Читать книгу EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF - Harald Kanthack - Страница 3
ОглавлениеEs ist Morgen geworden. Du drehst und windest dich, streckst die Glieder, vielleicht noch ein behagliches Räkeln. Dann entschlüpfst du der Bettwäsche wie das Insekt seiner Gespinsthülle, seinem Kokon, in dem es sich als Larve verpuppt hatte. Und ein neues Leben beginnt. Für das Insekt, warum für dich nicht auch? Weil du dich an Vergangenes erinnerst, das Morgen schon vor Augen hast, somit das Gewesene und das noch Kommende das Geschehen des heutigen Tages beherrschen.
Diese Nacht hätte aber auch die deines letzten Atemzugs sein können. Nach dem Einschlafen wärst du dann gänzlich eingeschlafen und aus der Bewusstlosigkeit nicht mehr erwacht. Jedoch: du bist wieder aufgewacht, du lebst! Solltest du nicht für diesen neuen Tag, für dieses von neuem geschenkte Leben dankbar sein? Solltest du nicht von Morgen zu Morgen jeden neuen Tag bewusster und freudiger erleben? Ihn frohgemut als das empfangen, was er im Grunde jedes Mal wieder ist – ein wunderbares Geschenk aus dem unerschöpflichen Reservoir der Ewigkeit.
Die Frage richtet sich nicht an diejenigen, die jeden Morgen bedauern, wieder aufgewacht zu sein. Denen ihr Leben nicht als Geschenk, sondern als Fluch erscheint. Den zu verdrängen sie sich in den Konsum der verschiedensten Rauschmittel flüchten. Ihre Lebensunlust muss mit ausgeprägter Feigheit verbunden sein. Es steht ihnen ja frei, sich jederzeit aus dem Leben zu entfernen. Warum tun sie es nicht? Ihre Mutlosigkeit wird wohl das Primäre sein. Sie erst verursacht ihre Lebensverdrossenheit. Und zweifellos wird das Leben um so intensiver genossen, mit um so mehr Wagemut es geführt wird. Den Mutigen gehört die Welt, ist eine alte Volksweisheit, die aber dem Mutlosen nicht hilft. Er mag das einsehen, wird aber niemals aus seiner Haut heraus kommen. Dagegen diejenigen, die den Mut hätten, ihr Leben zu beenden, in der Regel dazu keine Veranlassung sehen.
Noch aus einem weiteren Grund wird so manchem mit seinem Leben Hadernden der Suizid riskant und die folgende Thematik überflüssig erscheinen. Er liegt in seiner pessimistischen Grundhaltung, die ausschließt, mit diesem üblen Leben sei es nach dem Tode ein für alle mal vorbei – was ja aus seiner Sicht positiv zu bewerten wäre. Folglich erwartet er für die Zeit nach seinem Exitus eine Fortsetzung der Misere. Seine Ansichten decken sich demnach mit den hier im weiteren vorgetragenen, weisen jedoch ein negatives Vorzeichen auf.
Du aber, der du das Leben bejahst, als das kostbarste Geschenk empfindest, deine Freude endet nicht, denn du lebst, hast schon immer gelebt und wirst auch in Zukunft ewig leben. So wie esMorgen wird, wird es Mittag, wird es Abend und wieder Morgen. Was aber versteckt sich hinter diesem ‘es‘?
Indes, die Tippfinger sind soeben vorausgeeilt. Langsam bitte und der Reihe nach – aber nicht nach einer pedantisch geordneten.
Kommen wir somit zum Urknall, nach landläufiger Meinung der Beginn von allem Sein. Wenn das auch deine Überzeugung ist, ausgeliehen bei der Meinungsverleihorganisation, die in der Folge ’MVO’ genannt wird und deren Direktion unbekannt ist, so bedenke: diese an dich verliehene Meinung wirst du wieder zurückzugeben haben im Austausch gegen eine neue Leihgabe, die durchaus das Gegenteil der vorherigen enthalten kann.
„Und auf vorgeschriebenen Bahnen zieht die Menge durch die Flur; den entrollten Lügenfahnen folgen alle – Schafsnatur !“ (Goethe)
Die erfolgreich bis auf weiteres von der Wissenschaft entwickelte, dann von der MVO emittierte These, der Urknall sei der Beginn des Universums gewesen, muss natürlich bei Menschen, die gerne selbst denken und danach zu einem eigenen und nicht entliehenen Standpunkt gelangen, ein verständnisloses Kopfschütteln, wenn nicht herzhaftes Lachen auslösen.
Das Universum – Weltall und Kosmos sind genau so treffende Worte – ist alles, was ist. Demgemäß zum weitaus größten Teil etwas, was wir gar nicht kennen und von dem wir gar nichts wissen. Nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand soll das All zu 73 Prozent seiner Masse aus Dunkler Energie und zu 23 Prozent aus Dunkler Materie bestehen. Klingt gewichtiger als: „Wir wissen nicht, aus was der Kosmos eigentlich besteht.“ Die restlichen vier Prozent werden normale Materie genannt mit der Einschränkung, selbst davon sei nur ein Zehntel für uns sichtbar. Und alle diese wie alle anderen wissenschaftlichen Verlautbarungen sind vorläufiger Natur. Unser bisschen Wissen ist nur Kerzenlicht, in den Nachthimmel gehalten und gespeist von unseren fünf Sinnen. Was von denen nicht wahrgenommen wird, ist folglich keine Kleinigkeit, eher das, was das Eigentliche sein wird.
Die identischen Begriffe Universum, Weltall und Kosmos in den Plural zu setzen, ist, beiläufig gesagt, ein Widerspruch. Weshalb auch unsere Grammatik für diese Begriffe die Pluralform bisher nicht kannte. Wer von Paralleluniversen spricht oder schreibt, lässt den Verdacht aufkommen, weder mit den Regeln der Logik noch mit denen der Grammatik auf bestem Fuß zu stehen. Freilich, Grammatikregeln unterliegen der Veränderung, aber die Regeln der Logik?
Sollte es so etwas wie Parallelwelten geben und wer wollte das ausschließen? - , gehören sie eben zum Universum, dem Weltall und man braucht meines Erachtens nicht auf neue Begriffe wie zum Beispiel Multiversum auszuweichen. Sie sind Glieder von all dem, was existiert; Bereiche des Universums, das nur einmal da ist, weil es sich, wie noch darzulegen sein wird, ins Unendliche erstreckt und alles beinhaltet, was eben vorhanden ist. Jenseits dessen nichts existieren kann, weil alles, auch das jenseits unserer Erfahrung Liegende, schon darin enthalten ist, und es ein Jenseits des Unendlichen nicht geben kann. Ja, es gibt Transzendentes – es wird mit Sicherheit die Hauptsache ausmachen – , ist aber Bestandteil des alles in sich bergenden Alls.
Wobei 'darin' sich nicht auf einen abgeschlossenen Raum bezieht, neben dem es ja dann noch weitere Räume geben könnte, sondern 'darin' bezieht sich auf etwas unendlich Ausgedehntes. Dieses als das Ganze zu bezeichnen, wäre unzutreffend, weil ein Ganzes Grenzen aufweist. Die fehlen aber gänzlich. Demzufolge das Universum auch gestaltlos ist wie der Wind, manifestiert sich eine Gestalt doch durch ihre Grenze zur Umgebung. Mit anderen Worten: das Universum hat keine Form, weil Form Grenze ist und diese dem Universum fehlt.
Für dieses Formlose fehlt unserer Sprache der zutreffende Begriff, was ganz natürlich ist. Sie ist ja in der Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen entstanden und gewachsen und soll nun auch da zu Diensten sein, wo Alltägliches verlassen wird. Ein Grund, warum, nebenbei bemerkt, zwischen den an den hier in Rede stehenden Themen Interessierten die Kommunikation so schwierig ist.
Schon im Gespräch über Alltägliches ist ja das Missverständnis die Regel. Auch weil oft genug die ganze Person von vornherein missverstanden wird. Demzufolge es auch nie zu einer wirklich einvernehmlichen Klärung solcher Missdeutungen kommen kann, solange nicht das Ganze der Person richtig verstanden wird. Da man aber dazu erst einmal gemeinsam die Flaschen eines geräumigen Weinkellers leeren müsste, lohnt sich der Verzicht auf die Hälfte des Weines nur in den seltensten Fällen. Hast du es gar mit einem Neidischen zu tun, der deine Überlegenheit wittert, so ist er an einer Aufklärung überhaupt nicht interessiert. Sie würde ihm lediglich die Gewissheit seiner Inferiorität und damit schlechte Laune verschaffen.
Doch wieder zurück zum Urknall, mit dem alles vor 13,7 Milliarden Jahren (nach derzeitiger Berechnung) begonnen haben und vor dem nichts da gewesen sein soll. Wollen wir uns dieses Nichts doch einmal näher anschauen. Du lachst. Mit Recht. Denn Nichts kann man nicht anschauen, sich noch nicht einmal vorstellen. ’Nichts’ ist ein Wort für etwas, was es nicht gibt. Ein Begriff, der alles, was existiert, ausschließt, einschließlich des Raumes und der Zeit, in dem alles existiert. 'Im Nichts gibt es nichts‘, wäre demnach ein unzutreffender Ausdruck, denn er suggerierte einen Raum, in dem sich nichts befände.
Ob allein schon dann nichts existieren könnte, wenn es keinen Raum gäbe? Umgekehrt gefragt, ob es etwas geben kann, das sich nirgendwo befindet. Eine Frage, deren Beantwortung dazu führt, dem Raum eine tatsächliche Existenz außerhalb eines Gehirnes absprechen zu müssen. Einen Raum allein kann man weder sehen, noch hören, weder schmecken noch ertasten. Riechen kann man ihn auch nicht. Was ich von ihm sehe, sind seine Begrenzungen. Was ich von ihm höre, sind von anderen Dingen erzeugte Geräusche.Was ich von ihm schmecke, ist nicht der Innenraum des hohlen Schokoladeneies, sondern seine Hülle. Versuche ich, einen leeen Raum zu ertasten, z.B. im Dunkeln, haben ich erst Erfolg, wenn ich an seine Wände stoße. Die gehören zwar zum Raum, sind aber nicht der Raum. Was ich von ihm rieche, ist der im Raum gelagerte Handkäse. Den Raum nehmen wir also keineswegs mit unseren Sinnen wahr, wir stellen ihn uns bloß im Kopf vor. Nur da ist er und sonst nirgendwo. Dass hierauf schon viele vor mir mit anderen Worten hingewiesen haben, ändert nichts am Sachverhalt. Wenn ich also im Folgenden weiterhin den Begriff Raum verwende, dann nur im Sinne einer theoretischen Hilfskonstruktion, ohne die sich eine Argumentation schwierig gestalten würde.
Absolute Dunkelheit, in der man die Hand vor den Augen nicht sieht, mag jeder schon einmal erlebt haben. Sie weicht nur dem Licht. Nun versuche, dir eine Dunkelheit vorzustellen, die nicht durch Licht verdrängt wird und dennoch nicht vorhanden ist. Unvorstellbar, nicht wahr? Es ist nichts zu sehen, dennoch nicht dunkel. Nun nimm noch den weg, der nichts sieht und alles das, was im Sein ist, ebenfalls. Lässt du auch noch den Raum und die Zeit verschwinden, wo und zu der sich das ereignen könnte, ist das Nichts nicht da, sondern es ist alles weg. Keineswegs aber ist es woanders. Ein Woanders ist nämlich auch nicht vorhanden.
Das Nichts kann nicht da sein; es ist zu definieren durch Abwesenheit von allem, einschließlich seiner selbst. Wo nichts ist, gibt es auch das Nichts nicht ( ‘wo‘ dient hier nur als sprachliches Hilfsmittel und bezieht sich nicht auf einen Ort). Und die Zeit? Wo und wie sollte die jetzt noch verrinnen? Es geschieht ja mangels Raum und Materie nichts.
Irgendwie kommt man mit der Zeit nie zurecht. Weder im praktischen Leben, noch in der theoretischen Auseinandersetzung mit ihr. Zu vermuten ist, sie spielt in der Wirklichkeit, der eigentlichen, die uns unbekannt ist, gar keine Rolle; ist das, was man so treffend ein Hirngespinst nennt, das sich manchen auch als Käfig bemerkbar macht. Will sagen, wie der Raum ist auch die Zeit mit unseren fünf Sinnen nicht zu erkennen. Ist, wie ebenfalls schon vor mir erkannt wurde, vor aller Erfahrung in unsere Vorstellungswelt implantiert worden. Daher man sich auch Raum und Zeit nicht wegdenken kann. Die Realität außerhalb unseres Kopfes wird sich dadurch aber nicht beeinflussen lassen. Die im Kopf schon, deswegen im weiteren der Begriff Zeit durchaus noch Erwähnung finden wird.
Außerdem: der gegenwärtige Augenblick – und nur in diesem lebst du tatsächlich – ist zeitlos. In ihm selbst ist Zeit nicht zu erleben, lediglich schauen wir von ihm aus in die Zeit (der Vergangenheit und Zukunft). Das heißt, sprechen wir von einer bestimmten Zeit, ist es immer die vergangene oder die zukünftige.
Des weiteren: für uns sind die Dinge so, wie sie uns erscheinen. Und ob es jenseits der Erscheinung eine andere Wirklichkeit als die uns erscheinende gibt, ist zwar anzunehmen, aber bisher nicht bewiesen worden. Urteilen wir über die Welt, dann über die, welche unsere subjektiven Sinneseindrücke uns vermitteln. Eine von diesen Eindrücken unabhängige Außenwelt kennen wir nicht.
Doch wieder zum Nichts. Wo nichts ist, kann es natürlich auch keinen Anfang geben. Vor ihm ist eben nichts, aus dem er sich hätte entwickeln können, noch nicht einmal ein leerer Raum oder eine für sich allein ablaufende und beziehungslose Zeit.
Lassen wir dennoch aus dem Nichts etwas entspringen, dann bitte komme keiner mehr, dies oder jenes sei mit unserer Logik nicht zu vereinbaren und deshalb zu verwerfen. Wenn das Unmögliche nicht nur für möglich,sondern gar als der Beginn alles dessen, was vorhanden ist, anerkannt wird, dann ist uns eigentlich eine Schimpansenhorde überlegen. In der, so weit bekannt, ist die absurde Idee, das Nichts sei die Grundlage des Seins, noch nicht entwickelt worden.
Immerhin, so könnte ein Spitzfindiger einwerfen, ist Nichts doch ein Begriff und als solcher existent, z.B. in diesem Text hier. Nun, dann ist auch ein Kanonenelefant existent.Was das ist? Ein Elefant, dem die Natur statt eines Rüssels ein Geschützrohr aus bestem Stahl verpasst hat. Da oben steht das Monster, bestehend aus 14 Buchstaben.
Ernstzunehmender ist allerdings der Einwand, das Universum den Regeln der Logik unterwerfen zu wollen, sei typischer Ausfluss des „anthropozentrischen Mittelpunktwahnes“ (Hoimar v. Ditfurth). Nur weil diese Regeln,die wir nicht abwerfen können,in unserem Gehirn herumspukten, könne man sie noch lange nicht auch außerhalb der kleinen Menschenherde als gültig voraussetzen. Was jedoch kümmere es das All, wo unsere Logik eine Grenze setze.
Tja, was soll man dazu sagen? Allem Anschein nach bleibt dann nur noch die Flucht in einen philosophischen Dadaismus übrig oder über die letzten Dinge und Fragen bloß noch ein Lallen. Zum Beispiel darüber, wie unproblematisch die Frage 'Wie ist die Welt beschaffen?' ist angesichts der eigentlichen Sensation der Sensationen, nämlich dass sie ist. Nicht was darin alles möglich, sondern wie es möglich ist, dass überhaupt etwas möglich ist. Eine Frage, deren Tiefe keiner Antwort die Chance gibt, sich ihrer Lösung zu nähern.
Die Wissenschaft, einen weiteren kräftigen Schritt in der Erforschung der Naturgesetze vorangekommen und gefragt, wieso diese Gesetze überhaupt vorhanden seien, müsste schweigen oder auf unwissenschaftliche Erklärungen ausweichen. Im Grunde tut sie das auch, denn bei all ihren Verlautbarungen hat man den Eindruck, es fehlten die ersten Seiten in ihren Mitteilungen oder diese seien nur Fußnoten zu einem verschollenen Haupttext. Wer das so richtig spürt, spürt auch die ganze Verlorenheit, in die uns die Wissenschaft führt mit ihrer Vermessenheit, alles vermessen zu wollen. Wo doch letztlich alles unermesslich ist.
Oder ist unsere Vorstellungskraft – weit entfernt, die Wirklich-keit zu erreichen – wenigstens reich genug, noch andere Möglichkeiten der Welterklärung, nicht ganz logische, aber auch nicht ganz närrisch dadaistische, anzubieten? Beileibe keine mit dem überheblichen Anspruch, die Realität erreichen zu können. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre schon ein Erfolg, den man kaum zu erhoffen wagt. Ein Schritt, der uns dem tatsächlichen Geschehen etwas näher brächte. Der dann freilich schon zu etwas Zweitem führte, nämlich dem uns Sichtbarwerden der Wirklichkeit. Davor kommt das erste, die Wirklichkeit selbst. Die über die Vernünftigkeit, mit der wir sie in Verbindung bringen wollen, ein homerisches Gelächter anstimmen könnte.
Bitte jetzt nicht leichtfertig und bequem mit Gott und Religion dazwischenfahren (wer mit einem Denktrieb ausgestattet ist, hasst die Bequemlichkeit). Was uns auch in Beantwortung der Frage, wieso gibt es überhaupt etwas, gar nicht weiterhelfen würde. Denn dass ein Gott, nach heutiger in unserem Kulturkreis weitgehend übereinstimmender Vorstellung ohne Anbeginn, unerschaffen und ewig existierend, einmal sich selbst nach dem Grund seiner ewigen Existenz fragend, hierauf sich eine befriedigende Antwort geben könnte, erscheint ziemlich – ziemlich was? „Nicht ziemlich sicher, sondern ganz sicher, wenn auch von uns nicht nachvollziehbar“, wäre die wahrscheinliche Antwort religiöser Menschen. Aber für durch Religionslosigkeit Ausgezeichnete müsste es wohl heißen: „ ziemlich unwahrscheinlich, eigentlich unmöglich“. Warum das?
Unter Zugrundelegung der Erkenntnisse über das Wesen Gottes, zu denen in Jahrhunderte langer und gründlicher Forschungsarbeit Theologen gelangt sind, und unter Zuhilfenahme der Heiligen Schrift, in der sich Gott geoffenbart hat, können wir uns weit genug in ihn versetzen, um diese Frage einigermaßen befriedigend zu beantworten. Hinzu kommen die Aussagen der von Gott Erleuchteten.
Flankierend noch der Hinweis: die Theologen hat eben dieser Gott erschaffen, um etwas mehr über sich zu erfahren. Du kennst dieses Bonmot und sicher ist es wert, hier wieder einmal in Erinnerung gerufen zu werden. Wenn es nur irgendwie machbar gewesen wäre, hätte sich Gott sicherlich der Theologen als Ratgeber bereits vor oder bei Erschaffung der Welt bedient. Und sicher gibt es unter ihnen einige, die überzeugt sind, dann wäre sie besser ausgefallen.
Der Gott der Christen – der Einfachheit halber wollen wir nur von ihm sprechen; er ist es ja auch, den wir besonders gut kennen –dieser Gott neigt zur Reflexion, wie jeder Spatz, der sein Nest ausbessert, auch. Aus der dann hin und wieder Reue entspringt. So erfahren wir z.B. im 1.Buch Mose, Kapitel 6 der Heiligen Schrift, Gott habe die Geduld mit den Menschen verloren („Geduld verlieren heißt Würde verlieren,“ sagt man in Italien):
„Da aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe“.
Bekanntlich hat er alle Lebewesen dann bis auf jeweilige Musterexemplare ertränkt. Trocknen konnten sich die ertrunkenen Menschen anschließend am Höllenfeuer,wo sie noch heute und bis in alle Ewigkeit die größten Schmerzen erleiden, ohne, pikanterweise, je diesen Leiden ganz zu erliegen. Hiroshima war dagegen ein Pappenstiel, wenn auch, physikalisch gesehen, „die glänzende Bestätigung einer kühnen, von der Überzeugung der objektiven Wahrheit der Physik getragenen Voraussage“, so das Urteil des deutschen Physik-Nobel-Preisträgers Max von Laue.
Schon während der Sintflut ─ dem ersten Genozid, von dem die Geschichte berichtet ─ geisterte über den Ertrinkenden das spätere Symbol des Christentums, dessen Glaubenskern die Liebe ist: das Kreuz ─ ein Marterund Hinrichtungsinstrument. Die Basis der christlichen Lehre aber ist die Sünde. Fortwährend ist von ihr die Rede, wie ja auch der Hund ständig Kothaufen beschnüffelt.
Entschuldigt werden kann das alles nicht dadurch, dass Gott sich gelegentlich auch erbarmt (‚Herr, erbarme dich unser!’) und vergibt, sondern eigentlich nur durch seine Nichtexistenz. Denn sein gelegentliches Erbarmen setzt doch, so kurios das auch klingen mag, seine Erbarmungslosigkeit voraus. Durch sie erst treten die Situationen ein, aus denen heraus man um Erbarmen fleht. Und vergeben kann man doch nur, wenn man auf Rache verzichtet, die wiederum Rachsucht voraussetzt.
Gar zu sagen ‚Gott ist die Liebe’, lässt die Vermutung aufkommen, es handele sich hier um einen Klassiker in der Methode, Dinge auf den Kopf zu stellen. Allenfalls ließe sich sagen, Gott ist Liebe und Hass. Willkommener wäre die Aussage, die Liebe ist Gott. Dass sie bisweilen auch der Teufel ist, wird der zugestehen, der es erlebt hat.
Gottes Nichtexistenz, eine nahe liegende Entschuldigung. Gespeist auch aus dem Umstand, dass die Überflutung der Menschheit im Endeffekt erfolglos war. Oder hat Gottes groß angelegte Austilgung fast aller Menschen ihre Bösartigkeit, wie beabsichtigt, tatsächlich getilgt? Sein Grollen, Zürnen, Fluchen und Strafen als Grundtenor des Alten Testamentes belegt das Gegenteil wie auch seinen cholerischen Charakter. Ihn sich als geifernden und über die Stränge schlagenden Pädagogen vorzustellen, dürfte nicht abwegig sein. Daher die Einbildung des Menschen, Gott beeinflussen zu können. Denn wer in Zorn versetzen kann, übt Einfluss aus.
Schließlich unternahm Gott geraume Zeit später einen zweiten Versuch unserer Läuterung, indem er nun nicht mehr alle Menschen umbrachte, sondern – woran wir beim Betreten jeder Kirche durch das Kruzifix erinnert werden nur noch einen, den er zu Tode nageln ließ. Mit den Worten des zurückgetretenen Papstes Benedictus PP XVI „ hat Gott die liebevolle Initiative ergriffen, seinen Sohn zu senden, damit dieser sich für die Sünder dem Tod überliefere.“
Ist es schon Perversion, so hat es doch Methode, möchte man da in Abwandlung eines bekannten Zitates sagen. Wer die Worte über die göttliche ‚Initiative’ für unglaublich hält, möge sie im ‚Katechismus der Katholischen Kirche’ –„ gegeben am 28.Juni 2005“ von eben diesem Papst – nachlesen.
