Читать книгу Zwinglis gefährdetes Erbe - Hans Peter Treichler - Страница 8
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Truppenverzeichnis des Aufgebots von Richterswil für einen Feldzug nach Norditalien.«tod» heisst der Randeintrag der zweituntersten, «heim» jener der untersten Zeile. Wo Simon Äschmann den Tod fand, ist nicht überliefert – Gelegenheit dazu gab es reichlich, als das eidgenössische Söldnerheer im Herbst 1512 die Lombardei eroberte. Hunderte von «Rödeln» oder Mannschaftslisten wie jene der Seegemeinde «Richtischwyl» erfassen die 18‘000 Söldner, die an der Kampagne teilnahmen.
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Solddienst
Bereits in der ersten Phase der Reformation erlässt der Zürcher Rat ein Verbot der Reisläuferei, also des Solddienstes in auswärtigen Heeren. Den Ausschlag geben religiöse und moralische Bedenken. 1521 schliessen zwölf eidgenössische Orte ein Soldbündnis mit Frankreich; als einziger der 13 Stände lehnt Zürich den entsprechenden Vertrag ab. Aber so dicht ist das wirtschaftliche und politische Flechtwerk, das der Exportartikel «Kriegsknecht» geschaffen hat, dass Zürichs Abseitsstehen den Landesfrieden gefährdet. Auch in der Stadt selbst gibt es gut bezahlte Lobbyisten, die sich die Zustände von einst zurückwünschen.
Beim «Grossen Pavierzug» von 1512 ist man sich noch einig: Die Eidgenossenschaft greift als Verbündete des Papstes und der Mailänder Herzöge in den seit Jahrzehnten geführten Machtkampf um Oberitalien ein. Schon der Zürcher Truppenanteil mit seinen 3200 Infanteristen und 400 Berittenen stellt ein eigentliches Volksaufgebot dar. Bei einer Bevölkerungszahl von 50‘000 macht dieses Detachement ein Fünftel der männlichen Einwohner aus – rund die Hälfte aller Wehrfähigen! Dabei kämpft man keineswegs um die Unabhängigkeit des Landes, sondern greift aktiv in die europäische Machtpolitik ein. Und dies mit Erfolg: Innerhalb weniger Wochen werden die französischen Besatzer aus der Lombardei vertrieben. Die Eidgenossen setzen Maximilian Sforza als Herrscher über das Herzogtum Mailand ein, betrachten Mailand fortan als ihr Protektorat und erweitern ihr eigenes Herrschaftsgebiet um das Veltlin.
Ein Triumph, dem aber schon drei Jahre später die militärische und politische Katastrophe folgt. Zwingli hat die Schlacht von Marignano (siehe i Die Niederlage von Marignano) als ohnmächtiger Beobachter von der Seitenlinie aus verfolgt. Für ihn wie für viele andere unabhängige Zeitzeugen steht fest, dass die aggressive Expansionspolitik der Eidgenossen in die Sackgasse führen muss. Jetzt ist es so weit: Gegen das französische Heer mit seiner überlegenen Artillerie stehen die gefürchteten Schweizer Nahkampfspezialisten auf verlorenem Posten. Am zweiten Tag der Schlacht ziehen sie sich zurück; sie haben 8000 (nach anderen Quellen: 10‘000) Todesopfer zu beklagen. Auch die Bilanz für den Zürcher Auszug sieht schrecklich aus: 800 bis 900 Gefallene. Rechnet man mit einer Kantonsbevölkerung von 50‘000, so kosten die schicksalsschweren Tage des 13. und 14. Septembers 1515 rund vier Prozent der männlichen Einwohnerschaft das Leben. Auf heutige Verhältnisse übertragen wären das 60‘000 Todesopfer – eine nationale Katastrophe! Sie wird sich ganz massiv auf die Ausbreitung des reformatorischen Gedankens auswirken.
i Die Niederlage von Marignano – Unter den zahlreichen Schlachten, die eidgenössische Truppen im Verlauf der oberitalienischen Feldzüge austrugen, wirkte sich jene von Marignano massgeblich auf die Grossmachtpolitik der 13-örtigen Eidgenossenschaft aus. Im Bündnis mit dem Papst und dem Herzog von Mailand versuchte ihre 20‘000 Mann starke Streitmacht, die Expansionspolitik der französischen Krone aufzuhalten. Am 13. September 1515 traf ihr Heer in Marignano, einem Vorort Mailands, auf die zahlenmässig überlegenen französischen Truppen von König Franz I. Es erlitt in einer ersten Phase der Schlacht schwere Verluste durch Artilleriefeuer, setzte am Folgetag nach stundenlangen Kämpfen zum entscheidenden Angriff an, wurde aber durch das Vorrücken einer venezianischen Streitmacht zum Rückzug gezwungen. Mit rund 9000 Gefallenen verloren die Eidgenossen fast die Hälfte ihres Kontingents. Ulrich Zwingli wurde als Feldprediger der Glarner Truppen zum Augenzeugen der Tragödie, die ihn zum erbitterten Gegner des Dienstes in fremden Heeren machte. Franz I., der sich in der Folge selbst als «ersten Bezwinger der Helvetier seit Julius Caesar» feierte, suchte schon im Folgejahr den «Ewigen Frieden» mit den 13 Orten. Das im November 1516 besiegelte Bündnis sah die Bereitstellung eidgenössischer Söldnertruppen für das französische Heer vor; es hatte in den Grundzügen bis zum Revolutionsjahr 1789 Bestand. (HLS sub Marignano)
Blut rinnt aus dem Ornat
Was haben die Eidgenossen in diesem Italien verloren? Wozu betreiben sie hier Territorialpolitik, zusammen mit Päpsten, Herzögen und der französischen Krone? Und wie rechtfertigen sie ihre erratische Bündnispolitik? Zu Beginn des Jahrhunderts haben sie sich zu Tausenden dem französischen Heer unter Ludwig XII. angeschlossen, wechseln im Sommer 1512 aber ins feindliche Lager und vertreiben Ludwigs Truppen aus eben jenem Territorium, das sie vor kurzem mit ihnen zusammen eroberten. Und so unerwartet kommt diese Kehrtwendung, dass sich plötzlich Landsleute auf beiden Seiten der Front finden, dass Eidgenossen gegen Eidgenossen kämpfen, in mehreren Gefechten.
