Читать книгу Gaias Vermächtnis - Hans-Rudolf Zulliger - Страница 6
ОглавлениеVerwirrung um
den Begriff
Nachhaltigkeit
»Wir sind hier, um Zeugen der Kreation zu sein und sie zu unterstützen.« Annie Dillard
Als ich um 1962 das erste Mal alleine unter den gigantischen Redwood-Bäumen Nordamerikas kampierte, war ich mir sicher, dass meine Vorfahren Waldmenschen gewesen sein mussten. Im Wald, umgeben von stattlichen Bäumen, fühlte ich mich schon in meiner Jugend während der vielen Jahre bei den Pfadfindern und den zahlreichen Teilnahmen an Orientierungsläufen besonders wohl. Vor gut zehn Jahren führte mich eine Reise im Sommer 2008 in den Nordosten der ehemaligen DDR, nach Eberswalde. Nach dem Abendessen, so gegen 21 Uhr, war es noch fast taghell, und ich hatte Lust, die Gegend zu erkunden. Gemütlich schlenderte ich in Richtung Waldgarten, eine Waldforschungsstätte, die von der Holzfachhochschule Eberswalde betreut wurde. Der Pfad war von hohen Bäumen umsäumt, und es reizte mich, den uralten Waldbestand zu erforschen. Mein Gastgeber hatte mich vorher darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich, in einem der größten Wälder Europas, nur etwa 10 km von der polnischen Grenze entfernt befand.
Nach etwa einer Viertelstunde erreichte ich eine kleine Lichtung mit kreisförmig angeordneten Gehegen, in denen verschiedene Waldtiere wie Füchse, Dachse, aber auch Eulen und Pfauen zu sehen waren. Nach einem kurzen Halt, um die Tiere zu beobachten, setzte ich meine Wanderung fort, die immer tiefer in den Wald führte. In kleinen Senkungen neben dem Pfad lag Wasser, was auch die lästigen Mücken erklärte. Aufmerksam verfolgte ich Weggabelungen und prägte mir die Formen der Wassertümpel entlang des Weges ein. Als ich zu einer Kreuzung mit drei Wegweisern kam und es einzudunkeln begann, dachte ich an den Rückweg, denn die Ortsnamen auf den Wegweisern waren mir gänzlich unbekannt. Vergebens suchte ich Eberswalde, den Ort, von dem aus ich meine Waldwanderung begonnen hatte. In England, so fiel mir ein, sind an Kreuzungen oft nur drei der vier Richtungen markiert, man sollte ja eigentlich wissen, wo man herkam. Eberswalde musste folglich in der Richtung liegen, aus der ich gekommen war, also kehrte ich um.
Anfangs schien mir der Weg vertraut, doch nach etlichen Abzweigungen wurde ich immer unsicherer. Die »vertrauten« Wege und Wasserlachen sahen alle ähnlich und doch anders aus. Vielleicht hatte ich eine Abzweigung verpasst, ich ging also nochmals ein Stück zurück, doch vergeblich: Ich hatte mich heillos verirrt. Ein unangenehmes Gefühl verriet mir, dass ich Angst hatte, denn ich steckte in ernsten Schwierigkeiten. Kein Mensch wusste, dass ich in diesem Wald war. Man würde mich erst spät am nächsten Tag vermissen. Mein altes Handy lag zu Hause, ich hätte allerdings ohnehin keinen Empfang gehabt. Was sollte ich tun? Ich beschloss, meinen Standort und meine Laufrichtung in periodischen Abständen mit Astholzpfeilen zu markieren.
Inzwischen war es fast dunkel, und ich irrte immer noch ohne irgendwelche Anzeichen von Zivilisation oder Wegweisern durch den düsteren Wald. Plötzlich ein Schrei, kurz darauf ertönte ein zweiter; ein Pfau! Ermutigt eilte ich in die Richtung des Rufs und war bald bei den Käfigen des kleinen Zoos angelangt. Ich bedankte mich beim Pfau für seine Hilfe, der unbeeindruckt im Käfig umherstolzierte. Schließlich fand ich den Weg zurück, allerdings nicht ohne einige weitere Umwege. Wie konnte ich nur so unbedacht und fahrlässig handeln? War es Überheblichkeit und Arroganz, da ich annahm, dass mir im Wald nichts passieren könnte? Oder war es Gedankenlosigkeit? Sicher war nur, dass ein Pfau mich gerettet hatte.
Rückblickend erkenne ich Gemeinsamkeiten im Umgang mit Nachhaltigkeit. Viele von uns nehmen an, dass unser Verhalten kaum zu schlimmen Folgen führen könnte oder wir achten schlicht nicht auf die potenziellen Gefahren. Dies passt mit der vermuteten Überheblichkeit gut zusammen. Es ist nicht schwer, sich in unserer komplexen Welt zu »verirren«, denn der Weg zur Nachhaltigkeit erfordert breites Wissen, Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, das Richtige zu tun. Häufig sind wir damit jedoch überfordert. Zudem ist es notwendig, dass uns die Natur, wie mich der Pfau, hin und wieder an ihre lebenserhaltende Fähigkeit mahnt.
