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Clarissas zweiter Süderlandurlaub

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Clarissas zweiter Urlaub auf Süderland war angebrochen und ihre Familie war schon sehr vertraut mit den sie umgebenden Umständen auf der Insel. Wie auch schon beim ersten Urlaub, so stellte sich von Anbeginn an herrlichstes Sommerwetter ein, es war warm, die Luft war voller Blütenduft, und es wehte ein leichter Wind, der aber nur die warme Luft verteilte und es nicht schaffte, Abkühlung zu bringen. Das Dorf auf der Insel lag in tiefster Sommerruhe, niemand hatte auch nur den Hauch einer Erinnerung an den strengen vergangenen Winter, in dem das Meer Eisschollen auf den Strand geworfen hatte.

Die Fähre, die von Herrn Kleen gesteuert wurde, brachte Heerscharen von Touristen auf die Insel, die alle darauf aus waren, einen angenehm entspannten Strandurlaub zu verleben, und dazu eignete sich Süderland hervorragend. Auch Bubenhäusers waren aus diesem Grund das zweite Mal auf der Insel, sie hatten ein sehr herzliches Verhältnis zur Familie Kleen entwickelt, ihrer Gastfamilie, bei der sie zwei gemütliche Zimmer für sich und ihre beiden Töchter Clarissa und Isolde gemietet hatten. Bubenhäusers hatten sich im Dorf Fahrräder geliehen, Peter Hansen hatte den Fahrradladen und konnte in seinem PC noch die Räder vom letzten Jahr ausfindig machen, die Räder der Mädchen mussten auf deren neue Maße eingestellt werden, die der Erwachsenen konnten bleiben, wie sie waren. Sie gingen gleich an ihrem ersten Urlaubstag zum Strand, und Herr Bubenhäuser mietete, wie schon im letzten Urlaub auch, einen Strandkorb, der ihr Hauptaufenthaltsort während des gesamten Urlaubes sein würde. Fiete und Jan, die Jungen der Kleens, begleiteten die Bubenhäusers immer zum Strand, Clarissa war Fietes Freundin, wenn man das so sagen durfte, sie hatten sich beide im letzten Urlaub kennen und schätzen gelernt. Fiete hatte Clarissa in ihrer Heimatstadt Braunschweig besucht und Clarissa war im März zu Fietes Geburtstag auf die Insel gekommen, das lag erst einige Monate zurück. Bubenhäusers hatten ihr Beachballspiel mit zum Strand genommen, das sie im letzten Urlaub auf der Promenade gekauft hatten.

Schnell spielte sich ihr Strandrhythmus ein, sie gingen ins Wasser, trockneten sich ab, cremten sich ein, gingen eine Runde Beachball spielen und lagen faul am Strandkorb. Clarissa, Isolde, Fiete und Jan verabschiedeten sich gelegentlich von den Eltern der Mädchen und ließen sie am Strandkorb liegen. Sie gingen auf die Promenade oder ins Dorf zum Eisessen, sie liebten es, auf dem Dorfplatz vor der Eisdiele zu sitzen und die Leute zu beobachten, wie sie mit ihren Kindern dort entlangspazierten oder sie beobachteten, wie die Kinder ihre Bötchen auf dem Teich fahren ließen, die die benötigten Batterien bei Anna Barkhusen kauften, deren Laden gleich nebenan lag. Fietes Freunde aus dem Dorf, Hauke, Hein, Thomas und Peter kamen oft vorbei und setzten sich zu ihnen. Sie bestellten sich dann ein gemischtes Eis mit Sahne und Krokantsplittern, wie sie das schon im Urlaub des vergangenen Jahres immer getan hatten. Sie hatten damals vieles gemeinsam unternommen und würden das auch in diesem Jahr wieder tun, sie träfen sich abends nach dem Essen immer im Dorf oder bei Kleens und fuhren mit den Rädern über die Insel. Clarissa und Isolde waren von Sommergefühlen eingenommen, es war auf Süderland so, wie sie es sich die ganze Zeit zu Hause in Braunschweig erträumt hatten, sie fühlten sich zusammen mit ihren alten Kumpanen sehr wohl. Clarissa feierte in einer Woche ihren zwölften Geburtstag und hatte die Absicht, genauso wie im letzten Jahr ein kleines Kaffeetrinken zu geben, sie würde dazu mit den Kleens, den Jungen aus dem Dorf und Oma und Opa Stevens, die ihr Haus in Steinwurfweite von der Eisdiele entfernt hatten, im Hof sitzen und feiern. In der Eisdiele fragte Hauke Clarissa:

„Was hast du die ganze Zeit über in Braunschweig getan?“ und Clarissa antwortete:

„Da gibt es nichts Besonderes zu erzählen, ich freue mich schon auf das Gymnasium, das ich nach den Sommerferien besuchen werde.“ Auch die Jungen würde von der Inselschule auf das Gymnasium wechseln, sie müssten auf das Internatsgymnasium nach Esens. Neunzig Prozent aller Schüler des Internatsgymnasiums kamen von den Nordseeinseln. Doch bis zum Ende der Sommerferien hätten sie noch fünf Wochen Zeit, und niemand wollte sich ernsthaft in dem Moment Gedanken über die Gymnasialzeit machen. Abends kamen Oma und Opa Stevens zu Kleens, und man saß gemütlich im Hof mit ihnen zusammen und trank Bier, Wein und Limonade. Herr Kleen war längst von seiner Fähre zu Hause und trank mit Herrn Bubenhäuser und Opa eine Flasche Bier. Anfangs hatte Herr Bubenhäuser immer aus dem Glas getrunken, bis er sich dem Brauch, Bier aus der Flasche zu trinken, anschloss. Über den schrecklichen Winter, der zum Jahresbeginn geherrscht, und der allen zu schaffen gemacht hatte, verloren sie kaum ein Wort, sie freuten sich über den angenehmen Sommerabend bei Kleens. Die Kinder kamen von ihrer Tour über die Insel nach Hause, sie waren mit den Jungen aus dem Dorf zum Fähranleger gefahren und hatten sich dort hingesetzt, mit einbrechender Dämmerung fuhren sie zurück und sagten den Jungen Tschüss.

Sie brachten ihre Räder auf den Hof und setzten sich zu den anderen. Bei Ckarissa und Isolde hatte sich das Gefühl auf der Insel zu etwas verdichtet, was nur verglichen werden konnte mit einem Gefühl des Schon-ewig-da-Seins, des Dazugehörens. Mit einer Selbstverständlichkeit ohne gleichen gingen die Mädchen in die Küche und holten sich Getränke aus dem Kühlschrank, sie fragten gar nicht erst, ob sie das dürften und wurden auch nicht sonderlich dabei beachtet. Am nächsten Tag wollten alle Kinder mit den Rädern nach Osterhalen fahren, sie würden sich um 10.00 h auf dem Dorfplatz treffen. In der Nacht ließen alle ihre Fenster offenstehen, um die gute Luft ins Zimmer zu lassen.

„Die Luft ist einzigartig“, wie Clarissa und Isolde dachten, „sie ist würzig und warm, so wie es sie in Braunschweig nie gibt, sie umschmeichelt einen, wenn man im Bett liegt.“ In den warmen Sommermonaten roch die gesamte Vegetation auf der Insel, die Hagebutten und die Hecken aus Buschrosen verströmten einen unvergleichlichen Duft, der zu der Insel gehörte wie das Watt und der Strand, es war ein liebliches süßes Gemenge aus wohltuenden Aromen, wie man sie nirgends sonst riechen konnte. Am Morgen gingen Clarissa und Fiete zu Lorenzen Brötchen holen, die Bäckersfamilie begrüßte Clarissa, als wäre sie die zurückgekehrte verlorene Tochter.

Auf dem Weg zu Kleens hielten sie beide die Brötchentüte und mussten aufpassen, dass sie nicht zerriss, Fiete nahm die Tüte an sich und hielt Clarissas Hand, sie schaute in an und lächelte. Bei diesem Lächeln schmolz Fiete fast dahin, Clarissa zeigte ihre Grübchen, wenn sie lächelte und ihre Augen bekamen etwas Warmes. Sie trafen nach dem Frühstück die Jungen im Dorf und fuhren zum Flughafen, wo sie den Bediensteten trafen, sie grüßten ihn, und er fühlte sich an die Kinder erinnert, als sie im letzten Jahr den Einbrecher zur Strecke gebracht hatten. Die beiden Mädchen und die Jungen fuhren weiter nach Osterhalen und legten ihre Räder oberhalb des Strandes auf den Weg. Sie rannten barfuß auf den Wildstrand und schreckten einige Vögel hoch, die dort zwischen den Strandhaferbüscheln gesessen und nach etwas Essbarem gesucht hatten. Clarissa forderte alle auf, den Kleinmüll aufzuheben, der dort lag und ihn in Haukes Rucksack zu stecken. Hauke musste somit sein Butterbrot und sein Trinkpäckchen aus dem Rucksack holen, die anderen hatten gar nichts zu essen mitgebracht. Der Rucksack war im Nu gefüllt, und es lag immer noch eine Menge von dem Kleinzeugs herum, das die Tiere verschluckten, und das bei ihnen Darmverschlingungen verursachen konnte, woran sie elendiglich zu Grunde gingen. Sie setzten sich alle in den Sand und blickten zur Seehundbank hinüber, sie konnten sehen, wie die Tiere faul in der Sonne lagen und es sich gut gehen ließen.

Clarissa erinnerte sich an den Heuler, den sie im letzten Jahr an der Stelle gefunden und zur Aufzuchtstation nach Friedrichsdorf hatten bringen lassen. Wie es ihm wohl erginge, fragte Clarissa und Isolde sagte:

„Das werden wir mit Sicherheit nie erfahren, ich glaube aber, dass es dem kleinen Kerl, der inzwischen zu einem großen Seehund herangewachsen sein dürfte, unter seinesgleichen bestimmt gut geht.“ Nach einer Zeit standen sie alle wieder auf, liefen zu ihren Rädern und fuhren ins Dorf, wo sie sich vor Anna Barkhusens Laden auf die Bänke setzten. Clarissa und Isolde atmeten tief ein und ließen die Luft langsam wieder aus ihren Lungen entweichen, die Jungen schauten sie leicht verstört an, aber die Mädchen erklärten ihnen, dass die Luft so gut wäre, was sie vielleicht nicht verstehen könnten, sie atmeten die Luft ein und ließen sie eine Zeit lang in ihren Lungen, um sie gleichsam zu schmecken. Als sie zu Oma und Opa Stevens hinüberblickten, konnten sie sehen, wie Oma gerade aus dem Haus in den Hof ging, Fiete rief sie und die Kinder winkten ihr zu. Oma Stevens blickte zunächst wie geistesabwesend zu ihnen herüber, erkannte die Kinder und gab ihnen Zeichen, dass sie zu ihr kommen sollten. Sie standen auf und schoben ihre Räder zu Omas Haus, wo sie sie an den Zaun lehnten.

Sie gingen in den Hof, als auch Opa Stevens das Haus verließ. Die beiden freuten sich über den Besuch der Kinder, was die Kinder natürlich merkten, sie kamen gern zu Oma und Opa Stevens, und Oma bot ihnen auch immer etwas zu trinken an, so auch dieses Mal, Oma ging in ihre Vorratskammer und holte Cola und Limonade, auch ein Plätzchen bot sie den Kindern an.

