Читать книгу Bildung,Benehmen,Erziehung:Mangelhaft - Hans Peter Jannsen - Страница 4

Vorwort

Оглавление

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen kurzen Zeilen des obigen Liedes bringt es Leonard Cohen schon auf drastische Weise zum Ausdruck: „Irgendwie“ mögen wir keine Kinder mehr; in den Müll mit dem Fötus. Die Zukunft: nicht rosig, sondern mörderisch…

Sind dies nur leere poetische Ausdrücke oder Fragmente einer lyrisch - apokalyptischen Vorschau?

Man kann es manches Mal so drastisch empfinden, als tatsächlich in unsere Gesellschaft hineingewachsen, mit den entsprechenden Folgen. Wie dem auch sei, switchen wir ins Frühjahr 2015,Vortrag bei Arbeitgeberverband, der Redner:

Prof. B Raffelhüschen, Professor für Finanzwirtschaft und Direktor des Forschungszentrums

Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Thema: Erkenntnisse zur

Demografie, Wirtschaft und Soziales, Quo Vadis, Deutschland?

Finanzexperte. Vortrag beim Arbeitgeberverband. Was hat das hier zu suchen, mögen Sie fragen? Der Redner sinngemäß:

„Das Demografieproblem ist gelaufen“. In Bezug auf die Lebenserwartung: „Sie, die 50-60 jährigen, sind die größten Rohrkrepierer der deutschen Geschichte.. Zählen Sie durch: Drei von vier werden dement und müssen lange Jahre gepflegt werden,, stationär, denn pflegende Kinder gibt es ja nicht...Sie haben kein Problem, Sie sind das Problem ..Die Pflegeversicherung hat einen Generationenvertrag mit einer Generation gemacht, die es nicht gibt...es gibt zu wenig Kinder..“ da wären wir wieder bei Leonard Cohen. Und diesem Buch.

Bei zu wenig Kindern. Oder zu vielen gestörten Kindern, die im Grunde aus unserer Ablehnung und Gleichgültigkeit, unserer geringen Wertschätzung resultieren.

Circa 7 Milliarden Menschen leben auf unserem Planeten.7 Milliarden Individuen, die sich durch einzigartige Merkmale unterscheiden und zu absolut einzigartigen Kreaturen geworden sind. Es gab die dazugehörigen Eltern mit der gleichen Individualität; es gab die individuelle Erziehung dazu, mit den unterschiedlichsten Erziehungsmethoden, sozialen Umfeldern, Bildungsständen, Rasse, Abstammung, Menschentyp mit unendlich vielen Variationen in allen Aspekten des Großwerdens in der Gesellschaft. An dieser Stelle soll der Focus mehr oder weniger auf das in Deutschland erahnte und angenommene Mittelmaß von Erziehung

gerichtet werden.

In diesem Buch soll es um eine „ kritische Beobachtung“ der heutigen Erziehung mit dem Ziel gehen, dem smarten Leser einige Erkenntnisse, Hinweise und Denkanstöße zu geben, ein „Nicht-Ratgeber“ deshalb, weil es fast für jeden noch so kleinen ( und vielleicht nicht so bedeutenden) Aspekt und jedes noch so winzige Fragment der Erziehung solche Ratgeber in Hülle und Fülle gibt.

Dieses Buch ist großenteils ein Resümee dessen, was wir in unserer fast 25jährigen Arbeit in Einrichtungen der Jugendhilfe und in Schulen; speziell einer Intensiv-Arbeit in einer familienersetzenden Jugendhilfeeinrichtung, lernen durften.

In vielen Begegnungen, Erlebnissen, Möglich- und Unmöglichkeiten im Erziehungsalltag und der sogenannten „pädagogischen Praxis“ hat sich so viel an Erlebtem aufgestaut, dass es irgendwann an der Zeit war, den „Dampf aus dem Kessel“ in gedruckte Form zu bringen.

Der Anstoß dazu war nicht die eigentliche Arbeit als Heimleiter, Erzieher und Betreuer, die im Grunde schon durch viel belastete Er- und Beziehungsarbeit geprägt ist, sondern das weit darüber hinausgehende, z. T. versagende Erziehungs-, Schul- und Bildungssystem sowie die immer öfter fehlende kompetente Erziehung am Individuum, die Auswirkungen in unserer veränderten Gesellschaft hinterlässt.

Selbstverständlich betrifft die hier dargestellte Problematik nicht ALLE Kinder, Eltern und Familien in unserer Gesellschaft. Sehr viele Eltern und Familien (er)leben in hervorragender Weise und auf unterschiedlichste Art eine gute, kompetente, förderliche und intelligente Lebens- und Erziehungspartnerschaft.

