Читать книгу Das Prinzip der Parteiliteratur - Hans Poerschke - Страница 7

1.EINLEITUNG

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Jede soziale und politische Bewegung, die heute und künftig gegen die von der herrschenden Politik in den Ländern des Kapitals für sich reklamierte Alternativlosigkeit Alternativen zu bestehenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen Strategien und Verhältnissen entwickeln, verbreiten und durchsetzen will, steht vor der Notwendigkeit, die vom herrschenden Mediensystem mit der veröffentlichten Meinung um alle ernsthaften alternativen Vorhaben errichtete Mauer zu durchbrechen, wenn sie in der Gesellschaft zu Gehör kommen, ja auch nur selbst eine bestimmte Größe überschreiten will.

In der Geschichte der politischen Parteien ist diese Lebensfrage über viele Jahrzehnte in Gestalt der Parteipresse beantwortet worden, einer Presse, die als publizistisches Organ einer Partei fungiert, auf deren Programm und politische Taktik verpflichtet ist, von ihr finanziert und kontrolliert wird, mehr oder weniger eng mit ihr organisatorisch verbunden ist.1 Die Bindung zwischen bürgerlicher Presse und Parteien war überwiegend relativ locker und historisch von kürzerer Dauer, da die privatwirtschaftliche Organisation der Presse flexiblere, massenwirksamere und dazu noch profitable Möglichkeiten zur Vertretung bürgerlicher Klasseninteressen bot. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Zeit der bürgerlichen Parteipresse abgelaufen. In der Arbeiterbewegung hingegen war die Bindung enger – die Anstrengung, eine eigene Presse materiell zu tragen, den Vertrieb zu bewältigen, Journalisten den Lebensunterhalt zu ermöglichen, war nur von einer Organisation mit opferbereiten Mitgliedern zu leisten. Zugleich entstand auch eine Abhängigkeit der Partei von ihrer Presse. Sie musste darauf bauen können, dass unter sich ständig verändernden Umständen sowie unter dem Druck einer an Kräften, Mitteln und Masseneinfluss überlegenen bürgerlichen Umwelt ihre Grundsätze in ihren Blättern konsequent vertreten wurden, dass sie also als eine unverwechselbare politische Kraft in der Öffentlichkeit wahrnehmbar war.

Unterschiedliche Interessen, Blickwinkel und Auffassungen wirkten unvermeidlich im Verhältnis von Partei und Presse als Widersprüche zwischen Ansprüchen von Leitungen und Parteibasis, Mehrheit und Minderheit, zwischen der für einheitliche Aktion erforderlichen Disziplin und der für die Entwicklung der Partei unerlässlichen Freiheit der Meinungsäußerung. Jeder größere innerparteiliche Konflikt erfasste auch das Verhältnis von Partei und Presse. Die alte deutsche Sozialdemokratie zum Beispiel wies eine ganze Geschichte solcher Konflikte auf, ob es sich um den Streit zwischen Reichstagsfraktion und Parteibasis um die Rolle des Züricher Sozialdemokrat anlässlich der sogenannten ›Dampfersubventionsaffäre‹ 1884/85 unter dem Sozialistengesetz handelte, um die Auseinandersetzung mit der Mitarbeit sozialdemokratischer Journalisten an der bürgerlichen Presse zur Zeit des Dresdener Parteitags 1903 und mit der ›Literatenrevolte‹ in der Vorwärts-Redaktion 1904/05 oder um die Konflikte zwischen Parteivorständen und regionalen Parteiorganisationen um die Verfügung über die Schwäbische Tagwacht 1914 und den Vorwärts 1916, bei denen es um die Haltung zum Krieg und das Verhalten in ihm ging. Nicht erstaunlich also, dass das Verhältnis von Partei und Presse bzw. Journalisten häufiger, wenn nicht ständiger Diskussionsgegenstand war, und dass von den Anfängen einer selbständigen Arbeiterbewegung an alle Schritte der Organisationsentwicklung auch Regelungen dieses Verhältnisses einschlossen.

Von einem Fall einer solchen Regelung soll im folgenden die Rede sein. Es handelt sich um Lenins Artikel Parteiorganisation und Parteiliteratur2, in dem er das mit seinem Namen verbundene Prinzip der Parteiliteratur begründet hat, das in der Geschichte der kommunistischen Bewegung und des Staatssozialismus eine besondere Bedeutung gewinnen sollte. Lenin hat diesen Artikel wenige Tage nach seiner Rückkehr aus dem Exil, am 13. November 1905, in der legalen bolschewistischen Zeitung Nowaja Shisn, dem faktischen Zentralorgan der Partei, veröffentlicht. Die erste russische Revolution war seit mehr als einem halben Jahr im Gange und hatte mit Massenstreiks im Oktober 1905 einen Höhepunkt erreicht. Zar Nikolaus II. sah sich genötigt, auf die gesellschaftliche Umbruchsituation mit einem Manifest zu reagieren, das erstmals einige bürgerliche Freiheiten einräumte. Der Weg zur legalen Betätigung der Parteien – auch der Sozialisten – öffnete sich zeitweilig etwas. Lenin zögerte keinen Augenblick, eine der neuen Situation entsprechende Reorganisation der Partei und ihrer Publizistik in Angriff zu nehmen. Es ging ihm darum, Massenbasis und Massenwirkung der Partei durch die unter den Bedingungen der Illegalität nicht möglich gewesene Einbeziehung vieler sozialdemokratisch gesinnter Arbeiter in die Parteiorganisation zu erweitern, ohne den konspirativen Apparat der Berufsrevolutionäre aufzugeben. Und er sorgte sich darum, dass die Stimme der Partei im nunmehr offenen Parteienkampf deutlich und eindeutig zu vernehmen war. Dem dienten seine beiden für die Bolschewiki richtungweisenden Artikel Über die Reorganisation der Partei3 und Parteiorganisation und Parteiliteratur.

