Читать книгу Der Gärtner war nicht der Mörder - Hans Pürstner - Страница 4
2.Kapitel
ОглавлениеGenervt unterbrach Kriminaloberrat Berger, der Leiter der Mordkommission des Hamburger Landeskriminalamtes, sein intensives Aktenstudium.
„Ja, bitte?“ blaffte er zur Tür, an der ihm gerade ein vorsichtiges Klopfen unangemeldeten Besuch ankündigte.
„Sie wollten mich sprechen, Chef?“, antwortete der Besucher und trat, ohne eine Antwort abzuwarten, in das Büro.
Augenblicklich hellte sich die Miene des Kripo-Chefs auf, als er sah, wer ihn da in seiner Konzentration gestört hatte.
„Ach Sie sind´s, Woldmann, das hab ich doch glatt vergessen!“ rechtfertigte Berger seine unwirsche Reaktion von vorhin. „Danke, dass Sie so schnell vorbei gekommen sind“.
Der altgediente Kriminaloberkommissar akzeptierte die etwas mühsam herausgepresste Entschuldigung wortlos und setzte sich auf einen der Besucherstühle. Insgeheim lächelnd verfolgte er die wichtigtuerisch hin gekritzelten
handschriftlichen Vermerke auf einer der Akten, die sein Chef noch schnell vornahm, ehe sich dieser voll seinem Gast widmete.
„Ich hab Sie rufen lassen, mein lieber Woldmann, weil Sie mein erfahrenster und fähigster Ermittler sind“, sagte er zu seinem Gegenüber und schaute ihn erwartungsvoll an, um zu sehen, wie seine pathetisch vorgetragene
Begrüßung wohl ankommen würde.
Doch der wusste schon, dass bei solch ungewohntem Lob das dicke Ende meistens hinterher kam und verzog keine Miene. Enttäuscht von dessen Reaktion fuhr der Kriminalrat fort.
„Vom Gerichtsmedizinischen Institut kam gestern der Untersuchungsbericht zur Leichensache Rabbisch.“
Wiederum blickte er seinen Beamten gespannt an, doch auch jetzt war nicht das geringste Flackern in den Augen von Kriminaloberkommissar Woldmann zu erkennen.
„Dies ist eine äußerst delikate Angelegenheit, lieber Woldmann“, verlegte sich Berger jetzt wieder auf die
liebenswürdige Tour. Der beschloss daraufhin endlich, doch ein wenig Interesse zu heucheln und fragte scheinheilig
„Meinen Sie etwa d e n Rabbisch?“ und wiegte den Kopf.
Berger senkte seine ansonsten eher polternd laute Stimme erschrocken ab und flüsterte fast
„Ja, genau d e n meine ich! Der alte Rabbisch hat vor einigen Jahren die Geschäfte an seinen Sohn übergeben, war aber nie ganz aus der Firma verschwunden. Als eine Art Aufsichtsratsvorsitzender überwachte er noch jeden
wichtigen Vorgang im Geschäftsleben seiner ehemaligen Firma“.
Die kaum verhüllte Bewunderung war ihm an den Augen abzulesen
“Am vergangenen Wochenende lud er zu einer Familienfeier, in der er eine wichtige Erklärung abzugeben
versprochen hatte. Während er mit seiner Familie gerade beim Nachtisch war, soll er plötzlich mitsamt seinem Stuhl nach hinten gekippt und ohnmächtig liegen geblieben sein.
Der natürlich sofort herbeigerufene Notarzt konnte genau wie sein beim Essen anwesender Kollege Doktor
Windelen, der Hausarzt der Familie, nichts mehr für seinen Patienten tun. Kurz nach der Einlieferung im
Krankenhaus Rissen verstarb der Seniorchef des Hauses Rabbisch, ohne noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.“
„Aha“, meinte der Kriminalbeamte nur, nachdem er die langatmige Erklärung seines Vorgesetzten zur Kenntnis genommen hatte,
„Und was haben wir damit zu tun? Er war doch schon über siebzig, der alte Rabbisch. Auf die Dauer hat halt sein Körper den Raubbau an seiner Gesundheit nicht länger hingenommen, oder?“
„Unsinn, Woldmann!“, das lieber ließ Berger jetzt verärgert weg.
„Selbstverständlich wurde eine Obduktion durchgeführt setzte er fort, „und zwar von Professor Ullrich!“.
Der war zwar eine unbestrittene Kapazität unter den Hamburger Pathologen, doch der Kripomann dachte nicht im Traum daran, jetzt vor Ehrfurcht zu erzittern.