„Erzählt doch einmal, was ihr unternommen habt!“, und sie berichteten von ihrem Ausflug nach Osterhalen. Clarissa sagte:

„Wir haben Kleinmüll gesammelt und in den Großcontainer an der Kirche geschüttet.“ Aber das wäre wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein, es würde gleich wieder neuer Müll angeschwemmt und zwischen den Strandhaferbüscheln abgelagert werden. Opa Stevens gab ihr Recht, lobte aber dennoch ihr Engagement für den Umweltschutz, der Müll, den sie alle gesammelt hätten, brächte jedenfalls kein Tier mehr um. Die Kinder verließen Oma und Opa Stevens wieder und fuhren mit ihren Rädern auf die Promenade, was sie eigentlich nicht durften, aber sie fuhren vorsichtig, um nicht eines der kleinen Kinder, die barfuß über die warmen Platten des Promenadenweges liefen, umzufahren. Manche Mütter schimpften, als sie die Kinder an sich vorbeifahren sahen, aber die störten sich nicht daran und fuhren weiter bis zum Hotel, das am Ende des Promenadenweges lag. Dort stellte sie die Räder an den Zaun, der den Anfang des Strandweges einfasste und schlossen sie ab, bevor sie alle zu Bubenhäusers Strandkorb rannten.

Auf halbem Wege hatte sich jeder seine Sachen vom Leib gerissen und zog am Strandkorb nur noch die Hose aus, die Badesachen trugen sie alle darunter, und als sie Bubenhäusers begrüßt hatten, wetzten sie unter lautem Gejohle ins Wasser, Clarissa und Isolde wussten noch vom Vortag, dass es nicht unbedingt warm war, Isolde hielt den Mund geschlossen, um nicht wieder so viel Salzwasser schlucken zu müssen. Ohne sich abzukühlen sprangen sie alle ins Wasser und tauchten unter der Brandung durch, um hinter den sich brechenden Wellen in ruhiges Wasser zu gelangen, auch die Mädchen schafften es, das kurze Stück zu tauchen. Sie hatten das im letzten Urlaub gelernt, wo sie literweise Salzwasser geschluckt und sich fast immer übergeben hatten, bis Fiete und Jan ihnen zeigten, wie man einen Hechtsprung in die Wellen machten und unter ihnen hindurch tauchte. Die Erwachsenen hatten bei ihrer Körpergröße die Probleme nicht, wenn die Wellen nicht zu hoch waren, konnten sie durch die Brandung laufen, ohne umgestoßen zu werden. Im ruhigeren Wasser hinter der Brandung konnten die Kinder so gerade stehen und warfen sich den kleinen Ball zu, den sie vom Beachball mitgenommen hatten. Isolde und Jan waren die Kleinsten, sie mussten schon einmal hochspringen, wenn eine Welle kam und manchmal über sie hinwegschwappte. Sie schwammen dann ein Stück nach vorn, wo sie wieder stehen konnten.

Nach einer Zeit des Spielens gingen alle wieder aus dem Wasser, trockneten sich ab und Clarissa und Isolde teilten sich die Arbeit des Eincremens, nachdem sie selbst von ihrer Mutter eingecremt worden waren, bevor sie sich Fietes Ball schnappten und zum Volleyballfeld liefen, wohin Herr Bubenhäuser sie begleitete. Wegen der beiden Kleinen wurden die Volleyballregeln großzügig ausgelegt, Herr Bubenhäuser, der in der Mannschaft von Isolde und Jan spielte, verlängerte schon einmal einen Ball der beiden über das Netz, wenn er es nicht darüber zu schaffen drohte. Alle hatten Verständnis dafür und niemand erhob Protest, schließlich waren Isolde und Jan wirklich noch klein und hatten Mühe, den Ball über das für sie sehr hoch aufgehängte Netz zu spielen. Wären sie verbissene Spieler gewesen, hätte es diese Hilfsmaßnahmen vonseiten Herrn Bubenhäusers nicht geben dürfen, und Isolde und Jan wären an ihren Unvermögen, den Ball über das Netz zu lancieren, gescheitert, sie schlugen Aufgaben und spielten den Ball einfach über das Netz. Sie waren in dem Moment zu müde, um weiterzuspielen und gingen zum Strandkorb zurück, um sich in der Sonne zu lümmeln, aber nicht mehr sehr lange, denn es war Spätnachmittag geworden und sie gingen zu Kleens zurück. Die Räder durch den tiefen Sand nach Hause zu schieben, war für die Kinder eine große Anstrengung.

Die Luft stand auf dem Strandweg, man war dort im Windschatten der Dünen, die Hagebutten rochen sehr intensiv, und es herrschte eine warme Stille, nur die Insekten waren zu hören. Der Hof bei Kleens lag im Schatten und bot eine angenehme Temperatur, um sich dort hinzusetzen, Frau Kleen brachte den Bubenhäusers eine Tasse Kaffee und den Kindern kalte Getränke.

„Es ist alles so wie beim letzten Mal,“ bemerkte Frau Bubenhäuser, „es hat sich bei mir und meinem Mann schnell eine Behäbigkeit eingestellt, wie wir sie noch von unserem Urlaub im letzten Jahr kennen, wir haben niemals geglaubt, dass sie sich unserer jemals bemächtigen könnte. Mein Mann und ich fühlen uns dabei sehr wohl, wir sind völlig unbekümmert und lassen in unserer Unbeschwertheit nichts an uns heran, das uns belasten könnte.“ Frau Bubenhäuser glaubte, dass darin auch die Ursache für ihr Wohlbefinden läge, zu Hause in Braunschweig könnte sich ein solches Gefühl der Befreiung und des Unbelastetseins nicht einstellen. Herr Kleen kam nach Hause und setzte sich zu seiner Frau und seinen Feriengästen, die Kinder waren im Haus verschwunden, und er erzählte von den vielen Touristen, die er mit der „Süderland I“ zur Insel gebracht hätte, und unter denen es schon einige skurrile Typen gäbe.

„Ich habe bei meiner letzten Überfahrt zwei Kinder ermahnen müssen, nicht an der Reling herumzuturnen und mir prompt den Zorn der Eltern zugezogen, die nicht eingesehen haben, warum ich als Kapitän ihre Kinder zur Ordnung rief.“

Er hätte sich in den lagen Jahren seiner Zeit als Kapitän bei der Fährreederei ein dickes Fell zugelegt, das er brauchte, um mit den unterschiedlichen Charakteren unter seinen Fahrgästen umgehen zu können. Herr Kleen holte für sich und Herrn Bubenhäuser eine Flasche Bier und stieß mit ihm an:

„Auf eine schöne Zeit auf Süderland“, und Herr Bubenhäuser hob seine Flasche und stieß sie gegen die von Herrn Kleen. Frau Kleen rief zum Essen, und alle setzten sich an den großen Esstisch, wie sie das im letzten Jahr auch immer getan hatten, die Kinder kamen von oben aus den Zimmern der Jungen und setzten sich mit an den Tisch. Nach dem Essen gingen sie vor die Tür und warteten mit ihren Rädern auf die Jungen aus dem Dorf, die kurze Zeit später eintrafen und mit ihnen nach Westerhalen fuhren. Sie radelten den Weg zur „Domäne Schlüters“ entlang und setzten sich dort kurz nach draußen, obwohl die Gastronomie wenig später schloss. Es saß auch niemand mehr draußen, weil es doch schon spät war und die Leute zu Hause waren. Man ließ die Kinder dort sitzen, sagte ihnen aber, dass die „Domäne“ kurze Zeit später schloss, und die Kinder standen nach einer kurzen Verschnaufpause auch wieder auf und fuhren zur Westspitze der Insel, sie legten ihre Räder oberhalb des naturbelassenen Strandes am Weg ab und setzten sich anschließend zwischen den Strandhafer.

Sie schauten auf das Meer hinaus und konnten in einiger Entfernung die Vogelinsel Kerstholm erkennen, auf der Opa Stevens schon einmal war, als er noch seinen Beruf als Fischer ausgeübt und im Gatt zwischen den Inseln gefischt hatte. Fiete hatte seinen Freunden und auch Clarissa und Isolde davon erzählt und auch anklingen lassen, dass er sehr gern einmal dorthin wollte, es aber Leuten, die keine Ornithologen waren, praktisch nicht gestattet wurde, nach Kerstkolm zu fahren. Fiete wollte darüber nachdenken, wie er dennoch eine Genehmigung bekommen könnte, sagte das den anderen aber nicht, es war sein fester Wille, einmal nach Kerstholm zu fahren. Es war gerade Flut, das Wasser stand sehr hoch, vermutlich herrschte wegen des Neumondes Springflut, man konnte die gewaltigen Strömungen im Gatt ausmachen, da hineinzugeraten hätte auch für den geübtesten Schwimmer den sicheren Tod bedeutet, das Wasser drückte vom Land weg ins offene Meer hinaus. Es wehte vom Meer her ein warmer Wind, der Clarissa und Isolde in ihre Haare fuhr und sie zerzauste, was sie verwegen aussehen ließ. Sie trugen ihre Haare offen und sie boten deshalb dem Wind eine gute Angriffsfläche. Clarissa strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah dabei Fiete an, der sie die ganze Zeit von der Seite gemustert hatte, sie lächelte ihm zu, und er lächelte zurück. Der Blick auf das Meer hatte für alle etwas Faszinierendes und obwohl Fiete, Jan und die Jungen Inselkinder waren, waren auch sie jedesmal begeistert, wenn sie über das springende Wasser schauten, niemand sprach, während sie über die Wellenkämme blickten.

So saßen sie eine Dreiviertelstunde lang am Strand von Westerhalen und hätten auch noch länger gesessen, wenn nicht die Dämmerung eingesetzt und sie gemahnt hätte, langsam wieder nach Hause zu fahren. Sie hatten sich vorgenommen, am nächsten Tag alle über den Strand wieder nach Westerhalen zu laufen und sich an die gleiche Stelle in den Sand zu setzen, am nächsten Tag wäre um die Mittagszeit Hochflut und sie könnten in aller Ruhe das Meer betrachten. Sie verabredeten sich für 10.00 h am Strandkorb und die Jungen wollten dorthin kommen, jeder sollte einen Rucksack mit Proviant mitnehmen, und sie wollten auch den Kleinmüll aufheben, der dort angeschwemmt worden war. Am Haus Kleen verabschiedeten sie sich voneinander bis zum nächsten Morgen. Clarissa, Isolde, Fiete und Jan gingen ins Haus und spielten noch eine Zeit lang „Mensch ärgere Dich nicht“ und „Kniffel“, bevor sie hoch auf ihre Zimmer gingen und schliefen, die Erwachsenen gingen auch ins Bett, alle waren von der Seeluft müde geworden und schliefen tief und fest. Als Clarissa und Fiete am nächsten Morgen Brötchen holen gingen, schien die Sonne warm vom Himmel und es versprach, ein herrlicher Tag zu werden, sie wurden beide bei Lorenzen sehr freundlich begrüßt, man freute sich dort immer, sie zu sehen.