Den letzteren eröffnete er mit einer Charakterisierung der bisherigen Situation:

»Solange ein Unterschied zwischen illegaler und legaler Presse bestand, wurde die Frage, was als Partei- und was nicht als Parteiliteratur zu betrachten ist, äußerst einfach und äußerst falsch und unnatürlich gelöst. Die gesamte illegale Literatur war Parteiliteratur, wurde von Organisationen herausgegeben und von Gruppen geleitet, die so oder anders mit Gruppen praktischer Parteiarbeiter in Verbindung standen. Die gesamte legale Literatur war keine Parteiliteratur, weil die Parteien verboten waren – aber sie ›tendierte‹ zu der einen oder anderen Partei. Unnatürliche Bündnisse, anormale ›Ehen‹, falsche Aushängeschilder waren unvermeidlich.«4

Aus der neuen Lage folgerte er:

»Die Revolution ist noch nicht vollendet. Gleichwohl, auch die halbe Revolution zwingt uns alle, sofort an eine Neuregelung der Dinge zu gehen. Die Literatur kann jetzt sogar ›legal‹ zu neun Zehnteln Parteiliteratur sein. Und sie muss Parteiliteratur werden. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Sitten, im Gegensatz zur bürgerlichen Unternehmer- und Krämerpresse, im Gegensatz zum bürgerlichen Karrierismus und Individualismus in der Literatur, zum ›Edelanarchismus‹ und zur Jagd nach Gewinn muss das sozialistische Proletariat das Prinzip der Parteiliteratur aufstellen, dieses Prinzip entwickeln und es möglichst vollständig und einheitlich verwirklichen.«5

Lenin erklärte sodann, worin eigentlich das Prinzip der Parteiliteratur bestehe:

»Nicht nur darin, dass für das sozialistische Proletariat die literarische Tätigkeit (das Literaturwesen)6 keine Quelle des Gewinns von Einzelpersonen oder Gruppen sein darf, sie darf überhaupt keine individuelle Angelegenheit sein, die von der allgemeinen proletarischen Sache unabhängig ist. Nieder mit den parteilosen Literaten! Nieder mit den literarischen Übermenschen! Die literarische Tätigkeit (das Literaturwesen) muss zu einem Teil der allgemeinen proletarischen Sache, zu einem ›Rädchen und Schräubchen‹ des einen einheitlichen, großen sozialdemokratischen Mechanismus werden, der von dem ganzen politisch bewussten Vortrupp der ganzen Arbeiterklasse in Bewegung gesetzt wird. Die literarische Betätigung (das Literaturwesen) muss ein Bestandteil der organisierten, planmäßigen, vereinigten sozialdemokratischen Parteiarbeit werden.«7

Das war nicht nur als eine Sache des Bekenntnisses zu verstehen, sondern als eine enge, untrennbare organisatorische Bindung:

»Die Zeitungen müssen Organe der verschiedenen Parteiorganisationen werden. Die Literaten müssen unbedingt Parteiorganisationen angehören, Verlage und Lager, Läden und Leseräume, Bibliotheken und Buchvertriebe – alles dies muss der Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein.«8

Unmissverständlich erklärte Lenin denjenigen in der russischen Sozialdemokratie, die diese Vorstellung von Parteiliteratur nicht teilten, wie ernst es ihm mit der engen Bindung der Parteiliteraten an die Organisation und die politische Linie der Partei war:

»Die Partei ist ein freiwilliger Verband, der unweigerlich zunächst ideologisch und dann auch materiell zerfallen würde, wenn er sich nicht derjenigen Mitglieder entledigte, die parteiwidrige Auffassungen predigen. Zur Festsetzung der Grenze, was parteimäßig und parteiwidrig ist, dient das Parteiprogramm, dienen die taktischen Resolutionen und das Statut der Partei, dient schließlich die ganze Erfahrung der internationalen Sozialdemokratie Die Freiheit des Denkens und die Freiheit der Kritik innerhalb der Partei werden uns nie vergessen lassen, dass es eine Freiheit der Gruppierung von Menschen zu freien Verbänden gibt, die man Parteien nennt.«9

