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Juhari
Die weiße Massai
Ein gesellschaftskritischer Reiseroman
von HANSSACHS
Juhari
Die weiße Massai
Ein gesellschaftskritischer Reiseroman
Buchbeschreibung:
Juhari ist die Fortsetzung von DIE VILLA.
Arnold und Judith, seine Frau, machen einen getrennten Urlaub in Afrika. Arnold in den Arabischen Emiraten, Judith in Tansania und Kenia. Während Arnold auf Wüstenreisen in Todesgefahr gerät und letztlich in der Liwa-Oase eine junge Araberin zur Frau erhält, wird Judith auf ihrer Safari vom Reisegefährten Erwin und einem schwarzen Guide aus dem Tanganjikasee gerettet, ehe sie zu den Massai in Kenia weiterziehen. Dort verliebt sich Judith in die Kultur des Stammes und Hakim, den Schamanen. Hier kommt ihr die Intuition, die jungen Mädchen Kenias von dem Ritual der Beschneidung zu befreien. Sie entschließt sich, in Kenia zu bleiben, und heiratet den Schamanen, um dann auf erlebnisreichen und gefährlichen Rundreisen zu den 29 verschiedenen Stämmen Kenias ihre Vision von der Nichtverstümmelung der Frau und der so wichtigen Geburtenkontrolle zu verbreiten. Dabei geht sie mit den Thesen der katholischen Kirche wie der Vorstellung der Muslime keinesfalls immer konform. Gott ENGAI der Massai bestimmt das Leben der Naturmenschen.
Über den Autor:
Ein Handwerksmeister im Ruhestand schreibt bereits seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Gedichte, gelegentlich auch mundartlich. Das Schreiben ist sein Hobby, genau wie Fotografieren und die Erstellung von Skulpturen aus Holz und Speckstein. Als ihm mehr Zeit gegeben war, schrieb er seinen ersten Roman, vom Krieg und vom Frieden. Nach zwei weiteren Büchern wurde der vorliegende Roman veröffentlicht. Weil Reisen eine weitere Leidenschaft sind, schreibt er gerne über Land und Leute und verwebt damit seine Protagonisten. Alle Bücher erscheinen unter dem Pseudonym HANSSACHS.
*
Das werden Sie lesen:
Juhari,
die weiße Massai
Ein gesellschaftskritischer Reiseroman
6 Wüstensturm
27 Die dritte Frau
83 Juhari auf Mission
162 Stammesbesuche
208 Wasserfrevel
235 Gerichtstage in der Wüste
385 Auf der Flucht
Wüstensturm
Der erschöpfend heiße Tag in der Rub al-Chali-Wüste, nahe an der Grenze zu den arabischen Emiraten, näherte sich dem Abend. Arnold und sein Freund Botho v. Amelung sind wieder auf dem Weg nach Nafir. Die kleinen, auf den Wanderdünen erscheinenden Sandwirbel hatten für sie keine weitere Bedeutung.
Beide Reisenden haben nur geringe Wüstenerfahrung. Die von Einheimischen so gefürchteten Anzeichen beachteten sie daher nicht. Doch nur deshalb, weil Arnold seiner Wüstenblume Mira eine angenehme Nacht über`s Handy gewünscht hatte, wurden die Freunde vor dem bevorstehenden Inferno gewarnt. Sie sind auf einem erneuten Wüstentrip in den Oasenort Nafir, wo Arnold Mira kennenlernte.
Der Mameluck, Ortsvorsteher eines dieser 39 Orte der Liwa-Oase, hatte durch den eigenartigen, nur von Wüstenkennern erkennbaren Geruch, der in der Abendluft lag, die Gefahr erahnt und die Bewohner gewarnt. Und nur deshalb, weil der Deutsche seiner Liebsten einen Nachtgruß übermittelte, bekam Arnold Kenntnis von der bevorstehenden Gefahr. Ein liebevolles Gespräch, ein kurzer Gruß manchmal nur, vermag vor unbekannten Bedrohungen oder Schlimmerem zu bewahren.
*
Arnold ist ein vermögender Villenbesitzer. In Deutschland besitzt er ein umfangreiches Anwesen, sogar mit eigenem Golfplatz. Von Scheich Badshah Abu Salamah wurde er mit Botho, seinem langjährigen Freund, im Palast des Emirs nobel empfangen. Ohne ihre Frauen beabsichtigten beide einen Urlaub in den Golfstaaten zu verbringen.
Vor weniger als fünfzig Jahren war das Sultanat Dubai ein armes Fischer-und Perlentaucherdorf. Jetzt ist es eine auf goldenen Sanden erbaute Stadt. Am Dubai-Creek stehen, von den exorbitanten Öleinnahmen finanziert, zahlreiche feudale Villen und Hotels. Gäste aus aller Herren Ländern nehmen hier Quartier, geben Unmengen an Geld aus und lernen auf längeren oder kürzeren Trips die vor der Haustür liegende Wüste kennen. Beduinen, in vergangenen Zeiten durch Raubzüge gefürchtet, verdienen sich heute als Fremdenführer ihren Lebensunterhalt. Sie stehen sich erheblich besser dabei.
Botho hat eine der Töchter des arabischen Fürsten während eines vorherigen Besuches auf Drängen des Palastherrn geschwängert. Der Scheigh hat sich in den Kopf gesetzt, mit europäischem Blut eine aus dem Rahmen fallende Linie im Emirat zu begründen. Es kam ihm der spleenige Einfall, den Deutschen mit einer seiner zahlreichen Töchter zu verbandeln. Das hatte entsprechende Folgen.
Arnold wurde als honoriger Gast mit allem Komfort eines öl- und steinreichen Scheichs verwöhnt. Hier lernte er die Wohltaten verschiedener Haremsdamen kennen, die ihm auf Anordnung des Emirs orientalische Freuden zu bereiten hatten.
Nach einigen Traumtagen im luxuriösen Anwesen ihres Gönners chauffierte dann eine feudale Gesellschaft zur Liwa-Oase. Die liegt am Rande der größten Wüste der Erde, der Rub Al-Chali. Dort besitzt Scheigh Badshah ein weiteres Luxusrefugium mit Harem. Der etwas Spleenige, aber auf strikte Befolgung ergangener Anordnungen bedachte Herrscher ist in gleicher Person Richter und Imam über seine Untergebenen. In hochglanzpolierten Edelkarossen werden der Scheich und dessen Gäste von trotz der Hitze in edler Livree steckenden Fahrern kutschiert.
Vier Hauptfrauen und viele Kinder, die er gar nicht alle mit Namen zu nennen vermag, zeugen von unermesslichem Reichtum, aber ebenso geheimnisvoller Potenz. Liegt es an der südlichen, nur gelegentlich von Wolken getrübten Hemisphäre, oder eher am genießerischen, durch scharfe Speisen gewürztem Lebensstil: Seine weitverzweigte Familie wächst und wächst ......
Von Alyhaly aus, nicht weit vom Oasengürtel der Liwa entfernt, werden die ersten Kurzausflüge in die Randgebiete der unendlichen Wüste unternommen. Zunächst nur zum Hineinschnuppern in die unheimliche, riesige, am Tage glühend heiße, in den Nächten nahe am Gefrierpunkt liegende Sandkiste.
Es birgt nicht unbeträchtliche Gefahren, als Unwissende und Neulinge diese Gebiete zu bereisen. Vergleichbar mit Urlaubsreisenden in Deutschland, wenn die eine Wattwanderung bei Ebbe oder als Ungeübte eine Bergtour unternehmen. Wer sich nicht auskennt, würde gut beraten sein, nicht ohne ortskundige Führung eine derartige Wanderung durchzuführen. Überraschend schnell kommt nämlich das Wasser in den Prielen zurück und schneidet Wattwanderern den Rückweg ab, oder in den Alpen bauen sich unvermittelt elementare Gewitter mit Kälteeinbrüchen auf.
Dass Reisende in einer Wüste ertrinken, ist äußerst unwahrscheinlich. Doch Sandstürme, womöglich gar Zyklone kommen manchmal unerwartet und für Unkundige ohne erkennbare Vorwarnung.
Auf einer längeren Wüstentour gelangte Arnold dann mit einem Beduinen als Begleiter in das kleine Oasendorf Nafir. Es ist eines von 39 Dörfern in der langgezogenen Oase. Dort lernte er das Arabermädchen Mira kennen.
Miras schwarze, verhalten glühende Augen ließen den Fremden, der sie unauffällig beobachtet hatte, in der Nacht kaum schlafen. Ihr Blick war schlafraubender als der Erdtrabant in Vollmondnächten. Jugendliche 14 Jahre wirkten auf Arnold wie Opium, anregend und zerstörerisch zugleich. Dieses Mädchen hatte es dem europäischen Oasenbesucher auf Anhieb angetan.
Mira, so ihr arabischer Name, war schon im Alter von 8 Jahren dem Scheigh als zukünftige, weitere Haremsfrau empfohlen worden, der aber kein weitergehendes Interesse an dem blutjungen Mädchen zeigte. Die Kleine war dem Herrscher offenbar nicht standesgemäß genug.
Der ergraute Mameluck, Ortsvorsteher des Wüstendorfes, hatte rasch erkannt, dass der betuchte Europäer einen passenden Ehemann für dieses Mädchen abgeben könne. Eine Heirat würde dem Wüstenort ersparen, das Waisenmädchen versorgen oder als allen Männern zur Verfügung stehende Schlikka dulden zu müssen. Ein derartiges Schicksal trifft in der Regel Witwen, die nicht erneut heiraten, sowie Mädchen, für die sich kein Heiratskandidat finden lässt. Von einer prominenten Person wie dem Scheigh abgewiesen worden zu sein ist darüber hinaus ein beklemmender Makel.
Weit verbreitet im Orient ist, dass Töchter lange vor ihrer ersten Periode zwischen den Familien ausgehandelt und vergeben werden. Mitspracherechte besitzen Nachkömmlinge keine. Sie haben den Beschluss der Älteren zu befolgen. Es gründet ausschließlich auf dem Status der Sippen. Und um allerlei Geld.
Der Ältestenrat des Dorfes beschloss über diese mädchenhafte Araberin. Sie hat den zu heiraten, der für sie auserwählt wird, und ebenso Arnold wurde nicht lange gefragt. Wenn es sich um die Ehre oder das Geld der Siedlung handelt, akzeptiert man sogar einen in den Augen von Moslems Ungläubigen, einen Giaur. Mit dem Schimpfwort der Beduinen werden Christen belegt.
Mit Jahren bewegt sich Arnold im besten Mannesalter, nach arabischer Lesart ist er dahingegen uralt, denn die durchschnittliche Lebenserwartung orientalischer Männer liegt bei nur etwa sechzig Jahren. Befürchtete Mira, dass sie schon bald eine Witwe sein könne?
Doch Arnold sei vermögend, wie sein Begleiter dem Mameluck hinter vorgehaltener Hand steckte. Das war ausschlaggebend für den Ältestenrat, und dann setzt man sich selbst über krasse Glaubengegensätze hinweg.
Mira dagegen war keinesfalls erbaut, als sie davon hörte, mit diesem alten Kerl verheiratet zu werden, doch sie hatte sich zu fügen. Als einzigem Ausweg aus ihrer Abneigung würde bleiben, den ungeliebten Freier und sich selbst in der Hochzeitsnacht vom Leben zum Tod zu bringen. Den Europäer hatte man regelrecht überrumpelt mit dieser Verbindung. Dessen ungeachtet, für den Deutschen bedeutete es eine hohe Wertschätzung, mit einem so blutjungen Mädchen zusammengebracht zu werden. In Deutschland hatte er gelegentlich ähnliche Vorstellungen, auf seinen Partys halbwüchsige Dinger zu begehren, und mit Judith hätte Arnold keinen Hemmschuh besessen. Mit Sicherheit aber die deutsche Justiz würde ihm Probleme bereiten. Hier in Nafir war es Arnold zugegeben auch nicht ganz geheuer. Ist man nur auf sein Geld aus, um dann irgendwann zum Fraß der Geier zu avancieren?
»Shidi, es bedeutet eine große Ehre für dich, als Christ dieses Mädchen heiraten zu dürfen. Weise die Gunst nicht zurück. Die Bewohner der Oasen würden sonst zu deinen Blutsfeinden werden«, beriet ihn sein Begleiter.
»Ich bin aber eine halbe Ewigkeit verheiratet und habe vier nahezu erwachsene Kinder. Weshalb denn ausgerechnet ich als ein zufälliger Besucher dieser Oase. Oder war der Coup womöglich lange schon geplant?«
»Davon ist mir nichts bekannt,« meinte der Beduine verschmitzt lächelnd im besten Englisch.
Entgegen üblicher Sitte wurde die Hochzeit in kürzester Zeit arrangiert. Man befürchtete, sonst den fetten Fisch an der Angel zu verlieren, denn im Allgemeinen werden orientalische Vermählungen mit nicht unter 500 Hochzeitsgästen gefeiert. Diese Gästezahl ist so schnell aber nicht aufzutreiben.
die Zahl der Geladenen geringer, gilt das Fest als Arme-Leute-Hochzeit, und um nicht in einen solchen Ruf zu geraten, verschulden sich orientalische Familien oft über Jahre. In diesem Fall dagegen nicht; Arnold ist millionenschwer. Doch die Oasenbewohner hegten die Befürchtung, bei weniger Eile einen Edelstein solcher Güte sonst im Sand der Wüste zu verlieren.
*
An diese nicht lange zurückliegende Hochzeitsfeier erinnert sich Arnold, als er, diesmal mit Botho, erneut auf dem Weg zu seiner mädchenhaften Ehefrau ist. Als sie die bedrohende Kunde erhielten, waren sie eben dabei, ihr Nachtlager herzurichten.
Es ist eine abermalige Attacke, der Arnold in der arabischen Wüste ausgeliefert ist. Diesmal ist es der heraufziehende Sandsturm. Vor zwei Wochen erlitt er Todesängste, als er bei seinem zweiten Besuch Nafirs auf dem Rückweg nach Alyhaly im Schlaf von einem Skorpion gestochen worden ist. Nur durch die Hilfe des Schamanen Hakim in Kenia, mithilfe eines Handys, gelang es, ihn zu retten. Judith lernte den Medizinmann auf ihrer Safari kennen.
Wer an Geister glaubt, wird überzeugt sein, dass ebendiese Wesen danach trachten, Arnold nicht in die Rub Al-Chali- Wüste eindringen zu lassen. Dazu außerdem mit einer Wüstenblume verheiratet zu sein. Die größte Sandkiste der Erde soll nach dem Geisterglauben vor Verunreinigung durch Andersgläubige geschützt bleiben. Auf diesem erneuten Ritt zu den Liwa-Oasen wurden Arnold und Botho vor der neuen Gefahr auf unerklärliche Weise gewarnt. Zu vermuten ist daher, dass ebenso Gegengeister existieren.
Mira sitzt in ihrem Dorf relativ gesichert, denn die Bewohner vermögen sich in ihre Hütten zurückzuziehen, wenn es unheimlich wird. Der feine Wüstensand würde zwar durch alle Ritzen dringen, und nicht ausgeschlossen ist ebenfalls, dass Ländereien und Obstplantagen des Dorfes verwüstet werden. Für die Reisenden, die auf ihren Kamelen zu Besuch kommen und auf halben Weg in der Wüste übernachten müssen, kann es jedoch weitaus gefährlicher sein. Manch ein Beduine ist in der Vergangenheit unter haushohen Sandwehen verschüttet worden. Dann war es eben das Kismet, Allahs Uhr, die für ihn abgelaufen war, wie der Moslem glaubt. Es stand im Buch des Lebens so verzeichnet.
Die Warnung vor dem Sturm erreichten Arnold und Botho also gerade noch rechtzeitig. Erst am frühen nächsten Vormittag ist mit dem Inferno zu rechnen. So haben die Reisenden ausreichend Zeit, sich auf das Unheil vorzubereiten.
Aber was vermögen sie schon massiv zu unternehmen; Felsen, hinter denen man sich zu verkriechen verstände, gibt es hier keine. Sie kampieren in einem Dünental, und das Zelt, welches nur gegen die Kälte der Nacht gedacht ist, wird sie vor dem Sturm nicht schützen können. Da ist es dringend geraten, sich an den Rat zu halten, den man ihnen aus Nafir erteilt hat: Eine Erdhöhle ausheben sowie entgegen der Windrichtung einen Wall aufschütten, der die Luftwirbel brechen und den mitgeführten Sand über die Kauernden hinwegleiten mag. Mit bloßen Händen, denn Schaufeln haben sie keine dabei. Das ist eine mühevolle Arbeit, und ob es sie vor dem Untergang schützen wird, ist keinesfalls gesichert.
Das Zelt lässt sich ebenso als eine Plane verwenden, wenn die Reißverschlüsse getrennt werden. Mit leider nicht ausreichend vorhandenen Zeltpflöcken, welche den Bedrohten zur Verfügung stehen, wird das Leinentuch oberhalb der Aushebung befestigt. So hofft man, dass die befürchteten Sandmassen über sie hinweggeleitet werden.
Sobald der Sturm losbricht, haben sich die Freunde unter dieses Provisorium zurückzuziehen. Als zusätzlichen Schutz, vor dem aufgetürmten Erdwall, pflocken die Bedrohten ihre Kamele an. Die verstehen mit derartigen Katastrophen noch am ehesten zurande zu kommen. Ohren wie Nasen vermögen die Tiere durch dichte Behaarung und spezielle Hautfalten vor dem Eindringen von Sand verschließen, und die Augen sind durch dem Wüstenklima angepasste Lider geschützt. Sie wissen instinktiv, wie sie sich dem Sturm entgegenzulegen haben. Ob die getroffenen Maßnahmen sie vor dem Untergang bewahren werden?
Logisch, dass an Schlaf in der heutigen Nacht nicht zu denken ist. Die Gedanken und Gespräche Arnolds und Bothos kreisen zwangsläufig nur um die auf sie zukommende Katastrophe.
»Das war wohl eine himmlische Eingebung, dass ich dich gebeten habe, wieder mit mir nach Nafir zu reiten«, presst Arnold zwischen den Zähnen hervor, als der Wind sich zunehmend bemerkbar macht.
»Wird offensichtlich einige scheußliche Stunden geben. Da ist es gut, wenn man nicht allein ist. So, als ich von der Tarantel gestochen wurde. Ehrlich gesagt, da hatte ich Schiss, dachte, würde einfach so abkratzen. Den Stress möchte ich nicht nochmals erleben. Und jetzt steht uns wieder so ein Schicksalsschlag bevor.« Arnold sinniert über die vor Kurzem glücklich überstandene Lebensgefahr.
»Es ist so, als wenn die Geister der Wüste uns Europäer als Eindringlinge ansehen und vertreiben wollen. Weshalb ausgerechnet jetzt dieser Sandsturm? Ist doch nicht die Regel, kommt alle paar Monate nur einmal vor, meist, nachdem im bengalischen Golf der große Regen fällt«, meint Botho.
»Ja, und dann entwickeln sich über dem Indischen Ozean gewaltige Wirbelstürme, Zyklone, saugen enorme Wassermassen in die Höhe und laden sie auf den nächsten Landmassen mit Urgewalt wieder ab. Für manche Gegenden ist das Wasser ein Segen, für andere bringt es Verderben.« „Ist ja ähnlich wie in der Karibik, wo die Inseln ebenso regelmäßig von gewaltigen Wirbelstürmen verwüstet werden.“
Botho hält sich zu geschäftlichen Terminen wiederholt in den Emiraten auf. Deshalb hat er einen gewissen Einblick in die thermischen Gegebenheiten des Landes. Als Pilot kennt er sich ebenfalls mit Wetterkapriolen aus, in der Luft, weniger auf dem Boden, in der Wüste.
»Tja, die Geister. In Kenia glauben die Massai auch daran, wie Judith mir sagte. Ihr Freund, der Hakim, – oder hat sie den bereits geheiratet? – dieser Schamane hat einen tagelangen Marsch unternommen, um seinen Gott Engai zu befragen, wem er die Rinder schenken solle; Die Mitgift, die jeder Heiratswillige den Brauteltern schuldig ist. Ob der Vulkangeist eine zufriedenstellende Antwort gegeben hat? Hab Judith noch nicht wieder gesprochen – oder hatte sie mir das doch schon gesagt?«
»Na ja, Geister, übernatürliche Kräfte – wer`s glaubt, mag glücklich sein. Glaube versetzt bekanntlich manchmal Berge. Ich halte mich mehr an die Tatsachen, und die sehen heute nicht vorwiegend rosig für uns aus. Sobald der Sturm uns überfällt, am Vormittag, wie man sagte, dann gnade uns Gott oder Allah oder Shiwa. Aber das ist auch so ein Gerede. Wenn wir Luft zum Atmen haben, könnten wir ihn überstehen, sonst .....«
Gedanken wie Blei belasten die Freunde, denn sie haben erhebliche Verpflichtungen: Gegenüber ihren jungen arabischen Medusen nebst Nachwuchs, den die Europäer zeugten, wie zu ihren abendländischen Frauen. Ihre Sterne stehen zur Zeit nicht günstig.
Manchmal kurz einnickend, dösen die Freunde dem Morgen entgegen. Sobald die Kamele einen Laut von sich gaben, schrecken die vom Unheil bedrohten wieder auf. Die Angst schleicht sich immer deutlicher in ihre Knochen. Was steht ihnen bevor, wenn die Sonne sich wie jeden Morgen über die Dünenkämme erhebt? Es könnte ihr letzter Tag anbrechen.
