Читать книгу Die Neugeburt der Ehe - Hans Sterneder - Страница 7
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Es ist Nacht. Eine wilde, finstere, sturmdurchtobte Nacht.
Es ist lange her, dass der Sturm kam. Den ganzen Tag liefen riesige graue Wolken über den Himmel, endlos, wie auf der Flucht. Und als die Aveglocke läutete, hörte man sie kaum; denn da war er da. Mitten in den Wolkenheerscharen, die aus unendlich weiter Ferne hertrieben. Wohl von der gewaltigen Nordsee her.
Und nun sind Stunden vergangen seither, und es ist stockrabenfinster.
Aber der Sturm ist noch immer da. Der Sturm ist geblieben und brüllt und schreit und donnert, dass man Hören und Sehen verlieren kann.
Und das kleine, weltabgeschiedene, weltvergessene Dorf liegt mitten in der großen, polternden Finsternis. Ganz allein zwischen seinen weiten Feldbreiten, Waldzügen, Hügeln und köstlichen Weinrieden.
Ich habe das Licht gelöscht und spähe und lausche in die Nacht.
Ein halbes Leben lang lebe ich hier schon; aber das ist eine besondere Nacht heute. Es kann keiner schlafen im Dorf. Ich weiß, sie liegen alle wach in den Betten und lauschen und starren. Und haben etwas im Blut, das auch ich im Blut habe. Eine Spannung, ein großes, unheimliches Warten. Auch das Vieh ist unruhig in den Ställen und kann sich nicht hinlegen, denn selbst die Tiere fühlen dieses unheimlich Beklemmende im Blut.
Es ist wie eine mächtige, unerklärliche Bangnis im Dorf. So, wie wenn die Feuerglocke gellt und alles auffährt und die angstvolle Frage von Mund zu Mund springt: ... Brand?
Und es ist doch auch wiederum anders: so, wie wenn ein tückischer Riesenalb, ein Nachtmahr, von irgendwo ins Dorf gekrochen wäre und sich über alle Dächer gelegt hätte.
Ich weiß, jeder spürt es und jeder wartet; wir alle sind durch diese heimliche Erregung verbunden und harren auf etwas. Auf etwas, das wir nicht kennen, das wir aber wissen, fühlen und das bleischwer in uns ist.
Das Dorf liegt ganz finster in der durchheulten Dunkelheit. Nur das Scheppern der Fensterscherben, die in den bleiernen Flickbändern zittern, greint zag durch die Straßen wie das erlöschende Wimmern eines Kindes.
Und über den Himmel jagt es immerzu wie Legionen großer und kleiner pechdunkler Dämonen, die mit breiten, schlagenden Flügeln dahinbrausen.
Es ist gut, dass die Bauern die Unholden nicht sehen und auf ihren Strohsäcken liegen! Und dass erst recht die Jungbrut sie nicht wahrnimmt! Es ist zu unheimlich! Fliehen die Unholde oder stürmen sie an?
Ob so oder so, es ist ein Gepferch am Himmel, dass nur ganz selten einmal ein Stern zwischen den Flatterflügeln aufblitzt. Wie gut, dass sie immer wieder durchbrechen! Man würde sonst das Rasen nicht sehen und könnte meinen, die Gespenster rotten sich alle über dem Dorf zusammen, um es zu erdrücken.
Manchmal, auf Augenblicke bloß, wird es stiller; dann hört man das heisere, aufbegehrerische Kreischen des alten Turmhahns am Knauf oben. Was der wohl in die Meute zu schreien wagt! Schließlich, er kann sich’s erlauben; er war schon da, als der große Weltenheiland über die Erde ging und ihm das Arge geschah! Er kennt die Dämonen. Und wenn er sich dortmals zu krähen getraut, warum soll er heute es nicht wagen, gegen sie aufzubegehren? Sie den Menschen kundzutun, über die sie sich drohend verballen?
Und manchmal, ganz unerwartet, wuchtet es an die Wand, dass ich meine, das Gemäuer müsse nachgeben und einbröckeln.
Dann wieder donnert es auf in der Gasse, wie wenn stampfende Pferdehufe über die Eichenbohlen alter Korntennen trampen. Doch das ist Täuschung! ... Im nächsten Augenblick schon Stille! ... Atemstille!
Aber die Sinne trauen nicht, sie lauern. Sie fühlen, dass es nicht zu Ende ist! ...
Da! Was ist das? ...
Sickert es nicht aus den Mauern wie altes, uraltes Gewimmer, das endlich frei geworden ist und nun verzweifelt durch die Gassen irrt? Ganz so wie eine große Schuld oder eine große Not! Sieht man es nicht förmlich, wie es die Häuser entlangschlurft?
