Читать книгу Universum für Neugierige - Harald Lesch - Страница 6
ОглавлениеKULTURGESCHICHTE DER ELEMENTE
Hier ist die Rede von den großen Männern der griechischen Philosophie, die auf die Frage »Was ist die Welt?« geantwortet haben: Wasser, Luft, Feuer, Erde. Es geht um den Anfang der Naturforschung, denn Naturwissenschaften sind die griechische Art, über die Natur nachzudenken.
Was ist die Welt? Die moderne Antwort auf eine alte Frage: Die Welt besteht aus Atomen, die wiederum nicht unteilbar sind, sondern aus Neutronen, Protonen und Elektronen bestehen. Das ist aber immer noch nicht elementar. Aus Demokrits Atomen wurden Quarks und Leptonen.
Am Anfang war die Kraft: Vier Grundkräfte regieren die Welt der Dinge: Schwerkraft, starke Kernkraft, schwache Kernkraft und Elektromagnetismus. Das Spiel dieser Kräfte hat alles erschaffen, was ist: Galaxien, Sterne, Planeten, Lebewesen und Gehirne.
Der große Zusammenhang: Naturwissenschaften können viel, aber nicht alles erklären. Wie hängt in dieser Welt, auf diesem Planeten, Element mit Element zusammen? Was macht das System Erde aus? Ein Blick über die Fächergrenzen hinaus zur Methodik der Wissenschaft.
Informationsexplosion
Wir leben in einer Zeit, in der das Wissen explodiert, so heißt es zumindest. Ich persönlich bin da ganz anderer Meinung. Ich habe eher den Eindruck, die Informationsmengen explodieren, von Wissen kann noch nicht die Rede sein. Wissen ist etwas ganz anderes.
Wirklich etwas zu wissen ist schon enorm. Das hängt nämlich nicht nur davon ab, was man alles an einzelnen Erkenntnissen über etwas hat, sondern dass man diese Erkenntnisse miteinander verknüpft.
Heute ist es in der Tat so, dass wir vor einer riesigen Flut von Informationen stehen. Wir stehen wie in einem Starkregen an Informationen und kriegen sie nicht zusammen. Auch von den Naturwissenschaftlern gibt es ungeheuer viele Nachrichten. Da hat wieder jemand was gefunden oder eine Gruppe was entdeckt und so weiter und so fort.
Wir leben wirklich in einer Zeit der Informationsflut, ein wahrer Tsunami. Aber Wachstum an Wissen ist etwas ganz anderes.
Thales von Milet
Es gab eine Zeit, in der das Wissen der Menschheit förmlich explodiert ist. Nicht die Informationen, die waren alle schon da, aber das Wissen um die Verknüpfungen. Das hatte man vorher nicht so gesehen. Durch einen genialen Lichtblitz kam gewissermaßen neues Wissen in die Welt.
Es war im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Da stand jemand an der Küste von Kleinasien, der heutigen Türkei, in der Stadt Milet, und hat sich Folgendes überlegt: »Ist es möglich, die Welt zu verstehen ohne die Hilfe der Götter? Ist es möglich, die Dinge und Vorgänge um uns herum mit dem eigenen, gesunden Menschenverstand zu verstehen ohne die Hilfe vom Jenseits, vom Himmel?« Dieser Mann hieß Thales.
Thales von Milet (ca. 624 v. Chr. – ca. 547 v. Chr.)
Thales von Milet war der erste Philosoph, der erste Freund der Weisheit. Dieser Mann hat etwas getan, das vor ihm niemand gemacht hatte. Er hat sich überlegt, ob es neben den Göttern, die durchaus für ihn immer noch da waren, etwas Allgemeines gibt, etwas Ewiges, in das hinein sich alles erklären lässt, was auf dieser Welt passiert. Thales hat gesagt: »Alles in dieser Welt ist letztlich auf Wasser zurückzuführen.«
Wasser löst Dinge auf, es löst Gesteine auf. Aus dem Wasser erwachsen Dinge. Wasser, das Feuchte, war für ihn das erste und allgemeinste Prinzip. Was Thales da gedacht hat, steht am Anfang der griechischen Philosophie.
Die modernen Naturwissenschaften sind das Resultat der Anfänge der griechischen Philosophie. Mit anderen Worten: Naturwissenschaft ist die griechische Art, über die Welt nachzudenken.
Man nimmt einfach das, was da ist, und versucht, es mit dem eigenen Menschenverstand zu erklären. Nun hatten die Griechen noch keine Elementarteilchen-Beschleuniger und keinen elektrischen Strom. Aber sie hatten ihre Augen und ihren Kopf. Sie sahen und hörten von Dingen, die passierten, vor allem auch von den Dingen, die sich am Himmel ereigneten, und entdeckten für sich ein neues Weltbild. Sie wollten begreifen und die Dinge zusammenbringen.
Die vier Elemente
Thales brachte das Wasser als Urelement in die Welt. Dann aber ging es weiter. Andere bestritten, dass das Wasser das Urelement sei. Sie waren der Meinung, es gäbe ein viel wichtigeres Element: die Luft. Wenn Wasser zu heiß wird, dann löst es sich in Luft auf. Die Luft würde alles auflösen. Luft sei ohnehin auch leichter als Wasser. Deswegen sei die Luft das wichtigste Element überhaupt. Zumal man ohne Luft gar nicht leben könne. Die Luft sei auch etwas, das die Seele benetzt. Bei den Griechen ruhte die Seele im Zwerchfell. Also, die Luft sei das wirklich Wichtige.
Ein Dritter wiederum, Heraklit, war der Meinung, die Luft sei es auch nicht. Sie kann es gar nicht sein. Das Feuer sei das Element, um das es geht. Feuer kann alles verzehren, auch die Luft. Es ist das einzig richtige und wichtige Element.
Für Heraklit war das Feuer auch das Symbol für die ständige Verwandlung, die in der Welt stattfindet. Pausenlos verändern sich die Dinge. Deswegen ist das Feuer das einzige grundlegende Element.
Jetzt haben wir schon Wasser, Luft und Feuer. Dann gab es noch den Empedokles, der sagte: Jetzt haben wir Feuer, Wasser, Luft. Was fehlt uns noch? Das, worauf wir stehen, Gaja, die Mutter Erde.
Vorsokratiker
Die vier Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – werden miteinander verbunden oder voneinander getrennt. Das war hochinteressant. Empedokles brauchte noch etwas, das die Elemente ineinander verwandeln konnte beziehungsweise durch Mischung der verschiedenen Anteile der Elemente verschiedene Dinge kreierte. Zum Beispiel: feuchte Erde, trockene Erde, feuchte Luft, trockene Luft, Wasser, das flüssig ist oder zu Eis gefroren. Empedokles meinte dann: »Was haben wir dann? Liebe und Hass.«
Je nach Mischungsverhältnis zwischen den Elementen und den jeweiligen Liebes- und Hasskomponenten setzen sich die Dinge der Welt zusammen. So dachten die Vorsokratiker, die Männer, die vor der Zeit von Sokrates über die Welt nachdachten.
Sie alle waren Naturphilosophen. Im Grunde genommen Physiker, meine Kollegen sozusagen. Früher war Physik experimentelle Philosophie.
