gefunden hatten, gingen sie vor die Tür und setzten sich in Fietes Wagen, mit dem sie nach Osterholz-Scharmbeck fuhren. Fiete fuhr direkt ins Zentrum und stellte seinen Wagen auf den großen Parkplatz. Vor Dort lief er mit allen in die Kirchenstraße, die eine Fußgängerstraße war, und in der er ein Ladenlokal für seine Firma gemietet hatte. Er schloss die Tür auf und betrat mit Clarissa, Solveig und Ole seinen Laden, in dem vier Arbeitstische mit Computern standen, in der Ladenecke war ein großer Plotter postiert, auf dem die Entwürfe gedruckt wurden. Fiete hatte im Fenster neben dem Namen seiner Firma, „Windkraft“, verschiedene Fotos von Windkraftanlagen ausgestellt, die er schon entworfen hatte. Das Fenster war sehr schlicht gehalten, aber Fiete verkaufte ja keine Waren, die er anpreisen musste, sondern Dienstleistungen, und wer an denen interessiert war, der schaute nicht in das Schaufenster, sondern kam in den Laden und nahm ein Gespräch mit Fiete auf. Solveig, Clarissa und Fiete liefen planlos zwischen den Arbeitstischen herum und wussten gar nicht so recht, wonach sie Ausschau halten sollten. Schließlich nahm Fiete ein Blatt vom Plotter, auf dem ein projektiertes Windkraftwerk zu sehen war.

Er legte das Blatt auf einen der Arbeitstische und erklärte, was es darauf zu sehen gab. Das Blatt zeigte eine komplette Windkraftanlage mit Turm, Gondel und Rotor. Es handelte sich um eine kleine Anlage mit einem 60 Meter hohen Turm, der Rotor hatte einen Durchmesser von 40 Metern, die Anlage war im Vergleich zu den drei Türmen, die Fiete in Flakstad auf den Lofoten errichtet hatte, wirklich sehr klein.

„Eine solche Anlage reicht aus, um eine Gemeinde wie Worpswede mit Strom zu versorgen, natürlich sind die Erstellungskosten beträchtlich, man muss bei drei solcher Windkraftanlagen mit Kosten in Höhe von 5 Millionen Euro rechnen, zuzüglich der Kosten für die Zuwegung, Fundamente und sonstige Nebenkosten. Aber die rein ökonomische Bilanz fällt doch positiv aus, die Kosten haben sich in 10 Jahren amortisiert. Ich denke aber, man muss dabei auch die ökologische Bilanz aufmachen, und da schneiden die Windkraftanlagen unter allen anderen sinnvoll einsetzbaren Anlagen besonders gut ab!“ Ole fragte gleich nach technischen Details, und ihn interessierte da der Turmdurchmesser. Fiete sagte, dass der bei 3 Metern läge, die Türme würden genau wie die auf den Lofoten in Schichtbauweise errichtet, nur alles eben in kleinerem Maßstab.

„Wir verwenden statt 20 Muttern mit 52 Millimetern 12 Muttern mit 40 Millimetern Durchmesser, ansonsten ist die Arbeit aber die gleiche, immer wenn ein Turm errichtet werden soll, schließe ich mich mit einer Baufirma kurz, und die rückt dann mit 3 Gruppen á 4 Arbeitern an und hat auch einen Kran mit Kranführer.“

„Wenn ich das so höre, juckt es mich fast in den Fingern, und ich möchte da mitmachen, wie oft denke ich doch an unsere gemeinsame Zeit in Flakstad zurück, und wie toll alles auf unserer Baustelle geklappt hat!“

„Aber jetzt bist Du doch im Ruhestand, und den solltest Du auch genießen, aber da mache ich mir keine Sorgen, dass Du das auch tust!“

„Habt Ihr eigentlich im Moment ein konkretes Projekt in Arbeit?“, fragte Solveig, und Fiete wollte gerade loslegen und von dem Windkraftprojekt in der Gemeinde Borgstadt erzählen, wie viel Energie und Mühe seine kleine Firma schon in das Projekt gesteckt hatte, wie viele Überstunden er und seine Kollegen deswegen abgeleistet hatten, als Clarissa aber dazwischenfuhr und Fiete aufforderte, sich seinen Vortrag doch für später aufzubewahren. Fiete blickte sie leicht konsterniert an, verstand aber, dass das der falsche Moment dafür war, so tiefe Einblicke in seine Arbeit zu geben. Aber er war nun einmal voll und ganz mit seiner Firma verwachsen, und Ole begriff, was ihn bewegte, hatte er doch seinen früheren Chef in ähnlichen Situationen auf der Baustelle in Flakstad erlebt.

Er kannte an Fiete diese Haltung zu seiner Arbeit, das totale Engagement, über das er nichts kommen ließ, und in das er sich von niemandem hineinreden ließ, außer von Clarissa vielleicht. Fiete hielt den Projektentwurf noch einmal hoch, sodass jeder einen Blick auf ihn werfen konnte, danach legte er ihn wieder auf den Plotter. Als er seinen Blick auf die Kaffeemaschine neben dem Plotter gerichtet hatte, fragte er, ob jemand einen Kaffee trinken wollte, er müsste die Kaffeemaschine nur einschalten und Wasser auffüllen. Aber wieder war es Clarissa, die ihn korrigierte und darauf verwies, dass sie doch besser in das Cafe am Markt gehen sollten. Fiete nahm seiner Frau es nie krumm, wenn sie ihn von seinen Spontanvorhaben abbrachte, denn die waren wirklich oft zu unausgegoren, und Fiete war im Nachhinein eigentlich immer froh, dass er sich in dieser Hinsicht auf Clarissa stützen konnte, die immer den Überblick behielt und ihn sanft zu lenken wusste. Sie verließen den Laden in der Kirchenstraße wieder und liefen zum Markt, das Wetter war an diesem Pfingstsamstag sehr schön und die Menschen strömten geradezu auf den Wochenmarkt, auf dem sich Spargelstand an Spargelstand reihte. Solveig und Ole kannten einen Wochenmarkt von zu Hause, aber einen so großen Wochenmarkt mit Ständen, die Gemüse, Fleisch, Fisch, Käse, Backwaren, Blumen und was sonst noch alles anboten, den gab es auf den Lofoten nicht.

Sie schlenderten über den Markt und begutachteten das Angebot und die vielen Menschen. Schließlich kamen sie am Marktcáfe an und setzten sich in die Sonne, sie hatten Glück, einen freien Tisch zu bekommen, gerade waren vier Leute aufgestanden und hatten einen Tisch freigemacht.

„Das ist ja ein tolles Treiben hier auf dem Markt“, sagte Solveig, „so viele Menschen auf einen Haufen sieht man in Flakstad nur beim Stadtfest.“

„Wir kommen zwar gerade von Frühstückstisch, aber ein Stückchen Kuchen könnte ich schon vertragen“, sagte Clarissa, stand auf und forderte Solveig auf, mit ihr in den Laden zu gehen und Kuchen auszusuchen.

„Bringst Du mir ein Stück Kuchen mit, ich nehme das, was Du nimmst, Solveig“, rief Ole seiner Frau hinterher.

„Und Du, Fiete, willst Du auch ein Stück Kuchen?“, fragt Clarissa.

„Mir ist das noch zu früh, ich nehme keinen Kuchen“, antwortete Fiete. Als die Frauen wieder aus dem Laden nach draußen gekommen waren, sagte Clarissa, dass Solveig und sie Schwarzwälder Kirschtorte ausgesucht hätten, und im gleichen Augenblick kam die Bedienung und brachte ihnen die Tortenstücke.