Gleich ist es wie das Gestöhn von Sterbenden, die in schwerer Unruh von der Erde gingen; dann wieder wie das Gejammer und Geschluchze schmerzgepeinigter, hartangefasster Weiber. Aber auch wie Schreie Entbindender, die sich in den Krämpfen messerstechender Wehen winden und werfen.
Aber während man genau zu wissen glaubt, dass es aus den Mauern bricht, ist man sich plötzlich vollkommen bewusst, dass es aus dem Boden kommt. Das angestrengt hinhorchende Ohr nimmt es deutlich wahr: ... klägliches Jaulen und Stöhnen eines Hundes! ... Wie kommt der Hund unter die Erde? ... Es ist unerträglich – das Schreien dieses lebendig begrabenen Hundes!
Aber es ist nicht der Hund allein! ... Wachen die Toten auf? ... Suchen die Begrabenen ihre Gebeine wieder zusammen? Es ist kaum zu ertragen, dieses leise und doch so vernehmliche Schürfen von spitzen Ellbogenknochen, das Schüttern und Klappern, das Schnaufen und Atemziehen.
Ist der Jüngste Tag angebrochen? ...
Bleibt unten, ihr Alten, haltet Ruh! Was schiert euch der Sturm! Was geht euch der Jammer an, der aus dem Hausgemäuer kriecht! Was kümmert euch der krähende, heisere Turmhahn? Er gilt nicht euch, sein Ruf! Was scheren euch die brausenden Dämonen und die bebende Erde! Bleibt liegen, ihr Toten! Bleibt! Im Namen des ewigen Gottes, ich will es!
Und ich muss denken: Das kommt davon, wenn die Bauern auch ihre Toten bei sich haben müssen, rings um die Kirche liegend, mitten im Dorf!
Aber ich kann auch dem nicht nachsinnen, denn wie ein wild einbrechender Regenschauer gellt es plötzlich von oben herab: höhnisches, meckerndes Gelächter, so unerwartet und heftig an mein Gesicht brechend, dass ich zurückfahre. Aber schon tollen die Spukgeister weiter, sind im Garten zwischen meinen Obstbäumen und reißen an ihnen herum, dass die alten Stämme ächzen und knacken und die Kronen aufbrodeln wie siedendes Wasser.
Ich lebe doch schon eine schöne Weile, aber solch eine Nacht habe ich noch nie erlebt. Und ich weiß, auch die Bauern denken so.
Das ist kein Sturm wie Stürme sonst sind!
Das ist was anderes; da ist etwas ganz anderes am Werk!
Das hat eine ganz andere Bedeutung! Wir spüren es alle irgendwie! Jede Seele im Ort! Jedes Vieh! ... Ja, ich glaube, sogar die Erde fühlt es und der Bach, der durchs Dorf rinnt!
Ja, natürlich fühlt es die Erde! Warum stieße sie sonst derart mit ihren Flanken ... Hu, jetzt wieder! So deutlich, so gruselig deutlich! – Warum schürften und klapperten die Toten sonst so unter der Erde!
... Es ist mit einem Mal unerträglich. Ich halte es nimmer aus!
Ich muss die Lampe anzünden ...
Und nun sitz ich im alten Stuhl, in dem mein Großvater immer saß, und atme tief.
Der Vorhang schlägt und flaggt zuckend in die Stube.
Ganz von selbst langt meine Hand nach der hundertjährigen Bibel mit den vergilbten Blättern, in der mein Urahn mütterlicherseits, der Schäfer mit den schneeweißen Haaren und dem langen Silberbart, sein Lebtag gelesen, und ich schlage sie auf, irgendwo, um mir starke Ruhe durch das Buch zu holen.
Und das Alte Testament redet zu mir also:
„Und der Herr sprach: Es ist ein Geschrei zu Sodom und Gomorra, das ist groß, und ihre Sünden sind gar schwer. Und er sandte zween Engel, und sie kamen gen Sodom des Abends; Lot aber saß zu Sodom unter dem Tor. Und da er sie sah, stund er auf, ging ihnen entgegen und bückte sich mit seinem Angesicht auf die Erde und sprach: Sehet, liebe Herren, kehret doch ein zum Hause eures Knechts und bleibet über Nacht. Und sie kehrten zu ihm ein und kamen in sein Haus. Aber ehe sie sich legten, kamen die Verderbten der Stadt Sodom und umgaben das Haus, jung und alt, das ganze Volk aus allen Enden und forderten von Lot die Männer, auf dass sie sie zu Schanden brächten und verderbten.
Lot ging heraus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel!
Sie aber sprachen: Gehe hinweg! Und sprachen auch: Wohlan, wir wollen dich übler plagen denn jene. Und sie drangen hart auf den Mann Lot.