Hier ist ein einziges Mass angelegt worden – jenes der Dukaten und Goldkronen. Wo nur mehr das Geld regiert, so klagt Zwingli in einer berühmt gewordenen Predigt, wird Weiss über Nacht zu Schwarz, ist der Feind von gestern dein Bruder von heute, wird aus dem obersten Hirten der Christenheit der gefrässige Wolf, gebärden sich der Papst, die Kardinäle in ihren purpurnen Ornaten als Kriegsherren. «Zu Recht tragen sie rote Hüte und Mäntel, denn schüttelt man sie, so fallen Dukaten und Kronen heraus; windet man sie aber aus, so rinnt deines Bruders, Vaters und guten Freundes Blut heraus.»
Diese Kampfansage an Rom (siehe « Soldbündnis mit Rom) stammt vom Frühling 1521. Ein erstaunlicher Zeitpunkt: Nur wenig mehr als zwei Jahre nach seinem Amtsantritt wendet sich der führende Geistliche der Stadt in aller Deutlichkeit gegen die oberste Instanz der Christenheit und fasst für seine Mitbürger in Worte, was keiner laut zu fragen wagt: Mit welchem Recht rüsten diese christlichen Herren ganze Armeen aus und schicken sie in den Krieg? Und was treibt den «biderben», den aufrechten Eidgenossen an, dass er «nur um des Geldes willen Herrscher unterstützt, denen es gar nicht ansteht, Kriege zu führen, also Bischöfe, Päpste, Äbte und andere Geistliche»? Ganz zu schweigen davon, dass er gegen Entgelt einem beliebigen Auftraggeber hilft, ein schuldloses Land mit Gewalt zu berauben, einzunehmen und zu verwüsten – dass du gelt nimpst und eim frömbden herren hilfst ein ander unverschuldet land gwaltiklich berouben, innemmen, verhergen?
« Soldbündnis mit Rom: Zwingli prediget diser zyt häfftig wider das gälltnemmen; sagt, wie es ein fromme Eydgnoschaft zertrennen und ummkeren wurde. Er redt ouch wider die vereinigungen mitt fürsten und herren, welche, wenn sy gemacht, achtete ein yeder biderman, was zuogesagt, söllte ouch gehallten werden. Dorumm sölle man in kein vereinigungen gan, und wenn gott einem volck hälffe uss vereinigungen, sölle man sich davor hueten und nitt widerum yngan, dann sy kostind vil bluots. Und ich wölt, sprach er, das man durch des bapsts vereinigung ein loch gestochen und dem botten uff den ruggen gäben hätte heym zuo tragen. Er redt ouch das: Ueber ein thierfräsigen wolff stürmpte man und den wolffen, die lüth verderbind, wölle nieman rächt werren. Sy tragind billich rote huet und mäntel; dann schüttle man sy, so fallind duggaten und kronen herus; winde man sy, so ründt dines suns, bruoders, vatters und guoten fründts bluot herus. In summa, wiewol Zwinglin von ettlichen zuogelegt ward, das er dem bapstszug ettwas glimpffet und sich von Keyserischen uffstifften lassen, ists doch kundtbar war, das er kein ding me geschullten und gewert hat. (ZW I, 7, S. 73)»
Zwingli predigte in diesen Zeiten mit Nachdruck gegen das Entgegennehmen von Geld und betonte, dass es die gläubige Eidgenossenschaft spalten und untergraben würde. Er wandte sich auch gegen die Bündnisse mit Fürsten und (anderen) Herren, denn sei man sie einmal eingegangen, so müsse man in der Art aufrechter Männer auch einhalten, was man zugesagt habe. Deshalb solle man keine (solchen) Bündnisse schliessen, und wenn Gott einem Volk aus einem solchen heraushelfe, solle man sich in Acht nehmen und keine neuen eingehen, denn sie kosteten einen hohen Blutzoll. Ich wünschte auch, sprach Zwingli, dass man ein Loch in die päpstliche Bündnisurkunde gestochen und sie dem Boten auf den Rücken geheftet hätte, damit er sie so nach Hause trage. Weiter sagte er, bei einem reissenden Wolf würden Treibjagden veranstaltet, aber niemand wehre sich gegen die Wölfe, die die Leute ins Unglück brächten. Diese trügen zu Recht purpurrote Hüte und Mäntel, denn schüttle man sie, so fielen Dukaten und Kronen heraus; winde man sie aber aus, so rinne deines Sohnes, Bruders, Vaters und guten Freundes Blut heraus. Kurz, auch wenn Zwingli von manchen Leuten bezichtigt wurde, er habe den päpstlichen Feldzug gutgeheissen und sich von den Kaiserlichen anstiften lassen, so ist es doch nachweislich wahr, dass er keine Sache heftiger gescholten und verurteilt hat.