Allerdings ist ebenso eine große Anzahl von Eltern in Unsicherheit und Ungewissheit über die Richtigkeit und Wichtigkeit ihrer Erziehungsmethoden geraten. Viele Eltern weigern sich, ihre Erziehungskompetenz in richtiger Art und Weise anzuwenden, viele Eltern haben in gewisser Weise Angst vor Kritik ihres Erziehungsverhaltens, und viele „wagen“ es nicht, ihre Kinder zurechtzuweisen.

So behauptet z. B. der schwedische Buchautor und Psychiater David Eberhard in einem ZEIT-Interview (Nr. 11. v. 12.3.2015): „Die liberale Erziehung ist gescheitert“; beispielhaft führt er an, dass einige Restaurants in Stockholm mittlerweile Familien den Zutritt verweigert haben, weil die Kinder sich dermaßen daneben benehmen, Getränke verschütten, Herumschreien, bei Minustemperaturen die Türen öffnen etc., die Eltern jedoch daneben sitzen und nicht mal daran zu denken scheinen, einzugreifen! Zitat:

„Eltern verhalten sich nicht mehr wie verantwortungsvolle Erwachsene, sie stellen sich auf eine Stufe mit dem Kind, wagen nicht, ihm zu widersprechen, Grenzen zu setzen. Sie treffen keine Entscheidungen mehr und wollen cool und hip und rebellisch sein wie ihre Kinder.“

Und weiter auf die Frage: Woher kommt die Angst, dem Kind durch Erziehung und Strenge Schaden zuzufügen? Eberhardt: „Mein Eindruck ist, das kommt von zu viel ‚Experten‘.“

Andere Beispiele folgen: Warum im ach so kinderfreundlichen Schweden die Schulen im internationalen Vergleich soweit abgerutscht sind, warum Elternschaft kein Wert mehr ist und lediglich gleichberechtigtes Arbeiten der Partner als erstrebenswert gilt, warum Kinder nicht mehr auf Eltern und Lehrer hören und so weiter und so weiter. Negativbeispiel nach Negativbeispiel folgt, die komplette Katastrophe ist im Buch: „Kinder an der Macht – die monströsen Auswüchse liberaler Erziehung“ von David Eberhardt nachzulesen.

Die Zeit NR.22 v.28.5.2015 fragt in einer Serie über Intelligenz: “Was macht uns schlau?“

Hier einige Zitate:“ Wie schlau wir werden, entscheidet sich nicht erst in der Schule...die ersten Lebensjahre spielen eine entscheidende Rolle...diese Jahre sind Schicksalsjahre des Lebens...Wörter und Gesten, Lieder und Reime...ohne solches Hirnfutter kann sich unsere Intelligenz nicht richtig entwickeln..“ Soweit die ZEIT.

Diese Behauptungen decken sich absolut mit unseren Erfahrungen. Kein Kindergarten, keine

Schule, keine Betreuung vermag aufzuholen, wenn es hier elementare Versäumnisse gab oder

diese Zeit negativ geprägt war.

Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Therapeut Michael Winterhoff erarbeitet in seinem Buch: „Wie unsere Kinder zu Tyrannen werden“ in sehr kompetenter Weise, warum unter dem Deckmantel eines sogenannten „partnerschaftlichen Umganges“ Kinder überfordert werden und sich keine Struktur und Ordnung entwickelt; warum die Entwicklung, Kindern und Jugendlichen keine Grenzen mehr zu setzen, die auch wir seit Jahrzehnten in der Aufarbeitung dieser Entwicklungen verfolgen, nicht zielführend ist. Soweit, so schlecht.

Glücklicherweise gibt es noch eine große Mehrheit an Eltern ,die diese Problematiken nicht in ihrer Erziehung erleben müssen und denen es geschenkt ist, die Erziehung ihrer Kinder vernünftig und gut zu gewährleisten und sich nicht einer – oft auch noch durch Medien zementierten – Aufgabe von vernünftigen und angesagten Erziehungsprinzipien hinzugeben. Die Voraussetzungen in unserem Land könnten – zumindest theoretisch – kaum besser sein:

Als eines der reichsten Länder der Erde mit einem der besten Bildungs- und Gesundheitssysteme weltweit, mit höchsten Lebensstandards, hervorragender Infrastruktur und allgemeinen Lebens- und Umweltbedingungen können wir auf sehr viele Ressourcen und Annehmlichkeiten zurückgreifen. Gemessen an diesen Voraussetzungen und den vielen milliardenschweren Ausgaben des immer weiter wachsenden Bildungs- und Sozialetats, könnte man eigentlich erwarten, dass „Bildungserfolge“ wie gesteigerte Allgemeinbildung, gute Leistungen in Schule und Beruf, Erziehung etc. zu erwarten wären.