Und da sie hinzuliefen und wollten die Tür aufbrechen, griffen die Männer hinaus und zogen Lot zu sich ins Haus und schlossen die Tür zu.
Und schlugen mit Blindheit groß und klein, bis sie müde wurden und die Tür nicht finden konnten.
Und die Männer sprachen zu Lot: Hast du noch irgend hie einen Eidam und Söhne und Töchter, und wer dir angehöret in der Stadt, den führe aus dieser Stätte.
Denn wir werden diese Stätte verderben, darum weil ihr Geschrei und Gottlosigkeit groß ist vor dem Herrn; der hat uns gesandt, sie zu verderben.
Da ging Lot hinaus und redete mit seinen Eidamen, die seine Töchter nehmen sollten: Machet euch auf und gehet aus diesem Ort; denn der Herr wird diese Stadt verderben. Aber es war ihnen lächerlich.
Da nun die Morgenröte aufging, hießen die Engel den Lot eilen und sprachen: Mache dich auf, nimm dein Weib und deine zwo Töchter, dass du nicht auch umkommest in der Missetat dieser Stadt.
Da er aber zögerte, ergriffen die Männer ihn und sein Weib und seine zwo Töchter bei der Hand und führten ihn aus der Stadt.
Und sprachen draußen: Errette deine Seele und siehe nicht hinter dich und stehe nicht in dieser ganzen Gegend.
Und Lot ging, und als die Sonne aufgegangen war auf Erden, kam Lot in die Stadt Zoar.
Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra, und kehrte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte, und was auf dem Lande gewachsen war ... und es ging ein Rauch auf vom Lande wie ein Rauch vom Ofen“ ...
*
Schwer liegt meine Hand auf dem ewigen Buch. Und schwer geht das Herz in meiner Brust.
Denn ich sehe vor mir den Geist der Zeit und die ganzen Geschehnisse. Ich sehe die Menschen der Städte, Marktflecken und Dörfer in ihrer Oberflächlichkeit, Flüchtigkeit und Gejagtheit. Ich sehe die Leere ihrer Seelen und die Gottesferne ihrer Herzen. Ich sehe ihren Wahn und ihr verkehrtes Leben. Ihren furchtbaren Fluch: – das Meiden der Stille und der Versunkenheit, die ewige Flucht vor sich selbst in den Lärm und die ständige Unrast. – Ich sehe das Sterben der Ideale in ihnen und ihr kühles, gedankenloses Schreiten über die ewigen, heiligen Sittengesetze! Sehe die ungeheuerliche Giftsäule, die aus dem ganzen Lande bricht aufwärts in den reinen, heiligen Himmel.
Und ich erlebe, wie unheimliche Wolken sich bilden und aus ihnen Feuer und Schwefel bricht und alles vernichtet: Städte, Menschen und Tiere und alles was da lebte ohne Gott und in der Sünde der Gedanken- und Gewissenlosigkeit.
Und mein Sinn ist gefangen, so dass ich das tobende Drohen des Sturmes vergesse.
Noch einmal greife ich wie geschoben ins Buch, und vor mir liegt Jesajas Gericht über die Verderbtheit des Volkes, und das uralte Buch redet:
„Und das Volk wird Schinderei treiben, einer an dem andern und ein jeglicher an seinem Nächsten; und der Jüngere wird stolz sein wider den Alten und der geringe Mann wider den Geehrten.
Denn Jerusalem fällt dahin und Juda liegt da, weil ihre Zunge und ihr Tun wider den Herrn ist, dass sie den Augen Seiner Majestät widerstreben.
Ihres Wesens haben sie kein Hehl und rühmen ihre Sünde wie die zu Sodom und verbergen sie nicht. Wehe ihrer Seele! Denn damit bringen sie sich selbst in das Unglück.
Prediget von den Gerechten, dass sie es gut haben; denn sie werden die Frucht ihrer Werke essen.
Wehe aber den Gottlosen! Denn sie haben es übel, und es wird ihnen vergolten werden, wie sie es verdienen.“
Ich muss Einhalt tun, denn es liegt plötzlich etwas auf meiner Brust, das ist zentnerschwer. Und während ich vor mich hinstarre, auf die Zeilen, ohne sie zu sehen, höre ich wieder den Sturm draußen, und er ist so wütend und grausig, so dröhnend und schütternd, dass es ist, als ob unter seiner Macht alles zusammenbrechen müsse.
Herrgott, was willst du? Gebiete Einhalt dem Sturm, denn er ist furchtbar und macht das Gemüt zittern und füllt es mit Bangnis.
Aber da liegt das Buch – und das Buch antwortet:
„Kinder sind Gebieter meines Volkes, und Weiber herrschen über sie. Mein Volk, deine Leiter verführen dich und zerstören den Weg, da du gehen sollst.