«Böse Sitten»
Das ist eine unverhohlene Kampfansage an die Soldherren jeglicher Couleur. Wie weit kann Zwingli hier auf die Unterstützung durch die Regierung zählen? Und wie stellt man sich auf der Landschaft zu seinem radikal romkritischen Kurs? Ganz bestimmt kann Zwingli mit einem grossen Teil der Geistlichen rechnen, mit dem städtischen Domherrn wie mit dem einfachen Dorfpfarrer. Denn im täglichen Verkehr mit dem Volk erfahren diese Kollegen nur allzu schmerzlich, wie zurückkehrende Reisläufer die Umgangsformen prägen, wie die gewohnten Raufereien in tödliche Messerstechereien ausarten, wie sich Trunksucht und Arbeitsscheu ausbreiten. «Die Unsrigen», so Zwingli, «sind noch nie aus fremden Kriegen zurückgekehrt, ohne ungewohnte Kleidung für sich und ihre Weiber mitzubringen, dazu allerhand Speisen, unmässiges Trinken, neue Flüche. Was sie an Sündhaftem antreffen, das lernen sie gerne, sodass man befürchten muss, mit der Zeit werde man noch schlimmere Laster kennenlernen, wenn man nicht vom Dienst bei fremden Herren ablasse. Auch die weibliche Zucht wird geschwächt und entfernt sich von Gott» (siehe « Böse Sitten).
« Böse Sitten: Die dritt farlikeit ist, das man böss sitten mit frömdem gelt und krieg heimbringt und pflantzet. Das sehent wir eygenlich, dann die unseren nie heim kummen sind us frömbden kriegen, sy habend mit inen etwas nüwes bracht an kleydung ir selbs und irer wybren, an spyss, an tranck unmass, nüw schwuer; und was sy süntlichs sehent, lernend sy gern, also, das ze besorgen ist, lasse man nit von frömden herren, man werde noch schädlichere laster mit der zyt erlernen. Es würt ouch alle frowenzucht dess schwecher und unfrömmer. (ZW I, 10, S. 183) »
Die dritte Gefahr besteht darin, dass man aus dem Krieg zusammen mit dem fremden Geld verderbliche Sitten mit heimbringt und sie dort einreissen lässt. Das erleben wir ganz konkret, denn die Unsrigen sind noch nie aus fremden Kriegen zurückgekehrt, ohne neumodische Kleidung für sich und ihre Weiber mitzubringen, dazu allerhand Speisen, unmässiges Trinken, neue Flüche. Was sie an Sündhaftem antreffen, das lernen sie gerne, sodass man befürchten muss, mit der Zeit werde man noch schlimmere Laster kennenlernen, wenn man nicht vom Dienst bei fremden Herren ablasse. Auch die weibliche Zucht wird geschwächt und entfernt sich von Gott.
Das spricht manch einem geistlichen Herrn aus dem Herzen. Was die städtische Obrigkeit angeht, so dominieren im Augenblick die liberalen und reformwilligen Kräfte. Mit der vorgesehenen Aufhebung der Klöster tun sich die wenigsten schwer: Allzu verlockend ist die Aussicht auf den massiven Zuwachs an Grundbesitz, Rechten und Abgaben, mit dem die Stadt rechnen kann. Daneben gibt es einen konservativen Kern alteingesessener Geschlechter. Hier findet man sich nur widerwillig mit dem Reislaufverbot ab; vor allem verzichtet man nur ungern auf die Pensionsgelder. Denn nach wie vor erhalten angesehene Ratsherren regelmässige Zuwendungen von Seiten des Papstes, der französischen Krone oder anderer Parteien. Die Zielvorgabe: Die Empfänger dieser Pensionen oder Jahrgelder sollen als eine Art Lobbyisten die Interessen des jeweiligen Geldgebers vertreten; hauptsächlich geht es um die Anwerbung von Söldnern. Wie im Umgang mit Schmiergeldern üblich, werden die Beträge sehr diskret übergeben, was manchen Lobbyisten erlaubt, gleich mehrere Geldquellen aufs Mal anzuzapfen …
Hearings im Rathaus
Mit solchen Machenschaften befasst sich ein Komitee, das Bürgermeister und Räte in den Mittzwanzigerjahren einsetzen. Über drei Wochen hinweg kommen im Herbst 1526 mehr als vier Dutzend Vorgeladene zu Wort – von Zwingli, der die Untersuchung gefordert hat, bis zur Kneipenwirtin, die an einer feuchtfröhlichen Runde allerlei verdächtige Äusserungen aufgeschnappt hat. Die Protokolle haben sich bis heute erhalten: eine Folge von Einzelverhören, Gruppenbefragungen, Unschuldsbeteuerungen und Gegenüberstellungen, bei denen sich manche Verdächtige gegenseitig belasten. Die Abklärungen beginnen am 10. Oktober mit Ulrich Zwingli, der zwei Tage lang als eine Art Chefankläger Zeugen und Verdächtige vorlädt, und sie enden mit einem Eklat. Ratsherr Jakob Grebel, einer der ersten Befürworter der Reformation, soll trotz striktem Verbot während Jahren grosse Summen Pensionsgelder eingestrichen haben. Der Rat verurteilt ihn zum Tod; der 66-Jährige wird am zweitletzten Tag des Monats öffentlich enthauptet.
Seine Anhänger werden später unter der Hand verbreiten, hier sei ein Sündenbock gesucht und gefunden worden; mit gleichem Recht hätte die Todesstrafe auch andere Jahrgeldbezüger treffen können (tatsächlich sprach das Gremium hohe Geldbussen gegen ein Dutzend weitere Überführte aus). Das Protokoll der Verhöre erinnert in mancher Hinsicht tatsächlich an eine Hexenjagd. Manche «Beweise» stammen aus zweiter Hand, etwa aus einer Kneipe, wo ein Zeuge eine Gruppe von Zechern am Nebentisch belauscht, als sie in die trünk kommen syen und von pensionen und vom Evangelium redten. Zwingli selbst beginnt mit einer pauschalen Unterstellung: dass alle die, so mit pension verdacht sind, einhelliglich wider das Evangelium stritend – bei den Verdächtigen handle es sich durchs Band weg um Gegner des neuen Glaubens.