*
Juhari, wie die Deutsche Judith in der Mundart der Massai genannt wird, wartet wie ihre beiden >Mitfrauen< nach der durchtanzten Nacht auf ihren zweiten Ehemann.Sie hat die zwei anderen Weiber des Schamanen in ihrer Hütte untergebracht. Im dunklen Hintergrund, unsichtbar, führt sieim Schilde, ihre Geschlechtsgenossinnen miterleben lassen, mit welcher Gefühlsvielfalt eine Hochzeitsnacht erlebt werden kann, wenn ein Weib unverstümmelt ist. Der Massaiische Quickie ist eine Verachtung r Wesen.
Zu einer lasziven Vereinigung gehört eine stimmungsvolle Atmosphäre, und um eine solche zu erzeugen, sammelte Juhari Räuchersalbei und Seifenkraut. Diese Kräuter verströmen, fein zerrieben, ein anregendes Aroma. Mehrere Tranlichter verbreiten ein flackerndes, Fantasien auslösendes Licht in der Hütte, weshalb ängstlichere Typen darin sogar schwebende Geister vermuten könnten.
Die Funzeln erzeugen leider einen derart penetranten Geruch, dass sie für europäische Nasen kaum zu ertragen sind, für massaische Riechnerven demgegenüber erregend wirken. Juhari aber überwindet sich der Sehnsucht wegen, und in der Weise vorbereitet, erwartet sie Hakim. Hochzeitsnacht mit einem Massai fiebert Juhari entgegen wie ein reifes Mädchen der Defloration; bebend und doch erwartungsvoll.
Das selbstbewusste Naturvolk der Massai ist es durch Jahrhunderte alte Bräuche gewohnt, ihre Frauen nach dem Vorbild der Rinder zu zügeln. Hauptsache, der Moran hat seinen Spaß. Juhari mag diese Sitten nicht mittragen. Sie wird daran arbeiten, derartige Gepflogenheiten zu verändern.
Die Weiße versteift sich in den Gedankem, Mädchen des Stammes, dem sie jetzt angehört, oder weit besser, alle Jungfrauen Afrikas davor zu bewahren, nach altem Ritual verstümmelt zu werden. Beschneidungen bergen die große Gefahr, die >Patienten< zu infizieren, sodass sie im verhängnisvollsten Fall an eintretender Sepsis sterben. Manches Mädchen ist dabei unter unermesslichen Schmerzen ums Leben gekommen. Doch nach dem Glauben der Massai hat dann Gott Engai, der auf dem Vulkan Ol Doinyo Lengai wohnt, es so gewollt. Das sollte sich trotz alledem mit zunehmendem Wissensstand ändern, und Juhari will dahinwirken, dass diese frauenverachtende Sitte der Vergangenheit angehört.
Die Enkaji Juharis macht heute einen recht romantischen Eindruck. Flammen züngeln, werfen irritierende Schatten an die Hüttenwand und treiben Tränen in Juharis Augen. Nicht aus Schmerzen, sondern des penetranten Geruches wegen. diffuses Kerzenlicht in der Mitte der Hütte beleuchtet einen kleinen Tisch, auf dem Naschereien ausgebreitet liegen, die Randzone der Enkaji aber ist in Dunkel getaucht. Ihr ekelt vor den nach Kot riechenden Funzeln, für Massaiische Riechorgane ist der Gestank offenbar lusterregend.
Die Hochzeitsnacht mit dem Schamanen soll desgleichen für die unsichtbaren Geschlechtsgenossinnen zu einer Erkenntnis werden. Dafür nimmt Juhari in Kauf, dass ihr nahezu übel wird. Die Duftkräuter mildern etwas den reizenden Qualm der Tranfunzeln.
Bis jetzt hat ihr farbiger Galan den Vorhang zur Hütte nicht angehoben. Traut er sich nicht, eine Weiße zu ihrem Glück zu verhelfen? Vor Wochen, als man Juhari betrunken machte, sind vermutlich mehrere Massai über sie hergefallen. Das hat die Touristin aber, weil abgefüllt, nur schemenhaft wahrgenommen! Am nächsten Morgen bemerkte sie indessen einige Spuren auf sich, die diesen Verdacht in ihr aufkommen ließ. Und jetzt soll ihre offizielle afrikanische Hochzeitsnacht nicht Wirklichkeit werden?
Wochenlang hatte Judith mit ihrem Schild keinen Speer abfangen können. Das kommt dieser Amazone, die in Europa bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu draufgängerischen Aktionen bereitstand, wie eine Entwürdigung vor.
Ihr Hakim wird doch nicht weniger leistungsfähig sein als der Guide Dogo, der sie aus dem Tanganjikasee gerettet hat; dem sie pflichtschuldig ihre Dankbarkeit dafür abgestattet hat. Mit den Mitteln eines Weibes, natürlich. Und diese Instrumente gedachte sie heute von Neuem anzuwenden.
Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Nacht in den nächsten Tag verwandelt. Massai leben in der Nähe des Äquators. Noch hängen Tautropfen an den bereits wieder verdorrten Grashalmen, die für Insekten die einzige Wasserquelle in der Trockenzeit sind. Tagsüber herrscht unbarmherzige Hitze, die nächste Regenzeit wird von Mensch und Tier sehnsüchtig erwartet.
Kleinere Steppenbewohner haben Mühe, ihren Wasserbedarf zu decken; sie verziehen sich zu den heißen Stunden in Gebüsche oder Erdlöcher, während die größeren Lebewesen tagsüber dösen und die letzten Wasserlöcher am Abend aufsuchen. Da treffen sich dann alle, denen dürstet und die Hunger haben. Das Bedürfnis, den Durst zu löschen, ist bedeutender als die Angst, gefressen zu werden.
Abstoßende Aasgeier kreisen in den Lüften und erspähen jeden Kadaver, schleichende Schakale warten ebenfalls darauf, etwas von den Resten abzubekommen, welche die gesättigten Löwen übrig lassen. Da gibt es Kämpfe selbst zwischen den >Gesundheitspolizisten<, denn beim Fressen ist jeder sich der Nächste.
Selten gewordene Nashörner, die keinen Angriff zu fürchten haben, sind in der Abenddämmerung gleichermaßen auf Wassersuche. Schweren Trittes stampfen sie über die Steppe, und Hyänen lassen ihren wie hysterisches Lachen klingenden Ruf auf der Savanne erschallen.
Naturvölker spüren instinktiv, wann sich die Sonne sich wieder über den östlichen Horizont erheben wird. Dazu benötigen sie kein Drehrum am Handgelenk, um zu wissen, welche Zeit es ist.
Juhari`s>Mitfrauen<, die sich in Erwartung des gemeinsamen Ehegatten im dunklen Hintergrund der Hütte aufgehalten haben, gedachten sich soeben in ihre eigenen Enkaji zurückzuziehen, als der aus Ziegenfellen bestehende Vorhang doch von außen angehoben wird. In der Öffnung erkennt Juhari eine Figur. Es ist Hakim, aber er ist nicht alleine. Zwei oder drei weitere Männer, im Übergang zwischen Nacht und Tag nicht so genau erkennbar, begleiten ihn. Traut sich der sonst so selbstbewusste Hakim ohne fremde Hilfe nicht in die Liebeshütte? Juhari empfängt ihn nicht gerade freundlich.
»Hey, woher kommst du jetzt erst? Wo hast du dich denn so lange herumgetrieben?«
»Pole, es tut mir leid. Ich in meinem Enkaji dich gesucht, und weil du nicht darin, denke ich anderswo dich. Weil nirgends gefunden du, ich mit Freunden getrunken. Aherif, ich dich liebe.«
»Ich warte die halbe Nacht auf dich. Mich mir nicht, dir nichts ohne Hingabe lassen, wo heute unsere Hochzeit gefeiert wird, finde ich nicht schön.«
»Bitte, Ayeh, glaube mir.«
»Bi kaa!, bitte komm doch mal näher.«
Auf eigenartig wackeligen Beinen nähert er sich ihr.
»Du bist betrunken. Du hast zu viel von dem gegorenen Rinderblut getrunken. Schick deine Freunde in ihre Enkaji!«
»Die wollen doch mit uns das Hochzeitsfest feiern!«
»Und mich wieder unter sich zwingen? Ich habe dich geheiratet, nicht diese Mitläufer. Ich bin nicht für mehrere Männer, wenn du das verstehst. Und ein schlapper Ehemann kommt nicht auf mein Lager. Ich bin enttäuscht von dir. Hab es mir so schön mit dir vorgestellt heute Nacht. Hau ab, und schlaf deinen Rausch anderswo aus.« Juhari ist äußerst wütend.
Hakim zeigte ein beklommenes Gesicht. So etwas hat ihm bis auf den heutigen Tag nie ein Weib zu sagen gewagt. Hau ab. Aber er merkt, dass er hier heute nicht mehr landen wird. Na, morgen Nacht ist wieder Gelegenheit, wie er im Weggehen hofft.
Juhari ist fest entschlossen, die Hochzeitsnacht mit dem Schamanen ohne dessen Freunde zu genießen. In ihrem europäischen Leben war sie zwar keineswegs abgeneigt, Dates mit mehreren Teilnehmern beizuwohnen. Hier aber vermeidet sie es, als Schlikka zu gelten.
ihm gedachte Juhari ekstatische Gaumenkitzel zu bereiten, während im abgedunkelten Hintergrund die beiden anderen Ehefrauen lautlos verharren würden. Lautlos? Wer vermag schon zu wissen, wie Spanner reagieren, sobald vor ihnen die Post abgeht. Massaifrauen sind auch nur Menschen.
Wie andersartig Liebe machen sein kann, wenn Frau unverstümmelt ist, hofften die Unsichtbaren aus nächster Nähe erleben zu können. Davon hatten sie im bisherigen Leben nicht die Spur eines Vorstellungsvermögens.
Juhari empfindet es recht sonderbar, weshalb Hakim hier mit seinen Kameraden aufkreuzt. Gedachten diese Moran, die massaischen Streiter, sie erneut wie eine Kriegsbeute zu vernaschen? Wie vor zwei Wochen, als das Spring-Tanzfest gefeiert worden war, man Judith betrunken machte und sie dann in der Enkaji vergewaltigte? Doch triebhafte Vorsätze werden heute keine Erfüllung finden, denn der afrikanische Speerträger hat offensichtlich mehr als ihm verträglich ist, getrunken. Selbsterzeugtes Bier, aus Wasser, Honig, Zucker, bestimmten Pflanzenteilen und mit der Frucht des Leberwurstbaums gebraut. Das haut auch einen stämmigen Moran um. Es ist ein traditionelles, machtvoll berauschendes Getränk und wird zu allen unpassenden Gelegenheiten, in erster Linie aber auf Hochzeitsfeiern, getrunken. Übermäßiger Genuss verhindert jedoch jegliches Stehvermögen.
Da bekommt selbst ein kampferprobter massaischer Draufgänger Pudding in die Beine, wie Juhari erfahren musste. Hakim ist nicht in der Lage, seiner weißen Frau das Zukommen zu lassen, was sie in den letzten Wochen so sehr vermisste. Die Erlebnisse am Tanganjikasee liegen bereits wieder sooo lange zurück ...
Heute bietet Hakim einen jämmerlichen Anblick. Juhari kann nur hoffen, dass er morgen, am zweiten Tag des Hochzeitsfestes, in besserer Verfassung ist. Und dabei war sie voller Elan, ihren beiden >Mitfrauen< live zu demonstrieren, wie eine Frau Sex zu empfinden vermag, wenn sie nicht verstümmelt ist.
Mehr denn je ist Juhari jetzt gewillt, die Massai vom Jahrhunderte alten Ritus der Beschneidung abzubringen. Um, im Fall, dass sie in diesem Dorf Erfolg hat, ihre Mission in Afrika weiter zu verfolgen.
Sie ahnt nicht, welche Gefahren es birgt, lange ausgeübte Rituale der Naturvölker durchbrechen zu wollen. Denn Götter üben eine unheimliche Macht aus.
*
Beide Wüstenfüchse haben die Nacht mehr wachend als im Schlaf liegend verbracht. Selbst wenn sie zwischendurch oberflächlich eingeduselt sind – jedes leichte Geräusch, entweder ihr eigenes Schnarchen oder ein kurzes Schnauben der Kamele, lässt sie wieder hochschrecken. Lange, bevor die Sonne den Himmel in ein fahles Blau taucht, sind sie dann hellwach. Die Sorgen über die kommenden Stunden zerren an ihren strapazierten Nerven.
Außer dem unnatürlich blassen Firmament sind bislang keine anderen Anzeichen des angekündigten Sturms zu erkennen. Hastig wird ein Morgenmahl bereitet, heute ausnahmsweise Kurzgebratenes. Wer weiß, wann die Freunde sich wieder etwas Vollwertiges zwischen die Zähne stecken dürfen, ohne das die Gebisse vom Wüstensand knirschen. Hoffentlich wird es nicht ihre Henkersmahlzeit sein.
Auch die Kamele wurden versorgt, und Arnold merkt an ihrem Verhalten, dass die Warnungen berechtigt waren. Es liegt was Teuflisches in der Luft. Noch aber ist alles still, wie fast an jedem jungen Morgen, doch auf irgendeine Art und Weise andersartig, tonlos. Sogar diese unerfahrenen Wüstenreisenden bemerken die veränderten Umstände.
verbleibende Zeit bis zum Beginn der Höllenaufruhr sollte man nutzen, sich mit seinen Herzdamen auszutauschen. Naheliegend für Arnold ist, Mira anzurufen.
Sie hat wie erwartet auf den Anruf geharrt. Die Verständigung zwischen beiden ist weiterhin mehr als holperig, denn Arnold hat nach wie vor keine bemerkenswerten Fortschritte im Lernen der arabischen Sprache gemacht. Und Mira radebrecht nur kümmerliche Brocken Englisch. Doch dafür ist Botho da, als Sprachmittler. seine wiederholten Aufenthalte in diesem Land vermag er sich in orientalischen Redeweise recht leidlich auszudrücken.
»Salam aleikum, liebe Mira, schon lange wach?«
»Alaikum, Arnoldi, natürlich. Wer kann denn schlafen, wenn uns so was Unheilvolles bevorsteht. Dabei haben wir es gewiss etwas besser als ihr. Habt ihr euch wie abgesprochen vorbereitet?« »So gut es gelingt und wie der Mameluck uns geraten hat. Aber was ist, wenn der Sturm aus einer anderen Richtung über uns herfällt? Oder es sogar eine Windhose wird? Die saugt doch alles in die Höhe. Allerdings käme man auf die Weise direkt ins Nirwana zu den vielen Jungfrauen.«
»Hättest wohl schon wieder gerne eine neue Hauri? Aber ja, das wäre das Gefährlichste. Dagegen vermag man sich kaum zu wehren. Leider ist der Mameluck nicht in der Lage, zu sagen, ob es ein Sand- oder ein Staubsturm sein wird. Denn nichts anderes als ein Staubsturm ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Ein Zyklon wirbelt mit unheimlichen Sandwolken daher, die reichen oft Hunderte Meter hoch und durchdringen alles. Sandstürme sind manchmal etwas harmloser, aber ebenso gefährlich. Gebe Allah, dass wir das überleben.« »Ja, Mira, du, unser Kind und euer ganzes Dorf. Und wir hier gerne desgleichen. Hör mal, ich glaube, es geht hier los. Auf den Dünen sehe ich kleine Wirbel, und die Kamele zerren außer sich vor Angst an ihren Fesseln. Werden versuchen, sie zu beruhigen. Hoffentlich ...« Der Rest seiner Worte verschwand im ersten wütenden Ansturm einer Windböe . Die Verbindung brach schlagartig ab. Botho hatte sein Möglichstes getan, das Gespräch zu übersetzen.
Zyklone entstehen im Indischen Ozean wie auch der arabischen See. Sofern sie landwärts ziehen, werden sie zu Sand- oder Staubstürmen, die in die Höhe reißen, was in den Bereich der Wirbel gerät. Wenn sie sich irgendwann abschwächen, fallen die in den Stürmen gebundenen Sandmassen zur Erde zurück und begraben alles unter sich wie ein Leichentuch.
Ob Arnold jetzt noch Judith erreichen kann? Er hat sie lange nicht gesprochen und will versuchen, sie ebenfalls von der hier bevorstehenden Naturkatastrophe zu unterrichten. Vor Kurzem hatte er sie anzurufen versucht, doch keine Verbindung zu ihr bekommen. Ob es unter diesen kritischen Umständen möglich sein wird?
Nach ersten heftigen Windstößen ist wieder eine seltsame Ruhe eingekehrt. Aber das ist immer die letzte Atempause vor einem Sturm. Arnold lässt Judith`s Handy zittern. Minutenlang. Keine Reaktion. Wo ist sie? Dann heult eine weitere Böe, erbitterter noch als die Erste. Arnold hat sein Mobilefone nun in feuchte Tücher einzuwickeln und darf nur hoffen, dass es das kommende Inferno unbeschadet übersteht. Das Gerät ist ihre Lebensversicherung. Fällt es aus, wäre es unmöglich, Hilfe herbeizurufen. Er vermag Judith nicht mehr Bescheid zu geben, was in der Wüste auf sie zukommt.
Die Freunde haben sich dieses Dünental ausgesucht in der Erwartung, hier eine friedliche Nacht verbringen zu können. Die so klar leuchtenden Sterne am Wüstenhimmel ließen die Europäer vor Bewunderung staunen, wie ungetrübt, fernab jeglicher Zivilisation, das Firmament zu strahlen vermag. kommenden Morgen sollte dann der Ritt zur Oase, zur kindhaften Frau des mittelalterlichen Zeitgenossen, fortgesetzt werden.
Gottlob erhielten sie die Warnung, und nur deshalb haben sie sich eine Gruft geschaffen, nicht, um darin zu sterben, sondern im Gegenteil, um zu überleben. Mit der Leinwand des Zeltes hat man den Trog überspannt in der Hoffnung, dass der Wüstensturms den Sand über die Europäer hinwegblasen wird. Das ungewohnte Bewegen großer Sandmengen, nur mit den Händen, hat die Freunde zusätzlich zur seelischen Belastung körperlich äußerst beansprucht.
Weil die dreißig Meter hohen Dünen den Reisenden den Blick versperren, vermochten sie bisher nicht zu erkennen, dass eine gigantische, dunkelgraue Wolke auf sie zurast. Jetzt aber registrieren sie voller Schrecken, dass diese Schwaden in nächster Nähe vor ihnen himmelhoch reichen. Der Himmel hat sich verfinstert, und dazu dröhnt plötzlich ein heulender Sturm, der sich von Minute zu Minute verstärkt. Eben noch beobachteten die Bedrohten den Kamm der Düne, um die Intensität der tanzenden Wirbel zu erfassen, jetzt verkriechen sie sich schleunigst unter das Zeltleinen, in die mit bloßen Händen geschaffene Vertiefung. Hoffentlich halten die wenigen Häringe das Ganze. Weitere wütende Windstöße wirbeln Sandmassen vor sich her, die Katastrophe hat sie erreicht, der Hades tobt über ihnen.
Den Geistern der arabischen Halbinsel sind die Europäer offensichtlich unwillkommen. Mittlerweile glauben sie selber, dass die Dämonen der Wüste, oder der Schaitan persönlich, zum Ziel haben, sie als unerwünschte Eindringlinge von hier zu vertreiben. Soll das eine Strafe sein dafür, dass Arnold die Wüstenblume als Christ geschwängert hat? Wenn der Deutsche auch selten einem Sexabenteuer aus dem Weg gegangen ist; diese Verbindung hat er nicht gewollt. Aber jetzt ist es geschehen, jetzt hat er Verantwortung zu tragen. Nicht anders ist Botho mit einer Muslimin umgegangen. Auf Verlangen des Scheich`s, des allmächtigen Herrschers über zwei Harem und des Emirates, hat er für Nachkommen sorgen müssen. Der Junge hat vor Kurzem das erste Lebensjahr vollendet.
Der Sturm gebärdet sich immer cholerischer, bis in den Zenit reichende Staubwolken stehen Verderben bringend über der Sandwüste, die ständig neue Nahrung hergibt. In der Tat ist es ein Zyklon, eine Stauborgie, die alles zu vernichten droht, kein Sandsturm. Der Unterschied zwischen diesen beiden Naturgewalten ist, dass ein Wüstenwind, der Sand mit sich bringt, meist in kurzer Zeit wieder vorbei ist. Ein Staubsturm dagegen kann stundenlang toben. Zwar wirken die scharfkantigen Sandkörner schneidender, vermögen aber doch nicht ungehemmt in alle Ritzen zu dringen. Gegen eine Staubwand vermag man sich nahezu überhaupt nicht zu schützen. Der dringt in die Augen und kann zur Erblindung führen, Nasenschleimhäute und die Alveolen der Lunge verstopfen mit der Folge, dass Betroffene qualvoll ersticken. Botho und Arnold sind in höchstem Maße gefährdet. Doch bisher schützt sie das Zeltleinen, das sie über sich gespannt haben.