Nun haben sie damals noch keine Physik betrieben, das nicht. Aber es waren Philosophen, die darüber nachgedacht haben: Was ist die Welt, aus was besteht sie?
Die Elemente-Lehre – Feuer, Wasser, Luft und Erde – ist der menschliche Blick auf die Welt. Wir sind heutzutage ja von einem ganz anderen Welt- oder Naturbild umgeben. Da ist von Atomen die Rede. Übrigens auch eine Idee, die aus der griechischen Philosophie stammt, dass es unteilbare Teilchen gibt.
Was die Griechen da gemacht haben, war die Verbindung ihres Geistes mit ihrer Anschauung. Sie haben die Dinge so beschrieben, wie es ihrer Anschauung gemäß war. Die Anschauung ist das, wonach unter anderem auch unser Erkenntnisapparat im Kopf geschult worden ist.
Um uns herum gibt es Phänomene wie zum Beispiel die Luft, die sich bewegt. In der Atmosphäre der Luft entwickeln sich Wolken. Feuer verbrennt, Wasser verdunstet, kocht oder gefriert. Das ist alles der Anschauung gemäß. Die Erde als das Stabilste unter unseren Füßen. Es ist all das, was wir direkt spüren können. Das heißt, wir haben direkte Sinneseindrücke. Die griechischen Vorsokratiker haben ihren Geist mit ihren Anschauungen verknüpft.
Platon
Der nächste Schritt ist mit dem Philosophen Platon verbunden. Das ist schon die nächste Qualität in dieser Wissensexplosion, die sich dann beschleunigt hat.
Platon (427 v. Chr. – 347 v. Chr.)
Platon hat behauptet, die vier Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde –, die Dinge, die wir hier sehen, sind nur das »Hier«. Es gibt aber eine ideale Welt, die wir gar nicht erkennen können. Da finden sich die Urprinzipien, die der Welt zugrunde liegen, das Wirkliche, die wirklichen Ideale, der Kern der Welt, der Kern der Dinge. Was wir sehen, ist nur deren Abglanz.
Platon hat die Elemente mit verschiedenen Körpern, mit regelmäßigen Polyedern zusammengebracht. Für ihn war die Mathematik, die in diesen Körpern steckt, ihre Symmetrie und Gleichmäßigkeit, Ausdruck für die Kraft, die in den Elementen steckt. Dabei waren ihm die Symmetrien in der idealen Welt wichtiger als die Elemente auf dieser Welt. Ein Idealist eben.
Er hat vor allen Dingen noch ein fünftes Element eingeführt, weil es für Platon undenkbar erschien, dass die vier Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – nicht in einem Urelement zusammenzufassen wären. Dieses Urelement, aus dem alles herausgeflossen ist, nannte er den Äther. Er hat den Äther durchaus mit einem Urprinzip verglichen. Danach stammen die vier Elemente letztlich alle aus einem Urzustand, der mit einem fünften Element verbunden ist.
Aristoteles
Platons Schüler Aristoteles hat sich ebenfalls mit den Elementen beschäftigt. Dazu hat er noch Gründe in die Welt gebracht, in die Philosophiewelt, warum Dinge passieren.
Aristoteles hat zum Beispiel von einer causa finalis gesprochen, dem Zweck, weshalb etwas passiert. Übersetzt heißt causa finalis die »Letztbegründung«, das Ziel, auf das es hinausläuft. Es weiß schon von vorneherein, wo es hinwill.
Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) gilt als einer der großen Philosophen des Abendlandes.
In den Naturwissenschaften kennen wir heutzutage keine Letztbegründungen mehr. Doch Aristoteles hatte noch andere Gründe gefunden. Die causa efficiens, ist das, was tatsächlich passiert. Die causa formalis das, was zur Form gehört, und die causa materialis das, was es ist.
Aristoteles hat völlig anders über die Vorgänge nachgedacht als die Sokratiker oder die Vorsokratiker, die sich gemäß ihrer reinen Anschauung darum gekümmert haben, aus was die Welt besteht.
Platon hat sich nur mit den Elementen beschäftigt. Wie kriege ich die Elementvorstellung aus dieser Welt? Das, was um uns herum ist und was uns auch heute noch im Grunde genommen wirklich anspricht, nämlich die Elemente, die uns ausmachen. Wie bekommt man diese Elemente in seine Welt der Ideale?
Aristoteles erklärte die Welt dann tatsächlich als eine zweckgerichtete. Er war ein großer Beobachter der Umwelt, ein Mann der Anschauung. Bei Lebewesen hat er sofort gesehen, dass sie sich gemäß dem Zweck entwickeln. Ein Lebewesen will leben. Es ist kein Stein, der einfach nur rumliegt.
Heraklit
Die Kulturgeschichte der Elemente ist eine einzige große Wissensexplosion. Man hatte verschiedene Einzelteile, von denen man zunächst einmal völlig überzeugt war, dass diese die Welt beschreiben.
Am Beispiel von Heraklit will ich noch einmal genauer erläutern, worum es eigentlich geht. Er ist derjenige unter den Vorsokratikern, der offenbar am deutlichsten gespürt und gesehen hat, was sich in der Natur als Prinzip durchsetzt. Das Prinzip der Veränderung.
Es gibt einen ruhigen Fluss von Zuständen, von Möglichkeiten, die immer gleich bleiben. Das stimmt. So schnell verändert sich die Natur nicht. Es passiert nicht pausenlos etwas. Wenn Sie eben noch das Haus betreten haben und im nächsten Moment hinausschauen, dann stehen da draußen keine anderen Bäume. Nein, es ist ein langer, ruhiger Entwicklungsstrom, der sich abspielt. Aber man kann ihn spüren.
Heraklit hat gemeint: »Du steigst niemals in denselben Fluss. Wenn du einmal aus dem Wasser gestiegen bist, dann ist das Wasser weitergeflossen.« Das ist für Heraklit der Ausdruck der ständigen Veränderung.
An der Oberfläche dieses Veränderungsflusses gibt es allerdings immer kleine Kräuselungen, Wellen, sodass sich hier und da leichte Veränderungen andeuten, das Ganze langsam neue Formen annimmt.
Der Begriff der Veränderung ist bei Heraklit mit dem Wort »Feuer« verbunden, der Kraft der Veränderung, der Dynamis. Heutzutage verstehen wir darunter den allgemeinen Begriff der Evolution.
Die Natur scheint ein Kraftfeld zu sein, das pausenlos all seine Möglichkeiten ausprobiert. Welche dieser Möglichkeiten sich durchsetzen, hängt davon ab, wie die Umwelt darauf reagiert. Wenn die Umwelt zu scharf und zu hart für diese neue Möglichkeit ist, dann wird die Möglichkeit niemals wachsen. Dann war es eben nur ein netter Versuch.
Aber eine Möglichkeit, die im entscheidenden Moment die richtigen Vorteile liefert, die kann sich durchsetzen. So ist die ganze Geschichte der Menschheit, die ganze Geschichte der Natur immer das Aufspüren von neuen Möglichkeiten.
Diejenigen, die das zum ersten Mal so klar und deutlich gedacht haben, waren die, die die Wissensexplosion bei den Griechen hervorgebracht haben. Am Anfang stand tatsächlich das Wasser.