Stallknechte und andere Bedienstete der Angeklagten werden aufgespürt und vorgeladen und sollen bezeugen, wo und wann sich ihre Herren mit Mittelsmännern eines Königs oder Herzogs getroffen haben – auch wenn diese Treffen oft mehrere Jahre zurückliegen.
Da berichtet ein Zeuge von einem geheimnisvollen Boten, der zu später Stunde «gestiefelt und gespornt» das Haus eines Ratsherrn verlassen habe. Ein anderer hat im Bäderstädtchen Baden mit einem Offizier gezecht. Der habe ihm eine Handvoll Goldmünzen unter die Nase gehalten und geprahlt, so viel schnelles Geld bringe eben nur der Kriegsdienst ein. Im Haus eines gewissen Pfäffli Ziegler sei laut schwadroniert worden, der Zwingli wäre allen zu schwer, man müsse ihn irgendwie loswerden – man müesse luogen, wie man sin abkäm. Ein Stadtknecht weiss wiederum von anderen Stadtknechten, diese bezögen ein festes Gehalt, dorumb dass si die pensioner warneten, wann si si fachen (festnehmen) solltend …
Rette sich, wer kann
Allerdings bringen die Verhöre auch handfeste Ergebnisse, gerade im Fall von Jakob Grebel. Dass es dieser ohnehin schwerreiche Eisenhändler durch Zuwendungen aus verschiedenen Lagern auf Pensionsgelder von 4000 Kronen (6000 Gulden) brachte, hat er in privater Runde eingestanden; auch das bestätigen mehrere Zeugen.
Beim persönlichen Verhör wiegelt Grebel allerdings ab: Ein Teil der Gelder sei für die Ausbildung seines Sohns Konrad bestimmt gewesen, bei weiteren Summen handle es sich um Unternehmenskredite; andere Zahlungen hingegen fielen in die Zeit vor dem Verbot. Wenn er sich mit dem tresorier oder Zahlmeister eines Kardinals getroffen habe, dann als Privatmann – anderseits ergibt ein weiteres Verhör, dass die beiden gar keine gemeinsame Sprache sprechen, in der sie sich unterhalten könnten. Kommt hinzu, dass Sohn Konrad seinen Vater desavouiert, indem er wiederholt in aller Öffentlichkeit klagt, er erhalte die für seine Ausbildung vorgesehenen Gelder nur zum kleinsten Teil. Und wenn Konrad daran denkt, «dass er von drei Herren, dem Papst, dem Franzosen und dem Herzog von Mailand, Geld gehabt habe», gerät er in Panik: Sollte das bekannt werden, muss er um sein Leben fürchten.
Panik macht sich auch unter weiteren Pensionsherren breit. Manche befürchten, dass sie ouch etwa in die suppen kämen, also durch belastende Aussagen der Mittäter in den Strudel gerissen würden. Muoss ich dran, so muoss das alt Grebeli ouch dran, droht ein gewisser Christoph Bodmer. Und letztlich ist es wohl diese Maxime des «Rette sich, wer kann», die dem Komitee genügend Material für eine Anklage und ein Urteil verschafft. Dass im Fall Grebels die Todesstrafe verhängt wird, überrascht allerdings manche seiner Mitglieder. Verschiedenen Quellen zufolge hat sich ein Mann besonders energisch dafür ausgesprochen: Ulrich Zwingli.
Agenten jeden Kalibers
Hier ein Lederbeutel voller Goldkronen, den ein gestiefelter und gespornter Bote spätnachts ins Haus liefert, dort ein Silbertaler, der im Wams des Stadtknechts landet – Pensionen nehmen die unterschiedlichsten Formen an. Ein bezeichnendes Beispiel schildert Zwingli im Verlauf der Rathaus-Hearings: Bei einem Treffen mit dem reformationsfreundlichen Herzog Ulrich von Württemberg kommen die Machenschaften eines Zürcher Agenten zur Sprache, der allen Verboten zum Trotz Truppen für den Herzog anwerben will. Dieser Hans «Klotz» von Escher, so wettert der Herzog, sei ein onverschampter bettler; er hab im oft handvoll und seckelvoll geben und noch wölle das nit helfen – immer wieder habe er ihm Soldgeld vorgeschossen, ohne dass der Mann auch nur einen einzigen Söldner vermittelt habe.
«Klotz» Escher verkörpert offensichtlich die unterste Stufe des Metiers Pensionsherr: ein schäbiger kleiner Agent, der gegen gelegentliche Schmiergelder für seinen Auftraggeber weibelt. Sein Gegenstück ist der Söldnerhauptmann grossen Stils, der Landjunker, der als Truppenführer und Anwerber jährlich Tausende von Goldkronen bezieht. Einzelne Machtmenschen dieses Schlags tauchen bereits zur Zeit der Burgunderkriege im 15. Jahrhundert auf, so etwa der Heerführer Hans Waldmann, der sich zum Zürcher Bürgermeister aufschwingt und seines despotischen Führungsstils wegen auf dem Schafott endet. Seine volle Ausprägung findet der Typus aber erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ein Abenteurer wie der Luzerner Oberst Heinrich von Fleckenstein, Schultheiss von Luzern und Burgherr auf Heidegg, hinterlässt rund 180‘000 Gulden und gilt als einer der reichsten Schweizer seiner Zeit. Ebenso ein weiterer Luzerner, der «Schweizerkönig» Ludwig von Pfyffer, dessen Vermögen bei seinem Tod im Jahre 1594 auf 350‘000 Gulden geschätzt wird.