Durch die Evolution, in vielen Millionen Jahren, haben sich die Atmungsorgane der Wüstenbewohner, Menschen wie Tiere, zwar angepasst. Bei extrem heimtückischen Stürmen wie diesem sind sie aber auch nicht vor einem Kollaps gefeit. Das gegenwärtige Unwetter kommt in der Tat als Zyklon daher, denn man hört in dem Inferno Töne, wie sie eine Kreissäge beim Schneiden von Holz von sich gibt. Das ist ein untrügliches Zeichen für einen Wirbelsturm, der alles, was nicht fest verankert ist, wie in einen gewaltigen Trichter hochsaugt. So ähnlich könnte man sich gleichfalls die Urgewalt eines astronomischen schwarzen Loches vorstellen.
Arnold wie Botho vermögen das zwar nicht zu sehen, weil sie sich unter dem Zeltleinen auf dem Erdboden zusammengekrümmt haben. Trotzdem ist ihnen bewusst, was sich über ihren Köpfen abspielt. Das Zeltdach, das sie schützen soll, senkt sich durch die Sandlast, die sich darauf ablegt, immer spürbarer auf die Beiden. Sollte der Sturm nicht bald nachlassen, wird ihr Schutzraum kontinuierlich weiter eingeengt. Zentnerlasten könnten sie erdrücken oder, was genauso tödlich ist, ersticken. Die Wirkung ist vergleichbar mit einer Schneelawine, wenn Skiläufer darunter begraben werden. In der arabischen Wüste gibt es aber keine Bergretter und Lawinenhunde, die sie suchen und befreien könnten. Und Beduinen? In früheren Zeiten waren es Räuber. Da sind Verschüttete ebenfalls nicht lebend davongekommen.
Gefühlte Stunden tobt der Sturm schon, und es zeigen sich keinerlei Anzeichen, dass er nachlässt. Wenn Arnold gemeint hatte, der Zeltstoff würde den Sand von ihnen abhalten und über sie hinwegblasen, hat er sich geirrt. Das Zeltleinen mit der Sandlast senkt sich immer bedrohlicher auf die Eingeschlossenen, das Atmen erweist sich zunehmend als erschwert. Wie lange dauert die Tortur noch an? Wie groß ist die Chance, mit dem Leben davonzukommem?
Und wenn die Menschen das Inferno überleben sollten, vermögen die Kamele das ebenso? Die liegen ohne jeden Schutz da oben, und es wären die einzigen Lebewesen, die sie hier wieder herausführen könnten.
Keine Unterbrechung gönnt sich die Katastrophe, wild tobt es in der Atmosphäre weiter. Es ist unmöglich, dass Arnold sich mit Botho über ihre lebensbedrohliche Lage auszutauschen vermag. Sie dürfen nicht wagen, sich aus den Tüchern, die sie sich um ihre Köpfe geschlungen haben, herauszuschälen. Nichtmal Blickkontakt haben sie miteinander und sehen nur an leichten Bewegungen, dass sie weiterhin atmen. Keine Ahnung, ob die drückende Last sie zermalmen wird, wenn das Inferno stundenlang toben sollte.
Arnold macht sich in dieser brenzligen Lage Vorwürfe, Botho überredet zu haben, ihn zu begleiten. Doch andererseits: Wäre er hier allein auf sich angewiesen, hätte er noch geringere Chancen, zu überleben. Jetzt aber könnten sie beide draufgehen, wenn der Sauerstoffmangel letztlich zum Ersticken führt. Zwischendurch heult es mal weniger durchdringend, und sogleich hoffen die Verschütteten, dass das Martyrium bald vorbei ist. Doch kurz darauf steigert es sich erneut, es ist, als wenn der Weltuntergang bevorsteht .
*
Hakim ist nicht sonderlich begeistert, ja regelrecht wütend, dass er von der neuen, dritten Frau gradewegs weggeschickt wird. Und seine Begleiter bekommen das mit. Wie steht er denn jetzt da, der großartige Massaikrieger? Er ist es gewohnt, sich das zu nehmen, was er will. Sex, wann immer ihm danach zumute ist. Das Weib hat zu gehorchen. Sollte er etwa klein beigeben? Doch er weiß genauso, dass Juhari ungeheuer willensstark ist, erlebt es tagtäglich, wie sie den anderen Eheweibern im Dorf die englische Sprache und Verhaltenstechniken über westliche Gesundheitsfragen zu vermitteln bemüht ist. In den Unterrichtungen ist sie konsequent und genau. Insbesondere die Beschneidungsrituale sind ihr ein Dorn im Auge. Aber Hakim begreift, dass er zusammen mit der Weißen ein noch höheres Ansehen im Dorf und im übrigen Stammesgebiet erlangen könnte. Deshalb schleicht er sich jetzt ohne weitere Widerrede davon. Es ist eine Niederlage, doch durch sein Besäufnis hat er die selbst zu verantworten. Es ist heute ja auch der erste Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten. Morgen wird er erneut um ihre Liebe kämpfen. Und dann ....
Juhari ist gleichfalls wütend, dass sie nicht eine Hochzeit auf Massaiisch erlebt, obwohl doch das der ursprüngliche Grund ihres Hierbleibens war. Daher versucht sie mit gehöriger Wut um Bauch, Arnold anzurufen. Aber obschon der Ruf rausgeht– er meldet sich nicht.
Na ja, es ist früher Morgen. Da liegt er womöglich in den Armen seiner Mira, der Wüstenblume. Doch Juhari kann nicht wissen, dass ihr Arnold ums Überleben kämpft, dass ihm–und Botho–die Luft zum Atmen knapp wird.
Judith versucht es später erneut. Er wird sie bei aller Liebe nicht abgeschrieben haben?
Die dritte Frau
Der zweite Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten dämmert, die Frauen des Dorfes sind bereits früh wieder auf den Beinen. Sie haben sich heute wie stets neben den kleinen Kindern zusätzlich um die Rinder kümmern. Die sonst doch so selbstsicheren Morankrieger sind vom in reichlichen Mengen genossenen, eigengebrautem Bier selbst gegen Mittag weiterhin außer Gefecht gesetzt. Juhari`s Hakim geht es ebenso. Sie bekam nicht, was ihr zusteht, und ihre Mitfrauen haben keinen Anschauungsunterricht in Sachen Liebe erhalten. Juhari setzt alles daran, das in der heutigen Nacht aufzuarbeiten.
Was wäre, wenn die alten Zeiten herrschten, als die Stämme, der Rinder und Weiber wegen, gegeneinander kämpften? Dieses Dorf würde heute keine Gegenwehr leisten können. Frauen und Rindvieh hätten die Sieger geraubt.
Hakim, der Schamane. In Afrika und manchen orientalischen Ländern ist es weit verbreitet, dass ein vermögender Mann mehrere Frauen besitzt. Dieser angesehene Naturheiler hat zusätzlich eine Weiße geheiratet, Juhari. Sie ist auf den Afrikaner abgefahren, obwohl sie ihn mit zwei sonstigen Lieblichkeiten zu teilen hat. Doch für Judith ist das kein Problem, Vielfalt praktizierte sie auch in Europa. Eifersüchteleien unter verheirateten Frauen der Massai sind äußerst selten. Gegebenenfalls, wenn der gemeinsame Bwana die Besuche nicht gleichmäßig aufteilt, kommt es zu Konkurrenzkämpfen.
Der Schamane hat seine Ehefrauen sowie den sechsköpfigen Nachwuchs anständig zu versorgen, was heißt, dass er Verantwortung trägt, jedes Weib mit den Kindern eine Enkaji zur Verfügung zu stellen, die sie trotzdem selber zu errichten haben. Ebenso hat sie für die eigene und die Ernährung der Nachkommen zu sorgen. Der Mann fungiert also in erster Linie als Begatter, auch als Beschützer, doch um alles andere muss er sich nicht kümmern; das sind die Aufgaben der Frauen und, sobald sie herangewachsen sind, der Kinder.
Der Moran kümmert sich ausschließlich um die Rinder oder pirscht auf die Jagd. Coole Arbeitsteilung ist das. So lässt sich leicht ein Harem unterhalten. Dem Ehemann steht es frei, bei welcher seiner Evas er nach eigenem Gutdünken jeweils nächtigen will. Wenn er das >nächtigen< anständig und gleichmäßig verteilt, sind alle zufriedengestellt.
Schon, als Juhari noch ihren europäischen Namen trug und Touristin war, ist sie von den jungen Müttern des Massaidorfes ohne Vorbehalt akzeptiert worden. Und als sie sich dann bemühte, die Sprache der Massai zu erlernen, brachte man ihr sogar Freundschaft entgegen. Dass sie aber dauerhaft unter ihnen leben wollte, versetzte alle in Erstaunen.
Probleme bekam Juhari, als sie versuchte, die alten Weiber zu überzeugen, vom Ritual des Beschneidens abzukommen. Viele Sonnenaufgänge lang sind Mädchen unter unsäglichen Schmerzen verstümmelt worden, weil Männer meinten, weibliche Genitalien wären unansehnlich und nicht gottgewollt. Was für ein Unsinn. Manche Mädchen starben durch infizierte Wunden, denn die Beschneidungen wurden gewöhnlich mit Glasscherben oder gar scharfkantigen Steinen vorgenommen. Gingen die Beschneiderinnen mit benutzten, meist rostigen Rasierklingen vor, empfand man das bereits als fortschrittlich.
Zwar wunderte man sich zunächst, weshalb diese Weiße sich von ihrer Safarigruppe getrennt hat und, zumindest probeweise, hierzubleiben gedachte. Aber die Dramatik um ihre Person hatte sich bald gelegt. Endgültig dann, als Juhari sich bemühte, Stammesbräuche zu verstehen. Sie ließ es allerdings nicht zu, anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten ihre gepflegten Haare abschneiden und Kuhdung auf dem kahl geschorenen Kopf und ihre Brüste schmieren zu lassen. Das ist ein Fruchtbarkeitsritual, das Juhari nicht mehr benötigt.
Sie hat vier halbflügge Kinder und die reichen ihr. Aber sie möchte in den so andersartigen Kulturkreis der Massai eindringen. Unsterblich hat sie sich in die hochgewachsenen, tätowierten, mit bunten, die Brust bedeckenden Halsketten der Naturmenschen vernarrt. Insbesondere die Frauen dieses Naturvolkes lieben die Farbenvielfalt der Kleider und großformatigen Schmuck. Kinder laufen überwiegend nackt durch den Tag.
Fest entschlossen ist Juhari, herauszufinden, ob diese Rinderzüchter ebenso sexversessen sind wie Dogo, der Guide, der sie aus dem Tanganjikasee gerettet hatte. Oder der Ghanaer in der heimischen Villa, der manche Party durch akrobatische Eskapaden zum Erlebnis für lüsterne Gäste werden ließ. Gleichermaßen der zunächst so distinguiert auftretende Butler daheim hatte erheblichen Anteil am Gelingen der Gartenfeste.
Jetzt ist Juhari eine der drei Ehefrauen des Hakim, dem Schamanen. Sie ist erpicht darauf, zu erleben, wie das Eheleben hier abläuft. Der Auftakt gestern Nacht allerdings war nicht in ihrem Sinne. Heute wird ein weiterer Versuch unternommen. Sie ist aufgeregt wie ein kleines Kind vor der Weihnachtsbescherung.
Juhari ist ja nun eindeutig die Älteste in diesem Trio, aber wegen der weißen Hautfarbe für ihren weitaus jüngeren Mann die Attraktivste. Trotz ihrer 53 Jahre vermag sie es ohne Weiteres mit Hanaa aufzunehmen, die erst 41, für afrikanische Verhältnisse indessen bereits schrecklich alt ist. Ihre einstige Schönheit hat diese Frau durch ihre Kinder verloren, doch für Juhari ist sie weiterhin attraktiv.
Judith hatte in Deutschland ein wesentlich angenehmeres Leben, frei von Sorgen um das tägliche Brot. Das Wasser kommt aus der Wand, der Strom aus der Steckdose. Hier schöpft man es in Kalebassen aus einem Wasserloch, und in der Trockenzeit wird es kilometerweit, grazil, doch schweißtriefend auf dem Kopf balanciert, herangeschafft. Juhari beginnt eine völlig neue Lebensbahn; ob sie die durchstehen kann? Bringt sie die Kraft auf, gegen Nyota mit ihren 33 Sommern auf gleicher Höhe zu bestehen? Aber – Disharmonien unter den massaischen Ehefrauen gibt es nicht, solange die Gaben vom gemeinsamen Mann immer klar und gerecht verteilt werden.
Einen wesentlichen Vorteil bietet Juhari denn doch: Sie wird keine Kinder mehr gebären, ist aber gefährdet, an AIDS zu erkranken, weil Massai Kondome verabscheuen. Sie stellt folglich einen begehrten Kampfplatz zur Verfügung, nicht nur für ihren Gatterich, sondern ebenso für manchen ehrenwerten Gast. Unter Massai gilt bekanntlich das Gastrecht, es einem Freund nicht zu verwehren, bei einer der Ehefrauen des Gastgebers übernachten zu dürfen. Doch wie lange kann das gut gehen. Arnold wird ja ebenfalls Ansprüche anzumelden haben.
Arnold. Ach ja. Den hat sie ja im Trubel der traditionellen Feierlichkeiten völlig vergessen. Er sie gleicherweise? Er hat sich geraume Zeit nicht gemeldet. Wie wird es ihm denn bei der arabischen Mira ergehen? Der Frau, die er geschwängert hat, dieser Hallodri.
Kurz entschlossen klingelt sie sein Mobilephon an.
*
Arnold liegt mit Botho in der Vertiefung, der Sandkuhle, die sie sich gegraben haben. Nicht, wie Judith eifersüchtig vermutet, in den Armen der Wüstenmira. Wüsten Mira? Das wäre ein anregendes Wortspiel.
Über ihnen senkt sich die Zeltplane, die bislang die Sandmassen von Beiden fernhält, zunehmend stärker auf die Schutzsuchenden herab. Ihre Köpfe sind mit Tüchern umwickelt, jedoch kaum noch mit Feuchtigkeit zur Abwehr der heißen Staubluft getränkt. Das atmen wird immer schweißtreibender, stechender, die Angst, zu ersticken steigert sich ins Unerträgliche. Die vom Tode bedrohten vermögen es jetzt nachzuvollziehen, wie es Delinquenten im Mittelalter vorgekommen sein muss, als der Henker ihnen die Kehle zudrückte; wenn ihre Augen hervorquollen, als die Todeskandidaten am Galgen stranguliert worden sind.
In dieser Notlage hört Arnold den Ruf seines Handys, eine Melodie, welche er unter angenehmeren Umständen ein programmiert hat. Er findet aber keine Möglichkeit, es zu erreichen. Den Butler zur Außenwelt hat er effizient verpackt in eine Satteltasche gesteckt, nicht ahnend, dass er in diesem Inferno angerufen werden würde. Ununterbrochen erklingt die kurze Melodienfolge, ein paar Noten von Ludwig van Beethovens FIDELIO. In der jetzigen Situation klingt das fraglos reichlich makaber.
Judith wundert sich, dass niemand die Empfangstaste drückt. Langsam wird sie ungeduldig. Weshalb reagiert Arnold nicht? Hat er Judith etwa bereits vergessen, über diesem jungen Ding, das soeben erst zur Geschlechtsreife kam?
Arnold würde gerne ein Lebenszeichen von sich geben, an die, die sich offenbar so um ihn sorgen. Ist es Mira, ist es Judith? Er hat aber keinerlei Möglichkeit, zu seinen Engelchen in dieser Welt in Kontakt zu treten. Und zu den überirdischen Engeln hat er nicht das kleinste bisschen Verlangen.
Noch immer heult der Staubsturm; nimmt das denn überhaupt kein Ende? Das Zeitgefühl ist den beiden Eingeschlossenen mittlerweile völlig abhandengekommen. Sind es Stunden oder nur Minuten, in denen das Atmen so beängstigend ist?
Nach längerer Zeit hat sich das Geheule aber doch etwas abgeschwächt, zumindest hören die Verschütteten es nicht mehr so infernalisch durch die Sandmassen. Können Hörorgane sich auf einen derartigen Krach einstellen und die Reizweiterleitung teilweise unterbinden? Oder liegen mittlerweile so umfangreiche Sandberge über ihnen, dass sogar Telefonstrahlen nicht mehr durchdringen? Nicht ein Schimmer Tageslicht verirrt sich durch die Sandlast; sie fühlen sich wie lebendig begraben.
Doch das Unwetter ist keineswegs vorbei. Jetzt geht das Wüten in einen Sandsturm über, aber davon bekommen die Verschütteten wenig mit. Sie merken nur, dass die Last, die auf ihnen ruht, immer erdrückender wird. Veränderbar ist ihre Lage kaum, sie sind unter den Zentnerlasten nahezu fixiert. Da ist doch der Lawinentod oder das Ertrinken in haushohen Wellen eine raschere Todesart, sinniert Arnold. Ist allerdings auch nicht sonderlich angenehm!!
Wieder und wieder meldet sich das Mobilefone. Nur gedämmt sind die Ruftöne zu hören, denn die Geräte hatte Arnold akribisch sorgfältig eingewickelt, um sie vor dem eindringenden Sand zu schützen. Und doch wirkt die kurze Melodie so oder so beruhigend, fast aufmunternd. Auch Beethoven hat das mit seiner Oper so darzustellen versucht.
Zum Erreichen des lebensrettenden Gerätes fehlt den Verschütteten weiterhin die Bewegungsmöglichkeit. Zu schwer lastet der Sand auf ihnen. Doch woher kommt weiterhin die spärliche Atemluft, die sie bisher am Leben erhalten hat? Seine Stimme klingt rau, nahezu außerirdisch, als Arnold versucht, zu Botho Kontakt aufzunehmen, von dem Freund ein Lebenszeichen zu bekommen.
»Hey, Spezi, sag mal was«. Keine Reaktion. Mit erheblicher Mühe tastet seine Hand nach dem Gefährten. »Du kannst doch jetzt nicht schlafen. Wir müssen sehen, dass wir hier wieder raus kommen, hey, wenn diese Scheiße vorbei ist«. Weiterhin ohne Antwort von Botho. Arnold gerät in Panik. »Botho, was ist los?«krächzt Arnold mit vom Staub belegter Stimme.
*
Der zweite Tag der Hochzeitszeremonie beginnt für die Dorfbewohner nicht im normalen Rhythmus. Es wurde ja bis spät in der Nacht, fast bis zum heutigen morgen, das Dorf auf den Kopf gestellt. Unfassbar, mit welchen Energien und Durchhaltevermögen nahezu alle Dorfbewohner dabei sind. Von den Säuglingen bis zum ältesten Greis sind die Bewohner an den Feierlichkeiten beteiligt. Es gibt ja nicht viele Gelegenheiten im Jahresablauf, sich zu amüsieren.
einigen Tagen hatte die sehnsüchtig erwartete Regenzeit eingesetzt. Das ist die Zeit, wo die Samburu, also der Stamm der Massai, in den Juhari hineingeheiratet hat, seine Feste feiert. Auch andere Volksstämme begehen um diese Zeitstufe, wenn wieder alles zu wachsen und zu grünen beginnt, ihre Stammesfeiern. Seit Jahrhunderten hat sich an den Ritualen kaum etwas geändert.
Juhari hatte es rigoros abgelehnt, sich ihre Haare scheren und den Kopf und die Brüste mit Kuhdung einschmieren zu lassen. Sie hat vier Kinder. Da braucht man sie nicht mehr fruchtbar zu machen. Außerdem befindet sie sich in der Menopause. Sie trägt jedoch die traditionelle Kleidung und einigen Schmuck an Ohren und auf ihrem sehenswerten, entblößten Oberkörper. Diese exotische Ausstattung war ja der Auslöser, weshalb sie sich in den kernigen Naturburschen verliebt hat.
Zu Feierlichkeiten schmückt man sich nicht nur mit gewaltigen Ketten und Ohrgehängen, sondern tönt die Haut außerdem mit Henna. Die Farbe wird aus dem gleichnamigen Strauch gewonnen und haftet für einige Stunden oder gar Wochen auf dem Körper. Daran findet auch Juhari Gefallen.
Arnold müsste sie jetzt sehen können; er wäre gewiss begeistert, Judith in derartiger Aufmachung zu erleben. Zumindest bildet sie es sich ein.
Heute, am zweiten Tag der Feierlichkeiten, werden dazu drei weitere Hochzeiten gefeiert. Junge Männer, die inzwischen zu so vielen Kühen gekommen sind, dass sie sich die erste Frau leisten können. Denn sie haben Brautgeld zu zahlen an die Eltern, deren Tochter, oft im Alter von kaum zehn Jahren, nicht selten gegen den Willen der Halbflüggen, sie heiraten. Die Mädchen wechseln dann ohne Einspruchsmöglichkeit in den Besitz des Ehemannes über, der manchmal nicht mehr der Jüngste ist. Wie ein Stück Rindvieh auf dem Markt werden Töchter gehandelt, nur dass man den Kleinen nicht ins Maul schaut oder die Euter begutachtet. Zu früheren Zeiten wurden Sklaven so auf ihren Wert taxiert und in aller Öffentlichkeit auf Krankheiten und Arbeitstauglichkeit untersucht. Es waren weiße Araber, die mit den Schwarzen Handel trieben und zu Reichtum kamen.
kindhaften Lebensalter, kaum dass Mädchen geschlechtsreif geworden sind, werden sie geschwängert und tragen so zur Bevölkerungsexplosion der Welt bei. Doch Kinder gleich nach der Geburt zu töten, wie es einige Volksgruppen praktizieren, ist grausam. Da ist eine Geburtenkontrolle mittels Pille oder Kondomen zweifellos eine bessere Alternative. Man hat allerdings zu hinterfragen, weshalb die christliche Kirche sich derart vehement gegen Verhütung wehrt. Wo soll das hinführen; genau dagegen will Juhari etwas unternehmen. Schwer genug wird es werden, sich der Dominanz der männlichen Bevölkerung und der katholischen Institution zu widersetzen.