„Das ist ja eine unglaublich große Kuchenauswahl in dem Cafe, so etwas gibt es bei uns nicht!“, sagte Solveig. Sie saßen längere Zeit vor dem Cafe und betrachteten das geschäftige Treiben auf dem Markt, sie redeten nicht viel, weil sie sich ganz in dem Betrachten der Szenerie verloren, bis Fiete aber schließlich vorschlug:

„Wenn wir mit dem Kaffeetrinken fertig sind, sollten wir ein paar Schritte durch den Ort laufen!“, und alle waren sie einverstanden.

„Ich denke, dass ich in den nächsten Stunden keinen Happen essen werde, so mächtig ist die Torte gewesen“, sagte Solveig und Ole pflichtete ihr bei. Anschließend standen sie auf und begannen einen kleinen Spaziergang durch Osterholz-Scharmbeck, sie ließen sich einfach dahintreiben und achteten nicht auf die Zeit, denn sie hatten keinen Druck im Nacken. Mit Rücksicht auf Solveigs und Clarissas Zustand wollten sie keinen Gewaltmarsch machen, sondern hielten sich im Ortszentrum auf, liefen an den Schaufenstern vorbei und setzten sich ab und zu auf eine Bank, um auszuruhen. Nach eineinhalb Stunden brachen sie ihren Spaziergang ab und fuhren wieder nach Hause. Solveig ließ anklingen, dass sie sich gerne eine Stunde hinlegen wollte, und so machten sie alle eine Nachmittagspause, in der sich jeder auf seinem Bett ausruhte. Das war etwas, das für Clarissa und Fiete sonst nie in Betracht kam, sie genossen aber beide die angenehme Entspannung und Fiete schlief sogar ein und musste nach einer Stunde von Clarissa wieder geweckt werden, sie selbst hatte während dieser Zeit gelesen. Als sie zusammen mit Fiete wieder ins Wohnzimmer zurückgelaufen war, kamen Solveig und Ole auch, und sie setzten sich alle hin, Fiete holte für jeden etwas zu trinken.

Sie begannen ein Gespräch über dieses und jenes und man merkte gleich wieder, dass sie auf der gleichen Wellenlänge lagen, was Probleme im Allgemeinen betraf oder bestimmte Alltagsphänomene. Ole fing an, über die verschiedenen Geschlechter und deren Bedeutung für das Leben zu zweit zu reden. Er sagte, dass es zwischen Solveig und ihm volle Gleichberechtigung geben würde, und er überhaupt keine Sinn darin sähe, die Rolle des Mannes überzubetonen, wie das viele täten.

„Das sind doch alles alte Kamellen, Fiete und ich leben auch in voller Gleichberechtigung und werden das wohl auch immer tun, ich finde, dass da auch Probleme herbeigeredet werden, die in Wirklichkeit so gar nicht existieren, jedenfalls nicht bei Menschen unseres Alters.“

„Es gibt aber doch Streit um die Rollenverteilung in der Ehe, das kann man nicht von der Hand weisen“, entgegnete Fiete.

„Ich glaube, dass Männerdominanz aus Minderwertigkeitskomplexen heraus gefordert wird, vielleicht war das in Zeiten, in denen es auf Körperkraft ankam, wenn man bestimmte Alltagsprobleme lösen wollte, ein Thema, dass dem Mann dann eine größere Bedeutung zukam als der Frau, aber das spielt doch heute wohl keine Rolle mehr“, führte Ole aus. Im Anschluss an ihr Gespräch über Geschlechterrollen kamen sie auf Erziehungsfragen zu sprechen und Solveig betonte, dass sie ihre Astrid so frei wie möglich erziehen wollte, und sie bekam in diesem Punkt Rückendeckung von Ole.

„Auch das ist ein Punkt, um den für meine Begriffe viel zu viel Wirbel gemacht wird, selbstverständlich sollte man seine Kinder frei erziehen, welchen Sinn sollte es denn machen, ihnen Gewalt anzutun?“, fragte Clarissa.

„Es gibt aber Situationen, in denen man als Eltern den Kindern gegenüber Gewalt anwenden muss, zum Beispiel, um sie vor Gefahren zu schützen, aber das ist dann für alle Beteiligten nachvollziehbar und dient nicht dazu, die eigene Person aufzuwerten“, meinte Solveig.

„Wenn mein Kind in ein tiefes Loch zu fallen droht, werde ich es mit all der Körperkraft, über die ich verfüge, schnappen und zurückreißen, und wenn es noch so schreit!“, sagte Fiete.

„Aber es geht in unserem Gespräch ja wohl um Fälle, in denen der Kindeswille Vorrang gegenüber dem Elternwillen haben soll, und da muss man abwägen, natürlich ist es eine Form von Gewalt, den Elternwillen durchzusetzen, das macht aber meistens auch Sinn und ist nicht immer für das Kind einsehbar“, so Ole.

„Es gibt Eltern, die auf einen ganz bestimmten Verhaltenskodex setzen und ihn ihren Kinder auch abverlangen, ob das Kind das nun einsieht oder nicht, und da muss man schon fragen, warum die Eltern so etwas tun“, sagte Solveig.

„Wir haben leicht reden und müssen erst einmal abwarten, wie sich die Situationen darstellen, wenn unsere Kinder auf der Welt sind und ihre Ansprüche durchsetzen wollen, ich finde, wir sollten uns dann noch einmal zusammensetzen!“, sagte Clarissa. Es war über das Gespräch schon später Nachmittag geworden, und Fiete schlug vor, dass er zusammen mit Ole Kuchen kaufen ging, während die Frauen Kaffee kochten. Gesagt, getan, Fiete und Ole standen auf und liefen zum Bäcker, und als sie die Bäckerei betreten und die Kuchenauswahl vor sich hatten, waren sie sich unschlüssig, klar war aber, dass sie keine mächtigen Tortenstücke kaufen wollten. Stattdessen nahmen sie für jeden zwei Hefeteilchen, liefen wieder zurück, und als die Frauen sahen, was sie gekauft hatten, sagte Clarissa, dass niemand zu viel von den Teilchen nehmen sollte, denn am Abend wollten sie wieder in den Worpsweder Bahnhof und dort essen.

„Ich finde, dass wir morgen die Sehenswürdigkeiten von Worpswede abklappern sollten, Solveig und Ole sollen schließlich mit einem guten Eindruck von unserem Künstlerdorf wieder nach Hause fliegen“, sagte Fiete.

„Morgen, am Pfingstsonntag, wird es zwar überall voll sein, aber ich glaube trotzdem auch, dass wir das machen sollten, so schnell kommt ihr beiden ja nicht wieder nach Worpswede!“

„Sag das nicht, vielleicht sind wir schon im nächsten Jahr wieder mit unserer Astrid bei Euch, wir wissen ja jetzt, wie wir fliegen müssen, und ein so großer Aufwand ist das gar nicht, nicht wahr Ole!“, Ole nickte und antwortete, dass im Sommer erst einmal Clarissa und Fiete auf die Lofoten kommen müssten:

„Danach sehen wir weiter, auf jeden Fall darf der Kontakt nicht abreißen!“

„Fahrt Ihr eigentlich öfter mal zu Euren Eltern nach Braunschweig bzw. Süderland?“, fragte Solveig.

„Das haben wir schon lange nicht mehr getan, und wir sollten uns eigentlich schämen, ich denke aber, dass wir so in drei Wochen alle, das heißt auch die Braunschweiger und Isolde und Jan mit Anhang nach Süderland fahren werden und dort 3 bis 4 Tage verbringen, jetzt, im Vorsommer, ist es auf Süderland besonders schön, es ist noch nicht ganz so heiß, wie es im Sommer werden kann und die Touristenströme wälzen sich noch nicht über die Insel, Clarissa und ich haben die besten Erinnerungen an meine Heimatinsel, wir haben uns dort schließlich kennen und lieben gelernt.“

„Ich weiß noch wie heute, wie Isolde, meine Schwester und ich von Süderland geschwärmt haben und dem Zeitpunkt, an dem wir mit den Eltern dorthin in Urlaub gefahren sind, entgegenfieberten, und als wir endlich da waren, verging die Zeit wie im Fluge“, erzählte Clarissa voller Wehmut.