Allein die gigantische Selbstüberschätzung des Menschen, zur Heilung seiner armseligen Verfehlungen habe der Schöpfer des Universums seinen Sohn geopfert, grenzt ans Groteske, zumindest ist es boffonesk. Ob die Himmel stürmenden Mistkäfer auf ihrem Dunghaufen auch glauben,um ihre Sünden kümmere sich ein ganz oben sitzender Überkäfer in aufopfernder Weise?
Ein Menschenopfer als Ausgangspunkt einer Religion, die das Menschenopfer praktizierende Heidentum verurteilt, ist im übrigen ein Paradoxon, welches durch die Behauptung, dieser Mensch sei Gottes Sohn gewesen und von seinem Vater geopfert worden, noch potenziert wird. Gesteigert wird es in seiner Abgeschmacktheit zusätzlich dadurch, dass Menschen ihren Göttern zu opfern pflegen, was sie selbst gerne empfangen würden, so vor allem Speise und Trank. Das Menschenopfer mithin aus Zeiten stammt, als es gang und gäbe war, Menschen zu verzehren.
Von den Massageten, einem Volk, das in vorchristlichen Zeiten die Küsten des Kaspischen Meeres bewohnte, berichtet Herodot:“Obwohl den Greisen kein bestimmtes Lebensalter gesetzt ist, wird doch der Hochbejahrte von seiner Verwandtschaft, die sich vollzählig versammelt, mit anderen Opfertieren zugleich geschlachtet, das Fleisch gekocht und gegessen. Darin sehen sie ein hohes Glück; denn wer an einer Krankheit stirbt, wird nicht verzehrt, sondern begraben, und man hält es für ein Unglück, dass er nicht dazu gelangt ist, geschlachtet zu werden.“ Von Ethnologen wurde in neuerer Zeit über einen Maori-Häuptling die Kunde verbreitet, er habe während seiner Herrschaft 900 Menschen verspeist.
Wenn dem gläubigen Christen, der die kunstvollen Gotteshäuser von innen und von außen andächtig bestaunt, dem die hehre Lehre des Evangeliums das Herz stärkt und der ohne den Beistand der Kirche sich verloren wähnte,wenn dem nun einmal in den Sinn käme, alles das sei das Ergebnis einer in der Urzeit der Menschheit auferlegten Strafe für eine Schuld, die, wäre sie nicht vorhanden gewesen, auch das vollkommene Fehlen des Christentums mit all seinen Kunstwerken, all seinen Schriftund Steingebäuden bedeuten würde? Ohne schuldhaftes Verhalten kein Christentum. Weil der Mensch sündhaft war, wurde ihm diese herrschaftliche Religion zuteil. Sträuben sich da einem nicht die Haare?
Wie viele Kruzifixe wird es insgesamt auf der Erde geben? Offensichtlich einige Millionen. In Holz, Stein, Eisen, Plastik und ähnlichem wird nachgestellt, wie ein Mensch, genagelt an einen langen senkrechten und einen kürzeren horizontalen Balken, qualvoll sein Leben aushaucht. Vom Kinderzimmer bis zum Gotteshaus, überall, wo christlicher Glaube waltet, hängt die Nachbildung einer schaurigen Opferhandlung — meistens zweifach, nämlich am Kreuz und zusätzlich an der Wand. Während wir die Opferriten untergegangener Ethnien verabscheuen, verehren wir einen Opferritus, der in seiner Abscheulichkeit diesen nicht nachsteht, ungleich diesen aber auch noch von einem Gott veranstaltet wurde. Würden Aliens hier (nicht in Asien) landen, vergewisserten sie sich im Hinblick auf die Kruzifixe, die sie als Warnund Abschreckungszeichen interpretieren könnten, ausreichend bewaffnet zu sein.
Nach der Opferung des Gottmenschen und der daraus erfolgten Befreiung aus dem Zustand der Verschuldung konnte der so befreite Mensch erst so richtig loslegen mit seiner Bösartigkeit. Kein Wunder. Wenn Gott selbst Menschenopfer zelebriert, ist das eine Aufforderung, diesem Beispiel zu folgen. Die folgenden Völkergemetzel im Namen des Kreuzes waren durchaus konsequent. Und das alles hat der Herr auf Grund seiner Allwissenheit von Anbeginn gewusst, hätte es auf Grund seiner Allmacht verhindern können und hat es trotz seiner Güte zugelassen.
Der Einwand, Herz und Verstand mögen sich zwar entrüsten, was aber habe das mit der Zepterführung des Allmächtigen zu tun, an dessen Sohlenschweiß selbst unsere höchsten Ideen nicht zu reichen vermögen, dieser Einwand entlässt uns in die Wüste der orientierungslosen Beliebigkeit. Vor der zu schützen uns ja gerade Herz und Verstand von dem Höchsten gegeben wurden. Zum Beispiel sollen wir unseren Nächsten, gar unsere Feinde, lieben wie uns selbst. Ein Appell an unser Herz, aber auch an unseren Verstand. Denn allgemein befolgt, das leuchtet wohl jedem ein, endete damit die Feindschaft unter den Menschen. Aber es waren Ratschläge, die eigentlich vom Herz nicht akzeptiert werden konnten. Außerdem lässt sich Liebe nun einmal nicht erzwingen. Was ihr ja auch den hohen Wert verleiht.
So ist denn bis heute das Ergebnis der Aufforderung zur allumfassenden Liebe ein Fiasko geblieben ─ oft genug lieben wir ja noch nicht einmal unsere Wohltäter oder unsere Freunde. Es ist schon viel, wenn wir mit ihnen leiden. Der inflationäre Gebrauch der Wörter Liebe und lieben, wie wir ihm in der Bibel begegnen, erweckt im übrigen den Verdacht, ihre Verfasser hätten wirkliche Liebe noch nie empfunden. Denn was aus ihrem Phrasenarsenal in Sachen Liebe kommt, was ist all dies seicht' Geschwafel gegenüber zwei so unsterblichen Versen des persischen Dichters Saadi (13.Jahrhundert)? :
„Wenn einst Dein geliebtes Haar Du neigst über mein Grab, noch aus dem Staub meines Leibes glüh'n Dir Blumen empor.“
Somit war auch der bisher zweite Versuch dieses Gottes, uns zu bessern, ein Fehlschlag. Schaut man heute ins Heilige Land, in dem der Heiland vor 2000 Jahren Nächstenliebe predigte, wo geht es unfriedlicher zwischen den Menschen zu als dort? Der Zweck hätte niemals Gottes grausame Mittel heiligen können –zumal dem Allmächtigen wohl genügend andere zur Verfügung standen –, heiligen hätte diese Mittel nur, was sie immer und ewig heiligen wird: der Erfolg. Sein lähmender Schlangenblick verdammt jeden Tadel zur Wirkungslosigkeit.
Was ist nun von einem Gott zu halten, der den Sieg der Nächstenliebe durch die Kreuzigung ihres Fürsprechers erringen wollte – und scheiterte? Selbst gutes Benehmen, immerhin eine Schaupackung der Nächstenliebe, ist rar. Wahrscheinlich hat er sich das selbst schon gefragt und plant den nächsten Läuterungsversuch. Die Zeit wäre überreif.
Zu befürchten ist allerdings, auch dieser Versuch werde Gewalt zur Grundlage haben. Denn Fehler kann ja eigentlich dieser Gott, wie wir ihn uns vorstellen, nicht begehen, folglich aus Fehlern auch nicht lernen. Für ihn gilt nach wie vor und muss uns Vorbild sein, dass Gewalt die Ultima Ratio im Weltgeschehen ist.
Zwar haben einsichtige Menschen schon früh darauf hingewiesen, das beste Mittel, die Menschen zu bessern, sei, sich ihnen gegenüber so zu verhalten, als seien sie schon gut. Ihnen so viel Vertrauen entgegen zu bringen, dass sie nicht anders können, als ihm gerecht zu werden. Ist doch Vertrauen von so hohem Wert, dass selbst Übeltäter gelegentlich nicht umhin können, ihm Respekt und dem Vertrauensvollen Achtung entgegen zu bringen. Aus diesem Grunde der Rat, Diebe oder Räuber als Wächter des eigenen Vermögens anzustellen, wiederholt erfolgreich befolgt worden ist. Indem man ihnen eine Höhe zutraut, die sie bisher nicht erreichen konnten, versuchen sie nun, diesem Urteil gerecht zu werden. Dass du von ihnen gut denkst, diese Annahme sind sie irgendwie getrieben, wahr werden zu lassen. Auch um den nicht zu enttäuschen, der sie ─ bis jetzt─ so unverdient überschätzt hat. Der ist ihnen nämlich von nun an sehr sympathisch. Gerne richten sie sich von da an nach seinem Urteil, verwandeln sich in die Person, die er in ihnen auf den ersten Blick gesehen hat. Einem so Geläuterten die alten Taten vorzuhalten, ist verurteilenswerter als diese Taten es sein mögen.
Wirkungsvoll ist diese Vorgehensweise allerdings nur dann, wenn es Menschen von im Grunde edlerer Art betrifft. Der von Grund auf unedle Mensch ist so nicht zu beeindrucken und sieht darin nichts als grenzenlose Dummheit und Schwäche.Woraus ersichtlich ist, wie Gott die charakterliche Beschaffenheit der Mehrheit seiner menschlichen Kreaturen einschätzt.
Seine bisherigen Misserfolge, die Menschen zu bessern, waren bestimmt nicht seine Fehler (die es ja nicht geben kann), sondern lagen an unserer Starrköpfigkeit und Sündhaftigkeit. Aber er hat uns doch so geschaffen, wie wir sind. Wenn ein Produkt nicht so funktioniert, wie sein Produzent es geplant hat, muss dafür das Produkt die Verantwortung übernehmen?
Eine sehr unangenehme Frage an diejenigen, welche die christliche Religion verwalten. Doch ich sehe ihr mildes, überlegenes Lächeln. Auf die grundlegende Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen antworten sie mit einer Grundlegende, der Willensfreiheit des Menschen. Gott hat, als er uns schuf, uns etwas implantiert, was, technisch gesprochen, einem Zufallsgenerator in elektronischen Produkten gleicht.
Danach kann der Mensch sich frei, ohne durch irgendwelche Motive gezwungen, für A oder B, oder, um bei unserem Thema zu bleiben, für das Gute oder das Böse entscheiden. Und wie er sich auch entscheidet, kann er nun dafür zur Verantwortung gezogen werden. Höchststrafe ist nicht lebenslängliche Haft (ohne zusätzliche Leiden), nicht der Tod, sondern ewiger Schmerz und ewiges Leid in der Hölle. Für ein zeitliches Vergehen muss der Sünder ewig durch das Erleiden von Qualen (mit Ausnahme der Qual der Langeweile) büßen. Denn als er vor zwei Gläsern saß, das eine gefüllt mit Wein (gutes Handeln plus ewiges Leben im Himmel), das andere mit Gift ( böses Leben plus ewiges Leiden in der Hölle), entschied er sich vollkommen frei dafür, das Giftglas zu leeren. Während der Glückliche ebenso frei den Wein wählte.
Ausgeschlossen ist auch die Möglichkeit eines späteren göttlichen Gnadenerweises. Wenn der Gemarterte nach Ablauf von, sagen wir einmal, zehn Billionen Jahren Reue empfindet, seine Missetaten verurteilt und durch Schmerzen tiefgläubig geworden ist, so hilft ihm das gar nichts. Einmal in der Hölle, immer in der Hölle.
Ob unter den Höllenbewohnern gelegentlich einer anzutreffen sein wird, der so großmütig ist, Gott zu vergeben, was ihm auf Ewigkeit angetan wird? Wozu allerdings ein Ausmaß an Großmut erforderlich wäre, das den Träger eingangs wohl eher in den Himmel hätte bringen müssen.
Wie sich übrigens diejenigen, die sich durch Tugend den Himmel verdient haben, glücklich und selig fühlen können, wohl wissend um die da unten im Höllenfeuer Leidenden, ist so unverständlich, wie das Wohlbefinden der Seereisenden früherer Epochen, als unter ihnen die Galeerensklaven erst dann abgekettet und und über Bord geworfen wurden, wenn sie ihren letzten Ruderund Atemzug getan hatten. Bedeutet Tugend menschliches Richtigsein, kann es nicht Tugend sein, die im Himmel glückselig werden lässt.
So frage ich denn, ob ein Wesen, das in der Lage war, diese Welt hervorzubringen, ob ein Wesen, dem höchste Güte und Weisheit zugesprochen wird, ob ein Wesen, das die Liebe verkörpert und zum Grundprinzip des Lebens erkoren hat, ob ein solches Wesen seine Geschöpfe so ungeheuerlich grausam bestrafen kann dafür, die ihnen verliehene Willensfreiheit auch zu gebrauchen? Einer Einrichtung, die ja gerade erst dadurch Gehalt erfährt, sich einmal so und ein andermal nicht so entscheiden zu dürfen. Bejahst du diese Frage, musst du diesem Wesen vor allen anderen Eigenschaften die der Bösartigkeit zuerkennen.
Nein, erwidere ich, diese Höchststrafe widerspricht ganz und gar der Vorstellung, die sich ein gerechter Mensch von einem allerhöchsten Wesen bilden kann. Selbst ein ungerechter Mensch wird diese ewige Strafe, auch wenn sie nur einen anderen träfe, nicht billigen.
Nun stelle man sich den Gottlosen während seiner ewigen Anwesenheit in der Hölle vor, wie er ohne Hoffnung, aber auch ohne Furcht – woher sollten beide noch kommen? – über diesen allmächtigen Sadisten, der ihn in diese Lage gebracht hat, herzieht in Worten, die kein Mensch auf Erden wagte zu gebrauchen! Und die ewig Mitleidenden, ebenso ohne Furcht und Hoffnung, stimmen mit ein in die unflätigsten, aber auch herzzerreißenden Verfluchungen dieses Herrn der Marter und Folter. Ein Chor, fast so groß wie die Zahl der Menschen, die je gelebt haben, verdammt den, der ihn dorthin gebracht hat. Tag und Nacht und in alle Ewigkeit verfluchen die Gemarterten den Leuteschinder. Wobei es da unten zweifelsohne Tag und Nacht nicht geben wird, alles ja auch durch das Höllenfeuer seine Beleuchtung erfährt. Den Kerkermeister aber, den Teufel, werden die Opfer der immerwährenden Schinderei verschonen, denn der versucht jetzt wenigstens, sich bei den Verdammten lieb Kind zu machen. Weiß er doch, einstmals unter ihnen und mit ihnen leiden zu müssen. Denn so steht es geschrieben.
Den einzig verbliebenen Trost werden die Höllenbewohner, so ist zu vermuten, in ihrer Zahl sehen. Heißt es doch auf Erden schon oft genug: „Tröste dich, den anderen ergeht es genauso!“ Obwohl es eigentlich ein Trost sein müsste, wenn nur wenige von einem Unheil heimgesucht werden. Am besten wäre es, wenn schon ein Unglück eintritt, es träfe nur einen einzigen. Dem wird jeder zustimmen, vorausgesetzt, dieser einzige ist nicht er selbst. Eine Grundhaltung, so widerlich, dass allein sie schon einen (begrenzten) Höllenaufenthalt rechtfertigen würde.
Man täusche sich nicht, diese Leute da unten haben nichts mehr zu verlieren und nichts mehr zu gewinnen, nur noch zu leiden ─ ohne Ende. Warum sollten sie den Verursacher ihrer ewigen Leiden nicht ewig aufs zotigste schmähen und verunglimpfen und sich damit etwas Erleichterung verschaffen? Warum sollten die ohne Unterlass Gepeinigten nicht wenigstens so weit auf die Hölle einwirken, dass sie aus ihr einen kakophonischen Klangkörper gestalten, der dem da oben auch ein bisschen einheizt? Ob das Wort 'Höllenlärm' sich hierauf bezieht? Das wir so gerne als Vergleich gebrauchen, ohne je diesen Lärm tatsächlich gehört zu haben.
Naiv, nicht wahr? „Glaubst du im Ernst, Wurm, der Allmächtige hätte nicht vorgesorgt?“ Womit? Die Römer pflegten den Todgeweihten, bevor diese den großen Raubkatzen zur Unterhaltung der Zuschauer zugeführt wurden, Arme und Zähne (aus) zu brechen, um die kostbaren Tiere vor Verletzungen zu bewahren. Bei den Höllegeweihten wird vielleicht die Zunge entfernt oder alles aus-geschaltet außer der Leidensfähigkeit. Man braucht nur satanischer zu sein als der Satan. Wer könnte das aber noch sein? Wer steht über Satan? Doch nur noch der ’liebe’ Gott. Ob womöglich die Erkenntnis, der eigentliche Satan sei Gott, mit zur Höllenstrafe gehört?
Das höllische Strafsystem ohne Entrüstung zu akzeptieren, lässt eine Bösartigkeit der Menschen vermuten, von der sich die wenigen, die es entrüstet, wohl keine Vorstellung bilden können. Wie böse muss im Grunde der sein, der ohne Murren eine solch giganteske Strafandrohung über sich ergehen lässt? Glaubt er wirklich, diese monströse Strafe zu verdienen? Oder vertraut er darauf, ihn werde es schon nicht treffen, so böse wie die anderen sei er keinesfalls?
Vielleicht ist er auch nur zu gewaltig eingeschüchtert und die ausgeprägte Bösartigkeit ist lediglich dort zu suchen, wo das System ersonnen wurde. Auf jeden Fall wird er, wenn er die Hölle für real und sich für sündhaft hält, zum Kreis der Psychotiker zu zählen sein. Denn mit der Hölle im Nacken kann doch kein Mensch seiner Natur gemäß leben.
Dass heute in der Kirche von der Hölle nicht mehr so ausdrücklich gesprochen, sie den barbarischen Zeiten geschuldet wird, in denen das Wort Gottes niedergeschrieben wurde, ändert nichts an ihrer Existenz in der christlichen Lehre. Gottes Wort verbürgt das Vorhandensein der Hölle. Sie hat über Jahrhunderte die Lebenden in Angst und Schrecken versetzt, leistet diese Aufgabe nach wie vor und lässt, nach Kirchenlehre, die Mehrheit der Verstorbenen weiterhin im Feuer schmoren.(Allerdings, das sei fairerweise bemerkt, die Angst ist immer zuerst da. Sie sucht sich geeignete Objekte, über die ängstlich nachgedacht werden kann.)
Sicher, man kann in Friedenszeiten an einer Fahrt im U-Boot der Kriegsmarine teilnehmen, ohne das Wort Torpedo auch nur einmal zu hören. Gleichwohl ist der Torpedo der Nervus Rerum eines gewöhnlichen Unterseeboots, wie die Hölle der Nerv der Dinge einer gewöhnlichen Religion ist. Und der Hölle die Qualen zu nehmen, sie zu einem tropisch exotischen Reiseziel zu machen, wäre zwar im Zuge der Ausrichtung der Kirche nach weltlichen Gesichtspunkten konsequent, aber auch tödlich – für das Christentum. Das freilich von Anfang an das apokalyptische Ende erwartete und somit keine Enttäuschung erfahren würde.
So beteiligt man sich ohne schlechtes Gewissen an den Spielen der zur Spaßgemeinde verkommenen evangelischen Kirche, deren geistliche Vertreter nicht mehr das Evangelium verkünden, sondern sich in der Rolle von Büttenrednern gefallen. Was einst heilig war, dient dabei als Requisit, und eine neue Bibelinterpretation kaschiert den Unglauben der Interpreten. Gleich Animateuren in der Tourismus-Industrie sehen sie ihre Aufgabe vornehmlich darin, die (Kirchensteuer) zahlenden Gäste bei Laune zu halten, statt zu verschrecken.
Ernst ist es ihnen nur in ihrer Lieblingsrolle, der des politisch engagierten Sozialarbeiters. Warum sie dessen Beruf nicht gleich ergriffen haben, liegt auf der Hand: unangenehmere Arbeitsbedingungen, gepaart mit niedrigerem Lohn und geringerem Ansehen. So ziehen sie den Verrat an der christlichen Lehre vor, indem sie nicht das Himmelreich, sondern die Lösung sozialer Probleme verheißen. Die, das wusste das echte Christentum, grundsätzlich unlösbar sind. Und wobei, das weiß jeder aufmerksame Beobachter, jede vermeintliche Lösung kontraproduktiv ist und die Probleme insgesamt bloß vermehrt. Daher Jesus auch niemals die Lösung sozialer Probleme versprochen hat, sondern das Reich Gottes. Den Verrätern der christlichen Lehre auf die Schulter zu klopfen und ihnen für die beschleunigte Verdunstung dieser Lehre zu danken, wäre allerdings zu viel verlangt. So willkommen Verrat sein mag, der ihn ausübt, ist immer schäbig.
Die Schäbigen reden sich und uns ein, die inhumanen Zeiten, zu denen die Bibel entstand, seien Gott sei Dank vorbei und es sei längst Zeit, ihren Inhalt zeitgemäß zu interpretieren. Wer dem zustimmt, gesteht allerdings, in eben dieser Bibel nichts als ein Menschenerzeugnis zu sehen, das man folglich redaktionell überarbeiten dürfe. Denn war sie wahrhaftig Gottes Offenbarung, so ist sie es heute auch noch und wird wohl nur durch Gott abgeändert werden können. Und solange der uns keine aktualisierte Offenbarung zukommen lässt, müssen wir uns an die alte halten. Statt unter der alten Flagge ohne Anweisungen des Kapitäns einen neuen Kurs unter Anweisung der öffentlichen Meinung zu segeln. Die Erwartung, damit mehr Kreuzfahrer an Bord zu locken, weicht zunehmend der Ernüchterung, die letzten treuen Fahrgäste zu verlieren. Der ehebrecherische Pfarrer, der an den christlichen Gott glaubt, ist zwar eine komische Figur, aber Christ. Hingegen der progressive Geistliche, der an den Menschen glaubt und dessen Heil auf Erden verwirklichen will, nur eine komische Figur ist.
Ewige Höllenpein als Strafe für zeitliche Vergehen, wie z.B. Unfolgsamkeit, widerspricht dem Gerechtigkeitssinn der Gerechten wie auch der Ungerechten. Eher entspricht sie dem, was ein Priesterhirn auszubrüten vermag. Und einem Charakter, der sich zwar selbst nicht meistern kann, dafür aber alles daran setzt, wenigstens die anderen zu meistern.
Listig, wie dies Hirn nun einmal ist, hat es sich gesagt, dem ewigen glückseligen Leben im Himmel muss ein ewiges Leiden in der Hölle gegenüber gestellt werden. Ist dies nicht auch ewig, sagt sich nämlich der freche Lümmel, der mir nicht entkommen soll: „Na ja, einmal ist damit auch Schluss. Danach bleibt ja dann nur noch der Himmel übrig. Und gegen den ewigen Aufenthalt dort ist der zeitlich begrenzte in der Hölle nur eine Stippvisite. Voraussichtlich sogar ein interessantes Vorspiel, bei dem ich Kumpanen begegne, mit denen gemeinsam ich tolle Pläne für die kommende himmlische Ewigkeit schmieden kann.“ Stellt sich der Priester das arme Sünderlein tatsächlich so einfältig vor? Ja, und ausnahmsweise wird seine Anschauung wohl einmal die richtige sein.