Wie erfahren wir Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit wird heute in unzähligen Büchern, Artikeln, im Internet, in sozialen Medien, Programmen, Firmenstrategien, Lehrgängen, Filmen und Stiftungen beschrieben und diskutiert. Alle Worte, auch »Nachhaltigkeit«, sind Symbole die irgendetwas darstellen oder beschreiben. Ein Wort ist jedoch erst dann für die Kommunikation nützlich, wenn es möglichst ähnliche Bilder in den Köpfen der Partner hervorruft.
Wo für den Begriff »Nachhaltigkeit« ein tieferes Verständnis fehlt, ist er je nach Weltsicht positiv oder negativ besetzt, zudem ist er abstrakt und vielschichtig. In vielen Teilen der globalen Bevölkerung ist er unbekannt und Assoziationen mit positiv besetzten Ausdrücken fehlen. Häufig wird darunter Verzicht verstanden, oder man verbindet den Ausdruck mit einer utopischen Forderung. Im Gegensatz dazu steht zum Beispiel »Innovation« meistens für wünschenswerte Eigenschaften. In den letzten Dekaden ist im Verständnis von Nachhaltigkeit allerdings ein Wandel eingetreten, und man hat den Begriff zunehmend auch positiv gedeutet. Dies lässt sich zum Beispiel den Geschäftsberichten vieler Firmen entnehmen, die zusätzlich »Nachhaltigkeitsberichte« publizieren. Man tut etwas Gutes und redet darüber.
Eine Motivation für nachhaltiges Wirtschaften kann die Steigerung des Aktienkurses sein. Der Zusammenhang zwischen nachhaltigem Management und dem Aktienkurs war Ende der 1980er-Jahre noch nicht genügend gut erforscht, um eine eindeutige Kausalität nachzuweisen. Es konnte durchaus sein, dass Manager, die eine Firma nachhaltig führten, im Durchschnitt einfach bessere Manager waren als die anderen und dass das gute Resultat nur wenig mit der Nachhaltigkeit des Wirtschaftens zu tun hatte. Aufgrund meiner Beobachtung mancher Firmen, die im Dow Jones Sustainability-Index (DJSI) seit 1999 aufgeführt worden sind, war ich jedoch der Ansicht, dass dies vielfach tatsächlich der Fall war, wenigstens über einen kürzeren Zeithorizont gesehen. Dieser Index wählt aus den 2500 Firmen des ganzen Dow Jones Weltindex diejenigen Firmen mit einer guten Nachhaltigkeitsleistung aus. Heute ist erwiesen, dass Aktien anerkannt nachhaltig geführter Unternehmen im Durchschnitt langfristig besser abschneiden. Eine weitere Motivation kann das Einsparen von Ressourcen sein. Dies kann ökonomisch und/oder ökologisch sinnvoll sein. Die Erfahrung zeigt, dass diese Einsparungen in den meisten Fällen ökonomisch begründet werden müssen und das ökologische Denken nur den Anstoß dazu gab.
Meines Erachtens gibt es »die« Nachhaltigkeit nicht. Es sind vielmehr Prozesse, Bestrebungen und Verhaltensweisen, die die Welt nachhaltiger gestalten. Es gibt auch keinen idealen Endzustand, denn die Entwicklungsgeschichte der Erde zeigt, dass sie sich immer wieder in sich verändernden, wandelnden Umständen befindet. Meine Versuche, Nachhaltigkeit in meinen vielen Vorträgen zu erklären, lösten wenig Begeisterung aus. Aus diesen Erfahrungen habe ich gelernt, den Begriff Nachhaltigkeit vor einem breiten Publikum möglichst zu vermeiden. Ich spreche von guter Gesundheit, intakter oder robuster Natur, Erhaltung der Artenvielfalt und des Ökosystems, Freude an der Natur oder auch von Lebensqualität. Dabei sind Familie und Freundschaften, gute Beziehungen zu anderen Menschen und eine faire Wirtschaft mit Chancengleichheit wichtige Voraussetzungen.
An einem heißen Junitag 2015 mähte ich zusammen mit einem Hilfsgärtner meine Blumenwiese. Der junge, kräftige Mann schwang fachmännisch meine alte, frisch geschärfte Sense, die fast lautlos durch das hohe Gras glitt. Ich hatte ihn angeheuert, weil ich die ohrenbetäubend lauten, stinkenden und mit Zweitaktmotoren angetriebenen, rotierenden Rasentrimmer als schädlich für die Umwelt betrachte. Sie wirbeln unnötig Staub auf, verpesten die Luft und töten Käfer und andere Kleintiere, und Zeit gewinnt man mit diesen Dreckschleudern auch nicht. Während der fleißige Mann mähte, legte ich das Gras mit allen Kräutern und Blumen an der Sonne zum Trocknen aus, damit die Samen sich lösen und auf den Boden fallen konnten – eine jahrtausendealte Methode, um Natur zu erhalten und sich entwickeln zu lassen. Jedes Frühjahr erfreue ich mich erneut an der Farbenpracht dieser Wiese; zahlreiche Schmetterlinge, Grillen, Vögel und viele Insekten finden dort ihre Nahrung und halten Schädlinge in Schach.
