Читать книгу Das Zille Buch - Hans Ostwald - Страница 6

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Da saßen die Weiber mit ihren Kindern – hielten sie ungeniert an die Brust – oder hielten sie ab: da konnte man sie belauschen ... Und überall waren freie Plätze, wo die Menschen sich noch auf die Erde setzen konnten.

Na – und immer habe ich auch nicht bloß gezeichnet. Manchmal wurde es auch so spät über ein Buch: Dickens – – und Zola: Germinal, Nana, Fruchtbarkeit – und was ich sonst alles bekam.

Aber auch später, als ich nicht mehr in die Werkstatt ging, saß ich morgens oft bis vier auf, am Reißbrett mit dem Stift oder stand vor der Staffelei. Na ja – wenn man was schaffen will! – Und ich rühmte mich zu Gaul:

›Du, jetzt geht's schon bis um viere‹!«

Über Zilles wirklich ernste und gewissenhafte Einstellung zur Kunst mögen seine folgenden Äußerungen unterrichten und aufklären:

»Es gab so viele, die sich vor eine Sache hinstellten oder hinsetzten und sie mühselig abmalten. Das Volk lässt sich das nicht immer gefallen. Und dann wechselt doch auch das Bild rasch. Auf der Straße – und auch sonst: Licht und Farbe.

Ich machte mir bloß Notizen. Und sagte: ›Das müsst ihr euch ins Auge klemmen – und denn zu Hause verarbeiten! ...‹

Wer das nicht kann, der kommt nicht zu einer fertigen Sache.«

*

»Wie das so ist: erst hat man keine richtige Kritik für seine eigenen Sachen. Und so machte ich denn die Körper immer zu lang und die Köpfe zu klein. Bis mir eines schönen Tages der Bildhauer Krauß sagte:

›Mensch, Ihre Figuren haben ja alle zu viel Kopflängen!‹ Und das stimmte!

8. Zille vor seiner Staffelei. Hinter der Staffelei Senta Söneland.

Nach einer Photographie.

Da sah ich mich vor. Und was kam nu!?

Als Hyan mal meine Zeichnungen sah, meinte er:

›Na, Ihre Puppen haben wohl alle eens uff'n Kopp gekriegt!‹

Und das stimmte auch!

Na – nun suchte ich eben das Richtige.«

*

»Liebermann fragte mich mal, warum ich keine Selbstbildnisse male.

Ich antwortete ihm:

›Wenn ich mich früh im Spiegel gesehen habe, wenn ich mich gekämmt habe, habe ich genug von meinem Gesicht!‹ –«

*

»Liebermann fragte mich auch mal: ›Vakoofen Sie? Sie müssen doch mächtig Jeld machen!!‹

›Nich wie Sie bei de Reichen‹, antwortete ich ihm. ›Ich verkoofe bloß an kleene Leute. Die können nich Dausende zahlen: Denen muss ick die Freude schon billiger machen!‹

›Zille, det is schön von Ihnen!‹

Ich schwieg ein Weilchen, überlegte und sagte: ›Ach, Herr Professor, die Leinwand und die Ölfarbe achte ich viel zu hoch. Und denn: es malen schon zu viel Leute in Öl. Ich kritzle lieber auf Papier!‹

›Na, denn kleben Se doch Ihre Zeichnungen uff Pappe und schmieren Lack drüber. Dann kriegen Se mehr Jeld vor!‹ riet mir der berühmte Maler.

›Ich bleibe aber lieber bei meinem Kritzeln!‹ schloss Zille.«

*

»Das ist alles nur mit Gewalt gemacht!« behauptet Zille von seinen Werken. »Nur mit Gewalt!

Weil ich es gewollt habe. Weil ich mich immerzu gezwungen, immerzu geübt habe! Weil ich jedes kleine Ding beobachtete und abzeichnete. Jeden alten Latschen. Jeden krumm getretenen Stiebel. Jede alte Gosse. Jede Küchenecke. Jeden Straßenwinkel.«2 Und wenn man ihm erwidert: Aber auch die Küchenecke, der Stiebel und die Gosse sind doch von Ihnen so gezeichnet, wie es eben nur ein Meister kann!

Dann sagt er, mit einem nach innen flimmernden Zwinkern seiner hellen Augen, halb bescheiden, halb ängstlich sich belauschend, wie wenn er sich vor einer geheimnisvollen Kraft in seinem Innern fürchte:

»Nee, nee – das ist mit Gewalt gemacht! ...