Das mit diesen Kernaussagen des Artikels umrissene Prinzip der Parteiliteratur erlangte seine besondere historische Bedeutung dadurch, dass es die Begründung für den Umgang der Partei der Bolschewiki mit der Presse und später anderen Medien über die ganze Zeit ihrer Existenz lieferte, dass es 1920 auf alle der Kommunistischen Internationale angehörenden Parteien übertragen wurde und dass es schließlich das Medienregime in allen Ländern des Staatssozialismus prägte, nicht zuletzt die Medienpolitik der SED. Seine theoretische Bedeutung bestand vor allem darin, dass es zum Kernbestand der ›leninschen Lehre‹ von der Partei neuen Typs als der der Epoche des Imperialismus und der sozialistischen Revolution gemäßen proletarischen Partei gehörte. Damit war es zugleich ein Grundbaustein der marxistisch-leninistischen Journalismustheorie, ob sie in Moskau oder in Leipzig vertreten wurde. Eine prägende Rolle spielte es auch in der – im Weiteren außerhalb der Betrachtung stehenden – Literaturwissenschaft der DDR. Hans Koch bezeichnete schon Anfang der 1960er-Jahre Lenins Artikel als »[d]ie Geburtsurkunde der leninistischen Etappe der internationalen marxistischen Literaturwissenschaft«10, und dieser Leitsatz behielt bis zum Ende der DDR offizielle Gültigkeit.

Heute, nach dem ruhmlosen Untergang des staatlich organisierten Sozialismus und dem weltweiten Rückschlag der sozialistischen Bewegung, können wir nur nüchtern davon ausgehen, dass das Wirken der nach dem Prinzip der Parteiliteratur geführten, gehandhabten Massenmedien zu den Ursachen dieser Katastrophe gehört. Was bleibt noch zu tun, außer dieses Prinzip als von der Geschichte verworfen zu den Akten zu legen? Das wäre ein Leichtes, es wäre freilich auch allzu preiswert. In mehrerer Hinsicht kann es damit jedoch nicht sein Bewenden haben.

Erstens ist nicht so ohne weiteres klar, ob der Anteil der eigenen Medien am Untergang des realen Sozialismus einer adäquaten oder einer unangemessenen Anwendung des Prinzips der Parteiliteratur geschuldet ist. Diese Frage zu stellen liegt mir um so mehr am Herzen, als ich zu DDR-Zeiten lange annahm, die Enge der SED-Medienpolitik sei in einer unzureichenden Umsetzung des leninschen Erbes begründet und mit dessen besserer Aneignung zu beheben. Auch hat die Annahme einiges für sich, dass unter Stalin entstandene Entstellungen des leninschen Konzepts am Ende ihre verhängnisvollen Folgen zeitigten. Wie also verhält es sich in der Tat?

Zweitens, und das ist für mich besonders wichtig: Ich habe das Prinzip der Parteiliteratur über lange Jahre in Publikation und Lehre vertreten aus für mich damals gewichtigen, ja, unabweisbaren Gründen, die allesamt dem Gedankengebäude der ›Lehre von der Partei neuen Typs‹, der für die theoretische Begründung des sozialistischen Journalismus wichtigsten Hinterlassenschaft Lenins, entstammten und die lauteten:

•Die mit der Epoche des Imperialismus verbundenen neuen, komplizierteren, härteren Bedingungen und Formen des Klassenkampfs und der heranreifende Sturz des kapitalistischen Systems machten einen neuen Typ der proletarischen Partei und einen ihr entsprechenden neuen Typ der proletarischen Presse erforderlich.

•Lenin konnte dieses Problem erkennen und praktisch lösen, weil er sich auf die Erkenntnisse von Marx und Engels und auf die besten Erfahrungen der sozialistischen Arbeiterbewegung stützte und sie entsprechend den neuen historischen Bedingungen weiterentwickelte. Das Ergebnis war mit dem Prinzip der Parteiliteratur ein den Forderungen der Epoche entsprechendes, allgemeingültiges System von Normen, der alternativlose Handlungsgrundsatz für die Gestaltung des Verhältnisses von Partei und Presse.

•Die für ihre Aktionsfähigkeit wichtigste Eigenschaft der Partei ist ihre politisch-ideologische und organisatorische Einheit und Geschlossenheit, das wichtigste Merkmal der Parteipresse deshalb ihre vollständige politisch-ideologische Übereinstimmung mit der Partei, und das nicht nur, wie z. B. bei der deutschen Sozialdemokratie, in grundsätzlichen Fragen. Wir hielten es damals für notwendig, zu betonen:

»Unterschiede im Herangehen an beliebige politisch-ideologische Fragen zwischen der Partei und einzelnen journalistischen Organen können im revolutionären Kampf unübersehbaren Schaden anrichten und müssen auf jeden Fall vermieden werden. Die politische Linie der Partei ist für den Journalismus unbedingt verbindlich.«11