Hätte das Priesterhirn als Alternative nach der Hölle den endgültigen Tod, die Nicht-Existenz angeboten, wäre dem Lümmel die Ausflucht geblieben: „Na ja, irgendwann ist es sowieso aus.“ Und der Priester hätte damit etwas getan, was wider seine Natur ist: er hätte einen Menschen aus seinen Fängen entlassen. Was ja auch ein Hirte, mit dem sich der Priester so gerne vergleicht, mit seinen Schafen nicht tun darf. Der Hirte steht übrigens gewöhnlich neben seiner Herde, langweilt sich dort und sieht in der Herde nur Produzenten von Nahrungsund Bekleidungsmitteln.
So nennt die Kirche Suizid auch Selbstmord und sieht darin eine Todsünde. Der Selbstmörder fährt ohne Wenn und Aber stracks in die Hölle, auch weil er eine Gelegenheit zur Beichte und Reue von vornherein ausgeschlossen hat. Seine Leiche durfte bis vor kurzem nicht auf dem Kirchhof bestattet werden, auch anderenorts ein Priester nicht der Beerdigung beiwohnen. Die Hinterbliebenen sollten so richtig mit bestraft werden; der tragische Verlust allein genügte nicht. Wäre doch gelacht, wenn sich einer so einfach davon schleichen könnte. Der eine oder andere Priester mag dabei durchaus geglaubt haben, damit Gottes Wille zu erfüllen. Der nämlich, so des Priesters Weisheit, schafft es allein gar nicht, alle Menschen zu piesacken.
Warum lässt der Allgütige und Allwissende seiner den richtigen Weg suchenden Kreatur nicht rechtzeitig die wünschenswerte Erkenntnis zukommen? Er sieht doch, da ja noch nicht einmal ein Sperling ohne sein Zutun vom Baum fällt, wohin der Suchende treibt. Will er ihn prüfen? Aber er kennt doch das Prüfungsergebnis im voraus.
Müssen wir wirklich unseren Verstand ausschalten, um diesen Gott, nein, nicht zu verstehen, sondern um ihn zu akzeptieren und ihm blind folgen zu können? Aber der Verstand ist uns doch gegeben worden, um uns gerade in schwierigen Fragen Hilfe zu leisten. Fragen, die von eben diesem Verstand aufgeworfen werden. Er wirft sie auf und soll gleichzeitig einsehen, sich bei ihrer Beantwortung besser zu verabschieden. Abschaffung des Verstandes durch den Verstand.
Das tat dann auch der erste lateinischer Theologe, Tertullian, indem er bekundete credo quia absurdum est ( ich glaube, weil es widersinnig ist). Wegen dieser Aussage, die auch aus einem Tollhaus stammen könnte, wurde ihm in Kirchenkreisen bis auf den heutigen Tag Ruhm zuteil.
Wie soll man eine solche Torheit eines ansonsten scharfsinnigen Mannes verstehen? Sah er ein, mit dem Verstand in bestimmten Glaubensfragen nicht weiterkommen zu können und ließ ihn deshalb über die Klinge springen? Warum bedient er sich dann aber in anderen Glaubensfragen ausgiebig dieser Geistesgabe, um Spitzfindigkeiten zu beweisen?
Wie wäre es mit folgender Erklärung? Der sich in seiner religiösen Verzückung Gott Nähernde wird gleich dem sich dem Gipfel nähernden Bergsteiger vom Gipfelfieber befallen. Ein Fieber, das Vorsichtsmaßnahmen missachten lässt. Da oben will er hin, zum Sehnsuchtspunkt all seiner bisherigen Anstrengungen und Vorbereitungen. Sich kurz davor wähnend, setzt er alles auf eine Karte, stürzt ab – oder findet nicht mehr zurück und landet im Glauben.
Gestärkt und mit einer Sicherheit, die der Ungläubige nicht aufzuweisen hat, geht er gehörig erfolgreicher durchs Leben. Zeugt frohgemut Kinder und sorgt damit für den Bestand seiner Religion. Da sich nach der Evolutionstheorie Selektionsvorteile in erhöhter Nachkommenschaft manifestieren, dürfte inbrünstige Religiosität in evolutionärer Hinsicht durchaus von Vorteil sein. So haben denn auch die großen Kirchenmänner der Vergangenheit zahlreichen Nachwuchs aufzuweisen, die der Gegenwart, weil ohne Format, nicht.
Eine weitere Erklärung dafür, etwas zu glauben, weil es absurd ist: Die Lebensumstände des Gläubigen ließen ihn mit der christlichen Religion dort in Bekanntschaft treten, wo diese Religion als wohlbegründete Sache galt. Ihr Inhalt war Wahrheit – ohne Zweifel. Und damit musste sich schließlich auch einmal der Verstand auseinandersetzen. Mit dem Ergebnis, mit dieser anerkannten Wahrheit nicht zu Rande zu kommen. Die Wahrheit konnte der Verstand jedoch nicht über Bord werfen, das verbot er sich selbst. Folgerichtig musste der Verstand dran glauben.
Und die Vernunft? Die fand das sehr vernünftig. Sie sagte ihm: „Dass die Wahrheit nicht wahr ist, das kann doch nicht wahr sein.“ Gelegentlich aufkommender Zweifel wurde mit Trotz erstickt. So dass jetzt nicht trotz, sondern sogar wegen der Absurdität geglaubt wurde. Im Falle des Tertullian, das sei eingeräumt, verhielt es sich nicht ganz so. Denn er wuchs in einer Zeit auf, in der das Christentum um seinen Aufstieg zu kämpfen hatte. Sein Vater war noch 'Heide' gewesen.
Gerne wird in der Verteidigung eines religiösen Glaubens auf die stattliche Zahl großer Geister der Gegenwart und Vergangenheit hingewiesen, die diesem Glauben einst huldigten bzw. noch huldigen. Der auf diese Weise Beeindruckte wird dann wohl an den Glauben eines anderen glauben, weniger an die eigentliche Botschaft. Zudem ist es ein Appell an die elementare Autoritätsgläubigkeit des Herdentieres, leicht zu schwächen durch den Hinweis auf kluge zeitgenössische Vertreter der verschiedensten, teils sich widersprechenden, Religionen. Wollte man redlicherweise auch noch die verstorbenen, mit Geistesgaben gesegneten Anhänger längst erloschener Religionen anführen, würde o.g. Appell geradezu lächerlich erscheinen.
Es gehört nun einmal zum Wesen eines Glaubens (welchen Inhaltes auch immer), den Verstand nur da gänzlich auszuschalten, wo es um den Kernpunkt geht. Nämlich darum, die Botschaft grundsätzlich für wahr zu halten. Ist das geschehen, wird der übrige Verstand in den Dienst des Glaubens genommen. Der tief Gläubige ist ein Besessener, und was ihn besetzt, macht von allen Kräften des Besessenen Gebrauch, ohne sie zu vermindern. Sie werden nur in andere Richtungen gelenkt, tragischerweise in die falschen. Gleich dem Krebsgeschwür, das den Körper besetzt und dessen Kräfte zu seinem Wachstum missbraucht, um schließlich dem ganzen Organismus die Lebensfähigkeit zu rauben.
Im übrigen ist religiöser Glaube wie die Liebe in erster Linie eine Herzensangelegenheit. Und wie oft haben wir uns schon über einen gescheiten Mann gewundert, in dessen Herzen eine ordinäre Vettel eine flammende Liebe entfachen konnte? Die lächelnde Sehnsucht, die aus ihrem Gesicht strahlte und von der schon Homer ergriffen war, mag da bereits genügt haben.
Sollten dir, lieber Leser, meine Erklärungen des Phänomens 'In religiösen Angelegenheiten glauben auch kluge Leute an Absurditäten' wenig plausibel erscheinen, so bitte ich dich, einmal der Frage nachzugehen, warum diese Leute nicht in anderen Angelegenheiten ebenfalls Absurdes akzeptieren. Sie müssten doch zu allem, was auch immer aufgetischt wird, gläubig mit dem Kopf nicken.
Alle diese Religionen, unterstützt von eminenten Geistern, flattern, so die Auslegung liberaler Denker, um das eine Urgeheimnis, das aufgrund seiner Tiefe verschiedene Zugänge erlaubt. Ein Argument, das allerdings nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Im Buddhismus beispielsweise, einer altehrwürdigen Religion, kommt ein Gott überhaupt nicht vor. Die ersten christlichen Missionare hatten allein schon deswegen große Schwierigkeiten, Buddhisten Gottes Wort zu vermitteln, weil das Wort ‘Gott‘ nicht adäquat übersetzt werden konnte. In der Antike glaubte man an innerweltliche Götter, die dem Schicksal unterworfen seien. Die Zahl der Götter im Hinduismus beträgt mehrere Hunderttausend. Einer seiner Hauptgötter, Schiwa, offenbart sich, so die Lehre, in Formen, die seine Freude annimmt. Im Shintoismus, der heute noch sehr lebendigen Urreligion der Japaner, sind es die Ahnen, nicht Götter, welche die Hauptrolle spielen. Der Islam verbietet die bildliche Darstellung Gottes, weil sie ihn nie erfassen, nur herabsetzen könnte.
Erklären ließe sich die Flatterhaftigkeit der mannigfachen Religionen freilich auch damit, da, wo kein Geheimnis sei, könne auch keine Lösung sein. Was die geschlossene Fensterscheibe ist, hinter der die verschiedensten Insekten auf und ab flattern, um ins Freie zu gelangen, ist unsere fixe Idee – die dem Buddhismus fremd ist – , die Welt müsse entstanden sein, folglich auch einen Schöpfer haben. Eine Wahnvorstellung, mit der wir einfach nicht ins Freie gelangen. Ohne diesen Fehlschluss verflüchtigt sich aber das Geheimnis der Welt; das Fenster öffnet sich. Wir sind im Freien, das zum unerschaffenen und unvergänglichen Ganzen gehört. Ein Ganzes, das aber, wie bereits dargelegt, kein Ganzes ist, weil ein Ganzes durch Grenzen konstituiert wird. Die aber fehlen nun einmal.
Gewiss, den Beweis für die Anfangslosigkeit des Universums kann keiner erbringen. Er kann aber auch von niemandem gefordert werden. In der Beweispflicht stehen hingegen diejenigen, die einen Anfang behaupten. Die argumentieren, weil alles da sei, müsse es einmal nicht da gewesen sein. Eine verblüffende Folgerung, die eben nach einem Beweis verlangt.
Gesetzt übrigens, es habe doch einen Schöpfer gegeben, so möchte ich an dieser Stelle auf das ungeheure Wagnis hinweisen, das er mit der Planung und Durchführung seiner Schöpfung eingegangen ist. Ein größeres Risiko ist wohl kaum vorstellbar als das, was mit der Hervorbringung der Welt verbunden war. Nach dem Verdikt der Pessimisten war das Unternehmen auch ein verhängnisvoller Fehlschlag mit der Folge einer nicht enden wollenden Malaise.
Die ständige Erbostheit Gottes, die allein schon mit einem überlegenen Wesen nicht in Einklang steht, diese dauernde Gereiztheit, die mit Weisheit kaum zu vereinbaren ist, dieser Ingrimm, der uns fast aus jeder Seite des Alten Testamentes entgegenschlägt, lässt vermuten, dieser Murrkopf sei gleicher Ansicht. Woher hätte er auch rechtzeitig die Daten nehmen sollen, die ihn hätten warnen können, von der ganzen Sache besser die Finger zu lassen? Vorläufer, aus denen er hätte Erfahrungen ziehen können, gab es nicht. Auch keine kompetente Instanz neben oder über ihm, die ihm mit Rat hätte zur Seite stehen können. Philosophen, Theologen, Soziologen und Politiker, die sicherlich so manches besser gewusst hätten, waren ebenfalls noch nicht zur Hand.
Woher sollte dieser Gott nur wissen, ob seine Ratschlüsse richtig sind? Erwägungen, in absoluter Einsamkeit angestellt, bezogen auf etwas noch nie Dagewesenes, Geschöpfe betreffend, die zusätzlich die Freiheit erhalten sollten, in eigener Regie bestimmen zu können, was sie tun und was sie lassen wollten. Davor stand er, der Schöpfergott und sagte sich (wem auch sonst): „Es soll geschehen!“
In ihm einen Hasardeur zu sehen, möchte wohl übertrieben erscheinen. Aber einen Abenteurer mag man ihn wohl nennen dürfen. Wozu sich ja auch die Einsicht paart, unser ganzes Leben sei ebenfalls nichts weiter als ein Abenteuer.
Weniger abenteuerlich veranlagt, hätte Gott die dem Menschen gewährte Willensfreiheit doch auch so ausstatten können, dass sie die Möglichkeit der freien Entscheidung zu allem enthält mit der einzigen Ausnahme, sich nicht für das Böse entscheiden zu können. Kaum vorstellbar, wie friedlich es mit dieser kleinen Einschränkung unter den Menschen zuginge. Zwar könnten sie nicht mehr jeden Abend mit einem Fernsehkrimi unterhalten werden – wäre doch der eigentliche Knüller der Willensfreiheit, die Möglichkeit des Bösen (vor allem Mord,Mord,Mord) entfallen – , dafür aber führten sie ein so gottgefälliges Leben, dass es allen zur allgemeinen Freude gereichen müsste. Doch o weh, auf diesen Knüller zu verzichten, gelingt – nach unserer Betrachtungsweise – noch nicht einmal einem Gott. Auch ihn verlangt es nach Sensationen.
Da die Willensfreiheit in der Ethik eine so große wie unverdiente Rolle spielt, ist hierzu weiteres zu bemerken. Der Begriff Willensfreiheit enthält bereits einen Widerspruch, weil, wo ein Wille, keine Freiheit sein kann. Weswegen die Verfechter der Willensfreiheit einen Gegenbegriff erst gar nicht aufkommen ließen: Willenszwang. Hier wäre die Tautologie aufgefallen und dadurch die Widersprüchlichkeit des ersten Begriffs.
Freiheit ist nur da, wo nicht getrieben wird. Indes, wie gelangt ein mit angeblicher Willensfreiheit ausgerüsteter Mensch zu einer Entscheidung? Er wägt das Für und Wider ab, das aus ihm unbekannter Quelle aufsteigt und sich auf Umstände bezieht, die oftmals ohne ihn zustande gekommen sind, oft aber auch von ihm, seinem Charakter gemäß, den er sich nicht gegeben hat, provoziert werden. Um schließlich das zu tun, was ihm günstiger erscheint und zu dieser Entscheidung treibt. Die Erkenntnis, was ihm günstiger erscheint, hängt aber von seinem Willen ab, nicht hängt der Wille von seiner Erkenntnis ab. Der Wille geht der Erkenntnis voraus. Das Argument, das seinem Willen am weitesten entgegen kommt, erscheint dann als das bessere und übt eine zwingende Wirkung aus. Entscheidet er spontan, geht ein plötzlicher Anreiz voraus, der längeres Überlegen verhindert und ihn zu dieser Entscheidung treibt. Getrieben wird er allemal.
Dabei hat er nicht eine Waage vor sich, in die er die verschiedenen Argumente legt, sondern er selbst ist die Waage, die entscheidet, welche der beiden belasteten Waagschalen sich tiefer senkt. Und wie die mechanische Waage gehorcht auch die lebendige Waage den Kausalgesetzen, nach denen jede Wirkung eine Ursache und jede Ursache wieder eine vorausgehende Wirkung aufweist. Unmöglich ist eine Waage, die ihre Reaktion aus dem Nichts rekrutiert.
Was ich will oder was ich nicht will, das entscheide nicht ich, sondern mein Wille. Der ist aber jederzeit zuerst da. Ich bin nicht Herr meines Willens, sein Sklave bin ich. Nicht ich habe einen Willen, der Wille hat mich. „ Die Menschen wollen nicht, wie sie denken, sondern sie denken, wie sie wollen“, sagt Matthias Claudius. Ja, ich kann, wenn die Umstände günstig sind, tun, was ich will. Dem liegt aber keine freie Entscheidung zu Grunde, sondern die treibende Kraft des Willens. Sind die Umstände nicht günstig, kann ich nicht tun, was ich will. Dem liegt ebensowenig meine freie Entscheidung zu Grunde, sondern der Zwang der Umstände, der die Umsetzung meines Willens verhindert – ohne ihn zu besiegen. Sagt einer „Was hätte ich nicht alles tun können, wenn ich nur gewollt hätte!“ oder unter anderen Umständen „ Ich wollte schon, aber ich konnte nicht!“ gibt er eigentlich den wahren Sachverhalt zu, nämlich den der gänzlichen Unfreiheit in seinen Entscheidungen.
Ohne seinen Einfluss auf Wille und Umstände wird in ihm entschieden, so dass man es gar nicht seine Entscheidung nennen kann. Seinem Wirken geht Bewirktes voraus, das durch Zwang entstand und wieder zwingt. Er kann sich zwar einbilden, die Umsetzung des Beschlossenen bedürfe noch der Ratifizierung durch irgendeine Instanz in seinem Gehirn oder Herzen, diese ist jedoch, wenn überhaupt vorhanden, vom Willen bestochen. Und der wiederum ist nun eben eine so ursprüngliche wie mächtige Kraft, dass er seinerseits jedem Bestechungsversuch trotzt. Und tut einer etwas freiwillig, heißt das nichts anderes, als dass er keinem anderen Zwang als dem seines Willens unterworfen ist.
Keineswegs aber kann ich wollen, was ich will, würde auch nur zu einem endlosen Regress führen. Denn dieses Wollen müsste dann ja wieder durch ein vorhergehendes Wollen generiert werden und so fort. Auch kann ich nicht etwas wollen, von dem ich nichts weiß. Insofern allein schon meine Freiheit in der Entscheidung eingeschränkt ist. Das Bestimmte, mir aber gänzlich Unbekannte, könnte ich unter Umständen gewollt und mich dafür entschieden haben. Diese Entscheidung ist mir aber von vornherein durch meine Unkenntnis verwehrt. Der Vorwurf, bei letzterem Argument handele es sich bereits um Sophismus, ist freilich nicht ganz von der Hand zu weisen.
Jede Entscheidung hat eine Ursache. Das künstliche Konstrukt Willensfreiheit kann daran nichts ändern. Im Grunde behauptet es, die Grundlage menschlicher Entscheidungen sei ein Nichts. „Nein, nein“, so der Einwurf, „sie ist in vielen Fällen die Bösartigkeit des Entscheidenden“. Ja, und die treibt ihn dann, und die hat er sich nicht selbst zugelegt. Wie wäre, Willensfreiheit vorausgesetzt, die Haltung eines Menschen zu begreifen, den man von seinen Fehlern überzeugt und dennoch nicht bekehrt hat?
Man könnte auch sagen, mein Wille ist mein Schicksal. Woran sich die Frage anknüpfen ließe, wer oder was beeinflusst mein Schicksal und damit auch meinen Willen? Anders ausgedrückt: Was ich will, will das irgendeine Macht? Und hätten wir eine wollende Ursache für unser Wollen gefunden, wäre die gleiche Frage wieder zu stellen, nämlich von wem oder was diese wollende Ursache gewollt wird. Und wir wären auf dem (richtigen) Weg in die Unendlichkeit. Unbescheiden wäre es, anzunehmen, mein Wille sei die erste Ursache für irgendein Geschehen. Fraglos wird er gespeist aus einer Quelle. Die aber ist uns verborgen. Und wäre sie uns bekannt, stünden wir nur,wie bei jeder Quelle, vor der weiteren Frage, wer oder was diese Quelle beliefert.
Womit auch das Argument zugunsten der Willensfreiheit, wie in einer Welt, deren Materielles Gegenstand exakter Forschung ist, menschliche Entscheidungen Ursachen für materielle Wirkungen sein können, nicht weiter ernst zu nehmen ist. Auch nur deswegen hier Erwähnung findet, weil es in der zeitgenössischen Philosophie eine Rolle spielt. Die Fokussierung der Forschung auf die materielle Welt kann nicht dafür herhalten, das, was wir auf diesem Weg nicht erforscht haben – in diesem Fall das Zustandekommen menschlicher Überlegungen und ihre Wirkungen auf die Materie –, mit Willensfreiheit zu erklären.
Sie als Selbstbestimmung zu definieren, bei der autonom und ohne inneren und äußeren Zwang gehandelt werde, hilft auch nicht weiter, solange nicht geklärt ist, wie denn eine autonome Entscheidung zustande kommen soll. Einen umstrittenen Begriff durch einen ebenfalls umstrittenen zu ersetzen, ist bloße Augenwischerei.
Wie aber, wenn der Wille gar nicht die Ursache unserer Handlungen und Taten ist? Wenn es die in uns drängende und treibende Lebenskraft ist, die einfach nur ausströmen und sich auslassen will? So, wie das Herz ganz natürlich nur schlagen will.
Dem Willen würde dann nur die Aufgabe zufallen, geeignete Kanäle für das Ausströmende zu finden. Dabei natürlich nicht frei in der Entscheidung, sondern von diesem oder jenem Motiv gezwungen. Klingt plausibel, oder? Stünde da oben nicht, die Lebenskraft will sich auslassen, das Herz will schlagen, wäre es das auch. Aber so haben wir den Willen wieder an die erste Stelle gesetzt, folglich keine neue Sichtweise gewonnen.
Ein grundloses Wollen also als letzter Grund? Wofür man auch den Ausdruck spontane Dynamik wählen könnte. Derzufolge eine blinde Energieentladung im Menschen erfolgt, welcher selbst nur Katalysator ist. „Nie und nimmer!“ ruft er entrüstet und dreht seine Gehirnschale noch etwas weiter aus dem Kragen. Ist das nun ein Glanzstück oder eine Unzulänglichkeit der Natur, den Menschen trotz aller Determiniertheit überzeugt sein zu lassen, er agiere frei aus sich heraus?
Könnte er das wirklich, stünde ihm eine Kraft zur (freien) Verfügung, die, genau besehen, doch mehr zu leisten verspräche, als nur das Handeln des damit Ausgerüsteten zu bestimmen. Diese Kraft müsste auch außerhalb ihres Trägers ohne dessen Handlungen direkt und ohne Umweg wirken können. Ein sehr spekulativer Gedanke, wie ich unumwunden zugebe.
Dass die Welt nichts anderes sei als Wille (und Vorstellung) ist eine These, die noch nicht widerlegt werden konnte (was selbstredend nichts über ihren Wahrheitsgehalt aussagt). Sie wurde von Arthur Schopenhauer vorgestellt, der als Griesgram in Frankfurt am Main verstarb. Er war der Ansicht, dem Leben, worin er nur „ eine unnützerweise störende Episode in der seligen Ruhe des Nichts“ sah, sei das Nicht-Leben vorzuziehen. Am besten sei man tot. Ob er je die Vögel hat singen hören — und zwar in Dur, nicht in Moll?
Ein Beispiel dafür, wie Optimismus und Pessimismus ihre Wurzeln im Inneren des Menschen haben und von äußeren Dingen ziemlich unabhängig sind. Denn dem Knurrhahn ging es zeitlebens gut; er war finanziell durch eine Erbschaft abgesichert, konnte sich früh, ohne einem Broterwerb nachgehen zu müssen, seiner Lieblingsbeschäftigung widmen, der Philosophie eben.
