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Kapitel 2
Fast tödliches Gemüse

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»Herr Palzki? Da sind Sie ja! Ich habe Sie überall gesucht.«

Eine etwa 45-jährige Frau sah mich vorwurfsvoll an. »Wir waren doch vor einer halben Stunde am Bratwurststand verabredet.«

»Bratwurst?« Meine Magensäure poppte auf. »Hier gibt’s Bratwurst?«

»Natürlich gibt’s hier Bratwurst«, sagte die Frau verärgert. »Denken Sie, an der Eröffnungsfeier gibt’s nur Gemüse? Da kennen Sie uns Landwirte aber schlecht, Herr Palzki. Eine zünftige Schlachtplatte oder zumindest einen Pfälzer Saumagen wissen auch wir nicht zu verachten. Manche der Genossen haben durchaus eine Tierhaltung parallel zum Gemüseanbau.«

»Tut mir leid, ich weiß nichts von unserer Verabredung. Kann es sein, dass Sie mich verwechseln?«

»Garantiert nicht«, wehrte sie ab. »Sie sind Reiner Palzki von der Schifferstadter Polizei. Sie hatten die Ermittlungen bei den Grumbeeren geführt, wissen Sie noch?«

»Das stimmt«, entgegnete ich, »bei Kartoffel-Kuhn in Frankenthal. Die vertreiben die Grumbeeren aber selbst. Ist das so etwas wie ein Konkurrent zum Pfalzmarkt?«

Die Dame legte ihr zorniges Gesicht ab und lächelte. »Sie haben nicht wirklich viel Ahnung von der Branche, stimmt’s? Kartoffeln und Zwiebeln werden schon immer getrennt vermarktet. Im Pfalzmarkt gibt es sonst alles, nur eben keine Grumbeeren und keine Zwiebeln. Das hat irgendwelche historischen Gründe, so genau weiß ich das auch nicht. Ich bin schließlich Landwirtin und keine Historikerin.«

»Und warum waren wir verabredet?« Ich war inzwischen sehr neugierig geworden, außerdem war ich heiß auf ein Bier und eine Bratwurst.

»Sagen Sie mal, haben Sie mein E-Mail tatsächlich nicht gelesen? Kann bei einer so wichtigen Behörde wie bei Ihnen so etwas untergehen?« Sie sah mich zweifelnd an.

Ich tat erschrocken. »E-Mail? Das muss bestimmt mein Kollege verpennt haben. Sie müssen wissen, dass wir gerade unsere EDV neu aufsetzen, was wegen der Datenschutzbestimmungen alles andere als einfach ist. Außerdem sind wir arbeitsmäßig zurzeit sehr überlastet. Manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht. Und zu allem Überdruss verlangte mein Chef heute von mir, dass ich ihn auf diese Veranstaltung begleite. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich hier soll.«

»EDV.« Sie schüttelte den Kopf. »Genauso stelle ich mir eine Beamtenstube vor. EDV, diesen Begriff habe ich das letzte Mal in meiner Jugend gehört.«

»Die IT meinte ich«, verbesserte ich und fragte zwecks Ablenkungsmanöver: »Wer sind Sie eigentlich? Sollte ich Sie kennen?«

»Wir sind uns bisher noch nicht begegnet, Herr Palzki. Mein Name ist Heidelinde Rustik. Ich bin Landwirtin und eines der Genossenschaftsmitglieder des Pfalzmarkts. Mir haben Sie es zu verdanken, dass Sie Herr Diefenbach zu der Eröffnungsfeier mitgenommen hat.«

»Ihnen?«, fragte ich erstaunt. »Kennen Sie KPD, äh, Herrn Diefenbach?«

»Ich habe ihn noch nie gesehen. Im Vorstandsbüro von Herrn Friedrich habe ich zufällig mitbekommen, dass der Dienststellenleiter der Schifferstadter Polizei eingeladen wurde. Zu Hause berichtete ich meiner Tochter Sonja davon, und die hatte die entscheidende Idee. Sie liest in ihrer Freizeit gerne Kriminalromane, insbesondere die, die in unserer Region spielen. Daher machte sie den Vorschlag, Sie einzuladen, Herr Palzki.«