Das habe ich alles nur mit Gewalt erzielt. Nur mit Fleiß! Und immer wieder Gewalt!

Sonst schafft man das nicht!

Das ist nicht Begabung.

Das ist nur Wollen.

Ich wollte eben auch was für mich machen.

Ich wollte nicht immer in der Werkstatt bloß an einer Sache ein bisschen rum arbeiten. Wie etwa so'n Arbeiter, der bloß sein ganzes Leben lang Türklinken macht – vielleicht bloß die Gussnaht abkratzen – oder den Gusskopp abkneifen.

Nee –

Da fragten mich die Herren von der Photographischen Gesellschaft, warum ich denn jeden Morgen schon zeichne – so 'n bisschen nach der Natur – und abends auch noch oft bis in die Nacht. Das hätte ich doch nicht nötig. Ich hätte doch mein Brot.

Ja, ich wollte doch auch was für mich machen.

Was Ganzes wollte ich machen.

Ich wollte was machen, aus mir heraus.

So, wie ich die Welt und die Menschen sah.

Ich sah sie doch ganz anders, als die andern.

Und das musste ich eben machen ...«

*

»Alle möglichen und unmöglichen Kunstjünger – und solche, die sich dafür halten, schicken einem Proben oder rücken einem sogar selbst auf die Bude. Oder die lieben Eltern oder Onkels kommen und bringen Proben.

Ja, was soll man dazu sagen?

Soll man die Verantwortung auf sich laden, dass da wieder so 'n Kunstproletarier erzogen wird? Ich sage meist:

›Werdet Schofför; die leben wenigstens nicht lange – die haben aber Brot‹ ...

Weiß man, wie solch Mensch sich entwickelt?

Manch einer macht als Kind so viel Versprechungen – macht die schönsten Bilder. Überhaupt, wenn Vater selbst Künstler ist oder in der Familie allerlei Liebhaberei getrieben wird. Dazu kommt dann solche kindliche Ursprünglichkeit – und das Genie ist fertig.

›Unser Peter braucht doch kaum was zu lernen – ach, der braucht gar nicht mehr zu lernen. Sehen Sie nur, was der kann!‹

9. Die Jungfernbrücke im Schnee zeichnete Zille, nachdem er, nachts aus einer Kaschemme heimkehrend, sie im frischen Schnee gesehen. Er benutzte diese Skizze zu einem Rodelbild, und zu der Zeichnung, auf der die noch »immer frisch vom Lande« gekommene Dirne die Männer anspricht.–

Und es ist auch manchmal überraschend, was so'n Junge kann. Ja – und dann, wenn die Pubertät vorbei ist – dann soll er selber Charakter haben – und Fleiß – und Erfindung –

Und denn ist er ein hohles Ei. Ausgepustet ....

Nee – ich nehme die Verantwortung nicht auf mich.

Ich sage immer:

›Gehn Sie man auf die Hochschule und holen Sie sich da Bescheid. Die Leute da sind angestellt und werden dafür bezahlt‹ ...«

*

In seinen früheren Jahren ist Zille von manchen Geschäftsleuten rücksichtslos ausgebeutet worden. Seine Zeichnungen wurden, ohne dass er gefragt oder dafür bezahlt wurde, in Massen zum Nachdruck verkauft. Auch erschienen viele Abbildungen von ihm, zu deren Reproduktion er keine Genehmigung erteilt hatte, die von den Verlegern gegen seinen Willen veröffentlicht worden waren. Zuerst hat er wohl manches ruhig geschehen lassen: »Man verliert sonst seine Beziehungen.« Dann hat er gemeinsam mit Kollegen Nachdruckskontrolle geübt, seine Zeit im Dienste der Kollegen geopfert. Jetzt steht er auf dem Standpunkt, von dem er erzählt:

»Der Kunsthändler .... bot mir so recht niedliche Preise für meine Zeichnungen. Am liebsten hätte er den ganzen Schwung so auf Ramsch gekauft. Da sagte ich zu ihm:

›Gewiss doch – ich werde meine Zeichnungen pfundweise verkaufen!‹

Da merkte er denn, was los war und ging. –«

*

Selbstbewusst erzählt er, wie Liebermann immer für ihn eintrat, wie er ihn in die Akademie brachte (siehe Kapitel: »Wenn man berühmt ist«) und wie er auch bei andern Gelegenheiten Zilles Können anerkannte und bewertete: Ein großer Verlag stiftete einen Preis für den besten Illustrationszeichner. Selbstverständlich wollte er – schon um der Reklame wegen – seinen Hauszeichner ausgezeichnet sehen. Aber Liebermann, der neben andern als Schiedsrichter gebeten war, bestimmte Zille als Preisträger. Das gab dann einen langen Streit und Verhandlungen zwischen Liebermann und dem Verlag.