Inzwischen stieg die Temperatur auf etwa dreißig Grad. Wir unterbrachen die Arbeit und erholten uns bei einem kühlen, alkoholfreien Bier. Seit ich an diesem Buch arbeite, frage ich meine Gegenüber gelegentlich, was sie von Nachhaltigkeit halten. Dieser Moment schien mir dafür geeignet: »Was halten Sie von Nachhaltigkeit?« Der Gärtner sah mich fragend an und gestand: »Ich weiß nicht viel davon, finde aber, dass man alles etwas übertreibt.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Mit dem Klima müssen wir allerdings aufpassen.« Er hob sein Glas, nahm einen kräftigen Schluck vom schäumenden Bier und war sichtlich erfrischt und zufrieden. Dabei dachte ich: Es gibt keine wirksamere Methode, die zunehmende Klimaerwärmung zu vermitteln, als diese am eigenen Leibe zu spüren.
Ölkrise 1973/74
Meine Erinnerungen an Umweltsünden gehen in meine frühe Kindheit zurück, mein Vater warnte mich vor giftigen Autoabgasen. Kurz nach seiner Lektion spazierten wir Hand in Hand an einer Autokolonne vorbei. Ich fragte ihn: »Weshalb dürfen die Autos das giftige Abgas in die Luft lassen?« Er antwortete etwas ausweichend, dass sich das Gift in der Luft verteilen würde und somit unschädlich sei. Diese Antwort hat mich schon dazumal nicht befriedigt. Den Beweis, dass meine Zweifel berechtigt waren, habe ich viele Jahre später in Kalifornien am eigenen Leib erlebt.
1974 wohnten wir in Portola Valley, Kalifornien, etwa 50 km südlich von San Francisco. Für meine tägliche Autofahrt zu unserer kleinen Hightech-Firma Nuclear Semiconductor, Inc. in Mountain View, benötigte ich, je nach Verkehr, etwa 25 Minuten. Die Erinnerung an die Warnung meines Vaters vor giftigen Autoabgasen war mir immer noch präsent. Mein häufig irritierter Hals und das andauernde Hüsteln im Sommer klärte sich erst bei einem Arztbesuch auf, der meine Beschwerden mit der verpesteten Luft in Verbindung brachte. Von der erhöhten Lage unseres Wohnorts war es unübersehbar, dass die gelbbraune Smogwolke über der San Francisco Bay die Ursache dieser unangenehmen Beeinträchtigung war. Zusammen mit meinem Geschäftspartner, der im gleichen Dorf wie wir wohnte, hatten wir schon lange eine Fahrgemeinschaft gegründet, in der wir abwechslungsweise den anderen zur Arbeit mitnahmen. Meine Frau und ich besaßen einen VW-Käfer, den ich mit einem Katalysator aufgerüstet hatte, mein Kollege fuhr einen Porsche. Dieses Arrangement schien zu dieser Zeit die beste Lösung für unseren täglichen Transport zu sein.
Im Herbst 1973 brach jedoch eine Erdölkrise aus. Libyen verstaatlichte Erdölfirmen, die OPEC erhöhte den Basispreis von Erdöl um 70% und drosselte die Fördermenge um 5%. Kurz darauf beschlossen Abu Dhabi und andere Erdöllieferanten einen Boykott gegen die USA. Benzin wurde in ganz Amerika knapp, lange Schlangen bildeten sich vor den Tankstellen. Zwischen den Wartenden brachen regelrechte Schlachten aus. Es wurde allen klar: Benzin war die Lebensader des Landes. Die Regierung beschloss eine Rationierung: Die Besitzer der Autonummern mit geraden Zahlen konnten an den geraden Monatstagen tanken und diejenigen mit ungeraden Nummern an den ungeraden Tagen. Mein Fahrpartner und ich hatten Glück, denn meine Autonummer endete auf einer geraden Zahl und seine auf einer ungeraden. Überall entstanden »Car Pools«, und wir fanden in der Nachbarschaft noch einen dritten Mitfahrer, der einen kleinen Fiat als gemeinsames Fahrzeug mitlieferte. Wir »kauften« uns als Mitbesitzer dieses Autos ein und teilten alle Kosten solidarisch. Durch diese Aktion hatten wir den Benzinverbrauch und damit die Luftbelastung nochmals reduziert. Wenn viele andere unserem Beispiel gefolgt wären, hätte sich die Krise wesentlich schneller gelegt.
Unterwegs zur Arbeit diskutierten wir weitere Maßnahmen, um die Energiekrise zu entschärfen. Zufälligerweise entwickelte ein Bekannter im gleichen Gebäude unseres Arbeitsortes Sonnenkollektoren für Schwimmbäder, was uns auf die Idee brachte, das Brauchwasser und die Häuser im Winter mit Sonnenenergie zu erwärmen. Weitere Kollegen stießen dazu, und am 12. Juni 1975 gründeten wir eine der ersten Sonnenenergiefirmen, Alten Associates Inc., in Mountain View. Für die erste Installation stellte uns ein mutiger Freund sein Haus zur Verfügung. In seinem Garten vergruben wir einen 4000 Liter fassenden isolierten Wassertank, schraubten unsere neu entwickelten Kollektoren auf sein Flachdach und dichteten die Schraubenlöcher fachmännisch mit flüssigem Teer ab. Am nächsten Morgen schlug die Frau des Besitzers Alarm: Sie hatte alle 60 cm schwarzen Teer auf ihrem weißen langhaarigen Teppich gefunden! Doch unser Freund, der bei der NASA arbeitete, beruhigte alle und brachte einen Sack voll Trockeneis, das er sorgfältig auf die Teerstellen streute. Nach kurzer Zeit zerschlug er den hart gefrorenen Teer mit einem Hammer und bürstete die kleinen Bruchstücke weg. Die schnelle Reaktion meines Freundes imponierte mir, denn sie zeigte auf, dass Innovation immer auch an die Bereitschaft und an die Fähigkeit geknüpft ist, Fehler im Entwicklungsprozess korrigieren zu können.