Die Welt
Was ist die Welt? Diese Frage, von einem Physiker gestellt, führt natürlich zu der Frage:
Aus was besteht die Welt? Was die Welt wirklich ist, in ihrer Gesamtheit oder, wie es so schön heißt, in ihrer Ganzheit, in ihrer Gänze, das wissen wir sowieso nicht. Die Grenzen wissenschaftlichen Tuns sind da schon erkennbar. Lessing hat ja auch gesagt: »Die wirkliche Wahrheit ist nur etwas für die Götter.«
Was uns antreibt, ist im Gegenteil gar nicht so die Wahrheit – von der wissen wir inzwischen, dass wir sie nicht erreichen können –, sondern es sind die Lücken, die Wissenslücken. Die sind gewissermaßen die Vitaminspritze, mit der die Wissenschaften angetrieben werden.
Wissen wir etwas nicht, bringt das die Wissenschaft tatsächlich nach vorne. Das ist übrigens der große Unterschied zu Weltbildern und Ideologien, die ja immer vollständig sind, etwas ganz ohne Lücken anbieten. Ideologien und Religionen sind geschlossene Denksysteme. Die Wissenschaften hingegen sind offen und vor allem ständig in Veränderung.
Die Naturwissenschaften bieten auch kein Weltbild, sondern nur ein Naturbild an. Was die Welt mit ihren teilweise unwissenschaftlichen Erfahrungen insgesamt ist, darüber weiß die Naturwissenschaft häufig nichts zu sagen und auch nichts zu erklären. Das ist auch nicht unser Punkt. Heute, hier und jetzt, geht es nur um das, was in der Welt tatsächlich drin ist, also die Materie.
Aus was besteht die Welt? Machen wir es ganz einfach. Machen wir es so, wie es tatsächlich passiert ist. Benutzen wir nur das, was uns tatsächlich zur Verfügung steht, ohne irgendwelche Hilfsmittel. Benutzen wir unser Gehirn und fangen an, etwas zu teilen. Dann hat man zwei Hälften. Eine Hälfte kann wieder geteilt werden. Man kann teilen und teilen und teilen. Gedanklich kann man sich das gut vorstellen. Etwas wird immer kleiner. Es wird kleiner und kleiner, und es kann noch viel kleiner werden.
Atomos
Für die beiden griechischen Philosophen aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert Demokrit und Leukipp war klar, dass es etwas gibt, das nicht mehr weiter teilbar ist: Atomos. Da ist Schluss.
Mit diesem atomistischen Weltbild haben sie ein materialistisches Modell geschaffen. Hier ist nicht mehr die Rede von irgendwelchen Prinzipien, die da möglicherweise durch Hass und Liebe Elemente zusammenbringen. Letztlich besteht alles aus unteilbaren Teilchen, die nichts von der restlichen Welt wissen, sondern nur aufgrund der Zusammenstöße aneinander hängen bleiben. So ergibt sich ein festes Ding. Wenn sie nicht so fest aneinanderhängen, hat man es mit Luft zu tun. Wenn sie ganz leicht sind, dann eben mit Feuer.
Das ist eine materialistische Vorstellung von der Welt. Weil sie aus Atomen besteht. Die unteilbaren Teilchen können durchaus verschiedene Formen haben. Die einen sind Kugeln, die klarste und reinste aller Formen. Die anderen sind vielleicht Würfel. Letztlich bleibt es bei der Unteilbarkeit der Atome. Dieses Bild von den Atomen, dass am Ende der materiellen Welt Teilchen übrig bleiben, die nicht mehr zu teilen sind, prägte bis ins 18. Jahrhundert das Bild der Naturwissenschaften.
Protonen, Neutronen, Elektronen
Im 19. Jahrhundert stellte man fest: Es gibt nicht nur eine Sorte von Atomen, es gibt viele. So entstand das Periodensystem der Elemente. Man unterteilte chemische Elemente nach ihren besonderen Eigenschaften.
Zunächst ganz fundamental: Metall oder nicht Metall. Dann die Gase und Edelgase, die mit nichts in Verbindung treten. Andere wiederum, die sogenannten Alkalimetalle, Natrium oder Lithium, verbinden sich sofort mit allem Möglichen. Dann gibt es die Halogene, Chlor oder Fluor, und die Kohlenstoff-Sauerstoff-Gruppe.
So entstand eine erste Klassifikation von chemischen Elementen. Sie enthielt nicht sehr viele, aber doch immerhin einige. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ging es erst richtig los. Ein Teilchen wurde entdeckt: das Elektron, ein elektrisch negativ geladenes Teilchen. Dann entdeckte man, dass es offenbar im Atom nicht nur ein Elektron, sondern noch etwas anderes gibt. Atome sind ja nach außen hin elektrisch neutral. Da das Elektron negativ geladen ist, muss es in diesem Atom noch irgendetwas Positives geben.
Der Entdecker des Atomkerns war Ernest Rutherford. Er fand heraus, dass in einem Atom in einem verschwindend geringen Volumen positive Ladung versteckt ist. Ein Proton.
Der neuseeländische Physiker Ernest Rutherford (1871–1937) wurde 1908 für seine Beschreibung der Alpha-, Beta- und Gammastrahlung sowie der Halbwertzeit mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Drei Jahre später formulierte er das nach ihm benannte Atommodell, das einen Atomkern beschrieb, der als außerordentlich kleines, positiv geladenes Teilchen im Zentrum des Atoms fast dessen ganze Masse vereinigt.
Um eine Ahnung über die Größenunterschiede zu vermitteln, folgender Vergleich: Das Atom ist so groß wie ein Bundesligastadion. Das Elektron saust dann um den Atomkern auf dem obersten Tribünenrang, kurz vor den Würstchenständen herum. Der Atomkern wäre jetzt so groß wie ein Reiskorn am Anstoßkreis. Das Atom ist offenbar im Wesentlichen ein Nichts. Wenn es ein Wasserstoffatom ist, das erste Element im Periodensystem, gibt es ein Elektron und im Atomkern genau ein Proton.
Man wusste, dass ein Atom teilbar ist. Man kann so einem Atom das Elektron wegnehmen, ionisieren, dann ist das Elektron weg. Dann bleibt nur noch der Atomkern übrig.
Dann stellte man fest, dass es bei größeren Atomkernen noch ein Teilchen gibt. In den Kernen eines Atoms gibt es nicht nur positiv geladene Protonen, sondern auch noch elektrisch ungeladene, also neutrale Neutronen.
Im Atomkern gibt es offenbar noch weitere Teilchen. Die Vorstellung stimmt, dass es unteilbare Teilchen gibt. Aber die waren noch nicht gefunden. Bis jetzt – wir sind jetzt gerade im Jahre 1930 angelangt – haben wir Protonen, Neutronen und Elektronen. Das ist aber noch nicht das Ende der Veranstaltung.
Quarks
Die Materie besteht aus viel mehr. Wie sich später herausstellte, sind die Protonen und Neutronen ihrerseits aus Quarks, und zwar aus Up- und Down-Quarks zusammengesetzt. Ein Neutron besteht aus zwei Down-Quarks und einem Up-Quark. Ein Proton ist zusammengesetzt aus zwei Up-Quarks und einem Down-Quark.
Quarks sind im Standardmodell der Teilchenphysik die Elementarteilchen, aus denen Protonen und Neutronen bestehen. Ein Proton, bestehend aus zwei Up-Quarks und einem Down-Quark.