Jan und Fiete nahmen nach dem Frühstück ihre Rucksäcke, Clarissa und Isolde hatten dieses Mal ihre Eastpacks mitgenommen, und die vier ließen sich von Frau Kleen etwas zu essen und ein Trinkpäckchen geben, damit sie auf ihrer Wanderung in den Westteil der Insel ausreichend versorgt waren. Sie liefen zum Strandkorb und waren um kurz vor 10.00 h dort, als die Jungen eintrafen, alle mit Rucksäcken und Proviant versehen. Man begrüßte sich, sagte den alten Bubenhäusers Tschüss und lief den Strand entlang nach Westen. Unterhalb des „Hotels Süderland“ verließen sie den gepflegten Badestrand und betraten den Wildstrand, der ihnen allen besser gefiel, weil er in den Strandhaferbüscheln den Tieren Unterschlupf bot. An der Stelle, an der die Dünen dicht beieinander standen und hoch aufragten, liefen sie zum Strandsaum und schauten über den Borgelsee zum Fähranleger auf der anderen Inselseite, sie scheuchten hunderte von Vögeln auf. Neben dem Borgelsee stand der imposante Wasserturm, mit dessen Hilfe die gesamte Insel mit Wasser versorgt wurde, er stand auf einer Wasserlinse, die sich unter der Erdoberfläche befand und je nach Niederschlagsmenge mit Wasser gefüllt war. Sie wanderten weiter am Strand entlang und scheuchten jedes Mal Vögel hoch, wenn sie sich ihnen näherten, das ließ sich nicht verhindern, machte den Vögeln aber auch nichts, weil sie auf diesem Teil der Insel nicht brüteten, die meisten Vögel brüteten auf der Insel in den Salzwiesen unterhalb des Flugplatzes.

Sie sahen Kerstholm vor sich liegen und setzten sich alle an der gleichen Stelle in den Sand, an der sie am Vorabend gesessen hatten, die Wellen führten Teufelstänze auf, es war Hochflut und es grauste einen bei der Vorstellung, sich als Schwimmer durch das gischtende Wasser bewegen zu müssen. Die Wellen rollten heran und stießen beim Ablaufen auf nachrückende andere Wellen, was dazu führte, dass sich das Wasser auftürmte und in den Wellenspitzen im Wind zerstob. Mit ohrenbetäubendem Getöse brachen die Wellen auf den Strand und liefen in langen Zungen aus, Möwen, die am Wassersaum entlangliefen, sprangen hoch, wenn sich die Wasserzungen näherten und sie mitzureißen drohten.

Eine Springflut zeigte die Urgewalt des Meeres, der der Mensch hilflos ausgeliefert wäre, wenn er sich nicht durch entsprechende Maßnahmen zu schützen wüsste, so waren auch im Westteil der Insel Buhnen angebracht worden, die die ärgsten Wellen brachen, bevor sie auf den Sand schlugen und möglicherweise Land abbrachen und mit sich ins Meer rissen. Lediglich die Westspitze, an der die Kinder saßen, war ohne Buhnen, weil diese Stelle nicht direkt dem offenen Meer zugewandt war, die Wellen deshalb gewöhnlich mit verminderter Kraft dort aufliefen. Bei einer Springflut aber herrschten andere Verhältnisse, das Meer schien nicht den Gesetzen der Physik zu folgen und scheinbar einem eigenen Willen gehorchend, auch über die Westspitze herzufallen, das Gatt war eine einzige weiße Gischt.

Die Kinder zogen ihre Proviantpäckchen aus den Rucksäcken und begannen, ihre Esspakete zu vertilgen, ganz ohne Worte, alle waren ergriffen von dem Geschehen, dass sich vor ihren Augen in seiner Urgewalt abspielte. Der Wind hatte an Stärke zugenommen, war aber immer noch warm, Clarissa und Isolde hatten ihr Haar zu Pferdeschwänzen zusammengebunden, sodass es nicht zerzaust werden konnte. Nachdem sie ihr Essen eingenommen und die Papiertüten, in die das Essen eingewickelt war, wieder in die Rucksäcke gelegt hatten, begann jeder damit, Kleinmüll aufzulesen und in seinem Rucksack zu verstauen. Da jeder einen Rucksack mit hatte, bekamen sie bei diesem Mal eine beträchtliche Müllmenge zusammen, die sie bei ihrer Rückkehr ins Dorf in den Großcontainer neben der Kirche schütten wollten. Am Schluss gab es acht prallgefüllte Rucksäcke, die trotz der Menge Mülls, die sie enthielten, leicht waren und niemanden beim Gehen behinderten, der Müll war ja angeschwemmt worden und deshalb von seinem spezifischen Gewicht her leichter als Wasser. Die Kinder setzten ihre Rucksäcke wieder auf und liefen zum Fähranleger, gingen über die Bohlen zur Spitze und setzten sich dorthin, um in der Ferne die „Süderland I“ zu beobachten, wie sie sich ihre Bahn durch die Springflut brach. Es würde noch ungefähr eine halbe Stunde dauern, bis die Fähre am Anleger festmachte, und die Kinder spielten so lange „Stadt, Land, Fluss“ ohne aufzuschreiben, Isolde und Jan hatten sich abseits hingesetzt, weil sie bei dem Spiel gegen die anderen keine Chance hatten.

Clarissa ging als klare Siegerin aus dem Spiel hervor, weil sie eine Koryphäe in Geographie war und ihr deshalb sofort Städte, Länder und Flüsse einfielen, sie schlug die Jungen um Längen. Die „Süderland I“ war inzwischen nahe am Anleger angekommen, es befand sich niemand an Deck, weil die Gischt über die Reling wischte und an Deck alle ordentlich durchnässt hätte. Herr Kleen hatte auf seiner Brücke die Scheibenwischer eingeschaltet, um durch das anstiebende Wasser etwas sehen zu können. Er drehte das große weiße Schiff im Hafenbecken und der Matrose machte es in entgegengesetzter Fahrtrichtung fest, er belegte auf den beiden auf dem Anleger befindlichen Pollern. Es wurde eine Planke vom Schiff auf die Anlegerbohlen gelegt, und die Passagiere gingen von Bord. Alles strömte zum Inselbähnchen, das am Anfang des Anlegers wartete und die Touristen und ihr Gepäck aufnahm, um sie ins Dorf zu bringen, und als der Letzte verschwunden war, kam Herr Kleen von Bord und begrüßte die Kinder. Er hatte eine Thermoskanne Kaffee und Brote dabei und setzte sich zu ihnen, er schüttete sich einen Becher Kaffee ein und aß von seinen Broten, während Fiete ihm erzählen musste, was die anderen und er so getrieben hätten. Fiete berichtete:

„Wir haben in Westerhalen am Strand gesessen und auf das Gatt geschaut, wir haben beobachten können, mit welcher Gewalt das Wasser von den Strömungen aufgepeitscht und schließlich in riesigen Wellen auf den Strand geschmettert wird.“ Herr Kleen merkte an:

„Ich muss bei solchem Seegang besondere Vorsicht auf der Brücke walten lassen, schnell kann das Schiff vom Kurs gedrückt und in Untiefen geleitet werden. Ist es dort einmal mit voller Last aufgelaufen, können es nur starke Schlepper wieder flottmachen und bis die einträfen, wäre das Schiff schutzlos den über es hereinbrechenden Wellen der Springflut ausgeliefert.“ Fiete sagte:

„Wir wollen im Anschluss zur Vogelwarte und uns dort eine Zeit lang hinsetzen, um Vögel zu beobachten, vielleicht treffen wir auch den Vogelkundler und werden ihm ein paar Fragen stellen.“ Kurze Zeit später erschien das Inselbähnchen wieder und brachte eine Handvoll Passagiere für die Fahrt zum Festland, es handelte sich um Inselbewohner, die zum Einkaufen nach Nordhafen fuhren und mit der letzten Fähre wieder zurückführen. Herr Kleen beendete seine Pause, stand auf und ging an Bord. Die Kinder gingen vom Anleger und liefen am Watt entlang, bis sie die Vogelwarte erreichten, sie setzten sich dort auf die Steine, mit denen das Ufer gegen das Watt befestigt war und beobachteten die tausende von Vögeln, die über dem Watt kreisten.

Als sie ungefähr zwanzig Minuten gesessen hatten, erschien der Vogelkundler, den sie noch vom letzten Jahr kannten, schloss die Vogelwarte auf und ließ die Kinder in den kleinen Raum blicken, aber außer einem großen Fernglas, einem Stift und einer Kladde war dort nicht viel zu entdecken. Fiete kannte den Vogelkundler, er war Klaas Friedrichsen, der über Winter auf dem Festland lebte und dort für die „Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer“ in Wilhelmshaven arbeitete. Er wohnte im Dorf neben der Schule, wo ihm die Gemeinde Süderland eine kleine Wohnung zur Verfügung gestellt hatte und Fiete fragte Klaas Friedrichsen:

„Darf ich dich dort einmal besuchen, ich habe etwas mit Dir zu bereden?“. Klaas Friedrichsen schaute Fiete verblüfft an und wollte von ihm wissen:

„Was ist das denn, was Du mit mir zu bereden hast?“, Fiete antwortete:

„Das würde ich Dir gerne bei Dir zu Hause sagen.“ Als sie die Vogelwarte verlassen hatten, sprach Clarissa Fiete an:

„Was hast du denn von Klaas Friedrichsen gewollt?“, Fiete behielt das aber als sein Geheimnis für sich zurück und wollte niemandem davon erzählen. Sie liefen alle an der Schule vorbei zum Dorfplatz und gingen zum Großcontainer, um ihre Rucksäcke zu entleeren, jeder einzelne Rucksack war zum Bersten voll mit Müll, das Sammeln hatte sich gelohnt, wenngleich in wenigen Tagen die gleiche Müllmenge wieder an den Strand von Westerhalen geschwemmt worden wäre. Die achtköpfige Kindergruppe setzte sich vor die Eisdiele und jeder bestellte ein gemischtes Eis mit Sahne und Krokantsplittern.

Sie genossen ihr Eis in Ruhe und warfen ab und zu einen Blick auf das Haus von Oma und Opa Stevens. Anschließend liefen sie zum Kurhaus hoch und schlenderten die Promenade entlang bis zum „Hotel Süderland“, viele Touristen spazierten auf der Promenade mit ihren Kindern und bleiben von dem Laden mit dem Strandspielzeug stehen, um ihren Kinder eine Schüppe oder einen Ball zu kaufen. Am Hotel bogen sie zum Strand ab und kamen zu Bubenhäusers Strandkorb. Frau Bubenhäuser fragte gleich:

„Wie war denn eure Inselexkursion?“ und sie sagten:

„Wir haben lange in Westerhalen am Strand gesessen und auf das Meer hinausgeschaut, wir sind auch am Fähranleger, an der Vogelwarte und im Dorf in der Eisdiele gewesen, es war toll.“ Fiete wirkte geistesabwesend, er dachte an sein Treffen mit Klaas Friedrichsen, er wollte ihn fragen, ob nicht die Möglichkeit bestünde, über die Nationalparkverwaltung die Insel Kerstholm zu besuchen, er wusste, dass das eigentlich nicht ginge, vielleicht gäbe es aber doch irgendeine Möglichkeit, es käme darauf an, Klaas zu fragen und ihn zu bitten, sich für Fiete einzusetzen. Fiete dachte daran, Clarissa den Kerstholm-Besuch zum Geburtstag zu schenken. Er wolle noch an diesem Nachmittag zu Klaas Friedrichsens Wohnung und ihm sein Anliegen vortragen, entweder er hätte Erfolg oder er müsste unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Als sie ihren Strandaufenthalt beendet hatten, verabschiedeten sich die Jungen nach Hause und liefen über die Promenade ins Dorf zurück, Fiete ging sofort, als sie bei ihm zu Hause angelangt waren, in Richtung Schule weiter, um Klaas zu besuchen.

