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Kapitel 2 – Inventur

Also los, machen wir Inventur. Ich hätte jetzt gerne den grauen Kittel des Lageristen in diesem Betrieb, wo ich als Student mal Praktikum gemacht habe. Dieser weise Alte, mit seinem ewigen Zigarrenstumpen; immer kalt und stinkend. Ich höre noch seinen Satz: „Na, junger Mann, zum ersten mal auf Arbeit? Dann sind sie hier genau richtig. Hier ist nämlich unser Lager und was wir zwei jetzt hier machen heißt Inventur. Fangen Sie mal mit den Schrauben an!“ Ich gucke mich jetzt hier auch mal um. Was ist denn alles da? Hier direkt um mich herum Wasser und Luft, direkt unter mir etwas Festes, und hierher gebracht hat mich das Feuer in der Maschine. Mit diesen vier Elementen hat ja die ganze Geschichte des abenländischen Denkens begonnen. Wie hießen die denn? Thales, klar. Das war ja der mit dem Wasser, aber die anderen? Das macht mich ganz rappelig.

Nein, ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen, jetzt wird erst mal gezählt. Bitte jetzt keine philosophischen Ausflüge nach Kleinasien oder in die Inselwelt der Ägäis. Oder vielleicht doch? Kein Wunder, wie wundervoll die über ihre vier Elemente nachdenken konnten: da unten herrscht ja schönstes Wetter, prima Essen, und selbst wenn du schiffbrichst, siehst du doch irgendwann eine Küste, und wenn du Glück hast, begrüßt dich eine nette junge Griechin.

Homer, lass mich doch mal in Ruhe zählen, und quäle mich nicht mit diesem gerissenen Odysseus, auf den offenbar jede Frau des Mittelmeeres stand.

Thales, Anaximenes, Heraklit, Empedokles, jetzt habe ich Euch, meine lieben Freunde bitte verschwindet, ich muss zu den Atomen. Auch so eine griechische Erfindung, aber geglaubt hat sie keiner so richtig. Dabei drückte sich Demokrit sehr verständlich aus: Es gibt nur die Atome und das Nichts, der glasklarste Materialist ohne Wenn und Aber. Vielleicht haben deshalb seine Atome über 2000 Jahre gebraucht, bis sie wirklich gebraucht wurden, die kleinen Racker.

Dabei ist es vermutlich die größte und wichtigste Idee der Menschheit überhaupt: Die Welt besteht aus Atomen. Weil wir das wissen, können wir die Welt manipulieren, können aus ihr das machen, was wir wollen. Jede moderne Maschine, auch die, die da mit mir abgestürzt ist, die gibt es nur, die funktioniert nur – naja nicht immer – weil wir wissen, dass das Material aus Atomen besteht. Material und Mater, ob das zusammenhängt? Die Mutter aller Dinge.

Es gibt 92 stabile Atomarten, schön im Periodensystem der Elemente zusammengestellt, jaja so einen Bart hatte der Mendelejew, der hat sich das nämlich so ausgedacht. Nee, nicht ausgedacht, sondern überlegt, also nicht das mit den Atomen, sondern mit dem Periodensystem.

Ruhe jetzt, wenn ich schon beim System in Gedankenpanik gerate, wie will ich denn da Inventur machen. Wo war ich? Ach ja, bei den Atomen. Die bestehen aus Atomkernen, also genauer aus sehr kleinen Atomkernen. Apropos Kern, wenn ein Atom so groß wäre wie ein Kathedrale, dann wäre der zugehörige Atomkern so groß wie ein Kirschkern.

Umrundet oder besser umschwirrt werden die Atomkerne von Elektronen.

Atomkerne bestehen aus positiv geladenen Protonen und aus elektrisch neutralen Neutronen. Beide sind knapp 2000 Mal schwerer als die Elektronen und die Neutronen sind etwas schwerer als die Protonen und alle Kernbausteine. Die nennt man Nukleonen, ein griechisches Wort. Sie bestehen aus up und down Quarks, das kommt aus dem Englischen. Großartig, jetzt habe ich mich richtig eingegroovt.

Die Struktur der Materie, das ist das Hoheitsgebiet der Physik. Hier wird seit über hundert Jahren erfolgreich geforscht. Man weiß sehr genau, aus was die Welt besteht, und vor allem weiß man, warum sie aus so vielen verschiedenen Materialien besteht. Weil sich die Atome miteinander zu Molekülen verbinden. Die ganze Welt um mich herum, alles Moleküle.