Die Farbe rot ist ein allgegenwärtiger, beliebter Farbton der Massai, gedanklich verbunden zweifellos über das Blut ihrer Rinder, welches alltägliches Nahrungsmittel ist. Vermischt mit Mehl und Kräutern, soll es eine recht vollwertige Nahrung sein. Kleider, Schals und Überwürfe sind oft ebenfalls in rötlichen Farben gehalten.
Juhari will sich der Aufgabe stellen, ältere Frauen, namentlich jedoch Männer, zu überzeugen, dass die Beschneidung der weiblichen Genitalien keinesfalls Unglück über den Stamm bringt. Genau das Gegenteil von dem, was bisher der Glaube dieser Völker ist, die zu 80% noch Analphabeten sind.
Zur Zeit des höchsten Sonnenstandes holten die anderen Frauen des Hakim Juhari aus ihrem Enkaji ab, weil das Fest seinen Fortgang nehmen soll.
»Juhari, komm, wir wollen weiterfeiern. Das Dorf hat sich versammelt, Hakim erwartet dich, und die anderen Hochzeiter sind schon lange in Feierlaune«.
»Ja, ich höre das Trommeln, das Schellen der Tambours und das Stampfen der Hunderten von Füßen. Ich erscheine«. Heute werden sie doch hoffentlich zu dem versprochenen Anschauungsunterrichts kommen? Hanaa und Nyota, die beiden anderen Weiber Hakims, sind wie die übrigen in Hochstimmung. Und wissbegierig.
Lachend mischten sich die Neuankömmlinge unter das Volk, das seit geraumer Zeit schon wieder im Tanzfieber ist.
Hakim, der zum dritten Mal Vermählte, wirbelt im Kreise seiner Freunde, doch Juhari beachtet er nicht. Es ist bei den Massai nicht üblich, öffentlich die Zuneigung zu einem Weib zu zeigen. Männer und Frauen tanzen selten gemeinsam, wobei tanzen keinesfalls im europäischen Sinne zu verstehen ist. Es ist ein Gruppenbewegungsritual, simultan bewegt man (nicht nur Mann) eingeölte und mit Henna bemalte Gliedmaßen. Die Gruppen springen den Adumo, einen uralten Gruppentanz.
Es möge der Startschuss sein zu der beispiellosen Aufklärungskampagne, zu der Juhari sich selbst gegenüber verpflichtet hat. Sie bricht mit einem Tabu. Die weiße Massai versucht, mit ihrem Moran einen für ihn völlig ungewohnten Tanzrhythmus darzustellen. Ein Mann und eine Frau, sich an den Händen und um die Hüften fassend, umeinander wirbelnd, umgeben von den Dorfbewohnern als Zuschauer.
»Hakim, komm, wir tanzen, es ist unser Hochzeitsfest,« versucht Juhari ihrem Mann Mut zu machen. Doch der ist durch und durch verblüfft. Und ablehnend.»Ich, mit dir, allein? das geht nicht, das macht man bei uns nicht.«
Juhari lässt nicht locker. Sie hat nicht vor, sich als nichtssagende Nebenfrau behandeln zu lassen. Nicht nur im Gesundheitswesen, auch in der Stammeskultur gedenkt sie manches zu bewegen.
Ihr Vorhaben geht zunächst in die Hose. Hakim hat nur die Gabe, Sprünge und ekstatische Schwingungen darzustellen, nicht aber geschmeidige, exakt aufeinander abgestimmte Drehungen. Und er will es auch nicht, er ist Schamane, da ist es nicht erlaubt, uralte Rituale einfach zu übergehen!
»Ach komm, Hakim, üben wir das mal, das wird dir gewiss Spaß bereiten«, lockt seine weiße Frau.
»Nein, ich will nicht, das gehört hier nicht her, ich bin dein Mann, und du hast zu gehorchen!«
Oha, denkt Juhari, da meint er also, wieder bestimmen zu können. Wie vor Wochen, als die Kerls mich betrunken machten und dann im Schlaf meinen Körper benutzt haben? Sie hatte sich geschworen, ihm das heimzuzahlen. Jetzt scheint ihr eine günstige Gelegenheit dazu gegeben zu sein, heute, am zweiten Tag ihrer Hochzeitsfeier.
Wenn er sich denn schon nicht traut, wird es doch gewiss unter den Zuschauern den einen oder anderen geben, der es mit ihr wagen möchte? Vergnügte Jünglinge stehen genügend im Kreis um sie herum, voller Energie und Tanzlaune.
»Sopa, hallo, hat jemand von euch unvergleichlichen Moran Lust, mit mir einen ungewohnten Tanz einzuüben? Ich bin sicher, das wird einen Riesenspaß machen.«
Zwei mit erotisierendem Festtagsschmuck ausgestattete, exotisch aussehende Jünglinge sind spontan Feuer und Flamme. Lachend kommen sie auf Juhari zu. Sie werden sich bewusst, heute etwas Besonderes darzustellen. Jetzt ist Juhari in ihrem Element. Tanzen mit Massai- hoffentlich wird ihr Hakim nicht eifersüchtig. Aber der Feigling hat sich ja nicht getraut......Juhari hat sich in den Kopf gesetzt, diesen Jünglingen einen leicht zu erlernenden Rundtanz beizubringen.
Für ein Tanzvergnügen geben Naturvölker alles. Bereits im Kindesalter lernen sie die stampfenden und springenden Figuren, nachempfunden den Tieren aus ihrem Lebensraum. Gesangseinlagen zur Ehre ihrer Götter gehören ebenso dazu, und Ihre Lebensfreude drücken sie mit einer beachtlichen Anzahl von Strophen aus. Refrains werden bis zum Abpfeifen drangehängt. Stundenlang kann das so abgehen.
Für Safarifreunde sind derartige Darbietungen ein Erfordernis, denn das ist Kommerz. In Namunjak zeigt sich allein die Lebensfreude der Massai.
Manche dieser Tänze werden von Volksgruppe zu Volksgruppe, gelegentlich gar von Stamm zu Stamm abgewandelt und über Generationen gepflegt. Zu allen vier Jahreszeiten gibt es originelle Tanzfeste, ebenso zur Vertreibung unheilvoller Geister, zum Herbeiflehen des Regens, zur Inkarnation Jugendlicher wie zu Totenfeiern. Von einem Vorsänger intoniert, grölt die Gemeinschaft seit Jahrhunderten nahezu unverändert spirituelle Gesänge. Mit völliger Hingabe tanzen Frauen wie Männer mit bunt bemalten , immer getrennt voneinander, und wiegen ihre Leiber im Takt der dröhnenden Trommeln. Mit wildem Aufstampfen verscheucht man angriffslustige Tiere, wobei den Tänzern die pralle Lebensfreude anzusehen ist.
Juhari liegt am Herzen, ihren Massai zu deren Freudenfesten Neues, bisher Unbekanntes nahezubringen. Paar- und Rundtänze, die nicht auf der Savanne, gelegentlich aber in den von Europäern und Amerikanern geprägten Städten getanzt werden. Sie sieht darin eine der Möglichkeiten, ihre geplante Mission gegen die Beschneidungen von Frauen und Mädchen in Afrika zu verwirklichen.
Heute ist Juhari wie die anderen weiblichen Festteilnehmer in ein farbenfrohes Kleid geschlüpft. Um den Hals trägt sie eine schwere, aus getrockneten Früchten und kleinen, in verschiedenen Facetten schimmernden Lavasteinen gefertigte Kette, die zeitaufwendig durchbohrt wurden. Elektrisch betriebene Bohrer gibt es hier keine, alles ist aufwendige Handarbeit. Handgelenke und Fußfesseln werden gleichermaßen geschmückt. In ihren durchlochten Ohrläppchen stecken farbige Holzfigürchen, welche die Hochzeiter darstellen sollen. Doch auch im alltäglichen Leben tragen Stammesangehörige selbstgefertigten Schmuck, wie schwere Halsketten, Reifen an Hand- und Fußgelenken, an den Ohren, wovon die Ohrläppchen oft unförmig verlängert werden. Aber je skurriler, desto selbstbewusster sind die Ausgeschmückten.
Juhari, die Braut, die mit Hakim heute den zweiten Tag der Hochzeit feiert. Wie selbstverständlich hat sie ebenso an den traditionellen Tänzen teilgenommen, als Lernende, stundenlang nach alter Sitte, kaum unterbrochen durch Pausen. Daraufhin kam ihr dann der Gedanke, europäische Tanzfiguren vorzustellen. Aber ihr Hakim, der Feigling, macht nicht mit. Na denn, zwei mutige Jünglinge haben sich ja gefunden.
»Vom Ansehen her kenne ich euch, doch eure Namen sind mir unbekannt. Du bist?« »Hashim« »und du?« »Issa«
Dunkle Regenwolken dräuen über der Savanne. Mensch und Tier sind nach der lange andauernden Dürreperiode in aktiver Bewegung. Jetzt kommt die ideale Zeit, um ihre Feste zu feiern. Lachend und energievoll tanzen sie ohne wesentliche Unterbrechungen. Durch die Regenzeit reduzierte, angenehme Temperaturen lassen sie das durchhalten. Der nächste Schauer bringt immer erfreuliche Erfrischung.
»Hashim, Issa, wir Drei bilden jetzt einen Kreis. Inmitten der Zuschauer, die uns bewundern werden. Wir fassen uns an den Händen und bewegen uns, nach dem Takt der Trommel, immer rechts herum«.
Juhari muss manches mit Gestiken erklären, denn obwohl sie mittlerweile einige Worte in Suaheli gelernt hat, vermag sie sich längst nicht Allen verständlich auszudrücken. Das Zusammenleben von Schwarz und Weiß basiert auf Improvisationen, und das klappt, meistens jedenfalls. Wenn nicht, gibt es stets kräftiges Gelächter. Da sind die Beteiligten voller Emotionen.
Der Trommler schlägt einen zunächst langsamen, immer wiederkehrenden Rhythmus, nach dem sich diese drei im Kreis drehen. Ein Musikant mit einer Art Zimbel, die nur zwei Saiten hat, erzeugt kreischende Töne. Fast klingt das wie eine Kreissäge.
Juhari macht einige Ausfallschritte, die leicht zu begreifen sind. Bei dem Taktverständnis der Afrikaner ist das kein Problem. Nach kurzem Üben sitzt die Figur.
»Jetzt tanze ich zunächst mit Hashim alleine, Issa schaut zu. Merke dir alles genau.«
Juhari umfasst Hashim an der Hüfte und legt ihre linke Hand in seine Rechte. Ein Doppelschritt nach vorne, ein Schritt zurück. Dann eine Halbdrehung links, zurück, Halbdrehung rechts, wieder zurück. Schluss. Hashim verheddert zunächst die Füße, doch mit Juharis Erklärungen begreift er schnell.
»Diese Figur üben wir einige Male, ohne Trommel. Issa, hast du das gleichermaßen begriffen?.«»Ayeh, mwanamke« ja, Frau.
»Dann lass uns beide das ebenfalls probieren. Jetzt schaut Hashim mal zu.«
Es dauert nicht lange, und die zwei Wagemutigen beherrschen das bereits recht flott. Abwechselnd tanz Juhari das mal mit dem Einen, dann mit dem anderen. Die Trommel und die Zimbel begleiteten sie; die Zuschauer sind begeistert. Lachen und Stimmengewirr erfüllen die Runde. Nicht nur die Kinder erzeugen fröhlichen Lärm.
Juhari fordert die Schaulustigen auf, mitzumachen. Es wagen sich einige der Frauen in den Kreis und tanzen miteinander, später kommt der eine und andere mutige Mann dazu und kascht sich eine Schöne. Der Bann scheint gebrochen.
Das ist wie erwartet zunächst ein heilloses Durcheinander, ein Geschiebe, in das Struktur gebracht werden muss. Doch Juhari freut es, dass ihre Idee offenbar Anklang findet. Sie ergötzt sich selber beim Zuschauen, wie die Festteilnehmer gesteigertes Gefallen an den unbekannten Bewegungen finden. Weit mehr Spaß aber wird es bringen, sobald die Tanzfiguren nach einem vorgegebenen Schema getanzt werden. Deshalb unterbricht die Hochzeiterin das fröhliche Gewoge.
»Stop, stop, liebe Freunde. Ich sehe, euch macht es Spaß, paarweise zu tanzen. Aber noch mehr Vergnügen werdet ihr haben, wenn ihr die Tanzfiguren einwandfrei beherrscht. Schaut genau hin, wie ich jetzt mit Hashim die Füße setze und wie wir uns drehen.«
Die Drei wirken fast schon wie ein eingespieltes Team, denn Naturvölker sind, was Bewegungsabläufe betrifft, außergewöhnlich lernfähig. Bewegung liegt ihnen angeboren im Blut. Doch Juhari darf es nicht übertreiben; schließlich ist heute der zweite Tag ihres Festes mit Hakim, dem Schamanen. Nicht, dass der eifersüchtig wird und ungute Geister herbei wünscht.
»Hakim, bitte komm ebenfalls in den Kreis. Ichwünsche mit dir zu tanzen, es ist doch unser Fest!«
Hakim hat sich alles genau angesehen, jetzt findet er selber Gefallen an diesen neumodischen Bewegungen. Und überhaupt: Auch das hat ihn an Juhari fasziniert, dass sie ihm etwas aus der großen weiten Welt beibringen will. Nicht nur, dass die Weiße eine andersartige Figur in seinem Harem ist.
Zunächst zögerlich reiht sich Hakim in die Tanzenden ein, Hashim sucht sich eine Neue, und ab sofort kümmert sich Juhari um ihren originellen Ehemann. Es dauert nicht lange, bis er die Schritte gelernt hat und dann ebenfalls Gefallen an der Schwoferei findet. »Hakim, ich liebe dich«.
Es ist ein mitreißendes Fest, wenn es auch von gelegentlichen Regenschauern überzogen wird. Doch jedermann freut sich an dem Himmelswasser, denn jetzt finden die Rinder wieder saftiges Gras. Das gesunde Gedeihen der Tiere ist die Lebensgrundlage aller Hirtenvölker. Die kurzen Regengüsse machen den Feiernden überhaupt nichts aus, im Gegenteil, sie tanzen mit lachenden Gesichtern, selbst wenn sie klitschenass dabei werden.
Das Festtagsessen ist eine echte Herausforderung für Juhari. Ein Rind und zwei Ziegen sind schon am Vortag geschlachtet worden. Von den Tieren wird alles verwertet. Das Blut (ein vitaminhaltiges Getränk), die Innereien, die Knochen. Eine eigentümliche Delikatesse sind die Hoden. Insbesondere zu den Hochzeiten werden die den Jungvermählten verabreicht, und Hakim wie Juhari kommen ebenfalls in diesen Genuss. Auch wenn der Schamane weiß, dass seine dritte Frau keine Kinder mehr hervorbringen wird, hält er sich an das Ritual.
Juhari muss sich überwinden. Sie hat sich zwar auf den Partys in ihrer Villa gelegentlich mit diesen Kleinoden beschäftigt, aber nicht mit Messer und Gabel. Halbroh sind die Klunkerzögernd sie zu; ein gewöhnungsbedürftiger Genuss.
Doch sie ist hier in einem anderen Kulturkreis, und dem hat sie sich anzupassen. Sie hat es so gewollt.
Die Hoden des Rindes sind den männlichen Hochzeitern vorbehalten, die der Ziegenböcke teilen sich die jungen Frauen und Juhari. Sie wissen, was es zu bedeuten hat. Hakim zelebriert, erhält selber aber von den Leckerbissen nichts ab. Er hat sie genossen auf der Heirat mit seinen anderen Weibern, und die Medizin hat gewirkt......er hat es auf bisher sechs Nachkommen gebracht.
»Sind Nyota und Hanaa wirklich nicht eifersüchtig?« fragt Juhari äußerst vorsichtig, wenn ich als Dritte dazukomme?
»ah ah, Nein«
»Und du liebst alle, auch deine Kinder?«
»Ayeh, ja«
Juhari kann es kaum glauben. Was gibt es doch so viele unterschiedliche Sitten auf der Welt, dazu Hunderte differente Sprachen und noch weitaus mehr Dialekte. Menschliche Gesten scheinen sich jedoch recht einheitlich über den Globus verbreitet zu haben.
Der Tag gleitet schon wieder in die Nacht hinein, und weiterhin wird ausgelassen gefeiert. Angenehm, dass die Gäste eine füllige Unterlage aus Fleisch und Injera im Magen haben, daher können die selbst gebrauten Alkoholika keinen allzugroßen Schaden anrichten. Juhari hält sich mit Trinken zurück, und sie verweilt dazu ständig in Hakims Nähe. Es darf doch nicht wieder das passieren, was ihr die gestrige Nacht so tüchtig verhagelt hat.
Wenn auch längst nicht alle den neumodischen Tanz versuchen- neben den traditionellen Stampftänzen ist der Ungewohnte immer mal wieder versucht worden. Juhari und Hakim agieren als Vortänzer- es macht tierischen Spaß. Die drei anderen Hochzeiter haben sich bereits klammheimlich in ihre Enkaji verduftet. »Hakim, lange werden wir gleichfalls nicht mehr bleiben. Ich gehe gleich mal voraus, um meine Hütte herzurichten. Nicht, dass du dich erneut davonmachst!«
Juhari gibt Hanaa und Nyota einen heimlichen Wink, sich heute ebenfalls wieder zur Hütte zu begeben. Der Deutschen liegt viel daran, weibliche Wesen vom Unsinn des Beschneidens zu überzeugen und für den damit verbundenen Lustgewinn zu interessieren. Der Gedanke an die Mission Help hat sich unauslöschlich in ihren Background eingebrannt.
*
Der Zyklon hat sich endlich merklich abgeschwächt. Nachwehen sind zwar weiterhin zu hören, ebenfalls zu spüren, doch das infernalisches Heulen hat nachgelassen. Offensichtlich hat man das Schlimmste überstanden, aber Arnold gerät in Panik. Er bemerkt kein Lebenszeichen des Freundes. Botho liegt zusammengekrümmt in seinem Schlafsack und scheint nicht mehr zu atmen. Jetzt ist er gefordert, zu helfen. Vor einigen Tagen war es Botho, der ihn aus dem lebensbedrohenden Chaos, nach dem Stich des Skorpions, herausgeholt hat.
Zentnerlasten Wüstensand haben sich auf dem Zeltleinen gesammelt. Immer bedrohlicher senkt es sich auf die Schutzsuchenden herab. Unter unmenschlicher Anstrengung drückt Arnold das Gewicht mit dem Rücken soweit hoch, dass er Botho erkennen kann. Sein Kopf ist noch mit Tüchern umwickelt, die aber nicht mehr feucht sind. Die mit dem Zyklon daherkommende Hitze hat alles ausgetrocknet.
»Botho. Booothoooo«
Ein schnaufendes Geräusch antwortet. Gott sei Dank, ganz tot ist er nicht. Aber bewusstlos. Wenn ihm das als Pilot passiert wäre. Besinnungslosigkeit im Flieger!
Der Sturm hat weiter nachgelassen. Er bläst zwar weiterhin, doch es ist kein Vergleich zu den vergangenen Stunden. Arnold drückt mit irrsinniger Kraftanstrengung die Sandlast hoch, um zu Botho hinrobben zu können. Er entfernt die Tücher von dessen Kopf und blickt in ein verzerrtes, angsterfülltes Gesicht. So hat er seinen Freund bisher nie erlebt.
Blutunterlaufene Augen, der Rachen völlig ausgetrocknet, geschwollene, lila verfärbte Lippen, vom Wüstensand verstopfte Nasenlöcher, das Gesicht aschgrau; Arnold ist erschüttert. Viel länger hätte der Sturm nicht wüten dürfen, dann ..... an das Ende des Satzes mag er nicht denken.
»Botho, hörst du mich?« Sprechen vermag er nicht, nur matt nicken. Aber er lebt. Arnold entfernt vorsichtig den feinen Sand vom Gesicht seines Freundes, doch wie kommen die beiden unter der Zeltplane heraus, ohne dass sie zuvor endgültig vom Wüstensand begraben werden?
ist es Arnold wenigstens möglich, an sein Handy zu gelangen. Hoffentlich ist es nicht vom Sandstaub zerstört. Er wählt die Nummer von Mira. Da müsste der Sturm ja auch vergangen sein. Bleibt zu hoffen, dass der die Oase nicht plattgemacht hat. Aber dass er die Gedanken schon wieder hat, wo er selber weiterhin von Sandlasten verschüttet liegt?
Sein Mobiltelefon setzt einen Ruf ab, und das unter dem Sandberg, von dem die Wüstenreisenden nicht befreit sind. Befänden sie sich in einem Felsentunnel, ginge das Signal nicht hinaus.