Es war ein älteres unauffälliges rotes Backsteinhaus, in dem Klaas wohnte, er hatte zwei Zimmer mit Balkon und freute sich, Fiete zu sehen, nachdem er ihn um die Mittagszeit erst noch an der Vogelwarte begrüßt hatte. Er bot ihm eine Tasse Tee an und bat ihn, sich auf den Balkon zu setzen, bevor er ihn fragte, was er denn von ihm wollte. Fiete nahm den Tee dankend an und druckste dann herum, bevor er mit der Sprache herausrückte und Klaas fragte:

„Kann ich nicht einmal mit meiner Freundin Clarissa zur Vogelinsel Kerstholm hinüberfahren?“ Klaas lächelte Fiete an und sagte ihm, dass er sich das aus dem Kopf schlagen könnte, es kämen nur Ornithologen auf die Vogelinsel, sie wäre ansonsten für alle anderen Tabugebiet. Fiete hatte mit einer solchen Auskunft gerechnet, im Stillen aber gehofft, dass er eine Ausnahmegenehmigung erhalten könnte, dass Klaas ihm aber unmissverständlich zu verstehen gab, dass sein Ansinnen völlig zum Scheitern verurteilt wäre, stimmte ihn eher traurig. Er verließ nach einer Dreiviertelstunde Klaas Wohnung wieder, nachdem er sich noch über die Arbeit der Nationalparkverwaltung unterhalten hatte.

Klaas sagte Fiete, dass es ihm leid täte, dass er ihm völlig den Wind aus den Segel genommen hätte, aber es läge auch nicht in seiner Macht, jemandem die Erlaubnis zum Betreten der Vogelinsel zu geben. Fiete ging wieder nach Hause, seine Mutter fragte ihn, wo er denn gewesen wäre und Fiete sagte, dass er bei Klaas Friedrichsen gewesen wäre und mit ihm über die Arbeit in der Vogelwarte gesprochen hätte, was ja auch nicht gelogen war, der Wahrheit aber nur zum Teil entsprach. Fiete erschien rechtzeitig zum Essen, sein Vater kam gerade nach Hause, und alle setzten sich an den gedeckten Tisch, Herr Kleen erzählte bei einer Flasche Bier wieder von seinem Tag auf der Fähre. Sie spielten an dem Abend drei Runden „Kniffel“ zusammen, was sehr lange dauerte, weil acht Personen würfelten und ihre Punkte notieren mussten, es machte aber Spaß, und Frau Kleen war an diesem Abend das Glück beschieden, sie bekam in jeder Runde einen „Kniffel“ und schaffte auch oben alles. Als Fiete mit Clarissa am nächsten Morgen Brötchen holen ging, musste er die ganze Zeit an sein Treffen mit Klaas Friedrichsen denken, er war enttäuscht, dass er so erfolglos geblieben war und es nicht geschafft hatte, für Clarissa und sich eine Überfahrt nach Kerstholm zu organisieren. Clarissa sah ihm seine Gedankenverlorenheit an und fragte ihn:

„Was ist mit dir?“ Fiete antwortete:

„Es ist nichts von Bedeutung, ich habe nur schlecht geträumt.“

Sie gingen nach dem Frühstück wieder zum Strand, und Fiete ging dauernd das Treffen mit Klaas durch den Kopf, es blieb die Unmöglichkeit, nach Kerstholm gelangen zu können. Irgendwann stießen die Jungen aus dem Dorf zu ihnen und legten sich an den Strandkorb. Sie gingen ins Wasser und spielten mit dem kleinen Gummiball, es gab wieder Quallenschwärme, denen sie ausweichen mussten, Isolde kam in Kontakt mit einer Qualle und schrie auf, aber die Kontaktstelle an ihrer Haut brannte nur kurz auf, dann war der Schmerz vergessen, die Qualle hatte zu der harmlosen Kategorie gehört, Feuerquallen hätten Schlimmeres angerichtet, der Kontakt mit deren Nesselzellen hätte länger andauernde Schmerzen verursacht, Isolde war schnell wieder wohlauf und spielte mit den anderen weiter, als wäre nichts geschehen. Sie gingen wieder aus dem Wasser und ließen sich von der Sonne trocknen, nachdem Frau Bubenhäuser alle mit Sonnencreme eingeschmiert hatte. Fiete schloss für einen Moment die Augen, schlief aber nicht, er wollte seine Augen nur vor dem grellen Sonnenlicht schützen. Frau und Herr Bubenhäuser trugen Sonnenbrillen und lasen, sie saßen beide im Strandkorb wie ein Paar, das dort hingehörte, sie nahmen ab und zu einen Schluck Wasser aus der Flasche, die sie neben sich gestellt hatten und redeten kein Wort miteinander, stattdessen lasen sie in ihren dicken Romanen, was sie vermutlich zu Hause nicht taten, denn die dazu nötige Ruhe fanden sie nur am Strand.

Fiete ging mit den anderen Beachball spielen, Isolde und Jan waren mittlerweile ganz gut geworden, wenn Fiete an das letzte Jahr dachte, da hatten sich die beiden doch recht hölzern angestellt, aber sie waren auch gewachsen und hatten körperliches Geschick entwickelt. Fiete spielte mit Isolde in einer Mannschaft die beide Kleingruppen waren in etwa gleich stark, man versuchte alle möglichen Tricks, um den Gegner zu bezwingen, man schnibbelte den Ball, wenn das mit den großen Holzschlägern überhaupt möglich war, oder man spielte ihn kurz hinter das Netz und lockte den Gegner nach vorn, um den Ball dann weit nach hinten zu schmettern, wo er ihn nicht mehr erwischen konnte. Aber bei aller Trickserei, die die Spieler betrieben, das Spielergebnis blieb in den meisten Fällen bis kurz vor Schluss ausgeglichen und es bedurfte oftmals einer Portion Glück, um im letzten Moment den Führungstreffer zu erzielen. So war es auch bei diesem Mal, Jan servierte eine Rückhand, die Fiete mit einem mächtigen Schmetterschlag konterte, was Isolde und ihm die Führung brachte und Jan sauer stimmte, er ärgerte sich darüber, dass er einen so schwachen Ball gespielt hatte. Sie gingen wieder zum Strandkorb, und Bubenhäusers saßen, wie sie schon zwei Stunden zuvor gesessen hatten, völlig unbewegt, sie lasen und nahmen gelegentlich einen Schluck aus der Wasserflasche, als die Kinder wieder erschienen, gab es ein lapidares „Na, war es schön?“ und damit war die Konversation auch schon beendet.

Sie gingen am Nachmittag wieder alle ins Wasser und spielten mit dem Gummiball, Herr Bubenhäuser drehte richtig auf, er warf sich wie ein Fußballtorwart nach dem Ball und hatte riesigen Spaß, er johlte und schmiss sich in die Wellen wie ein Jugendlicher, sodass seine Frau schon auf ihn schaute und verwundert den Kopf schüttelte. Der Quallenschwarm war wieder hinausgetrieben und störte niemanden mehr, die Kinder schauten aber immer, wohin sie sich warfen, ob da nicht doch noch eine Qualle zu finden wäre. Am Nachmittag gingen sie zu Kleens zurück, in drei Tagen wäre Clarissas zwölfter Geburtstag und Frau Bubenhäuser bestellte bei Lorenzen schon einmal eine Buttercremetorte mit Schokoladen-Sahne, die Clarissas Lieblingstorte war und eine zweite, nicht ganz so mächtige Torte. Wie im letzten Jahr würde Lorenzen die Torten am Geburtstag gegen 14.30 h anliefern und um 15.00 h träfen die Geburtstagsgäste ein, das waren die Jungen aus dem Dorf und Oma und Opa Stevens. Als sie bei Kleens eintrafen, sagte Frau Kleen zu Fiete:

„Klaas Friedrichsen hat angerufen, du sollst doch am Spätnachmittag noch einmal bei ihm vorbeikommen!“ Fiete fragte nach, ob Klaas gesagt hätte, warum und seine Mutter verneinte, er hätte nur gesagt, dass Fiete kommen sollte. Er hängte seine Badehose und sein Handtuch im Hof auf die Wäscheleine und lief sofort zu Klaas, um in Erfahrung zu bringen, was der von ihm wollte.

Als er Klaas Wohnung betreten hatte, bat der Fiete wieder auf den Balkon, der im Schatten lag und ein sehr schöner Aufenthaltsort bei der großen Hitze war. Klaas gab Fiete eine Tasse Tee und sagte dann, dass er mit der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven telefoniert und gesagt hätte, was von Fiete an ihn herangetragen worden war.

„Ich weiß nicht, welcher himmlischen Fügung du es zu verdanken hast, dass man sich in Wilhelmshaven hat breitschlagen lassen, jedenfalls wird in vier Tagen ein Schiff mit der Ablösung für den Ornithologen nach Kerstholm fahren und unterwegs am Anleger auf Süderland festmachen, um deine Freundin und dich an Bord zu nehmen, auf dem Schiff befindet sich Thekla Broderson, eine Biologie-Studentin aus Hannover, die ihre Semesterferien auf Kerstholm verbringen wird, nachdem der Vogelkundler, der dort ist, schon seit drei Monaten seinen Dienst verrichtet hat. Thekla Broderson wird sich freuen, Deiner Freundin und Dich ihre Station zeigen und allerhand zu den Vögeln erklären zu können.“ Fiete strahlte, er freute sich so sehr über die gute Nachricht, dass er fast einen Luftsprung auf dem Balkon machte und Klaas ihn bremsen musste. Das Boot legte am Tag nach Clarissas Geburtstag um 10.00 h in Süderland an, das würde genau passen, sie könnten Geburtstag feiern und am nächsten Tag nach Kerstholm fahren. Fiete dankte Klaas für seinen Einsatz und lief wieder nach Hause, den Kopf voll mit Gedanken an die Überfahrt nach Kerstholm, das war etwas ganz Besonderes, und er fragte auch gar nicht groß, was den Meinungsumschwung in Wilhelmshaven bewirkt haben könnte.

Zu Hause setzte er sich an den Abendbrottisch und ließ sich von seiner guten Laune nichts anmerken, sein Vater kam nach Hause und begann gleich, von seinem Tag auf der Fähre zu erzählen, nicht ohne vorher für Herrn Bubenhäuser und sich eine Flasche Bier geöffnet zu haben. Frau Kleen hatte sich an diesem Tag in der Küche besonders angestrengt, es gab Rinderrouladen, was eigentlich ein typisches Sonntagsessen war, Frau Kleen hatte aber gedacht, dass sie für ihre Feriengäste auch einmal an einem Werktag etwas Gutes kochen sollte. Was Klaas Friedrichsen denn von ihm gewollt hätte, fragte Fietes Mutter ihn und er antwortete:

„Er hat mir etwas über die Austernfischer erzählt“, was dieses Mal komplett gelogen war, aber er konnte ja nicht verraten, was er Clarissa zum Geburtstag schenken wollte. Sie spielten an diesem Abend noch lange in zwei Runden, die eine spielte „Mensch ärgere Dich nicht“, die andere „Kniffel“. Das Spielen war eine Abendbeschäftigung, die allen Spaß bereitete und bei Kleens nur praktiziert wurde, wenn Bubenhäusers da waren, das ganze Jahr über wurde sonst eigentlich kaum gespielt, auch bei Bubenhäusers spielte man nur zu besonderen Anlässen. Clarissa, Isolde, Jan und Fiete würden sich am nächsten Tag mit den Jungen aus dem Dorf treffen und überlegen, wie sie einem Hindernisparcours zusammenstellen könnten, so wie sie einen im Frühjahr an Fietes Geburtstag zusammengestellt hatten, damals allerdings im Haus, dieses Mal sollte alles draußen stattfinden.

