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Bildung soll unser Thema sein!

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Forstner: Ich kann mich an eine Mail von dir erinnern, wo du nur geschrieben hast: Bildung soll unser Thema sein! Keine Erklärung, keine Erläuterung, nichts.

Lesch: Ja, stimmt …

Forstner: Bildung soll unser Thema sein! Das scheint für dich so klar und offensichtlich gewesen zu sein, dass ich jetzt doch noch mal wissen will, warum das für dich so klar war.

Lesch: Als ich anfing, Whiteheads Thesen zur Bildung zu lesen, dachte ich: Meine Güte, das ist ja total modern! Dass jemand die Kinder und Jugendlichen als Persönlichkeiten mit ihrer eigenen Entwicklung ernst nimmt, dass er sie nicht als reine Objekte ansieht, die in einer Bildungsmaschinerie nach einer bestimmten Schablone geformt werden müssen. Sondern da ist jemand, der die Würde auch des kleinen, des jungen Menschen so anerkennt, dass er sagt: So, den werden wir jetzt da reinbringen. Wir haben natürlich unsere Vorstellungen, was jemand aus der Schule mitnehmen soll. Aber wie wir das unterrichten, und vor allen Dingen, wie diese Jugendlichen das dann von uns auch beigebracht kriegen, das muss doch sehr viel organischer werden. Das muss viel menschenfreundlicher, viel großzügiger sein. Und als ich seine Thesen las, dachte ich: Das ist eigentlich die ideale Art, wie man mit Schülerinnern und Schülern umgehen muss. Und ich fühlte mich, um ganz ehrlich zu sein, richtig beseelt. Ich dachte: Oh, ja, das ist aber schön, so etwas zu lesen. Ich hatte noch keinen Philosophen bis dahin gelesen, der so wohlwollend mit den jungen Leuten umgeht wie Whitehead. Das fand ich toll! Ich hatte ja selbst schon ein Video1 gemacht, wo ich mich darüber ausließ, dass das Schulsystem gerade mit Jungs in einem bestimmten Alter2 nicht mehr gerecht umgeht, denn da müssen die einfach anders behandelt werden. Anstatt sie einzusperren muss Sport her, es muss Kunst, es muss Musik her, die Ausdrucksmöglichkeiten müssen stärker werden! Und da fand ich eben, da müssen wir mal was drüber schreiben!

Forstner: Das heißt, das Thema Bildung und die Idee, dazu etwas zu schreiben, rumort schon viel länger in dir herum, also weit über die Idee mit Whitehead hinaus?

Lesch: Ja, stimmt. Meist fängt es bei mir so an: Ich hab eine Meinung, ich ändere die Meinung, ich hab dann Gespräche, es gibt viel zu diskutieren. Das Thema Schule und damit auch das Thema Bildung ist ja vor allen Dingen unter Eltern irgendwann Dauerthema, und in Bayern zumal …

Forstner: Wem sagst du das!

Lesch: Und man merkt, es gibt einen Konsens unter allen. Zum Beispiel die Sache mit der Zeit, dass man Kindern Zeit lassen muss. Aber in dem System ist es genau andersherum: Die kommen da rein, und dann ist festgelegt, was läuft, und zwar ohne Wenn und Aber. Besonders schlimm wurde es dann, als es auch noch beschleunigt wurde. Als man angefangen hatte, so richtig Gas zu geben. Da hatte ich erst mal ein logisches Problem damit, weil ich auf der einen Seite in den Statistiken hörte, wir werden immer älter, die Lebenserwartung wird immer größer. Und gleichzeitig beschleunigen wir die Schule und für die einen oder anderen dann sogar den Universitätszugang. Ja, warum denn bloß?

Forstner: Um immer früher fertig zu werden …

Lesch: Ja, genau!

Forstner: … für den Arbeitsmarkt letztlich.

Lesch: Warum denn bloß? Um dann wieder nach ein paar Jahren von zum Beispiel industrieller, also ökonomischer Seite zu hören: »Die Leute, die wir da kriegen, die haben ja gar keine Lebenserfahrung!« Also, wie soll man Lebenserfahrung machen, wenn man keine Lebenserfahrung machen darf? Und Schule soll ja auch darauf vorbereiten, mit Lebenserfahrung umzugehen. Sie soll eine Persönlichkeit so bilden, dass sie aus sich heraus, also aus ihren inneren Motiven heraus mit der Welt umgeht: Eine Person sollte wissen, wo sie herkommt, also die Tradition der eigenen Kultur kennen. Sie sollte aber auch wissen, dass die eigene Herkunft rein zufällig ist, sie hätte auch ganz woanders auf die Welt kommen können. Und sie sollte erkennen, was wichtig und was nicht wichtig ist: Prioritätensetzung! Das muss man ja alles erfahren, und nicht: Da, das ist jetzt das Wichtigste, schreib das mal auf!