„Aber Ihr habt Euch doch auch außerhalb der Urlaubszeit besucht?“, fragte Ole.

„Ich bin ein paarmal mit meinem Bruder Jan mit dem Intercity nach Hannover gerast und von dort mit einem Nahverkehrszug nach Braunschweig gefahren, in der Zeit, in der ich auf dem Internat in Esens gewesen bin und Clarissa das Gymnasium in Braunschweig besucht hat, haben wir in ständigem Email-Kontakt zueinander gestanden und Ihr beide habt Euch doch erst kennengelernt, als wir in Flagstad die Baustelle eröffnet haben, und die Arbeiter immer ins „Hansa“ zum Biertrinken gegangen sind!“, sagte Fiete zu Ole. Ole sah Solveig an, wie er das damals immer getan hatte, wenn Solveig hinter der Theke gestanden hatte und seinen Blick verliebt erwiderte.

„Ja, ich habe mich sofort in Solveig verliebt, sie ist von Anfang an meine Traumfrau gewesen und bis heute geblieben!“ Clarissa sah auf die Uhr und erwähnte, dass sie für 19.30 h einen Tisch im „Worpsweder Bahnhof“ reserviert hätte, alle sollten sie sich langsam fertigmachen und loslaufen:

„Eine Viertelstunde werden wir schließlich für den Weg brauchen.“ Alle standen sie auf und machten sich noch einmal kurz frisch, bevor sie das Haus verließen und sich auf den Weg zum Bahnhof machten, es war warm draußen, und es lag eine tolle Abendstimmung über dem Dorf.

Der „Worpsweder Bahnhof“ war zum Bersten voll, und es war gut, dass Clarissa einen Tisch reserviert hatte, sie wurden auch gleich zu ihrem Platz geleitet.

Wieder nahmen die Frauen Apfelschorle und die Männer Bier und Korn.

„Ich glaube, ich nehme heute wieder Spargel, der hat mit gestern so gut geschmeckt und Du Ole?“

„Ich nehme auch Spargel, wer weiß, wann ich den mal wieder bekomme!“ Clarissa und Fiete mussten nicht lange überlegen, sie nahmen auch Spargel und Fiete gab die Bestellung auf. Er hob sein Glas und sah sich genötigt, ein paar Worte zu sagen, was sonst gar nicht seine Art war:

„Liebe Freunde von den Lofoten, Clarissa und ich freuen uns riesig, mit Euch hier zusammen sein zu dürfen, auf dass unsere Freundschaft noch sehr lange anhält, prosit!“ Sie stießen miteinander an und tranken sich zu, als auch schon ihr Spargel serviert wurde, und sie zu essen anfingen, Solveig und Ole konnten gar nicht abwarten, von dem guten Spargel zu kosten. Sie saßen bis 22.00 h in dem Restaurant und liefen anschließend durch das Dorf nach Hause zurück, es war immer noch warm draußen, und es machte ihnen Freude, durch das Dorf zu spazieren. Zu Hause bei Clarissa und Fiete setzten sie sich noch hin und tranken etwas, den Frauen hatte Fiete wieder Apfelsaft und Sprudel geholt, Ole und er nahmen Bier und Schnaps.

Dennoch war Fiete noch nie ein großer Alkoholtrinker gewesen, er erinnerte sich noch an die Lofoten, wenn er manchmal den Weg vom „Hansa“ zu seiner Baracke zurück nur mit großer Mühe geschafft hatte. Daran hat sich seitdem auch nicht viel geändert, Fiete trank eigentlich zu Hause so gut wie nie und tat das an diesem Abend auch nur Ole zuliebe.

„Na, wie findet Ihr denn Euren Kurzurlaub so?“, fragte Clarissa Solveig und Ole. Solveig antwortete:

„Wir müssen uns morgen erst einmal Euer Künstlerdorf ansehen, bevor wir uns ein Urteil erlauben können, was wir bisher mit Euch erlebt haben, ist aber überaus gut gewesen!“ Sie waren müde von dem Treiben den ganzen Tag über und gingen um 22.30 h ins Bett. Sie schliefen sofort ein und wurden erst wieder wach, als jeder hören konnte, wie Fiete in der Küche herumhantierte. Es war 8.30 h, und er deckte den Frühstückstisch in der Hoffnung, dass Ole bald zu ihm stoßen würde, und er mit ihm Brötchen holen gehen könnte. Kurze Zeit später erschien tatsächlich Ole und wünschte Fiete einen guten Morgen.

„Bevor wir uns heute unsere Sehenswürdigkeiten ansehen, müssen wir uns richtig stärken, lass uns Brötchen holen gehen!!“, sagte Fiete, und die beiden machten sich auf zum Bäcker. Auf dem Rückweg sagte Fiete, dass es heute, am Sonntag, ein Ei gäbe und er jedem eins kochen würde, er hätte ein Händchen für gut gekochte Frühstückseier.

Die Frauen standen schon in der Küche und kochten Kaffee, als Fiete und Ole zurückgekehrt waren, alle wünschten sie sich eine guten Morgen und umarmten sich. Beim Frühstück fragte Clarissa:

„Womit sollen wir bei unserem Besichtigungsprogramm denn beginnen, ich habe mir natürlich schon Gedanken gemacht und überlegt, dass wir mit dem Niedersachsenstein anfangen sollten.“

„Dazu müssen wir auf den Weyerberg steigen, aber die Bezeichnung Berg ist übertrieben, der Weyerberg ist nur eine einfache Erhebung, und es ist nur ein leichter Anstieg, den wir bewältigen müssen“, meinte Fiete. Sie liefen nach dem Frühstück gleich los und bestiegen den Wyerberg, unterwegs machten sie mehrere Haltepausen, um den Blick auf das Künstlerdorf zu genießen. Es waren an dem Pfingstmorgen schon eine Menge Leute auf den Beinen, und Clarissa grüßte beinahe ununterbrochen, und als sie den Niedersachsenstein vor sich hatten, noch in einiger Entfernung, da machte er auf alle doch einen martialischen Eindruck. Er war eine im Jahre 1922 von dem Architekten Hoetger zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichtete expressionistische Großplastik mit dem Aussehen eines 18 Meter hohen Riesenadlers, ganz aus Ziegelstein. Die Plastik war die Einzige ihrer Art in Deutschland, und die vier liefen zu ihr hin und betrachteten sie von Nahem, sie liefen auf einem angelegten Weg um sie herum und schauten an ihr hoch.

Nach einer zu Füßen der Plastik eingelegten Entspannungspause liefen sie zum Barkenhoff hinunter, was plattdeutsch ist und auf Hochdeutsch Birkenhof heißt. Der Barkenhoff war Sitz der Worpsweder Künstlerkolonie und wurde 1895 von Heinrich Vogeler gekauft. Er hatte wechselvolle Zeiten durchlebt und war nach dem Ersten Weltkrieg Kommune und Abeitsschule Bis 1932 war er dann Kinderheim und danach Gartenbau- und Siedlungsschule. 1981 wurde der Barkenhoff der öffentlichen Hand übergeben und anschließend nach und nach in seinen alten Jungendstil-Zustand zurückversetzt. Fortan diente er als Museum und Ausstellungshaus, die angrenzenden Remisen dienten als Atelier für die Stipendiaten der Barkenhoff-Stiftung. Solveig und Ole standen lange vor dem Eingang des Barkenhoffs und genossen den schönen Blick auf die Zugangstreppe und das Haus. Anschließend spazierten sie gemütlich zum „Haus im Schluh“, wobei „Schluh“ so viel wie Sumpf bedeutet. Das „Haus im Schluh“ gehörte der ersten Frau Heinrich Vogelers, Martha und war ursprünglich eine Moorkate aus dem Moordorf Lüningsee, sie wurde mit Heinrich Vogelers Hilfe in den „Schluh“ versetzt.