Sie liefen am Morgen zum Strand wie immer, am Mittag würden die Jungen kommen, Clarissa und Fiete hatten etwas zu schreiben dabei, damit sie sich Notizen zum Parcours machen könnten. Für sie müsste der Strandweg in irgendeiner Weise eingebunden sein, sie wussten nur noch nicht genau wie, dass man ihn aber, auf welche Weise auch immer, entlanglaufen müsste, war klar. Als die Jungen am Mittag am Strandkorb erschienen, setzten sich alle in eine Runde und beratschlagten miteinander, was man an Clarissas Geburtstag unternehmen könnte, und Fiete sagte, dass jeder sein Fahrrad den Strandweg entlang befördern müsste, fahren könnte man dort nicht, weil der tiefe Sand Fahren unmöglich machte, es blieb also nur das Schieben, und da käme es auf Schnelligkeit an. Die Kleinen wären nicht im Nachteil, weil sie kleine Räder hätten, die somit nicht so schwer wären wie die Räder der anderen und sich leichter bewegen ließen. Hauke würde die Zeit stoppen, man müsste nur für eine Verbindung zwischen Start und Ziel sorgen, damit man wüsste, wann der Betreffende loszulaufen hätte. Clarissa sagte, dass nur jemand ein Handy haben müsste, sie hätte ihr iPhone und würde es dem Zeitnehmer geben. Thomas sagte, dass er ein Handy hätte und es zur Verfügung stellen würde, somit wäre alles klar, sagte Fiete, der Strandweg wäre die erste Parcoursstation.

Wenn alle durch wären, könnte man das Aktionsfeld auf den Strand verlagern, meinten alle und Peter schlug vor, dass man am Strand ein Loch graben, zur Buhne und wieder zurückrennen und das Loch zuschmeißen müsste, die Mädchen und Jan brauchten nur ein Loch von halber Tiefe zu graben. Damit hatten sie die zweite Station, sie könnten anschließend eine Wettfahrt über die Promenade machen, Jan und die Mädchen müsste nur die halbe Strecke fahren, Hauke würde die Zeit stoppen, die Wettfahrt müsste am frühen Nachmittag stattfinden, wenn auf der Promenade nicht so viel los wäre. Eine schwere Etappe wäre die Fahrt zum Bootsanleger, wo man die Bohlen zählen und die Zahl aufschreiben müsste, da käme es sowohl auf die richtige Zahl als auch auf die gefahrene Zeit an, jemand müsste am Anleger stehen und die Kandidaten überwachen. Wenn alle wieder bei Kleens wären, wäre ihre Inselrunde beendet, sie müssten aber noch eine Etappe hinter sich bringen. Jeder müsste im Hof vor den Geburtstagsgästen die erste Strophe von „Geh aus mein Herz...“ singen und anschließend einmal ums Haus rennen, man müsste sich hinterher setzen und ein Stück Kuchen vertilgen, die Mädchen und Jan bekämen ein Halbes, Hauke würde wieder die Zeit stoppen, wie bei den anderen Etappen auch. Alle waren mit dem Parcours einverstanden und freuten sich, dass sie nach so kurzer Zeit des Überlegens zum Erfolg gekommen waren.

Sie rannten ins Wasser und nahmen den kleinen Ball mit, sie spielten sehr lange und erweiterten den Kreis, sodass man weit werfen musste, um sein Gegenüber zu erreichen, Isolode wurde es erlaubt, den Ball zum Kreisnachbarn zu werfen. Als sie wieder aus dem Wasser kamen, cremten sie sich ein und legten sich faul in die Sonne. Jedes der Kinder dachte schon an Clarissas Geburtstag und hoffte, den Parcours einigermaßen gut zu schaffen, Thomas erinnerte sich noch, wie er im Frühjahr unnötigerweise Zeit verschenkt und deshalb verloren hatte, das wollte er dieses Mal unbedingt vermeiden. Sie wollten am nächsten Tag den Parcours probehalber durchexerzieren und würden deshalb den Strandweg mit den Rädern entlangschieben, eine Schüppe mitnehmen, die sie am Strand im Strandkorb lassen wollten, die Promenade entlangfahren, wobei für die Kleinen und Clarissa die Strecke ungefähr beim Laden mit den Strandsachen begann, sie würden dann alle zusammen zum Fähranleger fahren, dort aber sofort wieder umkehren, damit niemand schon die Bohlen zählte und zum Schluss eine Runde ums Haus drehen, jeder müsste den Liedtext vor Augen haben, den Fiete in Großbuchstaben ausdrucken lassen wollte, das Stück Kuchen hinunterzuschlingen konnten sie mangels Kuchen vorher nicht üben, aber das wäre für sie alle wohl das geringste Problem.

Sie trafen sich einen Tag vor Clarissas Geburtstag bei Kleens, Clarissa und Fiete hatten Brötchen geholt und sie hatten gefrühstückt. Die Bubenhäusers waren zum Strand vorgelaufen, und die Kinder standen mit ihren Rädern am Anfang des Strandweges, als Fiete „los!“ rief und alle losstürmten. Es gab welche, die eine Hand in die Mitte der Lenkstange legten und losrannten und welche, die mit beiden Händen am Lenker losgingen. Die Renner waren nach ganz kurzer Zeit außer Atem und wurden von den Gehern eingeholt, wie letztlich zu verfahren wäre, musste jeder selbst entscheiden. Die zweihundert Meter Strandweg steckten jedenfalls allen in den Knochen, als sie zum Strandkorb kamen und einen großen Schluck aus Bubenhäusers Wasserflasche nahmen. Sie musste daran denken, am nächsten Tag ausreichend Wasserflaschen mitzunehmen, damit man bei der großen Anstrengung in der Hitze genug trinken konnte. Hauke schnappte sich die Schüppe und begann, ein Loch auszuheben, man hatte sich darauf geeinigt, dass die Großen sechzig Zentimeter und die Kleinen dreißig Zentimeter ausheben mussten. Fiete hatte einen Zollstock dabei und sagte „gut“, als Hauke die geforderte Tiefe erreicht hatte, er lief gleich zur Buhne und zurück und warf das Loch wieder zu. Als auch diese Etappe des Parcours geklappt hatte, gingen sie hoch zur Promenade, die sie gemütlich mit den Rädern entlangfuhren, sie markierten den Streckenbeginn für die Mädchen und Jan mit einem Kreidestrich an der Mauer gegenüber dem Laden mit dem Strandspielzeug, für die anderen läge der Beginn beim Hotel, Ende wäre für alle am Kurhaus.

Sie schenkten sich die Fahrt zum Fähranleger, weil die doch jedem klar war, es müssten zwei Leute in der Mitte der Strecke und am Anleger postiert werden, die überwachten, dass auch die ganze Strecke gefahren und die Bohlen ordnungsgemäß gezählt würden. Die Runde um das Kleen-Haus machten sie nicht, Clarissa sang mit Isolde einmal „Geh aus mein Herz...“ zur Probe, und damit war der Übungsparcours erledigt. Sie schrieben auf, woran sie unbedingt denken mussten, das waren das iPhone von Clarissa und das Handy von Thomas, die Schüppe, der Zollstock, ein Stift und ein Zettel für jeden, um die Bohlenanzahl zu notieren und der Liedtext, den jeder unmittelbar vor dem Singen in die Hand gedrückt bekäme. Sie gingen alle zum Strand und sprangen in das erfrischende Wasser, wo sie herumtollten, Clarissa war schon ganz aufgeregt, sie würde zwölf Jahre und damit schon fast eine junge Dame. Am Nachmittag gingen alle zu Kleens in den Hof und halfen dabei, die Tische für den nächsten Tag aufzustellen und die Stühle daran zu postieren. Clarissa und Fiete würden zum Brötchenholen den Handwagen mitnehmen und bei Oma und Opa Stevens noch vier Gartenstühle holen. Sie saßen dann draußen und Frau Kleen brachte allen etwas zu trinken.

„Das wird wieder eine schöne Geburtstagsfeier werden“, sagte sie, „ich freue mich schon darauf.“ Die Jungen gingen vor dem Essen nach Hause und wie im letzten Jahr saßen alle im Hof und genossen die angenehme Abendluft. Es war immer etwas Besonderes, draußen zu essen, weder in Braunschweig noch auf Süderland machte man das während des Jahres, höchstens, dass man sich einmal zum Grillen auf die Terrasse setzte. Das Außenlicht war sehr schwach und leuchtete den Essplatz kaum ausreichend aus, sodass Herr Kleen zwei starke Gaslampen auf den Tisch stellte, in deren Schein die Mücken tanzten. Man sah von den am Tisch Sitzenden irgendwann nur noch die Gesichter, der Rest ihrer Körper war im Dunkel verschwunden. Sie spielten auch noch eine Zeit lang draußen in dem Gaslicht, die Beleuchtung erwies ich aber auf die Dauer als zu schwach, um zu spielen, und sie gingen ins Bett.

Der große Tag brachte herrlichstes Sommerwetter wie es wohl jedem Geburtstagskind gefallen hätte, Clarissa stand wohl gelaunt auf und wurde von ihrer Schwester zuerst beglückwünscht. Sie ging nach unten wie immer, um sich an den Frühstückstisch zu setzen und sah zu ihrem großen Erstaunen, dass, außer Isolde, alle am Tisch saßen. Als sie ins Esszimmer trat, begann der ganze Tisch mit „Happy birthday to you...“, ihre Mutter sprang auf und umarmte und küsste ihre Tochter.

„Ich wünsche dir von Herzen alle Gute zu deinem zwölfen Geburtstag“, sagte sie, und der ganze Tisch schloss sich an.

Fiete drückte Clarissa und gratulierte ihr, er küsste sie auf die Wange, was ihm im Beisein aller nicht leicht fiel und gab ihr einen Brief als Geschenk, den Clarissa gleich öffnete, sie las:

„Morgen um 10.00 h am Fähranleger Abfahrt nach Kerstholm“. Sie hätte weinen können vor Glück, „wie hast du das denn geschafft?“, rief sie und umarmte und drückte Fiete aus lauter Dankbarkeit. Brötchen hatte Jan schon geholt, es gab auch Schokocroissants und er sollte herzliche Glückwünsche von Lorenzen ausrichten. Bevor Clarissa an ihre anderen Geschenke ging, setzte sie sich an den Tisch und aß frische Brötchen und Schokocroissants, die Geschenke waren auf einem kleinen Nebentisch aufgebaut und ab und zu riskierte Clarrissa einen Blick dorthin. Inzwischen war auch Isolde erschienen und setzte sich zum Frühstück, sie hätte dann eine richtig große Schwester, sagte sie voller Stolz, mit zwölf dürfte man schon allerhand unternehmen, was einem die Eltern nicht verbieten könnten. Clarissa stand auf und nahm das Päckchen von ihren Eltern in die Hand, sie riss das Papier ab und hielt einen Laptop in der Hand. Sie war außer sich vor Freude, einen Laptop könnte sie für ihr Gymnasium gut gebrauchen, sie dankte ihren Eltern und legte das Geschenk wieder auf den Tisch.