Die Ölkrise ging vorbei, doch der Smog blieb, und trotz einer neuen sechsspurigen Autobahn, der Interstate 280, kämpften wir uns bald wieder durch Staus. Seit Langem wurde behauptet, dass es in der San Francisco Bay Area, im Gegensatz zum berüchtigten Los Angeles, keinen Smog geben werde, doch eine stetig wachsende Smogwolke bedeckt in den Sommermonaten die San Francisco Bay bis weit in den Süden. Inzwischen ist sie 100 km lang, und in der Region sind leider alle Frucht- und Gemüseplantagen verschwunden. Schöne Ortsnamen wie Valley of Heart’s Delight (Santa Clara Valley) und Sunnyvale sind nur noch Erinnerungen an riesige Plantagen mit Blenheim-Aprikosen, Bing-Kirschen, Burbank-Zwetschgen und anderen mehr. Stattdessen sind Zehntausende von Firmen und Millionen von Häusern und Apartments entstanden, das heutige Silicon Valley. Parallel dazu entwickelte sich in der Region ein stetig wachsendes Engagement, den Planeten vor seiner Zerstörung zu bewahren. Zu jener Zeit war der Begriff »Nachhaltigkeit« noch nicht verbreitet, doch hatten sich schon viele Organisationen, wie der Sierra Club, Friends of the Earth und unsere Gruppe Creative Initiative Foundation mit Umweltschutz befasst.
Ein Begriff und viele Definitionen
Das Wort Nachhaltigkeit besagt, dass etwas dauerhaft erhalten bleibt, sich erneuert oder entwickelt. Der Begriff an sich hat eigentlich nichts mit Ökologie zu tun, obwohl er ursprünglich in der Forstwirtschaft und in der Landwirtschaft häufig verwendet wurde. Nachhaltigkeit wurde von den Umweltschützern adoptiert und mit sozialen Anliegen ergänzt. Es ist kein geschützter Begriff und darf deshalb auch für andere Zwecke verwendet werden, was die Vielfalt der Interpretationen erklärt.
Dr. Alfred Strigl, Gründer und Präsident der Firma Plenum in Wien, erhielt 2014 von unserer Stiftung Unterstützung für seinen neuen Lehrgang »Pioniers of Change«, um junge Leute bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit anzuleiten. 2016 hielt er anlässlich des Symposiums unserer Stiftung ein Referat zum Thema »Nachhaltige Transformation – wie tiefe Nachhaltigkeit in die Welt kommt«. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir, dass er über eine längere Zeitspanne 140 verschiedene Definitionen von Nachhaltigkeit gesammelt hatte, die er mit Studenten in seinen Kursen diskutiert. Unter »Nachhaltigkeit als Kulturbegriff« hat er eine interessante Zusammenstellung vorgelegt, auf die ich im Folgenden eingehen möchte [→ Abb. 1].
Die am meisten verbreitete Definition findet sich im Bericht, den die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung in Auftrag gegeben hat. Dieser Bericht entstand unter der Führung von Gro Harlem Brundtland, der ehemaligen Premierministerin von Norwegen, und wurde 1987 veröffentlicht. Inzwischen ist er unter dem Namen »Brundtland-Bericht« bekannt. Der Kurztext, auf den sich die Kommission einigen konnte, lautet: »Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs (WCED 1987:43). – Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse von heute erfüllt, ohne die Fähigkeit zu verlieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können.«
Um den Begriff Nachhaltigkeit beispielsweise im Umweltschutz zu verwenden, wäre es notwendig, von ökologischer Nachhaltigkeit zu sprechen. Genau das versuchten die Teilnehmer der Klimakonferenz in Rio de Janeiro von 1992 mit der sogenannten »Rio-Formel« zu erreichen. Darin wurden drei Themenbereiche hervorgehoben: Ökologie, soziale Gerechtigkeit und Ökonomie. Alle drei Punkte sollten gleichzeitig und untrennbar miteinander verknüpft angewandt werden.
Bewahrung der Umwelt
Herstellung der sozialen Gerechtigkeit
Faire Einkommens- und Vermögensverteilung
Im Bericht von Rio wurden diese Begriffe mit vielen detaillierten Beispielen untermauert. Allerdings gefällt mir der Begriff »nachhaltige Entwicklung« nicht, denn er ist zu eng und zu vage gefasst. Mit »Entwicklung« werden in der Regel physische Konstrukte impliziert, wie die Entwicklung von neueren und sparsameren Waschmaschinen, Häusern und Autos, die weniger Energie verbrauchen, Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Holz oder neue Methoden der Trinkwasserversorgung. Dabei bleibt unerwähnt, dass jede Form dieser menschengemachten »Entwicklung« ein Eingriff in die Natur ist, der Ressourcen verbraucht und Abfall erzeugt. Wir können die damit verursachten Schäden inzwischen dank neuen Technologien zwar mindern, aber im besten Falle können technische Entwicklungen Schädliches reduzieren oder in wenigen Fällen Schäden beheben. Das erste Gesetz von Nachhaltigkeit sollte demnach lauten, Schädliches zu unterlassen und im Zweifelsfalle gar nichts zu tun.