Wasser, auch dieses wunderbare französische hier, ist eine Verbindung von zwei Wasserstoffatomen mit einem Sauerstoffatom. Warum ist die Verbindung zweier Gase flüssig? Ich könnte mir das jetzt beantworten, aber ich tue es nicht. Ich mache Inventur.

Die Luft, die ich einatme, Moleküle. Ich bestehe auch nur aus Molekülen – und was für welchen! Und das Allergrößte ist: Die sind gar nicht von der Erde, diese ganzen Stoffe kommen von den Sternen, wir Menschen bestehen zu 92 Prozent aus Sternenstaub. Vom Staube kommst du, und zu Staube sollst du wieder werden.

Ich werde hier aber nicht zu Staub, hier ist es viel zu nass, ich werde wahrscheinlich zu Fischfutter. Auf der molekularen Ebene ist das aber egal. Für zwei Kohlenstoffatome aus meiner linken Wange ist es völlig unerheblich, ob sie einem Haifisch helfen, sein Lächeln hinzukriegen oder mir mein Verzweifeln. Da unten, in der Welt der kleinsten Teilchen ist alles egal. Die kennen nix, die kennen keine Verwandten, die haben nämlich keine. Die wissen auch nix, die kleinen molekularen Geräte, die funktionieren einfach nur.

Warum ist unser Flieger denn eigentlich abgestürzt? Das lässt sich ganz einfach erklären und immer sind diese Drecksmoleküle daran beteiligt. Es ist so passiert: Durch den gewaltigen Eintrag von Kohlendioxid (Molekül) kommt es zur Erwärmung der Luft (Sauerstoff, Stickstoff – und andere Moleküle), die Luft überträgt ihre Wärme auf das Wasser (Molekül), das Wasser verdampft ab einer bestimmten Temperatur. Es verdampft natürlich nichts ahnend, was es demnächst anrichten wird. Es wird nämlich mit der warmen Luft nach oben in die kühlere Atmosphäre geschleudert und kondensiert dann dort oben wieder aus. Dabei wird Energie frei und die Wassermoleküle rasen weiter nach oben. Es bilden sich Gewitterwolken und weil die Temperaturunterschiede sich noch verstärken, werden die Luftmoleküle noch hemmungsloser und es gibt Sturm.

Und genau in diesen molekularen Wirrwarr sind wir mit unserer schönen stromlinienförmigen Passagiermaschine hineingeraten.

Das Flugzeug ist aber leider nicht so flexibel wie die Gasmoleküle. Es besteht nämlich aus Metall, und die Molekülverbindungen von Eisen, Kupfer, Aluminium und anderen Metallen sind eben leider eher spröde, dafür aber auch stabil genug, um einen oder 240 Sessel in der Luft zu halten. Der spröde, eigentlich stabile Zylinder aus Metall kommt in den Wirbel aus Gasmolekülen, gerät ins schlingern und stürzt ab.

Aber wie gesagt, für die Moleküle ist es völlig egal, die gehen nicht so einfach kaputt. Also die kleineren Moleküle, die größeren Moleküle sind nicht ganz so unempfindlich.

Ich bin so ein großes Sammelsurium von vielen, sehr empfindlichen Molekülen und deshalb bin auch so leicht zu zerstören. Überhaupt bin ich am Boden zerstört. Naja, Boden ist vielleicht doch das falsche Wort. Besser wäre „ins Wasser gefallen“, mein Leben ist ins Wasser gefallen. Und warum? Weil man mich immer wieder ins kalte Wasser gestoßen hat. Diese verdammte Optimierung! Junge, du musst viel besser werden, gut ist nicht gut genug, guck doch mal die anderen! Diese ewige Befehlsform, der Imperativ der Moderne lautet: Niemand kann so bleiben wie er ist, er muss sich verbessern und zwar endlos. Genauso endlos wie dieser Ozean. Hinterm Horizont geht es eben immer noch weiter. Das macht einen doch völlig fertig, wenn man nie mal fertig wird mit irgendwas. Man wird geschubst, gestoßen und gepushed. Dabei reicht es mir schon lange. Und genau deshalb reicht’s mir auch jetzt. Den Tod, den kann man nicht besser machen, da ist Feierabend. Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend, obwohl, jetzt wird es wieder langsam dunkel, das Licht der Sonne bricht sich so schön ins Rote. Die Moleküle der Luft streuen das Licht, die Atmosphäre ist ein Lichtstreuer. Herrlich, also wunderbar, das gehört nämlich auch zur Welt: Die Strahlung, die elektromagnetische Strahlung. Ich lache mich kaputt, was hatte man sich da alles gedacht! Strahlung sei die Schwingung des Äthers. Jajaja, der Äther betäubt, der macht schläfrig. Man dachte doch tatsächlich, das Universum sei durchsetzt von einem Stoff namens „Äther“, und dessen Schwingungen würden sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Man muss sich das mal überlegen, Schwingungen eines Materials, die sich mit 300.000 Kilometer pro Sekunde ausbreiten. Was soll der Äther sein?