Sie nahm anschließend das Päckchen von Kleens in die Hand und entnahm ihm ein Buch mit dem Titel: „Die ostfriesischen Inseln“, es war ein Fotoband mit viel Text, sie blätterte darin und sah sich kurz das Kapitel über Süderland an, aber auch das Kapitel über Kerstholm, wohin sie am nächsten Tag mit Fiete übersetzen würde. Sie dankte Frau und Herrn Kleen für das Buch, Herr Kleen hatte an Clarissas Geburtstag einen Tag frei genommen. Es gab noch eine Fülle von Süßigkeiten, Isolde schenkte ihrer Schwester ein kleines Parfumfläschchen, Jan schenkte ihr Duschgel. Clarissa freute sich ungemein über die vielen Geschenke, am meisten aber über die von Fiete organisierte Überfahrt nach Kerstholm. Fiete erzählte Clarissa am Strand, wie er mit Klaas Friedrichsen darüber gesprochen hatte, der wäre bei der „Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer“ in Wilhelmshaven angestellt und hätte mit denen telefoniert. Warum sie dort ihr Einverständnis gegeben hätten, dass sie für einen halben Tag mit auf die Insel dürften, könnte er auch nicht sagen. Sie würden mit der Ablösung, die Thekla Broderson hieß und Biologiestudentin in Hannover wäre, morgens hinfahren und nachmittags mit der alten Stationsbesatzung wieder nach Süderland zurückkehren. Sie machten sich alle strandfertig und die Kinder liefen mit den alten Bubenhäusers zum Strandweg, sie würden sich am Nachmittag mit den Jungen treffen, um ihren Parcours zu absolvieren. Sie unternahmen am Strand keine anstrengenden Dinge, um sich nicht schon vorher müde zu machen, sie gingen ins Wasser und plantschten ein wenig darin herum, sie spielten kein Beach- oder Volleyball, sondern cremten sich ein und legten sich in die Sonne.

Um 13.00 h verließen sie den Strand wieder, Clarissa hatte ihrem Vater ihr iPhone dagelassen und bat ihn, am Strandweg die erste Zeit zu nehmen, den Rest würden sie allein stoppen. Sie liefen zu Kleens zurück und sahen, wie Frau Kleen ihr gutes weißes Tischtuch, das sie noch von ihrer Hochzeit hatte und das ein Damasttischtuch war, auf die aneinandergestellten Tische legte, sodass das Ganze schon dadurch etwas Feierliches bekam. Fiete sagte, dass sie sich ihre Räder holen und mit den Jungen am Strandweg treffen wollten, sie würden ihren Parcours beginnen und im Laufe des Nachmittags wieder zum Kaffeetrinken zu Hause ankommen. Fiete nahm Zettel, Stifte und aus der Werkstatt einen Zollstock mit, eine Schüppe hatten sie schon im Strandkorb hinterlegt und sie liefen zum Strandweg. Kurze Zeit später erschienen die Jungen und Clarissa rief mit Thomas Handy ihren Vater an, dass er sich an das Ende des Strandweges stellte, das Kommando zum Losfahren gab und die erste Zeit stoppte. Hauke war der Erste, weil er die weiteren Zeiten stoppen und aufschreiben musste, er brachte sich in Position, als Thomas Handy klingelte und Clarissas Vater das Komando gab. Clarissa hatte den Arm gehoben und als ihr Vater „los!“ sagte, senkte sie ihn und Hauke lief los.

Wer noch nie in Zeitdruck durch große Hitze und tiefen Sand gelaufen war, wird nicht nachempfinden können, was das bedeutete, das waren die härtesten zweihundert Meter, die Hauke, aber auch die anderen, in den nächsten Jahren hinter sich bringen würden, zumal jeder noch ein Fahrrad schieben musste. Hauke japste, jeder Schritt in dem tiefen Sand brachte ihn an den Rand der körperlichen Leistungsfähigkeit, und als er die ersten hundert Meter hinter sich gebracht hatte, hätte er beinahe aufgegeben, seine Beine waren wie Blei, scheinbar automatisch setzte er einen Fuß vor den anderen und als er bei Herrn Bubenhäuser angekommen war, ließ er Fahrrad Fahrrad sein und warf sich hechelnd in den Sand, wo er eine Zeit lang liegenblieb, um wieder zu Kräften zu kommen, er war komplett durchgeschwitzt und wischte sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht. Herr Bubenhäuser hatte, als er Hauke sah, Bedenken wegen seiner Mädchen, Hauke entgegnete aber, dass sie ja viel leichtere Räder hätten, was ihn beruhigte, er ging wieder zu seinem Strandkorb, nachdem er Hauke Clarissas iPhone übergeben hatte. Hauke gab dann den am Start Verbliebenen abwechselnd das Startzeichen. Isolde und Jan waren die Nächsten und kamen beide mit letzten Kräften am Ziel an, sie lagen im Sand und rangen nach Luft, von Schweiß triefend Als Hauke Thomas das Zeichen gab, schwächelte der von Anfang an und stolperte nach hundertfünfzig Metern, sodass er fiel und eigentlich auch nicht mehr aufstehen wollte, er raffte sich aber wieder hoch und quälte sich über die Ziellinie.

Hauke nahm seine Zeit und schrieb sie auf, während sich Thomas vor den Mädchen in den Sand setzte und über den anstrengenden Parcours sprach. Clarissas Vater hatte für alle Wasserflaschen hingestellt und Clarissa, Isolde, Fiete, Jan und Thomas, aber auch Hauke tranken in großen Zügen.

Als endlich alle durch waren stand Fiete als Sieger fest, er freute sich, total ausgelaugt wie er war, wusste aber auch, dass der Strandweg nur die erste Etappe war, sie aber noch vier weitere nicht minder schwere Etappen vor sich hatten. Alle stellten sie ihre Räder oben am Weg ab und liefen zum Strandkorb, wo die Bubenhäusers saßen und lasen, sie legten sich in die Sonne und niemand hatte Lust, sich weiter den Strapazen zu unterziehen, jeder bezwang aber seinen inneren Schweinehund und sie machten weiter. Sie suchten sich weiter unten im festen Sand eine Stelle, wo sie ein Loch graben konnten, das nicht gleich wieder einstürzte und Hauke fing wieder an, er nahm sich die Schüppe und grub wie ein Wilder. Als Fiete die Tiefe seines Loches gemessen und sein Okay gegeben hatte, rannte er zu der Buhne und kehrte völlig außer Atem wieder zurück, er warf das Loch wieder zu und warf sich auf den Sand, wo er einen großen Schluck Wasser trank. Fiete nahm seine Zeit und schrieb sie neben seinen Namen in die Wettkampfliste, jeder musste die schwere Etappe hinter sich bringen und alle waren eigentlich schon nach dem Strandweg total ausgepumpt.

Als Isolde die Schüppe in der Hand hielt, sah man gleich, dass das ein für sie völlig ungewohntes Werkzeug war, die Schüppe war für sie auch ein wenig zu groß, alle akzeptierten, dass sie ein kleineres Loch ausheben durfte, das ungefähr dreißig Zentimeter tief sein musste. Als Fiete „okay“ sagte, rannte Isolde zu der Buhne, kehrte zurück, warf ihr Loch wieder zu und ließ sich neben Hauke auf den Sand niedersinken. Dort auf dem Sand gab es für niemanden Schatten, und diejenigen, die die Etappe hinter sich gebracht hatten, rannten einfach ins Wasser, um sich abzukühlen, es war ihnen egal, dass sie ihre normale Kleidung trugen. Als alle durch waren, lagen sie im seichten Wasser nebeneinander auf dem Bauch und ließen sich von den Wellen überspülen, sie waren fix und fertig. Am Strandkorb tranken sie alle Wasser und streckten sich aus, auch ließen sie ihre Sachen am Körper in der Sonne trocknen, es war zwar nicht unbedingt gesund, seine Sachen am Körper trocken zu lassen, aber für dieses eine Mal würde es schon gehen. Fiete forderte dazu auf, weiterzumachen die Nachmittagssonne brannte unerbittlich, der Sand war so heiß, dass man kaum darauf laufen konnte. Sie schickten Herrn Bubenhäuser zum Kurhaus, damit er dort die Zeit des Ersten stoppen könnte, der mit seinem Rad die Promenade entlang gebraust käme und das war Hauke. Am frühen Nachmittag war nichts los auf der Promenade, und sie konnten ihr Rennen veranstalten, obwohl das eigentlich verboten war.

Der sanft wehende Nordwestwind unterstützte ihre Promenadenfahrt, denn sie fuhren in östlicher Richtung. Frau und Herr Bubenhäuser gingen beide zum Kurhaus, sie wollten von dort zu Kleens zurück und sich für das Kaffeetrinken fertigmachen, nachdem sie Haukes Zeit notiert hatten. Die Promenade war gerade, sodass Hauke Herrn Bubenhäusers erhobenen Arm sehen konnte und als er sich senkte, raste Hauke wie von Sinnen die Promenade entlang, es hätte ihm niemand in den Weg treten dürfen. Am Ende seiner Fahrt zog er beide Bremsen, über die sein Rad verfügte und kam nach ungefähr zehn Metern zum Stehen, er stieg ab und war im Grunde nicht so geschafft wie bei den Etappen zuvor. Hauke nahm Herrn Bubenhäuser die Wettkampfliste ab, nachdem dieser seine Zeit eingetragen hatte und lief zum Laden mit dem Strandspielzeug zurück, der noch Mittagspause hatte. Hauke nahm die Zeiten von Jan und den Mädchen und trug auch sie in die Wettkampfliste ein, bevor er wieder zum Kurhaus zurückging und die Zeiten der anderen nahm. Alle empfanden das Rennen als viel weniger anstrengend als die beiden Etappen zuvor, nach denen jeder am liebsten aufgegeben hätte, dennoch waren sie alle außer Atem, nur nicht so abgekämpft. Sie fuhren anschließend zu Kleens, wo sie eine kleine Pause machten, es war kurz vor 15.00 h, Oma und Opa würde in Kürze erscheinen, sie hätten aber noch zwei Etappen zu meistern.

Für die nächste Etappe baten sie Clarissas Eltern, dass sie sich auf halbem Wege zum Anleger und auf dem Anleger selbst postierten, sie sollten überwachen, dass die Etappe vernünftig absolviert würde. Bubenhäusers fuhren los, und als Herr Bubenhäuser am Anleger angekommen war, rief er kurz mit Clarisas iPhone durch, dass er bereitstünde und sie anfangen könnten. Hauke war wieder der Erste, Fiete nahm seine Zeit, er raste los und als er bei Frau Bubenhäuser vorbeikam, feuerte sie ihn an. Am Anleger lief er schlauerweise direkt zur Spitze und zählte auf dem Rückweg die Bohlen, indem er Schritte mit immer drei Bohlen machte. Er notierte schnell die ermittelte Bohlenzahl und raste zurück, Fiete schrieb seine Zeit auf und ließ sich den Zettel mit der Zahl geben, die er ebenfalls in der Wettkampfliste notierte. Den Mädchen und Jan hatten sie zugestanden, bei Frau Bubenhäuser zu beginnen, ansonsten aber alles so machen zu müssen wie die anderen. Es dauerte über eine Stunde, bis sie diese Etappe abgearbeitet hatten, Oma und Opa Stevens saßen längst am Kaffeetisch, tranken Kaffee und aßen Torte mit Frau und Herrn Kleen. Langsam kamen alle zurück und setzten sich mit an den Tisch, um auch Torte zu essen, Frau Kleen hatte für die Kinder Limonade und Schokolade hingestellt. Mit dem Kuchen hielten sie sich noch zurück, es stand ja noch die letzte Etappe an, bei der jeder ein Stück Torte, Jan und die Mädchen ein Halbes, verschlingen mussten.