Das krasse Gegenteil scheint für große Teile der betroffenen Altersklasse der Fall zu sein. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg zeigen so viele Bildungsparameter absteigende Werte und so viele Kurven nach unten. Die Standards sinken praktisch mit jedem Einschulungs- bzw. Abschlussjahr. Ohne innovative, für beide Seiten (Eltern-Kinder/Schule-Schüler) verpflichtende Lebens-und Lernkonzepte, die eingeübt werden müssen, wird wohl dort keine befriedigende Situation entstehen.

Deutschland ist ein Land mit einem hohen und guten Bildungsstandard und sehr vielen Möglichkeiten zur Bildung: Ausbildung und Weiterbildung; reichlich vorhandene Maßnahmen zur Förderung, Beratung, Integration Erwachsenenbildung und was noch weiter genannt werden mag bieten sehr gute Möglichkeiten zur Anhebung des Bildungsstandards für alle Bevölkerungsschichten. Generationen haben dieses System zur Vorbereitung auf ihr späteres Leben nutzen können und Deutschland damit zu einem Land mit sehr hohem technischen Know-how, anerkannt in aller Welt, gemacht.

Mit der zeitgeistgeprägten Veränderung des sozialen Zusammenlebens ging gleichermaßen eine kolossale Veränderung in der Erziehung bzw. in der Sozialisation von Individuen einher. Oder, um das Pferd von hinten aufzuzäumen: Die veränderte Situation in der Erziehung bewirkte eine z. T. schleichende, z. T. sehr schnelle Veränderung in der Gesellschaft.

Aufgrund der gegebenen, von außen betrachtet im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten immer besser finanzierten und situierten Bildungseinrichtungen möchte man meinen, es seien gute bis sehr gute Voraussetzungen für Betreuung, Bildung und Fortbildung in unserem Land vorhanden.

Ein genaueres Hinschauen jedoch, besonders an den Schulen, offenbart jedoch mittlerweile einen mitunter katastrophalen Zustand unserer Systeme und gleichermaßen ein mittleres Chaos in den Erziehungsfragen.

Schule und Ausbildung werden von einem überwiegendem Teil der Bevölkerung als elementare Grundvoraussetzung und Grundlage für ein finanziell autonomes, gesellschaftlich und wirtschaftlich abgesichertes Leben angesehen und sind die Grundlage zum Erwerb und zur Sicherung und Förderung sozial integrierten, in einem Grundkonsens anerkannten Lebens, auch wenn alternative Formen an Bedeutung gewinnen.

Voraussetzung für schulische Bildung ist die häusliche Erziehung; Sozialisation, Integration und Vermittlung allgemein gültiger Werte ist das, was von häuslicher Erziehung erwartet wird und für ein gelungenes gesamtgesellschaftliches Leben Bedingung ist.

Große Umwälzungen haben in den letzten Jahrzehnten genau in diesen Bereichen jedoch für erhebliche Veränderungen im Sozialverhalten besonders junger Menschen geführt und führen z. T. zu erheblichen Veränderungen im Zusammenleben in der Gesellschaft. Die klassische familiale Erziehung erlebt seit Jahrzehnten Auflösungstendenzen und verschiebt zunehmend die Erziehung und Betreuung in externe Bereiche; großenteils wird die gebotene Verantwortung für die nächste Generation von den Verantwortlichen nicht oder nur ungenügend wahrgenommen. Individualerziehung wird teilweise nur noch rudimentär ausgeprägt vollzogen – mit dementsprechenden Auswirkungen. Mühsam zu erwähnen, dass die sogenannte 68er-Bewegung mit ihrer normenauflösenden und normenverändernden Anti- bzw. anti-autoritären Erziehung zu einem Großteil zu dieser Entwicklung beigetragen hat. So sehr berechtigt auch manches Aufbrechen von verkrusteten Strukturen gewesen sein mag, eine alternative Nicht-Erziehung ins pädagogische Niemandsland auf gut Glück hat natürlich keine positiven Auswirkungen auf Erziehungs- und Bildungsstandards haben können, auch wenn es bis zum Erbrechen propagiert wurde.