Die Details brauchen uns hier gar nicht zu interessieren. Entscheidend ist, dass man heute, nach 100 Jahren intensivster Forschung an der Unteilbarkeit von materiellen Teilchen, zum ersten Mal der Meinung ist, man hätte tatsächlich elementare Teilchen vor sich.
Elementarteilchen
Schauen wir uns ein Elektron an. Das Elektron ist nach dem heutigen Stand der Dinge ein Elementarteilchen. Das heißt, es lässt sich nicht weiter teilen.
Ich möchte es aber genau wissen. Dazu muss ich mit einem speziellen Mikroskop sehr genau auf das Elektron schauen. Ich will herauszufinden, ob das Elektron doch noch eine innere Struktur hat. Ist da noch etwas?
Wie schaut man in der Welt der Teilchen auf die Teilchen? Mit was? Das Mikroskop der Elementarteilchenphysik ist neben dem Gehirn derjenigen, die Elementarteilchenphysik betreiben, das Licht, genauer und richtiger gesagt die elektromagnetische Strahlung. Licht ist eine besondere Form von elektromagnetischer Strahlung und für uns besonders wichtig, weil unsere Sensoren besonders sensibel auf sichtbares Licht reagieren.
Jetzt muss man Folgendes wissen: Die Frequenz der Strahlung ist umgekehrt proportional zur Wellenlänge. Wenn etwas eine hohe Frequenz hat, hat es eine kleine Wellenlänge.
Ein Elektron ist wahnsinnig klein. Ich sage Ihnen mal eine Zahl, 10–18 Meter. Das ist wirklich richtig klein. Das kann man sich nicht vorstellen. Wie guckt man da hin?
Man braucht eine Strahlung, deren Wellenlänge genau da liegt, besser noch kleiner ist. Jetzt gibt es aber ein Problem. Hohe Frequenz, also winzig kleine Wellenlängen bedeuten hohe Energien.
Ich nehme einfach mal eine Erkenntnis aus der Quantenmechanik, dass nämlich Energie proportional zur Frequenz ist. Mit anderen Worten, wenn man das Elektron sehr genau mit elektromagnetischer Strahlung anschaut, dann stößt man das Elektron weg. Tut man das, kommt noch was viel Schlimmeres ins Spiel. Nicht nur die Quantenmechanik, sondern die Relativitätstheorie. Denn was jetzt passiert, das ist das große Geheimnis der Materie am letzten Punkt: E = mc2.
Wenn ich etwas zu genau anschaue, das heißt mit einer sehr, sehr kleinen Wellenlänge, also mit einer sehr hohen Frequenz, also auch mit sehr hoher Energie, werden aus der Strahlung, mit der ich das Objekt beobachte, Teilchen, Materie und Antimaterie.
Kurz und gut, ein genaues Betrachten des Elektrons ist nicht möglich. Schaue ich es zu genau an, umgibt dieses Elektron ein waberndes Geflecht von Materie und Antimaterie. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ein Teilchen elementar ist. Wenn also nichts mehr möglich ist, ohne dass man es sozusagen mit Materie umgibt, die aus der Energie gewonnen wurde, mit der man das Teilchen angeschaut hat.
Genau das Gleiche passiert beim Quark. Auch da findet man keine Unterstruktur mehr. Am Ende besteht alle Materie aus Energie.
Naturwissenschaftlich sind wir hier an einem Punkt angekommen, der hochgradig dramatisch ist. Wir können nicht mehr was beobachten, ohne das Beobachtete durch unsere Beobachtung zu verändern. Wir sehen die Dinge gar nicht mehr so, wie sie sind, sondern wir sehen sie nur noch in dem präparierten Zustand, der dadurch zustande kommt, dass wir das Ding beobachten.
Energiebrei
Um wieder zurückzukommen zur Frage: Was ist die Welt? Sie ist das, was wir mit unseren normalen Sinneseindrücken wahrnehmen und verstehen. Wenn ich aber sehr tief in die Materie einsteige, lerne ich: Da gibt es Atome, Atome von verschiedenen chemischen Elementen. Heute haben wir ein vollständiges Bild von den materiellen Bestandteilen des Universums.
Wenn wir aber ganz genau wissen wollen, aus was das Universum besteht – in dem speziellen Fall die Elemente auf unserem Planeten –, geraten wir in eine Bredouille. Die Dinge, die wir anschauen wollen, werden genau dadurch dramatisch verändert. Wie gesagt, ein Atom ist riesig im Vergleich zum Atomkern. Will ich aber etwas vom Atomkern wissen, muss ich da einsteigen. Protonen und Neutronen kann ich noch einigermaßen gut erfassen. Aber sobald ich an die Quarks gerate, die offenbar die Teilchen aufbauen, ist es vorbei.
Alles, was aus Atomen besteht, besteht aus Up- und Down-Quarks und aus Elektronen. Daneben gibt es in der Elementarteilchentheorie noch vier weitere Quarks und noch einige Leptonen, die allerdings in unserem heutigen Universum gar nicht auftreten. Die waren nur früher wichtig, als das Universum gerade entstand. Zu einer Zeit, als noch keine Fragen gestellt werden konnten, weil noch niemand da war. Auch auf keinem Planeten des Universums, weil es noch keine Planeten gab.
Das Universum war ein einziger Energiebrei. Es war das, wohin Platon uns schon immer gerne gebeamt hätte, eine ideale Welt, in der alles gleich war. Alle Kräfte und alle Teilchen, die in diesem Universum irgendwann wirksam waren und sind, fanden sich und sind zu einem verschmolzen. Damals gab es sechs Quarks und sechs Leptonen. Daraus bestand die Welt.
Heute besteht sie noch aus zwei Quark-Familien, den Up- und Down-Quarks sowie den Elektronen.
Die vier Kräfte
Aber möchten Sie wirklich, dass die Welt Ihnen so erklärt wird? Ist es nicht viel schöner, einfach mal rauszugehen? Sich anzuschauen, was da ist? Was da so kreucht und fleucht? Sehen, wie wunderbar die Welt ist? Ist das nicht ein viel schönerer Anblick, als sich zu überlegen, ob Ihr Gegenüber eine Mischung von Up- und Down-Quarks und ein paar Elektronen ist? In diesem Sinne hat Lessing schon recht gehabt. Die wirkliche Wahrheit ist nur etwas für die Götter.
Vielleicht sollten wir einfach vorsichtiger sein. Die Welt besteht aus Dingen. Die Dinge bestehen aus Teilchen und die wiederum aus Teilchen. Und manche dieser Teilchen bestehen wiederum aus Teilchen und so weiter. Die materiellen Bestandteile der Welt stehen fest. Da gibt es Protonen, Neutronen, Elektronen. Manchmal, vor allem in der Frühphase des Universums, tauchten auch noch ganz andere Teilchenfamilien auf. Aber damit kann man nicht erklären, was sich in dieser Welt abspielt. Das sind eigentlich alles nur Schauspieler. Wer aber hat das Drehbuch geschrieben? Und wer sagt, wann wo welcher Schauspieler auf die Bühne der Weltgeschichte zu treten hat? Die Regisseure – also diejenigen, die sagen, wo es langgeht – sind die Kräfte. Zumindest nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis sind die Kräfte diejenigen, die die Teilchen veranlassen, gewisse Strukturen zu bilden.
