Читать книгу Die letzte Kreuzfahrt - Hans Pürstner - Страница 4
ОглавлениеDer erste Tag – Frau Scholz
Wir steigen aus dem Auto. Gerade hat Elvira es auf dem großen Parkplatz abgestellt. Elvira ist meine Tochter.
„Dort hast Du es doch viel besser, Mutti, in dem schönen Heim!“, hat sie mir gesagt. Immer und immer wieder. Bis ich es selbst glaubte. Nun bin ich da in dem Heim, dem schönen. Sieht noch ziemlich neu aus, das Gebäude. Die Vorderfront geschwungen, wie der Bug eines Schiffes.
Wie der der Hanseatic. Das war ein Schiff. Drei Mal waren wir auf Kreuzfahrt damit, Alwin, mein Mann und ich. Beim ersten Mal war Elvira noch dabei. „Mensch, Mutti, ist das langweilig hier, alles nur alte Leute!“, hat sie sich beklagt. Dabei hat Alwin so viel Geld bezahlt dafür. Na ja, heute hat sie ihren Hans.
Der fliegt mit ihr auf die Malediven. Wohnen in einer Strohhütte. Einer komfortablen zwar, mit Klimaanlage, aber einer Strohhütte.
Da ist es schon schöner, wenn man seine Kabine auf der Hanseatic hat. Den gleichen Kabinensteward wie beim letzten Mal, Rodolfo hieß er, kam aus Portugal. Deutsche wollen das ja kaum noch machen. Dienen, bedienen, freundlich sein.
Und jetzt steh ich hier, vor dem schönen Altenheim „Sankt Angelika“. Warum müssen die immer so heilige Namen haben, die erinnern an christliche Werte, Nächstenliebe, Bescheiden-heit. Aber ich soll hier 2900 Euro bezahlen im Monat.
Ein paar Hundert bezahlt die Pflegeversicherung dazu, immerhin. Aber meine ganze Witwenrente geht drauf dabei. Und die Zusatzversorgung vom Aluminiumwerk auch, wo ich mir als Putzfrau was dazuverdient hatte, weil Alwin nicht mehr so viel nach Hause brachte, die letzten Jahre vor seinem Tod. Zwanzig Jahre hat er geschuftet. Nachtdienst, Sonntagdienst in der Druckerei als Setzer.
Dann kamen die Computer. Da konnte ja jede kleine Bürotippse setzen. Jetzt kommt alles aus der Redaktion fix und fertig als Druckvorlage. Wird nur noch auf die Rollen der Druckmaschine gespannt. Und ab geht’s. Wozu braucht man da einen Schriftsetzer.
Aber nicht mal all dieses Geld reicht aus für den Heimbeitrag. Elvira soll doch für den Rest aufkommen, haben sie ihr gesagt, auf dem Sozialamt. Vom Erbteil ihres Vaters.
Dafür hat Alwin eisern gespart, jahrzehntelang. Damit seine Tochter es einmal besser haben würde als wir.
Obwohl so schlecht hatten wir es ja auch nicht. Die Kreuzfahrten auf der Hanseatic. Rodolfo hat immer Herr Doktor gesagt zu Alwin. Weil er so gutes Trinkgeld gegeben hat. Rodolfo meinte wohl, dass wir reiche Leute seien. Aber so richtig geglaubt hat er es eh nicht. „Sie sind viel zu nett für einen Millionär“ hat er immer gesagt zu meinem Mann.
Doch jetzt lasst uns endlich reingehen in das Haus. Die Glastür hakt etwas. Aber nun geht sie doch noch auf. Ne Klinke wäre einfacher. Aber es muss ja automatisch sein. Wegen der Vor-schriften. Was sagen eigentlich die Vorschriften, wenn der Strom ausfällt, wer macht denn dann eigentlich die Tür auf? Na ja, wann fällt schon der Strom aus heutzutage, ist nicht mehr so wie nach dem Krieg, als wir die Kerzen parat hatten, mehr als alles andere.
Endlich, wir sind drinnen. Hab ich mir schlimmer ausgemalt, die ganzen Tage vorher. Der erste Schritt ins Heim. Rechts ist sogar eine Rezeption. Ein junges Mädchen hinter dem Tresen, könnte Lilli sein, meine Enkelin. Ist sie aber nicht. Die würde ja rufen „Hallo Omi!“ Aber hier heißt es nur „Was kann ich für Sie tun?“.
Diese neumodischen Floskeln heutzutage, ein freundliches Guten Tag wäre viel angebrachter.
Elvira regelt das für mich. So kann ich mich mal umschauen. Waren ja schon mal hier, vor zwei Monaten. „Nur damit Du mal siehst, es ist gar nicht so schlimm in einem Heim, Mutti!“, hat Elvira gesagt. Ich hätte ja noch Jahre Zeit, bis ich mal hierher müsste. Wenn überhaupt.