Welche Gegenleistungen erwarteten die Geldgeber aber eigentlich im Fall eines Jakob Grebel und seiner Genossen? Auf Zürcher Gebiet stiess die Anwerbung von Soldaten auf allergrösste Schwierigkeiten. Hier lohnte sich der Einsatz nicht, schon weil dienstwillige Zürcher Burschen problemlos in grenznahen Städtchen wie Zug oder Baden anheuern konnten. Wenn Rom, Paris oder Mailand ihre Kontakte nach Zürich dennoch sorgfältig pflegten, so durchaus in der Hoffnung, das Regime der Reformierten könnte eines Tages auseinanderbrechen. Trafen sich konservative Zürcher, wurde schon bald einmal über eine Entführung Zwinglis oder ein Attentat diskutiert. Irgendjemand musste doch diesem Regime der luterschen böswicht und der zwinglischen Schelmen ein Ende setzen!
Blutdurst
Zur Zeit der Affäre Grebel nimmt Zwinglis Feldzug gegen die Kronenfresser noch stürmischere Formen an als bis anhin. In seiner berühmt gewordenen «Blutegel»-Predigt unterscheidet er von der Kanzel aus zweierlei Pensionenbezüger. Da sind zum einen die Hauptleute, welche die von ihnen angeworbenen Truppen hoch zu Ross in ihr Einsatzgebiet führen. Darin gleichen sie «den Metzgern, die Vieh nach Konstanz treiben. Sie bringen das Vieh über die Grenze und nehmen das Geld dafür entgegen und kommen ohne Vieh wieder nach Hause. Dann machen sie eine weitere Fahrt und immer weiter und weiter so.» Trotz Scharmützeln und Geschützfeuer kämen sie von jeder Fahrt unversehrt nach Hause – «ich weiss nicht, wo sie sich jeweils hinstellen» – und stolzierten hier durch die Gassen «so prunkvoll in Seide, Silber, Gold und Edelsteinen, mit Ringen und Ketten einher (…), der eine oben voller Gold und unten voller Seide, der andere unten vergoldet und oben von Samt und Damast». Womöglich noch verabscheuungswürdiger sind jene Schmiergeldempfänger, die sich ganz auf die Rekrutierung beschränken. Zwingli nennt sie byrenbratter oder Birnenbrater – dorum, das die daheym sässind hinder dem offen, nitt hinus kämind. Den zukünftigen Soldaten und ihren Eltern versprechen sie Wunderdinge aus fernen Ländern, ohne je einen Feldzug mitgemacht zu haben. «Damit aber richten sie grösseren Schaden unter uns an, als es je ein fremder Herrscher vermöchte.» Und als fürchte er, sich nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben, schickt Zwingli seiner Predigt eine ganze Schrotladung Schimpfwörter hinterher: Jawohl, diese Leute sind Blutsauger, sind Blutegel, und keine Schelte ist für diese Blutkrämer zu heftig! (siehe « «Blutegel»-Predigt)
« «Blutegel»-Predigt: Ir wüssend wol, biderben lüth, wie wol es mir zuogelegt, dass ich (…) dise lüth genempt «bluotsuger» und «bluotäglen», und das ich aber nitt gethan hab. Aber yedoch muoss ich ietzund sagen und offentlich üch anzeigen, wemm doch die houptlüth glych syend; und gillt mir gar glych, ob ettlich lüth daran ein beduren haben wurdent; dann das byspil ist an imm selbs nitt alls bös, alls die sind, von denen ich reden. Sy sind den metzgeren glych, die das väch gen Costantz trybend. Die trybend das vach hinuss, und nämend das gällt darumb, und kummend one das vach wider heim. Farend dann widerumb uss und thuond imm also für und für. Also thuond die pensioner und houptlüth. Denen hat es – ussgenommen ein fart – all wäg gelungen, das sy uss den schlachten und geschütz – nitt weiss ich, wohin sy sich stellend – widerum heym kummend, und bringend die wättschger voll gällts, und habend biderber lüthen kinder vertriben; und von stund an widerumb uff, und bringend einen anderen huffen; den vertrybend sy ouch; darus werdent sy rych. Nun luogend, ob man die bluotverkramer thürer gnuog könne schällten. (ZW III, 49, S. 587)»
Ihr wisst schon, ihr ehrlichen Leute, dass man mir nachgesagt hat, ich hätte diese Leute «Blutsauger» und «Blutegel» genannt, was ich aber nicht tat. Jetzt muss ich aber doch öffentlich bezeugen, wem diese Hauptleute gleichen. Dabei ist es mir egal, ob sich manche Leute daran stossen werden, denn der Vergleich selbst ist bei weitemnicht so übel als die, von denen ich spreche. Sie gleichen nämlich den Metzgern, die Vieh nach Konstanz treiben. Sie bringen das Vieh über die Grenze und nehmen das Geld dafür entgegen und kommen ohne Vieh wieder nach Hause. Dann machen sie eine weitere Fahrt und immer weiter und weiter so. So halten es die Pensionsherren und die Hauptleute. Ihnen gelingt es immer wieder, dass sie zwar einen Kriegszug mitmachen, aber – ich weiss nicht, wo sie sich hinstellen – aus den ganzen Massakern und dem Kugelhagel wieder (heil) nach Hause kommen, die Tasche voll mit Geld. Sie haben die Kinder ehrlicher Leute verschachert und machen sich sofort wieder auf und führen einen weiteren Trupp weg, den sie ebenfalls verschachern; davon werden sie reich. Jetzt seht ihr selbst, dass für diese Blutkrämer keine Schelte zu heftig ist.