Martha Vogeler zog mit ihren 3 Töchtern und ihrem Freund dort ein. Heute standen dort 3 reetgedeckte Häuser: das ehemalige Wohnhaus Marthas, die Handweberei, die 1937 aus Grasdorf in den „Schluh“ versetzt worden war und ein kleineres Haus, dass als Gästepension diente.

Die vier gingen in das Haupthaus und sahen sich die Heinrich-Vogeler-Sammlung an. Solveig und Ole bestaunten den sehr schönen Zustand des doch schon alten Gebäudes, das aber ja von der Gemeinde Worpswede in Schuss gehalten wurde. Sie liefen langsam wieder zurück und kamen zum „Cafe Worpswede“, einem sehr gut erhaltenen Backsteinbau, den der besagte Architekt Hoetger frei und ohne Bauplan hatte bauen lassen, und der deshalb den Namen „Cafe Verrückt“ bekam. Das Haus ist erst 2002 von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gekauft und in wichtigen Details saniert worden. 2008 fand die große Wiedereröffnung der Kunstschau Worpswede statt, und sie erfreut sich seitdem regen Zulaufs. Bei dem schönen Wetter war der Blick auf die eigenwillige Fachwerkkonstruktion einmalig, und die vier setzten sich draußen hin und ließen das Gebäude auf sich wirken. Unweit des „Cafes Worpswede“ lag die Zionskirche mit dem dazugehörigen Friedhof, der noch ein richtiger Kirchhof war und dennoch keine Beachtung fände, wenn auf ihm nicht 80 ehemalige Worpsweder Künstler beerdigt lägen, unter ihnen Fritz Mackensen und Pauls Modersohn-Becker. Clarissa ging mit der Gruppe zu dem Grabmahl von Paula Modersohn-Becker, dessen Grabskulptur der Architekt Hoetger geschaffen hatte.

Es war mittlerweile Nachmittag geworden und die vier hatten Kaffeedurst bekommen. Clarissa und Fiete schlugen vor, nach Hause zu gehen, dort Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen und ihre Besichtigung später fortzusetzen, womit Solveig und Ole einverstanden waren. Also liefen sie über die Osterholzer- und Finndorfstraße zurück zum Sophie-Böttger-Weg und nahmen von einer Konditorei auf dem Weg 4 Stücke Erdbeertorte mit Sahne und ein paar Teilchen mit. Zu Hause richteten die Männer draußen alles für ein Kaffeetrinken zurecht, legten Kissen auf die Stühle und deckten den Terrassentisch, und Fiete holte für Ole und sich einen Schnaps und sagte:

„Ich habe das letzte Mal mit Dir, wenn man mal von vorgestern und gestern absieht, im „Hansa“ in Flakstad Schnaps getrunken, und der ist mir nicht so gut bekommen, heute ist das anders, prosit!“ Fiete schenkte noch einmal nach, die Frauen kamen mit dem Kaffee und dem Kuchen nach draußen, und alle setzten sie sich an den Kaffeetisch.

„Für den Spätnachmittag habe ich eine Torfkahnfahrt zu „Tietjens Hütte“ vorgesehen, von dort laufen wir dann die Hamme entlang zurück bis zur „Hammehütte“ und essen dort zu Abend, ich schätzte, dass wir ungefähr eineinhalb Stunden laufen werden, ruht Euch vorher noch aus, damit Ihr ordentlich bei Kräften seid!“, kündigte Clarissa an. Alle legten sie sich nach dem Kaffeetrinken für eine Stunde hin, und Fiete schlief wieder ein, sodass Clarissa ihn im Anschluss wecken musste.

Nachdem Solveig und Ole auch wieder aufgestanden waren, gingen alle vor das Haus und stiegen in Fietes Wagen. Fiete fuhr am Worpsweder Bahnhof vorbei zur „Hammehütte“ und stellte sein Auto dort auf den Parkplatz. Dort stiegen sie aus und liefen zur Torfkahnanlegestelle auf die andere Straßenseite. Der Torfkahn lag am Ufer und wartete auf seine Passagiere, die aber nicht lange auf sich warten ließen. Als 12 Personen an Bord waren und auf den langen Holzbänken saßen, warf der Kapitän den Motor an und legte ab. Er machte die Maschine aber gleich wieder aus und setzte ein großes braun-rotes Segel, bevor er alle an Bord begrüßte, sich selbst vorstellte und begann, eine Geschichte über das Teufelsmoor, wie die Gegend um Worpswede hieß und das Torfstechen zu erzählen. Der Kahn, auf dem sie saßen, diente in der Torfstecherzeit dem Abtransport des Torfes, der nach Bremen gebracht wurde, und man konnte sich vorstellen, dass eine ganze Zeit verging, bis man mit seiner Fracht nach Bremen gelangte, denn es blies nicht immer ein starker Wind, und der Kahn dümpelte oft vor sich hin. Die ganze Atmosphäre an Bord hatte etwas Zünftiges, und um diesen Eindruck noch zu verstärken, schlug der Kapitän vor, dass alle in das Lied einstimmen sollten, mit dem er gleich einsetzte:

„Wo die Nordseewellen rauschen an den Strand...“, das passte zwar nicht so ganz, denn sie befuhren ein Binnengewässer, aber das spielte in diesem Augenblick keine Rolle.

Solveig und Ole schauten sich an, sie kannten natürlich das Lied nicht, sangen aber den Refrain mit. In den Hammewiesen wucherten Schilf und Gestrüpp in sattem Grün, auf dem Wasser schwammen Enten und Teichhühner, ab und zu konnte man einen Reiher in der Luft sehen, und es hatten sich auch Vögel in den Hammewiesen angesiedelt, die man früher nie dort gesehen hatte, wie zum Beispiel Kormorane. Nach etwas über einer Stunde Fahrt legten sie bei „Tietjens Hütte“ an und Solveig, Clarissa, Ole und Fiete verließen den Kahn wieder, Fiete gab dem Kapitän einen angemessenen Betrag für die Fahrt. Vor ihrem Rückmarsch zur „Hammehütte“ kehrten sie in „Tietjens Hütte“ ein und bestellten sich etws zu trinken, die Frauen wieder Apfelschorle und die Männer Bier und Korn. Nach ihrer kurzen Rast liefen sie los, immer die Hamme entlang, und sie waren guter Dinge. Sie liefen mit Rücksicht auf Solveig und Clarissa nicht sehr schnell, achteten aber darauf, dass sie vorwärts kamen und nicht trödelten. Es ließ sich in der Abendluft sehr schön gehen, es war warm, aber nicht mehr so schwül wie noch am Mittag, das Einzige, das störte, waren die Mücken, aber die wussten sie mit entsprechenden Handbewegungen zu verscheuchen.