Dem Willen, der in ihm wirkte und ihn trieb, war er nicht hold. Er wollte ihn einfach los sein.Sein Vater endete durch Suizid; der Sohn sah darin keine Lösung, nur eine Bestätigung des Willens zum Leben, der nicht durch Selbsttötung verlösche, sondern dadurch nur zu neuem Leben angeregt werde. Arthur war ein Rührlöffel, kein Schöpflöffel.
Was aber,wenn jemand den Inhalt seines Willens akzeptiert, ihn sogar bejaht, sonach gar keine Skrupel dem gegenüber empfindet, was sein Wille will? Nun, dann liegt eine Konstellation vor, welche extreme Leistungen im Guten wie im Bösen hervorbringt. Haben wir es doch dann mit einem potenzierten Willen zu tun.
Überdies, könnten die Menschen wirklich frei entscheiden, was sie tun wollen und was nicht, würden die meisten auf Grund ihrer ausgeprägten Feigheit sich gar nicht trauen, eine eigene Entscheidung zu fällen. Sie wären in dem bequemen Zustand, in dem sie jetzt schon sind: fremdbestimmt. Marionetten allemal und im Grunde wiederum ohne (lästige) Verantwortlichkeit. Ein Zustand, in dem dennoch Heroismus anzutreffen ist, aber nur dann, wenn der Mut für alternative Verhaltensweisen fehlt.
Der Willensfreiheit zufolge wäre zudem die gesamte Geschichte der Menschheit ein Knäuel unzusammenhängender Ereignisse, geboren aus freien Entscheidungen, die auf keine Ursache zurückzuführen wären. Denn könnte jeder undeterminiert nach freien Stücken sein Handeln einrichten, wäre wohl das Chaos perfekt. Woraus sich allein schon das ganze Dilemma dieser Sichtweise ergibt.
Die Frage sei hier einmal gestellt, ob es so etwas wie Freiheit überhaupt gibt, überhaupt geben kann. Eine Antwort sei auch gleich angeboten: Freiheit, selbst Gedankenfreiheit (Gedanken kommen nämlich, wann sie wollen, nicht, wann wir wollen), ist unmöglich.Wie der Begriff lieber Gott gehört der Begriff Freiheit zu den folgenreichen Leerformeln der Menschheit, die sich auf etwas beziehen, was nicht da ist. Über Nichtvorhandenes kann man fortdauernd schwadronieren, aus Nichtvorhandenem die tollsten Folgerungen ziehen. Sachliche Kritik ist nicht möglich, da keine Sache vorliegt.
Gelangt der Begriff auch noch zu sakramentaler Weihe, wie es bei Freiheit der Fall ist, liegt ein Schlagwort mit gewaltiger Durchschlagskraft vor. Die dadurch noch gesteigert wird, Freiheit als Ziel (gar der ganzen Geschichte) auszugeben. Wo sie doch nur ein Mittel sein kein, um dies oder jenes zu erreichen. Daher allein mit der (vermeintlich) erlangten Freiheit so viele nichts weiter anzufangen wissen.
In der Regel geht es jedoch nur um zukünftige Freiheit, niemals um gegenwärtige. Menschen leben eben vorwiegend in der Zukunft, und wie leicht und ungefährlich ist es doch, diese ihnen ohne wenn und aber zu überlassen. Angler träumen von solch einem erfolgreichen und billigen Phantomköder. „Der Knecht singt gern ein Freiheitslied des Abends in der Schenke.“(H.Heine)
Hört man genauer hin, ist in den Diskussionen über Freiheit gar nicht von ihr, nur von ihrem Missbrauch die Rede, über den man Freiheit zu definieren versucht. Wo die Freiheit missbraucht wird, kann keine Freiheit sein. Das ist klar. Aber was ist Freiheit? Es liegt demnach der begründete Verdacht vor, der hehre Begriff Freiheit füge sich sehr wohl in die Wunschlandschaft des Menschen ein, nicht aber in die Realität dieser Welt. Freiheit wird überaus geliebt. Dass mit Liebe eine partielle Blindheit einhergeht, ist aber eine elementare Erkenntnis all derer, deren Liebe endete. In dem Moment, als der Zauber gebrochen war.
Der Begriff Freiheit ist fern einer Realität, die ja schon relativ genug ist, weil sie sich nur darauf bezieht, wie die Dinge sich uns darstellen. Wie wir sie wahrnehmen, so nehmen wir sie halt für wahr. Nun aber gar noch die Frage nach der Realität nichtdinglicher, abstrakter Angelegenheiten richtig beantworten zu wollen, dürfte wohl vermessen, auch unnötig sein. Denn worauf es hinsichtlich der Freiheit ankommt, ist, der Menge den Glauben zu lassen, frei zu sein. Ob sie es ist, interessiert sie dann gar nicht. Es reicht ihr vollends, den unüberbietbaren Wert der Freiheit in politischen Reden stets berücksichtigt zu finden. Auch wenn die nach der Freiheit ausgeworfenen Angelschnüre schließlich der Erdroßlung dienen sollten. Wenn zu verbieten gänzlich verboten sein wird. Denn das Wichtigste an der ganzen Freiheit ist, sie mit immer ausgeklügelteren Gesetzen zu schützen. Bis endlich eine allumfassende Knechtschaft im Dienste der Freiheit erreicht ist, in der jeder einzelne sich so frei fühlt wie in der Wüste.
Eure Gegner, ihr Freiheitskämpfer, sind so unfrei wie ihr selbst, und eure Jagd gilt nur einer Fata Morgana.
„Sie streiten sich, so heißt's, um Freiheitsrechte:
Genau besehn, sind's Knechte gegen Knechte.“ (Goethe)
Das begriffen, ginge es freilich kaum friedlicher auf der Erde zu. Denn wenn alles durch das Weltall jagt, kann es kein Ende der Jagd geben, lediglich einen Richtungswechsel.
Unfrei in Hoden und Sack eingezwängt, wird das Spermium durch einen äußeren Reiz gezwungen, explosionsartig sich in die Ferne zu begeben, um dort in ein Ei gesperrt zu werden oder zugrunde zu gehen. Im Mutterleib gefangen, wächst die Kombinatiion naturgesetzmäßig heran, um dann in die Zwänge der Familie und der staatlichen Gemeinschaft (Schulpflicht nach sechs Jahren) herausgewürgt zu werden. Wo sie noch nicht einmal den Zeitpunkt des Endes ihrer Nachtruhe bestimmen darf. Die Gravitation lässt sie an der Erdrinde kleben, und ihre Abhängigkeit von Sonnenlicht, Sauerstoff und Nahrungsmitteln hätte niemals den Glauben an Freiheit aufkommen lassen, wären diese Zwänge nicht die selbstverständlichste Erfahrung von Geburt an gewesen. Warum wir als Neugeborene erst einmal zu schreien beginnen, haben wir vergessen.
Es muss jetzt geatmet, Nahrung aufgenommen, Abfall ausgeschieden, geschlafen, gearbeitet, gelebt und gestorben werden. Allein, wenn ich etwas aufschiebe, begebe ich mich in die Unfreiheit. Die von Anfang bis Ende unseres Leben so total ist, dass, so ist zu vermuten, allein aus ihrer Totalität die Illusion einer potentiellen Freiheit gewachsen ist. Einer Illusion, die als notwendiges Sedativ dienen mag.
Vor der einzigen Alternative, nämlich der, sich durch eigene Gewalt das Leben zu nehmen, steht oft nur die Furcht vor dem Tod als einziges Hindernis.Dennoch liegt darin die einzige wirkliche Spur von dem, was annähernd Freiheit genannt werden könnte (sterben, bevor man stirbt), daher man in früheren Zeiten auch von Freitod sprach. Den Zeitpunkt des Aufbruchs selbst zu bestimmen, bevor der Gastgeber unmissverständlich dazu auffordert, gehört das nicht auch zur Würde des Menschen? Die durch Krankheit und die Schmach des Alters erniedrigt wird. Hingegen wir durch rechtzeitiges Abtreten uns erheben. Hatten wir schon keinen Einfluss auf unsere Zeugung, unser Antritt also vollkommen fremdbestimmt war, so können wir wenigstens den Austritt bestimmen – und sterben wie die wenigsten. Wann hätte man je über einen Selbstmörder gesagt „Welch ein Dummkopf“? Wir können uns vom jetzigen Leben verabschieden, wann wir wollen – wenn wir wollen. Und was ist die Zahl derer, die sich vor dem Tode fürchten, gegenüber der unermesslichen Zahl derer, die ihren Tod, ohne größeres Problem, schon hinter sich haben?
Da unser Wille aber nicht frei ist, blitzt im Suizid nur etwas kurz auf, was den Anschein von Freiheit aufweist. Wäre es echte Freiheit, könnten wir uns freier dünken als der liebe Gott – und unser Leben erschöpfte sich im Taumeln. Gott kann bekanntlich seine Existenz nicht beenden, da deren Ewigkeit ja untrennbar mit seinem Wesen verbunden ist. Nicht nur in dieser Hinsicht ist er unfrei, sondern auch in Hinsicht auf das Vertrauen, das die Gläubigen ihm entgegenbringen, auf die Erwartungen, die er geweckt, und auf die Versprechungen, die er geleistet hat. Mit all dem hat er sich, falls er vorher frei war, freiwillig in die Unfreiheit begeben. Macht er sich davon wieder frei, indem er seine Versprechen nicht hält, ist er kein Gott (jedenfalls nicht der, an den Christen glauben).
Es sei ferner auf die grandiose Hybris hingewiesen, die der 'Entdeckung' der Willensfreiheit zugrunde liegt. Während alles in der Welt, von dem Lauf der Himmelskörper bis zu dem der Ameise, ohne Ausnahme strikt dem Kausalgesetz unterworfen ist (folglich der als Beispiel erwähnte Zufallsgenerator natürlich auch nicht frei den Zufall hervorbringen kann), erlaubt sich der Mensch zu glauben, er allein sei da eine Ausnahme. Seine Handlungen hätten ihre Ursache in der Entscheidung seines Willens und diese Entscheidung sei frei, da durch nichts konditioniert. Das in der Natur ohne Ausnahme zu beobachtende Kausalgesetz – jede Wirkung hat eine Ursache und ist selbst wieder Ursache für eine weitere Wirkung –, dieses allgemein gültige Naturgesetz soll im Menschenkopf (ein Stück Natur) nicht gültig sein. Im Menschen, so glaubt ein Fatzke, stoße die Natur an ihre Grenzen.
Am Rande seien hier die Erkenntnisse der Hirnforschung erwähnt, nach denen Handlungsentscheidungen im Gehirn schon abgeschlossen sein können, bevor sie überhaupt ins Bewusstsein treten. Was, ohne großen Forschungsaufwand, jeder gute Fechter, Tischtennisspieler, Handund Fußballtorwart und artverwandte Sportler bestätigen kann. Ja, jeder, der etwas versehentlich umstößt und nach dem fallenden Gegenstand zuckt, wird erst hinterher sich des Geschehens bewusst. Oft hat er da aber die Situation schon gerettet. Freilich, ob körperliche Reflexe – es waren mehr oder weniger solche, die im Labor untersucht wurden – allein für die Determiniertheit aller menschlichen Handlungen sprechen, darf wohl mit einem Fragezeichen versehen werden.
Nur unter Annahme der Willensfreiheit kann sich ein Mensch auch die Tugend des Gehorsams gegenüber Gott zusprechen, die natürlich einem Automaten nicht als Verdienst anzurechnen wäre. Genau genommen müsste sich der Mensch auch einbilden, sein So sein sich in freier Entscheidung selbst zugelegt zu haben. Denn aus seinem Wesen folgt doch, wie er sich in bestimmten Situationen entscheidet.
„Aber nein, seine Entscheidung erwächst aus dem freien Nichts!“ Warum nennst du dann den einen Betrüger, der dich betrogen hat? Er hat doch eben gerade mal frei und undeterminiert betrogen und kann das nächste Mal ebenso frei und unbedingt, will sagen aus dem Nichts heraus, ganz anders handeln, zum Beispiel dich beschenken. Ein punktuelles Betrugsereignis, aus dem Nichts geboren, kann doch niemanden zum Betrüger stempeln.
Nicht auszuschließen sind höhere Wesen, die, sofern vorhanden und von uns Kenntnis nehmend, in uns kaum mehr als spaßige Äffchen sehen, die sich selbst – was e' Ding, was e' Ding – zu einem absoluten Wert hochschrauben.
Merkwürdigerweise wird als eines der Hauptargumente für die Willensfreiheit die Strafjustiz ins Felde geführt. Ohne die Annahme der Willensfreiheit könne man keinen Verbrecher guten Gewissens seiner gerechten Strafe zuführen. Ein verblüffender Gedankengang. Demnach hätte die Natur sich in ihren Einrichtungen danach zu richten, ob ihre Folgen uns passen oder nicht.
Ferner sei auf folgende Selbstverständlichkeit verwiesen. Die Gesellschaft wird durch Strafen, die den Täter aus dem Verkehr ziehen, geschützt. Durch die Todesstrafe zeitlich unbegrenzt, durch die Haftstrafe zeitlich begrenzt. Zudem erhalten potentielle Täter durch angedrohte Strafen ein Motiv, das ihr vom Willen bestimmtes Abwägen des Für und Wider einer Straftat beeinflussen kann. Je nachdem es sich gegenüber den anderen Motiven behauptet, fällt die Entscheidung – nicht frei aus dem Nichts heraus.
Strafen müssen demzufolge nicht nur angedroht, sondern auch vollstreckt werden. Dieser Täter hier muss bestraft werden, obwohl er nicht anders wollen konnte, damit von dem nächsten potentiellen Täter das Beispiel hemmend ins Kalkül gezogen wird und womöglich mit anderen günstigen Motiven die Oberhand gewinnt. So dass er dann nicht anders kann, als die in Erwägung gezogene Tat zu unterlassen.
Bekanntlich nennt man das die abschreckende Wirkung der Strafe, und es gibt Experten, die wollen deren Untauglichkeit ermittelt haben. Ein Verweis auf die weltweit hohe Zahl bekannt gewordener Straftaten und die damit einhergehende Überfüllung der Haftanstalten reicht dazu allerdings nicht aus. Zwar haben sich die Insassen dieser Anstalten nachweislich von der angedrohten Strafe nicht abschrecken lassen – vornehmlich deswegen nicht, weil sie in ihrer notorischen Selbstüberschätzung davon ausgingen, selbstverständlich nicht erwischt zu werden – , die Zahl der Straftaten aber, die aus Furcht vor Strafe nicht begangen wurden, bleibt dabei vollkommen unbekannt und konnte selbst von Statistikern bislang nicht errechnet werden. So wenig, das sei hinzugefügt, wie die Zahl der Straftaten, die überhaupt nicht entdeckt wurden. Und noch eine Frage, eine ketzerische: wie viele Straftaten mögen gar geschehen sein, gerade weil sie unter Strafe standen?
Zweifelst du weiterhin, ob man nach Entthronung der Willensfreiheit noch guten Gewissens strafen könne, sei dir gesagt: natürlich, mein Guter, kannst du das, denn nicht nur die anderen, sondern auch du hast keine Willensfreiheit und kannst in bestimmten Fällen gar nicht anders als strafen.
Die Art deiner Verteidigung wird dir vom Angreifer vorgeschrieben. Das Unrecht ist zuerst da und schafft zwingend das Recht. In aller Bescheidenheit kannst du demjenigen, der dir Unrecht tut, im schlimmsten Fall das nehmen lassen, was zu den höchsten Gütern der Menschheit gerechnet wird (und doch nur eine Schimäre ist) ─ die Freiheit. Aber bitte nicht mit Geifer. Reagiere so, als hätte dich ein gefährliches Tier angegriffen. Handelt es sich um geringere Übel, entrüste dich so wenig wie über den Blinden, der dich stößt oder das Pferd, das dich tritt.
Mit Gerechtigkeit, Schuld und Sühne hat das freilich nichts zu tun. Wenn schon Schuld, dann liegt eine Gesamtschuld der in sich verwobenen Verhältnisse vor, die den Einzelnen auf einen verbrecherischen Weg nagelten. Als Glied einer ewigen Kette von Ursache und Wirkung kann er noch nicht einmal an dieser Kette rütteln.Und er möge sich, bitteschön, auch nichts auf irgendein persönliches Verdienst einbilden. So wenig nämlich wie die böse Tat kommt die gute unkonditioniert aus seinem Selbst.
Was die Naturkräfte in ihrem unaufhörlichen Spiel mit Ursache und Wirkung vollbringen, dessen Urheber bist du so wenig, wie der Mauerstein der Urheber der Mauer ist. Für die aber ihr Erbauer die Verantwortung trägt. So wäre auch für die Kausalkette, wenn sie nicht ewig wäre, sondern einen Beginn aufzuweisen hätte, derjenige verantwortlich,der sie begonnen hat. Da ein Beginn aber nicht vorliegt – er müsste ja aus dem Nichts entstanden sein – , wir uns daher nicht mit fremder Schuld entschuldigen können, sollten wir uns auf unsere Unschuld verlassen. Besser noch, die Begriffe von Schuld und Unschuld ausmustern. Es reicht vollends, die Last von Ursache und Wirkung zu schleppen.
Ebenso wirst du deine eigenen Taten in keinem Fall mehr bereuen müssen. Deine Reue wäre weiter nichts als ein Vorwurf gegen die Existenz der ewigen Kausalkette, nach der jede Wirkung eine bestimmte Ursache haben muss und nicht aus dem Nichts auftauchen kann. Eine freie Ursache ist eigentlich schon ein Widerspruch in sich. Du wirst die weise Einrichtung der Natur bewundern, Entscheidungen, die dich betreffen, nicht dir zu überlassen, sondern in ihre eigene Hand zu nehmen, so wie das bei Herzschlag, Atmung, Verdauung, Schlaf, Wegducken vor Schlägen, Stößen, Stichen und Wurfgeschossen geschieht.
Und du wirst dich vielleicht der Auffassung nähern, unser Strafrecht verdiente eine Revision.Denn die Mehrheit der Gefängnisinsassen besteht aus Wiederholungstätern mit mehr als einer Vorstrafe. Diese Verurteilten werden stets aufs Neue in die Gesellschaft entlassen, obwohl ihre Strafakte belegt, dass sie nicht anders können als immer wieder straffällig werden. Die Natur hat ihnen die fundamentale Einsicht, sein Glück nicht auf dem Unglück eines anderen aufbauen zu können, versagt. Die fixe Idee von der Willensfreiheit, nach der ein Übeltäter sich nach der 64. Verurteilung die 65. nunmehr zu Herzen nehmen werde ( das habe ich einmal in einer richterlichen Urteilsbegründung gelesen), um in Zukunft ein deliktfreies Leben zu führen, diese fixe Idee stürzt Opfer und Täter wieder und wieder ins Elend.
Beide sind zu bedauern, nicht nur das Opfer. Der Täter auch, weil gegen seinen in eine bestimmte Richtung wirkenden Willen alternative Motive chancenlos bleiben und er damit ein aus der nichtinhaftierten Gesellschaft Ausgestoßener bleiben muss. In der Haftgesellschaft fühlt er sich übrigens nicht als Ausgestoßener. Somit ihm auch von Urteil zu Urteil die Strafe immer weniger ausmacht und er bald zu dem Standpunkt gelangt, Personen seines Schlages seien die normalen Menschen, nur mit denen da draußen stimme etwas nicht. Da ihm zudem, kaum eingerückt, zur Erleichterung der Haftzeit ein vielfältiges Unterhaltungsprogramm angeboten wird, verliert Strafandrohung für ihn mehr und mehr den vielleicht doch noch vorhandenen Rest ihres Abschreckungscharakters. Strengere Haftbedingungen mit dafür kürzerer Haftdauer wären in manchen Fällen effektiver, billiger auf jeden Fall. Auch verweilte der Verurteilte nicht so lange in der schädlichen Umgebung seiner Gesinnungskumpane. Doch davon abgesehen, wie ist ihm und der von ihm bedrohten Gesellschaft zu helfen?
Ab einer bestimmten Anzahl von Straftaten (über diese Zahl ließe sich trefflich streiten) bleibt der Delinquent kaserniert und erhält keine Gelegenheit mehr für eine weitere Übeltat im Außenbereich. In einem nach außen abgeschlossenen Wohnund Lebensbereich lebt er unter seinesgleichen und unter ständiger Beaufsichtigung, aber unter Umständen menschenwürdiger als so mancher Unbescholtene im Altersheim. Aufsicht ist nötig, da die Belegschaft sich andernfalls gegenseitig reduzieren und Zynikern einen Heidenspaß liefern würde.
Was dem Intensivtäter ( früher: Berufsverbrecher) genommen wird, ist die Möglichkeit, seine Artgenossen nach Gutdünken wieder und wieder zu schädigen. Die Gesellschaft jenseits der Mauern und des Natodrahtes wird dann nur noch von denen bedroht werden, die gerade ihre kriminelle Karriere beginnen (wollen) und nicht mehr zusätzlich und weit gefährlicher von den Routiniers. Es sei denn, letztere sind so gewitzt, unentdeckt bleiben zu können. Da die Strafverfolgungsbehörden aber nicht mehr den dümmeren Wiederholungstätern nachjagen müssen, werden Kapazitäten freigesetzt, die nun den klügeren weniger Chancen geben. Das alles müsste dann geschehen ohne die Attitüde der moralischen Überlegenheit. Im Grunde taugen wir doch alle nichts und sind doch auf der Welt.
Aufgeklärten wie aufklärerischen Weltverbesserern, die meinnen, das sogenannte Böse könne man mit geeigneten Maßnahmen – sie kennen die richtigen – aus der Welt schaffen, sei erwidert: darauf können wir nicht warten.
Gegenwärtig steht dem verurteilten Straftäter, ob er zum ersten oder zum zigsten Mal in eine Zelle einrückt, eine Mannschaft von Betreuern zur Verfügung, die alles dran setzt, ihn zu resozialisieren (was natürlich eine bereits erfolgte Sozialisierung voraussetzt) und, vor allem, ihm eine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung zu ermöglichen. Denn, so ihre These: „ Wir wollen die Verurteilten durch Sitzen zum Stehen bringen. Liegen wir richtig?“ Die Kerntruppe setzt sich aus Pfarrern, Psychologen, Lehrern, Sozialarbeitern und ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen. Selbstverständlich sind darunter auch weibliche Personen, bei den Ehrenamtlichen sogar auffallend zahlreich. Diese dürfen sich übrigens in Männerknästen tummeln, die männlichen in Frauenknästen nicht. Warum letztere nicht, liegt auf der Hand. Auf ihr liegt aber auch, warum erstere das ebenfalls nicht dürften.
Diesem Team, das Menschen nach Mustern behandeln will, die sich Ideologen, ihre privaten Nöte ideologisierend, ausgedacht haben, diesen Heilkundigen fühlt sich der Straftäter überlegen. Zum einen, weil er sich für zu klug hält, durch Maloche seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zum anderen, weil er seine Therapeuten auf dem falschen Dampfer weiß. Auf dem er natürlich bereitwilligst mitdampft. Ihm ist nämlich, wie jedem anderen auch, der eingesperrt wäre, jedes Mittel recht, um raus zu kommen.