Schwingungen vom Schall sind in Wasser schneller als in der Luft und noch schneller in Metallen. Wie starr hätte dann so ein Äther-Etwas sein müssen, um so schnell schwingen zu können? Und gleichzeitig drehen sich die Planeten um die Sonne und um ihre eigene Achse und merken nichts von diesem Äther? Alles Quatsch!

Aber dann kam Albert und hat die Sache auf den Punkt gebracht. Es gibt etwas Absolutes! Von wegen Relativitätstheorie, völliger Blödsinn. Die Theorie von der absoluten Lichtgeschwindigkeit müsste diese Theorie heißen. Sie ist nämlich für alle immer gleich. Sie ist keine Größe in Verhältnissen, sie hat kein Verhältnis. Warum soll eine Lichtgeschwindigkeit denn auch ein Verhältnis haben? Jeder, bis auf Albert, dachte ja, die muss eins haben. Sie muss doch ins Verhältnis zu anderen Geschwindigkeiten gesetzt werden. Alles falsch. Die Lichtgeschwindigkeit ist die Königin, die absolute Nummer Eins, die unantastbare Eigenschaft des Vakuums.

Aus dieser Theorie leitete Albert die Formel aller Formeln ab, die Mutter aller Formeln sozusagen: E = mc2. Sie wird zur größten Bedrohung führen, die der Homo Sapiens jemals entwickelt hat. Sie wird ihn nämlich zum ersten Mal in seiner ganzen 500.000 Jahre langen Geschichte in die Lage versetzen, sich selbst zu vernichten.

E = mc2, das ist die Zauberformel für Atombomben. Die Zauberlehrlinge werden sie immer und immer wieder für eine Unmenge an Zerstörungskraft benutzen. Mehrfach können die Menschen sich selbst vernichten, als ob nach einer vollständigen Vernichtung allen menschlichen Lebens noch was Nennenswertes übrigbleiben würde! Alles Schwachsinn, vielleicht wäre es doch besser gewesen, die Idee des Äthers weiter zu verfolgen: Sie war zwar falsch, aber weitaus harmloser.

Ach ja, so vieles wäre uns erspart geblieben, wenn wir nicht so verflucht neugierig und kritisch wären.

Jetzt rausche ich doch tatsächlich in die Depression ab. Das Grauen des grauen Tals der Hoffnungslosigkeit: Die, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren! Das steht doch über dem Eingang der Hölle, wenn dieser Italiener, wie hieß er doch gleich, Recht hatte. Dabei stirbt die Hoffnung doch zuletzt! Aber sie stirbt. Dante, genau, Dante Alighieri war sein Name. Obwohl der doch damals diese ganze Wahnsinnsphysik noch gar nicht kannte. Und trotzdem schon so hoffnungslos. Der hatte ja keine Ahnung!

Ach was, let the sunshine in, auch wenn jetzt gerade irgendwie keiner mehr da ist, also Sonnenschein. Der ist jetzt endgültig verschwunden, noch nicht mal mehr ein Restglühen der Sonne. Das ist ein Dunkel, aber mal so richtig. Hier könnten die Dunkelfanatiker unter den Astronomen mal eine Party feiern. Soweit das Auge reicht kein künstliches Licht, das den Blick aufs Firmament beeinträchtigt. Der Himmel ist hier so richtig schwarz, nicht so ein verwaschenes Grau, sondern schwarz. Schwarzer Humor wäre jetzt schön.

Kennen Sie den? Was ist der Unterschied zwischen einem Epileptiker und Reisbrei? Den Reisbrei isst man mit Zucker und Zimt, und der Epileptiker liegt im Zimmer und zuckt.