•Diese Übereinstimmung und die völlige Integration in die Parteiarbeit sind nur zu sichern, wenn die Parteipresse von der Partei geführt wird. Dazu muss sie stets einer Parteiorganisation untergeordnet sein, genauer: der jeweiligen Parteileitung, die dafür autorisiert ist, denn »die demokratisch gewählten Leitungen verwirklichen den Willen der Mehrheit der Partei, sie sind der Partei für ihre Handlungen verantwortlich, also auch für die Führung der Presse«.12 Die Erklärung tschechoslowakischer Journalisten während des Prager Frühlings, dass nicht allein die Leitung über die Zeitung verfügen dürfe, die Organ der ganzen herausgebenden Organisation ist, galt uns damals als opportunistisch, ja, sozialismusfeindlich.13

•Ebenso müssen die Parteijournalisten als Mitglieder in die Partei eingebunden sein, denn so sind sie wie jedes andere Mitglied an die Parteidisziplin gebunden und verpflichtet, nur parteigemäße Auffassungen zu verbreiten. Aus historischen Erfahrungen der Auseinandersetzung mit dem Opportunismus, der »Versumpfung« der alten sozialdemokratischen Parteien und ihrer Presse ergab sich die Lehre, dass diese Anforderungen nicht im Selbstlauf erfüllt werden, sondern nur unter der Bedingung einer »ständigen straffen und konsequenten Kontrolle der Arbeit der Journalisten durch die Partei«.14

Die Rigorosität des Prinzips der Parteiliteratur habe ich durchaus nicht unbedingt als angenehm, aber als unausweichlich empfunden. Sie zu akzeptieren und die ständig gespürte Enge der Medienpolitik der SED als überwindbaren Mangel anzusehen, half Lenins Versicherung in seinem Artikel Parteiorganisation und Parteiliteratur:

»Kein Zweifel, das literarische Schaffen (Literaturwesen) verträgt am allerwenigsten eine mechanische Gleichmacherei, eine Nivellierung, eine Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Kein Zweifel, auf diesem Gebiet ist es unbedingt notwendig, weiten Spielraum für persönliche Initiative und individuelle Neigungen, Spielraum für Gedanken und Phantasie, Form und Inhalt zu sichern.«

Dazu trug auch seine Erklärung bei, »dass der literarische Teil der Parteiarbeit des Proletariats den anderen Teilen der Parteiarbeit des Proletariats nicht schablonenhaft gleichgesetzt werden darf«.15 Und von großem Gewicht, ein herausforderndes und in der Realität des DDR-Journalismus großenteils erst noch zu verwirklichendes Programm war für mich das als logische Konsequenz erscheinende Versprechen am Ende des Artikels, »der heuchlerisch freien, in Wirklichkeit aber mit der Bourgeoisie verbundenen Literatur die wirklich freie, offen mit dem Proletariat verbundene Literatur gegenüberzustellen[,] […] die eine freie Literatur, die das letzte Wort des revolutionären Denkens der Menschheit durch die Erfahrung und die lebendige Arbeit des sozialistischen Proletariats befruchten und zwischen der Erfahrung der Vergangenheit (dem wissenschaftlichen Sozialismus, der die Entwicklung des Sozialismus, von seinen primitiven, utopischen Formen an, vollendet hat) und der Erfahrung der Gegenwart (dem heutigen Kampf der Genossen Arbeiter) eine ständige Wechselwirkung schaffen wird«.16

Alle diese Gründe können nicht wie falsche Glaubenssätze durch Abschwören erledigt werden, sondern nur durch eingehende, auf gründliches Studium des historischen Materials gestützte Kritik und Widerlegung. Ich muss mir selbst und anderen erklären können, warum die einst guten Gründe ihre Kraft verloren haben. Die Argumente dafür konnten nur aus einer Rekonstruktion des Entstehens, der Entwicklung, der Wirkung des Prinzips der Parteiliteratur gewonnen werden. Auf diesem Wege bin ich die Schritte gegangen, die mir für meinen eigenen Erkenntnisprozess unerlässlich zu sein schienen. Und ich habe das in dem Maße getan, wie mir in einer relativ isolierten Arbeitssituation die dafür erforderlichen Quellen zugänglich waren. Die Übersetzungen russischsprachiger Texte – bis auf die Lenins und Trotzkis – habe ich in Ermangelung vorhandener oder für mich greifbarer selbst verfertigen müssen. Nun also zu den zurückgelegten Schritten.

Erstens: Wir haben, wie es auch marxistisch-leninistische Autoren in der Vergangenheit taten, davon auszugehen, dass Lenins Artikel Parteiorganisation und Parteiliteratur zwar seinen unmittelbaren Anlass in der während der Revolution von 1905 kurzfristig sich andeutenden Möglichkeit der Herausgabe legaler Parteizeitungen und dem damit verbundenen Bedürfnis hatte, die Vertretung des Standpunkts der Partei durch ihre Presse unter den Bedingungen des legalen Parteienkampfes zu sichern; dass aber die Form, die Lenin dem Verhältnis von Partei und Presse geben wollte und die Art, wie er sie begründete, ihren Ursprung in den Auseinandersetzungen um die Organisationsfrage und der aus ihnen erwachsenen Spaltung der russischen Sozialdemokratie auf ihrem II. Parteitag 1903 hatte. Das Prinzip der Parteiliteratur ist also in Lenins Parteikonzept einzuordnen, wie er es vor allem in seiner Arbeit Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück dargestellt und an dem er später bei allen situationsbedingten Veränderungen unbeirrt festgehalten hat.