Manchmal stiegen in unmittelbarer Nähe große Vögel auf und schrien scheinbar empört wegen der Störung, und die vier Wanderer erschraken dann regelmäßig, zeigten sich aber gleichzeitig erfreut darüber, solche Vögel überhaupt zu Gesicht bekommen zu haben. Nach den geplanten eineinhalb Stunden, die sie ohne Unterbrechung gelaufen waren, erreichten sie, doch leicht erschöpft, die „Hammehütte“. Sie kehrten sofort ein und bestellten Apfelschorle und Bier. Zunächst sagte niemand von ihnen etwas, als sich aber der erste Erschöpfungszustand gelegt hatte, meinte Ole:

„Die Torfkahnfahrt und die anschließende Wanderung waren einmalig, und Solveig und ich werden sie so schnell nicht vergessen, mich hat die kleine Wanderung ein wenig an unsere damalige Wanderung nach Nusfjord auf den Lofoten erinnert, wenn man die auch wegen der verschiedenen Landschaftstypen nicht vergleichen kann.“ Sie ließen sich die gleiche Getränkelage noch einmal kommen und die Speisekarte bringen. Es wurde auch dort Spargel angeboten, aber sie wollten auch einmal etwas anderes essen. Schließlich nahmen die einen Zanderfilet und die anderen Schnitzel, jeweils mit Salzkartoffeln und Salat.

Die „Hammehütte“ war gut gefüllt, quoll aber nicht über wie der „Worpsweder Bahnhof“. Es saßen viele dort, die ein Mobilheim auf dem Campingplatz gegenüber stehen hatten, und die Atmosphäre war sehr gelöst, man fühlte sich allgemein wohl.

Als sie gegessen hatten, saßen sie noch einen Zeit lang in der „Hammehütte“ und streckten ihre Glieder unter dem Tisch aus, denn sie waren an diesem Pfingstsonntag doch einiges zusammengelaufen. Fiete überlegte an einem weiteren Bier, wusste aber, dass er seinen Wagen vor der Tür stehen hatte und eigentlich nichts mehr trinken durfte. Clarissa sah ihm an, welche Bedenken ihn plagten und erklärte sich bereit, zurückzufahren. Fiete beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr zum Dank einen Kuss. Danach bestellte er noch einmal für die Frauen Apfelschorle und für Ole und sich Bier und Korn. Mit einem Mal holte einer der Gäste eine Ziehharmonika hervor und begann, Seemannslieder zu singen, und alle sangen mit, soweit sie die Lieder kannten, und es dauerte nicht lange, da wurde geschunkelt. Die Stimmung unter den Gästen war ausgelassen und Solveig, Claissa, Ole und Fiete hatten einen Heidenspaß. Fiete hatte sogar noch einmal Getränke bestellt, und er merkte auch schon leicht den Alkohol. Schließlich machten sie aber Schluss, zahlten und Clarissa fuhr sie alle nach Hause, wo sich jeder in einen Sessel fallen ließ und froh war, endlich einmal wieder weich und gemütlich sitzen zu können. Clarissa stellte wieder Nüsse, Salzstangen und andere Leckereien auf den Tisch, und Fiete kümmerte sich um Getränke.

Er selbst hatte aber bald genug, wie er an sich selbst merkte. Fiete hielt auch nicht mehr lange durch und ging wie die anderen kurze Zeit später ins Bett. Am Morgen des Pfingstmontag traf er, während er das Frühstück vorbereitete, Ole wieder in der Küche, und die beiden wünschten sich einen guten Morgen.

„Lass uns wieder zum Bäcker laufen und Brötchen holen!“, schlug Fiete vor, und sie machten sich auf den Weg und liefen bei herrlichstem Wetter durch das Dorf. Die Straßen waren noch wie ausgestorben, und man sah nur ganz vereinzelt Menschen, die wie sie schon auf den Beinen waren. Fiete und Ole gingen ganz gemächlich, weil sie wussten, dass es noch dauern würde, bis Clarissa und Solveig aufgestanden wären und Kaffee gekocht hätten. Mit einem Mal fragte Fiete Ole:

„Was hältst Du davon, wenn wir beide heute nach Borgstadt rausfahren, und ich Dir die Baustelle zeige, an der wir die Windkraftanlage errichten?“

„Das würde mich riesig interessieren, festzustellen, ob es dort genauso aussieht wie damals bei uns in Flakstad, ja, lass uns beide dorthin fahren, die Frauen werden sich schon zu beschäftigen wissen!“ Plötzlich legten sie bei ihrem Schritttempo zu, weil sie jetzt ein Tagesziel hatten, das sie vorwärtstrieb.

Sie holten schnell ihre Brötchen und eilten wieder nach Hause, Clarissa und Solveig standen schon in der Küche und kochten Kaffee.

Fiete und Ole begrüßten ihre Frauen und sie umarmten sich wieder alle. Fiete kochte jedem ein Ei, wie er das an Sonn- und Feiertagen immer tat. Sie setzten sich zum Frühstück nach draußen, das war das erste Mal in diesem Jahr, dass sie draußen frühstückten.

„Ole und ich werden im Laufe des Vormittags nach Borgstadt rausfahren, ich will ihm unsere Baustelle zeigen und Ole ist sehr daran interessiert, sie zu sehen“, sagte Fiete. Zunächst gab es von den Frauen gar keine Reaktion, schließlich entgegnete Solveig aber:

„Ich finde, das ist eine sehr gute Idee, fahrt Ihr nur nach Borgstadt, Clarissa und ich werden uns einen gemütlichen Tag machen, im Übrigen tut mir etwas Ruhe, wie ich glaube, ganz gut, es ist schon ganz in Ordnung, wenn ich heute einmal nicht so sehr herumlaufen muss!“ Clarissa schwang ganz auf Solveigs Linie ein und ergänzte:

„Wir beide werden dann so richtig relaxen, in der Sonne liegen und vielleicht heute Nachmittag Kaffee trinken gehen!“ Fiete bekam schon mit, wie Clarissa versuchte, den Ausflug nach Borgstadt durch ihre Ankündigung des Relaxens und Kaffeetrinkens noch zu toppen. Er beließ es aber dabei und rührte nicht weiter an dem Thema. Sie frühstückten ganz gemütlich in der Sonne und Fiete fuhr sogar die Markise heraus, damit sie Schatten hatten, denn die Sonne schien schon am Morgen sehr warm auf die Terrasse.

Sie saßen noch eine Stunde auf der Terrasse und Clarissa fragte, wann denn am nächsten Tag Solveigs und Oles Rückflug nach Oslo ginge. Ole antwortete:

„Unsere Maschine fliegt erst um 16.05 h, wir können also in aller Ruhe packen und es ganz gemütlich angehen lassen!“ Fiete und Ole räumten den Frühstückstisch wieder ab, und Fiete drängte plötzlich darauf, loszufahren. Sie verabschiedeten sich von den Frauen und Fiete teilte ihnen mit:

„Ich weiß noch nicht, wann wir wieder zurück sein werden, es kann sein, dass es später Nachmittag werden wird!“

„Nehmt Euch nur Zeit, und zeige Ole alles, was ihn interessiert, Clarissa und ich werden es uns hier gemütlich machen, Ihr braucht auf uns keine Rücksicht zu nehmen!“ Die beiden liefen vor das Haus und setzten sich in Fietes Wagen. Fiete fuhr los und steuerte in Richtung Stade, denn der kleine Ort Borgstadt lag einige Kilometer von Worpswede entfernt in dieser Richtung. Schnell hatten sie Worpswede hinter sich gelassen und fuhren durch das menschenleere Teufelsmoor, hin und wieder passierten sie verlassene Käffer oder Orte, in denen nur ganz wenige Alte lebten und bei denen man sich fragte, was die Menschen dort wohl den ganzen Tag über machten. Schließlich erreichten sie nach 20 Minuten Fahrt, in denen Fiete ordentlich Gas gegeben hatte, Borgstadt, ein unbedeutendes Nest, in dem aber die Gemeindeversammlung demokratisch darüber befunden hatte, den Ort mit Strom aus Windkraft zu versorgen.