„Was hat er denn als Todesursache angegeben, der Herr Professor?“.
Berger gefiel es überhaupt nicht, wie er Herr Professor betonte, aber er wollte nicht gerade jetzt wieder das alte Thema aufwärmen. Oft genug schon hatte er sich über den seiner Meinung nach mangelnden Respekt gegenüber Höherrangigen von Woldmann aufgeregt.
So holte er das Gutachten aus seiner Ablage hervor, setzte seine Lesebrille auf und überflog noch einmal das Schreiben, bevor er kopfschüttelnd antwortete:
„Dr. Ulrich gibt als Todesursache zwar plötzliches Herzversagen an, meint aber, dass auf Grund nicht näher
beschriebener Umstände eine Fremdeinwirkung nicht auszuschließen sei. Er spricht von Botulismus oder so..“ setzte der Kriminalrat, immer noch verwundert, hinzu.
Woldmann, der gerade an einem verzwickten Fall arbeitete, war alles andere als begeistert, sich noch zusätzliche Arbeit aufzuhalsen und fragte mürrisch:
„Kann das nicht der Kollege bearbeiten, der bei der Tatortbesichtigung dabei war?“
„Das ist es ja gerade, mein lieber Woldmann“, bekam er fast flüsternd zur Antwort,
„wir konnten doch nicht gleich mit unserem ganzen Apparat dort aufkreuzen, zumal es ja anfangs wie ein ganz normaler Todesfall aussah“, meinte er eine Spur zu ehrfürchtig
„Der Notarzt hat aber gegenüber dem anwesenden Beamten des Streifenwagens eine dem entsprechende Vermutung geäußert“, druckste er verlegen herum.
Das war es also, anscheinend hatte der pflichtbewusste Beamte dies in seinem Bericht vermerkt und dadurch
überhaupt erst das Misstrauen des Pathologie-Professors geweckt.
„Gut, Chef, ich lass mir die Akten kommen“, meinte Woldmann resigniert, “aber den Fall mit der ermordeten
Prostituierten kann ich nicht so einfach zur Seite legen, der Kollege Grabert hat gestern seine Kur bewilligt
bekommen, das heißt, ab nächste Woche hab ich noch einen Mann weniger!“
„Ich weiß, Sie haben viel zu tun“, antwortete Berger, „stellen Sie einfach die Beweislage zusammen und wenn alles so ist wie ich vermute, wird mir die Staatsanwaltschaft ohnehin nahe legen, eine Sonderkommission einzurichten!“
„Das ist wieder typisch“, schoss es Woldmann durch den Kopf, „den Nuttenmörder suchen wir schon wochenlang, haben einfach zu wenig Leute, um wirklich allen Spuren nachgehen zu können. Aber wenn so ein reicher Sack den Löffel abgibt, ist plötzlich genug Personal vorhanden!“
Aber er ließ sich nichts anmerken und verließ ohne einen weiteren Kommentar das Büro seines Dienststellenleiters.
Mit leisem Knurren machte Woldmanns Magen auf sich aufmerksam, so beschloss er, an die Landungsbrücken zu Elfriede auf ein Krabbenbrötchen zu gehen.
Der urige Imbiss war nur zwei Gehminuten vom Bürogebäude entfernt, in dem die Mordkommission des
Hamburger Landeskriminalamtes untergebracht ist. Er liebte diesen Laden, so schlicht, wenn nicht gar ungepflegt dieser auch aussah.
Aber Woldmann wusste, dass der äußere Eindruck trog. In Wirklichkeit war Elfriede der sauberste Mensch, den er kannte. Die Brötchen kamen von dem kleinen Bäcker drei Häuser weiter, und die Krabben wie der
Räucherfisch und die Bismarckheringe konnten hier nicht alt werden. Elfriede kaufte immer nur geringe Mengen ein, und wenn etwas alle war, dann bestellte man sich halt was anderes.
„Moin, moin, Herr Kommissar!“, begrüßte sie ihn freudig.
„Was darf´s denn heute sein? Die neuen Matjes sind endlich da. Mit eingelegten Zwiebelringen schmecken sie am besten!“. Mit theatralischer Gestik versuchte sie ihm diese schmackhaft zu machen.
„Nee, Elfriede, ich nehme lieber eins mit Büsumer Krabben, darauf hab ich heute Appetit!“, lehnte er höflich aber bestimmt die freundliche Offerte ab.