Tuut.Tuut.Tuut. Keine Antwort. Immer wieder versucht er es. Dabei kommt ihm die Erinnerung an die Kamele, die ohne Schutz dem Sturm ausgeliefert waren. Von denen hat er noch nichts bemerkt. Und keinerlei Reaktion von Mira. Sind sie von allen gütigen Geistern verlassen? Offenbar nur von Bösen umgeben, welche die Eindringlinge aus der heiligen Wüste zu vertreiben beabsichtigen?
Weil er seine junge Frau nicht erreicht, versucht er, mit Judith in Verbindung zu kommen. Ebenfalls null Ergebnis. Es ist doch noch nicht Schlafenszeit? Während der Zyklon wütete, hat man für alles andere als die Tageszeit einen Sinn besessen. Ein Drehrum, wie die Afrikaner eine Armbanduhr nennen, besitzen sie keine, denn ihre Uhr ist das Handy, das offenbar funktionsgestört ist. Und jetzt sind Arnold und Botho unter der Zeltplane, mit den Mengen von Sand darauf, begraben, und kein Licht dringt zu ihnen durch. Luft zum Atmen haben sie, wenn sich auch bei jedem Atemzug die Lungenflügel schmerzlich aufblähen. Doch woher kommt die Luftzufuhr, die sie bis jetzt am Leben erhalten hat?
Arnold hegt die Hoffnung, über das Handy Hilfe zu bekommen, je nachdem, vom Schamanen in Kenia, der ihm schon einmal geholfen hatte, mit dem feinen Getränk, welches das Gift des Skorpions unschädlich stellte. Oder vom Oasenvorsteher, der möglicherweise gewisse medizinische Kenntnisse besitzt. Aber wenn sich auf der Gegenseite niemand meldet, hat Arnold mit seinem fast vergessenen Erste-Hilfe-Wissen das Überleben Bothos zu versuchen.
Arnold befreit das Gesicht des Freundes vom Wüstensand. Im Mund findet er ein Sand-Speichelgemisch, das zuerst entfernt werden muss. Sodann beginnt er mit der Herzpumpe. Er erinnert sich blass, dass er mit aller Kraft und übereinandergelegten Händen den Brustkorb niederzudrücken hat. Das fällt ihm nicht leicht bei dem eigenen, geschwächten Zustand. Eine Atemspende hat er noch nie gegeben; einem anderen Mann seine Lippen aufdrücken, - er ist doch nicht schwul.
Indessen, hier ist es ein Notfall. Er will, er muss dem Spezi das Leben retten, selbst wenn ihm dabei übel werden sollte. Heute ist es ja kein Kamelurin, wie er den vor nicht langer Zeitzu schlucken hatte. Arnold hatte sich gewaltig zu überwinden; sein eigenes Überleben stand auf dem Spiel.
Aber ebenso Arnold ist nach wie vor gefährdet. Unter schwerer Sandlast Erste Hilfe zu leisten- bald steht er selber am Ende seiner Kräfte. Unfähig, weiter zu helfen, sinkt er kraftlos neben Botho in den Sand der Wüste. Er war wohl einige Zeit weggetreten, bewusstlos oder eingeschlummert, als sich erneut das Mobiltelefon meldet. Endlich ein Lebenszeichen von Außen. »Hallo«.
»Salam allaikum, Arnoldi. Wie ich mich freue, dich zu hören. Wie habt ihr den Zyklon überstanden?« Mira hat alle ihre Kenntnisse zu sammeln, um ein paar der mittlerweile gelernten deutschen Worte ins Gerät zu sprechen.
»Oh, Mira, das ist wie ein Geschenk vom Dschannah, dem Himmel, dich zu hören. Ich hatte seit geraumer Zeit versucht, euch anzurufen. Warum hast du nicht geantwortet?« »Ja, in der Nacht telefoniert man selten, da schläft man. Nach der Todesangst besonders fest. Habe kein Telefon gehört.«
»Ja, wie spät ist es denn, soeben der Morgen angebrochen? Wir liegen unter der Zeltplane, über uns zentnerweise Sand, in völliger Dunkelheit sind wir eingeschlossen. Botho fast erstickt, mir geht's etwas besser, doch bisher haben wir uns nicht von den Sandmassen befreien können. Ein wahres Wunder, dass mein Mobilefone funktioniert. Wie sieht es bei euch aus, trostlos, verschüttet?«
»Ja, allerhand zerstört, aber keine Toten. Sind wir genötigt,zum Helfen zu kommen?« »Wird absolut erforderlich sein, denn ich weiß nicht, wie wir uns eigenhändig befreien könnten; und ob die Kamele leben, kann ich auch nicht sagen. Warum nur dieses Unglück, ist es, dass Allah zürnt, weil du ein Kind von einem Christen bekommst? Hast du Beschwerden?«
»Es geht. Manchmal das Unwohlsein, aber das ist ja mehr oder weniger stets so, sagen erfahrene Frauen. Viel furchtbarer scheint mir, dass ihr gefangen seid. Ich werde dem Mameluck berichten, was du mir gesagt hast. Er wird mit Sicherheit einige Reiter schicken, die euch da herausgraben. Halte durch solange, ich will dich lebend wiedersehen.«
»Ja, die Luft ist beängstigend dünn, es wird höchste Zeit«, Arnold fängt an, zu husten, »dass wir hier herauskommen.«
Er kümmert sich erneut um seinen Freund, der noch immer aschfahl um die Nasenspitze ist. Botho geht es weitaus beschissener als ihm. Arnold hat nach diesem Gespräch wieder neuen Lebensmut gefasst.
Da er jetzt weiß, dass ein taufrischer Tag angebrochen ist, versucht er es erneut, seine andere Frau in Kenia zu erreichen. Lange hat er nichts mehr von ihr gehört.
*
Das Liebesnest ist hergerichtet. Juhari hat erneut die penetrant stinkenden, emsig flackernden Tranfunzeln in ihrer Hütte angezündet. Für sie kostet es nach wie vor Überwindung, in diesem Dunst ihre Hochzeitsnacht verbringen zu sollen.
Noch immer betört Juhari der absurde Gedanke, ihren Freundinnen das Liebesabenteuer miterleben zu lassen. Ob ihr Hakim diesmal auftaucht, vor allem ohne beduselt zu sein? Oder erscheint er erneut in Begleitung? Im Hintergrund haben Hanaa und Nyota ihren Platz eingenommen.
Solange der Schamane nicht aufgetaucht ist, kann Juhari sich mit den Beiden im Flüsterton besprechen; ein außerhalb der Hütte Lauschender würde eventuell gewisse Wortfetzen mitbekommen; er dürfte dann Veranlassung haben, zu glauben, dass Juhari sich mit dem Gott Engai unterhält.
So verging eine geraume Weile; die Wartenden beschlich schon das Gefühl, dass auch heute nicht mit Spaß zu rechnen sei. Da wurde dann aber doch der Vorhang am Eingang des Enkaji angehoben.
»Juhari, du hier?«, rief jemand in die Hütte hinein.
»Ja, mein Lieber«.
»Weißt du, wo Nyota und Hanaa sich herumtreiben?«
»Nein, weshalb denn?«
»Sie sind doch gleichfalls meine Frauen, und ich wollte sie besuchen. Ich habe mit ihnen heute gar nicht getanzt. Nachher sind sie böse, wenn ich mich nicht um sie kümmere«.
»Pass nur auf, dass ich nicht böse auf dich bin, denn schließlich ist es unser Hochzeitstag. Ich bin jetzt ebenso dein Weib und du mein Mann. Und da habe ich heute mal die Vorrechte einer frischen Frau. Ach Hakim, sei doch bitte lieb zu mir!«
Er trat vollständig in die Hütte. »Du hast Lichter angezündet, weshalb denn das?« Hakim gab sich äußerst erstaunt.
»Ja, wir wollen es uns heute mit Herz und Seele gemütlich herrichten, noch etwas ins Glas schauen, und dann .....«
»Ach, wir den ganzen Tag über doch genug getrunken, nachher bin ich wackelig, wie gestern. Und dann bist du wieder furiously auf mich. Non, ich brauche jetzt nichts mehr trinken. Blas Licht aus, die Geister tanzen schon in der Hütte.«
»Nee, mein Lieber, ich bin doch keine Kuh. Und du kein Bulle. Setzt dich gemütlich neben mich. In Deutschland gibt es einen treffenden Spruch: >Ein Gläschen in Ehren, kann niemand verwehren<. Komm, trink mit mir«. Juhari reicht ihm einen Trinkbecher. »Zum Wohl!«.
Juhari bringt ihrem Mann deutsche Trinkgewohnheiten bei. Auch wenn man unter Nomaden ist, sollte es gesittet zugehen. »Prost sagt man, sobald in freundschaftlicher Runde miteinander getrunken wird, zum Wohl, in festlicher Gesellschaft,« erklärt Juhari.
»Jetzt sind wir zwei alleine, und es soll wildvergnügt werden, also?«
»Post« erwidert Hakim und setzt das Glas an die Lippen.
»Nein, nicht Post, Prrrost, heißt das. Da musst du das - R- im Rachen rollen. Post ist etwas anderes, die Post bringt einen Brief oder ein Paket, oder zwei Pakete«.
Manche Volksgruppen vermögen kein >R< zu rollen, auch Hakim nicht. Wie Franzosen gleichfalls nur mit Mühe ein >H< hauchen fertig bringen.
Doch jetzt soll nicht Deutschunterricht erteilt werden. Liebe auf Französisch, ohne >H< wie >Hetze<, dürfte einer Frau wollüstige Schauer durch den Körper jagen. Hakim hat Feuer gefangen, allerdings nicht durch Herzenswärme, sondern er ist scharf darauf, das >R< in Prost anzuwenden. Immer wieder lässt er sich sein Glas füllen, bloß, um dieses schwierige Wort üben zu können. Zuerst hatte Juhari ihren Spaß daran, und auch die heimlichen Lauscher im dunklen Hintergrund der Enkaji vermochten ihr Lachen nur schwer zu unterdrücken. Aber letztlich wurde Juhari das zu bunt. Wenn das so weitergeht, ist ihr Liebster erneut gefechtsunfähig.
»Hey, du Moran, genug mit dem Deutschkurs. Jetzt ist französisch dran. Zeig, wie deine Lanze den Feind besiegt.«
»Hier ist doch kein Feind, wir sind alles treffliche Freunde. Was redest du denn da!«
Juhari ist schier am Verzweifeln. Fast scheint es, als sei der Kämpfer mehr an alkoholischen- als an körperlichen Genüssen interessiert. Gibt es so was? Die Zeit ihrer Abstinenz ist ihr über die Maßen lang geworden, ab heute soll die Fastenzeit zu Ende sein. Wenn sie sich auch wie eine Schlikka oder Cawa benehmen muss: Sollte sich dieser Massai weiterhin wie ein Jüngling verhalten, kommt sie nicht umhin, selber die Initiative zu ergreifen. Es ist zwar in den Ländern um den Victoriasee nicht üblich, ja streng aufgefasst sogar ein tabu, doch sie ist eine Weiße. Das relativiert die Angelegenheit. Meint sie.
»Hakim, weshalb hast du mich zur Frau erwählt? Du weißt, dass ich keine Kinder mehr bekomme, und ich habe ja auch vier. Und das reicht. Wir werden nicht dazu beitragen, die Welt überzubevölkern. Das führt dann dahin, dass immer weitere Menschen verhungern, insbesondere, wenn wieder mal Dürreperioden kommen. Oder Virenpandemien. Außerdem sterben bei uns kaum Kinder, weil wir unsere Gesundheit besser schützen. Dazu kannst du geradeso beitragen, denn du bist ein Hakim und Schamane.«
»Juhari, ich hatte viele Rinder.«
»Ja, du hast mich für Rinder eingetauscht, und dadurch willst du dein Ansehen weiter steigern – ist es so?«
»Ja, nein, ich mag dich.« »Was denkst du über Frauen?« »Weiber sind gut. Zum Essenkochen, Kühe melken, Kinderkriegen«.
»Und sonst noch?«
»Sonst noch? Wasser holen, Hüttenbauen!«
»Sonst fällt dir nichts ein?«
»Ja, hm, Kinderhüten, Beeren sammeln, ja, das auch«.
Judith gibt es auf. Liebesleben kennen diese Männer nicht, kaum, dass sie mal ihre Frau anlächeln. Die ist nur dazu da, um sie von einem gewissen Überdruck zu befreien. Ohne selber Lust dabei zu empfinden.
Der Brauch verbietet das. Dagegen will Juhari ankämpfen.
»Hakim, bitte gib mir einen Kuss.« Juhari wird die Initiative ergreifen müssen, auf ihre Art. Warum heiratet man sonst, nur zum Kinderkriegen?
Hakim schaut erstaunt. »Du wollen mein Zunge essen?«
Immerhin hat ihr Göttergatte sich neben sie auf das Bettgestell gesetzt. Juhari lacht schallend:»Deine Zunge essen? Ne, lieber nicht, dann könntest du mir ja nichts Schönes mehr sagen. Und wenn du Meine isst, würde es mir schwerfallen, den Frauen zu erklären, warum sie sich nicht weiterhin beschneiden lassen sollten. Mächtig hinderlich wäre es ebenfalls, weil ich es ja auch den Männern nicht begreiflich machen könnte. Komm, zeige mir, dass du ein unvergleichlicher Bursche bist!«
Hakim weiß natürlich, was ihm in der Hochzeitsnacht zusteht. Aber immer war er es, der sich sein Recht nahm, nie ging der erste Schritt von der Frau aus. Es ist bei den Massai und anderen Naturvölkern eben so, dass Mann sich die frisch Vermählte hernimmt, den Akt vollzieht und sich zu seinen Freunden verabschiedet. Dort wird der Vorgang dann gebührend begossen. Auch, um damit zu prahlen, wieder ein Mädchen zur Frau geadelt zu haben. Heute, scheint ihm, dass es so nicht sein wird. Denn dieses dritte Eheweib ist eine Europäerin. Hakim wagt es nicht, sich so zu verhalten, wie es üblich ist. Er ist zwar erregt, aber zurückhaltend. Doch er ringt sich dazu durch, seine Lippen auf die ihren zu pressen.
»Hakim, nicht so stürmisch,« nuschelt Juhari, »bitte, zärtlich, und dann züngel mit deiner Zunge, damit sich meine mit deiner berühren kann. Ja, so, doch bitte nicht zubeißen, mein Lieber.«
Judith versteht es, einen Liebeshungrigen hinzuhalten, ihn gemächlich auf immer höhere Ebenen zu pushen. Den Höhepunkt zwar vor Augen, aber den Weg dahin lang und länger werden lassend. Hakim weiß nicht, wie ihm geschieht. Bereits jetzt wähnt er sich im Dschannah; ist Juhari eine Hauri? Nein, eher eine Schlikka, zugegeben, egal, ihm wird warm ums Herz, und nicht nur da.
Judith gerät in immer tieferes Fahrwasser, Kentern nicht ausgeschlossen. Volldampf voraus, heute ist Juhari der Käpt'n, Hakim der Smutje, der nichts anbrennen lassen darf. Juhari steuert dahin, sodass bald die Rollen vertauscht werden könnten. Ihr Seemann ist äußerst lernfähig.
Es ist Dampf in der Kombüse, der Herd glüht, das Feuer ist jedoch unter Kontrolle. Der Smutje hat dafür zu sorgen, dass die Lohe nicht auf das Enkaji übergreift. Dass ein Flächenbrand entstehen könnte, angefacht von einer weißen Jägerin, hätte er nie für möglich gehalten.
Dann steht auch der Smutje in Flammen. Er versteht sein neues Weib immer besser in ihrem Verlangen, den Stamm oder sogar Teile von Afrika von einem Irrglauben abzubringen. Dem Geisterglauben, dass Beschneidungen von ihrem Gott Engai, der auf dem Vulkan Ol Doinyo Lengai wohnt, angeordnet worden sind.
Die Heirater geraten außer Atem. Das ist es, was Juhari seit Wochen fehlte und Hakim bisher nicht kannte.
Wie haben es denn die beiden Spanner im Hintergrund erlebt, im Dunkel der Enkaji? Juhari hat von ihnen keinen Ton gehört, nicht einen erregten Atemzug, aber die Reise wird sie ja keineswegs kalt gelassen haben. Bei der Hitze, die da abgestrahlt wurde. Juhari wird es gewiss am folgenden Tag erfahren.
Nicht nur die hoch lodernden Flammen der Liebe ersterben nach diversen Löschversuchen, selbst die Tranfunzeln, die solchen penetranten Duft verströmt haben, geben ihr Flackern auf. Auch denen ist der Atem ausgegangen. Hakim verbringt diese Nacht bei seiner Dritten , um ihr noch mal Gewisse, jüngst erlernte Künste vorzuführen. Doch wie schaffen es die Spannerinnen, unbemerkt die Hütte zu verlassen? Auch Juhari hat sich mit diesem Problem befasst, just eben, als die größte Leidenschaft gestillt war.
Hakim liegt glücklich, doch ermattet neben ihr, aber ihm ist nicht so, dass er die Umgebung nicht mehr wahrzunehmen vermöchte. Wie würde er reagieren, wenn er seine beiden anderen Eheweiber hier entdecken müsste? Gibt es so was wie einen Dreier bei den Massai?
Der Anruf Arnolds kommt in dem Moment, als Judith sich soeben aus ihrem Liebestaumel zurück ins wahre Leben begibt. Der Krieger liegt besiegt neben ihr, ihre Mitfrauen wissen nicht, wie sie sich von dannen schleichen sollen.
Arnold hat offenbar eine besondere Gabe, oder das Zweite Gesicht, ausgerechnet in den Momenten anzurufen, wenn Judith aus himmlischen Höhen wieder auf dem Boden der irdischen Realitäten gelandet ist. Ähnlich erging es ihr in dem Kral in Tansania, als Touristin, als sie hart am Abgrund stand. Seit Tagen keine männliche Berührung, obwohl doch einige Safariteilnehmer, einschließlich dem schwarzen Guide Dogo, um sie geworben hatten. Ihr kaum hörbares, mitleiderregende Schluchzen hat dann aber Erwin gerührt, der ihr daraufhin, keinesfalls selbstlos, die Tränen trocknete.-----
»Arnold, Mann, bist du es wirklich? Wie lange habe ich von dir nichts mehr gehört. Wie kommt das? Bist du so sehr mit deiner Mira beschäftigt? Oder gab es Komplikationen mit der arabischen Familie? Aber ich will nicht neugierig erscheinen. Ich freu mich unheimlich, dass du dich endlich meldest.«
»Ach, Judith, fast hätte ich überhaupt nicht mehr anrufen können. Wir haben hier in der Wüste einen Zyklon erlebt, der uns verschüttet hat. Wir, das sind Botho und ich, liegen noch immer unter einer Zeltplane, die mit unheimlicher Sandlast auf uns drückt. Der Sturm hat mittlerweile zwar merklich nachgelassen, doch gleich muss ich sehen, wie wir uns befreien könnten. Botho geht es äußerst beschissen. Tschuldigung. Aber er ist fast erstickt; ich hab Wiederbelebungsversuche vorgenommen. Ich, der ich davon so gut wie keine Ahnung habe. Doch hierbei vermag dein Hakim wohl nicht zu helfen?«
»Das hört sich ja schrecklich an. Ihr wurdet demnach fast lebendig begraben?«
»Das kann man so sagen. Wir liegen immer noch unter dem Sandberg. Ich werde versuchen, uns hier auszubuddeln. Hoffentlich leben die Kamele, sonst kommen wir hier gar nicht weg. Wir sprechen uns später, muss mich um Botho kümmern, das Sandmännchen. Tschüss, Tschuldigung, bis dann.«
Judith ist schockiert. Schon wieder so ein lebensbedrohendes Ereignis in der Sandkiste der Rub al-Chali-. Warum muss das bloß immer Arnold treffen. Wird er gejagt? Ihr könnten allerdings ebenfalls Wiederbelebungsmaßnahmen helfen.
Jetzt hat sie zwei Männer, die ihrer Zuwendung bedürfen, denn auch Hakim, der stolze Massaikrieger, ist von Atemnot befallen. Daran ist zwar kein Sandsturm schuld, wohl aber ein Sturm der Liebe, den er so noch nie erlebte. Doch ihm hat`s gefallen, was die Juhari mit ihm angestellt hat. Sie würden sich auf eine französische Reise begeben, hatte sie ihm gesagt. Ohne Flieger und dem unaussprechlichen >H< wie in Hast. Und das rrrrollende >R< wird er weiterhin üben.
*
Judith gehts`s soweit erfreulich, wie sie Arnold sagte. Doch was sie in der Zwischenzeit erlebt und überstanden hat, weiß er nicht; darüber hatten sie in der Kürze der Zeit nicht sprechen können. Jetzt braucht Botho seine Zuwendung, und er selber will auch überleben. Sie müssen hier raus. Die Sandlast über ihren Köpfen droht sie zu zerquetschen.
Da kommt ein weiterer Anruf von Mira. Wie aufbauend, wenn man zwei Frauen hat, die sich um einen kümmern.