Was die ihn therapierenden Experten nicht sehen – auch nicht für möglich halten, weil sie in einer anderen Welt leben–, ist seine Konkordanz mit dem Bösen. Sie ist dem Intensivtäter nicht zu nehmen. Er ist bösartig und bleibt es und muss sich in seinen Taten entladen.
„Wenn wer sich wo als Lump erwiesen, so bringt man in der Regel diesen zum Zweck moralischer Erhebung in eine andere Umgebung. Der Ort ist gut, die Lage neu, der alte Lump ist auch dabei.“ (W.Busch)
Das vom gleichen Autor stammende Aperçu 'Tugend will ermuntert sein, Bosheit kann man schon allein' setzt etwas voraus, was hier nicht anzutreffen ist: Tugend. Anzutreffen ist eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, die bereits in jungen Jahren beobachtet werden kann und jeder therapeutischen Bekehrung trotzt. Der damit Ausgerüstete fällt durch ein übersteigertes Selbstwertgefühl, durch Wagemut und die Unfähigkeit, sich in die Gefühle anderer Menschen zu versetzen, schon früh auf. Gesellen sich Verstandesschärfe und Charme hinzu, ist er für eine kriminelle Karriere bis zu Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft prädestiniert. Kann er doch die typischen vier Eigenschaften eines Psychopathen sein eigen nennen, als da eben sind: Charme, Intelligenz, Furchtund Skrupellosigkeit.
Dass die Gelegenheiten, Böses zu tun, hinter Gittern eingeschränkt sind, verwechseln unsere Therapeuten im Einzelfall damit, der Wille, Böses zu tun, sei erfolgreich therapiert worden. Wenn es wenigstens einzurichten wäre, die Wiederholungstäter da wieder einsitzen zu lassen, wo die Therapeuten arbeiten, denen sie das große Theater von Reue und Einsicht vorgespielt haben, wäre schon einiges gewonnen. Das geschieht aber selten, und nur durch Zufall erfährt der Getäuschte vom wiederholten Scheitern seines Probanden.
Die Betroffenen (auf der einen wie auf der anderen Seite) werden, sofern sie davon Kenntnis erlangen, meinen Ausführungen freilich vehement widersprechen. Die einen, weil sie raus, die anderen, weil sie drin bleiben wollen. Und wenn der Druck der Verhältnisse keine andere Lösung mehr als die hier vorgeschlagene zulässt, wird diese Lösung sich zu den übrigen Trivialitäten unserer Gesellschaft gesellen, ohne überhaupt Aufmerksamkeit zu finden. Mit der Sicherungsverwahrung ist man ja schon auf dem Wege dorthin.
Zur Abrundung: Es ist noch nicht lange her, da vergewaltigte ein in einer Hamburger Justizvollzugsanstalt einsitzender Sexualstraftäter eine Justizvollzugsangestellte in der Anstaltsbücherei. Dem Anstaltsleiter, einem Psychologen, gelang es, den Vorfall unter der Decke zu halten, fürchtete er doch eine Gefährdung seines therapeutischen Konzepts. Erst als der Täter wegen guter Führung und günstiger Prognose vorzeitig entlassen werden sollte, wendete sich das Opfer an die Öffentlichkeit.
Ob das abstrakte Böse überhaupt existiert, ist allerdings unwahrscheinlich. Was wir erleben, ist doch nur die konkrete Bosheit des Individuums. Sie wird man wohl aus der relativistischen Perspektive zu betrachten haben und dabei zu dem Ergebnis gelangen, das Böse schlechthin gebe es lediglich als Hirngeburt. Und was als böse angesehen wurde und werde, sei stets dem Wandel unterworfen. Das aktuelle Böse sei das, was unter Strafe stehe. Das aktuelle Gute daher mit Wilhelm Busch so zu definieren wäre:
„Das Gute, dieser Satz steht fest,
ist stets das Böse, das man lässt.“
Wie sonst wäre es auch möglich, in ein und demselben Rechtsstaat für ein und dieselbe Tat, z.B. Spionage, sowohl den Galgen als auch einen Orden verdienen zu können.
Seit dem zweiten Sündenfall, der Aufklärung, geistert der Einfall durch verwirrte Köpfe, der Mensch sei von Natur aus gut, nur die gesellschaftlichen Verhältnisse machten ihn böse. Der Feldzug gegen Vorurteile stützt sich auf dieses verhängnisvolle Vorurteil. Das größte Vorurteil ist nun einmal, zu glauben, sich aller Vorurteile entledigt zu haben. Doch Rousseaus edler Wilder, der Vater aller neuzeitlichen Revolutionen, war so meinungsbildend wie falsch. Zudem war er, wie sein Erfinder auch und die Mehrzahl der Menschen nicht, Einzelgänger. Von Natur ist der Mensch, wie alle anderen Lebewesen, weder gut noch böse. Sie kann mit diesen abstrakten Kategorien nichts anfangen. Hätte Jean-Jacques, der in seiner Geburt seinen ersten Unglücksfall sah, seine eigenen Kinder erziehen müssen,wäre ihm das vielleicht nicht unentdeckt geblieben. Wahrscheinlich ahnte er es aber, brachte er seine eigenen fünf Kinder doch rechtzeitig in ein Findelhaus. Andernfalls er vielleicht ein Erkenntnisverwandter von W.Busch geworden wäre:
„Es saust der Stock, es schwirrt die Rute,
du darfst nicht zeigen, was du bist.
Wie schad', o Mensch, dass dir das Gute
im Grunde so zuwider ist.“
Die vermeintlich einfachste Antwort auf die Frage nach dem Bösen ist die, böse sei, was Gott verboten habe. Folgen wir dieser Definition, ergeben sich jedoch neue Probleme aus der weiteren Frage, ob Gott das Böse verboten habe, weil es böse sei, oder ob es böse sei, weil er es verboten habe. Auf den ersten Blick mag diese Frage spitzfindig erscheinen, ist es aber ganz und gar nicht. Denn zu welcher Antwort man auch neigen mag, die Konsequenzen sind beachtlich.
Antworte ich, weil Gott es verboten hat, ist etwas böse, so ist das Böse unabhängig von seinem Verbot gar nicht vorhanden. Es ist von Gott in die Welt gesetzt worden. Er hat es gewissermaßen erst erschaffen. Das folgt zwingend aus der Annahme, böse sei etwas, nur weil Gott es verboten habe. Alle Argumente, die diese unsinnig erscheinende Sichtweise widerlegen sollen, setzen, ohne dass sich der Argumentierende dessen bewusst ist, das Böse als autonome Größe voraus, die auf eigenen Füßen steht.
Entgegne ich, weil es böse ist, hat Gott das Böse verboten, setze ich neben Gott etwas Eigenständiges, das irgendwie der Macht Gottes, die doch eine Allmacht sein soll, dennoch nicht unterworfen zu sein scheint.Das Idealziel eines Verbotes ist im wesentlichen doch, das Verbotene aus der Welt zu schaffen. Das Verbot des Drogenhandels zum Beispiel hätte sein Idealziel erreicht, wenn alle Drogen aus der Welt verschwunden wären. Ein weltlicher Herrscher, der dazu die Macht hätte, würde doch absurd handeln, Drogenhandel zu verbieten, wenn er gleichzeitig in der Lage wäre, die Droge selbst ihrer Existenz zu berauben. Das eigenständige Böse wäre dementsprechend neben dem freien Willen des Menschen eine weitere Gott nicht unterworfene Größe. Dem Menschen hat er den freien Willen geschenkt und sich damit auf eigenen Entschluss hin entmachtet – gegenüber einem Lebewesen und einem seiner Geschöpfe. Unvorstellbar, er habe ebenso gehandelt gegenüber einem Begriff, einem Prinzip, einem Abstraktum. Das er zwar ebenfalls selbst geschaffen hat – sonst wäre ja vor ihm schon etwas anderes da gewesen – , dem ein eigen gesteuertes Potential zukommen zu lassen aber absurd erscheint.
Wie aber ist dann das Böse überhaupt in die Welt gekommen, die doch von eben diesem Gott erschaffen wurde? Theologen, hurra, haben das Schlupfloch entdeckt. Es ist der freie Wille des Menschen, bei dem wir schon wieder gelandet sind. Er ist eben so eine Art Universalschlüssel für alle Problemfälle in Sachen Logik versus Religion. Verständlich, dass der Besitz dieses Schlüssels mit allen Mitteln verteidigt wird. Der Mensch kann sich frei für das Böse entscheiden – und damit ist es in der Welt. So einfach ist das.
Nun gebe ich zu, die Sache mit der Willensfreiheit ist wahrhaft eine sehr komplizierte. Man begegnet klugen Menschen, die darauf bestehen, zu wissen, sich frei entscheiden zu können. Dann jedoch und nur darin sehe ich einen Ausweg muss das Kausalgesetz, nach dem jede Wirkung eine Ursache hat, falsch sein.
Geistig hoch stehende Organismen, mit anderer Gehirnstruktur und auf anderen Planeten, könnten tatsächlich die Dinge und ihre Verhältnisse zueinander aus einer Perspektive sehen, in der so etwas wie Ursache nicht vorkommt. Dafür sicher etwas anderes, das sie zur Bewältigung ihres Daseins voraussetzen müssen und was uns wiederum vollkommen unverständlich erscheinen könnte. Quantenphysiker behaupten übrigens, Ereignisse zu beobachten, die ihre Wirkungen von selbst hervorbringen. Dies soll zum Beispiel beim spontanen Zerfall radioaktiver Atome der Fall sein. Ob da aber, wo wir keine Ursache finden, tatsächlich auch keine ist, wer wollte das ernstlich behaupten?
Der so allgemein verbreitete Glaube an die Willensfreiheit und die strikte Ablehnung des Determinismus trotz der offensichtlichen Determiniertheit aller Dinge, Wesen und Geschehnisse mutet dem Nachdenklichen wunderlich an und legt den Verdacht nahe, die Natur habe hier so etwas wie einen weißen Fleck im Gehirn eingerichtet, ohne den wir den notwendigen Grund all dessen, was ist, auf Anhieb erkennen und darüber irgendwie zu Grunde gehen würden. Oder es ist etwas ähnlich der Gravitation, welches das Zurückverfolgen unserer Motive zu ihrem Ursprung unterbindet, wie sie das Zurückfließen der Bäche, Flüsse und Ströme zu ihren Quellen verhindert. Eine weitere Erklärung könnte auch im Glauben des Menschen an die Erschaffung der Welt liegen. Sie kann ja, konsequent zu Ende gedacht, nur auf Grund einer freien Willensentscheidung erschaffen worden sein.
Ohne menschliche Beteiligung bestraft die Natur übrigens Straftaten nur dann, wenn sie mit Ungeschicklichkeit verbunden sind, der Täter zum Beispiel mit seinem Fluchtauto in den Graben fährt. Gerechtigkeit in unserem Sinne kennt sie gar nicht. So verteilt sie wahllos als ungerecht empfundene Krankheiten, gegen die manch andere Ungerechtigkeiten sich harmlos ausnehmen. Politik, die ja im Grunde nichts anderes ist als eine unaufhörliche Debatte über Gerechtigkeit, beschäftigt sich mit einer Schimäre. Womit ihre beständige Erfolglosigkeit erklärt wäre. Nicht aber ihr hartnäckiges Debattieren.Will man vielleicht wenigstens der Idee der Gerechtigkeit so etwas wie Satisfaktion zukommen lassen?
Wobei nicht auszuschließen ist, den Gerechtigkeitswahn der Menschen einmal so weit gehen zu sehen, dass schöne Gesichter sich nicht mehr auf die Straße trauen dürfen. Auf der man in bestimmten Gegenden schöne Automobile schon nicht mehr stehen sieht. Was die Vermutung nahelegt, Gerechtigkeit sei weniger eine hohe Idee,vielmehr nur das Ergebnis eines bösen Willens und blanken Neides (Jedem das Gleiche!). Zuweilen ist sie noch tiefer angesiedelt, bei der Rache und der Grausamkeit, die sich mit ihr tarnen.
Statt politischer Debatten bitte neue Gesinnungen! Das aber leistet der alte Adam nun einmal nicht. Auch wenn er, wie schon zum Überfluss geschehen, zur Ader gelassen wird. In der Antike und bis ins Hochmittelalter galt als Ziel der Politik – man halte sich fest – die Ermöglichung der Kontemplation: „das Glück des reinen Schauens, dass der Mensch seines wahren Reichtums teilhaftig werden könne“. Da schüttelt das heutige Arbeitstier nur den Kopf.
Dabei, würde die Natur in unserem Sinne von Gerechtigkeit wirklich gerecht walten, ihr Schreihälse, euch würde es dann wahrscheinlich erst so richtig dreckig ergehen ─ aus Gründen eben dieser Gerechtigkeit. Wie so mancher Gefängnisinsasse gerne ein weniger gerechtes Urteil abzusitzen hätte.
Was die Natur unerbittlich ungleich unter die Menschheit verteilt, zum Beispiel Verstand, Gesundheit, Charme, Schönheit, die Fähigkeit, diese Gaben auch genießen zu können, und was – mit Ausnahme des Verstandes, den jeder glaubt, reichhaltig empfangen zu haben – den Gerechtigkeitssinn derer stört, die nicht so reichlich bedacht wurden, entzieht sich unserer Korrektur ─ von Mordorgien, die ab und zu Erleichterung verschaffen, abgesehen. Es wird auch nicht durch die Behauptung, alle Menschen seien gleich, aus der Welt geschafft. Denn wären sie gleich, brauchte der eine den anderen doch gar nicht zu beneiden und sich zurückgesetzt fühlen. Was hat der, was ich nicht habe, wenn wir gleich sind?
Auf diese Frage liegt jetzt so manchem die Antwort auf der Zunge: „Finanzielles Vermögen zum Beispiel!“ Davon war aber soeben gar nicht die Rede, sondern nur von den Vorzügen, welche die Natur unmittelbar verliehen hat. Doch zeigt die Antwort, wo vor allem der Stachel sitzt: auch das Vermögen, Vermögen zu bilden, ist nicht gleich unter den Menschen verteilt. Selbst in diesem ach so wichtigen Punkt sind sie ach so ungleich.
Wo ihre Ungleichheit allerdings am ausgeprägtesten und mit den größten Folgen verbunden ist, im Besitz tiefen Wissens nämlich, verspüren die Benachteiligten nicht den geringsten Schmerz. Die Natur hat das sehr weise eingerichtet. Einen wirklichen und folgenreichen Mangel lässt sie nicht ins Bewusstsein des Betroffenen treten, so wie sie den in dieser Hinsicht Makellosen an seinem Besitz zweifeln lässt. Und so da für einen Ausgleich sorgt, wo sie die ungleiche Verteilung für wesentlich hält. Bei ihr unwesentlich erscheinenden Besitzverhältnissen, zum Beispiel beim Besitz von Geld, unterzieht sie sich dieser Mühe nicht.
Der eine ist von Natur aus Frühaufsteher, der andere aus demselben Grund nicht und quält sich sein Leben lang jeden Morgen aus dem Bett. Morgenstund' hat eben nicht für jeden Gold im Mund, sondern für manchen Blei im Gesäß. Der frühe Vogel aber, so heißt das Sprichwort, fängt den Wurm. Um sehr reich zu werden, genügt es freilich nicht, früh aufzustehen und bis in die Nacht zu arbeiten, sondern man muss, wie Paul Getty anmerkte, auch noch auf eine Ölquelle stoßen. Im Alter werden die Frühaufsteher schließlich zur Plage. Die Diagnose lautet dann: Senile Bettflucht.
Würden alle gleich viel gelten, wäre im übrigen eine allgemeine gegenseitige Gleichgültigkeit die Folge. Keineswegs wäre dann Gleichheit noch ein Ideal, mit Sicherheit aber die Ungleichheit. Gleich sind die Menschen nur in ihrer Ungleichheit, andernfalls auch ein einziges Exemplar ausreichen würde, ja, ausreichen müsste, um die Drängelei auf der einen Stufe zu verhindern. Die Natur hat es aber so eingerichtet, jeden, auch wenn er Gleichheit im Munde führt, das sein zu lassen, was er eigentlich sein möchte – einzigartig ( soweit er sich im hier und jetzt befindet). Was andererseits mit ein Grund dafür sein mag, warum die Verständigung zwischen den Menschen seit jeher so schwierig ist, als ob jeder Mensch ein anderes Land wäre.
Wie verschiedenwertig die Menschen selbst auf offizieller Ebene gesehen werden, ist bei dem regelmäßig stattfindenden Gefangenenaustausch im Nahostkonflikt zu beobachten. Hier wird nicht eins zu eins getauscht. Betrug der Tauschwert von sechs Israelis 1983 noch so viel wie mehr als 4000 Palästinenser, wurden 2011 für einen Israeli bereits 1027 Palästinenser eingetauscht. Beide Seiten finden das angemessen und die übrige Welt ebenfalls.
Nur für den, der nicht genau hinschaut, für den Unaufmerk-samen, gibt es Gleichheit in der Natur. Seine Unaufmerksamkeit entspringt geistiger Schwäche, die Gleichheit mit Ähnlichkeit verwechselt. Es sind gewöhnlich auch die gewöhnlichen Menschen, die auf Gleichheit pochen. Hinzu kommt, dass sie dabei nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen haben.
Wer sehr genau hinschaut, unter Zuhilfenahme eines Mikroskopes beispielsweise, sieht, dass selbst kein Schneeflocken mit dem anderen identisch ist. Und der Aufmerksame, dessen Unterscheidungsvermögen weder verkümmert noch durch Vorurteile getrübt ist, den auch nicht der Neid zernagt, und der dennoch von der Gleichheit der Menschen spricht, ist ein ausgemachter Heuchler, der diejenigen, denen er mit dieser Phrase schmeicheln will, im Grunde verachtet. So wurde auch einmal die Schmeichelei als 'Höflichkeit der Verachtung' definiert.
Ist dem Aufmerksamen ein nobler Charakter eigen, der ihm Phraseologie verbietet, wird er sich und anderen eingestehen, ihm überlegenen Personen schon begegnet zu sein. Und er wird gestehen, die Bewunderung, die er empfand, dazu das Erlebnis, nicht mißfällig nach unten, sondern anerkennend nach oben schauen zu können, linderten seine Leiden an der Niedertracht der Menschengesellschaft.
Wer hingegen von der Doktrin besessen ist, er sei allen gleich, und es wird ein Verzicht von ihm gefordert oder er trifft auf einen Überlegenen – mag der sich dafür auch, wie mittlerweile angesagt, entschuldigen – , was steht dem zur Bewältigung dieser alltäglichen und ihn demütigenden Situation zur Verfügung? Genau genommen nichts, was helfen könnte. Neid hilft so wenig wie Entrüstung, der Schrei nach Gerechtigkeit auch nicht. Helfen könnte nur die Einsicht, Ungleichheit sei die Norm und sein Zustand, nicht aber sein Befinden, demnach ganz normal.
“Glück ist die Bescheidenheit, mit der der Wurm nicht weiter strebt zu kriechen, als seine Kraft ihn trägt.“(C.D. Grabbe) Glaubt er an die Berechtigung, zum Gipfel streben zu dürfen, weil alle gleich seien, kann ihm das bei ausreichender Kraft gelingen. Reicht sie dazu nicht aus, landet er im Heer der frustrierten Würmer. Wo der Neid ihn einmal in eine solch tiefe und daher heilsame Verzweiflung stürzen könnte, sich berechtigt zu fühlen, eine Neuformulierung aller politischen Programme unter Beachtung der Natur des Menschen und unter Missachtung seiner egalitären Einbildungen zu fordern. Darin dann der Rang anzuerkennen wäre, den die Natur jedem einzelnen zuweist, statt ihm etwas in Aussicht zu stellen, das unerreichbar, aber als Köder sehr wirksam ist. Wie beim Windhundrennen die Windspiele erfolglos hinter einer Hasenattrappe her hetzen, um anderen einen Gewinn einzuspielen.
Doch seine Forderung, da unorthodox, hätte keine Chance, berücksichtigt zu werden, würde gar als Blasphemie empfunden werden. Denn die herrschende Meinung hat ein rein aus sich bestehendes und in sich ruhendes Sein. Sie ist absolut und kann nicht beseitigt werden. Sie macht einer neuen nur Platz, indem sie allmählich versandet. Wie ein Hafen, den spätere Generationen fernab der Küste und des modernen Geschehens im Binnenland vorfinden. Die einst so brennend erscheinenden Probleme sind dann nicht gelöst, sie sind einfach abhanden gekommen, mit dem Sand der Zeit verschüttet worden (flankiert durch Neuemissionen der MVO).
„Selbst die fünf Finger sind nicht gleich an einer Hand; verschieden ist ihr Dienst, ihr Aussehen, Größ' und Stand.“ ( Rückert )
Allein, wie individuell ist die sprachliche Ausdrucksweise der einzelnen Menschen, nicht nur der Völker. In seiner Sprechweise offenbart jeder einzelne seine Individualität, wenn er seine Lautgebung andererseits auch dazu zu benutzen sucht, sein Wesen im Verborgenen zu halten. Schafften wir allein diese Eigenheit ab und jeder so sprechen würde wie jeder andere, wären wir im Reich der Zombis angelangt. Und komme mir keiner, um die Angleichung sprachlicher Ausdrucksweisen ginge es doch gar nicht. Denn was der noch nicht erlebt hat, ist der Geifer des Neides, den der eine sabbert, während dem Mund eines anderen wohl geformte Worte und Sätze entquellen. Die Zeit, in der wir uns nur noch vermittels unzusammenhängender Wörter verständigen werden – durch kurzes Bellen oder Grunzen gar – mag nicht mehr fern sein. Zur Zeit wirbt die Bundeswehr mit: “Wir. Dienen. Deutschland”. Stammeldeutsch unter staatlichem Segen. Vielleicht nähern wir uns der Epoche der Erbtreitigkeiten, in der ein Testament eindeutig zu formulieren keiner mehr in der Lage sein wird.
Die Realität der Ungleichheit in der Natur, die hierarchisch geordnet und von der die Menschheit ein Teil ist, bedeutet eine ausschließende Wahrheit. Die Lehre von der Gleichheit aller Menschen ist eine einschmeichelnde Unwahrheit. Sie fällt überall auf fruchtbaren Boden, wo die Denkweise niedrig ist. Wo aus einem Ressentiment heraus die Vielgestaltigkeit und Vielfarbigkeit der Natur geleugnet wird. Demzufolge sich niemand über die Folgen der egalitären Doktrin zu wundern braucht. Ihre Verfechter wollen nicht sehen, was vor Augen liegt. Und weil sie es nicht verdienen, sehen sie es auch nicht. Ihre Rangposition wird jedoch – auch davon können sie sich keine Vorstellung machen – unerbittlich von anderen erkannt. Und weil sie alles von der Natur begehren, können sie keine Dankbarkeit entwickeln für das, was sie ihnen tatsächlich geschenkt hat.
Doch selbst von Menschen, die in der Natur die Vielfalt der Gaben, die Schattierungen der Farben, die Verschiedenheit der Gestaltungen dankend zur Kenntnis nehmen, wird dieses bunte Schauspiel abgelehnt, sobald es das Naturprodukt Mensch betrifft. Jetzt ist Ungleichheit ein Ärgernis. Wohlgemerkt aber nur dann, wenn man übertroffen wird. Und was steckt dahinter? Ein kriechendes, widerwärtiges Laster – der Neid. Anlaß und Motor der meisten Revolutionen.