»Und warum das Ganze?«

»Weil Sie mir ein fähiger Beamter zu sein scheinen. Anders als Ihr Chef. Ich weiß das natürlich nur von meiner Tochter. Da die Einladungen zu der Feier bereits verschickt waren, suchte ich im Internet die Kontaktdaten von Herrn Diefenbach heraus und ersuchte ihn möglichst förmlich, Sie mitzubringen. Kann sein, dass ich mich dabei ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt habe, aber der Vorstand des Pfalzmarkts muss ja nicht alles wissen. Ich hoffe, dass Sie mich nicht verraten, Herr Palzki.«

Nun wusste ich zwar, warum mich KPD mitgeschleppt hatte, der eigentliche Grund war immer noch rätselhaft. Ich vermutete, dass es mal wieder war wie so häufig: Ein Leser, in diesem Fall eine Leserin, konnte Fiktion und Realität nicht auseinanderhalten. Zugegeben, seit Dietmar Becker in seinen Pseudokrimis immer mehr lebende reale Personen auftreten ließ und die Handlungsorte überaus realistisch beschrieb, war die Unterscheidung nicht immer ganz einfach. »Sie wollen mich in meiner Eigenschaft als Polizeibeamter sprechen? Warum haben Sie sich nicht einfach direkt gemeldet? Wir haben unsere Dienststelle täglich geöffnet, für dringende Fälle auch am Wochenende.«

Sie druckste ein wenig herum. »Ich will nicht, dass das an die Öffentlichkeit kommt. Vielleicht ist ja nichts an der Geschichte dran, und ich mache mir umsonst diese schrecklichen Gedanken. Ich will ja niemandem unrecht tun.«

»Sie können sich auch jederzeit vertraulich an die Polizei wenden.«

»Das möchte ich aber im Moment nicht. Es ist eine Art Interessenskonflikt, verstehen Sie?«

»Hat es mit dem Pfalzmarkt zu tun?«

Sie hob kurz die Schultern. »Ich weiß nicht, es könnte schon sein.«

»Einen kleinen Moment bitte.« Hinter ihr sah ich, dass niemand am benachbarten Bierstand wartete. Da ich sowieso über die Lage nachdenken musste, nutzte ich die kurze Auszeit, um mir ein Bier zu besorgen.

»Dürfen Sie im Dienst Alkohol trinken?«, fragte Heidelinde Rustik, als ich wieder zu ihr zurückkam.

»Ich hoffe, Sie verraten mich nicht«, entgegnete ich. »Aber jetzt sagen Sie endlich, was Sie konkret von mir wollen.«

»Sie könnten meiner Vermutung nachgehen. Inkognito, meine ich. Ohne dass es Ihr Chef oder sonst wer erfährt.«

»Liebe Frau Rustik, ich bin Polizeibeamter, kein Privatdetektiv.«

Sie ließ nicht locker. »Meine Tochter sagte mir, dass Sie regelmäßig mit dem Autor Dietmar Becker zusammenarbeiten.«

Damit war mein Verdacht endgültig bestätigt. Ich seufzte theatralisch, bevor ich antwortete. »Die Bücher von diesem Becker sind erfunden, gute Frau! Roman, Fiktion, Belletristik oder was weiß ich.«

»Aber Sie spielen doch selbst mit, Herr Palzki. Sonja hat mir ein paar Passagen vorgelesen, das klingt für mich absolut realistisch.«

»Ist es aber nicht«, unterbrach ich sie barsch. »Ich darf behördliche Ermittlungen nur aufnehmen, wenn Sie Ihren Verdacht offiziell zu Protokoll geben. Alles andere sind üble Fantasien eines Möchtegernschriftstellers.«

Sie sah mich herausfordernd an. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht? Ich kann Ihnen als kleines Dankeschön ein paar Kisten unseres leckeren Gemüses anbieten. Oder wie wäre es ein Jahr lang mit einer wöchentlichen Lieferung der saisonalen Kostbarkeiten unserer Felder frei Haus? Bei solch einem Angebot kann niemand widerstehen.«

Während sich meine Stimmbänder schockartig verkrampften und ich nach Luft schnappte, kam unerwartete Rettung.

»Da sind Sie ja, Palzki!«, dröhnte es basslastig von hinten. KPD hatte mich gefunden. »Der Pfalzmarkt ist bei mir unten durch, hier herrscht eine völlig chaotische Organisation. Stellen Sie sich einmal vor, die haben glatt vergessen, mir einen Ehrenplatz in vorderster Reihe zu reservieren. Und dann haben sie mich sogar von der Bühne herunterkomplimentiert. Auf übelste Art und Weise!« KPD steigerte sich in seinen Wahn hinein.