Zucker und Zimt, das hat was von Weihnachten, das Fest von der Hoffnung auf das Licht der Welt. Und vom Stern von Bethlehem. Obwohl der gar kein Stern war, wahrscheinlich, sondern eine Konjunktion von Jupiter und Saturn. Meeting heisst das wohl heutzutage. Johannes Kepler hat das schon 1604 ausgerechnet. Er hat einfach zurückgerechnet und schlicht festgestellt, dass im Jahre sechs oder sieben, so genau weiß ich das jetzt nicht, dass sich auf jeden Fall diese beiden Planeten dreimal am Himmel zu einer Konjunktion getroffen haben.

Der Kepler, der alte Fuchs, der war fest von der himmlischen Ordnung überzeugt. Da oben, in diesem dunklen Etwas, regieren mathematische Gesetze, das war Keplers Credo. Ich glaube an die Mathematik!

Und er hat Recht, und wie. Es geht mir gut, ja, es geht mir gut, es gibt die Gesetze der Natur, die regeln alles. Das hat schon Pythagoras erzählt. Kepler und Pythagoras, Demokrit und Einstein, alles gute Freunde! In der Hoffnungslosigkeit der dunkelsten Dunkelheit verschaffen einem die Alten, die guten Alten eben doch Trost, die wussten nämlich, wo es langgeht. Nur ich schwimme. Ich schwimme auf dem Atlantik und glotze.

Wäre ich zuhause, würde ich wahrscheinlich jetzt auch glotzen, auf die Glotze. Mein neuer Flachbildschirm würde mir die Nachrichten aus aller Welt präsentieren. Das Meiste wahrscheinlich irgendwelche Krisen, Katastrophen und Konjunkturmeldungen.

Heute Abend glotze ich mal was ganz anderes: Tatort Atlantik. Wie lange ist der Mann schon tot? War die Spurensicherung schon da? Ach ich sehe und höre meine Helden, Professor Börne und Hauptkommissar Thiel alias Jan Josef Liefers und Axel Prahl, assistiert durch Silke Haller alias Alberich, gespielt von Christine Urspruch!

Noch bin ich aber nicht tot, ich glotze und staune über den bestirnten Himmel über mir. Hey, Immanuel du auch hier? Spät kommst Du, doch du kommst. War ja auch klar, einer der größten Kleinen der Menschheitsgeschichte darf doch beim finalen Rapport nicht fehlen. Was kann ich wissen? Zum Beispiel über den gestirnten Himmel über mir. Wie viel Wissenschaft ist nötig, und was kann ich bereits mit meinem nicht mehr ganz so gesunden Menschenverstand verstehen?

Also, ich sehe Lichter am Himmel. Jeder weiß, das sind Sterne! Abgesehen von den Planeten, sind die funkelnden Lichter am Nachthimmel Sterne. Wenn es keine Flugzeuge sind, klar. Aber ich meine jetzt wirklich nur die Sterne. Die Sterne leuchten, weil sie strahlen, das heißt, sie werden nicht von der Sonne angestrahlt, sondern sie strahlen selbst.

Ich könnte mich kaputtlachen, wie oft irgendjemand erzählt hat, dass Sterne doch angestrahlt würden, und nur deshalb könnte man sie sehen. Das waren die gleichen Leute, die behauptet haben, die Erde verlöre ihre Atmosphäre, wenn ihr Magnetfeld verschwände. Die haben einfach keine Ahnung, es liegt alles an der GE, ERR, A, VAU, I, TE, A, TE, I, O, EN: Gravitation – ihr Banausen. Hier draußen kann man ja auch mal richtig schreien. Schwerkraft auf Deutsch, die schwächste aller Kräfte im Universum heißt ausgerechnet Schwerkraft. Ich lach mich tot!!! – schön wär’s.

Sie hält mich hier und sie drängt mich zum Erdmittelpunkt, sie wird mich untergehen lassen, sie hält die Luft zum Atmen, und sie hält die Sterne zusammen. Hatte ich das vergessen?

Nein!