Der Vorläufer einer Berufsausbildung, eines Studiums oder einer beruflichen Weiterbildung und Teil unseres Gesellschaftssystems ist nach wie vor die Schulausbildung mit der ihr zugrunde liegenden Schulpflicht. Damit verbunden sind ein erfolgreicher Abschluss und die dazu erforderlichen Lern- und Leistungsanstrengungen, der permanente Schulbesuch, Erledigung der aufgegebenen Arbeiten, Einhaltung vorgegebener Regeln, die Erfüllung allgemeiner Anforderungen, die positive soziale Interaktion mit Mitschülern und Lehrern, eine gewisse Disziplin, eine gewisses Maß an zwischenmenschlichen Standards und nicht zuletzt ein Mindestmaß an Formen sozialer Interaktion, Anteilnahme und gegenseitiger Akzeptanz, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme sind im Beruf nach wie vor absolut unerlässlich. Wie auch sollte ein Zusammenleben in Schule und Gesellschaft ohne positive menschliche Interaktion wie gegenseitige Rücksichtnahme und Höflichkeit und ohne die erforderlichen, verbindlichen, oftmals unausgesprochenen Regeln funktionieren?

Der Schule vorgeschaltet ist in der Regel eine Phase frühkindlicher Betreuung, die in ihrer Varietät inzwischen ein großes Spektrum vom althergebrachten Kindergarten bis zu allen möglichen Formen individueller oder gemeinschaftlicher Betreuung reicht, oft schon in frühestem Kindesalter, die lange gepflegte enge (auch körperliche)Bindung zur Mutter ersetzend.

Das Aufgeben der naturgegebenen engen körperliche sowie sozial-emotionalen Bindung und Interaktion in den ersten Lebensmonaten und Jahren sowie die Übernahme dieser Funktionen durch Personen oder Institutionen der Fremderziehung, die aufgrund persönlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Gründe immer mehr praktiziert wird, hat nach Forschungen teilweise erhebliche Auswirkungen auf die geistigen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten von Kindern. So ist z. B. die Zunahme von seelischen Erkrankungen (Depressionen bei Kindern und Jugendlichen um das 24-Fache in zehn Jahren) u. U. auch auf die oben genannten Veränderungen zurückzuführen.

Angesichts einer desolaten Situation vieler Erziehender ist guter Rat teuer. Kann es überhaupt einen sogenannten „Erziehungsratgeber“ geben? Tritt das Phänomen nur bei sogenannten „bildungsfernen Schichten“ auf oder betrifft es mittlerweile weite Teile der Gesamtgesellschaft? Was sollte ein Buch zur Optimierung von Erziehungsverhalten beinhalten? Hochwissenschaftliche neue Erkenntnisse zu zeitgemäßen Erziehungstheorien? Schnelle, griffige Ratschläge für erziehungsresistente Kinder? Hinweise auf neue Medikamente oder Behandlungswege? Was würde all das nützen, wenn man sich nicht an eine Ursachenbehandlung begibt, die viel tiefer zu suchen ist, nämlich in einer weitgehendend veränderten Haltung in Bezug auf Erziehung, Familie und Werte in der Gesellschaft allgemein.

Wollen wir einfach akzeptieren, dass die z.B. mit ADS und ADHS beschriebenen Formen von Verhaltensauffälligkeiten zukünftig mehr oder weniger standardmäßig als Massenphänomen hingenommen werden und zum Teil einfach als Begründung für das Einstellen erzieherischen Handelns ge- bzw. missbraucht werden, wenngleich auch selbstverständlich in manchen Fällen diese Diagnosen zutreffend sind?

Wir haben es in der konkreten Arbeit zu oft erlebt, dass bei (häufig sehr schnell) gestellter ADS-/ADHS-Diagnose der Einsatz von Medikamenten als vermeintliches Allheilmittel allzu schnell und bis zum Exzess betrieben wurde und der lapidare Satz „Mein Kind hat ADS“ in Verbindung dazu wie eine Art Freibrief für zukünftige Erziehungsarbeit gewertet wurde, da allemal in der heutigen Zeit große Unsicherheit und Ratlosigkeit bezüglich richtigen Erziehungs- und Sozialverhaltens besteht.

Zunächst muss man jedoch feststellen, dass es keine allgemeinen und generationenübergreifenden Erziehungsstandards gibt und vielzitierte „Zeiterscheinungen“ sowie eine im weitesten Sinne individualisierte und hedonistisch geprägte Erziehung ihre Auswirkungen zeigen.

Erziehung beruht auf der funktionalen oder intentionalen Übertragung der eigenen Denk- und Lebensweisen sowie auf einer gewissen intuitiven und situativen Handlungsweise, definiert sich an Zeit- und Entwicklungskoordinaten immer wieder individuell und neu und ist in höchstem Maße in der Symbiose zwischen Erziehendem und zu Erziehenden verwoben.

Wie kann man dort eine wirkliche wirksame Beratung und Hilfe bei Problemen in allgemeiner Weise geben? Dies ist äußerst schwierig, von daher kann dieses Buch auch nur eine allgemeine Streuwirkung erzielen, wobei Hilfe in Einzelfällen auch möglich und wünschenswert ist, diese jedoch, zumindest bei komplexeren Fällen, immer einer persönlichen Beratung bzw. Hilfestellung bedarf.