Der englische Begriff LOHAS, ebenfalls kaum verbreitet, gehört zu den jüngeren Definitionen der Nachhaltigkeit. LOHAS ist das Akronym für Lifestyles of Health and Sustainability. Es ist der Lebensstil von gesundheitsbewussten Menschen, die realisiert haben, dass Nachhaltigkeit die Grundlage von guter Gesundheit ist und das Wohlbefinden anhebt. Sicher ist diese Erkenntnis richtig, doch ist sie primär eigennützig und für eine Nachhaltigkeit für den ganzen Planeten nicht ausreichend.
Da die Gaia-Formel (basierend auf der gleichnamigen Hypothese) – Mitte der 1960er-Jahre von der Mikrobiologin Lynn Margulis und dem Chemiker, Biophysiker und Mediziner James Lovelock postuliert und erstmals veröffentlicht – für viele vielleicht nicht so geläufig ist, möchte ich sie näher erläutern.3 Namenspatin ist die griechische Erdgöttin Gaia, eine Muttergottheit, die alles Lebende hegt und pflegt. Ihr werden mystische Fähigkeiten zugeschrieben, da sie aus dem frühen Chaos auf der Erde Ordnung geschaffen hat. Die Gaia-Hypothese beruht auf der Annahme, dass durch Selbstorganisation und enges Zusammenwirken von Lebewesen mit der Atmosphäre, dem Wasser und der Erde Vorgänge entstehen, die weder rein geologischer noch chemischer, noch biochemischer Natur sind. Margulis und Lovelock nannten sie »geophysiologische« Prozesse, denn sie sind sowohl von den klimatischen und lebenserhaltenden Bedingungen als auch von den Lebewesen selbst abhängig. Von Letzteren wurde unsere Atmosphäre maßgeblich mitgestaltet. Der Planet Erde wird als eine Art Lebensform verstanden – als sei er ein Organismus. Was sich fast banal anhört, hat jedoch revolutionäre Konsequenzen: Alles ist mit allem verbunden, jeder Teil ist von jedem anderen abhängig. Die Erde besteht somit nicht nur aus Einzelteilen, sondern sie ist ein Ganzes. Wir sind eine Welt. Wenn wir diese Weisheit wirklich verstehen würden, gäbe es weder Umweltzerstörung noch Diskriminierung und auch keine Kriege. Die Tragödie ist jedoch, dass diese Aussage im Grunde altes Menschheitswissen ist, das wir über Jahrhunderte ignoriert haben. Es stammt aus der östlichen Weisheitslehre, dem Taoismus und dem Buddhismus (»Pratitya Samudpada«). Margulis und Lovelock sowie weitere Forscher legten erstmals wissenschaftliche Belege dieser mystischen Erkenntnis vor.
Spannende Reise in die Welt der Nachhaltigkeit
1992 besuchte meine Frau einen berufsbegleitenden 12-monatigen Kurs des WWF über Umweltberatung.4 Sie brachte viel grundsätzliches, aber auch pragmatisches Wissen mit; kombiniert mit meiner Erfahrung in der Wirtschaft und meinen Kenntnissen von physikalischen Grundlagen führten wir angeregte Gespräche und ließen diese Themen in unseren Diskussionsgruppen einfließen, und wir setzten unsere Kenntnisse sukzessive in unserem eigenen Haushalt um. Mit meiner Hilfe richtete meine Frau einen Küchenabfallkompost ein, der uns bis heute zweimal jährlich mit hochwertigem Humus versorgt. Sie richtete ihr Augenmerk zudem auf den Inhalt von Reinigungsmitteln und kaufte vermehrt Bioprodukte ein. Inspiriert von ihren Erfahrungen begann auch ich mit der systematischen Umsetzung dieser Prinzipien in der Geschäftswelt.
Eines Tages stand vor dem Hauptgebäude unseres Unternehmens ein Fahrzeug einer Firma, die unsere Toiletten bakterienfrei halten sollte. Dieser Service kostete uns CHF 50 000 pro Jahr. Ich fragte meine Frau, ob denn das wirklich notwendig sei und ob diese Produkte biologisch abbaubar waren. Ihre Recherche überzeugte mich, dass diese Reinigung die Hygiene kaum verbesserte und die bakteriell aktiven Stoffe in dem Produkt erst nach mehreren Monaten abgebaut wurden. Der Gebäudeverantwortliche sträubte sich jedoch gegen die Kündigung dieses Unterhaltsservice mit dem Argument, dass dann der unangenehme Toilettengeruch die Benutzer verärgern würden. Er war aber mit meinem Vorschlag einverstanden, in einem Testlauf auf der Direktionsetage diese Desinfektions- und Duftmittel abzuschaffen. Keinerlei Beschwerden trafen ein, und wir konnten den Service ohne Bedenken kündigen. Stattdessen wiesen wir die internen Reinigungskräfte an, die Toilettenbrille, den Reinigungsbesen, die Spülarmatur, die Wasserhähne und die Türfallen jedes Mal besonders sorgfältig mit einem milden biologisch abbaubarem Mittel zu reinigen.