Davon ist auch zu DDR-Zeiten ausgegangen worden, allerdings auf eine von der Dogmatik des Marxismus-Leninismus geprägte Weise. Wir haben damals das leninsche Erbe in einer Auswahl und Interpretation aufgenommen, wie sie die unter Stalin fabrizierte und kanonisierte ›Lehre von der Partei neuen Typs‹ bot, die bis zur Wende offizielle Parteidoktrin der SED geblieben ist. In der marxistisch-leninistischen Literatur ist Lenins Parteikonzept, speziell sein Prinzip der Parteiliteratur, niemals wirklich grundsätzlich, allseitig und historisch konkret darauf untersucht worden, ob überhaupt oder inwieweit es als organisationsstrukturelle Bedingung für die Verwirklichung des emanzipatorischen Anliegens der proletarischen Partei geeignet war – dabei das Für und Wider im Vergleich mit vorangegangenen Lösungen und konkurrierenden Konzepten abwägend, auch die ihm selbst innewohnende Widersprüchlichkeit analysierend. Diese Arbeit, die vor einem Vierteljahrhundert und schon früher hätte geleistet werden müssen, ist in vieler Hinsicht heute nachzuholen. Erst wenn wir wissen, welche realen Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten der Parteimitglieder und der verschiedenen Organisationseinheiten wie auch der Parteipresse die von Lenin intendierte und verwirklichte Struktur der Partei, die Verteilung der Rechte und Pflichten und die Arbeitsteilung in ihr eröffneten oder versperrten, kann sich uns die wirkliche Bedeutung zum Beispiel des Satzes erschließen, dass der literarische Teil der Parteiarbeit »von dem ganzen politisch bewussten Vortrupp der ganzen Arbeiterklasse in Bewegung gesetzt wird«. Dazu war es erforderlich, im Licht gewonnener Erfahrung das aus Lenins Werk kritisch neu zu lesen, worauf wir uns auch einst gestützt haben, zugleich aber tiefer zu graben, Quellen zu erschließen, die gewiss nicht unbekannt waren, aber von mir unbeachtet geblieben sind.

Zweitens: Lenins Artikel ist – wie die gesamte damalige Entwicklung der russischen sozialistischen Bewegung – nur im Kontext, als Bestandteil des Kampfes zwischen den beiden Strömungen der russischen Sozialdemokratie zu verstehen. Das um so mehr, als er, wie wohl die meisten seiner publizistischen Arbeiten nicht nur aus dieser Zeit, eine Kampfschrift gegen die Menschewiki ist. Lenin setzte in ihm die Polemik fort, die er vor allem in seiner Arbeit Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück geführt hatte. In diesem Sinne erwartete er als Reaktion auf sein Konzept das Geschrei »hysterischer Intellektueller« als »Ausdruck von bürgerlich-intellektuellem Individualismus« und forderte er eine Presse »frei nicht nur von der Polizei, sondern auch vom Kapital und vom Karrierismus, ja noch mehr, frei auch vom bürgerlichanarchistischen Individualismus«; dies ließ ihn seinem ungenannten Kontrahenten »das volle Recht einräumen, zu schreien, zu lügen und zu schreiben, was dir behagt«.17