Nur verdrängt, hier geht es jetzt nicht um mich, sondern um die Sterne. Obwohl, ich bestehe zu 92 Prozent aus Sternenstaub, also geht es doch um mich, irgendwie. Diese Sterne, unglaublich. Und ich kann sie nur sehen, weil zwischen meinen Augen und dem Stern nichts ist, was das Licht des Sterns verschluckt hat. Sonst würde ich den ja gar nicht sehen, ha! Das ist doch stark: Ich schließe aus der Tatsache, dass ich etwas sehen kann, dass da nichts im Wege steht, das mir die Sicht verstellt. Das ist logisch und das ist gut so. Weil es logisch ist, versteht es jeder!

Logische Erklärungen sind sehr überzeugend, weil sie einleuchten, so auch bei den Sternen: Wenn ich ihr Licht sehen kann, dann ist es bei meinen Augen angekommen und mein Hirn kann aus dem Licht der Welt etwas machen. So, und deshalb muss das Universum ziemlich leer sein, aber ich bin da! Das Universum mag noch so leer sein, die Erde ist da, ich bin da und ich wollte bei aller Leere eben doch Inventur machen. Die Auflistung der Dinge, die da sind.

Wie viele Sterne gibt es? Mal zählen, also wenn ich im Westen anfange, ja, da ging die Sonne vorhin unter, dann sind das, Moment das könnte jetzt dauern …

Blödsinn, kein Mensch zählt Sterne im Angesicht des nahenden Endes. Denk nach, es gibt 100 Milliarden Sterne in unserer Milchstraße, es gibt 100 Milliarden Milchstraßen, das macht dann 1022 Sterne, das sind zehntausend Trillionen.

Sterne sind strahlende Gaskugeln und von denen gibt es eine ganze Menge! Und warum gibt es die Dinger? Weil ihre eigene Schwerkraft sie zusammenhält und derart zusammenpresst, dass sich in ihrem Allerinnersten, im Kern des Sterns, Atomkerne einander so nahe kommen, dass sie miteinander verschmelzen.

Atomkerne fusionieren in Sternen. Bei diesen Joint Ventures wird Bindungsenergie frei und die will raus; die drängt an die Oberfläche des Sterns, verursacht also einen Druck, der nach außen hin abnimmt. Am höchsten ist der Druck der freigewordenen Energie natürlich im Zentrum des Sterns, und je weiter man vom Zentrum entfernt ist, umso niedriger ist er. Es ist dieser Druckunterschied, der einer Kraft entspricht.

Oh, wie ich diese Physik liebe. Man versteht etwas, kann es ausrechnen, kann sich ein Bild machen – selbst von Dingen, die man gar nicht sehen kann. Was sich im Innersten eines riesigen Gasballes abspielen muss(sssss)!!! Das geht gar nicht anders, es muss so sein, dazu gibt es keine Alternative, nichts, nothing, rien!

Die Schwerkraft des Sterns erzeugt den Gegendruck, der nach innen hin wirkt und den Druck nach außen balanciert. Wunderbar! Sollte der Stern mal etwas zu viel Energie freisetzen, sich deshalb ein bisschen aufblähen, dann holt ihn seine eigene Gravitation wieder zurück.

Drückt des Sternes Masse sein Innerstes zu sehr zusammen, dann verschmelzen einfach mehr Kerne, es wird heißer und der Stern kollabiert nicht mehr, sondern dehnt sich wieder aus. Ein Stern ist mit sich im Reinen, solange er in Ruhe Wasserstoff zu Helium verschmilzt. Er weiß, was er ist, wo er ist und wo er hin will.

Ich bin jetzt auch mit mir im Reinen, ich werde jetzt schön einschlafen. Vielleicht ist das mit dem Zählen doch nicht so blöd. Sterne statt Schafe zählen …

Ich mache meine Augen auf und das Licht der Sterne ist immer noch da, aber es sind jetzt andere Sterne, da hat sich was getan am Himmel. Der Himmel dreht sich um mich. Eine schöne Vorstellung, dass sich alles um einen dreht, dass man der Mittelpunkt ist.

Das waren schöne Zeiten, als sich alles um die Erde drehte, falsch, aber schön falsch. Die Erde war etwas Besonderes, die Nabe des Himmelsrades, die Achse, das Zentrum. So was tröstet. Und die Sterne waren Lichter am Himmel.

Kaum war klar, dass das alles Quatsch ist, ging die Fragerei los. Wenn die Sterne sogar eigene Lichtquellen sind, woher bekommen die ihre Energie. Ein hochinteressantes Thema, aber ich schweife ab. Das gehört jetzt nicht hierher. Auf der anderen Seite, hey, wenn es zu meiner Beruhigung beiträgt.