Mit Dutzenden kleineren und größeren Maßnahmen gestalteten wir unser Leben sukzessive ökologischer. Zugleich setzten wir unsere Reise in das faszinierende Neuland von Nachhaltigkeit auch auf theoretischer Ebene fort.
Allgemeine Prinzipien der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit soll verhindern, dass die systematische Zerstörung unserer Lebensgrundlage durch uns Menschen ungehindert fortschreitet. Nachhaltiges Verhalten basiert, gemäß dem Kurs meiner Frau, auf folgenden Prinzipien:
Das lebensspendende Ökosystem soll nicht zerstört werden.
Es gibt keinen Abfall, denn alles geht irgendwo hin. Alle Stoffkreisläufe müssen geschlossen werden, das heißt, am Ende des Lebenszyklus eines Produktes oder eines Prozesses müssen die Stoffe wiederverwendet werden können.
Wenn wir die Risiken unseres Tuns nicht abschätzen können, sollten wir dieses unterlassen (das Vorsorgeprinzip).
Die Konsequenzen eines Verstoßes gegen diese Regeln können das Überleben von uns Menschen als Spezies bedrohen. Unser maßloser Verbrauch von Pestiziden, der Verlust von Humus durch industrielle Landwirtschaft, Ausstoß von CO2, aber auch Diskriminierung, Machtansprüche und Geldgier gefährden unsere Zukunft. Wir müssen mit schwierigen und lebensfeindlichen Umständen wie Hungersnöten, Krankheiten und Kriegen um knappe Ressourcen rechnen. Unsere Vernunft spricht folglich für nachhaltiges Handeln, da dieser Weg längerfristig bessere Lebensqualität verspricht. Die Frage stellt sich jedoch: Weshalb leben wir nicht nach den Nachhaltigkeitsprinzipien und wie können wir die Menschen dazu bringen, diesen Pfad einzuschlagen? In solchen Fragen ist es immer nützlich, zuerst sein eigenes Verhalten kritisch zu betrachten. Wie führe ich einen nachhaltigen Haushalt, eine Firma und wie vernetzte ich mich mit anderen Gleichgesinnten? Wie bringe ich meine Haltung in das politische System ein? [Abb. 2]
1980 gründeten einige Freunde und ich in unserem damaligen Wohnort Meilen bei Zürich eine Energiekommission, um der Gemeinde und den Bürgern Entscheidungsgrundlagen für gebäudetechnische Verbesserungen zu bieten. Wir empfahlen verbesserte Isolation der Gebäudehülle, effizientere Heizsysteme, richtiges Lüften der Wohnungen. In jenen Jahren waren diese Vorschläge für viele noch neu und die damit erreichbaren Ersparnisse beträchtlich. In unserem Wohnhaus konnten wir mit bescheidenen Kosten den Ölverbrauch um 30% senken. Heute gibt es im Bauamt Meilen eine Energieberatungsstelle.
Etwa zur gleichen Zeit wurde ich vom Amt für Konjunkturfragen in die Kommission für Innovation, später bekannt als die Kommission für Technologie und Innovation, die KTI, gewählt. Durch meinen Interessenschwerpunkt in Energiefragen wurde ich 1997–2003 zum Präsident der Commission fédérale pour la recherche énergétique (CORE) berufen. In verschiedenen professionellen Verbänden hatte ich zudem genügend Gelegenheit, meine Nachhaltigkeitsanliegen einzubringen. Als Mitglied der Geschäftsleitung von Mettler und später als Geschäftsleiter und Mitinhaber der Firma Gretag Imaging war mein Einfluss, aber auch meine Verantwortung noch größer. Allmählich reifte mein Verständnis für die Möglichkeiten von konkreten Maßnahmen zu strategischen Zielen, die ich schließlich auch in unserer Firma umsetzen konnte.
1993 führte ich in unserem Unternehmen Nachhaltigkeitsprozesse ein.5 Gretag Imaging war damals ein führender Hersteller von Geräten und Systemen für fotografische Bildverarbeitung. Unsere sogenannten Minilabors für den Einstunden-Fotoservice waren eines der erfolgreichsten Produkte auf dem Markt. Eines der Hauptmotive für dieses Programm war, die Firmenabläufe effizienter zu gestalten, da der Ertrag der Firma ungenügend war. Zwischen 1993 und 1997 führte die Firma das sogenannte Prozess-Management ein, dessen Ziele in Abb. 7 aufgeführt sind. Die Umsetzung dieser Ziele basierte auf dem Qualitätssystem ISO 9001, in dem alle wichtigen Geschäftsprozesse dokumentiert werden mussten. Zudem war ich davon überzeugt, dass Gewinnziele allein für eine zukunftsträchtige Firma ungenügend seien, und fügte zusätzliche Nachhaltigkeitsziele ein. Insgesamt definierten wir etwa 30 Subprozesse, die in acht Hauptprozesse zusammengefasst wurden:
1 Produktion und Logistik
2 Marketing und Produkteentwicklung
3 Kundendienst
4 Finanz und Controlling
5 Personal
6 Verkauf
7 Gebäudemanagement
8 IT und Kommunikation
Die Managementprozesse sind mit Team-Verantwortlichen entwickelt und betreut worden [→ Anhang 3].