»Arnoldi, es sind fünf Männer auf Eilkamelen unterwegs. Sofern ihr auf der bekannten Route geritten seid, werden sie euch nicht verfehlen. Es könnte leider noch drei Stunden dauern, bis sie eintreffen. Wie ist jetzt euer Zustand?«
»Mir geht es den Umständen entsprechend, aber mein Freund hat ernst zu nehmende Atemnot. Ich praktizierte mehrfach Mund zu Mund-Beatmung bei ihm, unterstützte auch sein Herz mit Druckmassage. Ich befürchte jedoch, ob er weitere drei Stunden durchhält. Sollte ich nicht selber versuchen, hier herauszukommen? Hat der Mameluck vielleicht einen Rat dazu?«
»Ich frage mal«.
Botho neben ihm keucht, sein Gesicht ist jetzt nicht aschfahl, sondern bläulich angelaufen. Das ist mehr als beängstigend. Aber was kann Arnold machen. Versucht er, an der Plane vorbei sich herauszuwinden, dürfte das ganze Gebilde zusammenstürzen. Bleibt er untätig, führt es zum Ersticken für Beide. Doch weshalb haben die Verschütteten noch immer, wenn auch nur einen Hauch, Ozon, wo alles derart hermetisch durch Sand abgedichtet ist. Von irgendwoher muss ein minimaler Luftzustrom kommen.
Das Handy meldet sich erneut. Diesmal ist es Judith. Es ist in der Tat erbaulich, dass zwei Frauchen sich um Arnold sorgen.
»Seid ihr schon raus aus eurer Gruft? Nein? Gegen Sand weiß Hakim keinerlei Abhilfe. Wenn dich wieder ein Skorpion gestochen hätte, ja. Aber derzeit hättet ihr ja auch kein Kamel, dessen Urin ihr schlürfen könntet. Da würdet ihr ja euren Eigenen. ....«
»Jetzt hör auf. Witze können wir später machen. Es ist nicht ein Skorpion, der uns nach dem Leben trachtet, nur dieser blöde Sand, der alles verstopft. Trotzdem– es ist hilfreich, dass ihr euch Sorgen macht. Ich erwarte einen weiteren Anruf von Mira, die den Mameluck um einen Rat fragen wollte. Drei Stunden, bis der Hilfstrupp hier ist, könnten für uns sonst das Ende bedeuten. Aber dann hättest du eine Sorge weniger ..... Ich melde mich wieder, oder du!«
Kaum war dieses Gespräch beendet, meldete das Mobilephon einen weiteren Anruf. Mira ist in der Leitung, oder besser, sie findet ihn per Satellit. Was wäre, gäbe es derartige Technik nicht?
»Ahlan sadiqi. Grüß dich, mein Freund. Wie ist`s? Der Mameluck rät, dass ihr euch möglichst wenig bewegt. Keineswegs solltet ihr versuchen, euch selber auszugraben. Die Rettungsleute sind mit den besten Eilkamelen unterwegs. Er rät auch, sofern ihr einen Stock vom Zeltgestänge habt, den wie einen Fahnenmast durch den Sand zu schieben, denn es kann sein, dass der Sturm alles eingeebnet hat. Dann wäret ihr ohne einen Hinweis nicht zu finden. Bitte, haltet durch!«
»Danke für den Wunsch und den Rat. Hoffentlich sind die Retter bald hier. Ich wundere mich, woher wir weiterhin Luft zum Atmen haben. Wir sind doch von Sand überschüttet. Irgendwoher muss ein mysteriöser Zustrom sein.«
Sie beenden das Gespräch, denn sonst könnte es auch noch dazu kommen, dass der Akku des Gerätes emty ist. Das hatten sie ebenfalls mal erlebt. In ebendieser verdammten Wüste. Dann würden die Verschütteten überhaupt keine Überlebenschancen mehr besitzen. Lebendig begraben, und ohne einen Imam, der die letzte Reise zu Allah segnet.
Es war ein effektiver Ratschlag vom Mameluck. Hölzerne Zeltgestänge haben die Reisenden mit in die Grube genommen, um damit die Sandlast abstützen zu können. Mit einer der Stangen bohrt Arnold jetzt ein Loch durch das Leinen und schiebt den langen Stab hindurch. Ob und wieweit die Spitze durch die Sandoberfläche stößt, vermag er nicht zu sehen, nur hoffen, dass die Markierung auffällig genug ist. Das angsterfüllte Warten geht weiter.
*
Es war ein unsanftes Erwachen aus der Hochzeitsidylle. Schwelgte man eben noch in den Armen der Liebe, holen Juhari unverhofft und beharrlich die Alltagssorgen ein. Diesmal nichts, was mit dem Leben der Massai verbunden ist, sondern ihre Vergangenheit in Gestalt des ersten Ehemannes. Hakim bemerkte ihre Niedergeschlagenheit, ihre Bedrückung, ohne hierbei direkt helfen zu können. Er vermag sich nur in einen Trancezustand zu versetzen, um mit seinem Gott Engai in Verbindung zu treten. Juhari erlebte es hautnah, wie dieser Schamane in eine andere Welt eintritt. War er da auch, als sie mit ihm die erotische Stunde genoss?
Hakims weitere >Verschönerinnen der Nacht< schafften es, sich trotz erheblicher Kniebeschwerden, die sich durch das regungslose Hocken ergaben, in ihre eigenen Enkaji zurückzuziehen. Wie Schlangen krochen sie auf dem Bauch aus der Hütte, um ja nicht aufzufallen.Nach wie vor sind sie aufgewühlt davon, erlebt zu haben, wie eine Frau ihrem Ehemann Genüsse bereiten vermag und selber desgleichen profitiert. Die weiße Bwana mit ihrem gemeinsamen Mann hat es vorgemacht.
Am Verhalten Juharis haben sie in dieser Nacht erkannt, um wie viel melodiöser ein Ohrwurm zu erklingen vermag, sobald auf französischen Saiten gespielt wird. Massaifrauen werden aufgrund ihrer Handicaps zwar für immer von derartigen Konzerten ausgeschlossen bleiben, doch das haben sie beschlossen: Für Juharis Mission, die Beschneidungen in Afrika zu bekämpfen, gibt es für sie keine Hemmungen, ihr hilfreich zur Seite zu stehen.
Denn sie erlebten hautnah, um wie viel sinnenfreudiger das Zusammenleben von Mann und Frau sein kann, sobald Sex nicht nur auf die Schnelle praktiziert wird. Zum Teufel mit den Böcken, die nur an ihr eigenes Vergnügen denken!
Unwissende Männer leben bisweilen in der Vorstellung, eine unbeschnittene Frau wäre unästhetisch und verwerflich. Der Schamane hat in der vergangenen Nacht aber selbst erlebt, wie eine französische Reise Lebensgeister wecken kann. Auch wenn der Reiselustige, im Ziel angelangt, das Gleisbett schwer keuchend verlassen muss.
Hakim wird seiner hellhäutigen Juhari bei ihrer Mission ebenfalls zur Seite stehen, wie er ihr versichert. Da hat sie doch bereits drei engagierte, überzeugte Helfer. Ihr Vorhaben scheint auf einen erfolgreichen Start hinauszulaufen.
Allmählich kommt der Schamane aus seinem entrückten Zustand in die Gegenwart zurück. Mit feinsinnigem Lächeln berichtet er Juhari, was ihm der Gott mitgeteilt hat. Nichts, was die uralten Rituale betrifft. Hakim erlebte in der Trance, wie er dem anderen Mann seiner weißen Frau in der sengenden Wüste helfen könnte. Denn auch das ist erlaubt nach dem Glauben der Suahelis: Dass ein Weib zwei Partner besitzt, somit in Polyandrie lebt. Vorwiegend sind es Brüder, die sich eine Frau teilen. Deshalb hat er dem ersten Mann seines Neuweibes zu helfen, hat ihm Gott Engai in der Offenbarung mitgeteilt. Doch wie, wenn er nichts als Sand um sich hat und anders, als beim vorigen Mal, von einer Tarantel gestochen worden ist? Was ist das für ein Mann, der dauernd von Unglücken und Missgeschicken heimgesucht wird. Was hat der sich denn zu Schulden kommen lassen, wenn er bereits zum zweiten Mal von einer Katastrophe in der Wüste geplagt wird?
Das fragte Arnold sich ebenfalls. Ist es der Drang zu n Wesen, den er in seiner Villa in Germany oft so hemmungslos ausgelebt hatte? Soll er jetzt dafür in dieser Einöde die gerechte Strafe erhalten? Aber wer könnte ein Interesse daran haben, und wer besäße die Macht dazu?
»Juhari, du mögest noch einmal mit deinem Arnoldi sprechen, hat mir Engai befohlen. Wir haben den Männern mit Worten Mut zu vermitteln, bis sie frei geschaufelt sind. Denn sonst besteht die Gefahr, dass die Verschütteten ein Trauma erleiden. Und das könnte ebenso tödlich enden.«
Ja, Arnold. Sie lebt hier im Hochzeitsrausch, und er kämpft mit Botho v. Amelung, den Judith vor zahlreichen Jahren fast geheiratet hätte, ums Überleben. Aber was vermag sie anderes zu machen aus der Ferne, als ihm Trost und Selbstvertrauen auszusprechen. Doch sie hat nicht solche hypnotischen Fähigkeiten wie dieser Schamane, der neben ihr liegt. Da sein Gott ihm das aufgetragen hat, wird sie sich dem nicht widersetzen, selbst wenn sie an derartige kruse Gedankengänge nicht glauben kann.
Kurz entschlossen drückt sie die gespeicherte Nummer von Arnold. Hakim hatte ja bis vor wenigen Wochen kein Verständnis dazu, wie man mit Leuten, die nicht zugegen sind, sich doch unterhalten kann. Was das betrifft, ist er in der Neuzeit angekommen.
Der Ruf kommt bei Arnold an.
» bin`s. Schatz. Ist der Rettungstrupp eingetroffen und hat euch ausgebuddelt, oder liegt ihr weiterhin unter Sandbergen begraben? Ist der Sturm abgeflaut?«
»Hallo, Liebes, nein, bisher sind hier keine Retter angekommen, aber ich hab mit Mira gesprochen. Man sagte, dass wir warten und uns nicht selber aus dem Sand wühlen sollen; das wäre zu gefährlich. Wir haben eine Zeltstange durch den Sandhügel geschoben, damit man uns finden kann. Wir wissen ja nicht, ob die Kamele da draußen liegen, tot oder davongelaufen sind. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir hier befreit werden!«
»Das vermag ich euch nachzufühlen. Immer mit der Befürchtung im Nacken, dass alles zusammenstürzt und ihr doch noch erstickt. Aber an solches Szenario mag ich nicht denken. Der Schamane rät – diesmal nicht zu Kamelurin, denn den habt ihr ja nicht zur Verfügung – sondern zur Beruhigung des Nervensystems. Ihr solltet beide Hände an die Schläfen legen und leicht kreisende Bewegungen machen. Versucht es mal, Naturvölker haben zwar eigenartige, doch oft durchaus hilfreiche Heilmethoden.«
»Ja, das hab ich bereits erlebt, da ist was dran. Aber – mal still. Ich höre da etwas, das scheinen Stimmen zu sein. Der Sand vibriert, als ob da Hufe trampeln. Ich glaub, sie sind da. Ich meld mich später, wenn wir heil raus sind. Bis dann.«
Jetzt hören die Verschütteten in der Tat ein gedämpftes Stimmengewirr über sich, und kurz darauf fingen die Retter gehetzt, aber vorsichtig, mit dem Ausgraben an. Man hat sie also gefunden.
»Hört ihr uns, könnt ihr antworten?« vernahm man eine Stimme.
»Ja, wir hören euch.«
Es muss sich eine enorme Menge Wüstensand über Arnold und Botho angehäuft haben, denn es dauert lange, bis die Zentnerlasten nach und nach abgetragen sind. Endlich sehen die Wüstenreisenden wieder Licht am Ende des Tunnels. Die Rettung ist greifbar, aber durchaus noch nicht vollendet.
Es bedarf einer weiteren halben Stunde angestrengtem Schaufelns, bis die Sandmassen soweit abgeräumt sind, dass Frischluft unter die Zeltplane gelangt. Tiefes Durchatmen bringt frischen Lebensmut zu den so lange Gefangenen. Die Retter aber haben weiterhin vorsichtig zu agieren, damit nicht zu allerletzt doch der Zusammensturz der Höhle, die fast zur Gruft geworden ist, passiert.
Letztendlich sind die so endlos Verschütteten wieder ins Tageslicht zurückgekehrt und fallen den Helfenden geschwächt, aber glücklich über die Rettung, in die Arme. Von einem Kollaps sind sie verschont geblieben, vermutlich durch den Rat des Schamanen. Er hat zum zweiten Mal zum Überleben Unbekannter beigetragen. Als Erstes werden die Geretteten mit heißem Tee versorgt, der ihre Lebensgeister wieder wecken soll. Auch als Willkommensgruß ist das Getränk gedacht. Allahu Akbar, riefen die Beduinen, Gott ist groß.
Botho fühlt sich grauenhaft angeschlagen, noch immer ist er aschfahl im Gesicht; man muss ihn stützen, so schwächlich ist er auf den Beinen. Arnold hat die Tortur ungleich besser überstanden. Aber sie leben, und das ist das Ausschlaggebende.
»Wie habt ihr denn den Sturm in Nafir erlebt,« fragt Arnold die Retter. »Allah war gütig zu uns, der Zyklon hat zwar viele Felder und Früchte zerstört, doch die Hütten haben standgehalten. Der Sand ist da gleichfalls eingedrungen, aber das lässt sich wieder säubern. Der Schaitan hätte uns vernichten können.«
»Ja, der Schaitan. Der verfolgt mich. Wie geht es Mira? Ich hab ja mit ihr gesprochen, ist sie wirklich wohlauf?«
»Sie hat sich sehr um dich gesorgt.«
»Das ist keine ausreichende Antwort. Verschweigst du mir etwas?«
»Sie freut sich, wenn du bald wieder bei ihr bist.«
»Ihr Araber redet immer um den heißen Brei herum. Damit bin ich auch nicht schlauer. Wir danken euch allen jedenfalls, dass ihr in so kurzer Zeit gekommen seid und uns hier ausgegraben habt. Wir haben euch erneut unser Leben zu verdanken.« Das werden die reichen Europäer sich eine ganze Menge kosten lassen. Es trifft ja keine armen Zeitgenossen.
Der Sturm ist endlich abgezogen, jetzt regt sich kaum ein Lüftchen mehr. Es ist nahezu, als wenn nichts geschehen wäre. Und schon brennt die Sonne wieder unbarmherzig vom Firmament. In welch kurzer Frist sich doch die Lebensumstände zu ändern vermögen.
Die Kamele haben das Inferno ebenfalls überlebt. Lange Augenwimpern und starke Behaarung der Ohren sowie die Möglichkeit, ihre Nasen zu verschließen, verhindern, dass der feine Sand eindringen kann. Jetzt dürstet ihnen, und sie fangen an, mit den Hufen im Boden zu scharren. Diese Tiere haben einen derart empfindsamen Geruchssinn, dass sie Wasserstellen auf viele Kilometer hin zu lokalisieren vermögen. Haben sie hier Wasser unter dem Sand geschnuppert?
Araber kennen als Wüstenbewohner das Verhalten ihrer Tiere genau und werden aufmerksam. Ob sich hier eine verborgene Wasserstelle versteckt? Sie unterstützen das Graben, und in der Tat: Der Boden wird feuchter, je tiefer man gräbt, und in einer Teufe von etwa 80 cm lässt sich Wasser feststellen. Keine fließende Quelle, doch man findet benetzen Sand. Es reicht zwar nicht für die Kamele, denn die saufen hundert Liter und mehr in einem Zug, aber sie werden notdürftig aus mitgebrachten Wasserschläuchen getränkt. So oder so scheint diese Feuchtigkeit im Boden jedoch mit einer Sauerstoffversorgung zusammenzuhängen. Ob das ein Grund mit ist, dass die Eingesandeten nicht erstickt sind?
Egal, sie sind befreit, dem Leben wiedergegeben, und Arnold ruft voller Dankbarkeit seine Frauen an. Mira in Nafir und Judith in Namunjak. Beide freuen sich überschwänglich, dass der Mann, den sie sich teilen, dem Schaitan von der Schippe gesprungen ist. Das ist jetzt eine deutsche Redewendung. Ob es ähnliche Sprüche im arabischen auch gibt? Anzunehmen, denn die orientalische Ausdrucksweise ist gespickt mit märchenhaften Formulierungen.
Die kommende Nacht wird die Gruppe an diesem Ort verbringen, morgen kann der zwangsweise unterbrochene Ritt nach Nafir fortgesetzt werden.
*
Was weiß der Hakim schon von französisch. Er hat gehört, dass es ein europäisches Land ist, ja, doch was das in Bezug zu einer Liebesnacht bedeutet, ist ihm unbekannt. Ihm hat`s gefallen, wie Juhari ihn verwöhnte, und die ist zum erstenmal seit vielen Wochen wieder absolut happy.
Nicht nur wegen der beendeten Askese, ebenso, weil Arnold und Botho dem Tod nochmals von der Schippe gesprungen sind, ist sie von Glück erfüllt. Beide Ereignisse sind ein Grund, sich ein weiteres Mal ein paar Schlückchen zu gönnen. Dazu laden die Hochzeiter die zwei anderen Eheweiber mit ein. Es wird ein nettes kleines Familienfest, diesmal ohne die gesamte Dorfgemeinschaft.
Die hat sich wieder um das Alltägliche zu kümmern, die Zeit der Lustbarkeiten ist vorerst vorbei.
Juhari hat sich mit ihren Eheschwestern, wie sie scherzhaft genannt werden, oft ausgetauscht. Im Rahmen des gegenseitigen Sprachunterrichts aber war Hakim nie dabei, selten auch die Kinder. Heute sitzt die kleine Gemeinschaft zum ersten Mal einträchtig im Kreis beisammen. Hakim ist der Hahn im Korb. Wieder so eine Metapher. Gibt es dafür im Suaheli eine Entsprechung? Hühner werden nicht in Korbgeflechten, sonder mit zusammengebundenen Beinen kopfüber an Stangen hängend zum Markt getragen. Juhari erklärt, was es mit dem Ausspruch im Deutschen für eine Bewandtnis hat.
Hanaa weiß etwas. »Jogoo katika kikapu. Wenn jemand in einer Gruppe die Person ist, die alle mögen. Ist das richtig?« »Ja, so kann man sagen,« erwidert Juhari. »Und wer ist das bei uns?« »Natürlich du,« kommt es spontan. Juhari aber widerspricht. »Weshalb ich? Hakim ist unser Mann, er ist der Hahn, und wir sind die Hennen. Er darf uns besteigen, wann er es will. Ihr kennt es von dem Hühnervolk. Ein kurzer Biss in den Nacken, das Huhn knickt ein, der Hahn erledigt seine Pflicht. Aus. So wollen wir das in Zukunft aber nicht mehr erleben. Ihr habt es in der Hochzeitsnacht miterlebt, wie anders das ablaufen kann.«.
»Wer hat was miterlebt« fragt Hakim dazwischen.
»Ach ja, hab es dir ja nicht erzählt. Hanaa und Nyota haben sich in der Hütte versteckt, sie sollten miterleben, wie fabelhaft Liebe machen sein kann. Hast dich doch gewiss gewundert, als du sie mal wieder besuchen gingst?«
»Hm, ja, waren etwas anders als bisher, hat mich sprachlos gemacht. War fast so wie mit dir«.
»Siehst du, jetzt hat jeder Spaß dabei. Und trotzdem müssen dann nicht immer Kinder kommen. Hast`s begriffen?«
Ja, hat er. Und deshalb will Hakim Juhari ab jetzt unterstützen bei ihrem Vorhaben. Schwer genug aber wird es wohl sein. Die Vier palavern aufgeregt durcheinander, versuchen sogar, eine gewisse Reihenfolge der Besuche festzulegen. Doch ob Hakim sich immer daran halten wird?
Es ergibt sich eine eigenartige Situation für Judith. Sie hat sich jetzt einen Mann mit zwei weiteren Frauen zu teilen. Je nach Lust und Laune Hakims hat sie damit zufrieden zu sein, von ihm begehrt zu werden oder nicht. In den ersten Tagen–die Hochzeit ist schon wieder Geschichte– mochte es für ihn reizvoll erschienen sein, die Neue öfters aufzusuchen. Juhari genießt es. Dann aber hat er die Gunst recht gleichmäßig zu verteilen, sonst gibt es Zoff in den Hütten. Doch hält der Schamane diese Dreifachbelastung durch? Als Heilkundiger sollte er allerdings gewisse Kräuterchen kennen!
Judith hat sich zwangsläufig den Stammessitten anzupassen. Aber sie macht es gerne. Dazu gehört auch, dass sie im Alltagsleben barbusig durch den Tag tänzelt. Auf ihrem Anwesen in Deutschland genossen die Familienangehörigen, sogar gemeinsam mit den Angestellten, zwar ebenso die hüllenlose Freiheit. Hier bei den Massai ist aber eine andere Lebensweise als oben ohne gar nicht vorstellbar. Nur zu den Festen zeigt man sich in aufwendigen, farbenfrohen Textilien.