Den Blutegel, der sich einmal festgesaugt hat, wird man so schnell nicht los. Wo mit Goldketten behangene Hauptleute in ihren Samtwämsern durch die heimischen Gassen stolzieren, während irgendwo in Europa die von ihnen verführten Bauernburschen auf dem Schlachtfeld verbluten, machen sich Hoffart, Sünde, Neid und Zwietracht breit. Und hat dieses Unkraut erst einmal Wurzeln geschlagen, lässt es sich so schnell nicht wieder ausrotten.
Schlachtzulage: ein Monatslohn
Im Jahre 1522 hatte Zürich eine «Satzung wider die Pensionen» erlassen. Sie liess an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und wies keinerlei Schlupflöcher auf. Strafbar machte sich, wer von einer fremden Instanz Zuwendungen entgegennahm, sei dies in der Form von provision, gelt, miet, gab, schenken oder eines Grundstücks oder dessen Zinsen. Wer Strohmänner vorschob oder die Pension an Ehefrau, Tochter oder Sohn überweisen liess, war ebenso schuldig, wie wenn er seine Guthaben in einem anderen Land deponierte. Die Strafen waren einschneidend; Überführte galten als «ehrlos und meineidig», also aller bürgerlichen Rechte verlustig. Ab 1523 waren alle Amtspersonen gehalten, die Satzung öffentlich zu beschwören, darunter auch die Geistlichen: Eine Illustration aus Bullingers Reformationschronik zeigt eine Gruppe Pfarrer im schwarzen Talar, die ihre Hand zum Schwur erheben.
Wie aber ging der Pensionsherr in den zwölf Orten vor, die den Solddienst duldeten, ja förderten? Ein Hauptmann, der als Alleinunternehmer arbeitete, verfügte über ein kleineres oder grösseres Netzwerk von Werbern, die auf einen bestimmten Termin hin Burschen aus ihrer Region an einen Treffpunkt aufboten. Die Angeworbenen erhielten ein Handgeld in der Höhe einiger Tagessolde und unterzeichneten einen Vertrag; in vielen Fällen brachten sie eigene Waffen und Ausrüstung mit. Auftraggeber (die «Soldherren») und Hauptleute einigten sich meist auf einen Pauschalbetrag in der Grössenordnung von 1500 bis 3000 Gulden pro Kompagnie und Jahr, dies bei einer Kompagniestärke von 150 bis 180 Mann. Geschickte Hauptleute wussten ihr Budget so einzuteilen, dass ihnen ein Drittel der Pauschale als Gewinn blieb – dies, indem sie den Sold so tief wie möglich hielten, die billigsten Truppenunterkünfte bezogen und bei der Verpflegung sparten. Vor allem in den Innerschweizer Orten brachte diese Praxis den immer gleichen Familien eine politische wie militärische Führungsrolle; alle die Reding, Zurlauben und Attinghausen verdankten ihre Vormachtstellung den Fremden Diensten.
Und der einfache Söldner? Auf den ersten Blick stellte er sich mit einem Monatssold von vier bis fünf Gulden (200 Schilling) nur wenig besser als ein städtischer Maurergeselle, der es auf sechs bis sieben Schilling Taglohn brachte. Hinzu kam aber eine Art Gefahrenzulage: Für jede Schlacht, in welche die Truppe verwickelt wurde, gab es einen Bonus in der Höhe eines Monatslohns. Fiel ihr beim Requirieren und Plündern Schmuck oder Bargeld in die Hände, wurde diese Beute zum Sold hinzugerechnet. Zur Zeit der Mailänderkriege kam auch ein einfacher Infanterist durchaus mit 300 Gulden im Beutel nach Hause: ein kleines Vermögen!
Umgekehrt lag die Sterblichkeit markant höher als beim Handwerksgesellen. Einer von fünf Angeworbenen überlebte die Dienstzeit nicht; dabei spielten Krankheiten eine grössere Rolle als militärische Einsätze. Für Verwundete war nicht einmal das Lazarett gratis: Sie bezahlten den Feldarzt aus der eigenen Tasche! Für Verpflegung und Ausrüstung hatte jeder selbst zu sorgen. Umso grösser war der Ansporn, sich in den Küchen und Kellern der Zivilbevölkerung einzudecken, den erschlagenen Gegner seiner Stiefel zu berauben und in den Zeughäusern eroberter Städte den Schweinespiess durch eine erstklassige Kampfaxt zu ersetzen …
Bezeichnenderweise fiel im 17. Jahrhundert der Monatssold unter das Niveau der zivilen Löhne. Geschulte Artilleristen oder Musketiere waren nach wie vor gesucht und entsprechend gut bezahlt, aber das einst so gefürchtete Fussvolk diente vorwiegend als Kanonenfutter. Statt kräftiger Bauernburschen meldeten sich zunehmend randständige Existenzen bei den Werbeoffizieren. Diese wiederum konzentrierten sich zunehmend auf die Grenzregionen, wo sich immer eine Auswahl «flottanter» Ausländer anbot – ein Spiel, das die Auftraggeber bald durchschauten. Die Schweizer Kompagnie, so legten sie um 1700 fest, dürfe höchstens einen Drittel Ausländer aufweisen; beim Rest müsse es sich um «echte Schweizer» handeln.