Fühlt sich ein Gleichheitsapostel durch Argumente wie die hier vorgetragenen in die Enge getrieben, pflegt er in die Ausrede zu flüchten, es sei ja nur von Gleichheit vor dem Gesetz und vor Gott die Rede. Wenn dem so wäre, warum dann die Aufregung dort, wo weder ein Richter noch ein Gott im Spiel ist?
Nun ist der Irrglaube weit verbreitet, der Mensch könne, was die Natur nicht kann, nämlich wenigstens das Geld gleich verteilen. Wobei der Irrgläubige ausblendet, selbst ein Teil dieser Natur zu sein. Darum ihm, dem es hier um soziale Gerechtigkeit geht, also darum, jeden an fremdem Eigentum teilhaben zu lassen, bis heute das Unterfangen auch nicht glücken konnte. Versuchte er es mit Gewalt, vornehmlich durch Revolution, war das Ergebnis regelmäßig keine ‚gerechte‘ Vermögensverteilung. Es wechselten nur die Personen, die reich waren. Auf Kosten derer, die alles verloren hatten, wozu oft genug auch ihr Leben zählte. Zugrunde liegt die merkwürdige und unausrottbare Eigenart des Menschen, Eigentum erwerben, vermehren, behalten und vererben zu wollen.
Würde er ohne Gewalt versuchen, das Geld gleich zu verteilen, und — was auszuschließen ist— gelänge ihm das, wäre nach spätestens einem Jahr das Geld schon wieder vollkommen ungleich verteilt. Es sei denn, man schränkte zusätzlich die freie Verfügung über das zugeteilte Geld ein. Es könnte nicht vererbt, verschenkt, verliehen, vertauscht, verdient, geraubt, gestohlen, veruntreut, unterschlagen und durch Betrug erworben werden. Wäre demnach gar kein Geld mehr, die Regelung auch gar nicht durchzusetzen. Ein Teil der genannten Bereicherungsmöglichkeiten steht ja – ziemlich erfolglos – schon unter Strafandrohung.
Zudem könnte es bei gleicher Geldverteilung noch 'ungerechter‘ zugehen, weil ein dummer, kranker, hässlicher, dafür aber zuweilen finanziell reicher Mensch das Geld nicht mehr hätte, mit dem er seine Nachteile bislang einigermaßen zu kompensieren wusste. Und vor allem, ihr Möchtegern-Umverteiler: die Natur hat die Fähigkeit zur Freude so ungleich verteilt, hat sie mehr vom Gemüt als von äußeren Dingen abhängig gemacht, lässt sie aus einer inneren Quelle fließen, dass der eine sich über einen Sack voll Geld weniger freut als ein anderer über einen Sack Kartoffeln. Und wer sich freut, soll sich ja nicht noch mehr freuen wollen. Letzte Aussage bedarf keiner Erklärung, denn wer sie nicht auf Anhieb als richtig erkennt, dem wird sie so wenig zu verdeutlichen sein wie die Richtigkeit eines bestimmten Tones in der Tonfolge eines Musikstückes.
Bei all dem ist natürlich die elementare Frage zu berücksichtigen, ob eine gleiche Vermögensverteilung überhaupt irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Ja, ob nicht schon allein die Vermögensverringerung des Reichen zugunsten des Ärmeren, wenn sie über Steuern, d.h. zwangsweise, geschieht, mit diesem hehren Begriff unvereinbar ist. Der Reiche mag Almosen in beliebiger Höhe spenden, sie aber per Zwang einzutreiben, ist das gerecht? Zumal er noch nicht einmal entscheiden darf, wem seine Zwangsalmosen zugute kommen. In früheren Zeiten hätte man das Verteilen fremden Eigentums keinesfalls als gerecht empfunden, hat es auch unterlassen.
Dass jeder nach dem Maß seines Einkommens durch Steuern zum Funktionieren seines Staates beizutragen hat, dürfte wohl jedem gerecht erscheinen. Führt jeder 20 % seines Einkommens ab, wird die jeweilige Einkommenshöhe exakt und bei allen gleich berücksichtigt. Wenn aber der eine 40 %, der andere nur 20 % seines Einkommens entrichtet, wo bleibt da – bei der sogenannten progressiven Besteuerung – die Gerechtigkeit? Könnte man fragen.Fragt aber kaum noch einer, weil– und jetzt kommen wir zum Kern der Angelegenheit – es bislang keine eindeutige und für alle Zeiten verbindliche Definition des Begriffes Gerechtigkeit gibt und wohl auch nie geben kann. In der Natur ist, wie bereits erwähnt, Gerechtigkeit nicht zu finden. Im menschlichen Gehirn, auch Natur, ebenfalls nicht, sondern nur ein Begriff davon. Zu den Begriffen gehört aber seit eh und je, verschieden begriffen zu werden. Und wie atmosphärische Turbulenzen zu Gewittern führen, so Begriffsverwirrungen zu Debatten. Wer übrigens der Auffassung ist, Rechtsprechung diene vor allem der Gerechtigkeit, irrt gewaltig. Sie dient in erster Linie der Rechtssicherheit, ohne die es keinen Frieden geben kann.
Das Wort 'solidarisch' ist seit Beginn des 19.Jahrhunderts ein politisches Schlagwort. Barmherzig klang menschlicher. Barmherzigkeit kann aber nicht verordnet werden. Weshalb unsere Gesellschaft eine Solidargemeinschaft sein will, aber nicht ist. Eine Neidgesellschaft ist sie, will es aber nicht sein. „Das echteste Zeichen, mit großen Eigenschaften geboren zu sein, ist, ohne Neid geboren zu sein.“(La Rochefoucauld) Und wer wird schon mit großen Eigenschaften geboren? Daher wohl die mächtigste Genossenschaft die Neidgenossenschaft ist.
"Je nachdem wie stark das Kamel ist, so schwer ist seine Last“, lautet ein jüdisches Sprichwort. Es wird wohl nie zu ermitteln sein, wie viel Leistung einem Steuer eintreibenden Staat von jenen vorenthalten wird, die keine Kamele sind, aber barmherzige Spender sein könnten.
Als einziges Mittel, die so vielen als ungerecht erscheinende Geldverteilung erträglicher zu gestalten, scheint das Lotteriespiel zu bleiben. Und wahrhaftig, bei jeder Auslosung gibt es einige Glückliche, die sich von nun an zwar weiterhin über ungerechtfertigten Reichtum beklagen könnten, denn mit welchem Recht ist das Los gerade auf sie gefallen, die das aber jetzt vollkommen in Ordnung finden. Ein Fall, in dem ein Lottokönig bei seiner alten Ansicht geblieben wäre und die ohne Mühe gewonnene Summe gerecht zu verteilen versucht hätte, ist mir nicht bekannt.
Dennoch sei einmal folgende Szene vorgestellt: Nachdem ein Glückspilz den Jackpot geknackt hat, trifft er vor dem Supermarkt einen ziemlich abgebrannten Bekannten, der Wind von dem 10 Millionen-Gewinn bekommen hat. Jener schiebt gerade seinen in den Kofferraum geleerten Einkaufswagen zum Depot zurück, dieser, das Notdürftigste unter dem Arm ( Tageszeitung mit einem die halbe Titelseite deckenden Foto einer Person, die jeder kennt; eine Literflasche Cola, eine Packung Salzstangen und eine Stange Zigaretten), will wissen, ob die soziale Ader, die bisher so wortreich den Gewinner durchflossen habe, nunmehr abgebunden sei. Andernfalls könne er doch endlich seinen bisherigen Worten Taten folgen lassen und die Gewinnsumme gerecht verteilen, an das untere Achtel der Bevölkerung etwa, an die wirtschaftlich Not leidenden zehn Millionen.
„Einverstanden!“ erwidert der Angesprochene, „hier hast du meinen Einkaufswagen. Bring ihn zurück, dein Anteil springt dir dann entgegen!“ Das Angebot empfindet der Bittsteller aber geradezu als unverschämt. In Zukunft wird er den Hochnäsigen mit Missachtung strafen, der sich ja von ihm, wie inzwischen die meisten Reichen von den Armen, lediglich durch eine Menge Geldes unterscheidet. Der wollte aber nichts anderes, als sein Vermögen gerecht verteilen –wenigstens ansatzweise in diesem Augenblick. Sein Vermögen von zehn Millionen, an zehn Millionen verteilt, beschert jedem einzelnen eben nur einen Euro.
Nun schwant es ihm, um was es hier geht. Jeder will das ganze Vermögen des Reichen, zumindest einen beträchtlichen Teil davon. Keineswegs nimmt jemand fürlieb mit einem Anteil, der alle anderen auch berücksichtigt. Gerechtigkeit bedeutet für den einzelnen, wenn er Recht bekommt in seinen Forderungen. Und der andere hat nur Recht, insoweit er diesen Forderungen nachkommt.
Wie enttäuschend, nicht wahr? Eine gleichmäßige Verteilung der Güter führt eben nur zu einer gleich mäßigen Verteilung. Wer Gleichheit fordert, will aber gleich dem sein, dem es besser geht als ihm. Nach oben soll eine Angleichung erfolgen. Eine zu seinesgleichen wäre ja auch überflüssig und eine nach unten absolute Ungerechtigkeit. Obwohl gerade letztere den Oberen abverlangt wird. Diese sollen ihr Niveau absenken, damit die darunter auf dem für sie dann immer noch höheren Niveau landen können. Was sie nach oben für gerecht halten, halten sie aber nach unten für ungerecht. Das Maulen soll sich doch lohnen. So werden ja auch Frauenquoten nicht für den Bereich Kanalreinigung verlangt, sondern für den der Chefetagen.
Da Reichtum für alle nun einmal unmöglich ist – es fehlte ja dann die Armut, gegenüber der sich Reichtum erst konstituiert – , soll der Reichtum abgeschafft werden. Galt Armut einst als Schande, sind wir mittlerweile so weit, Reichtum als Schande anzusehen. Eine logische Entwicklung, seit triefender Neid das Sagen hat. Dessen Träger, wäre er endlich Millionär, bald die Milliardäre beneiden würde. Und wäre er Milliardär, den Milliardär, der in seiner eleganten Kleidung auch elegant wirkt. Weil der das kann, was er nicht schafft: eine elegante Haltung einnehmen. Die Strafe für den Neid ist, ihren Wirt unaufhaltsam aufzufressen. Die Flamme verzehrt die Kerze, der Neid den Menschen. Und das je schneller, je mehr Anrechte er auf das Beneidete erfindet.
Wie wäre es mit Abschaffung der Habsucht, statt deren Objekt beseitigen zu wollen? Wäre eine guter Vorschlag, müsste man damit nicht gleichzeitig den Menschen verschwinden lassen. Der übrigens niemals klagt, was mangels Geld an Gutem zu tun er verhindert ist. Seine Klage richtet sich darauf, was er sich an Annehmlichkeiten nicht leisten kann. Und da ihm die Frage nicht in den Sinn kommt, wieso denn die Welt verpflichtet sei, seine Wünsche zu erfüllen, kann sich die Erkenntnis nicht einstellen, eine solche Verpflichtung liege keinesfalls vor.
Dem Einwand, die Gewinnwahrscheinlichkeit im Lotteriespiel sei doch so gering, dass man besser seinen Einsatz spare und wenigstens diesen bei jeder Ziehung gewinne, ist folgendes entgegenzuhalten: dein Leben verdankst du einer Lotterie mit einer weit geringeren Trefferwahrscheinlichkeit. Bei einer Ejakulation streben ca. 250 Millionen Spermien einen Gewinn an, nämlich die Vereinigung mit der Eizelle und damit das Leben zu erreichen. Selten, ganz selten gewinnt ein Spermium. Und aus Millionen Gewinnern, nebenbei bemerkt, entsteht genau so selten ein Prachtexemplar. Dagegen liegt im Lotto 6 aus 49 beispielsweise die Chance für sechs Richtige bei eins zu 15 Millionen.
Was viel unwahrscheinlicher zu gewinnen war, hast du schon gewonnen. Es ist, als ob mit einem Schuss aus einer Schrotflinte 250 Mio. mikroskopisch kleine Schrotkugeln abgeschossen werden, von denen aber nur eine einen Luftballon treffen kann. Und selbst die eine verlässt oft das Rohr, ohne zu treffen. Ähnlich wird es sich wohl beim täglichen Erguss von Wörtern verhalten. Selten befruchtet einmal ein Wort ein Gehirn.
Nun endlich zurück zum Thema Gott und Reflexion. Man wird wohl annehmen dürfen, nicht nur das Dasein und Sosein der Menschen, sondern auch seine eigene Existenz und Beschaffenheit lieferte dem lieben Gott gelegentlich ebenfalls Stoff zur Reflexion. Und da die Heilige Schrift bereitwillig und häufig Gott sprechen lässt, seine Sprechweise uns mithin vertraut ist, könnte er sich durchaus, als er sich als Seienden vorfand, in etwa folgendes gefragt haben, aber nicht mehr fragen, denn es liegt doch schon eine Ewigkeit an Gelegenheiten dazu hinter ihm: „ Ich, der ich unerschaffen seit Ewigkeit und in Ewigkeit da bin, der ich allwissend (wenn ich auch einige Taten habe bereuen müssen), allmächtig (wenn ich auch Geschehenes nicht ungeschehen machen kann) und allgütig bin (wenn ich auch zeitlich begrenzte Sünden mit zeitlich unbegrenzter Strafe vergelte), ich, der ich ewig bin, hätte ich auch nicht sein können und damit auch das Weltall nicht, das ich geschaffen habe?“
Gott konnte diese (hypothetische) Frage nur an sich selbst richten. Neben ihm soll es bekanntlich keine anderen Götter geben, weswegen man, nebenbei bemerkt, ihn sich auch niemals lachend vorstellen kann; lachen hätte er nur unter seinesgleichen können. Aber allein in sich hinein lachen, wäre irgendwie sardonisch, wenn nicht gar teuflisch.Kommt das Wort 'lachen' in der Bibel überhaupt vor?
Oder lacht Gott doch gelegentlich in Gesellschaft – mit dem Teufel? Die beiden kennen sich doch lange genug. Wäre dieses Schauspiel zu übertreffen? Und überhaupt, haben sie sich unter Umständen nicht schon längst verständigt, der Herrscher des Lichtes und der der Finsternis, einen Burgfrieden geschlossen, von dem wir noch gar nichts mitbekommen haben? Eine immerwährende Feindschaft, gepflegt von dem, der die Liebe und Güte in einer Person ist, der ausdrücklich durch den Mund seines Sohnes uns das Gebot verkündet hat, seine Feinde zu lieben und denen wohl zu tun, die uns hassen (Mt 5,44), eine solche ewige Zwietracht zwischen Gott und Teufel ist wahrscheinlich nicht mehr als nur eine menschliche Kopfgeburt. Und wenn man will, kann man die Verständigung der beiden hören, und zwar in der Musik, die ja sowohl göttlich als auch teuflisch sein kann.
Was alles außer Gott existiert, ist von ihm hervorgebracht worden, gewissermaßen aus ihm geflossen. Es gibt eben keine Instanz über ihm, die ihm Auskunft hätte geben, auch keinen Zustand vor ihm, aus dem er hätte Schlüsse ziehen können. Er existiert ja seit Ewigkeit. Aus all dem drängt sich der Verdacht auf, ob Gott auch hätte nicht da sein können, sei schlechthin unwissbar auch für Gott.
Und da Gott allwissend ist, weiß er auch, wo die Grenze zum Unwissbaren liegt und hat sich die ihm von seinen törichten Geschöpfen in den Mund gelegte Frage erst gar nicht gestellt. Es ist nicht so, dass Gott eine Frage nicht beantworten kann (da hätte der Teufel was zum Schmunzeln), sondern seine Antwort ist deswegen unmöglich, weil die dafür erforderliche Frage fehlt.
Donnerwetter, Donnerwetter noch einmal! Hat hier ein durchtriebener Jesuit seine Weisheiten verkündet? Ein durchtriebener Jesuit, ist das nicht wie ein schwarzer Rappe oder ein stinkender Misthaufen? Deinem Hinweis, die Worte ‚wissbar’ und ‚unwissbar’ seien keine Bestandteile des deutschen Wortschatzes, im Duden auch nicht zu finden, ist die Besonderheit des Sachverhaltes entgegenzuhalten, die nach einer adäquaten Wortschöpfung verlangt. Wenn auch unsere Sprache an der Größe des Sachverhalts scheitern wird. Die gewöhnliche Sprache wäre hier nur ein Mißverständigungsmittel, was sie ja oft genug schon in ganz alltäglichen Angelegenheiten ist.
Nun trägst du den Einwand vor, das sei ja alles lächerlich, was wir über Gott zu wissen vorgeben. Das einzige, was wir mit Sicherheit über ihn wüssten, sei, nichts über ihn zu wissen, mehr noch, nichts über ihn wissen zu können. Gott sei eben die „personifizierte Unbegreiflichkeit“. Eine Aussage, die immerhin seine Existenz als Person voraussetzt.
Der Scherz, die Philosophen seien die Spaßmacher Gottes, setzt ebenfalls diesen Gott voraus und noch mehr, nämlich die Vermutung, in humoristischer Hinsicht habe ein Philosophenhirn dem Allmächtigen etwas zu bieten, während es doch bisher noch nicht einmal einen Artgenossen hat je erheitern, allenfalls einen schweren Kopf bereiten können.
Wenn wir, wie du meinst, über Gott nichts wissen – wozu auch, genau genommen, gehört, ob er überhaupt existent ist – , dann gehörst du natürlich nicht dem Kreis gläubiger Christen an, dem sich Gott in der Heiligen Schrift offenbart hat. Einer Schrift, die, beiläufig bemerkt, heute kaum einen Verleger fände, wenn sie erstmalig auftauchte. Der würde, käme er beim Überfliegen des Textes beispielsweise an die Stelle 3.Mose 6,7, vermuten, man werde mit Voodoo-Praktiken vertraut gemacht:
„Und der Herr redete mit Mose und sprach : (…) Und dies ist das Gesetz des Schuldopfers, ein Hochheiliges ist es. An der Stätte, da man das Brandopfer schlachtet, soll man auch das Schuldopfer schlachten, und sein Blut auf dem Altar herumsprengen. Und all sein Fett soll man opfern, den Schwanz und das Fett, welches das Eingeweide bedeckt, die zwei Nieren mit dem Fett, das daran ist, an den Lenden, und das Netz über der Leber, an den Nieren abgerissen.“
Man muss diese Heilige Schrift nur gründlich lesen, um gründlich geheilt zu werden. Wer unter all den Frommen hat sie jedoch je von Anfang bis Ende gelesen? Bei keinem Werk der Weltliteratur wird die Diskrepanz zwischen Stückund Leserzahl so groß sein wie ausgerechnet bei dem Werk, in dem sich kein Geringerer als Gott selbst offenbart hat.
Das in dieser Schrift angehäufte Wissen um Gott ist eigentlich so gewaltigen, genauer: so gewalttätigen Inhaltes, dass man daraus ein ziemlich zutreffendes Persönlichkeitsprofil erstellen kann. Mit dem Ergebnis, ihn eine Bestie nennen zu müssen, wenn er nicht Gott wäre.
Papst Benedikt XVI ist einer anderen Spur gefolgt mit der Frage, was Gott bewogen haben mag, die Welt in die Existenz zu rufen. Im bereits genannten Katechismus erdreistet er sich zu behaupten, darauf eine Antwort gefunden zu haben: „Die Welt wurde zur Ehre Gottes erschaffen, der seine Güte, Wahrheit und Schönheit zeigen und mitteilen wollte.“
Fürwahr, was hat man von seiner Schönheit, wenn sie keiner sieht? Glückselig sein kann man dagegen ganz ohne Publikum. Glückseligkeit, die Gott wohlweislich ebenfalls zugesprochen wird, reichte ihm aber nach Meinung der Kirche nicht aus. Dabei, was will man mehr, als glückselig sein? (Nach orthodoxem jüdischem Glauben, übrigens, ist die Welt geschaffen worden, um die Thora – die fünf Bücher Mosis, auch 'tragbares Vaterland' genannt – ehrfürchtig zu studieren und zu befolgen.)
Eitelkeit, mithin die Einladung zur Teilnahme an der Freude über die eigene Person, und Gefallsucht waren nach Kirchenmeinung die treibenden Kräfte, welche das Universum aus dem Nichts erschaffen haben. Wir sollten folglich diesen Untugenden, die wir auch in der Welt so oft erleben müssen, nicht so ablehnend gegenüberstehen, vielmehr bedenken, ihnen letztlich unsere Existenz zu verdanken. Sie gar zu den Sünden zu rechnen, wie es die katholische Kirche lehrt, ist paradox. Ein bescheidener und gottgläubiger Mensch käme im übrigen nie auf die Idee, Gottes Motive, die ihn alles, was ist, erschaffen ließen, erläutern zu wollen.
Statten wir den lieben Gott mit typisch menschlichen Schwächen wie z.B. Eitelkeit aus, liegt es nahe, ihn sich auch noch weiteren menschlichen Schwächen unterworfen zu sehen. Zum Beispiel der, auf den Beifall derer, die weit unter einem stehen, nichts zu geben. Wie oft fühlt sich jemand durch das Lob eines – in seinen Augen –geringer Stehenden beleidigt, zumeist in der berechtigten Vermutung, damit stelle der unverschämte Lobhudler sich ihm gleich und wolle das Empfangene zurückgeben, irgendwie einen Ausgleich schaffen. Muss es der liebe Gott nicht auch so empfinden?
Und wahrlich, jeder Vernünftige, der Gott, zu welchem Anlass es auch sei, lobt, müsste doch erkennen, sich damit diesem Gott gegenüber auf Augenhöhe zu wähnen. Andernfalls er ja dessen lobenswerte Verdienste gar nicht überblicken könnte. Dennoch lobt er ihn, stellt sich damit ihm gleich und misst sich in lächerlichster Weise die Bedeutung zu, dem Allmächtigen Lob, d.h. eine Auszeichnung, spenden zu dürfen und zu können.
Und wenn es diesen Gott denn tatsächlich gäbe, wäre das Ausmaß dieser menschlichen Anmaßung so gewaltig, dass dagegen die täglichen Übel, die dem Anmaßenden widerfahren, noch glimpflich erscheinen müssten.
Die Erschaffung der Welt galt allein dem Menschen. Der wiederum ist da, damit überhaupt jemand da ist, dem sich Gott bekannt machen kann. Nach Ewigkeiten seines unbekannten bzw. nur ihm bekannten Daseins entschloss sich Gott ( vor 6000 Jahren, wie bis vor kurzem die Wahrheit lautete), prominent zu werden, um Ehre zu empfangen. Die zudem noch im Verdacht steht, keine echte Ehre zu sein, weil sie einem Gefürchteten gespendet wird.