Wer heute an Schulen, Kindergärten, Heimen, Beratungseinrichtungen, Kitas und vielen anderen Orten der Kinder- und Jugendarbeit tätig ist, erlebt teil- und zeitweise Unglaubliches. In unübersehbare Erscheinung treten an diesen Orten immer mehr Kinder und Gruppen, die den Grundkonsens eines durchschnittlich angemessenen Verhaltenskodex nicht mehr beherrschen oder auch nie gekannt haben und stattdessen in vielseitigen Formen auffälliges und z. T. abnormes Verhalten an den Tag legen.

Absolut harmlos beginnend mit fehlenden Gruß- und Höflichkeitsritualen, sich steigernd über fehlerbehaftetes Verhalten in Gruppen, Klassen, Schulen, gegen Lehrer, Erzieher sich weiter steigernd auf ein unerträgliches Maß an Fehlverhalten, Beleidigungen, Störungen, Mobbing, jegliche Sinnhaftigkeit vermissendes Verhalten, sexueller Anzüglich- und Freizügigkeiten, sprachlicher Abstürze und Peinlichkeiten, die jeder Beschreibung spotten und nur begrenzt zeitlich erträglich sind. Regalfüllende Beispiele könnten hier niedergeschrieben werden.

Die „Qualität“ dieser Verhaltensweisen hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Titulierungen wie „f ***dich , du Schlampe“ oder „halt die Fresse, du Wi*****“ müssen sich Lehrer und Erzieher/ Erzieherinnen heute oft schon standardmäßig gefallen lassen, und das nicht nur in großstädtischen Problembezirken.

Heute haben wir es mit einer Generation von Kindern und Jugendlichen zu tun, die die Autorität des Gegenüber teilweise oder gänzlich bei gleichzeitigem unangemessenem eigenem Verhalten und fehlender Reife in Frage stellt und damit sich selbst – spätestens beim Einstieg in den Beruf – ins Abseits stellt und oft lange Wege braucht, einigermaßen adäquat auf die Beine zu kommen. Man könnte das Phänomen auch soziale Degeneration nennen.

Wer wollte ernsthaft Erziehung in den fünfziger oder auch sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Gegebenheiten heutiger Weltsicht vergleichen?

Dennoch scheint es im ethischen und moralischen Empfinden gewisse, auch Jahrhunderte überdauernde Standards zu geben, die das innere Empfinden des Menschen nach wie vor treffend ein inneres „Auspeilen“ und „Ausrichten“ in zeitüberdauernder Weise prägen. Dazu gehören z. B. Werte wie gutes Benehmen, Anstand, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Ehrfurcht, Respekt, Fleiß, ein Mindestmaß an Leistungsbereitschaft, Arbeits- und Aufnahmebereitschaft, allgemein akzeptierte, höfliche Anstandsformen, guter zwischenmenschlicher Umgang, Werte wie Ehrlichkeit, eine gewisse Fähigkeit zur Unterordnung bzw. Annahme von vermitteltem Wissen , Kritikfähigkeit u. v .m., auch wenn diese Punkte wiederum großen individuellen Bandbreiten unterworfen sind und heute als Werte überwiegend untergegangen sind, die aber unser Gewissen und unsere Ethik immer noch „fordert“.

Ein gewisser Konsens in diesen Grundwerten ist für das Aufwachsen und Zusammenleben unerlässlich und braucht es, um funktionierende und prosperierende soziale Strukturen zu schaffen und zu erhalten. Lange Zeit haben sowohl ein religiös uns traditionell generierter Verhaltenskodex die überlieferten und angewandten Werte in der Erziehung bestimmt. Genau dieser Konsens scheint sich jedoch immer mehr in der Auflösung zu befinden und dies hat umwälzende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Darüber hinaus tragen zu einem Großteil dieser Veränderung auch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten, Computer, Internet und die allgemeine Technisierung, die sogenannte „digitale Welt“, bei, die unsere Gesellschaft im einem vor Jahren noch ungekannten Ausmaß beeinflusst.

Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den neuen Technologien wie Internet, Smartphones, PC Ein Identitätsverlust durch neue Medien findet bereits statt, parallele Spiel- sowie virtuelle Welten prägen bereits heute Millionen von Menschen, erste anerkannte Krankheitsbilder durch deutsche Krankenkassen sind etabliert.

Durch die Vernetzung und die ungleich große Möglichkeit der Beeinflussung ganzer Gesellschaften ergeben sich in der Gesamtgesellschaft wie auch beim Individuum erhebliche Veränderungen. Dies zeigt sich auch in alltäglichen Dingen.