Also, wie war das nochmal? Im 19. Jahrhundert wusste man oder ahnte zumindest, dass die Erde schon ziemlich alt sein muss. Es gab damals schon sehr ernstzunehmende Zeitgenossen, die sich folgende Gedanken machten: Wenn früher nicht alles besser war, sondern so wie es heute ist, dann braucht die Strömung eines Flusses einfach ziemlich lange, bis sie eine Schlucht ins Gestein gefräst hat. Für den Grand Canyon schon ein paar Millionen Jahre.

Also, die Herrschaften haben damals mit ihrem gesunden Menschenverstand schon leicht errechnet, dass die Kalkulation eines Bischofs, nämlich einfach das Alter der diversen biblischen Urväter zusammen zu zählen, und dann das Gesamtergebnis von ein paar Tausend Jahren als Weltalter zu verkaufen, dass diese Rechnung höchstens eine Milchmädchenrechnung war. Die Erde musste viel älter sein; spätestens seit Darwin von seiner Reise zu den Galapagos-Inseln zurückkam und die Welt mit der Evolutionstheorie erschütterte, da war klar: Was immer auch der Grund sein mag, aber die Sonne, als die Energiequelle schlechthin, muss mindestens so lange schon scheinen, wie die Erde alt ist; und das ist sehr sehr lange.

Im 19. Jahrhundert dachte man noch ganz mechanisch: Die Schwerkraft drückt den Gasball zusammen und erzeugt so Wärme. Diese Wärme existierte zwar für immerhin schon 30 Millionen Jahre, aber das reichte hinten und vorne nicht. Der tollste Vorschlag war, dass die Sonne durch einfallende Asteroiden ihre Masse erhöhen könnte und sich dadurch auch ihr Lebensalter verlängern würde.

Hey prima, nur würden sich dann auch die Planetenbahnen verändern. Die Planeten würden näher an die Sonne rücken. Das wäre für mich jetzt ganz schön, dann wäre wahrscheinlich der Atlantik auch nicht so tief, es gäbe mehr Inseln und ich hätte Chancen, doch noch zu überleben.

Aber leider alles Quatsch. Die Sonne strahlt, weil sich in ihrem Inneren Atomkerne miteinander verschmelzen. Alle Sterne strahlen, weil in ihnen Atomkerne fusionieren. Zuerst verschmelzen Wasserstoffkerne zu Helium, dann zu allen anderen Elementen. Je größer und deshalb schwerer ein Stern ist, umso mehr Elemente kann er erbrüten, bis zum Eisen.

Alle Elemente schwerer als Eisen entstehen in explodierenden Sternen. Sie geben ihr Material wieder ans Universum zurück und es können sich neue Sterne bilden. Und jetzt kommt der Hammer: Ich bestehe zu 92 Prozent aus Sternenstaub.

Mein Stern, die Sonne enthält bereits schwere Elemente. Im Vergleich zum Rest an Wasserstoff und Helium ist dieser Anteil zwar winzig, aber er ist da. Man sieht das nämlich an der Messung ihrer Strahlung.

Da kriecht die Gute über den Horizont. Komm nur meine Schöne. Leuchte, strahle, erwärme mir meinen vielleicht letzten Tag. Ach, was für ein Licht, das erste Licht des Tages!

Langsam wälzt sich mein Planet um seine leicht geneigte Achse. Sei mir geneigt, du Lichtreiche. Wenn ich doch deinen Photonenstrom nur zerlegen könnte, dann sähe ich die schwarzen Linien deiner Absorptionsspektren und die hellen Linien der Emission. Ich würde die Spektrallinien den chemischen Elementen zuordnen und wüsste von deiner Zusammensetzung.

Doch nicht nur das. Aus der Form deiner Linien, ihrer Position im Spektrum, würde ich sogar wissen können, was sich wie auf deiner Oberfläche bewegt. Kommt da etwas aus dir heraus oder versinkt es wieder in deiner brodelnden Oberfläche? Protuberierst du etwa wieder? Spritzt das glühend heiße Gas aus den Magnetfeldröhren ins All und rast mit 500 Kilometer pro Sekunde auf die Erde zu und wird in einigen Tagen am Nordpol den Himmel zum Leuchten bringen – Aurora borealis.