Hier möchte ich drei Beispiele dieser Subprozesse erwähnen, die eher unerwartete Auswirkungen hatten. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen kam aus der Speditionsabteilung. Mit ihren sechs Mitarbeitern lautete ihre primäre Aufgabe, den Kunden die fertig fabrizierten Geräte vollständig, termingerecht, effizient und umweltgerecht zu liefern. Eine der Anforderungen hieß, Energie einzusparen. Die Mitarbeiter schlugen vor, wenn möglich Überseelieferungen per Schiff und europäische per Bahn auszuführen. Zusätzlich unterhielt die Abteilung drei Fahrzeuge, um täglich in alle Ecken der Schweiz dringende Ersatzteile zu liefern oder verspätete Produktionsteile von Lieferanten abzuholen. Einer der Mitarbeiter schlug deshalb vor, diese teuren und zeitraubenden Fahrten zu reduzieren, denn es würde genügen, einmal pro Woche in eine geografische Region zu fahren, wenn es gelänge, zusammen mit dem Einkauf, die Liefertreue der Lieferanten zu verbessern. Diese Vorschläge wurden umgesetzt, sie sparten 75% aller Fahrten und zwei Fahrer ein. Glücklicherweise wuchs die Firma in dieser Periode so stark, dass wir viele der »eingesparten« Mitarbeiter anderswo einsetzen konnten, anstatt sie entlassen zu müssen. Zudem boten wir den älteren Mitarbeitern eine attraktive Frühpensionierung an, die häufig angenommen wurde. Diese Maßnahmen resultierten in einer Halbierung des Energieverbrauchs dieser Abteilung und eine Reduktion des Personals um 30%, was etwa 40% der Kosten einsparte. Eine typische Win-win-Situation, wie sie in solchen Prozessen häufig anzutreffen ist.
Ein weiteres positives Resultat erzielte der Gebäudemanager. Er unterbreitete den Vorschlag, die veraltete Beleuchtung in der Produktion durch neue, zu 30% effizientere Leuchten zu ersetzen. Der Kostenvoranschlag war mit CHF 35 000 eher bescheiden, doch die Finanzabteilung kalkulierte, dass die Investition durch die Stromersparnisse erst nach fünf Jahren amortisiert werden konnte. Da unsere geforderte Amortisationszeit für Investitionen unter drei Jahren liegen musste, wurde der Antrag von der Finanzabteilung abgelehnt. Mein oberstes Ziel war jedoch, die Mitarbeiter für unser Programm zu motivieren, und ich suchte nach Argumenten, diesen Antrag zu retten. Da Gebäude typischerweise eine viel längere Amortisation aufweisen und die Beleuchtung schon 25 Jahre alt war, schlug ich vor, die Leuchten trotzdem zu installieren. Dank meiner Position als Direktionspräsident konnte ich mich durchsetzen, und die neue Beleuchtung wurde installiert. Kaum war diese in Betrieb, baten mich zwei geschätzte Mitarbeiter aus der Produktion um ein Gespräch. Normalerweise endeten diese Anliegen in Beschwerden oder persönlichen Wünschen. Doch wurde ich positiv überrascht, weil sie mir zu meiner Aktion gratulierten: »Endlich hat das Management realisiert, dass wir gutes Licht für unsere Präzisionsarbeit benötigen und dass die Leuchten dort platziert sein müssen, wo wir diese Arbeit verrichten.« Diese zusätzliche Motivation der Mitarbeiter wäre mit Geld kaum möglich gewesen, zumal die Qualität unserer Produkte anstieg. Die daraus folgenden Ersparnisse waren weit mehr als CHF 35 000 wert.
Auch das dritte Beispiel hat mit Energiesparen zu tun. Der Gebäudemanager hatte zusätzlich den Auftrag, Heizöl und Strom zu sparen. Mit Stolz präsentierte er die erfreuliche Nachricht, dass er den Heizölverbrauch um 30% reduziert hätte. Ich konnte mir dieses Resultat nicht erklären und bat ihn, mir seine Grafik zu erläutern. Dabei bemerkte ich, dass er das Diagramm in der vertikalen Achse, die den Verbrauch von Öl aufzeigte, durch den Umsatz der Firma dividierte und statt des totalen Verbrauchs den pro Umsatzfranken eingetragen hatte. Da der Mehrumsatz jedoch in dem bestehenden Gebäude entstand, machte eine solche Betrachtung keinen Sinn. In absoluten Zahlen hatte er also nichts eingespart. Nun, wenn man seine Mitarbeiter zu kreativem Denken und Handeln motiviert, muss man damit rechnen, dass es einige Übereifrige gibt, die über das Ziel hinausschießen.