Aber der Herr stehet da zu rechten und ist aufgetreten, die Völker zu richten.“ -
Wie benommen ist mein Sinn. Dröhnenden Posaunen gleich wuchten die Worte des Propheten durch meine Seele, und die Gewalt des Sturmes ist in mir, so mächtig, dass er das Blut ungestüm durch meinen Leib treibt wie in der Ferne die wilden Wogen des Meeres.
Ist das Zufall?
Sollen dieser unheimliche Sturm und die Worte der Bibel Zufall sein?
Nein! Denn es gibt keinen Zufall!
Und es fährt jäh durch mich, wie der grellende Blitz durch die Finsternis fährt, und ich weiß mit einem Schlag, was dies alles bedeuten soll!
Ich verstehe mit einem Mal diese unheimliche Nacht, den Sturm, der kein Sturm ist, das Beben der Erde, das Stöhnen der Mauern, das Wimmern der Toten – und ich verstehe die seltsamen Worte der Heiligen Schrift!
Die Stunde ist reif geworden. Es ist die wilde, furchtbare Drohung des geschmähten Himmels und der geschändeten Erde; es ist der Verzweiflungsschrei Hunderttausender ruhlos durchs Jenseits irrender Menschenseelen!
Es ist der Aufruhr der Dämonen, die durch die friedlos chaotische, sittenentbundene Menschheit aus ihrem stummen Lauern gelöst worden sind.
Und ich weiß mit großer Beklemmung, dass die Menschheit im Wandel der Zeit wieder einmal in die furchtbare Tiefe gesunken ist von Sodom und Gomorra.
Sodom ist einst gewesen, der Herr aber tat den Himmel auf und hat die Sünder vernichtet.
Zeitläufe waren und gingen hin über die alte Erde, und die Sünde wuchs und schrie zum gestirnten Himmel, und der Allmächtige gab das Zeichen dem Firmamente. Und ein Mond löste sich aus seiner Bahn und strebte zur Erde, die Wasser brachen aus der Feste des Himmels, und Atlantis sank in die Tiefe der Meere!
Ja, Sodom war oft und Sodom ist wieder in heutigen Tagen!
Ist „das Geschrei“ nicht wieder „groß und die Sünden gar schwer“?
Und ich höre ihr Gellen, auf tut sich mit einem Mal mein Auge, und wie noch nie so gewaltig erlebe ich unter der Wucht des Sturmes und der Propheten die fürchterliche Chaotik unserer Zeit!
Ich sehe die Erde und sehe ihren Leib ringsum bedeckt mit scheußlichen Geschwüren, und wie ich sie näher betrachte, sind es die Leiber breitliegender Kröten, die mich mit stumpfen, ausdruckslosen Augen anstieren – – – und ich fühle, dass sie das erschreckende Spiegelbild sind der kalten Seelenlosigkeit unserer Zeit.
Und ich wende den Blick, um dem Bild zu entgehen, aber wohin ich starre, liegen die trägen Tiere und glotzen mich an. Da kommt ein Ungeheuer zwischen ihnen heran, hastig, den Kopf tief zu Boden geneigt, groß wie ein Berg, das mit wühlendem Rüssel schnaufend vor Emsigkeit durch die Erde und die Leiber der Menschen bohrt, dass Erdreich und Körper hochfliegen: – die trostlose Besitzsucht der Gegenwart.
Und der Anblick dieses stumpfsinnigen Riesentieres ist so widerlich, dass ich heftig die Augen schließen muss.
Doch da ist ein fauchendes, giftiges Zischen, und wie ich die Lider öffne, ist die Erde umringelt von dem schillernden Leib einer ringsum böse züngelnden Schlange.
Ich weiß, die Schlange ist die zügellose Geschlechtslust, die als große Entehrung über der heutigen Menschheit liegt.
Und ich verstehe plötzlich den Sturm und höre, was er schreit.
Ja, tote Herzen, Lug und Trug, Ichsucht, Besitzgier und Wucher, Mord und Unzucht, wohin das Auge blickt!
Die Keuschheit billig weggegeben, die innere Lebenshaltung verloren.
Über allem aber das Geld!
Geld ist der Gott ihres Morgengebetes und ihres Abendgebetes. Und mögen sie sich hundertmal Christen nennen und von Kultur reden, über sie wölbt sich unsichtbar doch die Tempelkuppel jener anderen von ihnen zur Gottheit erhobenen Macht, der sie als Knechte dienen und der sie alles opfern und hingeben: Reinheit und Frieden, Liebe und Wahrheit, Herz und Seele, Ehrfurcht vor Gott!
So wird die Seele der Jugend versucht von Vorbild und falscher Erziehung, und was Vorbild und Umstände nicht verderben, das verdirbt der Wahn der Eltern und der törichte Anspruch der Jugend der „modernen“ Zeit gegenüber.