Interessanterweise gibt es entsprechend der griechischen Vorstellung der vier Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – vier Kräfte. Das ist vielleicht nur eine Koinzidenz, die nichts zu sagen hat, blanker Zufall. Aber es ist interessant, dass hier wieder die Zahl Vier auftaucht. Wir haben vier Elemente, wir haben vier Kräfte. Welche vier Kräfte gibt es?
Die elektromagnetische Kraft
Die einfachste unmittelbar wirksame Kraft auf diesem Planeten und im ganzen Universum und von allergrößter Bedeutung – die Königin der Kräfte – ist die Schwerkraft. Obwohl sie die schwächste ist. Ich fange aber nicht mit der Schwerkraft an. Ich fange mit einer Kraft an, die wir gut verstehen. Erst danach arbeiten wir uns bis zur Schwerkraft vor.
Die elektromagnetische Kraft. Positive Ladung und negative Ladung ziehen sich an. Zusammengenommen ergeben sie nach außen, für den äußeren Betrachter, ein neutrales Ding, weil positive und negative Ladung sich ausgleichen. Die Gesamtladung von einem Atom wie Wasserstoff ist wie folgt: Proton in der Mitte, positiv geladen, Elektron saust irgendwie um das Proton herum, negativ geladen. Die zwei zusammen haben die Ladung null. Deswegen ist ein Wasserstoffatom in dem Fall nach außen elektrisch neutral.
Gleichnamige Ladungen stoßen sich allerdings ab. Jetzt gibt es Atomkerne, die bestehen nicht nur aus einem Proton wie beim Wasserstoff, sondern da sind viele Protonen drin. Nehmen wir das nächste Element, Helium. Da sind zwei Protonen im Atomkern, auch noch zwei Neutronen, die nicht geladen sind. Diese zwei Protonen sind in einem außerordentlich kleinen Körper, nämlich dem Atomkern, zusammengesteckt. Die elektromagnetische Theorie besagt: Haben die Ladungen das gleiche Vorzeichen und kommen sich sehr, sehr nah, wirkt eine extrem starke Kraft auf sie, um sie wieder auseinanderzutreiben. Sie stoßen sich umso stärker ab, je näher sie einander kommen. Problem erkannt? Die Atomkerne müssen offenbar von einer anderen Kraft reguliert und dirigiert werden als von der elektromagnetischen. Sonst würden die Kerne auseinanderfliegen.
Starke und schwache Kernkraft
Neben der elektromagnetischen Kraft, die unter anderem für Strom und Licht zuständig ist, gibt es eine Kraft, die Atomkerne zusammenhält. Das ist die stärkste, die es überhaupt im Universum gibt – die starke Kernkraft. Sie setzt sehr viel Energie frei, wenn man große Atomkerne teilt. Wir sind von der elektromagnetischen Kraft ohne Probleme zur Kernkraft gekommen, weil die Erstere das Problem der Abstoßung gleichnamiger Ladungen aufwirft. Anders gefragt: Wie können die Atomkerne eigentlich existieren? Dafür gibt es die schwere Kernkraft.
Wir behalten im Hinterkopf: Da gibt es noch eine dritte Kraft, die Gravitation. Und wo ist die vierte? Sie hat etwas damit zu tun, dass sich in manchen Atomkernen – nicht in allen – die Teilchen, die Protonen und Neutronen, ineinander verwandeln können. Das führt dann zum radioaktiven Zerfall.
Es gibt verschiedene Zerfallsarten. Immer, oder zumindest fast, ist eine Verwandlung von Neutronen oder Protonen daran beteiligt. Was ist das für eine Kraft? Diese Kraft nennt man schwache Kernkraft. Die wirkt nur innerhalb der Nukleonen, also innerhalb der Kernbausteine. Sie hat nur eine außerordentliche kleine Reichweite. Wie die starke Kernkraft. Die wirkt auch nur im Atomkern.
Die schwache Kernkraft führt dazu, dass manche Neutronen sich in Protonen und manche Protonen sich in Neutronen verwandeln können, wobei wir wissen, dass Protonen und Neutronen ihrerseits wieder aus Up- und Down-Quarks bestehen. Das heißt, innerhalb der Neutronen müsste sich ein Down-Quark in ein Up-Quark verwandeln, und innerhalb eines Protons müsste sich ein Up-Quark in ein Down-Quark verwandeln. Komische Verwandlungsprozesse spielen sich da ab, und jedes Mal hängt es mit einer Kraft zusammen.
Gravitation
Kommen wir auf die im Hinterkopf behaltene dritte Kraft zurück: die Gravitation. Einfach ist ihre Erklärung nicht. Aber bleiben wir erst einmal bei dem, was greifbar ist. Am Ende schauen wir uns an, was nicht so einfach zu erklären ist.
Thema Reichweite: Es geht um die Reichweite der Kräfte. Die schwache Kernkraft wirkt nur innerhalb eines Kernbausteins, die starke Kernkraft innerhalb eines Atomkerns. Sie haben endliche Reichweiten. Die elektromagnetische Wechselwirkung, also die Kraft zwischen zwei Ladungen, hat im Prinzip eine unendliche Reichweite. Unendliche Reichweite bedeutet, die Kraft muss von einem besonderen Übertragungsmechanismus stammen. Die Gravitationskraft – jetzt bin ich endlich wieder da – hat so eine unendliche Reichweite.
Aber bei der Gravitationskraft gibt es keine unterschiedlichen Ladungen. Die Gravitationskraft, die Schwerkraft, die schwächste aller Kräfte, ist immer anziehend. Immer. Das macht ihre Stärke aus. Integriert in die Entwicklungszeit des Universums, gewinnt die Gravitation immer. Sobald irgendwo eine Verdichtung stattfindet, also ein bisschen mehr Masse als in der Umgebung, fängt dieses Etwas-mehr-Masse an, die ganze Umgebung anzuziehen. Das Material läuft genau dahin, wo vorher die Verdichtung war. Das Ganze wird noch dichter, die Gravitationskraft stärker, weil die Gravitationskraft proportional zur Masse ist. Je mehr Masse, umso stärker wird die Gravitation. So entleert sie das Universum.
Dass Sie nachts Sterne sehen, also Lichter, die sehr weit entfernt sind, Lichtkugeln, Gasbälle, hat nur etwas mit der Gravitation zu tun. Sterne sind entstanden, weil Gas unter seinem eigenen Gewicht zusammengefallen ist. Manche Sterne sind viele Tausend Lichtjahre von uns entfernt. Da fragt man sich: Wie kommt das Licht eigentlich zu uns? Gut, es ist mit 300.000 Kilometern pro Sekunde, also mit Lichtgeschwindigkeit, sehr schnell unterwegs. Aber wieso wird das Licht dabei nicht verschluckt? Antwort: ganz einfach. Zwischen uns und diesem Lichtball, diesem Lichtgeber da draußen, ist nichts, was das Licht verschlucken könnte. Mit anderen Worten: Zwischen uns und einem Stern, der zum Beispiel 25.000 Lichtjahre von uns entfernt ist, ist nichts, was das Licht absorbiert. Das Universum ist leer.