Darüber hinaus ergibt gerade in diesem Bereich eine Kombination von sozialen Mangelzuständen mit den Nachteilen und Gefahren neuer Medien eine brisante Mischung.

Die Bindung und das große Suchtpotential der sogenannten „digitalen Welt“ beeinflussen in ungekanntem Ausmaß die Alltagssituationen.

Menschen sind in den letzten Jahrzehnten eine immens intensive und wachsende Bindung mit Medien und Technik eingegangen. Allein der Zeitaufwand für Fernsehen, Radio, Internet, Smartphones, Kommunikation mit digitalen Medien ist teilweise erheblich, abgesehen von Prägungen durch dieselben, viel Alltägliches und Notwendiges bleibt auf der Strecke.

Wie soll zum Beispiel eine gute Grundlage für einen Schultag gegeben sein, wenn Eltern zu bequem sind, ihre Kinder morgens zu wecken oder ihnen ein halbwegs gesundes und ausreichendes Frühstück mit in die Schule zu geben und stattdessen selbst vor TV oder PC sitzen und die Tätigkeiten dort der eigentlich erforderlichen Fürsorge und Zuwendung der Kinder dafür opfern? Oder wenn sie ihre Kinder darin unterstützen, sich gegen Lehrer und Schule zu stellen, und sie auffordern, sich nichts sagen zu lassen, ganz im Geist von aufmüpfig-zickigen, selbstherrlichen, uneinsichtigen Jungstars, wenn den ganzen Tag über die „Flach“-Bildschirme laufen, in Programmen, die im Wortsinn ebensolche Qualität haben? Wenn Geld nur für ungesunde Bedürfnisse der Eltern zur Verfügung steht und nicht für Lernen, Bildung, gemeinsames Unternehmen etc.? Der Besitz und die Beschäftigung mit immer mehr digitalen Elementen bewirkt bei vielen eine wachsende Entfremdung.

Ein Minimum an vorhandener „Ausstattung“ fast jeden Haushaltes mit Kindern und Jugendlichen in der westlichen Welt ist ein PC, Smartphone, Fernseher, Playstation, Radio. Wie viele Stunden lassen sich täglich allein mit PC-Spielen füllen!

Die digitale Abhängigkeit verändert Individuen und Gesellschaften als Ganzes. Wenn man heute von einem „DDC“ spricht, so ist das die Abkürzung für „Digital Detoxination Camp“ – Freizeitcamps für Jugendliche, Erwachsene, oftmals Manager und Geschäftsleute, in denen z. B. zwei Wochen lang der Umgang OHNE digitale Medien geübt wird, mit Entzugserscheinungen inklusive.

Wir empfinden die digitale Welt als Teil unseres Lebens und haben den Teilverlust und die Veränderung des „normalen Lebens“ dafür in Kauf genommen.

Über solche Dinge mag sich kaum noch jemand aufregen, da das schon fast zur Normalität geworden ist und nur noch exzessive Ausmaße oder eben exzessiver Missbrauch thematisiert werden. Aus Sicht des Erscheinungsbildes einer Kinder – und Jugendgeneration oder aus schulischer Sicht bedeutet dies jedoch eine massive DEGENERATION in der Qualität des Verhaltens und Auftretens in der Gesellschaft mit allen daraus folgenden Auswirkungen.

Kinder und Bildung werden oft als unangenehme Nebenerscheinung behandelt, ein notwendiges Übel, deren Betreuung und Erziehung man gerade so eben noch nebenbei "erledigen" muss, um ansonsten viel eigene Lebensqualität zu haben. Verantwortung für Kinder zu übernehmen bedeutet jedoch auch die Aufgabe eigener Wünsche und Investitionen in Kinder, finanzieller, und psycho-sozialer Art, Menschlichkeit, Liebe Zuwendung, Verständnis, die teilweise Aufgabe eigener Vorstellungen, ohne über die ganzen Selbstverständnisse, die oft keine Selbstverständnisse mehr sind, reden zu müssen.

Dieses Buch soll dazu beitragen, manchen Mangel und manches Defizit aufzudecken und ein Schritt hin zu mehr Verständnis und Erkenntnis für heutige Problemlagen zu sein. In begrenzter Weise ist es auch eine Sammlung von Hinweisen zur Erkennung und zum besseren Umgang mit Problemen in Familien, in Beziehungen mit Kindern und Jugendlichen.