Fiete hatte den Text des Sommerliedes ausgedruckt und würde ihn jedem Teilnehmer in die Hand drücken, er hatte ein großes Schriftbild gewählt, damit auch jeder den Text gut lesen konnte. Hauke fing wieder an und rannte einmal um das Haus, das Singen war natürlich besonders anstrengend, weil er vom Laufen außer Atem war, er setzte sich an den Tisch und schlang den Kuchen hinunter, als er die Kuchengabel auf den Teller gelegt hatte, stoppte Fiete die Zeit und schrieb sie als letzte Eintragung in die Wettkampfliste. Bis alle durch waren, verging eine halbe Stunde, anschließend kehrte Ruhe in das Geburtstagsgeschehen ein, und Oma und Opa Stevens gratulierten schließlich Clarissa zum Geburtstag, sie schenkten ihr den „Schimmelreiter“ von Theodor Storm, den Fiete auch hatte, und den sie vielleicht am Gymnasium durchnehmen würde. Clarissa bedankte sich sehr und freute sich über das Buch, sie sagte, dass sie sich langsam, genau wie Fiete, zu einer Leseratte entwickeln würde. Hauke legte die Wettkampfliste auf den Tisch und begann mit der Auswertung, er addierte die Zeiten und Fiete holte dazu seinen Taschenrechner. Ein wenig Probleme bereitete am Ende die Bohlenzahl, wie sollten falsch gezählte Bohlen gewertet werden? Sie kamen in einem Gespräch überein, jede falsch gezählte Bohle als eine Strafsekunde zu werten. Am Schluss verkündete Hauke das Ergebnis und alle waren still, zur Siegerin des gesamten Wettbewerbs wurde Isolde erklärt, sie lag am besten in der Zeit und hatte die Bohlen exakt richtig gezählt.

Isolde musste aufstehen und alle klatschten Applaus, sie wurde rot im Gesicht, was sich aber gleich wieder verflüchtigte. Herr Bubenhäuser stand auf und sagte ein paar Worte, er, und auch die anderen Erwachsenen bewunderten die Kinder wegen ihres Willens und ihrer Ausdauer, er ging zu seiner Tochter und gab ihr einen Kuss auf die Wange, sodass Isolde noch einmal rot wurde, sie bekam noch einen Applaus und setzte sich wieder auf ihren Platz.

Der Wettkampf steckte den Kindern in den Knochen, man konnte es jedem Einzelnen ansehen, er war kein Vergleich zu dem Wettbewerb, den sie im Frühjahr an Fietes Geburtstag im Haus ausgetragen hatten, das hatte alles eher etwas Spielerisches gehabt, beim Wettkampf, den sie so eben hinter sich gebracht hatten, kam es auf körperliche Fitness an. Sie tranken alle noch gemütlich Kaffee und Schokolade und aßen von Clarissas Lieblingstorte, Buttercreme mit Schokoladen-Sahne, sie schafften noch gerade ein Stück davon, dann mussten sie aufhören, die Torte war zu mächtig. Oma und Opa Stevens hatten sich richtig fein gemacht und zum Abend hin zogen sich auch Bubenhäusers um, sie zogen sich keine sehr feinen Sachen an, aber doch etwas Besseres als das, was sie den ganzen Tag über trugen, auch Kleens zogen sich um, denn am Abend hatte Herr Bubenhäuser auf der Terrasse des Kurhauses einen Tisch reserviert, er wollte wie im letzten Jahr mit allen dort essen.

Als alle fertig waren, liefen sie ins Dorf und zum Kurhaus hoch, die Terrasse lag im Schatten, sie bekamen den gleichen Tisch wie im letzten Jahr, wieder mit dem tollen Meerblick und dem warmen Wind, der von Nordwesten her über die Insel strich. Der Kellner kam und nahm zunächst die Getränkebestellung auf, bevor er jedem eine Speisekarte gab und die Jungen bestellten sich nur das Beste, wie sie es auch im letzten Jahr gemacht hatten, sie nahmen Rindersteaks mit Pfefferrahmsoße, Prinzessböhnchen und Kroketten. Als das Essen auf dem Tisch stand, erhob sich Herr Bubenhäuser, hielt sein Glas hoch und wünschte allen einen guten Appetit, er stieß mit ihnen auf den zwölften Geburtstag seiner Tochter an. Die Kinder waren an sich vom Kaffeetrinken noch gut gesättigt, ließen sich aber ihr Essen dennoch schmecken. Die Jungen gingen anschließend mit zu Kleens, sie hatten Zelte im Hof aufgebaut und wollten bei Kleens übernachten, Jan und Fiete legten sich später in ihren Schlafsäcken zu ihnen in die Zelte. Im Hof machte es sich jeder gemütlich, es begann gegen 22.00 h dunkel zu werden und Herr Kleen zündete die Gaslampen an, damit man etwas sehen konnte. Die Frauen tranken Wein, die Männer Bier und Schnaps, die Kinder bekamen Limo und Cola. Clarissa durfte einmal am Wein ihrer Mutter nippen, er schmeckte ihr aber nicht und sie ließ es beim einmaligen Nippen bewenden.

Zu vorgerückter Stunde brachte Frau Kleen ihre Eltern nach Hause und kam dann wieder zurück, sie trank mit Frau Bubenhäuser und den Männern einen Schnaps und alle gingen schlafen. Als Clarissa und Fiete am Morgen Brötchen holen gingen, doppelt so viele wie normal, wegen der Jungen, hatten sie längst ihre Rucksäcke gepackt, Frau Kleen würde beiden noch etwas zu essen und zu trinken mitgeben. Bei Lorenzen schüttelte man Clarissa die Hand und wünschte ihr alles Gute zu ihrem zwölften Geburtstag, man hoffte, dass sie noch viele Sommer auf Süderland Urlaub machte. Nach dem Frühstück verabschiedeten sich Clarissa und Fiete von den Eltern, Geschwistern und den Jungen und fuhren zum Fähranleger, es war erst 9.15 h und sie hatten noch Zeit, sie setzten sich auf die Bohlen und redeten über Clarissas Geburtstag. Endlich nahm Fiete all seinen Mut zusammen und sagte Clarissa, dass er sie sehr, sehr mochte, er war ein bisschen rot dabei geworden und war froh, dass er Clarissa das einmal gesagt hatte. Clarissa lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Wange, auch sie mochte Fiete sehr, sagte sie, sie wollte so lange wie möglich seine Freundin sein. Fiete ergriff ihre Hand und sah ihr ins Gesicht, er drückte Clarissa und gab ihr noch einen Wangenkuss. Sie konnten in der Ferne das Boot sehen, das sie aufnehmen würde, es kam langsam näher, hatte aber noch eine ziemliche Strecke zu bewältigen, Clarissa und Fiete warteten geduldig auf dem Anleger.

Als das Boot endlich angelegt hatte, gingen sie an Bord. Sofort kam Thekla Broderson auf sie zu und stellte sich vor, sie war ein kleines bisschen pummelig, hatte mittellanges brünettes Haar und trug eine Jeans und ein T-Shirt. Sie freute sich, Clarissa und Fiete kennenzulernen und fragte gleich:

„Warum wollt ihr denn unbedingt nach Kerstholm, ich kann mir für Kinder in Eurem Alter kaum etwas Langweiligeres vorstellen.“ Fiete sagte:

„Ich bin Süderländer und von meinem Großvater habe ich von der Insel gehört, er war einmal dort gewesen, als er noch im Gatt gefischt hat.“ Thekla war eine lustige Person, während der Überfahrt sprachen sie mit ihr über alle möglichen Dinge, sie stammte aus Esens und wäre nach ihrem Abitur nach Hannover gegangen. Clarissa sagte, dass sie aus Braunschweig stammte und drei Wochen zuvor mit ihrer Klasse nach Hannover in die Jugendherberge gefahren wäre, außerdem wäre sie einmal mit Fiete und ihren Freunden auf Einladung von Ministerpräsident Weil in Hannover gewesen. Thekla schaute die beiden groß an, sie fragte natürlich:

„Warum hat euch der Ministerpräsident eingeladen?“, worauf Clarissa und Fiete ihr die ganze Geschichte vom Einbrecher Korten alias Kleppmann erzählten. Thekla hörte gebannt zu und sagte hinterher:

„Da habt Ihr da ja ganz schön etwas erlebt!“, und sie wollte wissen, was ihnen denn in Hannover am besten gefallen hätte. Die beiden antworteten:

„Wir waren nur kurz in Hannover gewesen, wir haben die AWD-Arena und den Zoo sehr schön gefunden.“ Es hatte sich zu Thekla gleich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, sie war so natürlich und offen, Clarissa und Fiete fassten Vertrauen zu ihr. Es war gerade Hochflut und sie waren mitten auf dem Gatt, als das Boot mächtig gegen die Wellen krängte und seine gesamte Maschinenleistung gegen die Strömung aufbot. Fast schien es, als wäre das kleine Boot, mit dem sie nach Kerstholm übersetzten, hilflos den Gewalten des Meeres ausgeliefert, es hatte aber einen starken Motor, mit dessen Hilfe es sich den Strömungen widersetzte. Der Kapitän war ein Angestellter der „Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer“, Thekla kannte ihn nicht und er sprach kaum ein Wort, während er die ganze Zeit hinter dem Steuer stand. Dabei war Thekla umso redseliger, sie sprach und sprach, als wollte sie gegen die Leere anreden, der sie in den folgenden drei Monaten ausgesetzt wäre. Sie wäre noch nie auf Süderland gewesen, sagte sie, hätte aber früher einmal jemanden von Süderland in Esens kennengelernt, der dort das Internatsgymnasium besucht hätte, sie hätte ihn später aber aus den Augen verloren.

„Ich bin schon auf Wangerooge, Langeoog, Norderney und Juist gewesen“, sagte sie „und ich kann gar nicht sagen, welche Insel mir am besten gefallen hat, ich würde aber, wenn ich noch einmal eine Insel besuche, nach Juist fahren, die Insel ist so ursprünglich und naturbelassen, sie strahlt eine solche Ruhe aus, und wenn die Sonne scheint, macht sie einen alles andere um einen herum vergessen, das habe ich dort jedenfalls so empfunden.“ Sie konnten Kerstholm vor sich liegen sehen und die riesigen Vogelschwärme beobachten, die sich über die Insel erhoben, um sich anschließend wieder niederzulassen und zu ihren Nestern zu fliegen. Der Anleger war eine kleine Landungsbrücke, die recht verwittert war, aber einen sehr soliden Eindruck machte, Thekla sprang von Bord und machte das Boot fest, es sah so aus, als hätte sie das nicht zum ersten Mal getan. Der Kapitän stellte den Bootsmotor ab und sie gingen von Bord. Sie hatten ihn gar nicht bemerkt, als sie anlegten, aber auf der kleinen Landungsbrücke stand Dieter, der die Vogelstation während der letzten drei Monate belegt hatte und froh war, seinen Dienst beenden zu können. Thekla und Dieter kannten sich offensichtlich gut, sie liefen aufeinander zu und umarmten sich, Thekla stellte Dieter Clarissa und Fiete vor und sagte:

„Ich will ihnen die Vogelstation zeigen und ihnen erklären, worin unsere Arbeit auf Kerstholm besteht.“ Dieter ging zu Clarissa und Fiete und schüttelte ihnen die Hand:

„Ich bin erstaunt, dass so junge Menschen wie ihr Interesse an Kerstholm zeigen, wo doch hier nichts los ist, und für die meisten Menschen die Langeweile regiert.“

Dieter hatte eine hochrädrige Karre mitgebracht, die sie mit allen möglichen Dinge beluden, die Thekla während der folgenden drei Monate auf der Insel brauchen würde, das waren neben ihrer Kleidung und anderen persönlichen Dingen vor allem Konserven und für die erste Zeit auch Frischwaren, Gaskartuschen und andere wichtigen Sachen, die ein Überleben auf der Insel erforderte. Die Karre war bis oben hin vollgeladen und alle fassten an, sie zur Vogelstation zu ziehen, nur der Kapitän nicht, der blieb bei seinem Boot und machte die anderen auf die Abfahrtszeit aufmerksam, die bei 16.00 h läge, er müsste dann fahren, weil er bei vollständiger Ebbe nicht durch das Gatt käme. Thekla gab ihm ihr Okay und sie liefen mit der Karre los, zunächst am Wasser entlang und dann in einen Sandweg, durch den sich die Karre nur sehr schwer ziehen ließ. Nach einiger Zeit sah man ein kleines Häuschen, das ein Flachdach hatte und in dem es zwei Zimmer gab, die für eine Person vollkommen ausreichend waren, die Toilette befand sich draußen und war ein Plumpsklo. Vor dem Häuschen stand ein Tisch mit zwei Stühlen, Dieter stellte noch zwei Kisten daran, die am Häuschen lagen und sie setzten sich alle an den Tisch. Dieter berichtete von einigen wenigen Vorkommnissen während der vergangenen drei Monate, viel war nicht passiert und seine Erzählung bezog sich ausschließlich auf das Verhalten der Vögel. Es war für Thekla der zweite Aufenthalt auf einer Insel, sie war also nicht ganz unerfahren im Umgang mit der einfachen Lebensweise, wie sie sie in den folgenden drei Monaten praktizieren würde.