Für diese große Leere des Universums ist die Schwerkraft verantwortlich. Denn ursprünglich war die Materie im Universum gleichmäßig verteilt. Nur hier und da und dort gab es einige Verdichtungen. Diese Verdichtungen haben dazu geführt, dass das einigermaßen gleichmäßig verteilte Material in diese Verdichtungen geströmt ist, wie in ein Bassin. Die Materie hat sich an einigen wenigen Stellen konzentriert. Es bildeten sich Galaxien und Galaxiehaufen. Aber der größte Teil des Universums ist leer. Selbst innerhalb der Galaxien ist so gut wie nichts. Das ist die Wirkung der Gravitation.
Die Übertragung der Kräfte
Was die Gravitation wirklich ist, lässt sich nur ganz schwer sagen. Vor allen Dingen im Vergleich zu den anderen drei Kräften. Elektromagnetische Wechselwirkung, starke Kernkraft, die so stark ist, weil sie die Kerne gegen die elektromagnetische Abstoßung zusammenhält, und dazwischen die schwache Kraft, die dafür sorgt, dass manche dieser Kerne auch wieder radioaktiv zerfallen. Was ist das? Wie funktionieren diese Kräfte? Es ist ganz einfach so, dass der Austausch der Kraft in einem Atomkern sich mit einem Teilchen oder mit einem Übertragungsmechanismus vollzieht, der einer endlichen Masse entspricht. Mit anderen Worten, es werden tatsächlich Teilchen ausgetauscht. Man kann sich das so vorstellen: Zwei Leute in einem Ruderboot werfen sich einen Ball zu. So kriegen die etwas voneinander mit. Der Ball hat eine gewisse Masse. Wenn Masse aufgenommen wird, kommt es zum Schubs. Die beiden spüren sich gegenseitig, weil etwas ausgetauscht wird, was schwer ist. Starke und schwache Kernkraft werden durch Teilchen vermittelt, durch Makler, die eine endliche Masse besitzen. Aufgrund ihrer endlichen Masse können sie nicht beliebig weit wirken, sondern nur in einem winzig kleinen Bereich. Diese Teilchen, die da vermittelt werden, sind sehr schwer. Und sie sind fast nicht sichtbar zu machen.
Die elektromagnetische Wechselwirkung dagegen hat keine Ruhemasse, überhaupt keine, nichts. Deswegen kann sie unendlich weit reichen. Die elektromagnetische Wechselwirkung ist im Prinzip eine unendlich reichende Wechselwirkung. Eine Kraft, die überall wirkt. Aber durch die Tatsache, dass sie zwei Ladungen hat, ist sie letztlich doch beschränkt. Die Gravitation, also die Schwerkraft, müsste in diesem Bild, entsprechend der Theorie der modernen Elementarteilchenphysik, mit einem Teilchen verbunden sein, das ebenfalls keine Ruhemasse besitzt. Man kann sich nicht so ohne Weiteres vorstellen, was da eigentlich wirklich am Werk ist. Da sind ja keine Gummibänder dazwischen.
Was hält denn dann die Planeten unseres Sonnensystems auf ihren Bahnen? Und das immerhin seit 4,5 Milliarden Jahren. Wäre das nicht so, wären wir gar nicht hier. Wir sind der Beweis für die Stabilität des Sonnensystems. Also möchte man doch gerne wissen, welche Kräfte da am Werk sind! Newton hatte große Probleme mit seinem Gravitationsgesetz. Er überlegte, wenn Gravitation immer nur anziehend ist, wirklich alles zu sich zieht, wieso gibt es dann überhaupt noch irgendetwas? Wieso ist nicht schon längst alles zusammengefallen?
Die Urkraft
Noch heute ist das Problem nicht wirklich geklärt. Die Gravitation wird von der allgemeinen Relativitätstheorie als Krümmung der Raumzeit erklärt. Ich bitte Sie, »Krümmung der Raumzeit« – das ist doch keine Erklärung! Das ist doch auch nur ein Versuch, irgendetwas darzustellen, das man messen kann. Man misst tatsächlich, dass die Lichtwege in der Nähe von schweren Körpern gekrümmt sind. Aber was heißt das schon? Wieso bleiben wir hier am Boden stehen und fliegen nicht davon? Was hält uns eigentlich?
Einstein erklärt das so: Die Gravitation entspricht einer Beschleunigung, in dem Fall nach unten. Wir spüren es einfach, deshalb stehen wir hier fest auf der Erde. Im allgemeinen Kontext, der Frage nämlich, aus was die Welt denn nun besteht und wie sie funktioniert, kommt den Kräften eine überragende Bedeutung zu. Im speziellen Kontext der Naturwissenschaften und hier insbesondere der theoretischen Physik und noch spezieller im Bereich der theoretischen Astrophysik ist es noch viel, viel interessanter zu fragen: Gab es diese vier Kräfte schon immer, oder gab es am Anfang vielleicht eine Urkraft, aus der die vier Kräfte entstanden sind?
Ich möchte noch einmal daran erinnern: Der Erste, der gedacht hat, dass es eine Vereinigung aller Elemente zu einem fünften Element geben könnte, war Platon. Weil er sich in einer idealen Welt nur eine einzige Kraft vorstellen konnte, die dafür sorgt, dass aus ihr alles herausströmt. Die Vorstellung davon, dass sich ab einer bestimmten Temperatur, mit anderen Worten ab einer bestimmten Energie, im frühen Universum die Dinge zu einer Urkraft vereinigen, ist tatsächlich der große Antrieb für die Theorien, die in der modernen theoretischen Physik heutzutage gedacht werden. Es gibt gute Gründe, das so zu machen. In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Theorien entwickelt und in den 80er- und 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts Experimente gemacht, die diese Theorien bestätigt haben. Man hatte sich Folgendes überlegt: Ab einer bestimmten Temperatur dürften doch die schwache Kernkraft und die elektromagnetische Wechselwirkung gar nicht mehr zu unterscheiden sein. Wann könnte diese Temperatur erreicht sein? Es wurde gerechnet und festgestellt, dass dies ab 1015 Grad Kelvin der Fall ist. Das ist sehr heiß. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Heute hat das Universum eine Temperatur von minus 271 Grad Celsius. 1015 Grad – egal, ob wir von Kelvin oder Celsius reden, da macht der Unterschied nicht mehr viel aus –, 1015 Grad, das wäre die Temperatur, bei der sich die massebehafteten Vermittler der schwachen Wechselwirkung ständig in Licht verwandeln können.
E = mc2. Bei einer Temperatur von 1015 Grad gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen den Teilchen und den Photonen. Offenbar gibt es da Prinzipien – so hat man es auch herausgefunden – die dann tatsächlich belegen: Ab 1015 Grad werden diese Wechselwirkungen gleich: die schwache Kernkraft und die elektromagnetische Kraft. Man kann natürlich noch weitere Temperaturen berechnen, zum Beispiel die, bei der sich die starke Kernkraft mit diesen beiden Kräften vereinigt. Und man kann sogar ausrechnen, wann die Gravitation sich mit den anderen Kräften vereinigt. Aber da ist man dann bei einer Welt angekommen, die mit der unseren überhaupt nichts mehr zu tun hat. Gar nichts mehr. Das ist eine Temperatur jenseits von Gut und Böse in einem Universum, das sehr, sehr klein ist.