Aber nun bin ich hier. Und zwar viel früher. Früher als ich gedacht hätte, zumindest. Hektisch telefoniert die Kleine.
„Ein paar Minuten wird es noch dauern. Die Oberschwester kommt gleich und holt Sie ab!“.
Ich will nicht abgeholt werden. Ich will mein Zimmer sehen. Mein neues Zuhause!
Damals, vor zwei Monaten, da haben sie uns eins der Musterzimmer gezeigt, aber jetzt will ich mein eigenes sehen. Da kommt endlich die Oberschwester.
„Herzlich willkommen im St. Angelika, ich bin Frau Wimmer, Angelika Wimmer!“
Wie sinnig, Angelika heißt sie.
Sie schien meine Gedanken zu erraten. „Nein nein, so heilig bin ich nicht!“, sagt sie. „Sankt Angelika ist bloß die Schutzpatronin der Kirchengemeinde hier im Ort, da kommt der Name unseres Heims her“
Freundlich und humorvoll scheint sie ja zu sein, die Frau Wimmer. Immerhin. Sie geht voraus, öffnet die Tür zum Fahrstuhl und drückt auf die 2. Nichts rührt sich.
„Der Monteur muss jeden Moment kommen, wir haben schon angerufen“, ruft das Mädchen von der Rezeption. Verlegen zieht uns Frau Wimmer aus dem Aufzug und deutet an das andere Ende des Flures.
„Wir nehmen den kleinen Fahrstuhl, meine Damen, dort kommen wir gleich bei ihrem Zimmer heraus!“.
Geschafft, der kleine Aufzug funktioniert klaglos. Das kann ja heiter werden mit der Technik hier. „Wir haben einen fähigen Hausmeister hier, aber alles kann er natürlich auch nicht selbst reparieren!“, seufzt Frau Wimmer. Abermals schien sie meine Gedanken erraten zu haben.
„So, hier sind wir, Frau Scholz. Das ist jetzt Ihr Zuhause. Herr Claudius, unser Hausmeister, hat schon ihre eigenen Vorhänge von ihrer alten Wohnung aufgehängt. Und ihren antiken Kleiderschrank hat er auch wieder aufgestellt!“
Na ja, aber mein eigenes Bett wäre mir schon lieber gewesen, statt diesem Wunder der Technik, in das ich mich jetzt hineinlegen soll. Als ob sie meine Gedanken abermals erraten hätte, meint die Oberschwester
„Die Betten werden grundsätzlich von uns gestellt, mit Elektromotor zum Hochstellen. Was meinen Sie, was die Leute früher für Betten angeschleppt haben, das war echt unmöglich. Und wenn Sie mal pflegebedürftig sein sollten, kann die Schwester Ihnen viel besser das Essen zureichen mit der automatischen Höherstellung!“
Kann schon sein, denk ich im Stillen. Aber ein Elektrobett erinnert mich ein bisschen an einen elektrischen Stuhl.
Immerhin sind meine Lieblingsbilder aufgehängt. Vor allem das Bild von Alwin mit dem Kabinensteward von der Hanseatic. Und unser Hochzeitsfoto, vor der Kirche mit all unseren Freunden. So fühle ich mich doch nicht ganz fremd, weg von meiner alten Wohnung.
Gespannt verfolgen die beiden wie ich das Zimmer wohl aufnehmen würde.
„Ich lass Sie erst mal alleine, Sie wollen sich bestimmt ungestört mit den Gegebenheiten vertraut machen“ meint Frau Wimmer. Wie recht sie doch hat. Im Moment möchte ich niemand sehen. Schon gar nicht Elvira, die mir das alles eingebrockt hat.
„Glaub mir, bald wirst du froh sein, dass du hier sein kannst, Mutti, es ist das Beste für dich!“
Vor allem für dich, denk ich mir. Hans, ihr Mann wollte mich auf keinen Fall in ihrem Reihenhaus haben. Obwohl er doch extra das Dachgeschoss ausbauen ließ zu einer gemütlich kleinen Gäste-wohnung.
„Da müsstest Du doch ewig treppensteigen, Schwiegermama!“, pflegte er sich zu entschuldigen, wann immer ich versucht hatte, das leidige Thema anzuschneiden.
Irgendwann war es mir zu blöd geworden und ich stimmte der Über-siedlung ins Heim zu.
Elvira machte sich auch ans gehen, das schlechte Gewissen war ihr ins Gesicht geschrieben.
„Tschüß, Mutti, ich komm morgen nach dem Büro vorbei, so schnell wie möglich!“
sprach´s und verschwand.