Ohnmächtige Hilflosigkeit bei den Eltern und überhebliche Torheit bei den Kindern sind die Übel der Jugend in geschlechtlicher Hinsicht.
Und während die Priester in den Gotteshäusern der Erde ihre Messen zelebrieren, ihr Gebet zum Himmel senden und den Segen des Ewigen auf Erde und Menschheit erflehen; und jene anderen falschen Priester, die sich die Hüter des Weltfriedens nennen, in kläglichen Tempeln des Völkerbundes tagen und tagen und immer wieder tagen – dröhnen die Eisenhämmer, sprühen die Stahlbäche, rüsten die Kainssöhne Tag und Nacht die Waffen des Todes. Erfinden die Chemiker aller Länder Giftgas um Giftgas. Brechen die Physiker in die heiligen Tempelbezirke des Lebens, ergründen sie den „Bauziegel des Weltalls und aller Schöpfung“: das Atom. Doch statt vor der neuen Erkenntnis, die das bisherige Weltbild von der Allgewalt des Stoffes zerschlägt und an dessen Stelle das souveräne Primat des göttlichen Geistes offenkund macht, sich in erschauernder Ehrfurcht zu neigen, missbrauchen und schänden sie diesen „Feueratem der Gottheit“.
Bauen sie mit ihm Wasserstoffbomben, mit denen sie die Menschen aus dem göttlichen Frieden reißen und in die Unwürde ständiger Angst stoßen, indem sie den dunklen Machthabern der Erde die Mittel in die Hände geben, ihre satanischen Gewaltlüste bis auf den Gipfel gänzlicher Zerstörung des göttlichen Lebens und aller Kultur auf Erden zu treiben.
Ersinnen und konstruieren sie Weltraumraketen, mit denen sie – die sie nicht im Geringsten gelernt haben, weder auf der Erde noch in ihrer eigenen Brust Ordnung, Sitte und Liebe zu halten – von vermessenem Wahn erfüllt nach fremden Unschuldssternen fliegen und in ihren Frieden einbrechen möchten, um dorthin nicht etwa Liebe, Reinheit und Wahrheit zu bringen, sondern die trübe Chaotik ihres Seins wie eine verschlingende Seuche zu tragen und auf sie ihre unbarmherzige Ichsucht, ihre unersättliche Habgier, ihre Zügellosigkeit, den Raub, den Mord und die Unterjochung wie ein schauriges Bahrtuch zu legen.
Arme Brüder, die ihr dereinst Abel sein werdet!
Aber über Abel und Kain steht Gott! Und es dröhnt ein schauriger Ruf durch die Welt, der da heißt: – Mein ist die Rache!
Hüte dich, Kain, der du die ganze Erde vergewaltigst, dass du nicht mitten in deinen Tücken von deiner unersättlichen Gier selber erschlagen wirst, denn das Maß deiner Schuld ist vollgerüttelt!
Immer größer wird die Trägheit und Kälte der Herzen dem Mitmenschen gegenüber.
Doch während alles um die neue, dreieinige Gottheit: Geld, Macht und Geschlechtslust tanzt – beginnt ringsum die Erde zu beben, auf der die Menschheit so sicher zu stehen meint.
Häufen sich die Zeichen, ballen sich – während die dunklen Tyrannen in unersättlicher Gier an unermessliche Macht und Herrlichkeit denken, die sie bis hinein in die Tiefen des Weltenraumes dehnen möchten – die entfesselten Kräfte des geschändeten Atoms immer bedenklicher in der Atmosphäre zum kommenden Sintbrand zusammen.
Legen sich Angst, Gejagtheit, Verlust jeder Freiheit und Ersterben des Friedens der Seele wie eine stumpfe Verzweiflung um die Erde. Erlischt immer mehr das für das wahre Leben so notwendige Ruhen in sich, das erst den wirklichen Menschen formt.
Immer mehr werden die Menschen zu von der Managerkrankheit entwürdigten Robotern, zu Automaten.
Hetzen ist ihre Parole.
Äußerlichkeit und Gepferch sind der Triumph der Masse. Millionen von Menschen stürmen dauernd, selbst bei Regen und Sturm, auf die Fußballplätze, verstarren sich bis zur Raserei in den fliegenden Lederball, den stoßenden Fuß.
Beten mit angehaltenem Atem die tobende, rohe Geschwindigkeit lebloser Motoren an, bringen johlend und brüllend ihrer Gottheit, dem muskelschwellenden Boxer ihren Tribut dar, beben tausend weibliche Leiber in fiebrig schwärmender Ekstase, wenn seine derbe Tatze den Gegner zu Boden schlägt.