Juhari trägt sehenswerte, festgeformte Busen, trotz ihrer vier nahezu erwachsenen Kinder. Das stößt bei Naturvölkern aber auf kein brennendes Interesse. Wichtig ist, dass die Weibliche Brust ausreichend Milch gibt, ob es nun Hängebrüste sind oder jugendlich geformte. Eher reizt die Männer schon eine gewichtige Frau. Ein fülliger Leibesumfang ist hier das Schönheitsideal. Bohnenstangen gelten als Hungerleider. Da vermag Judith nicht mitzuhalten, nach afrikanischer Auffassung ist sie kein Ideal, wegen ihrer schlanken Figur. Der Reiz Judith`s an dieser naturhaften Lebensweise besteht darin, kenianische Frauen zu >missionieren<. Nicht im Sinne von Religion, sondern im Hinblick auf die Mission Help, die aus ihrer eigenen Überzeugung entstanden ist.
Juhari erhält sich ihr besonderes Interesse an den hochgewachsenen, prächtig tätowierten Massai. Sie bemerkt paradoxerweise jedoch, dass Sex nicht mehr, wie bisher, im Mittelpunkt ihres Lebens steht. Wochenlange, aufgezwungene Abstinenz brachte sie offensichtlich zu einer anderen Sichtweise. Nicht die fast tägliche Beiwohnung, das Animalische, das sie oft in ihrer Villa praktizierte, sondern das Gefühlvolle mit einem (die Betonung liegt auf Einem)Massai. Vermag sie Hakim dahin bringen zu können, sie in Zukunft mit mehr Liebe zu umsorgen? Die Erkenntnis, dass Beschneidungen aus vielerlei Gründen mittelalterlich sind und daher bekämpft werden müssen, gewinnt im Denken der Frauen dieses Stammes zunehmend an Bedeutung.
Juhari ist überglücklich. Einmal über die Nachricht aus der Ferne, dass Arnold das Inferno offenbar ohne Schäden an Leib und Seele überstanden hat. Ebenfalls aber auch, weil sie bei den Massai überaus freundlich aufgenommen worden ist. Das ist keinesfalls als selbstverständlich anzusehen. Diese Menschen bilden ein stolzes Volk, das eiserne Verhaltenskodexe, seit vielen Jahrhunderten, pflegt.
Nach den Feierlichkeiten stehen jetzt wieder die ständigen, sich wiederholenden Alltagsaufgaben an. Da gibt es keine Privilegierung für Judith, nur weil sie eine Weiße und die dritte Frau des Hakim ist. Sie gedenkt sich auch nicht von den für sie ungewohnten, teilweise unappetitlichen Aufgaben auszuschließen. Nur dann wird es ihr möglich sein, mit ihren revolutionären Vorhaben nicht zu scheitern. Und das ist ihr wichtig.
Tagsüber bildet sie mit den anderen zwei Frauen des Hakim ein Team. Kinderbetreuung – obwohl es nicht ihre Eigenen sind – die Sorge um das tägliche Essen, und dass stets immer ausreichend Wasser in den Kalebassen ist. Dafür hat man oft weite Wege auf sich zu nehmen, je nachdem, wo noch ein Wasserloch etwas hergibt. Die jährlichen Trockenzeiten stellen ganz besondere und gefährliche Anforderungen an die Serengetibewohner. Die Trockenperiode ist zwar derzeit durch die Regenzeit abgelöst worden, doch auch die ist für Juhari äußerst gewöhnungsbedürftig. Der fast stündlich wiederkehrende Regen, für die Massai ein Segen, ist für Judith wegen des unzureichenden Schutzes reichlich unangenehm.
Da kommen bereits jetzt schon Problemchen auf sie zu, die sie in ihrem Enthusiasmus nicht bedacht hat. Aber da muss sie durch, wenn ihre Mission zum Erfolg führen soll.
Der Zusammenhalt unter den Dorffrauen gibt ihr die nötige Kraft. Die gegenseitige Kommunikation wird auch ständig verbessert. Es existiert ebenso eine Aufgabenverteilung, die von Tag zu Tag rochiert. Heute ist Juhari mit der Kinderbetreuung dran. Sechs hat Hakim bisher zustande gebracht, aber dabei soll es auch bleiben, hat Juhari beschlossen. Geburtenkontrolle ist ihr neben der Aufklärung über die Unsinnigkeit der Beschneidungen ein weiteres, wichtiges und ergiebiges Thema.
»Juhari«, sagte die jüngere Nyota, »heute ist Ikem irgendwie quengelig. Hoffentlich wird er nicht krank. Kümmerst du dich mal besonders um ihn? Ich hole dann mal frisches Wasser vom Fluss.«
Der Fluss ist nur ein kleines Rinnsal, außerhalb der Regenzeit nahezu ausgetrocknet. Dann muss man viel weiter laufen.
»Missawa, hallo, wie geht es denn dem lieben Ikem«. Es bringt zweifellos Vorteile für eine Familie, wenn die anfallenden Aufgaben von mehreren Schultern getragen werden. Wie in einer Firma, in der man Anforderungen delegiert. Ein Einzelner muss nicht alles machen wollen/müssen. Doch die Natur gab ein Vorbild ab. Affenclans und Elefantenherden sorgen sich fürsorglich auch um den Nachwuchs anderer Herdenmitglieder, wenn es erforderlich wird.
Der Junge ist gerade mal drei Jahre alt, und er mag die weiße Frau. Mit lachenden, dunklen Augen fixiert er Juhari. Perlweiße kleine Zähnchen stehen zwischen leicht wulstigen Lippen. Aber warum sieht die Tante denn so anders aus als seine Mutter? Das kann er noch nicht recht begreifen. Der Vater kümmert sich nicht besonders um ihn, Kinderaufzucht ist Frauensache. Das ändert sich erst wieder, wenn Jungen in ein Alter kommen, wo sie in den Stand der Moran aufsteigen wollen. Dann ist der Vater gefragt, weil der ihm ja hilfreiche Tipps zum Jagen zu geben vermag. Dann ist er voller Stolz auf seinen Sprössling, sofern er mit Pfeil und Bogen umgehen kann.
Es ist immer wieder verblüffend, zu erleben, wie Kinder nicht nur die Sprache der Mutter, sondern wie nebenbei ebenso eine zweite oder sogar dritte Ausdrucksweise lernen können. Wie bekommt ihr junges Denkzentrum es auf die Reihe, unterschiedliche Worte für ein- und dieselbe Sache treffend zuzuordnen?
Auch die anderen Kinder der Hakimfamilie scharen sich um Juhari. Sie ist nun mal noch etwas Besonderes im Dorf. Dabei denkt sie an die Jahre zurück, als ihre beiden Zwillingspärchen ebenso in diesem Alter waren. Wo ist doch die Zeit geblieben. Aber- wie sind auch die Monate vergangen, die sie und Arnold sich bereits in Afrika herumtreiben. Und dabei ist den Beiden kaum ein Gedanke an das Zuhause im fernen Deutschland gekommen. Die Erlebnisse, die in diesem Kontinent auf sie einprasselten, lassen sie ihre Villa nur in einem wabernden Dunst der Erinnerung durch ihre Gedanken schwirren. Was denken bloß der Gärtner, der Butler oder die zahlreichen Partygäste, die sich so oft zu supergeilen Spielchen getroffen haben. Für Judith und Arnold ist es ein neuer Lebensabschnitt, in den sie hier eingetaucht sind, der sie alte Zeiten fast vergessen lässt. Darüber muss sie unbedingt mit Arnold sprechen. Ob es ihm genauso wie ihr ergeht?
*
Die Beduinen sind mit den aus den Sandmassen Befreiten auf dem Weg ins Oasendorf, zu Arnolds Wüstenblume. Er sehnt sich nach ihr, weshalb, kann er sich selber kaum erklären. Ist es ihre Jugend, liegt es am Kind, das sie von ihm, den in ihren Augen fast greisenhaften Deutschen, erwartet? Und den sie auf Grund ihres ersten Gefühls in der aufgezwungenen Hochzeitsnacht erdolchen wollte?
»Mensch, Arnold, was bist du für ein Rindvieh« sagt er zu sich selber. Andererseits ist er happy, dass er so etwas noch zustande gebracht hat. Aber, so bedeutend ist das auch wieder nicht. Da haben sehr viel ältere Schafsköpfe schon die Menschheit vermehrt.
Der wiegende Gang des Kamels schaukelt Arnold alte Empfindungen in die Erinnerung. Ohne zu wissen, weshalb, kommen ihm ähnliche Gedanken wie zur gleichen Zeit Judith, obwohl sie doch tausende Kilometer voneinander entfernt sind. Das ist zweifellos ein Zeichen dafür, dass beide sich noch immer verbunden sind. Telepathie nennt man das, wenn räumlich Getrennte zeitgleich ähnliche Gedanken überkommen. Ein Phänomen, an dem bereits mancher Wissenschaftler zur Lösung geforscht hat. Hippokrates schon soll Überlegungen gleicher Art angestellt haben. Noch hat man keine Erklärung dafür gefunden, wie das sein kann, und gewiss ist das auch gut so. Als Juhari am Abend ihre Sitteraufgaben beendet hat und vor ihrer Enkaji sitzt, greift sie zu ihrem Phon und versucht, den Mann in Arabien zu erreichen. Hakim wird sie heute nicht besuchen; zu lange schon hat er seine beiden anderen Weiber nicht wohlgestimmt. Zuneigung, oder wenn es lediglich nur Bedürfnisse sind, immer ordentlich und gleichmäßig verteilen, ist hier Gesetz. In Juharis Kopfkino spielen sich Szenen ab, wie Hakim sie mit Nyota oder Hanaa erleben könnte. Doch Eifersucht kennt sie nicht, und wenn sie an diese beschnittenen Frauen denkt, die keine Lustgefühle erfahren. ...... Sie malt sich aus, mit welcher Freude hier die heiratsbereiten Mädchen entführt werden, sobald sich erst herumgesprochen hat, was für entfesselte Orgasmen man mit ihnen erleben kann.
Mit diesen Gedanken im Kopf wählt sie die Nummer Arnolds.
»Ja, Judith, ich freu mich, dass du gerade jetzt anrufst. Wir sind auf dem Weg nach Nafir, nicht mehr unter der Zeltplane. Dass wir alles soweit überstanden haben, ist ein Gottesgeschenk. Das war ein schreckliches Erlebnis, kann ich dir sagen. Das wünsch ich meinem ärgsten Feind nicht. Ich habe dem Schicksal nur dankbar zu sein. Araber würden beteuern, Allah habe viel Güte ausgeteilt. Was hast du erlebt, ich weiß von dir fast gar nichts, alles ging immer um meine Probleme.«
»Du bist also in Ordnung, keine Staublunge, nicht verdurstet, nur liebeshungrig?«
»Komm mal in solchen Sturm, da denkst du an alles Andere als an Liebe. Aber ja, ich freu mich durchaus, bald bei Mira zu sein. Kann nicht mehr lange dauern, dann sind wir da. Würde allerdings gerne auch von dir was hören. Bist du denn mit Kuhdung veredelt worden?«
»Ne, Schatz, soweit geht die Liebe zu den Massai doch nicht. Die Haare sind noch auf dem Kopf, und wir haben mehrere Tage lang gefeiert. Nicht nur meine Hochzeit – jetzt ist wohl jemand eifersüchtig? – ebenso haben drei andere Paare geheiratet. Da war hier richtig was los. Einige Stämme aus der weiteren Umgebung sind als Gäste ebenfalls dabei gewesen. Aber du hast doch gleichfalls Hochzeit gefeiert. Ging das bei euch nicht so hoch her?«
»Nein, das kam ja sozusagen aus der Leere. Bin ja quasi verkuppelt worden. Normalerweise sind da auch 500 bis 600 Gäste anwesend, bei uns war das aber nicht so. Man hat mich überrumpelt, besaß keine Möglichkeit der Gegenwehr, außer, ich hätte mir die Feindschaft der Oasenbewohner zugezogen. Du hast deine Sache im Unterschied dazu lange geplant.«
»Soll das ein Vorwurf sein? Die Männer hier haben mich fasziniert, groß, bunt tätowiert, halb nackt und kräftig. Bloß Liebe machen, das können sie nicht. Noch nicht. Da habe ich dran zu arbeiten. Aber da kennst du mich ja. Das bring ich den Wildböcken schon bei. Doch so wild auf Schwanz bin ich nicht mehr, bin ruhiger geworden. Das liegt auch in den Ritualen begründet. Dieser Hakim, also mein Hiesiger, hat zwei weitere Muttis. Da geht der Liebestanz schön geordnet reihum, damit es keinen Ärger gibt. Und der Herr entscheidet selbst, welche er in der Nacht besuchen will, denn jede hat einen eigenen Enkaji. Da bin ich nicht sooft dran, auch wenn ich es gerne hätte. Da hast du es mit deiner Blutjungen viel besser.
Aber – sagte ich es schon? Ich habe vor, Afrika, zumindest die umliegenden Stämme, zu missionieren. Dabei halte ich es mit Hermann Gmeiner, dem SOS-Kinderdorfgründer:
Ein Tropfen im See zieht Kreise. Die Religionen greife ich nicht an, wohl aber die Beschneidungsriten, die den Frauen die Lust am Schnackseln nehmen. Die Kerls hier sind dabei blöd: Die sagen, wenn die Weiber noch Schamlippen haben, wäre das ungesund, und gut aussehen täte es ebenfalls nicht!! Und ihr Gott hätte es sogar verboten!! Mehr Lust in der Liebe, aber weniger Kinder dabei machen – das ist das, was mir vorschwebt, ich den Burschen beibringen will. Da muss ich natürlich selber vorpreschen, nützt ja nichts. Drei Mitstreiter habe ich schon – hättest du auch Lust, mitzumachen?«
»Weia, da hast du dir ja wirklich was vorgenommen. Und dabei soll ich helfen? Ich weiß nicht. Ich hab hier ja Mira. Und das Kind, das kommt. Ich könnte zwar ebenso zwei oder drei Weiber haben, wie dein Hakim, doch alles in einem Harem vereint. Fremdgehen ist hier lebensgefährlich.«
»War ja nur ein Vorschlag, mir bei der Mission zu helfen. Aber besuchen wirst du mich können. Damit ich mal sehen kann, was die Umstände mit dir angestellt haben. Seid ihr bald angekommen?«
»Ich meine, ja. Werde dir berichten, wie das Wiedersehen abgelaufen ist. Hab ja immerhin ein junges Ding zu betreuen, und die kann enorm aufreibend sein. Bin ja auch kein gerade geschlüpfter Falter mehr. Hattest du schon mal was an mir zu bemängeln?«
»Soweit ich mich zu erinnern vermag, warst du noch immer ganz gut drauf. Auch von Anderen hab ich keine Klagen gehört.«
»Das freut mich zu hören. Werde bei Gelegenheit wieder klingeln. Tschüss.«
»Tschüss, du Kamelreiter.«
Sie beendeten das Gespräch, kurz bevor die Truppe das Oasendorf erreichte. Bei Heimkehrenden macht man in der Regel kein besonderes Aufheben von der Ankunft. Alles ist Kismet. Entweder Allah ist dafür oder dagegen.
Mira aber freute sich doch sehr, auch wenn sie das zunächst, im Einklang mit der Sitte, nicht so zeigen darf. Evas haben da erstmal im Hintergrund zu stehen. Die bestimmenderen Personen sind die Alten. Die ehrt man, und deren Rat ist begehrt, wie ein Gesetz, auch, wenn der Rat manchmal unzutreffend sein mag. Das ist wie bei einem Richterspruch. Die Allgemeinheit erwartet, dass die Recht sprechenden in jedem Fall zutreffend urteilen, was aber bekanntermaßen nicht immer so ist. Als das Zeremoniell mit Tee und Gebäck beendet war, durfte sich auch Mira zu ihrem Mann begeben. Zärtlich strich sie ihm zur Begrüßung über den Rücken. Küssen ist jedoch unangebracht. Das sind westliche Unsitten, die vom Propheten verboten sind. Manches ist aber durch die heutige, aufgeklärte Zeit überholt. Wie das Fasten im Ramadan auch. Was macht es für einen Sinn, bei Sonne in Askese zu verfallen, um dann am Abend umso kräftiger zuzuschlagen? Aber das hat jeder mit sich selber auszumachen, nur zu seiner eigenen Überzeugung sollte man Andersdenkende allerdings nicht zwingen.
Mira freute sich auch, dass Botho mal wieder dabei ist. Seine Sprachkenntnisse tragen doch wesentlich dazu bei, eine flüssigere Unterhaltung führen zu können. Arnold muss sich weiterhin abrackern, arabisch zu lernen. Und Mira etwas englisch oder deutsch.
Die Unterkünfte der Oase sind recht widerstandsfähig errichtet. Da war nicht allzu viel vom Sturm beschädigt worden. Hier und da ein Fenster eingedrückt, bei Einer war das Wellblechdach weggeweht. Das war nicht so prekär. Auf den Obstplantagen und bei den Dattelpalmen sieht es dagegen grauenvoll aus. Die künstlich angelegten Bewässerungsgräben sind zum größten Teil zugeweht und manche der Palmen abgeknickt. Der Zyklon hat die Stämme wie Korkenzieher zugerichtet. Die müssen gerodet werden und taugen nur noch zu Feuerholz.
Arnold sieht sich nunmehr als Stammeszugehöriger in der Pflicht. Er gehört ja jetzt, auch wenn er Europäer ist, zum Klan. Mira wurde seine Frau, ein zusätzlicher Erdenbürger hat sich bereits angekündigt. Außerdem hat man ihm zweimal das Leben gerettet. Arnold wird einige Millionen springen lassen. Er hatte sie sich hart verdient durch Kontakte, welche durch seinen Matratzensport geknüpft worden sind. Auch Botho stellt einen erheblichen Beitrag finanzieller Art in Aussicht. Die Schäden an den Anlagen dürften sich damit beheben lassen. Wären die Europäer nicht unvorhergesehen aufgetaucht, hätten den Bewohnern nach dieser Katastrophe zweifellos schwere Zeiten bevorgestanden.
Der Zyklon hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Ein Großteil der Plantagen ist verwüstet, im wahrsten Sinne des Wortes. Da, wo durch reichliche Wasserzufuhr mittels intelligent angelegter Gräben Obstplantagen gedeihten, erheben sich jetzt Sandberge. Und ein erheblicher Teil der Dattelpalmen, die stets einen guten Gewinn gebracht haben, sind wie Strohhalme abgeknickt worden. Die Stämme liegen kreuz und quer, wie Stäbe beim Mikado, herum. Doch das sind wirtschaftliche Schäden, die sich durch die finanziellen Zuwendungen Arnolds und Bothos ausgleichen lassen. Zum Glück haben die Oasenbewohner keine körperlichen Blessuren erlitten. Sie vermochten sich in ihren Hütten zu verbarrikadieren, so, wie sie sich früher gegen räuberische Beduinen geschützt haben. Man hat zwar ungeheure Ängste ausgestanden, Mira auch um den Mann, den sie in der Wüste den Naturgewalten ausgesetzt wusste. Das aber ist überstanden. Jetzt sollte man in die Zukunft blicken, das Leben einer taufrischen Familie steuern.
Wird der Deutsche da nicht überfordert sein? Ungewohntes Klima, ein unverbrauchtes Weib, das sein Recht fordert, ein Kind, das erwartet wird, die Frau in Kenia, die sich zu einer Missionarin entwickeln will. Erhebliche Anforderungen, denen sich der Sechsundfünfzigjährige gegenüber sieht.
Und was sagt Mira dazu?
»Arnoldi, das Kismet hat uns zusammengeführt. Warum ausgerechnet dich? Du warst für mich ein Ungläubiger, ein Giaur, den man vernichten muss. Ich hatte es auch vorgehabt, in der Hochzeitsnacht. Zum Glück aber habe ich den Dolch, den ich bereitgelegt hatte, nicht erreichen können. Es sollte nicht sein, und das war gut so. Ich liebe dich!«
Das war eine Offenbarung, die Arnold völlig unvorbereitet traf. In der Hochzeitsnacht, in Arabien, erdolcht werden? Was hat ihn denn davor bewahrt? Vielleicht erneut der Gott Engai auf dem Vulkanberg in Kenia? Langsam glaubt Arnold wirklich, dass es unerforschte Energieströme gibt, die das Leben auf Erden lenken oder zumindest beeinflussen. Geahnt hat er es bereits länger. »Da hab ich aber in der Tat Glück gehabt, nicht von dir gepieckst worden zu sein,« fragt Mira dazwischen:»Gepieckst, was ist denn das?« »Jo, mei,« Arnold fällt ungewollt in den bayrischen Dialekt, den er so gerne hört, »piecksen sagt man, wenn man jemanden leicht sticht, nur in die obere Hautschicht. Hättest du wirklich, mit aller Kraft, zugestoßen?«
»Ich würde es getan haben. Die Steinigung wäre mir zwar wohl sicher gewesen, doch das war mir egal. Ich wollte dich nicht. Möglich aber auch, dass der Imam mich als Märtyrerin betrachtet hätte. Es gäbe ja immerhin einen Ungläubigen weniger.«
»Muss ich mich immer noch vor dir in acht nehmen, wenn wir uns lieben, heute Abend zum Beispiel?«
»Aber Arnoldi, das ist vorbei. Ich liebe dich. Und ich brauche einen Vater für mein Kind. Da werde ich dich doch nicht. ....«
»Auch nicht, weil ich noch eine andere Frau habe?«
»Ich kenne es so, dass Männer mehrere Frauen haben können. Ich würde die Andere–wie heißt sie denn?«
»Judith«
»gerne mal kennenlernen. Geht das?«
»Da könnte man mal drüber nachdenken. Judith weiß jedenfalls von dir, auch, dass du ein Kind bekommst. Von mir. Sie war nicht böse, hat ja ebenfalls einen anderen Mann geheiratet, einen Massai.«
»Einen Afrikaner? Wie kommt sie denn an den?«
»Sie machte eine Safari, also Urlaub, in Tansania und Kenia. Dabei muss sie den wohl kennengelernt haben. Er ist ein Schamane, wie Judith mir sagte, als ich mit ihr telefonierte. Er hat mir das Leben gerettet, als ich von der Tarantel gestochen worden war. Aber das weißt du ja bereits.«
»Wohl auch so ein Kismet wie zwischen uns beiden. Bekommt sie von dem auch Kinder, die dann schwarz-weiß sind?« »Glaube nicht, sie ist ja schon älter. Und der Mann hat zwei andere Frauen und damit sechs Kinder. Hat Judith oder Juhari, wie sie da heißt, mir gesagt.«
»Aber Liebe machen kann sie noch gut? Besser als ich?«
»Mira, du bist jung, Judith ist älter. Du bist wild und feurig, Judith hat jetzt eine ruhigere Art. Ich mag und genieße Beides. Und sie hat mit ihrem kräftigen Moran auch wohl heiße Gefechte auszutragen. Aber ob er sie immer besiegt? Ich mag euch beide.«
»Ich hab nur dich. Eine Arab kann keine zwei Männer haben, höchstens nacheinander, wenn der Erste gestorben ist und sie Glück hat, vielleicht seinen Bruder zu bekommen. Sonst muss sie einsam leben oder wird zur Schlikka.«
»Ach, Mira, wir wollen doch nicht schon wieder vom Sterben reden. Das haben wir gerade erst durch und sind nochmal davon gekommen.«
Botho saß dabei, hörte zu und grinste sich eins. Das meiste musste er übersetzen, wobei Mira dann rot anlief. Auch Arabermädchen haben ein Gefühl für Schamhaftigkeit.