Schließlich einigten sie sich auf Zille und den Hauszeichner.

Der Verlag stiftete eben zwei Preise ....

*

Zu einer berühmten Sängerin sagte Zille nach Schluss des Konzertes:

»Wie glücklich sind Siel Wenn Ihre Arbeit vorbei is, denn is se wech . . . Unsa Dreck bleibt immer!«

*

Einen bekannten, modernen Maler, der alles nach dem Modell zeichnet und malt, belehrte Zille:

»Sie müssen das ins Auge klemm'n un denn nachher zu Hause ausschütten. Wenn Sie das nich können, denn is 'ne Photographie besser.«

Überhaupt steht Zille der jüngsten Kunst – sehr kritisch gegenüber. So sagte er öfter:

»Die soll'n man erst so'n Stiebel malen, wie'n der Anton (Werner) jemalt hat!«

Diese Äußerung ist bezeichnend für seine Kunstauffassung. Ihm ist kein Gegenstand zu geringwertig. Er muss nur künstlerisch durchgearbeitet sein.

Er bleibt dabei, dass »Kunst« von »Können« kommt.

*

Auch von andern Eindrücken sprach Zille, von solchen aus der Kunst früherer Zeit. Er ließ manchen gelten, der eine Zeitlang übersehen worden war. Sprach achtungsvoll von Paul Meyerheim, vergaß nie Hosemann und erläuterte mit der Eindringlichkeit des Schaffenden die Unterschiede zwischen dem Pessimismus von Wilhelm Busch und seiner eigenen, aufbegehrenden, auf Besserung dringenden Weltanschauung.

Und wenn er gefragt wurde, ob das Volk ihm denn für das liebevolle Hinweisen auf seine Leiden und Nöte gedankt habe, fragte er mutwillig:

»Soll es mir verhauen? ... Nee – dazu is't nich gekommen. Aber so'n bißken Liebe merkt man doch, wenn man sich ums Volk kümmert –«

*

Mit gutem Humor sieht er auf sein früheres Leben zurück und lacht über Erlebnisse und Angriffe mannigfacher Art:

»Meine erste eigene Wohnung war im Osten Berlins im Keller; nun sitze ich schon im Berliner Westen, vier Treppen hoch, bin also auch ›gestiegen‹. Einige Radierungen sind ins Kupferstichkabinett gelangt und eine Anzahl Zeichnungen und Skizzen in die Nationalgalerie. Jetzt, 1924, bin ich sogar Mitglied der Akademie geworden. Dazu schreibe ich das, was das völkische Blatt, der ›Fridericus‹ sagt: ›Der Berliner Abort- und Schwangerschaftszeichner Heinrich Zille ist zum Mitglied der Akademie der Künste gewählt und als solcher vom Minister bestätigt worden. – Verhülle, o Muse, dein Haupt.«

Z.

*

Wenn er auch nicht mehr ganz so handelt, wie er im Motto seines Lebens und Schaffens angegeben hat – wenn er auch längst den Schluck in der Destille und das Kille-Kille abgeschworen hat: mit dem Ergebnis seiner frohen Arbeit kann er gewiss zufrieden sein.

Zwar zweifelt er manchmal und meint:

»Das kommt ja doch alles in den großen Müllkasten der Zeit!«

10. Verhülle, o Muse, dein Haupt!

Skizzenblatt, zum 1. Mal veröffentlicht.

Aber er hat auf seine Zeit gewirkt, hat beste Zeitkunst geschaffen, hat Augen und Herzen geöffnet. Und da er das mit wahrhaft klassischem Können und mit ernstestem Willen tat, wird er nicht im Müllkasten der Zeit verschwinden, sondern Zille, der Künstler unseres Volkes bleiben.

Das Zille Buch

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