Erschrocken blickte sie ihn an. Ein Ausdruck, halb besorgt, halb traurig befiel ihr Gesicht und sie sagte
„Haben Sie denn heute keine Zeitung gelesen, Herr Kommissar? Die Ökos haben doch schon wieder den neuesten Skandal ausgegraben“, meinte sie mit leicht angewiderter Miene. „Bald weiß man wirklich nicht mehr, was man essen soll. Nun soll der Konservierungsstoff in den Krabben bei Mäusen Krebs ausgelöst haben. Und schon kauft kein Mensch mehr die köstlichen Dinger!“.
„Aber ich bin doch keine Maus“, meinte Woldmann ärgerlich, „diese Hysterie mach ich nicht mit. Geben Sie mir ein Krabben-Brötchen!“
Doch Elfriede musste bedauernd ablehnen, „Tut mir Leid, ich hab deswegen erst gar keine bestellt, sonst bleib ich am Ende darauf sitzen!“
So nahm er wohl oder übel einen Rollmops, dazu ein frisch gezapftes Pils und vertiefte sich in den Bericht, den ihm Dr.Berger mitgegeben hatte. Bei der Sektion, las er angewidert, waren im Mageninhalt unter anderem Reste von Nordseekrabben gefunden worden. Das verdarb ihm nun endgültig den Appetit und er bezahlte eilig seine
Rechnung.
„Hätte ich Ihnen bloß nichts davon erzählt!“, meinte Elfriede mit zerknirschter Miene. Da musste Woldmann doch wieder lächeln, und er beruhigte schnell ihr schlechtes Gewissen.
„Nein, ich hab nur eben eine ziemlich unappetitliche Stelle in meinem Untersuchungsbericht gefunden, Elfriede. Keine Angst, mich werden Sie nicht los, dazu schmeckt es bei Ihnen einfach zu gut!“ Seine Antwort stellte sie zwar nicht richtig zufrieden, dennoch strahlte sie ihn an und entgegnete:
„Na, ja, dann bin ich ja beruhigt. Auf Wiedersehen bis morgen, Herr Kommissar“.
Woldmann ging zurück in sein Büro und gab telefonisch Anweisung, den Bericht der Streifenwagenbesatzung, die zusammen mit dem Notarztwagen zu der Villa gefahren war, nach oben zu bringen. Kurze Zeit später klopfte es an Woldmanns Tür und nach dessen Aufforderung, einzutreten, kam ein noch ziemlich junger uniformierter Polizist mit etwas linkischen Bewegungen an seinen Schreibtisch.
„Guten Tag, Herr Oberkommissar“, grüßte er höflich, „Mein Name ist Rauball von der Schutzpolizei,
Polizeikommissariat 26 in Blankenese. Der Revier-Leiter hat mich zu Ihnen geschickt.
Ich war vorgestern zusammen mit meiner Kollegin Frau Möller in dem Peterwagen, der zusammen mit dem Notarzt in die Elbchaussee 489 gerufen worden war.“
„Tag Kollege“ grüßte Woldmann jovial zurück, “Nehmen Sie doch Platz. Schön, dass Sie selbst gekommen sind. Informationen aus erster Hand sind eben doch die besten!“.
Der junge Polizist nahm das Angebot dankbar an und setzte sich. Woldmann blätterte in der dünnen Akte, die er von Dr. Berger erhalten hatte und fragte:
„Wie war das eigentlich genau bei Ihrer Ankunft in der Villa, wart ihr vor oder nach dem Notarzt da?“
„Wir sind gleichzeitig in der Einfahrt angekommen, haben aber natürlich dem Doktor den Vortritt gelassen“,
berichtete er diensteifrig.
“Ein aufgeregter Mann, er war wie sich hinterher herausstellte einer der Söhne des Opfers, stand an der Eingangstür und winkte uns ungeduldig zu. Kommen Sie doch, schnell! hat er gerufen. Er war außer sich vor Aufregung.
Der Doktor ist natürlich gleich hinein geeilt, während der Rettungsassistent erst die Notfalltasche aus dem Wagen nahm und ihm hinterher lief.
Danach sind wir beide, Kollegin Möller und ich, ebenfalls ins Haus gegangen. In der Halle standen ungefähr zehn meist ältere Herrschaften mit betretener Miene und diskutierten eifrig das Geschehene“.
Woldmann fragte weiter, „Was war denn ihr Eindruck, Herr Kollege, dachte man an einen Herzanfall oder so was, oder zogen die Anwesenden auch das Essen als Ursache in Betracht? Dann hätten ja auch die anderen besorgt um ihre eigene Gesundheit sein müssen!“
Dem Streifenpolizist konnte man direkt ansehen, wie angestrengt er nachdachte. Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass er mit der Mordkommission zu tun hatte.