So ging der Tag des Wiedersehens langsam in den Abend über. Botho hatte diesmal keinen wundgerittenen Hintern, aber er gäbe alles dafür, wenn er wieder wie vor einigen Wochen behandelt würde. Ob die Wundbehandlerin von damals sich wohl abermals um sein körperliches Wohlbefinden kümmern wird? Er weiß noch immer nicht, wer es war.
Zur Wiedersehensfeier hatte wieder ein Hammel dran glauben müssen, das Dorf dankte aber ebenso seinem Schöpfer, dass keine Menschenleben zu beklagen sind. Auch wenn es ein Fest zwischendurch ist: Ein derartiges Inferno möchte niemand erneut erleben. Doch Wüstenbewohner müssen stets damit rechnen.
Fast alle Bewohner des kleinen Oasendorfes versammelten sich um das mit Kameldung angeheizte Feuer. In der Regel gibt es keinerlei Holz zum Verbrennen hier. Nur jetzt, nach dem Sturm, die abgedrehten Palmenstämme. Aber die brennen noch nicht, müssen erst trocknen. So würden sie stinkenden Qualm in die reine Luft schicken. Deshalb sind es auch keine hochauflodernden Flammen, um die man sitzt. Ein kuscheliger Brand ist es, der alle nur spärlich beleuchtet. Da wagt es sogar Mira, näher an Arnold heranzurücken und in ihm eine andere Glut zu entfachen. Sie weiß durchaus, was sie will. Er aber auch.
»Mira, hast du dir wieder einen Dolch zurechtgelegt«, flüstert Arnold, »oder kann ich ganz beruhigt neben dir schlafen?«
»Heute hoffe ich, dass DU eine Waffe besitzt, denn du wirst doch unser Kleines gegen Angreifer verteidigen?«
So frotzelten die beiden, ehe sie sich mit vollgeschlagenen Bäuchen in ihre Hütte verzogen. Es ergibt sich höchstwahrscheinlich eine angenehmere Nacht als unter dem Zeltleinen mit dem Wüstensand drauf. Und Botho? Eine Bleibe zum Übernachten hat man immer für einen Gast, aber ob er wieder Besuch erhalten wird?
*
Juhari ist beliebt bei den Stammesangehörigen der Ndorobos. Sie hat sich schnell integriert, was Voraussetzung ist, um ihr Vorhaben, Beschneidungen von Mädchen und Frauen zu verhindern, in die Tat umsetzen zu können. Der Anfang ist gemacht. Ihre >Mitfrauen<, also die zwei anderen Schönen der Nacht, und auch Hakim, hat die Neue mit beredten Worten zu überzeugen vermocht. Das Problem aber sind, wie immer, die Männer. Wenn Juhari diese Spezies hinter sich gebracht hätte, stände ihrer Mission kaum noch etwas im Wege. Doch die Beherrscher ihrer Sippen, welche einzig ihren Gott über sich akzeptieren, wollen von ihren Jahrhunderte alten Ansichten nicht lassen. Vom Irrglauben, dass unverstümmelte Frauen unästhetisch, krankheitsanfällig, begehrlich für Andere und ein Geburtsrisiko darstellen. Welcher Guru hat den Kriegern das bloß in die Gene übertragen. Deshalb verzichtet diese Gattung Mensch eher auf die Genüsse der Nächte, als sich bekehren zu lassen. Männern könnte ja ein Stein aus der Krone fallen.
Juhari wird aber nicht mit der Axt durch den Wald flitzen. Sie weiß, dass ihre Überzeugungsarbeit Zeit benötigt. Aus dem Grunde sind Kinder, und besonders Mädchen, ihre bevorzugten Ansprechpartner. Als Allererstes möchte sie dazu beitragen, den Analphabetismus zu bekämpfen, weil das der Einstieg ins Verständnis ihrer Mission ist. Sie versucht, zunächst eine Schule zu gründen, eine Dorfschule unter freiem Himmel, die offen wäre für alle Dorfbewohner, welche etwas mehr von der Welt kennenlernen möchten.
Hakim, Juharis Zweiter, hat sein Wissen durch Überlieferung erhalten. Vom Vater auf den Sohn, denn so wird in den Ländern Afrikas die Heilkunde weitergegeben. Das ist nicht uneffektiv, mancher Kranke ist durch das Wissen um die Kräfte der Natur geheilt worden. In nicht wenigen Fällen versagte aber auch die Kunst der Schamanen. Dann war es eben der Wille der Götter, weil der Hilfesuchende nicht im Sinne der Geister gehandelt hat.
Juhari ist nun keineswegs eine ausgebildete Lehrerin, aber um den Massai ein Grundwissen an Schrift und Zahlenrechnen zu vermitteln, reicht es allemal. Man ist ja nicht in Europa, wo jeder i-Punkt durch ein Zertifikat belegt sein muss. Hier kommt es auf Intuition an, und die ist bei Judith in reichem Maß vorhanden.
Es sind einige Wochen nach den Hochzeitsfeierlichkeiten vergangen. Hakim hat gewisse Bedürfnisse ehrlich und gleichmäßig auf seine Frauen aufgeteilt. Keine fühlt sich vernachlässigt, auch Juhari nicht. Wenn sie sich am Morgen danach vor ihren Hütten treffen, wird ausgiebig über die Nacht palavert. Hanaa und Nyota hatten in der Hochzeitsnacht Juharis ja hautnah miterlebt, wie sie mit ihrem gemeinsamen Mann umgegangen ist. Nicht Hakim hat seinen Willen durchgesetzt, sondern die weiße Frau. Und es hat die beiden Spanner dermaßen fasziniert, dass sie ebenfalls erleben möchten, wie atemlos man (Frau) doch werden kann. Nur- sie sind beschnitten. Da fehlen ihnen die Attribute, die zur Lusterzeugung vonnöten sind. Ein Grund mehr, Juhari in ihrer Mission zu unterstützen. Die zukünftige Generation soll von den erregenden Genüssen nicht länger ausgeschlossen bleiben. Aber man sieht auch ein, dass eine Geburtenkontrolle wichtig für die Welt und für ein besseres Auskommen mit dem Einkommen auch bei den Massai erforderlich ist.
Es liegt kein Plan vor, nach dem der Schamane seine Frauen beehrt. Das passiert immer recht spontan. Deshalb weiß am Morgen niemand, wessen Nest der Hahn nächtlich wohl besucht hat. Aber dann wird gegackert.
»Wer von euch hat denn heute Nacht Besuch erhalten« fragt Juhari neugierig, »und wie war er denn?« Hakim war dieses Mal bei Hanaa. »Er ist ruhiger geworden, nicht mehr so hektisch wie sonst immer. Das hast du wohl bewirkt, Juhari«, meint Hanaa.
»Na ja, ruhig ist gut. Er sollte ja nicht einschlafen. Dafür musst du schon sorgen. Lass ihn zunächst lange zappeln, streichel ihn genüsslich, das ist auch für dich von Vorteil. Wo er empfindlich ist, hab ich euch ja erzählt. Wie er auf hätscheln reagiert, konntet ihr miterleben. Dann habt ihr beide was davon.« »Wie ist das denn mit deinem Mann, der in Arabien ist«, wird Juhari gefragt.
»Das hab ich schon fast vergessen, ist so lange bereits her«.
»Hey, du willst uns das bloß nicht sagen. Erzähl doch mal, sonst berichten wir dir auch nichts mehr«. »Na ja, als wir noch jünger waren, haben wir uns ganz schön verrenkt dabei, und wir haben uns meistens mehrmals in der Nacht geliebt. Aber bei uns gibt es ja auch die Pille, die ihr nicht nehmen sollt. Das muss den Männern als Erstes beigebracht werden, entweder Kondome, oder das Verhütungsmittel für die Frau. Nur Unwissende sind dagegen, und dann wird die Welt überbevölkert, und es gibt Kriege, weil nicht genug zu Essen für alle da ist.«
»Ja, du hast Recht, das glauben wir beide auch, Hanaa und Nyota. Aber wo bekommt man diese Pille hier in Kenia?«
»Hakim wird das wissen, bestimmt in Nairobi, vielleicht auch in einer kleinen Stadt in der Nähe. Ich brauch die Pille nicht mehr, bin in den Wechseljahren. Hanaa mit einundvierzig ebenfalls?«
»Was ist das, Wechseljahre. Was wird denn dann ausgewechselt?«
»Nein, nichts wird ausgewechselt, nicht, dass ihr neue Arme oder Beine bekommt. Frauen werden dann einfach nicht mehr schwanger.«
»Und wie kommt das? Wenn von Rindern keine Kälber mehr kommen, werden die geschlachtet, denn dann geben die auch viel weniger Milch. Das hab ich bei Menschen aber noch nicht gesehen.« »Na ja, geschlachtet wird eine Frau nicht, bloß weil sie keine Kinder mehr bekommt, doch schon mal aus dem Harem verstoßen. Dann ist sie einsam, muss sich ihr Essen als Schlikka verdienen. Das ist nicht schön; es soll verhindert werden, indem die Frau für den Mann immer begehrenswert bleibt. Und das kann man erreichen, wenn sie nicht beschnitten ist.«
»Wieso das?«
»Weil sie für den Mann, besonders, da sie keine Kinder mehr bekommen kann, trotzdem begehrenswert bleibt. Daher auch mein Gedanke, die Aufgabe, bei der ihr mir helfen könnt.«
»Ja, wenn du uns das so erklärst, sind wir dabei!«
Da hat Juhari nun ihren ersten richtigen Aufklärungsvortrag gehalten, und sie hat das Empfinden, dass er auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Gilt nur noch, sämtliche Massai von der Geburtenkontrolle durch Kondome und Pille zu überzeugen, denn das haben die Burschen bisher konsequent abgelehnt. Aber leicht wird es für Juhari nicht werden, das Verhalten der Moran zu verändern.
Es ist eine ausgezeichnete Gepflogenheit, morgens, nach dem Sonnenaufgang, der in der Gegend von Nairobi fast konstant gegen 7:30 ist, ein Schwätzchen unter den Frauen zu halten. Dann vermag man seine Erlebnisse der Nacht auszutauschen. Meistens hört man, dass der Mann sich mal wieder wie ein Rind benommen hat, oder, dass die Kinder krank sind und unleidlich sind. Es werden aber auch die bevorstehenden Tagesarbeiten besprochen, die jedoch meistens immer gleich sind. Ein Tagesablauf, der sich stets fast bis aufs i-Tüpfelchen wiederholt, ist für Juhari wie Fliegen auf der Banane oder Gift im Wasser. Damit mag sie sich nicht abfinden. Die Moran sind in der Regenzeit um diese Morgenstunde mit ihren Herden längst auf Wanderschaft zu saftigem Gras. In der Trockenperiode sucht man auf weiteren Wegen Wasser und vertrocknete Pflanzen zu finden. Dafür, das zu entdecken, haben die Naturmenschen ein untrügliches Gespür entwickelt. Evolutionsbedingt, denn davon hängt ihr Überleben ab.
Nach ihren Hin-und-her-Gerede wartet für die Frauen, auch Juhari, das Wäschewaschen, die Beerensuche und Kinderbetreuung. Die Deutsche widmet sich Letzterem besonders gerne, sieht sie doch darin die Möglichkeit, gegen die Beschneidungen anzukämpfen. Denn Mädchen werden manchmal bereits kurz nach der Geburt, spätestens aber zum Zeitpunkt ihrer ersten Menstruation verstümmelt. Jungen erleiden die Tortur, bei der sie keinen Schmerzenslaut von sich geben dürfen, wenn sie das Ritual zum Moran erreichen. Dann sind sie etwa 12 Jahre alt.
Es gibt allerdings noch einen anderen wesentlichen Punkt, der für Juhari erklärungsbedürftig ist. Denn die Beschneidungsrituale sind Festtage, und darauf soll man dann verzichten? Da müsste ein anderer Grund zum Feiern gefunden werden. Vielleicht der Abschluss der Schulzeit? Oder der Beginn einer Lehre? Das wäre doch allemal etwas Sinnvolles!
Hakim ist aufgeschlossener als die meisten anderen Männer. Er hat auch begriffen, woher der Strom für die Handys kommt, nämlich von der Sonne. Schwer verständlich war zunächst für ihn, weshalb man mit dem kleinen schwarzen Gerät zu Anderen sprechen kann, die man nicht sieht. Jetzt ist er begeistert über diese Technik. Als er vor einigen Wochen nach Taveta marschieren musste, um Judiths Akkus aufladen zu lassen, meinte er, Strom würde in Kalebassen geschüttet werden. Daher hatte er die Tonkrüge mitgenommen und war sehr erstaunt, dass die Elektroenergie, die er noch nicht mal sehen konnte, nur in solch kleine, schwarze Kästen gefüllt wurde. Infolge dessen ist er quasi vom Mittelalter in die Neuzeit katapultiert worden.
Deshalb leuchtet ihm auch ein, weshalb Männer Kondome und Frauen die Pille benutzen sollten. Ebenfalls, dass die Jugend Lesen und Schreiben lernen muss. Rechnen können sie bereits- mit ihren zehn Fingern. Denn es ist wichtig, zu wissen, wie viele Rinder und Ziegen ihr Eigentum ist. Das ist ihr gesamter Reichtum, und darauf sind besonders die Massai sehr stolz. Um den Besitz zu vergrößern und um Weiber sind unter den Stämmen Kenias blutige Kriege geführt worden.
Juhari ist ein Geschenk von Engai, ihrem Gott auf dem Vulkan Ol Doinyo Lengai, wie Hakim fest überzeugt ist. Er liebt seine weiße Frau, nicht nur in der Nacht.
Verstümmelungen weiblicher Genitale sind in Kenia und anderen Ländern rund um den Victoriasee seit vielen Jahren offiziell verboten. Außerhalb der explosionsartig gewachsenen Städte Nairobi, Mombasa, Nakuru oder Kisumu, wo eine solche Menge Menschen leben, dass man sie nicht mit den Fingern berechnen kann, hält sich die Landbevölkerung jedoch nicht an die Gesetze. Aus Sicht der Humanbiologie ist eine Geburtenkontrolle daher alternativlos. Allerdings so, wie es die Chinesen praktizierten, darf sich das hier in Afrika nicht wiederholen. Ein Kind pro Mann und Frau, weitere wurden kurz nach der Geburt getötet, insbesondere Mädchen.
Nairobi hatte 1969 509.265 Einwohner, 2009 waren es bereits 3.133.500, Mombasa 1969 247.000 und 2009 915.000, Nakuru 1969 47.100 und 2009 286.411. Ein großer Teil dieser explodierenden Einwohnerzahlen sind wohl Zuzüge aus dem ländlichen Raum, aber die Geburtenrate ist ebenfalls enthemmt. Das sind erschreckende Zahlen, und jetzt sind wir im Jahr 2016, aus dem noch keine aktuellen Zählungen vorliegen. Allein in diesen Zeiträumen ergibt sich eine Bevölkerungszunahme in Nairobi von 615% und in Mombasa von 370%. In Kimili kam man von 725 auf sagenhafte 41.115. Wohin soll das führen, wenn Juhari da nicht aktiv eingreift?
Viele unwissende Bewohner vom Land meinen auch, ihre Lebenssituation in den Städten wäre besser. Absolut das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Metropolen verkommen zu Wellblechslums und Abfallhalden.
Was daraus folgt? Jede Familie sollte einen Fernseher besitzen, mit mindestens einem Fernsehprogramm, das nicht bereits um 20:00 seine Sendung einstellt. Damit müsste man sich die Zeit vertreiben, nicht mit täglichem Schnackseln. Auf Juhari kommt viel Arbeit zu.
*
Aber auch in der Wüstenoase wird es eine Menge Arbeit geben, allerdings anderer Art, als in Kenia. Hier werden alle gesunden Hände gebraucht, um die Sturmschäden auf den Feldern wieder zu beheben. Neben den Millionen, die Arnold zu investieren bereit ist, wird er ebenfalls körperlich beteiligt sein. Nicht nur im Bett der Frau, die nicht mehr daran denkt, ihm das Leben zu nehmen.
Jedenfalls nicht dann, wenn Arnold seinen ehelichen Verpflichtungen uneingeschränkt nachkommt. Wenn nicht, könnte es recht unangenehm für den Europäer werden.
Ein Leben wie bisher in der heimischen Villa, sprungbereit auf jeder Party, darf er sich hier nicht leisten. Nur wenn er sich einen Harem anschaffen würde wie sein Gönner Scheich Badshah Abu Salamah, hätte Mira das hinzunehmen. Doch wie würde Judith darauf reagieren?
Lang ist`s her, dass Arnold Vaterfreuden (oder Lasten?) entgegengesehen hatte. Und damals war er ein noch junger Mann, der sich um zwei Zwillingspaare zu kümmern hatte. Peinlichst war er daher darauf bedacht, außerhalb seiner Ehe keine weitere Vaterschaft einzugehen. Jetzt, auf Urlaubsreise in den heißen Ländern des Orients, hat es ihn getroffen. Aber wie hätte er sich auch anders entscheiden können: Es gab nur zwei Möglichkeiten; entweder sich die Feindschaft der Oasenbewohner zuzuziehen oder sich mit dem jungen Mädchen verheiraten zu lassen. Da zog er doch die Ehe mit einem Arabermädchen vor. Dass er dabei nur einem günstigen Umstand zufolge dem Meuchelmord entgangen ist, hat er erst sehr viel später erfahren. Jetzt freut er sich auf sein Erzeugnis, das noch in geschützter Hülle heranwächst. Der Sturm hat Mutter und Kind keinen Schaden zugefügt.
Und Judith?
Sie ist zwar Abenteuern nie abgeneigt gewesen, nicht daheim und nicht auf der Safari, wie sie Arnold berichtet hat. Damit befriedigte sie jedoch nur menschliche Gelüste; eine Trennung von Tisch und Bett kommt für sie keinesfalls in Frage. Da muss man sich halt arrangieren.
Botho hat noch immer nicht herausbekommen, wer ihm bei seinem ersten Besuch in Nafir nächtens die wundgerittene Sitzfläche so angenehm versorgt hat. Der Engel verstand etwas von körperlichen Zuwendungen. Es wurde jedoch kein Wort bei der Wundversorgung gesprochen, nur über die Lippen des Lädierten kamen manchmal wollüstige, von Zeit zu Zeit auch schmerzerfüllte Laute. Die Unsichtbare hatte alles fest im Griff. Zum Dank für ihre Hinwendung versäumte es Botho abschließend nicht, ihr mit einem spontan kredenzten Cocktail seine Dankbarkeit zu bezeugen. An eine Handvoll Dirhamscheine kam er so flott nicht heran.
Das ist die Erinnerung an die erste Oasennacht. Doch mit dieser einen Wundversorgung war es nicht abgetan. So schnell lässt sich eine lädierte Sitzfläche nicht heilen. In den Nächten, die er mit Arnold hier weilte, hat die Unsichtbare die heilenden Streicheleinheiten wiederholt, bis er dann wieder reitfähig in jeder Hinsicht geworden war. Dem Himmel sei Dank für diese Samariterin. Ob die Unbekannte sich heute wiederum die Gnade Allahs verdienen will?
Arnolds Spezi war kurz vorm Einschlafen, als sich der Vorhang seiner Hütte bewegte.
»Fremder, hast du wieder Schmerzen, von denen ich dich befreien könnte?« flüsterte es in den Raum hinein.