Nach dieser Version ist der Mensch aus der Not Gottes geboren worden und nicht, was wohl wahrscheinlicher ist, Gott aus der Not des Menschen. Wahnsinn, gut organisiert, ist nun einmal eine große, wenn nicht die größte Gewalt auf Erden. Ist die Annahme schon widersinnig, der Allmächtige habe Geschöpfe geschaffen, die ihn noch brauchen, so ist es noch widersinniger, er habe sie geschaffen, weil er sie brauche. „Warte nur ab! Irgendwann wendest du dich in größter Not auch einmal an deinen Herrgott um Hilfe“, höre ich jetzt den Frommen drohen. Ein Einschüchterungsversuch, der zum einen unterschwellig mit dem unfrommen Wunsch einhergeht, man möge bald in Not geraten, und zum anderen als Beleg für Gottes Existenz herhalten soll. Obwohl er doch eher das Gegenteil beweist, nämlich Gottes Geburt aus der Not des Menschen.Der Gottlose, in Not geraten, wendet sich auf einmal an Gott. Was beweist das? Nicht, dass es einen Gott gibt, sondern nur, dass man in Bedrängnis an ihn glaubt.
Im Grunde, so mein Argwohn, soll oben zitierte Warnung der Entmutigung dienen. Mutlose und ängstliche Menschen suchen verständlicherweise einen starken Beschützer. Nach Möglichkeit einen, welcher der Stärkste (in jeder Hinsicht) von allen ist. Gott kommt da gerade recht. Die ihn nicht brauchen, sind dann natürlich eine unerträgliche Provokation und müssen folglich mit allen Mitteln entmutigt werden.
Dass Priester die Ehre so hoch schätzen, sogar Gott danach lechzen lassen, mag mit der Eigenart der Menschen zu erklären sein, was sie nicht besitzen, zu überschätzen, gar als Inbegriff des Glücks zu verstehen. So glauben arme Leute und Kranke, mit viel Geld bzw. Gesundheit wären sie vollkommen glücklich. Sie haben, wie schön, nur einen Wunsch. Aus dem gleichen Grund stehen wohl Treue, Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit und Sauberkeit so hoch im Kurs. Der Mangel diktiert das Ideal. Wurzelloses liebt die Palme.“Doch mit Geld ist es nicht so gut, wie es ohne schlecht ist“, sagt ein jüdisches Sprichwort und ein anderes lautet: „Der Gesunde trägt eine Krone, die nur der Kranke sieht.“
In Übereinstimmung mit den schon genannten Kuriositäten noch eine weitere, bereits angedeutete: Gott, da von Ewigkeit zu Ewigkeit existierend, kann demnach nicht das tun, was jeder arme, aber mutige Schlucker kann (z.B. wenn er sich zu einsam fühlt) ─ sich dem Tode überantworten. Der Schlucker ist in diesem Punkte dem Allmächtigen eindeutig überlegen, was allein schon die Absurdität unserer Vorstellungen von Gott belegt. Gott muss ewig leben oder nie gelebt haben. Wahrscheinlich hat er letzteres vorgezogen. Was freilich aus Sicht des Gläubigen ganz und gar unmöglich ist.
Jedenfalls ist auch hier der Herr nicht Herr des Verfahrens. Er hat sich dem Geist zu unterwerfen, der in den Definitionen ruht, mit denen seine Geschöpfe ihn ausdeuten. Ein grandioses Beispiel für die alles umfassende Kraft des Geistes, die sich auch bei Historikern findet, deren Hauptbeschäftigung ja darin liegt, die Vergangenheit gemäß ihrer vorab entwickelnden Thesen zu verändern, um sich dann als Polemiker zu betätigen – was ebenfalls einem Gott unmöglich ist. Das Gewesene kann dieser so wenig verändern wie vergehen lassen, denn es ist schon vergangen. Das Zukünftige kann er bestimmen, ja, aber verfälschen kann er es nicht. Das können nur Ideologen.
Aus alledem wird die große Verantwortung ersichtlich, die wir für unseren Gott tragen. Nachdem wir ihn so gestaltet haben, die Einswerdung mit ihm ersehnen zu können, sind wir nun einmal gehalten, sein Bild zu erhalten und zu pflegen. „Und indem wir das inbrünstig tun, wachsen wir ihm mit der Aussicht entgegen, tatsächlich das zu werden, was das Ziel unserer Sehnsucht ist!“(Zwischenruf eines Esoterikers)
Ob unser Vorstellungsvermögen grenzenlos ist, könnte eine Frage sein, zu deren Beantwortung grenzenlose Vorstellungskraft gehört. Ob es eine Antwort geben kann darauf, wieso alles da ist, statt dass es nicht da ist, wurde hingegen bereits gestellt und einer möglichen Antwort zugeführt, die da lautet: Vorstellbar ist, auf bestimmte Fragen keine Antworten geben zu können, weil diese Fragen Unwissbares betreffen. Kein Mensch, kein Übermensch, kein Geist, kein Dämon, kein Gott, keine Urkraft, kein Eigentliches hinter allem weiß darauf eine Antwort. Auch weil es das 'hinter allem’ nicht gibt. Das All ist eben überall; hinter ihm, vor ihm, unter ihm, über ihm oder jenseits von ihm sind widersprüchliche Ausdrücke.
Wenn eine Ewigkeit schon vergangen ist, ohne dass eine befriedigende Antwort auf eine immer wieder gestellte Frage auftauchte, liegt die generelle Unbeantwortbarkeit ( ein Wort so scheußlich wie seine Bedeutung) dieser Frage nahe. Sie ist eine Unfrage, weil sie sich auf Unwissbares bezieht.
Gehen wir von der Annahme aus, grundsätzlich sei die Fähigkeit des Menschen, etwas zu verstehen, grenzenlos und vermuten dennoch, mit der Frage, ob die Welt auch hätte gar nicht existieren können, an der Grenze zum Unwissbaren angelangt zu sein – einer Grenze, die wir uns als grundsätzlich für alle denkenden Wesen vorstellen – , so führt das zwangsläufig zu dem als größenwahnsinnig erscheinenden Schluss: unser Gehirn stellt den Endpunkt der möglichen geistigen Entwicklung im Weltall dar. Weiter hinauf reichen kann kein Geist als bis dahin, wo es nun für nichts und niemanden weitergeht. Als Alternative käme freilich noch die Schlussfolgerung in Frage, in unserem Gehirn den Maximalzustand der geistigen Verwirrung im Weltall zu sehen.
Nenne ich dieses Unwissbare ein ewiges Geheimnis, das von nichts und niemandem enträtselt werden kann, ein Geheimnis, das sich selbst ewig ein Geheimnis war, ist und bleibt, ein Geheimnis so geartet, dass nichts und niemand aus ihm heraus gelangen kann, dass alles und jedes ein Teil desselben ist, dann versehe ich das Unwissbare mit einer Eigenschaft, die ihm nicht zukommt: der Eigenschaft des Geheimnisvollen. Das Unwissbare ist aber nicht geheimnisvoll. Denn ein Geheimnis setzt jemanden voraus, der in dieses eingeweiht ist. Ein Heim, in dem sich jemand befindet, andere aber ausgeschlossen sind. Das aber ist gerade bei dem, was ich unwissbar nenne, nicht der Fall. Ein Rätsel, das zu stellen der Sphinx würdig gewesen wäre: ‘Es ist da. Aber keiner kann wissen, ob es auch hätte nicht da sein können. Dennoch ist es kein Geheimnis'.
Dass etwas unwissbar ist, setzt allerdings dieses etwas voraus; was vorhanden ist, nur nicht gewusst wird. Die Frage, ob die Nichtexistenz der Welt möglich gewesen wäre, liegt vor. Die Antwort hingegen weiß nicht nur niemand, sie ist vielmehr unwissbar. Unzutreffend und irreführend jedoch ist das Wort ‘unwissbar‘ im Zusammenhang mit der Frage nach der Ursache für das Vorhandensein des Kosmos. Denn diese Ursache kann es gar nicht geben. Aus dem einfachen Grund, weil eine Ursache zwangsläufig ihrer Wirkung vorausgehen muss, einem ewigen Kosmos aber, der nie einen Anfang hatte, auch nie etwas, folgerichtig auch keine Ursache, hat vorausgehen können. Es ergab sich niemals die Gelegenheit für eine Ursache, und was ihre Wirkung hätte sein können, war schon ewig da.
Wer hierin nur menschliche Unbescheidenheit sieht, die das leugnet, was sie nicht fasst, setzt wiederum das Geleugnete als existent voraus, nämlich nicht irgendeine Ursache, sondern eine erste Ursache. Verstößt folglich gegen die allgemeinen Regeln der Logik, nach denen hier Betrachtungen angestellt werden. Eine Fundamentalregel dieser Logik lautet nun einmal: jede Ursache ist gleichzeitig die Wirkung einer vorhergehenden Ursache. Demnach es eine erste Ursache nicht geben kann. Ich spreche nicht von einem Verstoß ‘gegen die allgemein gültigen Regeln‘. Denn ob diese Regeln außerhalb des Gedankenspiels, dem sich wenige Menschen so gerne hingeben, Gültigkeit beanspruchen können, ist eine andere Frage. Sie zu beantworten müsste man einmal kein Mensch sein und dennoch denken können. Unser Denken jedenfalls,wenn es die Logik nicht außer acht lässt, findet nie einen ersten Grund – weder im Denken selbst noch im Universum.
In diesem Zusammenhang ist auch die Frage, von wem das Leben gelebt wird, nur so zu beantworten, dass es von niemandem und von nichts gelebt wird außer von sich selbst in seinen jeweiligen Erscheinungsformen, zu denen auch (falls vorhanden) Geister und Götter gehören. Sie sind jedoch im unendlichen Universum, nicht außerhalb, weil – nochmals gesagt – es ein außerhalb des Universums nicht geben kann. Das ergibt sich eben aus der Definition: das Universum enthält alles, was es gibt. Wer nun einwirft, mit seinen Gedanken könne man sich aber außerhalb des Universums niederlassen, verweist nur auf die unheilvolle Fähigkeit des Menschen, Unmögliches zu denken. Schlimmstes Beispiel: aus nichts könne etwas entstehen.
Gibt es Geister und Götter oder nur einen Gott, nun, so muss er, so müssen sie sich im Universum befinden. Weshalb die Erklärung, die Natur sei ein unendlich geteilter Gott, das Universum gleichsam eine Zerstückelung Gottes, bzw. Gott eine Kugel, deren Mittelpunkt überall sei, sehr ansprechend ist (auch wenn hier ein Missbrauch des Wortes Gott vorliegt). Ein unendlich geteilter Gott, der im Wege des Selbstgenusses mit unendlich vielen Zungen sich selbst schmeckt. Dabei eben jeder einzelne Mensch eine solche Zunge ist und als Organ des Lebens mit dafür sorgen kann und gewisslich auch dafür sorgen soll, Freude als hauptsächliche Beute einzufahren. “Lass dich nur selbst leben!“ wäre keine schlechte Devise.
Die Freudlosen sind der Natur ein Gräuel. Entsprechend lässt sie Miesepeter links liegen mit der Folge, sie noch mehr zu vergrämen. Worauf die Natur wiederum angemessen reagiert. Ein Teufelskreis, den wir so häufig bei unglücklichen Menschen beobachten können.
Wer nach Sinn und Zweck des Ganzen fragt, versteht nicht die Erhabenheit und Würde der Natur. Sie bedarf keiner philisterhaften Erklärungen, ist da und wirkt seit und in Ewigkeiten. Und ein Ganzes ist sie, da ohne Grenzen, auch nicht.
Hier noch ein Gedanke, der bei erster Bekanntschaft befremdlich anmuten mag. Es ist der, welcher die Existenz der Welt abhängig macht von mit Geist begabten Lebewesen, die diese Welt wahrnehmen. Wird sie nicht wahrgenommen, existiert sie auch nicht. Nehmen wir einmal an, wir, die wir uns Menschen nennen, wären die einzigen Lebewesen im Kosmos, die dessen Vorhandensein erkennen, so würde mit unserem Verschwinden auch die Welt verschwinden.Sie existierte nicht mehr, da niemand mehr da wäre, der sich ihrer Existenz bewusst wäre.
„Natürlich existiert sie weiter, halt nur ohne uns!“ Wer aber wollte das beweisen? Wer könnte das beweisen? Es ist keiner da, der es will, und keiner, der es kann. Setzt Dasein nicht Objekt sein voraus, Objekt für einen anderen, der es als Objekt wahrnimmt? Wenn wir einmal Tiere und Pflanzen bei dieser Überlegung außen vor lassen, weil wir nicht wissen, ob und wie sie die Welt sehen, könnte man tatsächlich zu der Schlussfolgerung gelangen, ohne uns keine Welt und vor unserem Erscheinen auch nicht. Was dem Größenwahn die Tür öffnet, unser Geist sei größer als das Universum, weil dies erst durch unseren Geist in Erscheinung tritt.
Um dieser Anschauung das Absurde zu nehmen, eine zusätzliche Bemerkung.Die Welt, unabhängig von den Eindrücken unserer Sinne, kennen wir nicht und werden sie voraussichtlich nie kennenlernen. Für uns ist die Welt das, was sich von ihr in unserem Gehirnkasten spiegelt. Fällt dieser Spiegel weg, ist diese, also unsere Welt ohne Zweifel auch weg.
Dasein und Wirken der Götter in dieser Welt galten in früheren Zeiten als Selbstverständlichkeit.Der antike Tempel versuchte dieser Anschauung gerecht zu werden. Um das nachzuempfinden, genügt es, vor einem solchen Bau ( z.B. dem Concordiatempel bei Agrigent) zu verweilen und sich dann als Kontrast den Kölner Dom vor Augen zu führen. Ein geschlossenes Ungetüm, von dessen Spitzen der Himmel drohend herabblickt. Ummauerte Räume sind etwas Künstliches, und nur Künstliches sucht Zuflucht darin. „Natürlichem genügt das Weltall kaum; was künstlich ist, verlangt geschlossenen Raum.“(Goethe) Aus den alten Tempeln aber haben sich die Götter längst still zurückgezogen. Weideten danach Schafe darin, so drängeln jetzt Touristen gleich Säuen durch die Säulen.
Die Wirkung der Dombauten ist mittlerweile durch die der Wolkenkratzer ersetzt, wenn nicht übertroffen worden. Ein Ismus verdrängt den anderen, der Kapitalismus den Katholizismus. Ersterer sieht in der Menschheit Kundschaft, letzterer ebenso. Und vor allem: hoch hinaus; so hoch wie möglich. Wer schafft den höchsten Turm für eitle Gottesoder eitle Mammondiener? „Man hätte antike Tempel nicht so hoch bauen können.“ Von wegen, lange vor denen entstanden die Pyramidenbauten in Ägypten. Dass mit steigender Höhe der Gebäude die Moral sinkt, ist übrigens schon früh bemerkt worden.
Wer einen Tempel der Antike und gleichzeitig einen christlichen Dom erleben, wer die Vergewaltigung der Götter durch den einen neuen nachempfinden möchte, möge den Dom von Syrakus betreten, worin er auf die Säulen des Athenatempels (5.Jh. v.Chr.) trifft, deren Zwischenräume zwecks Umwidmung des Tempels zu einem christlichen Gotteshaus vermauert wurden. Man spürt hier förmlich, wie der freie Geist der Antike eingemauert worden ist: statt ehemals lichter Weite nun eine dunkle Klause. Sehr stimmig wurde die Mondrakete nicht nach einem christlichen Heiligen sondern nach einem griechischen Gott, Apollon, benannt.
Der kritische Hinweis auf das menschenverachtende Gesellschaftssystem unter den alten Göttern ist leicht zu entkräften durch die Gräueltaten, die nach dem Zusammenbruch des alten Systems einsetzten und bis heute anhalten. Könnte man die Zahl der pro Kopf der Bevölkerung durch Gewalt Umgekommenen für die Antike und die Zeit danach ermitteln, wäre das Ergebnis vermutlich sehr schmeichelhaft für den Zeitabschnitt, der mit dem Aufkommen des Christentums endete.
„ Und die im Zirkus zur Befriedigung der Sensationslust und anderer Triebe Getöteten?“ Die Flächenbombardements bevölkerungsreicher Gebiete wurden bisher alle von Menschen geplant und durchgeführt, die christlich getauft waren. Außerdem, hätte man in der Antike schon die Möglichkeit des Fernsehens gehabt, hätte man sich wie heute das Töten bequem zu Hause angeschaut.
„Und die Sklavenhaltung?“ Wurde fortgesetzt bis ins späte 19.Jahrhundert. In Brasilien wurde sie erst durch ein Gesetz vom 13.Mai 1888 für abgeschafft erklärt. Der Sklave bekam im übrigen für seine Arbeit eine Behausung und Nahrung. Genau so wie der spätere Arbeiter, der sich aber darum selbst kümmern musste vermittels ausgehändigter Gut(Geld)scheine. Und sah sich der Sklave der Pflicht zur Arbeit ausgeliefert, erlebte diese Pflicht mit der Zeit eine merkwürdige Metamorphose. Sie wurde zu einem Recht auf Arbeit, das gar der Arbeiter selbst einfordert. Auf Gottes fluchende Worte, mit denen er Adam aus dem arbeitslosen Paradies vertrieb („Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“), würde der moderne Arbeiter geantwortet haben: „Ich esse mein Brot im Schweiße meines Angesichts nicht nur gern, sondern ich habe darauf sogar ein Recht.“ Da hätte der Fluchende aber dumm geguckt, ist man fast verleitet zu sagen.
Das moderne Denken erreicht hier eine Perversion, die uns dem Ameisenstaat mit schnellen Schritten näher bringt (wo dann die einen arbeiten, die anderen sich fortpflanzen). Ehedem konnte sich einer im Paradiese fühlen, der, ohne arbeiten zu müssen, weder verdurstete, noch verhungerte, noch fror, noch hinter Gittern lebte. Demzufolge die heutigen Arbeitslosen im Garten Eden weilen. Sie wissen es nur nicht. Sie stehen keineswegs im Kampf ums Dasein auf verlorenem Posten. In diesem Kampf sind sie bestens aufgestellt. Ums Dasein geht es jedoch schon längst nicht mehr. Worum sie kämpfen, ist nicht ihr Dasein, sie kämpfen um ihren Aufstieg, und zwar um den sozialen Aufstieg. Ginge es um den bei weitem wertvolleren Aufstieg in eine höhere Bewusstseinssphäre, hätten sie dafür die besten Voraussetzungen, nämlich ausreichend Muße. Auf der neuen Bewusstseinsebene würde Arbeitslosigkeit dann als Erleichterung empfunden werden.
Und noch etwas: all den überflüssigen Schnickschnack, von dem verschont zu werden der Einsichtige erforderlichenfalls einen Preis bezahlen würde, den können sich die Arbeitslosen nicht kaufen. Der bleibt ihnen erspart. Wahrscheinlich aber nicht die Langeweile. Hierin wird wohl das eigentliche unlösbare Problem liegen. „Menschen mit Phantasie langweilen sich nie,“ heißt es. Die ist aber angeboren. „Kann jedoch entwickelt werden!“ Zweifellos – so sie denn vorhanden ist. So verhält es sich auch mit der Fähigkeit, den Wert der Dinge zu erkennen.
Wer nun einwendet, allgemeine Akzeptanz der Arbeitslosigkeit
würde das Heer der Arbeitslosen gewaltig vergrößern, weil nun die Schmach von dem Zustand der Arbeitslosigkeit genommen sei, und die Versorgung dieses Heeres würde durch die wenigen noch Arbeitenden endlich nicht mehr gewährleistet sein, außerdem, die Deutschen arbeiteten doch gerne, weswegen sie ja auch im Ausland so unbeliebt seien, der sei auf folgende Lösungsmöglichkeit verwiesen: Nur den Deutschen sollten die immer weniger werdenden Arbeitsplätze zugeteilt werden unter der Bedingung, die Früchte ihrer Arbeit mit den arbeitslosen Völkern zu teilen. Dann wäre allen geholfen, wir auch etwas besser angeschrieben in der Welt. Bestrebungen in diese Richtung, von höchster Stelle unterstützt, sind ja auch schon zu beobachten.
Warum wir so einen gesteigerten Wert darauf legen, dem Ausland zu gefallen, lässt sich wohl kaum damit erklären, dass wir eine Exportnation sind. Waren werden gekauft, sofern sie was taugen, nicht deshalb, weil ihre Hersteller sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen. Eher wird man den Grund für unsere notorische Gefallsucht in der geographischen Lage unseres Landes zu suchen haben. Kein Staat mit ähnlich geringen Ausmaßen grenzt an so viele Nachbarstaaten (9) wie Deutschland. England z.B. kümmert sich wenig darum, der Welt zu gefallen. Weil es gar keine Nachbarn hat, sondern rundum vom Meer geschützt wird.
Ob die despektierliche Entthronung der Götter der Antike gar der Grund für die heutige Misere der Menschheit ist, die darin liegt, dass, obwohl es allen besser geht als je zuvor, die Lebensfreude dennoch nicht gewachsen ist? Das Christentum hat die Zeit vor seinem Auftauchen pauschal verteufelt, ohne die geringste Achtung dem Glauben der eigenen Ahnen entgegenzubringen. So etwas rächt sich eben.
Hören wir Goethe, dessen Gedichte oft mehr Entdeckung als Schöpfung sind :
„Und der alten Götter bunt Gewimmel
hat sogleich das stille Haus geleert,
unsichtbar wird einer nur im Himmel,
und ein Heiland wird am Kreuz verehrt.
Opfer fallen hier,
weder Lamm noch Stier,
aber Menschenopfer unerhört.“
„Die Rache ist mein“, spricht der Herr. Warum sollen die alten Gottheiten nicht sprechen: „Die Rache ist unser“? Eine Frage, für die allein man noch vor zehn Generationen in Eisen gelegt worden wäre. Sie ist aber damals, so weit überliefert, nicht gestellt worden. So wenig wie die, ob man die alten Götter zur Rückkehr bewegen könnte.
Nachdem man die Anzahl der Götter auf einen reduziert hatte, der damit zur einsamsten Person, die man sich überhaupt vorstellen kann, verdammt wurde, verbannte man den Einsamen auch noch aus der Welt (dem Universum) nach einem nicht existenten Ort. Wäre dieser nämlich existent, gehörte er dem Universum an. Infolge Leid so eine herausragende Rolle in der neuen Religion spielt.
Eines der Grimmschen Märchen ( 'Der Arme und der Reiche') beginnt: „Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, dass er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, eh' er zu einer Herberge kommen konnte.“ Eine Situation, die auch Goethe in seinem herzbewegenden Gedicht 'Der Gott und die Bajadere' , einer indischen Legende, schildert.
Da dieser eine Gott nun all die Macht der vorherigen Götter in sich konzentriert, dazu noch die, etwas aus nichts herstellen zu können, wozu keiner der abgesetzten Götter in der Lage war, ist dieser neue Gott so gewaltig, dass so mancher bescheidene Mensch sich direkt an ihn zu wenden gar nicht traut. Der Abstand ist zu groß geworden. Früh schon hat die katholischen Kirche dieses Problem zu lösen versucht, indem sie zwischen den Allmächtigen und den Bittsteller Mittler verschiedenen Ranges eingeschoben hat. Angefangen ganz oben bei Jesus über Maria und die zahlreichen Heiligen, letztere zuständig für bestimmte Orte und Sachverhalte, bis hinunter zu den Priestern. Diese traut sich der kleine Mann anzurufen, wie er auch Mut hat, mit dem Pförtner der großen Firma zu sprechen. An den Firmenchef, nein, an den traut er sich nicht heran (Charaktere wie Luther trauen sich. Sie vertreten den Standpunkt: man geht nicht zum Schmidtchen, sondern zum Schmidt). Was nun diese Mittler von den alten, ebenfalls nicht gleichrangigen Göttern unterscheidet, dürfte eine berechtigte Frage sein,die ich allerdings nicht zufriedenstellend beantworten kann.