Forstner: Das steht auch alles nicht wirklich im Lehrplan.

Lesch: Genau! Und ich fand, dass die Thesen von Whitehead genau darauf abzielen, einen »lebensfähigen« Menschen aus der Schule zu entlassen, der in der Lage ist, lebensweltlich vernünftig zu handeln. Als ich das zum ersten Mal las, dachte ich: Der hat in mein Hirn geguckt, ich hab’s nur nicht gewusst.

Forstner: Das kann Whitehead gut, die Themen, die in einem immer schon rumoren, auf den Punkt zu bringen. Auch wenn man ihm eigentlich vorwirft, dass er nicht besonders gut mit Sprache umgehen konnte, ich habe es immer anders empfunden.



Lesch: Ja, es ging mir mit Whitehead so: Ich wusste genau, was er sagt; ich verstand ihn nicht immer, aber das, was zwischen den Zeilen steht, sein Motiv, das schien mir auch mein Motiv zu sein. Und Bildung halte ich für eines der wichtigsten Themen. Ich glaube, dass Bildung und Gerechtigkeit ganz wichtige Stützpfeiler einer jeden Gesellschaft sind, insbesondere einer Gesellschaft, die so sehr unter technologischem, ökologischem Einfluss und Druck steht wie die westliche. Wenn es uns nicht gelingt, unsere jungen Leute wirklich ernst zu nehmen und ihnen zu helfen, so heranzuwachsen, dass sie immer noch und hoffentlich auch immer besser und nachhaltiger mit dieser ständig komplizierter und komplexer werdenden Welt umgehen können, dann weiß ich nicht, ob uns eine gedeihliche Zukunft für alle erwartet. Allein die »Mount Everests« Klimawandel und Energiewende, aber auch der zunehmende Einfluss der digitalen Technologien in Hard- und Software sind gewaltige Herausforderungen, vor denen die nächsten Generationen stehen. Niemand ist geübt darin, in solche Höhen zu gehen und wir, also meine Generation, sind den steilen Weg zu einem zufriedenstellenden Umgang mit der immer drängender werdenden Bedrohung und zu Lösungen und Anpassungen nicht gegangen. Aber unsere Kinder und Enkel werden in diese Höhen gehen müssen, vielleicht sogar ohne Sauerstoffmaske. Und da möchte ich auf jeden Fall, dass sie die inneren Kräfte besitzen, um vor solchen Herausforderungen nicht zu kapitulieren. Eine Form der Kapitulation ist der Weg in nationalistische Abgrenzungsparteien, die einfach behaupten, es gäbe den Klimawandel nicht, und deshalb könne man einfach so weitermachen wie bisher. Aber auch diejenigen, die meinen, man sollte sich der Digitalisierung als einer völlig alternativlosen Entwicklung widerstandslos hingeben, sollten durch entsprechende Regulierungsmaßnahmen eingehegt und gebändigt werden. Für den Zustand einer liberalen, offenen demokratischen Gesellschaft ist es ganz wichtig, an die Verantwortung des Einzelnen, quasi an seine moralische Substanz zu erinnern, die die Grundbedingung für eine funktionierende, freiheitlich demokratische Grundordnung darstellt. Für mich hat es am deutlichsten der deutsche Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde formuliert: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.«3 Das ist das Wagnis der Freiheit, das er eingehen muss. Ansonsten wird er zum totalitären Staat. Dazu, dieses Wagnis einzugehen, gehört nicht nur Mut, sondern auch die Souveränität – dass man weiß, wofür man steht als Demokratin und Demokrat. Und zu einer erfolgreichen Demokratie gehören moralisch handelnde, aufgeklärte Individuen, mit anderen Worten: gebildete Menschen. Deswegen halte ich das Thema Bildung für eins der wichtigsten Themen, die es überhaupt gibt.

Wie Bildung gelingt

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