Diese Form der Auseinandersetzung erschien mir seinerzeit wohl als zugespitzt, aber als durchaus berechtigt, ja, als selbstverständlich und nacheifernswert. Schließlich galt allgemein als evident, dass der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse und der Aufbau des Sozialismus mit den von Lenin angegriffenen Eigenschaften unvereinbar sei. Das freilich verstellte den Blick dafür, dass außer dem, was Lenin zu polemischen Zwecken aufgreift, nichts Genaues darüber mitgeteilt wird, was eigentlich der Inhalt und der Sinn des »Geschreis hysterischer Intellektueller« über »Rädchen und Schräubchen« war. Diese Situation hat sich nach Lenin nicht verändert. Seine polemischen Argumente wurden endlos wiederholt, dem Stil seiner Polemik wurde nachgeeifert. In der offiziellen Geschichtsschreibung der KPdSU, insbesondere in Stalins Kurzem Lehrgang, wurden die politischen Vorstellungen der Menschewiki als derart notorisch schädlich, feindlich, unhaltbar, ja, dumm gebrandmarkt, dass man sich nur wundern kann, warum sie jemals Anhänger um sich scharen konnten. Für Kunizyn, den sowjetischen Autor eines lange Zeit als Standardwerk geltenden Buchs über Lenins Auffassung von Parteilichkeit der Presse und Pressefreiheit, waren sie Leute, die nicht von der Angewohnheit lassen können, »hier wie dort« zu publizieren, die Individualismus und Anarchismus ins Parteileben hineintragen und die das Recht beanspruchen, ihre subjektiven Ansichten gemäß einer Laune, aus dem Wunsch, mit dem Publikum zu kokettieren oder im Streben nach billiger Popularität zu vertreten.18 Auch wir haben den Menschewiki pauschal Opportunismus in der Organisationsfrage in Gestalt einer »anarchistischen, individualistischen Konzeption« unterstellt.19 Zur pauschalen politischen und moralischen Diskreditierung kommt hinzu, dass überwiegend bewusst und sorgfältig vermieden wurde, auf den konkreten Inhalt des Streits zwischen Bolschewiki und Menschewiki detailliert einzugehen, dass insgesamt die Gedankengänge der Kontrahenten Lenins aus dem wissenschaftlichen Diskurs und aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verdrängt wurden. Was haben sie denn tatsächlich gesagt? Welches waren ihre Argumente in der Auseinandersetzung mit Lenins Organisationskonzept und der Art und Weise seiner Durchsetzung? Welche anderen Vorstellungen haben sie vertreten? Wir können die Probleme, um deren Lösung es damals ging, und wir können die reale Bedeutung, die Lenins Konzept für die Entwicklung der Partei und ihrer Presse haben konnte, nicht erfassen, ohne uns mit dem Standpunkt der Menschewiki vertraut zu machen, die sich der Situation unter einem anderen Blickwinkel näherten und folgerichtig anderes sahen.

Welcher Blickwinkel aber war das? Was ich dazu gefunden habe, lässt wenig von Lenins Behauptung übrig, hier seien kleinbürgerliche Anarchisten, hysterische Intellektuelle, notorische Opportunisten am Werke gewesen. Viel angemessener erscheint mir die aktuelle Einschätzung russischer Historiker, dass sich in Bolschewiki und Menschewiki auf unterschiedlichen Traditionen der revolutionären Bewegung, verschiedenen Interpretationen der marxschen Lehre fußende marxistische Fraktionen, später selbständige Parteien, gegenüber standen.

»Während sich […] im Westen die Marxisten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Revolutionäre und Sozialreformisten teilten, geschah in Russland, wo alle politischen Teilungen im Vergleich zu denen Europas und Amerikas beträchtlich weiter links verliefen, die Spaltung zwischen den Revolutionären selbst, die radikaleren Anhänger des Sturzes der bestehenden Ordnung ihren gemäßigteren und vorsichtigeren Genossen gegenüberstellend, die jedoch die Notwendigkeit einer russischen Revolution nicht verneinten.«20

Gegenüber einseitiger Betonung und für die Menschewiki herabsetzender Interpretation klassenmäßiger Unterschiede wird heute beachtet, »dass Bolschewiki und Menschewiki sich nicht vor allem nach ihrer sozialen Zusammensetzung und ihrem Endziel unterschieden, sondern nach der politischen Kultur und dem Typ des Verhaltens ihrer Mitglieder: einem radikal-konfrontativen bei den ersten und einem zur Suche nach Kompromiss und Konsens strebenden bei den zweiten«.21 Ein wesentlicher Unterschied wird darin gesehen, dass Lenin ein respektvolles, aber freies, kreatives Verhältnis zum marxschen Erbe vertrat, dass er und seine Anhänger Träger neuer, radikalerer und der russischen revolutionären Tradition des 19. Jahrhunderts nahestehender Ideen waren, während die Menschewiki, mit einem dogmatischeren Verhältnis zum Marxismus, »von Anfang an zu den organisatorischen Normen und der Taktik tendierten, die in der II. Internationale galten, obgleich sie in gewissem Maße auch die nationale Spezifik Russlands berücksichtigten«.22

Wir haben es also mit der Konfrontation von Sichtweisen zu tun, die auf dem Boden der sozialistischen Bewegung entstanden und, die eine wie die andere, um der proletarischen Sache willen verfochten worden sind, und nicht mit der Abwehr der Angriffe verkappter Klassenfeinde durch die Bolschewiki. Das macht die Sache freilich nicht einfacher. Die beiden Strömungen in der russischen Sozialdemokratie bildeten keine Ausnahme »in der politischen Arena Russlands, wo in den Wechselbeziehungen zwischen Partnern stets Konfrontation und Kampf überwogen, und nicht die Suche nach Kompromiss und Übereinstimmung«.23 Die folgende Feststellung Tjutjukins ist also wohl zu beachten:

»Nach dem II. Parteitag der SDAPR gestalteten sich die Beziehungen zwischen Bolschewiki und Menschewiki quälend schwierig. Aus der Sphäre der Organisationsfragen sprangen die Meinungsverschiedenheiten auf Probleme der Taktik und Strategie der Partei über, und später kam es zum völligen Unverständnis füreinander und zu gegenseitiger Ablehnung: Sagten die Bolschewiki ›ja‹, antworteten die Menschewiki automatisch mit einem unverzüglichen ›Nein‹ und umgekehrt. Zugleich blieb bei den Mitgliedern beider Fraktionen das Bewusstsein gemeinsamer programmatischer Prinzipien und das Streben nach Einheit des Handelns angesichts des gemeinsamen Feindes, der Selbstherrschaft und der Bourgeoisie, erhalten.«24