Gesamthaft war das Programm jedoch sowohl ein wirtschaftlicher als auch ein ökologischer Erfolg. Insgesamt verdoppelten wir in diesen vier Jahren den Umsatz ohne merklichen Anstieg der Anzahl der Mitarbeiter. Wichtiger waren jedoch die Innovationen, die der Nachhaltigkeitsgedanke auslöste. Unsere Produkte wurden neben anderen Vorteilen diejenigen mit dem geringsten Ressourcenverbrauch an Wasser, Strom und Chemikalien. Diese Erfahrung bestätigte, dass Mitarbeiter in den Führungsprozess einbezogen werden müssen und dass Nachhaltigkeitsprozesse fast immer auch einen positiven finanziellen Nutzen haben. Wichtiger jedoch war die Tatsache, dass viele Mitarbeiter mit Stolz und Eifer an diesen Prozessen teilnahmen und sich stärker mit der Firma und ihren Zielen identifizierten.
Aus dieser Erfahrung stellten wir uns die hier aufgeführten Fragen in der folgenden Reihenfolge:
1 Kann ein Prozess oder ein Produkt eliminiert werden?
2 Kann ein Prozess durch einen besseren ersetzt werden?
3 Können schädliche Nebenwirkungen reduziert oder eliminiert werden?
4 Kann der erzeugte Abfall rezykliert werden?
5 Kann der nicht rezyklierbare Abfall sicher entsorgt werden?
Doch weshalb sollten wir überhaupt solche Nachhaltigkeitsmaßnahmen ergreifen? Wie im Vorwort angesprochen, gibt es mindestens zwei Gründe, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen. Erstens sind diese Maßnahmen unentbehrlich, wenn die Menschheit überleben soll. Endliche Ressourcen, kontinuierliches Wachstum der Bevölkerung, die Belastung der Ökosphäre mit Giften und Abfall sowie das Ausstoßen von Treibhausgasen in die Atmosphäre werden unseren Wohlstand und unsere Überlebenschancen kontinuierlich mindern.
Ein weiterer Grund ist, dass die meisten von uns wissen, was uns längerfristig durch unser unverantwortliches Verhalten bevorsteht. Diese Tatsache zu verdrängen trübt unsere Lebensfreude, sie hängt wie ein Damoklesschwert über uns. Auch wenn es uns noch gut geht, wissen wir, dass wir den zukünftigen Generationen ihre Zukunft stehlen. Der Ausweg ist, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen und das Bestmögliche für eine Genesung unseres Planeten zu tun.
Gedanken und Einsichten
Wir können wesentlich zur Verbreitung von nachhaltigem Verhalten beitragen, wenn wir konsequent und unmissverständlich kommunizieren, von welcher Nachhaltigkeit wir sprechen, denn das Denken ist die Grundlage des Handelns. Auch der Umkehrschluss stimmt: Inkonsequentes Handeln deckt unklares Denken auf.
Was klar ist: Es gibt keine eindeutige Definition des Wortes Nachhaltigkeit. Die gängigen »Definitionen« beschränken sich auf anzustrebende Ziele oder Zustände. Das beste Beispiel für Nachhaltigkeit, das diesen Namen verdient, ist die Evolutionsgeschichte. Evolution hat insgesamt immer wieder Leben begünstigt, erhalten und weiterentwickelt.
Ein für mich passender und selbst erklärender Begriff wäre »Bio-Nachhaltigkeit«, was langfristiger Erhalt und Weiterentwicklung von Leben bedeutet. Obwohl es keine exakte Beschreibung von Leben gibt, wissen wir sehr wohl, was getan werden muss. Auch ohne genaue Definitionen besteht kein Zweifel, dass unsere langfristigen Überlebenschancen dann am besten sind, wenn wir die natürlichen Prozesse möglichst wenig stören. Dort, wo wir zu viel Schaden angerichtet haben, müssen wir restaurieren und reparieren. Da wir die Zukunft nur beschränkt voraussehen können, bleibt uns nichts anderes übrig, als aus der momentanen Sicht das Beste zu machen. Bei begründeten Zweifeln ist es ratsam, besser nicht in die Natur einzugreifen, um große Risiken zu vermeiden. Dieses Verhalten ist bekannt als Vorsorgeprinzip, einem der Grundpfeiler der Ökologie. Glücklicherweise gibt es unendlich viele offensichtlich positive Aktivitäten, von denen wir wissen, dass sie hilfreich sind.
Bis jetzt sind unsere Fortschritte in puncto Nachhaltigkeit nicht überzeugend. Kaum ein ernsthafter Klimawissenschaftler glaubt zum Beispiel daran, dass wir das Klimaziel eines Temperaturanstiegs von unter zwei Grad auf unserem Planeten einhalten können.
In diesem Zusammenhang fragte mich der Ko-Autor des Buches »Grenzen des Wachstums«, Dennis Meadows: »Glaubst du, dass wir das Klimaziel von zwei Grad schaffen werden?« – »Nein«, antwortete ich. Er ließ nicht locker: »Weshalb setzt du dich dann für Nachhaltigkeit ein?« Nichts zu tun bedeutet für mich persönlich zu kapitulieren und ein Leben ohne Hoffnung würde für mich zur Last – trost- und freudlos. Nach einer Pause des Nachdenkens erwiderte ich: »Ich bin mir ja nicht so sicher, dass ich recht habe, doch im schlimmsten Fall kann ich die negativen Auswirkungen etwas mildern. Und was meinst du?«, fragte ich zurück, woraufhin Dennis antwortete: »Es geht mir genauso. Obwohl die Prognose düster ist, wissen wir nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Auch ich setze mich voll für diese Ziele ein.«