„Ich versuche mir gerade, ein genaues Bild des damaligen Abends vor Augen zu halten. Damit ich auch etwas zur Lösung diese Falles beitragen kann. Ich möchte nämlich später auch zur Kripo!“, setzte er stolz hinzu.
„Jetzt, wo Sie das sagen, Herr Hauptkommissar, wundere ich mich auch. Aus den Gesprächsfetzen konnte ich
entnehmen, dass einige der Anwesenden wohl an einen Herzinfarkt dachten. Keine Spur von Panik wie bei einer vermuteten Lebensmittelvergiftung“
Er schaute etwas verstohlen auf den Aschenbecher der auf dem Schreibtisch stand und Woldmann, der das erkannt hatte, ermunterte ihn schmunzelnd, sich ruhig eine Zigarette anzustecken.
„Was hat denn nun eigentlich der Notarzt gesagt, hier steht doch“, und damit nahm er wieder den
Untersuchungsbericht zur Hand, „dass der Doktor nicht ganz überzeugt von einer natürlichen Ursache für den
Herzstillstand gewesen sein soll. Hat er denn etwas erwähnt, wodurch er auf diese Vermutung kam?“
Etwas verlegen blickte Rauball zu Boden, „Ich habe das leider nicht behalten. Es war ein ziemliches Fachchinesisch, was der Arzt da von sich gegeben hat. Tut mir Leid!
Ich weiß nur, dass mein Revierleiter, der inzwischen auch am Tatort eingetroffen war, die Überführung zur
Gerichtsmedizin veranlasste“
Schuldbewusst rückte er auf seinem Stuhl hin und her, doch Woldmann spendete ihm sofort Trost.
„Diese lateinischen Fachausdrücke kann man ja manchmal wirklich nicht verstehen, Kollege, da machen Sie sich mal keinen Kopf deswegen!“.
Dankbar lächelnd verabschiedete er sich von Woldmann und verließ das Büro. Kaum war er wieder allein, läutete das Telefon und Dr. Berger erkundigte sich nach dem Fortgang der Ermittlungen.
Obwohl er noch keinen blassen Schimmer hatte, wer den alten Rabbisch so raffiniert ins Jenseits befördert haben sollte, gelang es Woldmann, seinen Dienststellenleiter mit ein paar Allgemeinfloskeln einen Ermittlungsfortschritt vorzugaukeln.
Nun war es aber an der Zeit, das ganze Team seiner Mordgruppe einzuweihen. Er rief seine drei Beamten ins
Besprechungszimmer und unterrichtete sie über alles, was er selbst bisher erfahren hatte.
Mit Günter Pallhuber und Roland Emmerich war er per du, nur Britta Wilhelm, die junge Kollegin aus dem
Dezernat für Interne Ermittlungen war noch etwas reserviert. Die drei Monate, die sie in jener Abteilung gearbeitet hatte, waren ihr sichtbar aufs Gemüt geschlagen.
„Gegen eigene Kollegen ermitteln zu müssen, ist echt das Letzte!“, hatte sie ihm damals bei der Vorstellung gesagt.
„Die einen schauen einen schief an, als ob man ein Verräter wäre, und die Staatsanwälte wiederum glauben bei jedem entlastenden Indiz, das wir fanden, an unzulässige Kumpanei!“.
Woldmann war es immer schon schleierhaft gewesen, wie man überhaupt immer wieder Leute für dieses Dezernat hatte finden können.
„Na, Günter, was hältst du denn davon, mal ein paar Erkundigungen über Rabbisch einzuholen. Du bist doch eh so ein fanatischer Grüner. Da wirst du doch bestimmt irgendwelche Leute auftreiben können, die den Alten nicht leiden konnten, oder?“.
„Ich weiß nicht recht, Kalle“, antwortete der, “ich hab zwar selbst auch schon oft über diese Billigläden gelästert, aber egal was die da so für Sachen machen, dafür bringt man doch keinen um!“
Das war zwar einleuchtend, brachte die Gruppe aber nicht weiter und deshalb beauftragte er Pallhuber und Emerich, alles was Computer und Pressearchiv hergaben, zu sammeln und ihm baldmöglichst vorzulegen. Er selbst nahm sich Britta Wilhelm und ging mit ihr nach unten zur Fahrbereitschaft, bei der er sich einen neutralen Dienstwagen hatte bereitstellen lassen.