Das große Ganze
Das Erstaunliche ist, dass wir Menschen über uns hinausdenken und uns in eine Welt hineinversetzen können, die wir definitiv noch niemals erfahren und für die wir nicht den leisesten Sinneseindruck haben. Thales hat am Anfang gesagt: »Urprinzip ist das Wasser. Ich sehe, wie die Dinge sich im Wasser verändern und alles hin zum Wasser strebt. Das ist für mich das Urprinzip.«
Heute könnte man sagen, Urprinzip ist die große Vereinigung bei einer Temperatur, die man zwar hinschreiben kann, die sich aber menschlicher Vorstellungskraft entzieht. Da sehen Sie, wie groß die Reise ist, die man von den Anfängen der Philosophie in die heutige moderne Naturwissenschaft macht. Die damalige Wissensexplosion und die Flut an Informationen, die noch darauf warten, geordnet und in einem neuen Naturbild zusammengefasst zu werden, sind weiter am Werk. Naturwissenschaften zu betreiben ist die griechische Art, über die Natur nachzudenken. »In Kunst und Wissenschaft sowie in Tun und Handeln kommt alles darauf an, dass die Objekte rein aufgefasst und ihrer Natur gemäß behandelt werden.« Dieser Satz stammt von Goethe.
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) war einer der großen deutschen Dichter und Denker.
Goethe war einer der ganz Großen, nicht nur als Schriftsteller, sondern als Denker. Er steht für ein Weltbild – Weltbild, nicht Naturbild –, das man ganzheitlich nennt. Das Universalgenie hat sich nicht so sehr für die Details interessiert, sondern für das große Ganze. Nur so kann er die Natur erfahren und die Welt verstehen. Den Reduktionismus, ein Verfahren, das wir heutzutage in der Welt der Naturwissenschaften benutzen, lehnte Goethe ab. Darunter versteht man eine Reduktion auf Einzelprobleme, das große Ganze erscheint zu schwierig. Nach dem Motto: Haben wir viele kleine Einzelprobleme gelöst, werden wir vielleicht auch das Problem als Ganzes verstehen.
Es ist ein außerordentlich unerfreuliches Problem, vor dem wir da stehen. Goethe hat nämlich recht. Natürlich würden wir gerne die Natur gemäß ihrer Natur untersuchen, wenn wir könnten. Leider Gottes ist die Natur aber nicht so gnädig, dass sie uns das tun lässt, weil es eben Naturgesetzlichkeiten gibt. Diese Naturgesetzlichkeiten machen nun wiederum die Begrenzung und Beschränktheit naturwissenschaftlichen Tuns deutlich. Sie führen uns vor Augen: So, wie die Natur wirklich ist, so kriegen wir sie gar nicht vor unsere Messinstrumente. Die Naturwissenschaften sind quantitative Wissenschaften. Goethe war kein großer Freund der Quantität. Wie die Dinge in ihrer Qualität sind, interessierte ihn.
Die Grenzen des reduktionistischen Ansatzes
Weg von Goethe, zurück zu den Elementen. Wo stehen wir? Wir haben die Elemente der Griechen: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Eine Vorstellung, die sich lange gehalten hat, ebenso wie die, dass die Welt aus Atomen besteht. Auch eine griechische Erfindung, Demokrit und Leukipp.
Dann der Vorstoß in die Welt der Elementarteilchen. Atome sind gar nicht unteilbar. Es gibt noch andere Teilchen, die innerhalb der Atome wirksam sind. Innerhalb dieser Teilchen gibt es noch weitere Teilchen. Aber jetzt scheint man an einem Punkt angekommen zu sein, wo die reduktionistische Methode, also die Teilbarkeit der Materie, nicht mehr weiterführt. Da scheint ein Ende zu sein. Nicht zuletzt vorgegeben durch einige Grenzen, die in den Theorien über die Materie stecken. Es treten die Unbestimmtheitsrelationen der Quantenmechanik und die Relativitätstheorie auf. Beide sagen: Schaust du zu genau hin, verwandelt sich die Energie in Materie. Dann siehst du nicht mehr das, was du eigentlich sehen willst. Es gibt offenbar Grenzen.
Es gibt tatsächlich Begrenzungen für den reduktionistischen Ansatz. Das Schöne ist allerdings auch: Man kann bei den ganzen elementaren Dingen, die die Naturwissenschaften so hervorgebracht haben, sehen, dass sich die Welt tatsächlich aus einzelnen Teilen zusammensetzt. Wir können sie zu Elementen fügen, so, wie wir sie sehen. Sie nehmen diese Dinge genauso wahr wie ich. Sie trinken Wasser und keine Quarks. Sie atmen Atome und Moleküle und keine Quarks. Sie verbrennen tatsächlich Holz, wenn Sie ein Feuer machen. Und tatsächlich stehen wir immer noch auf der Erde. Egal, was die Naturwissenschaften uns über die elementaren Bestandteile sagen. Wir stehen zwischen diesen großen Elementen, die die Griechen vor 2500 Jahren in die Welt gebracht haben. Das sind menschliche Elemente. Das sind Elemente der Anschauung.
Der ganzheitliche Ansatz
Die akademischen Bildungsanstalten benutzen ihre einzelnen Fächer für die Untersuchung ganz gewisser Bereiche in den Naturwissenschaften, eben ganz gewisser Elemente. Und es gibt Strukturwissenschaften, die sich mit dem Phänomen Leben beschäftigen. Leben ist ein echtes Grenzphänomen der Materie. Der größte Teil des Universums ist tot. 99,9999999999999 Prozent – hängen Sie so viele Neuner dran, wie Sie wollen – sind tot. Dieses Universum besteht nur in winzigen Anteilen aus Lebewesen. Um uns herum lebt das Leben, sonst wären wir gar nicht da. Aber der größte Teil des Universums ist nicht am Leben. Strukturwissenschaften beschäftigen sich mit einem Phänomen, eben dem Leben, so zum Beispiel die Biologie.
Andere Wissenschaften konzentrieren sich nur auf ein Element. Meteorologie ist für das Element Luft zuständig, das Wetter. Für die Wissenschaft der Sterne ist das Element Feuer ganz wichtig, für die Erdwissenschaften die Erde, und für die Ozeanografen ist es das Wasser. Will man aber wirklich wissen, in welcher tollen Welt wir leben, dann müssen wir goethianisch vorgehen, holistisch, ganzheitlich. Wir müssen das System als Ganzes anschauen. Wir müssen erkennen, was um uns herum passiert.
Schauen wir uns zum Beispiel das Schicksal eines Wassertropfens an. Das Wasser kommt irgendwo aus dem Erdboden heraus, fließt dann über Bäche und Flüsse ins Meer und verdunstet. Warum? Weil ein 150 Millionen Kilometer entfernter Gasball so viel Energie freisetzt, dass das Wassertröpfchen, das aus dem Erdboden heraus über Ströme und Bäche ins Meer gekommen ist, jetzt auf einmal so viel Bewegungsenergie hat, dass es das Wasser der Ozeane wieder verlassen kann. Es steigt auf in die Atmosphäre. Dort wird es möglicherweise auf ein Staubteilchen treffen, kondensieren und als Regen wieder herunterfallen. Das ist der große Kreislauf des Wassers.