Das zu erstrebende Reich des christlichen Glaubens ist nicht von dieser Welt und sein Gott auch nicht. Der Schwerpunkt liegt außerhalb der Erscheinung, die als einzige uns gegeben ist. Damit ist der Welt, und nur diese haben wir, das Genick gebrochen worden, und die wirklich gläubigen Christen laufen auch so herum, als sei ihr Genick gebrochen. So können sie auch nicht die Unausgewogenheit des göttlichen Angebotes sehen, einer ewigen Anwesenheit im Himmelreich einen im Vergleich dazu auf eine Zigarettenlänge verkürzten Aufenthalt hier unten vorzuschalten. Warum lässt man die Teilnehmer eines ewigen Festmahls vorher ein paar Sekunden lang noch Nüsse knacken? „Weil sie sich einer Prüfung unterziehen müssen, ob sie des Festmahls würdig sind!“ Ach Gottchen! Das Prüfungsergebnis kennt der Allwissende doch schon im voraus, selbst wenn er die Prüflinge nicht selbst gebacken hätte.
Wir kommen aber gar nicht in den Himmel. Wir sind ja schon drin, und das seit Ewigkeiten. Und wer das richtig verinnerlicht, der ist nicht nur im Himmel, sondern der Himmel ist auch in ihm. Wie das bei Kindern der Fall ist, deren unbekümmertes Treiben wir gelegentlich mit wehmütigen Erinnerungen verfolgen. Mittendrin in Welt und Leben sind sie dem Augenblick verfallen. Während Erwachsene, sofern die Pflicht ruft, in der Kindheit eine Zeit sehen, in der auf etwas Kommendes, auf das Eigentliche vorbereitet werden soll, sind Kinder, wenn denn noch nicht abgerichtet, im Eigentlichen eigentlich schon drin.
Eine frohe Zeit, die wir uns wieder schaffen können, indem wir gewahr werden, auch jetzt und immerdar im Eigentlichen zu leben. Es kommt kein Himmelreich, keine Hölle, keine Nichtexistenz. Es kommt, was schon immer war und immer ist, immer wieder. Im Grunde freilich kommt es gar nicht. Es ist ein ewig Seiendes, das wir lediglich aus unserem Zeitund Raumempfinden heraus in einzelne kommende und gehende Aktionen unterteilen. Das hingegen aus anderer Perspektive so erscheinen könnte wie die Speichen eines sich schnell drehenden Rades. Man sieht die einzelnen Speichen nicht, auch nicht ihre Bewegung, nur eine unbewegliche und geschlossene kreisrunde Fläche.
Die Offenbarung, der neue Gott sei nicht von dieser Welt, ist Glaubenssache, deshalb weiteres Nachdenken darüber sich erübrigt. Für den Gläubigen, nicht für den, dem Nichtdenken schwer fällt, Denken aber ein Bedürfnis ist. Denkgrenzen kennt letzterer zwar auch, nämlich da, wo seine Denkfähigkeiten nicht ausreichen; doch er erkennt sie da nicht an, wo sie den Gedankengang aufhalten sollen. Zum Beispiel an einer fiktiven Grenze des Weltalls, jenseits der es eine andere Welt geben soll,die wir erst nach dem Tod kennenlernen, jetzt aber nichts von ihr bemerken.
Das Wortgeklingel in Form von Drohungen und Versprechungen, das sich auf nichts anderes als diese Fiktion bezieht, ist der Versuch, Macht zu gewinnen. Im großen und ganzen gesehen, bis heute sogar ein ziemlich erfolgreicher Versuch. Bleibt der Erfolg mangels Glaubens aus, wird Glaube an etwas anderes generiert, mit dem aufs neue Versprechungen und Drohungen (Zuckerbrot und Peitsche) einhergehen können. Als da wäre, um nur einen alternativen Glaubensinhalt zu nennen, die drohende Verwüstung der Erde, von Menschen verursacht, aber von ihnen auch zu verhindern. Hier sei an die Merkwürdigkeit der deutschen Sprache erinnert, die für versprechen und sich versprechen identische Ausdrücke verwendet.
Ein Schmied, berühmt für seine Fähigkeit, auch dem widersetzlichsten Pferde Hufeisen verpassen zu können, bewerkstelligte das folgendermaßen: er nähert sich behutsam dem überaufmerksamen, störrischen Wesen, das seine Ohren flach nach hinten gelegt hat. Bei Pferden ein untrügliches Zeichen, dass nun mit allem gerechnet werden muss. Mit mildsüßer Stimme liebkost er das scheel und misstrauisch äugende Geschöpf. „ Mein kleines braves Kerlchen, mein Guter, mein Prachttierchen!“ Eine sanfte Berührung mit der Hand. Die Ohren (des Pferdes) unternehmen einen Versuch, sich aufzurichten. Doch was geschieht jetzt?
Der Schmied schreit die unflätigsten Beschimpfungen, boxt das Tier, donnert es nieder, macht das Ross zur Sau. Die steht jetzt zitternd da. Was folgt nun? Als wären es zarte Harfenklänge, verlassen den Mund des Schmiedes wieder die süßesten Töne. Statt zu boxen: streicheln. Statt zu fluchen der Laut einer Schalmei. Das Pferd beginnt sich zu berappeln, nur um auf einen Schlag wieder verbal und körperlich misshandelt zu werden.
Und dieses Wechselbad wird so lange wiederholt, bis der Vierbeiner so durcheinander ist, die Verrichtungen an seinem Körper, die zum Beschlagen erforderlich sind, gar nicht mehr mitzubekommen. Die Hufe mit Eisen beschwert, verwirrt und demütig wird er vom Hof der Schmiede geführt. Im wohldosierten Wechsel zwischen Gunsterweis und Terror liegt das Erfolgsgeheimnis dieses Schmiedes, des Zuhälters, der auf diese Weise seine Pferdchen abrichtet, und des christlichen Gottes.
Über den Grund der Reduktion der Vielheit der Götter auf nur noch einen gibt es die verschiedensten Spekulationen. Angefangen beim Raumschiffkommandanten ( man lese den Propheten Hesekiel ) bis zu der, mit einem ließe sich besser verhandeln als mit so vielen (die ja auch noch untereinander zerstritten sind). Die These, ein Volk, das in der Wüste tagsüber nur Sand und Sonne sieht, müsse bei so wenig Anregungen durch die Natur dem Monotonismus, was rede ich, dem Monotheismus zum Opfer fallen, dürfte auch nicht abwegig sein. Obwohl anfänglich ein reiner Monotheismus im Judentum gar nicht vorlag. Sein Gott war ein Stammesgott, neben dem Elementargeister, Krankheitsdämonen, Schutzpatrone und dergleichen in einer unteren Schicht durchaus ihr Dasein hatten.
Einiges spricht auch für die Annahme, der Gott der Juden, der seinem von ihm auserwählten Volk verbot, noch andere Götter zu haben, wurde zu unserem einzigen Gott, weil der Begründer des Christentums wie auch alle ersten Christen dem von diesem Gott auserwählten Volk entstammten. Anfangs nicht mehr als eine jüdische Sekte, eroberte das Christentum das Römische Reich ( IMPERIUM ROMANUM) und mauserte sich dann zu einer Weltreligion, an die zwar kein Jude mehr glaubte, den jüdischen einen Gott aber beibehielt. Ihm unter anderen Maria, die Mutter Gottes und Jüdin, zugesellte, welche nur von Nichtjuden, darunter auch Antisemiten, angebetet wird. Vom Glaubensinhalt her ist das Christentum übrigens eine jüdische Sekte geblieben. Nur wird es mittlerweile von allen Juden abgelehnt. Was gläubige Christen, auch wenn sie die intellektuelle Superiorität dieses Volkes anerkennen, nicht in Verlegenheit bringt.
Warum nun das Christentum überhaupt seinen Siegeszug aus dem Orient, wo es keine Rolle mehr spielt, bis in alle westlichen Länder durchführen konnte, harrt m.E. noch der Klärung. Die deswegen so schwierig ist, weil viele sie als überflüssig empfinden. Steht hinter dieser Bewegung doch der Allmächtige.
Der Sieg des Monotheismus ließe sich auch dem Hang des Menschen zur Monopolisierung zuschreiben. Nach Familie, Horde, Stamm, Staat und Staatenbund sind wir augenblicklich auf dem Weg zum Weltstaat, in dem nur eine Regierung das Sagen hat. Ähnlich mag die religiöse Entwicklung verlaufen sein.
Unsere Vorfahren, die an eine Vielzahl von innerweltlichen Göttern und Dämonen glaubten (viele Zeitgenossen tun das auch jetzt noch; sogar die katholische Kirche lehrt die Existenz böser Geister),waren bestimmt nicht dümmer als wir. Sie wussten nur weniger. Nicht in Bezug auf Glaubensfragen, denn Glauben heißt ja bekanntlich gerade nicht Wissen (wobei Wissen allerdings einen Glauben voraussetzt, den Glauben an eben dieses Wissen). Auf dem Gebiet des Glaubens traue ich z.B. den Weisen, die vor einigen tausend Jahren in Nordindien lebten, mehr Kompetenz zu als der heutigen Theologenzija. Nur in Bezug auf unser heutiges Trivialwissen wussten sie weniger. Ein Wissen, womit sich in Quizshows so mancher allseitige Bewunderung verschaffen kann. Wäre Wissensfülle aber ein Ausweis von Verstandeskraft, dürften wir uns jetzt schon für die letzten Esel halten gegenüber unseren Nachkommen – aber auch gegenüber jedem Lexikon.
Doch so, wie kaum einer einräumen möchte, ein anderer sei klüger als er, so wenig möchte ein ganzes Zeitalter zugeben, dümmer zu sein als ein vorheriges. Hinzu kommt die spezifische Psyche heranwachsender Menschen, in der das eigene Wachsen und Klügerwerden auf die Außenwelt übertragen wird mit der Botschaft: es geht insgesamt aufwärts, auch mit der Intelligenz. Das Alte wird dann grundsätzlich tiefer angesiedelt. Es ist weniger wert, und die Menschen der vergangenen Epochen waren dann selbstredend auch viel dümmer. Da die Jugend den Ton angibt ( in Wirklichkeit sich aber auch nur der herrschenden Mode unterwirft), gilt dies als richtige Einschätzung. Zudem: um sich zu behaupten ist eine gehörige Portion Verachtung nötig. Wenn dann im Alter der Umkehrprozess einsetzt, man nicht mehr wächst, sondern abbaut, beginnt man aus dem gleichen Grund, die vergangene Zeit höher zu schätzen als die Gegenwart. Als die Alten noch den Ton angaben, galt das als richtige Beurteilung der Lage. In der Antike sehnte man sich nach den goldenen Zeiten längst vergangener Epochen zurück. Das Paradies lag zweifellos in der Vergangenheit.
Die Annahme, die Menschen der Vergangenheit seien sogar intelligenter gewesen als wir heute, ist nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Dumme hatten eine geringere Chance, das Alter der Fortpflanzungsfähigkeit zu erreichen und wenn doch, sich dann auch fortzupflanzen. Die späteren Dummen dagegen leben seit geraumer Zeit in Umständen, die ihrer Regeneration besonders förderlich sind. Die Klugen haben die Rinder und die Dummen die Kinder. Das Ergebnis liegt vor.
Aberglauben nennt man heute den vorchristlichen Glauben. Worunter aber doch eigentlich nur zu verstehen ist, mit dem Walten geheimer Naturmächte zu rechnen. Nun sind es gerade die gründlichsten Naturforscher, die zugeben, von den eigentlichen Mächten der Natur so gut wie nichts zu wissen und ungeklärten Naturphänomenen lediglich einen Namen geben zu können. Was man bezeichnen kann, glaubt man dann auch irgendwie zu kennen. Benannt ist aber nicht erkannt. Zudem ist mir noch kein Mensch begegnet, der nicht in der einen oder anderen Form das gewesen wäre, was man abergläubisch zu nennen pflegt. Und wird von den sogenannten Großen der Menschheit berichtet, dann übereinstimmend auch von ihrem ausgeprägten Hang zum Aberglauben.
Bis heute weiß niemand, warum alles, was eine Hand frei gibt, nach unten fällt. „Du Tor, weil die Schwerkraft, auch Gravitation genannt, wirkt!“ Hast du nicht mehr zu bieten als diese zwei Bezeichnungen? Hast du die Gravitation schon einmal gesehen, das, was die Erde in ihrer Kreisbahn hält und dich nicht herunter, aber auf den Boden fallen lässt? Gerade die Hauptsache, die sieht kein Mensch, weder um sich noch in sich. Die Wortgebung suggeriert die Beherrschung des Unerklärlichen, ist nur ein Betäubungsmit tel; das auch deswegen so erfolgreich ist, weil Erscheinungen wie eben die Gravitation zum Frühesten gehören, mit dem der Mensch in Bekanntschaft tritt. Bevor er laufen kann, fällt er schon hin. Bums! Wieso sollte ihm das später rätselhaft und letztlich unerklärlich vorkommen?
Und wenn ich in einem Vergleich Hilfe suche, indem ich sage, was in der belebten Natur der Egoismus, ist in der unbelebten die Anziehungskraft, so rede ich auch nur von Wirkungen. Von Wirkungen einer Kraft, ohne die nichts im Lot wäre und alles ohne Zusammenhang; deren umgekehrte Wirkung die Welt explodieren ließe. Und deren Wesen uns vollkommen unbekannt ist. Zwischen Erde und Mond ist ein Vakuum, so der Erkenntnisstand der Wissenschaft. Auf welchem Wege wird dann der Mond von der Erde angezogen? Haben er und die Erde einen aus ihrem Zentrum wirkenden Trieb, sich zu vereinigen?
Was ist das, was der Rose ihre Formund Farbenschönheit verleiht, und ihren betörenden Duft? Wenn du antwortest, das liegt doch nur in unseren Rezeptionsorganen, verlagerst du das Geheimnis lediglich auf eine andere Ebene. Allein die Subjektivität, zu der die Natur ihre Lebewesen in Form des Menschen hat gelangen lassen, legt nahe, in der Natur nicht nur die bloße Natur der Physik zu sehen.
Stellen wir nicht jedesmal resigniert fest, am Ende treibe nichts anderes als eine unerklärliche Kraft uns und alles die aber im Kosmos wirkt? Weil es sie gibt, und alles, was es gibt, dem Kosmos angehört. Wäre sie nur eine seltsame Kraft, wäre sie, wie alles Seltsame, auch zu erklären und womöglich schon erklärt worden. Sie ist aber nicht eine, die nicht häufig zu sehen ist (so die Grundbedeutung von seltsam), sondern sie ist überhaupt nicht zu sehen. Was wir von ihr sehen, sind lediglich ihre Wirkungen. Sie gehört dem Bereich des Universums an, den wir die unsichtbare Welt nennen, und gegen den unsere sichtbare Welt sich wohl ausnimmt wie ein Byte gegenüber allen in sämtlichen Computern der Welt gespeicherten Bytes aller Zeiten. Weil unsere fünf Sinne nur das herausfiltern, was für uns existenznotwendig ist — und das ist im Grunde, andererseits erfreulicherweise, verschwindend wenig.
Über das Herausgefilterte wird dann munter theoretisiert, ohne – und das kommt bei allem noch hinzu – zu berücksichtigen, dass die Region des Universums, in der wir leben, eine ganz besondere sein könnte. Nämlich eine, die sich von allen anderen darin unterscheidet, das Vorhandensein von Leben zu ermöglichen.
So munter wird theoretisiert, dass schließlich ganz vergessen wird, es gar nicht mit dem Objekt als solchem zu tun zu haben, sondern nur mit dem menschlichen Erkennen des Objektes. Wie wir sind, sehen wir die Dinge, nicht, wie sie sind. So erleben wir auch nicht, was wir erleben, wie wir es erleben, ist der Inhalt unseres Erlebnisses. Jede unserer Erfahrungen ist nur unsere Interpretation der Wirklichkeit. Eine Instanz, die eindeutig verkünden könnte, inwieweit diese Interpretation auch wirklich der Wirklichkeit entspricht, ist nicht vorhanden. Folglich auch nicht ausgeschlossen werden kann, unsere Auslegung der Wirklichkeit sei mit dieser im Einklang. Wenn dies auch keineswegs im Einklang stünde mit den armseligen Mitteln, mit deren Hilfe wir zu dieser Auslegung gelangt sind.
Ebenso beschreibt die Physik nicht die Natur, wie sie ist, sondern gemäß den Fragen, die Physikern eingefallen sind. Bei jedem wissenschaftlichen Experiment sind die Experimentatoren nicht nur dabei, sondern mittendrin. Sie bestimmen das Ziel des Experimentes, sie bestimmen den Aufbau und die Durchführung, sie analysieren (und profanieren damit) das Ergebnis, und sie stellen fest, was daraus zu lernen ist. Ihr Feststellen ist gleichsam ein Bannen.
Und da, wo es nicht um die Begegnung mit einem Objekt geht, sondern um uns selbst, um unser Dasein, wo die fünf Sinne sich nach innen richten müssten, aber nicht können, sind wir orientierungslos und haben bis heute nicht die Frage aller Fragen beantworten können: wer sind wir? Vielleicht deswegen nicht, weil wir übersehen, dass in dieser Frage schon die Antwort wohnt. Sie kann nämlich nur von Verrückten gestellt werden. Von solchen, welche von dem Pfad der übrigen Lebewesen auf einen anderen verrückt worden sind, der es erlaubt, sich selbst in Frage zu stellen.
Die Frage „Wer bin ich?“ beantworten zu müssen mit „Ein Verrückter!“ zeigt das ganze Dilemma auf, in dem sich der Mensch befindet, sobald er zu viel nachdenkt. Und legt den Verdacht nahe, die Natur habe vermittels der Dummheit eine Schutzvorkehrung gegen das Verrücktwerden getroffen, die aber gelegentlich durchbrochen werde.
Von Voltaire übrigens ist vorgeschlagen worden, unsere Wohnstätte, die Erde, für das Tollhaus der Welt zu halten. Und Lichtenberg sah nicht ein, warum, da der Mensch toll werden könne, es ein Weltsystem nicht auch werden könne. Und tatsächlich, die Tollheit könnte so riesige Ausmaße erreicht haben, dass keiner mehr übrig geblieben ist, der sie bemerken könnte.
Wir spüren die Schwere des Steins, den wir anheben möchten, somit die Wirkung der Anziehungskraft der Erde. Die ungeheure Kraft, welche diesen Stein zusammenhält, nehmen wir dabei gar nicht wahr. Auch nicht die Kraft, welche den Mammutbaum 4000 Jahre lang bis zu einer Höhe von 100 Metern gegen die Schwerkraft anwachsen lässt. Was letztere in der Sekunde wett macht, in der sie mit seinem Sturz den Ausreißer zurückholt. Der erteilt der Erde noch einen Schlag und erhält gleichzeitig einen solchen zurück. Und von der Kraft, die das alles veranlasst, kennen wir lediglich den Namen – den aber haben wir selbst erfunden.
Unsere Altvorderen würden in unserem Glauben an den Fortschritt und den Bibelgott vermutlich so etwas wie Aberglauben sehen. Über die Geschichte mit Gottes Sohn, auf zwei Balken genagelt, damit mit diesem, von Gott veranlassten Menschenopfer der Menschheit Sünde vergeben werde, hörte man wahrlich ihr durch das Echo der Höhlenwände mehrfach verstärktes Lachen. Ungemütlich würden sie wahrscheinlich erst werden, wenn wir ihnen den Gebrauch des Schädelbechers ausreden wollten. „Was?“ so womöglich ihr Protest, „ sollen unsere Verstorbenen nicht mehr angenehm und hilfreich beim lustigen Trinkgelage dabei sein dürfen?“
Unsere frühen Vorfahren, so vermuten wir, waren in ihrem religiösen Bedürfnis noch nicht auf die Idee gekommen, einen einzigen allmächtigen Gott vorauszusetzen. Und wenn sie doch eine solche Überlegung entwickelt haben sollten, so hat sie sich, wie es scheint, nicht durchsetzen können. Die Idee von einer allmächtigen Person hat zehntausende von Jahren auf ihren Durchbruch warten müssen und wird nach wie vor vom größten Teil der Menschheit nicht geteilt.
Den Altvorderen erschien es wohlbegründet, Göttliches den verschiedenen Erscheinungen der sie umgebenden Natur zuzusprechen. Sie glaubten, in einer beseelten Natur zu leben, in der Götter und Geister mannigfacher Art herumspukten. Wir nennen das heute abwertend Animismus. Ein diesbezüglicher Disput zwischen einem damaligen Bewohner natürlicher Höhlen und heutigem Bewohner künstlicher Höhlen sei einmal vorgestellt. Begonnen wird er von letzterem, der sich in seiner angemaßten Überlegenheit zur Missionstätigkeit berufen fühlt:
Haube (Hausbewohner): „ Alter Bruder, nun leg mal die Keule beiseite und deinen lächerlichen Glauben, an jeder Ecke, in jedem Busch und Strauch, Vogel und Fisch und was dergleichen noch in Frage kommt, lauere ein Geist, ein Gespenst, ein Dämon oder wie du das auch nennen magst!“
Höhbe (Höhlenbewohner): „Soll ich stattdessen gar nichts glauben oder nur etwas anderes?“
Haube: „Mein Ratschlag: Glaube, was wir glauben! Es ist neueren Datums. Dein Gespensterglaube ist längst überholt.“
Höhbe.: „Kürzlich sind wir von einer Krankheit befallen worden. Die war ganz neu. Und doch nicht gut. Was ist denn an eurem Glauben neu?“
Haube: „Wir glauben nicht mehr an Geister, die überall versteckt sind. Wir glauben an einen Gott, der alles sieht, hört und dem auch all unser Denken offen liegt, den wir aber mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können.“
Höhbe: „Ei was, genau so stellen wir uns unsere Geister vor.“
Haube: „ Aber ihr habt viele davon, wir jedoch nur einen.“
Höhbe: „Viele sind doch besser als nur einer. Und wenn nur einer da ist, was sollte der dagegen haben, wenn wir ihn uns verviel-fachen?“
Haube: „Unser Einer ist aber viel mächtiger als eure vielen. Er hat alles, was da ist, selbst geschaffen. Vorher war nichts außer ihm da.“
Pause
Höhbe (kratzt sich am Kopf): „Ihr glaubt, alles sei künstlich, von einem Geist hergestellt worden und davor sei gar nichts vorhanden gewesen, außer eben diesem Geist?“
Haube: „So ist es, und du solltest einsehen, wie vernünftig diese Ansicht ist.“
Höhbe: „Vernünftig soll das sein? Nur weil ihr in künstlichen Höhlen haust, soll alles andere auch künstlich, von einem Wesen verfertigt worden sein? Da finde ich unseren Glauben, wenn er auch nicht neu ist, doch besser. Der braucht keinen, der alles erbaut hat, weil alles unerbaut schon ewig da war und ewig da ist.Woraus hat denn euer Geist alles gemacht?“
Haube: „Aus nichts!“
Höhbe angelt nach seiner Keule. Haube zieht es vor, sich zurückzuziehen.