Hängen Legionen junger Menschen an den geist- und gemüttötenden, übelste Geräusche auskreischenden Musikboxen. Verzerren sich Gliedmaßen und Gesichter in kläglichen Verrenkungen. Kauen hunderttausend Kiefer in gedankenträger Mechanik den importierten Kaugummi.
Alles Äußerlichkeit, ihr ganzes Leben eine einzige, seelenlose, furchtbare Äußerlichkeit!
Überall eine dauernde Flucht vor sich selbst!
Doch wie soll es auch anders sein?
Die Wissenschaft ist trotz all ihrem emsigen Gebaren blutleer, denn sie findet vom Trug nicht zur Wahrheit, geht vom vergänglichen, nur die Hülle darstellenden Stoff nicht zur unvergänglichen, geistigen Wesenheit.
Die Gelehrten schnitzeln, zupfen, rechnen und mikroskopieren – aber wenngleich sie auch immer und ewig ein und demselben begegnen: der Weisheit, dem Wunder und der heimlichen Intelligenz, so ist ihnen dies doch nie und nimmer Antrieb, vom tauben Stoff zum wissenden, ordnenden, lenkenden Geist hinzustreben und die Ehre Dem zu geben, der all dieser Weisheiten und Wunder Schöpfer und Lenker ist.
Sie suchen nach etwas, dem sie krampfhaft ausweichen, das sie nicht zugeben, leugnen Gott und wissen nicht, dass sie Ihn ewig in Händen haben.
Und die Diener Gottes stehen auf den Kanzeln und reden zu den Menschen viel von jenem Gott, den die Wissenschaft nicht finden kann und nicht finden will. Sie mühen sich redlichsten Herzens, ein lebendiges Gott-Erleben in die Gläubigen zu senken. Aber es gelingt ihnen schwer, denn nicht nur der furchtbare, geist- und somit gottfeindliche, materialistische Zeitgeist steht gegen ihr Bemühen, sondern sie selbst haben sich der anschaulichsten Hilfe begeben, durch die der in Ewigkeit unsichtbare Gott den Menschen nah und gegenständlich wird: der Natur und der unausschöpfbaren Wunder ihrer Geschöpfe.
Denn durch nichts kann der Mensch so anschaulich und nah vom bloßen, nur gedanklichen Gott-Glauben zum blutvollen, lebendigen Gott-Erleben geführt werden, wie durch die Wunderwerke der Geschöpfwelt und den hinter diesen Geschöpfformen waltenden und webenden unsterblichen Geistwesen, den schöpferischen Gedanken Gottes!
Mit bloßem, vagem Gott-Glauben ist wenig gedient, wie uns dies ja die Gegenwart so bitter zeigt. Der Mensch muss zum bewussten Gott-Erleben kommen, wenn er ein wirklich lebendiger, das ist ein kosmisch-religiöser Mensch werden soll.
Zu diesem lebendigen, bewussten Gott-Erleben aber führt ihn nichts so anschaulich wie die Versenkung in die Wunderwerke der Natur, diesen sichtbaren Spiegelbildern der ewig unsichtbaren und doch so nahen Gottheit.
Da die Kirche aber diesen Weg über das Wunderreich der Natur nicht wählt und die Wissenschaft nur im Stoffe bohrt und den Weg zum Geist nicht finden will – den nun allerdings das Atom machtvoll geöffnet hat und weist – und sie der Kirche somit keine zwingende Hilfe gibt, so haben sich die Worte des Propheten Jesajas erneut bitter erfüllt:
„Kinder sind Gebieter meines Volks, und Weiber herrschen über sie. Mein Volk, deine Leiter verführen dich und zerstören den Weg, da du gehen sollst.“
Ja, sie alle, die derzeitigen Machthaber der Erde, ob Politiker, Trusthäuptlinge, Industriekapitäne, Bankdirektoren, Feldmarschälle, Generäle und Diplomaten, die heute den Völkern gebieten, sind wie unreife Kinder!
Denn sie alle sind – wie das Huhn, das emsig Körner pickend den Kopf ständig zum Boden gewandt hat – an die Erde gebunden und sehen, wie dieses, den Himmel nicht; sehen nur den Stoff und nicht die großen, ewigen Gesetze, welche ihn und alles Leben bewegen und die tausendmal unverrückbarer und mächtiger sind als alles Stoffes Herrlichkeit! Wohl wähnen sie Herren zu sein und mit der Rücksichtslosigkeit ihrer kühlen Herzen das Leben und die Völker beherrschen zu können, so wie die Materie, auf welche sie schwören und die sie zu zwingen glauben, ohne zu bemerken, wie diese sie versklavt.