Viele Menschen machen es sich in der Erziehung aber sehr einfach, frei nach dem Motto: Die Welt hat sich total verändert, der Zeitgeist fordert sein Tribut, wir sind moderner und brauchen Althergebrachtes nicht, es ist uns egal, was mit unseren Kindern passiert. Vielleicht helfen Ihnen die Inhalte dieses Buches, einige Schritte voranzukommen.Einleitung

Das Chaos an Schulen, die Warteschlangen bei Erziehungsberatern, Psychologen und Beratern, die hoffnungslose Überbelegung von Kinder- und Jugendpsychiatrien und die grassierende Rat- und Hilflosigkeit in Erziehungsfragen erfordern m. E. ein massives Umdenken und Umsteuern auf diesem Gebiet und zeigen die immer größer werdende Brisanz der Thematik an.


Die Ausführungen hier sollen eine Anregung sein, aus der Sie weitere Ideen ableiten können, wie Sie wieder Ruhe und Durchblick in die eigene Erziehungssituation oder in Ihren Berufsalltag bringen.

Bitte bedenken Sie, dass Sie hier trotz langjähriger Erfahrung der Autoren in der Erziehungsarbeit keine ärztlichen oder therapeutischen Ratschläge, die für individuelle Problemsituationen geeignet sind, erhalten. Diese müssen immer individuell anhand der einzelnen Problemsituation und des dazugehörigen Umfeldes erarbeitet werden. Wir weisen Sie deshalb vorsorglich darauf hin, dass wir keine Haftung für eventuelle Personen-, Sach- oder Vermögensschäden übernehmen. Auch können wir Ihnen keine Garantien bieten, dass die einzelnen Tipps in einzelnen Problemlagen „funktionieren bzw. anwendbar sind“, denn der Mensch ist ein Individuum mit vielen individuellen Prägungen im Denken und im Charakter.

Beachten Sie bitte auch, dass unsere Anregungen kein Ersatz für eine persönliche Beratung bei einem Kinderpsychologen, durch einen Arzt oder das Jugendamt vor Ort oder Beratungsstellen sein kann.

Unsere Erfahrungen jedoch haben gezeigt, dass man mit Mut und Entschlossenheit oft einen Weg gehen kann, mit dem Eltern und Kinder, Erzieher und Lehrer ruhiger und damit auch besser leben können. Der Weg mag lang und beschwerlich sein; um Veränderungen herbeizuführen zu können, lohnt es sich jedoch, loszugehen.

Dieses E-Book richtet sich daher an zwei Gruppen:

1 an pädagogisch arbeitendes Personal, Lehrer, Erzieher, Berater und sonst in der Erziehung tätige Personen

2 an Eltern, Mütter, Väter, Erziehungsberechtigte, Verwandte, Familien und alle, die sich in solchen kritischen Erziehungssituationen befinden oder daran arbeiten

Für die folgenden Abschnitte gelten insbesondere die am Anfang erwähnten Ausführungen, dass die beschriebenen Probleme, Fakten und Feststellungen NICHT repräsentativ für die Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen sind.

Gibt es „Erziehung“ im 21. Jahrhundert noch oder passt das Wort gar nicht mehr in unsere Welt? Wenn ja, was ist an Essenz in der Erziehung noch übriggeblieben? Verdient der Rest überhaupt die Bezeichnung noch? Könnte man es mehr eine „Partnerschaft der stillschweigenden Nichterziehung“ nennen? Verstehen viele unter Erziehung oftmals nur noch, ihren Kindern zu vermitteln, dass sie sich möglichst von Erwachsenen nichts mehr sagen lassen, sie keiner Korrektur bedürfen, stolz und selbstbestimmt, unreif und verschlafen, verträumt und unrealistisch vorbereitet auf die Reise ins Leben gehen?

Mit einigem Stolz und einer gewissen Portion an Überheblichkeit wird der eigene Sprössling oft eher nebenbei in einer Art Laissez-Fair-Haltung groß. Daraus erwachsen jedoch, ob absichtlich oder nicht, viele Individuen in einer Generation von anspruchsreichen, verwöhnten, egozentrischen, hedonistisch-narzistischen Kindern, abgestumpft durch mediale Überbeanspruchung und Gewalt, übersexualisiert, mediengeprägt, respektlos, modern lifestyle-like mit eloquentem Auftreten, kaum gefordert und Ansprüchen gegenübergestellt, sediert mit vermeintlichem „elektronischem“ und sonstigem „Wohlstand“, leicht über dem Boden der gesellschaftlichen Erfordernisse schwebend.

Ist das unser Standard, sind das unsere Erwartungen an unsere Kinder und Jugendlichen?