Auch in den Beiträgen der Menschewiki zum langandauernden und heftigen Streit sind polemische Zu- und Überspitzung oft mit Händen zu greifen. Sie haben eine Verständigung ganz gewiss nicht erleichtert, aber im Kern ging es um Einwände und Probleme, die sich nicht selten als schicksalsbestimmend für die weitere Entwicklung erweisen sollten. Dass die Vorstellung der Menschewiki von einem demokratischen Sozialismus unter den russischen Bedingungen nicht realisierbar war, dass sie ihr – niemals einheitliches – Konzept von Organisation und politischer Taktik nicht in tragfähige gesellschaftliche Veränderungen umsetzen konnten und sich in entscheidenden Augenblicken der russischen Geschichte als nicht handlungsfähig erwiesen, haben jüngere Forschungen russischer Historiker deutlich gemacht.25 Das aber – dies müssen wir uns entgegen früheren Gewohnheiten vor Augen halten – entwertet ihre in der damaligen Diskussion vorgebrachten Argumente nicht. Der Kritiker verliert sein Recht nicht dadurch, dass auch er das vorliegende Problem letztlich nicht lösen kann, und schon gar nicht dadurch, dass er Auffassungen vertritt, die dem Kritisierten nicht genehm sind. Wir sind heute in der Lage, dass wir die Geschichte im Nachhinein nach der Berechtigung und dem Gewicht der Argumente und Vorstellungen befragen können, die Lenin damals entgegen gehalten wurden, und dass wir sie sachlich und kritisch erörtern können, was damals und auch später zum Schaden für die Arbeiterbewegung und die ganze Gesellschaft versäumt und verhindert wurde. Das wird uns schließlich helfen, etwas tiefer in den Charakter, die Probleme der von Lenin angestrebten und realisierten Organisation einzudringen, als deren Bestandteil er die proletarische Presse definierte und die mit ihrer Funktionsweise natürlich auch den Charakter der Parteipresse, die ihr zugemessenen oder verweigerten Funktionen bestimmen musste.

Dass soviel nachzuholen ist bei der Kenntnisnahme vom theoretischen Erbe der Menschewiki und dass die Quellen dafür nicht eben leicht zugänglich sind, hat mich zu ausführlicherem Zitieren bewogen, als es vielleicht normalen Lesegewohnheiten angemessen wäre. Aber ich kann den Leser nur bitten, das in Kauf zu nehmen.

Drittens: Lenin hat stets sehr aufmerksam verfolgt, was sich in der Sozialdemokratie des Westens entwickelte. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, in die Suche nach Lösungen für eigene Probleme »die ganze Erfahrung der internationalen Sozialdemokratie« einzubeziehen. Nicht nur in Pressefragen suchte er Hilfe bei der deutschen Partei. Schon bei der Vorbereitung der Iskra hatte er davon geträumt, eine »russische sozialistische Post«26 nach dem Vorbild des Vertriebsapparats des unter dem Sozialistengesetz illegal und im Ausland herausgegebenen Sozialdemokrat zu schaffen. Gerade um die Zeit herum, da er Parteiorganisation und Parteiliteratur schrieb, wurde die deutsche Sozialdemokratie von zwei oben erwähnten Konflikten im Verhältnis von Partei und Presse bewegt: dem um die Mitarbeit sozialdemokratischer Journalisten an der bürgerlichen Presse und dem um die ›Literatenrevolte‹ 1904/05, eine Fraktionsbildung in der Redaktion des Zentralorgans Vorwärts, die deren Arbeitsfähigkeit zeitweilig stark beeinträchtigte. Beides stand in mehr oder weniger engem Zusammenhang mit dem Revisionismusstreit. Lenin hat beides genau zur Kenntnis genommen und sich darauf bei ähnlichen Problemen in der eigenen Partei bezogen. Weiterhin haben die Auseinandersetzungen in der SDAPR auch im Ausland ihr Echo gefunden. Karl Kautsky wurde direkt in sie einbezogen – die Iskra veröffentlichte in ihrer Nr. 66 vom 15. Mai 1904 einen Brief Kautskys, mit dem er einen ihm von bolschewistischer Seite zugesandten Artikel über den Konflikt in der SDAPR beantwortet hatte.27 Rosa Luxemburg äußerte ihren Standpunkt in ihrem Artikel Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, der wiederum Lenin zur Polemik mit ihr herausforderte. Wir werden also bei der Beschäftigung mit unserem Gegenstand einen Seitenblick auf die deutsche Sozialdemokratie zu werfen haben. Dies nicht zuletzt auch, weil wir dadurch Aufschlüsse über die Berechtigung der Behauptung gewinnen können, Lenin habe eine im Vergleich zur früheren und zur zeitgenössischen Arbeiterbewegung höhere Form des Verhältnisses von Partei und Presse geschaffen.