Man wollte von dem Anbieter E.ON, den Fiete noch sehr gut kannte und bei dem er 3 Jahre lang gearbeitet hatte, unabhängig werden. Die Gemeindevertreter hatten von Fietes kleiner Firma in Osterholz-Scharmbeck gehört und unterstützen deren Vorhaben, kleine Stromabnehmer zu fördern und ihnen den Weg zu alternativen Energien zu öffnen. Vor dem Ort bog die Straße ab zu einer Endmoräne, die weit und breit die einzige Erhöhung in der Landschaft war und deshalb viel Wind hatte. Genau auf diese Endmoräne wollte Fiete mit seiner Firma die drei Türme seiner Windkraftanlage setzen. Nachdem er mit Ole dorthin gefahren und sie ausgestiegen waren, hatten die beiden einen wunderschönen Blick auf die Landschaft, die Endmoräne war zwar kein Berg, von dessen Gipfel man weit ins Land hinausschauen konnte, ihre 25 Meter ü.d.M. reichten aber aus, in der ansonsten flachen Umgebung auch weite Entfernungen überblicken zu können. Borgstadt lag zu ihren Füßen und die Einzelgehöfte, die den Ort ausmachten, scharten sich um eine mittelgroße Kirche, die das Ortszentrum bildete und der Anlaufpunkt für die Ortsbewohner war. Auf der Endmoräne, die den Namen „Die Heist“ trug, war eine große Baustelle mit einem Zaun aus Baustahlmatten abgetrennt, und man konnte dort 3 Betonfundamente mit jeweils 12 herausragenden Gewindestangen erkennen, auf die die ersten Bauelemente schraubt werden würden.

„Das erinnert mich doch alles sehr an unsere Baustelle in Flakstad, es fehlt nur das Meer“, schwärmte Ole und lief auf eines der Fundamente, die tief in der Erde lagen, um den Türmen der Windkraftanlage auch den nötigen Halt geben zu können. Mit einem Mal ertönte eine sehr laute und zornige Stimme:

„Was machen Sie denn da auf der Baustelle, können Sie nicht lesen?“, und die Person, zu der die Stimme gehörte wies auf das Baustellenschild, auf dem geschrieben stand:

„Betreten der Baustelle verboten, Eltern haften für ihre Kinder“. Fiete lief auf die Person zu und erkannte in ihr sofort den Gemeindevorsteher, mit dem er lange Gespräche über die Windkraftanlage geführt hatte, und der Gemeindevorsteher erkannte Fiete dann auch.

„Herr Kleen, ich habe Sie zuerst gar nicht erkannt“, und er reichte Fiete seine Hand zum Gruß. Fiete stellte Ole als seinen alten Arbeitskollegen von den Lofoten vor und erklärte, dass er ihm einmal die Baustelle zeigen wollte, sie hätten auf den Lofoten eine ganz ähnliche Anlage gebaut, nur wäre die bedeutend größer gewesen. Björn Dicksen war der Name des Gemeindevorstehers, und er lief mit den Besuchern die Baustelle ab.

„Wir haben diese Stelle für unser Windkraftwerk ausgesucht, weil hier oben immer genug Wind weht, um die Rotoren anzutreiben!“

„Woher stammen denn die Bauteile?“, fragte Ole und Fiete antwortete, dass er in Verbindung mit einer Hamburger Firma stünde, die die Bauteile, die er in Abhängigkeit vom Baufortschritt brauchte, anlieferte.

„Wenn alles gutgeht, fangen wir übermorgen mit der Montage der Türme an!“

„Wenn Sie etwas Zeit haben, können Sie doch mit zu mir nach Hause kommen, ich zeige ihnen Borgstadt, und wir setzen uns ein wenig bei mir hin“, schlug Björn Dicksen vor.

„Sehr gern!“, antwortete Fiete, „ich will meinem norwegischen Freund nur noch erklären, wie das mit den Türmen vonstattengehen wird!“ Fiete lief zu einer Art Lagerplatz vor und sagte, dass das der Ort wäre, an dem die Bauteile gelagert werden würden, der mobile Kran würde die Bauteile abholen und auf die entsprechende Höhe hieven. Mehr brauchte er Ole nicht zu erklären, den Rest kannte er noch von der Baustelle auf den Lofoten und Ole erläuterte Björn Dicksen:

„Ich war Vorarbeiter in der Baugruppe und hatte mit der Bauteilmontage zu tun, von daher weiß ich ganz genau, wie die Arbeit hier ablaufen wird, wir hatten auf den Lofoten manchmal mit schlechtem Wetter zu kämpfen, ich denke dass das hier kein Problem sein wird!“ Daraufhin verließen die Männer den Bauplatz wieder und Fiete schloss den Zaun, Björn Dicksen fuhr in seinem Wagen vor und Fiete und Ole folgten ihm.

Sie erreichten nach 2 Minuten Borgstadt und parkten vor Björn Dicksens Haus, stiegen aus, und der Gemeindevorsteher schlug vor, dass sie in paar Schritte in den Ort machen sollten. Im Nu standen sie neben der Kirche und im Zentrum des Ortes, in dem es auch den „Dorfkrug“ gab, eine Kneipe, wie sie jeder Ort hatte, wenn er genügend Einwohner hatte, die auch mal ein Bier trinken gingen. Es gab vor der Gaststätte sogar einen Außenbetrieb mit Bedienung und die drei setzten sich dorthin. Björn Dicksen grüßte in die Runde, denn schließlich kannten ihn alle, die dort saßen, und er kannte jeden seiner Dorfbewohner. Er war sehr beliebt und würde das Amt des Gemeindevorstehers wohl noch viele Jahre lang ausüben, weil ihn die Einwohner von Borgstadt immer wieder wählten, und es zu ihm keine Alternative gab.

Als der Ober zu ihnen an den Tisch kam, grüßte auch er den Gemeindevorsteher und Björn Dicksen sagte nur:

„Drei Bier, drei Korn!“, und der Ober verschwand, um die Getränke zu holen.

„Meinen Sie wirklich, dass wir zu dieser frühen Tageszeit schon Bier und Schnaps trinken sollten?“, fragte Fiete den Gemeindevorsteher und der antwortete:

„Wir haben schon Mittag, und bei uns ist ab 10.00 h Bierzeit, im Übrigen heiße ich Björn und finde, dass wir uns duzen sollten!“, und er reichte zuerst Fiete und danach Ole die Hand. Nachdem der Ober ihnen das Bier und den Schnaps hingestellt hatte, nahm Björn seinen Korn, sah seinen Mittrinkern in die Augen und sagte:

„Auf unsere Freundschaft!“, und alle tranken ihren Korn ex. Björn erzählte, wie er in der Gemeindeversammlung immer die Werbetrommel für die Windkraftanlage gerührt hätte und zuerst auf den erbitterten Widerstand der beteiligten Landwirte gestoßen wäre. Die Landwirte waren von Hause aus sehr konservativ und verschlössen sich deshalb Neuerungen gegenüber sofort. Als er ihnen aber klargemacht hätte, dass sie mit dem ihnen gehörenden Windkraftwerk eigenen Strom erzeugen würden, der auf Dauer viel billiger wäre, als der Strom, den sie heute von E.ON bezögen, brach die Ablehnungsfront doch zusehends, und heute stünden alle hinter ihm.