Es scheint so zu sein! Wer will sich dieser nicht einfachen Aufgabe widmen, bei Kindern ein vernünftiges und tragfähiges Lebensbild zu implementieren, das auch den Ansprüchen und Erfordernissen des realen Lebens gerecht wird? Haben nicht die meisten damit Konfrontierten schon lange die Waffen gestreckt? Ist es nicht einfacher, einfach keine Grenzen zu setzen und alles laufen zu lassen? Was bedeutet Erziehung überhaupt? Wer setzt die Normen für eine gelungene bzw. nicht gelungene Erziehung? Wie viele Jahre an Entwicklungsmöglichkeiten im Erwachsenenalter werden der Erziehung als „Nachbrenner“ zugestanden, bis sie vielleicht dennoch als gelungen bezeichnet werden kann?

Was daran ist beeinflussbar, was daran unabänderlich, Schicksal, sozusagen, vorgegebener Lebensweg? Was sollte ich passiv davon hinnehmen, was aktiv angehen? Allein an diesen komplexe Fragen sehen Sie schon, wie schwierig und vielschichtig das Problem ist. Genormte Antworten gibt es nicht. Was sich bei dem einem Kind als höchst wirksam erweisen würde, wäre bei einem anderen wirkungslos. Daher gilt es, die jeweils eigene Situation zu analysieren und damit zu arbeiten. Abgesehen von den vielen Eltern, die ihre Aufgaben noch verantwortungsvoll wahrnehmen, gibt es ein massenhaftes Auftreten eben dieser „Erziehungsvernachlässigung“.

Glücklich, wer nicht in zu starkem Maße von deren Auswirkungen betroffen ist. Kommen Sie als Lehrer an Ihrer Schule gut zurecht? Ist Ihnen als Mutter oder Vater die Erziehung Ihrer Kinder gut gelungen? Leben Sie zusammen in einem System relativer Harmonie? Gibt es in Ihrer Familie Werte wir Rücksichtnahme, Partnerschaft, Wertschätzung, Respektierung der Wünsche des anderen, gegenseitige Annahme und ein gutes Zusammensein zwischen Eltern und Kindern? Kommen Sie mit Ihren Schülern gut zurecht?

Dann schätzen Sie sich glücklich! Mag dieser Zustand für einige der Normalzustand sein, für viele bleibt es ein Wunschtraum. Wenn man heute in einer pädagogischen Einrichtung arbeitet, wird man sehr bald die Folgen jener Nachlässigkeit spüren und damit zu kämpfen haben.

Wer in Schulen und Heimen, in Beratungsstellen, in Kindertageseinrichtungen, in Jugendämtern und Hilfeinstitutionen tätig ist, wer als Psychologe, Berater und dergleichen arbeitet, kann in den letzten Jahren einen gewaltigen Anstieg von Problemen auf diesem Feld feststellen, sei es die Zunahme von psychischen Problemen bei Kindern , das (inzwischen) massenhafte Auftreten von verhaltensauffälligen Kindern, die Zunahme erziehungsunfähiger Eltern, die Zunahme von seelisch verwahrlosten Verweigerern, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wenn Sie, wie in unserer Einrichtung, es mit unmenschlichen Fällen von Erniedrigung, Verwahrlosung, Vernachlässigung, Missbrauch, Misshandlung, Traumatisierung, Zerstörung und Gewalt bei Ihren „Klienten“ zu tun haben, merken Sie sehr schnell, dass Sie an die Grenzen des Aushaltens dieses Zusammenlebens kommen. und vor allen Dingen, dass Hilfe nur noch sehr begrenzt möglich ist. Es gibt einfach nichts mehr zu reparieren, der Schaden ist zu groß, sodass oft nur eine begrenzte Begleitung und Hilfestellung möglich ist.

Jugendämter bringen überwiegend aus Kostengründen nur noch die „allerschlimmsten“ Fälle, und diese oft sehr, sehr spät, unter. Es wird mehr und mehr versucht, die in der Breite angelegten Hilfs- und Vorsorgekonzepte auszubauen, immer mehr Geld wird in diese „Präventivmaßnahmen“ gepumpt.

Man könnte die Behauptung aufstellen, dass mit oder trotz des Ausbaus und der Zunahme von Hilfeinstitutionen und Hilfen in der öffentlichen Erziehung, des Ausbaus der Betreuungseinrichtungen das Anwachsen von Problemen auf diesem Gebiet parallel einhergeht. Eigentlich basiert Erziehung auf ein paar einfachen Prinzipien, doch genau diese scheinen uns so modernen, fortgeschrittenen Menschen weitgehend abhandengekommen zu sein oder wir sind zu bequem oder ignorant, sie anzuwenden. Daher wendet sich dieses E-Book vielen dieser einfachen Prinzipien wieder zu. Mit dem Auftreten und der Behandlung von nicht mehr im Bereich des Normalen liegenden Problemen soll sich unser Buch beschäftigen.

Bildung,Benehmen,Erziehung:Mangelhaft

Подняться наверх