Dieser Stern da hält alles in seiner Nähe fest. Seine Schwerkraft hält die Planeten auf ihren Bahnen und das seit mehr als viereinhalb Milliarden Jahren.

Die Vagabunden im Sonnensystem, die Meteoriten und Asteroiden erzählen die ganze Geschichte. Aus ihrer chemischen Zusammensetzung und der Häufigkeit an radioaktiv zerfallenden Kernen lässt sich die ganze Dramatik der Urzeit des Sonnensystems ablesen.

Das können aber nur die lesen, die das radioaktive Alphabet der zerfallenden Atomkerne buchstabieren können. Wer die Elemente und ihre Zerfallsreihen kennt, der kann die Geschichte des Sonnensystems erzählen: 750.000 Jahre bevor unser Planetensystem und unsere Sonne entstanden, presste die Explosion einer Supernova deren Material in eine sich gerade in der Nähe befindende Gaswolke. Die wurde geschockt! Das Gas der Wolke wurde angereichert mit dem Supernova-Material und es wurde durch die Schockwellen der Sternexplosion zusammengepresst. Durch den erhöhten Druck spürten die Gasteilchen mehr voneinander und strahlten ihre überschüssige Energie immer intensiver ab.

Das Gas kühlte sich ab und fiel unter seiner eigenen Schwerkraft zusammen. Es entstanden viele neue Sterne in dieser Wolke.

Manche dieser neuen Sterne rasten recht nahe aneinander vorbei und drehten sich und ihre Kumpanen an. Das Gas der Umgebung fiel auf diese sich um ihre Achsen drehenden Gaskugeln und ordnete sich in Scheiben an.

Gas und Staub in Scheiben, da war es nicht mehr weit bis zu den Planeten und ihren Monden. Draußen die kalten Gasriesen und drinnen die heißen Felsenplaneten. Und so ist es auch bei uns zuhause.

Die Sonne ist ein Kind einer Supernova, und ich ebenso; und auch dieser ganze Planet ein Felsen aus Sternenmaterial. Da lässt es sich gut sterben. Man wird einfach wieder das, was man die meiste Zeit seines Nichtlebens auch schon mal war, nämlich Materie des Universums. Dereinst wird sich die Sonne ausbreiten und wird zu einem Roten Riesen werden, der alles auf Erden verbrennt. Finito, danach geht ihr Licht aus. Als hätte sie es gehört, scheint sie jetzt ganz ordentlich, der G2-Stern da oben. 150 Millionen Kilometer weit weg und doch so heiß. Das Licht dieses Gebildes braucht acht Minuten bis zu meinem Gesicht. Ich brauche mal was zu trinken.

Wasser! Daraus ließe sich auch eine Geschichte machen. Eine Meditation über Dihydrogenoxid: HA zwei OHHHHHHHHHH.

Zwei Gase miteinander verbunden ergeben eine Flüssigkeit, zauberhaft. Unser Planet hat Wasser und deshalb Leben, andere Planeten haben das nicht. Ob sonst irgendwo noch Leben existiert oder ob man sich auf anderen Planeten einen hinter die Binde kippen kann? Ich weiß es nicht. Extrasolare Planeten heißen die. Ach, das ist mir jetzt auch egal! Hallo, ihr Außerirdischen. Holt mich hier weg! Ich will dringend weg. Schießt mit mir in die Galaxis!

Wegen mir muss es nicht die Milchstraße sein, es kann auch ruhig mal was anderes sein. Es gibt doch so viele davon. Tanzt mit mir, ihr Trillionen Sterne in den Milliarden Galaxien.

Ich will durch die Leere des Universums rauschen, zeigt mir die Galaxien- und Superhaufen. Wo ist die Terrasse am Rande des großen Attraktors?

Reißt die große Wand ein, die paar Millionen Galaxien da sind doch kein Thema! Wir sind das Volk, aber wir wollen nicht hier bleiben.

Ich habe nichts anzubieten, nur mich. Hier schwimmt ein Mensch, der will nicht sterben. Vielleicht will er sich vernichten, sterben käme ihm aber ungelegen. Kommt also mit euren Flugscheiben und zieht mich durch den Traktorstrahl in den Himmel hoch. Vom Himmel hoch, da kommt ihr doch her. Ich muss euch sagen, hier unten ist es ganz schön schwer.

Ihr könnt mich alle mal!

Trost der Physik

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