«Gesetzlose Wilde»
Eben diese kräftigen Bauernburschen bildeten das taktische Gerüst der klassischen eidgenössischen Angriffsformation. Als Spiessträger rückten sie Seite an Seite in einer undurchdringlichen Phalanx vor, in ihrem Rücken der «Gewalthaufen», einige hundert oder tausend Nahkampfspezialisten, die in jede entstehende Lücke vorstiessen. Beim Manövrieren mussten die vier bis fünf Meter langen Spiesse oft stundenlang waagrecht getragen werden, was enorme Durchhaltekraft erforderte. Bis die ersten Breschen geschlagen waren, regneten die Pfeile von Armbrust- und Bogenschützen auf die Angreifer nieder. Es galt so schnell wie möglich Nahkampftaschen zu schaffen, bis die gegnerischen Geschütze gerichtet waren. Trafen einmal die ersten Fusssoldaten mit ihren swînspiessen und Streithämmern, ihren Hellebarden und Zweihändern aufeinander, verlor die Truppe ihren Nutzen; ihre Geschosse hätten Freund wie Feind umgebracht. Besonders gefürchtet waren eidgenössische Krieger im Kampf eins zu eins, weil sie kaum je Gefangene machten (ganz anders die Truppen «höfischer» Streitkräfte, die hochgestellte Offiziere als eine Art Beute betrachteten; solche Prominente wurden eiligst hinter die Linien gebracht und später im Tausch oder gegen Lösegeld als Pfand eingesetzt).
Reisläufer aus dem Alpenland galten seit den Mailänderkriegen als Barbaren, «die sich an Christenblut weiden» (siehe « Barbaren), gegenüber dem Feind und der Zivilbevölkerung keinerlei Kompromisse machten, die Bauerngüter im Konfliktgebiet rücksichtslos plünderten und dann in Brand steckten. Dass sie zu den begehrtesten Fusssoldaten des Kontinents wurden, hat aber nicht nur damit zu tun. Als einziges europäisches Land kannte die Eidgenossenschaft die allgemeine Wehrpflicht; das Milizsystem sorgte für ein Reservoir an ausgebildeten Truppen, vor allem Infanteristen.
« Barbaren: In seinem Gebet zur Bekehrung der Schweizer schildert der deutsche Humanist und Historiker Jakob Wimpheling die eidgenössischen Reisläufer als gesetzlose Barbaren: Grösser scheint die Frömmigkeit bei den Türken und Böhmen zu sein als bei diesen starken, drohenden, grimmigen, stolzen, waffenliebenden,stets zum Krieg bereiten, von der Wiege auf zum Kampf erzogenen, an Christenblut sich weidenden und durch die Zwietracht der Könige reich gewordenen Wilden, die keine Fürsten, keine Gesetze ehren, die keine gesunde Vernunft walten lassen, sondern von Raserei in den Abgrund getrieben werden. Ihre Gesetze sind Willkür, Begierde, Zorn, Ungestüm, Heftigkeit, Raserei. (Kurz 116)»
Doch der Ausgang der Schlacht von Marignano hatte bereits gezeigt: Mit der immer wichtigeren Rolle der Geschütze und Handfeuerwaffen büsste die Taktik mit Spiessträger-Phalanx und «Gewalthaufen» an Wirksamkeit ein. Gleichwohl blieb den eidgenössischen Söldnern ein gewisses Prestige; als zuverlässige und treue Elitetruppen wurden sie immer häufiger als Leibwächtereinheiten für kirchliche oder gekrönte Häupter engagiert: die päpstliche Garde, die Cent Suisses am französischen Hof. Aber in Frankreich hiess es um 1700 bereits, die Schweizer Kompagnien würden überschätzt, qu’elles coûtaient cher, sans rendre les services d’autrefois.
In gewisser Weise galt das auch für die Stellung der Söldnerführer in der eidgenössischen Gesellschaft. Die Geschlechter dieser Berufsmilitärs hatten sich dank ihrer Verbindungen zu den Mächtigen der benachbarten Monarchien in die politische Führungsschicht ihrer Heimat hochgearbeitet, mussten sich nun aber mit dem «neuen Adel» der heimischen Unternehmer und Handelsherren arrangieren.
Die Folgen
Und Zürich? Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hebt auch die Limmatstadt das Solddienstverbot auf und schliesst sich dem Militärbündnis mit Frankreich an. Dieses hat jedoch keine Exklusivrechte; eidgenössische (und Zürcher) Söldner dienen in den folgenden anderthalb Jahrhunderten auch in niederländischen, spanischen oder venezianischen Heeren, kämpfen sogar in Nordamerika. In dieser Zeit ändern sich die Bedingungen für die Berufsmilizen von Grund auf. Wurden sie anfänglich eher für begrenzte Zeit angeworben, oft nur für einen einzelnen Feldzug, verlängert sich mit dem Aufkommen der stehenden Heere die Dienstzeit massiv. Permanente Söldnertruppen, im Gastland stationiert, unterliegen einer strengen Disziplin und verbringen Monate mit Exerzieren. In dieser Zeit entsteht auch der Topos des heimwehkranken Schweizer Söldners. Das Heimweh gilt als maladie suisse; die Zahl der Deserteure steigt steil an.