„Das habe ich auch Dir zu verdanken, Fiete, Du hast mich auf den Gemeindeversammlungen immer fachlich kompetent unterstützt und einen Großteil dazu beigetragen, die Landwirte schließlich zu überzeugen, sicher kommen in der Finanzierungsphase, in der die Landwirte aber vom Land Niedersachsen unterstützt werden, hohe Kosten auf sie zu, die amortisierten sich aber nach zehn Jahren, und danach wirtschaftet jeder in die eigene Tasche, denn sie können überflüssigen Strom ins Netz einspeisen und verkaufen.“

„Hat es denn niemanden gegeben, der ökologische Bedenken geltend gemacht hat?“, fragte Ole.

„Am Anfang hat es eine Gruppe von Umweltaktivisten gegeben, die ihre Stimmen gegen die Windkraftanlage erhoben haben, sie würde die Landschaft verschandeln, wäre eine Gefahr für ziehende Vögel und von den Rotoren gingen störende Brummgeräusche aus, die Aktivisten blieben aber in der Minderheit und verloren mehr und mehr an Einfluss, besonders, nachdem den Landwirten klar geworden war, welche finanziellen Vorteile die Anlage für sie haben würde.“ Sie bestellten noch drei Bier und drei Korn und Fiete merkte, dass er unbedingt etwas essen musste, sonst wäre er gleich betrunken. Björn schlug vor, gleich zu ihm zu Grill zu gehen, seine Frau würde sich sicher freuen, wenn er mit so nettem Besuch nach Hause käme. Also zahlten sie und liefen zu Björn, er wohnte in einem der schönen Dorfhäuser, das in seinem Kern sehr alt war, und das er nach und nach modernisiert hatte. Das Haus hatte ein Reetdach, für dessen Instandhaltung er immer teure Handwerker kommen lassen musste, aber das war Björn das gute Aussehen seines Hauses wert.

Sie gingen gleich durch das Haus nach hinten auf die Terrasse , wo Björns Frau dabei war, Blumen in eine Vase zu stellen und Björn stellte seine Gäste vor. Seine ausgesprochen hübsche Frau stellte sich ihnen als Karin vor und war sehr angetan von Fiete und Ole.

„Ihr habt also damit zu tun, dass bei uns ein Windkraftwerk errichtet wird?“, fragte Karin und wusste zunächst nicht, wen von den beiden fremden Männern sie dabei ansehen sollte. Schließlich antwortete Fiete aber:

„Ja, meine Firma hat von Eurer Gemeinde den Auftrag bekommen, und wir werden übermorgen mit der Montage der Bauteile beginnen.“ Ole fügte hinzu, dass er Fietes Freund von den Lofoten wäre und dort mit ihm ein noch größeres Windkraftwerk gebaut hätte.

„Ich werde mich mal um den Grill kümmern, wenn von Euch jemand helfen will, kann er mit anfassen oder die Grillkohle nach vorne tragen!“, sagte Björn zu Fiete und Ole. Beide liefen sie mit Björn zu seinem Schuppen im hinteren Teil des Gartens und fassten mit an. Fiete trug mit Björn den Grill zur Terrasse und Ole nahm den Sack mit der Holzkohle. Björn lief noch einmal zum Schuppen und holte dort kleingehacktes Holz, das er im Grill um einen Papierknubbel zeltartig aufstellte, anschließend steckte er das Papier an. Im Nu brannte das sehr dünn gehackte und trockene Holz, und Björn gab ein wenig von der Holzkohle auf das Feuer. Nachdem die Holzkohle beinahe glühte, gab er noch einen ganzen Schwung aus dem Sack dazu.

In der Zwischenzeit war Karin in die Küche gelaufen und hatte von dort die Grillsachen geholt: Fleisch, Soßen, Baguette und einen schon vorbereiteten Kartoffelsalat. Björn lief noch einmal ins Haus und besorgte Getränke, Weißwein für Karin und Bier und Korn für die Männer, ein feuchtfröhlicher Nachmittag in Borgstadt nahm seinen Anfang. Karin legte Fleisch auf den Grill und es war schnell durch, jeder nahm sich ein Stück und legte auch etwas von dem Kartoffelsalat und dem Brot auf seinen Teller. Björn nahm sein Korngläschen und hielt es zum Anstoßen hoch, alle stießen sie mit ihm an und er sagte:

„Ich freue mich, mit meiner Frau und Euch hier zu sitzen und mit Euch essen und trinken zu können!“, und die drei kippten den Korn weg wie Wasser. Fiete merkte langsam, wie alkoholbedingt eine Hitze in ihm aufstieg, und er nahm sich vor, kürzer zu treten. Aber Björn schenkte sofort wieder nach, und als er Fiete und Ole zum Trinken aufforderte, bat Fiete um eine kleine Pause, weil er, wenn er so weiter tränke, schnell betrunken wäre. Ole hielt mit Björn aber mit, er war ein schnapserprobter Norweger und konnte einiges vertragen. Björn kam langsam auf Touren und fing an zu erzählen, wie er die Gemeindeversammlungen erlebt hatte, in denen es um die Windkraftanlage ging. Da hätte sich so mancher doch sehr hervorgetan, sein Vieh würde auf der Weide scheuen, weil es sich vor den großen Rotoren fürchtete.

Andere hätten ins Feld geführt, dass sie wegen der Rotorengeräusche nicht schlafen könnten. Das wäre alles noch in der Anfangsphase gewesen, als sich die Umweltaktivisten noch Gehör verschaffen konnten und einige von den skeptischen Landwirten auf ihre Seite zu ziehen wussten.

„Wie habe ich gegen die Skeptiker angekämpft und sie erst überzeugen müssen, indem ich die finanziellen Vorteile auflistete!“ Björn war inzwischen nicht mehr nüchtern und seine Stimme war sehr laut geworden, so laut, dass Karin ihn auffordern musste, sich zurückzuhalten, damit die Nachbarn nicht durch ihr Gespräch gestört würden. Aber Björn steigerte sich immer weiter in seine Erregung hinein, und er wurde auch nicht leiser. Er unterbrach seinen Redefluss nur, wenn er seine Bierflasche oder sein Korngläschen zum Mund führte. Karin merkte, dass sie nicht gegen ihn ankam und hörte am Ende auf, ihre Stimme gegen ihren Mann zu erheben, weil Björn auch immer betrunkener wurde, und Karin wusste, dass sie ihn in diesem Zustand nicht beeinflussen konnte. Fiete, der inzwischen wieder mit trank, neigte sich einem Zustand zu, in dem er für nichts mehr garantieren konnte, und auch Ole hatte das Plansoll längst erreicht, er war aber noch Herr seiner Sinne.

Das Besäufnis, zu dem ihr ursprünglich gemütliches Zusammensein auf der Terrasse entartet war, nahm ein plötzliches Ende, als Björn seinen letzten Korn auf die Terrasse fallen ließ und auf seinem Platz einschlief. Fiete torkelte ins Haus, in das sich Karin zurückgezogen hatte, und es war ihm peinlich, seiner Gastgeberin in einem solchen Zustand gegenüberzutreten. Er bat Karin, ihn und Ole nach Worpswede zu bringen, er würde seinen Wagen am nächsten Morgen wieder abholen kommen. Karin ging mit Fiete nach draußen und sah nach Björn, sie fand, dass man ihn so auf seinem Stuhl nicht eine Stunde lang allein lassen dürfte, und Karin bat Fiete und Ole, mit anzufassen, Björn ins Wohnzimmer zu tragen, und ihn auf die Couch zu legen. Anschließend fuhr Karin ihren angeheiterten Besuch nach Worpswede zurück, sie wartete noch vor Fietes Haus in ihrem Wagen, bis die Tür geöffnet wurde und Fiete und Ole hineintorkelten, bevor sie wendete und wieder nach Borgstadt zurückfuhr. Natürlich war die Begrüßung durch Clarissa und Solveig nicht sehr angenehm:

„Ihr seid ja vollkommen betrunken!“, rief Clarissa voller Bestürzung aus, und auch Solveig war außer sich, ihren Ole so zu sehen:

„In welcher Kneipe habt Ihr Euch denn herumgetrieben?“ Aber die beiden Männer sahen sich außer Stande, ihren Frauen eine verständliche Antwort zu geben. Alles, was Fiete hervorbrachte, war:

„Bett, Bett!“, und Clarissa und Solveig stützten ihre Männer und brachten sie zu ihren Betten, sie zogen ihnen Schuhe und Hosen aus und legten sie hin. Die beiden schliefen sofort ein, und Ole schnarchte so laut, dass man ihn beinahe noch draußen hören konnte. Die beiden Frauen hatten sich darauf gefreut, mit ihren Männern draußen essen zu können, denn Clarissa und Solveig hatten gekocht, es hätte Wild mit Kartoffelknödeln und Salat gegeben. So mussten sie sich allein an ihr Essen machen und waren leicht sauer auf ihre Männer.