Viertens: Die Kenntnis von Lenins Konzept der Parteipresse ist, wie bereits erwähnt, über Stalin auf uns gekommen. In älteren Lehrmaterialien der Leipziger Fakultät für Journalistik wurde die Lehre von der Partei und Presse neuen Typs noch als von Lenin und Stalin geschaffene verhandelt.28 Später ist Stalin, Ulbrichts aufschlussreicher Mitteilung entsprechend, dass er nicht zu den Klassikern des Marxismus zu rechnen sei,29 wortlos entfallen. Die Lehre von der Partei und von der Presse neuen Typs ist nach dem XX. Parteitag der KPdSU ohne jede nennenswerte offizielle Auseinandersetzung mit ihr für Theorie und Praxis bestimmend geblieben und wurde von Menschen praktiziert und, wie sie meinten, wissenschaftlich interpretiert, die allesamt, ob Ältere oder Jüngere, ob bewusst oder unbewusst, durch die Schule des Stalinismus gegangen sind.

In den letzten fünfzehn Jahren der Existenz der DDR habe ich gemeint, mit der unanfechtbaren Autorität Lenins Argumente gegen die immer offensichtlicher werdende Enge der SED-Medienpolitik stärken zu können, wie unverfänglich das auch immer versucht wurde und wie naiv auch immer die Annahme war, damit auf eine dringende Modifizierung z. B. der Informationspolitik wenigstens aufmerksam machen zu können. War das aber überhaupt sachlich berechtigt? Wurde Lenins Pressekonzept ein Opfer Stalins oder gehörte es, ob gewollt oder nicht, zu dessen Wegbereitern?

Fünftens: Unser Thema erschöpft sich nicht in der Analyse und Interpretation von Richtlinien für die Gestaltung des Verhältnisses von Partei und Presse und von parteitheoretischen oder strategischen Auffassungen, die ihnen zugrunde lagen. Seine Bearbeitung verlangt unbedingt auch, dass wir uns für die – in vielem von jener der westeuropäischen Sozialdemokratie verschiedene – politische Kultur interessieren, die in der russischen Partei, insbesondere unter den Bolschewiki, herrschte und in der das Prinzip der Parteiliteratur entstand, zu der es gehörte und die es viele Jahrzehnte mitbestimmte. Welche sozialpsychologische ›Statur‹ die Akteure hatten und von welchen Wertmaßstäben sie sich leiten ließen, wie sie in den eigenen Reihen miteinander umgingen und wie mit Bundesgenossen oder Gegnern, welche Formen politischen Kampfes und gesellschaftlicher Veränderungen sie bevorzugten, nach welchen Regeln die Vorbereitung und Verwirklichung politischer Entscheidungen verlief und in welchem Verhältnis dabei demokratische Mitbestimmung und Unterordnung unter die Leitung, Freiheit der Diskussion und Disziplin zueinander standen – diese und andere Faktoren hatten maßgeblichen Einfluss darauf, welche Normen im Verhältnis von Partei und Presse entstanden und wie sie ausgelegt und angewandt wurden. Gleich oder ähnlich lautende Regelungen konnten in verschiedenen kulturellen Kontexten durchaus verschiedene Bedeutung haben.

Aber noch aus einem anderen Grund ist dieser Aspekt wichtig. Die von den Bolschewiki, mit Lenin beginnend, begründete politische Kultur hat bis vor zwanzig Jahren – mit welchen nationalen Variationen auch immer – in der kommunistischen Weltbewegung geherrscht. Unsere Vorgänger, meine Generation und Jüngere sind in ihr groß geworden. Wir haben nicht nur in ihr gelebt, wir haben sie gelebt, ob mehr oder weniger bewusst, ob begeistert oder widerwillig. Sie wurde in alltäglichen Verhaltensweisen verinnerlicht und tradiert, die zählebig sind und fortwirken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch so manche von ihnen mit uns herumschleppen und dass sie sich hemmend in aktuelle Prozesse des Parteilebens einmischen. So zum Beispiel in die strategische Diskussion und andere innerparteiliche Auseinandersetzungen der Linken. Jedenfalls verlangt die Abgrenzung von überholten und verfehlten Strukturen, Zielen, Normen auch, der alten, nicht nur überlebten, sondern selbstzerstörerischen Kultur der ›Partei neuen Typs‹ in allen ihren Erscheinungsformen den Abschied zu geben. Deshalb werde ich mich bemühen, im Falle des Prinzips der Parteiliteratur diese überall zu kennzeichnen, wo sie im historischen Material sichtbar werden.


Beginnen wir nun die Erörterung des von Lenin verkündeten Prinzips der Parteiliteratur. Das soll unter drei Gesichtspunkten geschehen. Der erste wird das organisatorische Verhältnis zwischen der Partei und ihrer Presse sein, der zweite die Rolle der Presse in der Partei, der dritte schließlich ihre ideologische Bindung an die Partei und die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden.

Das Prinzip der Parteiliteratur

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