Aber Sie merken schon: Alles ist daran beteiligt! Die Erde, die Luft, Wasser, sogar das Feuer ist beteiligt. Man kann das nicht trennen. Wir leben in einem einzigen, ungeheuer vernetzten System. Wir können nichts ohne das andere beschreiben. Gar nichts. Und genau das nennt man ganzheitlich.
Das Leben
Herr Geheimrat, müsste man Goethe heute zurufen, Herr Geheimrat, eine Forderung zu stellen an ein ganzheitliches Weltbild kann man nur machen, wenn man vorher auch genau weiß, wovon man redet, indem man alle Einzelteile oder so viele Einzelteile wie möglich im Detail untersucht hat. Erst kommen die Teile, dann das Ganze. Man darf das eine nicht vergessen, aber das andere auch nicht. Das ist ein Wechselspiel. Das System Erde, in dem wir leben, ist ein außerordentlich vernetztes System von Regularien. Je nachdem ob Tag oder Nacht, passieren ganz gewisse Dinge auf der jeweiligen Tag- oder Nachtseite. Der Planet dreht sich heute unter anderem deswegen so, wie er sich dreht, weil er von einem Trabanten umkreist wird, der aus, sagen wir mal, rund 400.000 Kilometern Entfernung eine Kraft auf die Erde ausübt. Genauso übt auch der Planet Erde eine Kraft auf diesen Trabanten aus. Die beiden umkreisen einander um einen gemeinsamen Schwerpunkt, der etwa 2000 Kilometer unter der Erdoberfläche liegt. Das führt dazu, dass bei jeder Bewegung des Trabanten um die Erde herum der Erdkörper durchgeknetet wird. Er steigt 30 Zentimeter auf und wieder ab. Unser Planet ist in engstem Kontakt mit dem Mond, obwohl der so weit entfernt ist.
Der andere Körper, von dem jetzt die Rede sein wird, ist ein Gaskörper, der 700.000 Kilometer Radius hat. Er strahlt aus einem Abstand von 150 Millionen Kilometern auf uns und spendet die Energie, die überhaupt erst Aktivität auf diesem Planeten ermöglicht. Alles, was jetzt passiert, alles, was jemals auf dem Planeten passiert ist, alles, was gedacht oder getan und auch in Zukunft gedacht und getan wird, alles Gute und Böse, alles ist Sonnenenergie. Nichts geschieht ohne die Beteiligung dieses Himmelskörpers. Die Luftmengen, die auf der Erde lasten, sind fast nichts. Deswegen können wir auch aufrecht gehen. Wir leben auf dem Boden eines Luftmeers. Das war übrigens zu keiner Zeit so wie heute. Heutzutage haben wir Stickstoff, Sauerstoff, ein bisschen Wasserdampf, Kohlendioxid, ein bisschen Methan und etwas Argon. Das ist eine Atmosphäre, die der Erdkörper früher nie hatte. Als der Erdkörper entstand, war die Atmosphäre anders zusammengesetzt. Wasserdampf, Kohlendioxid. Alles sehr schwül. Es hat lange geregnet. Das hat zu einer starken Veränderung der Atmosphäre geführt. Die wirkliche Revolution auf diesem Planeten fand aber statt, als eine Materieform entstand, die es vorher noch nie gegeben hatte. Der Wechsel von toter Materie zu lebender Materie war ein großer Schritt. Der nächste große Wandel geschah, als diese kleinen, lebenden Materieklümpchen auf einmal eine Energiequelle anzapften, die schon da war: das Sonnenlicht. Jetzt ging es los. Das Sonnenlicht wurde über einige chemische Prozesse zu Zucker, Wasser und freiem Sauerstoff verwandelt.
Atmen Sie einmal kräftig ein. Das, was Sie da aufnehmen, ist uraltes Material. Die Sauerstoffmoleküle sind wahrscheinlich sechs bis sieben Milliarden Jahre alt. Die sind in einem Stern entstanden, lange Zeit vor unserem Sonnensystem. Was Sie jetzt einatmen, wird von Lebewesen produziert und freigesetzt, die auf einer elementaren, zellulären Ebene Sonnenlicht in Sauerstoff, Zucker und Wasser verwandeln können. Das ist die Photosynthese. Kilometerdicke Eisenerzbänder hatten sich vor rund 2,5 Milliarden Jahren auf dem Boden der Meere abgelagert. Durch den freigesetzten Sauerstoff wurden sie gnadenlos zu Rost verarbeitet. Als das Eisen verrostet war, stieg der Sauerstoff in die Luft auf und trug zur Entwicklung der Atmosphäre bei. Damit beschleunigte sich die Evolution des Lebens auf der Erde. Es entstanden ganz neue Lebewesen, darunter einige mutige, die sich sogar trauten, aus dem Wasser herauszukommen und an Land zu kriechen.
Einen Schritt zurücktreten
Ich will hier nicht die ganze Erdgeschichte aufdröseln. Entscheidend ist, dass die Vorgänge auf diesem Planeten extrem miteinander vernetzt sind. Wenn diese kleinen Tierchen, die Cyanobakterien, nicht angefangen hätten, das Sonnenlicht zu verarbeiten, dann wäre auf der Erde kein Sauerstoff frei geworden. Dann gäbe es nicht das, was wir heute haben. Heute schauen wir auf das Ergebnis einer langen Entwicklungsgeschichte, von vielen kleinen Detailprozessen, die sich ständig – wiederholend oder mit leichten Variationen – abspielen.
Was Goethe angemahnt hat, die Natur gemäß ihrer wirklichen Natur zu behandeln, ordentlich und sauber und als Ganzes, ist ein wunderbarer Ansatz. Er kann aber nur dann gelingen, wenn er in Kombination mit den modernen naturwissenschaftlichen Methoden durchgeführt wird. Wenn man sehr viel Kleines gesehen hat, muss man immer wieder einen Schritt zurücktreten und sich das Bild als Ganzes anschauen. Was sehe ich jetzt, was ich vorher nicht gesehen habe?
Die Naturwissenschaften sind in einer gewissen Weise die Überprüfung eines Textes. Wenn die Natur der Text ist, schauen die Naturwissenschaften darauf, wie der Text geschrieben ist. Ist die Grammatik richtig? Die Zeichensetzung? Und alles großgeschrieben, was großgeschrieben werden soll? Wenn man aber wissen will, was dieser Text bedeutet, was möglicherweise zwischen den Zeilen dieses Textes der Natur steht, ist es gut zu wissen, woher der Text kommt. Das allerdings wissen wir nicht. Da ist es hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Was bedeutet dieser Text? Was steht da?
Man kann es auch mit einem Ölgemälde vergleichen. Manche Motive sind erst erkennbar, wenn man weit genug entfernt ist. Nähe und Distanz, beides ist wichtig. Wenn Sie den Griechen zugetan sind, das griechische Bild bevorzugen – ich persönlich tue das –, dann sind Sie mit Feuer, Wasser, Luft und Erde gut bedient, um ein System von Elementen zu begreifen. Wenn Sie es genauer wissen wollen, schauen Sie sich eine Welt an, die voller Quarks und Elektronen ist. Gehen Sie nahe ran, treten Sie wieder ein Stück zurück und – staunen Sie mit aufmerksamem Respekt.