Und so wie ihr ganzes Leben auf der niederen Form der Hingabe an die Materie und ihren Umsatz steht und die Werte der Seele und des Geistes bei ihnen und den meisten Menschen kaum etwas oder nur ganz wenig gelten – so ist auch ihre Beziehung zum Weibe, durch die der Mann erst seine Erfüllung und Vollendung finden sollte, ebenfalls auf die untere materielle Stufe gestellt. Und somit auch ihre Beziehung zum Geschlecht. Das Weib ist ihnen nicht priesterliche Beraterin und Ergänzerin des anderen Teiles ihres Seins, sondern ist ihnen nur Vorsteherin ihres Hauses und Erfüllerin ihrer geschlechtlichen Bedürfnisse. Darum ist die Bindung in diesen Ehen mehr als gering und sind Ehebruch und Scheidung die selbstverständliche Norm und nahezu ein modernes, zerstreuungschaffendes Gesellschaftsspiel.
So schändet der Großteil der Menschheit durch diese grobmaterielle Lebensführung dauernd die Erde und den Himmel.
Und die Erde wird immer unwilliger über dieses antigöttliche Tun, legt Dürre über große Landstriche, reißt Taifune und Stürme vom Himmel, gießt riesenhafte Überschwemmungen in die Weichbilder der Menschen, reißt sich den Leib auf und wirft das Feuer ihres Inneren unter sie, geißelt sie mit Hungersnöten, schicket Seuchen und mahnt sie eindringlich mit den immer mehr zunehmenden, atomaren Spannungen in der Atmosphäre.
Doch die Kinder der Erde lesen diese dauernden Mahnungen kalten, teilnahmslosen Herzens in ihren Morgenblättern mit jenem kurzen, flüchtigen Blick, den sie zwischen Frühstück und ihrem ersten Geschäft übrig haben, und lassen diese Hiobsbotschaften als neugierigen Prickel über sich laufen, eh sie erneut hinabsinken in die finsteren Klüfte ihres monotonen, gejagten, materiellen Lebenstrottes.
Diese gottgeistferne, materielle Lebensführung der Menschheit – wobei dem Europäer und heutigen Amerikaner das Ehrenverdienst zukommt, dass er die drei anderen Erdteile verseucht und vergiftet hat – ist so groß und die stete Ausstrahlung derselben so gewaltig geworden, dass sie bereits den Rhythmus der Erde und des Himmels zu stören beginnt, so dass die Jahreszeiten das ihr von Gott gegebene Gleichmaß verlieren und aus ihren Gesetzen fallen, Sommer sich in Herbste, Winter sich zu halben Sommern oder aber zu polaren Kältephänomenen verwandeln.
Schon ist die Schuldenlast der Menschheit so groß, dass sie die alle Völker der Erde in ihren Fluch ziehenden, beiden Weltkriege auslöste, die nicht Männer allein, sondern ebenso Greise, Frauen und Kinder zu Hekatomben hinmordeten. Ihre Explosionen erschütterten die ganze Erde und waren das wuchtigste Zeichen, das beredteste Menetekel, dessen Vibrationen noch immer in unheimlicher Gewalt über die Erde laufen, ständig bereit, auszuholen zum dritten, nahezu alles Leben auslöschenden Schlag des Sintbrandes.
Aber so sehr die heiligen Bücher auch mahnen, Himmel und Erde Zeichen geben und die geknechtete, geschändete Menschheitsseele sich selber aufbäumt in höchster Verzweiflung – die Menschen sehen die Zeichen wohl, denken aber nicht darüber nach, die Menschen hören die Rufe, halten aber nicht Einkehr; sie sind wie die künftigen Tochtermänner Lots, von denen uns Moses berichtet: „... und Lot redete mit ihnen, aber es war ihnen lächerlich“.
Ein Großteil der jungen Mädchen unserer Tage werfen ihr lilienhaftes Jung-Frauentum hin wie ein nutzloses Ding, gehen mit struppigem Haar, engen Hosen und brustumspannenden, die Reize freimütig zur Schau stellenden Pullovern.
Viele Jünglinge lassen sich Bärte wachsen, tragen beinumringelnde Cowboyhosen aus schäbigstem Drillich, lassen ihre Oberkörper überhängen wie Urwald-Orang-Utans, tragen faselnde Kofferradios an der Seite ihres erwählten Mädchens, damit ihnen diese Quasselkästen das keusche Liebesweben der Seele ersparen.
Unendlich viele Frauen, die nicht wie die Menge anderer redlich ihrem Beruf oder der Heiligkeit ihres Muttertums hingegeben sind, leben nur an der Oberfläche des Lebens, ihr dauernder Hausfreund ist die Langeweile, ihre üble Freundin die Vergnügungssucht – ihre Zerstreuung der Flirt, ihre Gottheit ist ihr Leib und die Eitelkeit.