Zwilch und Samt
Wie kommen die Fremden Dienste im Urteil der heutigen Geschichtsschreibung weg? Hier fällt häufig der Ausdruck «temporäre Emigration», Auswanderung auf Zeit. Sie diente als eine Art Hochdruckventil vor allem für die Bergkantone, in denen die einheimische Produktion mit den wachsenden Bevölkerungszahlen nicht Schritt zu halten vermochte. Die Lösung, die Zürich vorlebte – Verzicht auf Solddienst, Einführung neuer Produktionszweige und -methoden, Einstieg in den europaweiten Handel –, kam hier nicht in Frage; dafür fehlten das Know-how von Fachleuten und der Unternehmergeist einzelner Pioniere. Für junge Männer sowohl des Mittellands wie der Berggebiete spielten Abenteuerlust und Erlebnishunger eine zentrale Rolle; hier weisen Mentalitätshistoriker darauf hin, dass ein natürliches Ventil für solche Bedürfnisse im Binnenland Schweiz fehlte: die Seefahrt. Auch wenn der Solddienst einigen wenigen Aufsteigern zu Wohlstand und Ansehen verhalf, führte er keineswegs zu einer Umverteilung der Güter. Im Ganzen gesehen verschärfte er sogar die sozialen Spannungen: Am stärksten profitierten, wie gesehen, die Angehörigen der führenden Familien.
Für die konservative Geschichtsschreibung des frühen 20. Jahrhunderts stellten die Fremden Dienste noch eine ruhmreiche Tradition dar. Im Monumentalwerk Honneur et fidélité feierte der Waadtländer Militärhistoriker Paul de Vallière den Mythos aufopfernder Treue, verkörpert beispielsweise im Widerstand der königlichen Garde in Paris beim Volkssturm auf die Tuilerien. Damals, am 10. August 1792, fanden um die tausend Schweizer Gardisten den Tod; sie verteidigten den leerstehenden Königspalast gegen eine aufgebrachte Volksmenge. Dreissig Jahre nach den Ereignissen weihte Luzern die Statue eines in eine Grotte geflüchteten sterbenden Löwen ein. Eine Inschrift feiert die Treue und Tapferkeit der Opfer; in den Sandstein gemeisselt finden sich weiter die Namen von 26 gefallenen Offizieren, während der gefallenen Soldaten mit einer Pauschalangabe gedacht wird.
Ein Monument im Stil des Löwendenkmals ist heute undenkbar geworden. Die moderne Forschung verortet das Schweizer Söldnertum im europaweiten Rahmen einer «Industrie der Gewalt», zu der auch die deutschen Landsknechte oder die Condottieri Italiens zählen. Aus dieser Sicht nahmen die bewaffneten eidgenössischen Gastarbeiter keineswegs eine Sonderstellung ein, sondern gehörten zu einem länderübergreifenden Markt der delegierten Kriegsführung, in dem sie sich gegen rivalisierende Anbieter zu behaupten hatten. So gesehen erscheinen die in Honneur et fidélité und anderswo verherrlichten Söldnerepisoden als vergebliche Versuche, dem blutigen Geschäft eine heroische Seite abzugewinnen. Aber weder beim Tuileriensturm noch beim Übergang über die Beresina handelte es sich um beispiellose Akte der Selbstaufgabe im Dienste eines höheren Ganzen; vielmehr kämpften hier Truppen in aussichtsloser Lage um das nackte Überleben. Mit diesem Dilemma hat wohl auch zu tun, dass die erzählende Literatur wie die darstellende Kunst der Schweiz das Thema «Söldnertum» aus den Augen verloren hat (siehe i Schweizer Söldner als Operettenheld), während noch im 19. Jahrhundert einige der populärsten Novellen Conrad Ferdinand Meyers vor dem Hintergrund der oberitalienischen Feldzüge spielten.
i Schweizer Söldner als Operettenheld. Einen internationalen Bühnenerfolg feiert die Figur des Schweizer Söldners in George Bernard Shaws 1894 uraufgeführter Komödie Helden (Originaltitel: Arms and the Man). Im Mittelpunkt steht Artilleriehauptmann Bluntschli, der im Dienst der serbischen Armee durch seine Ungeschicklichkeit für Turbulenzen sorgt. Oscar Straus taufte seine Operettenfassung des Stücks Der Pralinésoldat (1908), dies in Anspielung auf Bluntschlis Vorliebe für Schokolade.
In der Deutschschweizer Literatur wird das Söldnertum nur selten zum Thema – am eindrücklichsten bei Conrad Ferdinand Meyer in seiner Novelle Das Amulett. In Pankraz der Schmoller lässt Gottfried Keller seinen Protagonisten als Söldner bei der Ostindischen Kompanie anheuern, wo aus dem verzogenen Burschen ein verantwortungsbewusster Offizier wird. Autobiografischer Natur ist die Lebensgeschichte des Toggenburger Bauern Ulrich Bräker, der ausführlich seine Erlebnisse als Infanterist der preussischen Armee mitsamt seiner Fahnenflucht nach der Schlacht bei Lobositz (1756) schildert. Internationale Beachtung fand L’histoire du soldat des Waadtländer Dichters Charles-Ferdinand Ramuz – ein Bühnenwerk rund um einen fahnenflüchtigen Söldner, zu dem der russische Komponist Igor Strawinsky die Musik schuf.
In der bildenden Kunst nehmen Ferdinand Hodlers Marignano–Fresken (1909 vollendet) eine Sonderstellung ein. Die realistische Schilderung einer Söldnertruppe nach verlorener Schlacht löste einen öffentlichen Skandal aus. Als Wandschmuck für den Waffensaal des Landesmuseums konzipiert, stiess sie auf den Widerstand patriotisch gesinnter Bürger: Weshalb eine Niederlage festhalten, wo die Geschichte des Landes so reich an gewonnenen Schlachten ist?
In einen Teufelskreis führte die befristete Emigration in manchen Agrarregionen. Zurückkehrende Söldner taten sich schwer mit der Arbeit auf dem väterlichen Bauerngut. «Der Bauer hatte den Zwilch mit dem Sammetwams vertauscht», formuliert der Militärhistoriker Hans Rudolf Kurz in blumigen Worten, «die redliche Arbeit auf der heimatlichen Scholle verlor für viele ihren Reiz.»