Es herrschte ein unglaubliches Vogelgeschrei um die vier herum, an das sich Clarissa und Fiete erst noch gewöhnen mussten. Thekla und Dieter machte das nichts aus, Thekla war sogar in der Lage, bestimmte Vogelschreie einzelnen Vogelarten zuzuordnen, sie schien sich auf die vor ihr liegende Zeit zu freuen und war fröhlich und guter Dinge. Sie ging ins Häuschen und kochte für alle Tee. Dieter sagte:

„Während der Brut ist auf der Insel ganz schön was los, man hat zu tun, die Vögel zu beobachten und in ihrem Bestand zu erfassen. Es ist interessant, festzustellen, welche Strecken die Zugvögel zurückgelegt haben, einige sind beringt, mithilfe der Ringe kann ich die Flugstrecken zurückverfolgen, und ich habe Nachrichten von sehr weit her erhalten.“ Thekla kam mit dem Tee wieder nach draußen und setzte sich an den Tisch, sie ließ ihren Blick über die Insel schweifen und war zufrieden:

„Das ist mein Leben, sagte sie, wenn ihr alle wieder weg seid, fühle ich mich frei von allem.“ Clarissa und Fiete fragten:

„Können wir nicht einmal einen Gang über die Insel machen?“, und Thekla anwortete, dass sie erst ihren Tee trinken sollten, sie würde sie hinterher führen. Thekla lief mit Clarissa und Fiete auf die andere Inselseite, Dieter blieb bei dem Häuschen, er hatte während der vergangenen drei Monate genug von der Insel gesehen und wollte nicht mitkommen, was man verstehen konnte.

Fiete erwähnte Thekla gegenüber Clarissas Geburtstag am Vortag und Thekla gratulierte Clarissa herzlich:

„Ich wünsche Dir alles Gute, ich erinnere mich gar nicht mehr an meinen eigenen zwölften Geburtstag, ich bin vierundzwanzig und komme mir damit mächtig alt vor.“ Die andere Inselseite war, wie die ganze Insel überhaupt, vollkommen verwildert, es gab zwar einen Strand, der war aber völlig zugewachsen und von den Vögeln in Beschlag genommen. Tausende Vögel brüteten dort, am häufigsten kam die Seemöwe vor, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen an den Nestern, immer wieder wurde Futter gebracht und man wunderte sich, wie die Vögel unter den tausenden Nestern ihr eigenes fanden. Sie lagen auf den Dünen im hohen Strandhafer und Thekla hatte ihr Fernglas dabei, das sie Clarissa und Fiete gab, damit sie etwas sehen konnten. Sie bemühten sich, so ruhig wie möglich zu liegen, waren aber längst bemerkt worden, sie wurden von Lachmöwen angegriffen und schützten sich, indem sie ihre Arme über ihre Köpfe hielten. Sie erhoben sich vorsichtig wieder und liefen in gebückter Haltung nach hinten ins Inselinnere, sie gingen über kaum sichtbare Pfade, die Thekla aber sicher betrat und kamen an eine Senke, in der es nur so wimmelte von brütenden Vögeln aller Art, man sah dort viele Austerfischer, die zu den weit reisenden Zugvögeln gehörten, Thekla sagte, dass sie bis an die ostafrikanische Küste oder nach Indien zögen.

Die Zugvögel aber, die die meisten Kilometer zurücklegten, waren die Küstenseeschwalben, die es auf eine Kilometerleistung von 50000 Kilometer pro Jahr brachten, manche sogar bis zu 80000 Kikometer. Die Ornithologen auf Kerstholm fingen beringte Vögel, um anhand der Registriernummern Auskunft zu geben, wo sich der Vogel gerade aufhielt, umgekehrt bekamen sie Nachricht über Vögel, die sie selbst beringt hatten und trugen solche Meldungen in ihre Kladde ein, die in der Vogelstation lag. Es gab dort aber auch einen PC mit Drucker, sodass man erhaltene E-Mails ausdrucken konnte. Ansonsten bekamen sie Nachrichten über ihr Satelliten-Handy, das über ein Solarmodul aufgeladen werden konnte, auch der PC lief über Solarstrom. Wenn Vögel gefangen werden sollten, nahmen die Vogelkundler große Netze, in denen sie sich verfingen, meistens fingen sie nur einen Vogel, weil die anderen vor Schreck die Flucht ergriffen. Thekla nahm Clarissa und Fiete mit zur Westspitze von Kerstholm, wohin sie im Nu gelaufen waren, denn die Insel war nicht sehr groß. Dort gab es eine kleine Küstenseeschwalbenkolonie, die Thekla den beiden unbedingt zeigen wollte, weil Küstenseeschwalbe in der Region eher selten waren. Fiete schätzte, dass es sich vielleicht um fünfzig Vögel handelte, die sehr aufgeregt hin- und herflogen. Thekla sagte hinterher:

„Bei meiner letzten Zählung waren es vierundzwanzig Paare, wenn sie sich vermehrt haben, ist es umso besser, dann muss ich von Neuem zählen und den neuen Wert in unsere Bestandskladde übernehmen.“ Sie schlichen über die gesamte Insel zur Station zurück, die im Ostteil lag und trafen auf Dieter, der für alle ein Mittagessen zubereitet hatte, er hatte sich bei Theklas Frischware bedient und einen Salat gemacht, er hatte Kartoffeln gekocht und eine Art Fleischwurstgulasch mit vielen Zwiebeln angerichtet.

Sie setzten sich alle an den Tisch und aßen.

„Wie gefällt es Euch denn auf der Insel?“, wollte Dieter von den Clarissa und Fiete wissen und Clarissa sagte:

„Es ist alles so unglaublich interessant, ich habe nie gedacht, dass Vögel mich so interessieren würden.“ Fiete sagte das Gleiche und beide bewunderten Thekla und Dieter, die so viel Freizeit in ihre Arbeit mit den Vögeln steckten. Thekla ging mit den beiden ins Häuschen und zeigte ihnen dort, was es an wichtigen Einrichtungen gab, da war auf dem Dach das Solarmodul, das im Winter zwar reduzierte, aber noch ausreichende Leistung brachte. In den reinen Wintermonaten, von Mitte November bis Mitte Februar, wäre die Station selten besetzt. Es gab den PC mit Drucker und das Satelliten-Handy, mit dem Thekla im Notfall auch die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven anrufen konnte. Der zweite Raum war der Schlafraum, in dem es auch fließendes Salzwasser gab, das über eine Pumpe aus einem Fass, das draußen immer aufgefüllt werden musste, ins Zimmer gepumpt wurde.

Das Wasser musste in Eimern aus dem Meer zum Fass getragen werden. Zum Duschen ging man zum Meer runter oder man sprang ins Wasser. Zum Trinken gab es große Mengen Süßwasser, das in Kunststoffflaschen hinter dem Häuschen lagerte und mit der monatlichen Lebensmittellieferung aufgefrischt wurde. Clarissa und Fiete glaubten, dass Dieter froh war, die Insel nach so langer Zeit wieder verlassen zu können, er war mehr der Typ, der unter Menschen aufging und nicht so sehr die Einsamkeit liebte, aber er hat seine Arbeit gerne verrichtet und sich hervorragend um die Vögel gekümmert. Thekla war eher ein Mensch, der mit sich selbst genug hatte, ohne dass sie sich in sich zurückzog, im Gegenteil, auch sie liebte die Geselligkeit, musste sie aber nicht dauernd um sich haben. Thekla machte den letzten Dienst für das Jahr, gegen Ende hin, im Oktober und November, würde es stellenweise hart werden, wenn die Herbststürme über die Insel hinwegfegten, dann würde sich Thekla in ihr Häuschen zurückziehen und lesen oder sie schrieb, das war das Neuste, dem sie sich widmete, sie hatte ihre Liebe zum Schreiben entdeckt und schrieb Kinderbücher:

„Ich hoffe, damit in die Herzen der Kinder eindringen zu können“ sagte sie, „habe bislang aber noch kein Feedback, ich bin erst ganz am Anfang meiner Schreibtätigkeit.“

Dieters Essen schmeckte sehr gut, es war zwar einfach, passte aber sehr gut zu den Umständen im Freien am Tisch vor dem Häuschen, da wäre aufwändiges Essen mit komplizierter Zubereitung fehl am Platze gewesen. Außerdem erlaubten die beiden Gasflammen, mit denen man kochte, gar keine besondere Essenszubereitung. Dieter hatte seine Sachen gepackt und war abreisebereit, er ging mit Thekla kurz die Aufzeichnungen durch, die er während seines Aufenthaltes in der Vogelstation gemacht hatte und wies auf einige Besonderheiten hin. Sie machten alle nach dem Essen eine Stunde Pause, in der sie sich vor das Häuschen in die Wiese legten. Fiete hielt Clarissas Hand, und sie schauten beide in den Himmel, der wolkenlos war, es blies ein permanenter Nordwestwind und es herrschte vollkommene Stille, um die Mittagszeit waren selbst die Vögel still. Niemand sprach während der Pause ein Wort, das wäre einer Entweihung des Augenblicks gleichgekommen, die besondere Stille dauerte nur ungefähr eine Stunde, als sie Vögel wieder anfingen, herumzuschreien und aufgeregt hin- und herzufliegen. Das war das Zeichen für Thekla und Dieter, die Pause zu beenden und langsam zum Boot zu gehen, das am Anleger wartete.

Dieter umarmte Thekla und gab ihr einen Kuss auf die Wange zum Abschied, Thekla drückte Clarissa und Fiete:

„Ich wünsche euch alles Gute“, sie gab beiden ihre Handynummer, sie sollten sie doch einmal von der Nachbarinsel aus anrufen.

Der Kapitätn des Bootes hatte es sich die ganze Zeit während des Wartens neben dem Anleger gemütlich gemacht und sich in die Sonne gelegt, er sagte, dass er sogar für kurze Zeit eingeschlafen wäre. Es war Nachmittag geworden, als sie Kerstholm wieder verließen, der Kapitän drehte das Boot und hielt Kurs auf Süderland. Thekla stand am Ufer und winkte sehr lange, so lange bis das Boot nur noch ein Punkt auf dem Wasser war. Im Gatt kam mächtig Bewegung in das kleine Boot und die Maschine hatte gut zu tun, das Boot auf Kurs zu halten. Nach ungefähr einer Stunde machten sie am Anleger auf Süderland fest, Clarissa und Fiete sagten Dieter und dem Kapitän Tschüss und bedankten sich für den schönen Tag. Sie winkten Dieter noch auf seinem Weg zum Festland, nahmen ihre Räder und fuhren zurück zu Kleens.

Clarissa und Fiete II

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