Und die meisten Männer sind morgens ehrgeizig und abends müde, denken Geschäft und immer wieder nur Geschäft, jagen ihm nach von früh bis spät, glauben zu treiben und werden getrieben, erraffen sich fast süchtig die Managerkrankheit und haben als einzige Würze des Lebens den Alkohol und die Weibslust. Doch auch sie haben ihren ehrfurchtgebietenden Gott: das Geld!
So lebt ein erschreckend großer Teil der Menschheit das Leben des Wahnes und der Schuld, bis die Worte des Propheten Jesajas sich vollends erfüllen:
„Und der Herr spricht: Darum, dass die Töchter der Erde stolz sind und gehen mit aufgerichtetem Halse, mit geschminkten Angesichtern, treten einher und schwänzen und haben köstliche Schuhe an ihren Füßen, so wird der Herr die Scheitel der Töchter der Erde kahl machen, und der Herr wird ihre Geschmeide wegnehmen.
Zu der Zeit wird der Herr den Schmuck an den köstlichen Schuhen wegnehmen und die Hefte, die Spangen, die Kettlein, die Armspangen ... die Flitter, die Ringe, die Haarbänder, die Feierkleider, die Mäntel, die Schleier, die Spiegel, die Koller; und wird Gestank für guten Geruch sein, und ein Strick für einen Gürtel, und eine Glatze für ein kraus Haar, und für einen weiten Mantel ein enger Sack; solches alles anstatt deiner Schöne.
Deine Mannschaft wird durchs Schwert fallen und deine Krieger im Streit.
Und ihre Tore werden trauern und klagen, und sie werden jämmerlich sitzen auf der Erde.
Dass sieben Weiber werden zu der Zeit einen Mann ergreifen und sprechen: Wir wollen uns selbst nähren und kleiden; lass uns nur nach deinem Namen heißen, dass unsere Schmach von uns genommen werde.“
Doch obwohl die Menschheit seit den Tagen der beiden Weltkriege und Geißelung einen bitteren Vorgeschmack der Wahrheit bekommen hat, dass aller Stoff und Besitz hinfälliger Staub ist, den die nächste Bombe zerstäubt; und die Versklavung an ihn Wahn ist – ich sage die Versklavung und nicht die weise, ausgewogene Beschäftigung mit ihm! –, da das Leben „hinschwindet wie das Gras und des Grases Blume“, so ist ihnen diese Mahnung doch noch immer „lächerlich“.
Der aber, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der starrt mit beklommener Seele in das Wahnsinnskarussell dieser Welt und fragt: Wie lange noch?
Wie lange noch darf die abgeirrte Menschheit es so treiben? Wie lange noch währt Gottes Geduld? ...
Und wieder ist in meinem Ohr der Sturm, und die Mahnung des Himmels ist so furchtbar und schaurig, dass mir Eiseskälte den Rücken hinaufkriecht und ich die Hände an die Ohren presse.
Aber der Sturm ist da und ist so unerbittlich, dass er durch die geschlossenen Tore meiner Sinne dringt.
Da reiße ich ein Schwefelholz an, entzünde erneut die Kerze, greife noch einmal nach dem Heiligen Buch, sorglich das Alte Testament meidend, und schlage mit hastigen Fingern die Evangelien der Liebe auf, lichten Trost mir erhoffend für diese schreckliche Stunde, und er, der Weltenheiland, dessen Liebe ohne Ende ist, spricht zu mir:
„Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Bethsaida! Wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, wie bei euch geschehen sind, sie hätten vorzeitig im Sack und in der Asche Buße getan.
Und du, Kapernaum, die du bist erhoben bis an den Himmel, du wirst bis in die Hölle hinuntergestoßen werden. Denn so zu Sodom die Taten geschehen wären, die bei euch geschehen sind, es stünde noch heutigentags.
Doch ich sage euch: Es wird dem Sodomer Lande erträglicher gehen am Jüngsten Gericht als dir.“ –
Trost! ... Trost! – Nirgends ein Trost – und draußen die Nacht mit ihrem wilden, furchtbar mahnenden Toben.
Ich möchte rufen, dass es in jedes Menschen Behausung, in jedes Herz, über die ganze Erde dringt.
Menschen! Brüder! Haltet ein mit eurem zu weltlich gewordenen Tun, das den Himmel beleidigt! Höret die Mahnung, sehet die Zeichen, die über die Erde flammen!
Haltet ein, besinnt euch!
Verharret nicht blind und taub wie die Leute zu Sodom und Gomorra im Zustand eurer Verirrung!
Kehret ein, wendet euch wie Lot und seine Töchter und wandert aus in das neue, gelobte Land eines stoffdurchschauenden, geisthegenden, gottgefälligen Lebens!