„Ich habe meinen Fiete noch nie so betrunken gesehen, sicher war er schon mal leicht angeheitert, aber noch nie hatte er solche Ausfallerscheinungen!“

„Ole ist auch kein Säufer, er trinkt ganz gern mal einen, aber nie so viel, dass er sich nicht mehr kontrollieren kann!“ Die beiden setzten sich mit den guten Sachen, die sie zubereitet hatten, nach draußen und aßen, ihr Zorn auf ihre Männer legte sich dann doch wieder schnell. Clarissa fror das übriggebliebene Essen ein, es war noch so viel, dass sie mit Fiete noch lange davon essen könnte, vielleicht würde sie auch Leute zum Essen einladen. Die Frauen waren den ganzen Tag über mit sich allein gewesen, und es fehlte ihnen beinahe der Gesprächsstoff, um den Abend zusammen bestreiten zu können, sie hatten natürlich bevorzugt das Thema Kinder durchexerziert. Als sich ihre Männer den ganzen Abend nicht rührten, gingen sie um 21.00 h schlafen.

Am nächsten Morgen war alles wieder normal, die Männer hatten zwar einen dicken Kopf, waren aber sonst guter Dinge. Die Frauen hatten nicht besonders gut geschlafen, das lag bei Solveig daran, dass Ole so laut geschnarcht hatte, sie aber auch nicht sehr müde gewesen war, und Clarissa war auch nicht müde genug, um fest zu schlafen. Beim gemeinsamen Frühstück draußen war aber alles vergessen, die Männer hatten Brötchen geholt und die Frauen Kaffee gekocht. Clarissa brachte die Sprache aber doch noch einmal auf den Vortag und wollte wissen, wo und mit wem sich die Männer so betrunken hatten. Fiete erzählte dann von ihrem Besuch bei Björn, dem Gemeindevorsteher von Borgstadt und dem Grillen mit dessen Frau zusammen bei ihnen zu Hause.

„Du musst mir gleich mal Deinen Wagen leihen, Ole und ich müssen noch einmal nach Borgstadt und bei Björn meinen Wagen holen, den habe ich dort stehen gelassen!“, bat Fiete seine Frau. Und nachdem sie eineinhalb Stunden draußen gefrühstückt und in der warmen Sonne gesessen hatten, räumten die Männer den Tisch ab und fuhren danach noch einmal mit Clarissas Wagen nach Borgstadt. Als sie an der Endmoräne angekommen waren, bat Ole Fiete darum, doch noch einmal zu der Baustelle abzuzweigen, und er fragte Fiete dort:

„Wenn Ihr morgen anfangen wollt, wann werden denn dann Eure Bauteile geliefert?“ Sie standen vor dem Zaun neben dem Lagerplatz und Fiete antwortete, dass das den ganzen Morgen über geschehen würde. Die Bautrupps würden schon um 8..00 h eintreffen und dabei helfen, die Bauteile zu lagern und den Kran zu montieren. Fiete wusste nicht, ob sie schon dazu kommen würden, die ersten Bauteile auch auf die Fundamente zu setzen. Sie hielten sich nur sehr kurze Zeit an der Baustelle auf und Ole sagte:

„Ich wollte eigentlich nur noch einmal einen Blick auf die Baustelle werfen!“ Danach fuhren sie nach Borgstadt zu Björns Haus, sie schellten und Karin öffnete die Tür.

„Na, wieder nüchtern“, fragte sie die beiden, „Björn ist leider nicht zu Hause, soll ich ihm etwas ausrichten?“

„Lass das nur, Karin, ich bin ja ab morgen jeden Tag auf der Baustelle und werde Björn dort sicher antreffen!“, und Fiete gab Karin eine Schachtel Pralinen, die er von zu Hause mitgenommen hatte. Danach verabschiedeten sich die beiden von Karin und bedankten sich noch einmal für das leckere Grillessen am Vortag. Fiete stieg in seinen Wagen und Ole fuhr in Clarissas Wagen hinterher nach Worpswede zurück. Dort angekommen setzten sich die Männer noch einmal auf die Terrasse, Clarissa kam zu ihnen und sie tranken gemeinsam noch eine Tasse Kaffee.

Als Solveig ihre Sachen in ihren Trolley gepackt hatte, kam sie und setzte sich auch noch zu ihnen. Um 13.00 h gab es Brote mit Auflage, und um 14.00 h sagte Fiete, dass sie langsam los müssten. Solveig und Ole standen auf und umarmten und drückten Clarissa zum Abschied:

„Achte auf Dich während Deiner Schwangerschaft!“, sagte Solveig zu ihr und hatte Tränen in den Augen, und auch Ole war nicht weit davon entfernt, zum Abschied zu weinen.

„Danke für alles, es war sehr schön bei Euch!“

„Seht zu, dass Ihr im August zu uns kommt, Ihr wisst ja, wie man auf die Lofoten fliegt, wir freuen uns schon sehr auf Euch!“, sagte Solveig. Ole nahm den Trolley und zog ihn zum Auto hinter sich her, er legte den Koffer in den Kofferraum und Fiete startete den Motor. Solveig und Ole winkten, was das Zeug hielt, und Clarissa stand vor ihrem Haus und winkte zurück. Sie hatte, genau wie Fiete, den Dienstag nach Pfingsten freigemacht, und die beiden würden am nächsten Tag wieder durchstarten. Als Fiete mit Solveig und Ole abgefahren war, ging Clarissa wieder ins Haus und räumte ein wenig auf, anschließend ging sie auf die Terrasse und legte ihre Beine hoch. Fiete kam gut bis Hamburg durch, lediglich vor dem Elbtunnel mussten die drei eine Viertelstunde im Stau stehen, der löste sich dann aber schnell wieder auf. Um 15.30 h waren sie in Fuhlsbüttel am Flughafen, die Zeit war zu knapp, um sich noch hinzusetzen und Kaffee zu trinken.

Stattdessen gab Ole den Trolley auf und sie liefen zum Gate, wo sie sich noch eine Weile in die Sessel setzten und unterhielten. Sie sprachen über die Zukunft, und dass sie doch alle zusammen einmal in Urlaub fahren sollten. Aber bis dahin würde noch einiges an Zeit vergehen, und sie dachten erst einmal an den Augustbesuch von Clarissa und Fiete auf den Lofoten. Dann ertönte auch schon der Aufruf zum Boarden und Fiete drückte und umarmte Solveig und Fiete zum Abschied. Die beiden drehten sich noch einmal um, bevor sie den Raum zu ihrer Maschine verließen. Fiete stand allein am Gate und dachte, dass die Zeit mit Solveig und Ole doch sehr schnell vergangen war.

Clarissa und Fiete IV

Подняться наверх