Ich hatte einen Einfall. Mit einer Hand winkte ich Frau Rustik näher, mit der anderen wischte ich vor KPDs Gesicht herum, sodass dieser sichtlich irritiert verstummte.

»Was soll das, Palzki? Sind Sie noch bei Sinnen? Ich werde …«

»Halt!«, schrie ich, bevor er sich weiter hineinsteigern konnte. »Ich habe eine wichtige Information für Sie als wichtige Person.«

So einfach konnte man meinen Chef neugierig machen. Er war ja so berechenbar.

»Eine wichtige Info?« KPD schaute mich scharf an. »Da bin ich aber mal sehr gespannt. Hat Ihnen der Aufsichtsratsvorsitzende informelle Geschäftsgeheimnisse anvertraut? Mich hat er ja abblitzen lassen. Das empfinde ich als Kampfansage, jetzt geht es um die Wurst!«

»Jetzt spielen Sie mal nicht die beleidigte Leberwurst, Herr Diefenbach. Wir befinden uns nicht in einem Fleischgroßhandel. Die wichtige Information stammt nicht von Herrn Deyerling.«

»So?« KPDs debiler Blick müsste man fotografieren und der Nachwelt erhalten.

Ich machte es spannend und ärgerte ihn zusätzlich um eine Nuance. »Oh, meine Flasche ist leer. Soll ich Ihnen ein Bier mitbringen?«

»Haben Sie mich schon jemals Bier trinken sehen, Palzki? In meiner wichtigen Position ist es nicht üblich, Bier zu trinken. Holen Sie mir ein Gläschen Champagner, aber zuerst erzählen Sie mir von dieser wichtigen Sache.«

Mit einer Handbewegung zeigte ich zu der Landwirtin. »Frau Rustik wird Ihnen alles erzählen. Es ist von solcher Wichtigkeit und Brisanz, dass sie die Information nicht einmal mir anvertraut hat. Zum Glück sind Sie gerade rechtzeitig dazugekommen.«

Heidelinde Rustik funkelte mich böse an, doch was sollte sie tun? Nach meiner Absage konnte sie jetzt nur noch bei KPD punkten.

»Also gut«, begann sie. »Die Sache ist deswegen heikel, weil sie mit dem Pfalzmarkt zu tun haben könnte.«

KPD rieb sich die Hände. »Dunkle Machenschaften in diesem Unternehmen? Habe ich es doch gleich gewusst. Erzählen Sie, Frau Rustik, legen Sie los.« Ein boshaftes Grinsen zierte sein Antlitz.

Die Landwirtin trat näher an KPD heran. Da sie mich latent ebenfalls ein klein wenig neugierig gemacht hatte, stellte ich mich möglichst unauffällig hinter sie, um nichts zu verpassen.

»Der landwirtschaftliche Betrieb, den ich von meinen Eltern geerbt habe und gemeinsam mit meinem Mann bewirtschafte, liegt westlich von Dannstadt in Richtung Hochdorf, Luftlinie keine zwei Kilometer von hier. Vor dem Haupthaus führt die Landstraße vorbei. Schräg gegenüber gibt es einen Parkplatz, der häufig von Lkws genutzt wird. Meist nur für ein paar Stunden, maximal über Nacht.«

Da in diesem Moment mehrere Personen vorbeigingen, machte sie eine kurze Pause. »Seit ein paar Wochen beobachte ich, dass dort vermehrt Laster mit ausländischem Kennzeichen parken. Das mag jetzt noch nicht verdächtig klingen, doch sie werden auf dem Parkplatz heimlich umgeladen.«

»Heimlich?«, hakte KPD nach. »Wie soll ich das verstehen, und was hat der Pfalzmarkt damit zu tun?«

»Das weiß ich doch nicht«, sagte Rustik. »Es ist mir nur aufgefallen. Bis vor ein paar Wochen gab es das noch nicht. Jedenfalls nicht auf diesem Parkplatz. Es ist halt seltsam, dass das fast vor den Toren des Pfalzmarkts passiert. Außerdem kann ich mir keinen Grund vorstellen, warum dies getan wird. Die Lkws sind mutmaßlich Tausende von Kilometern unterwegs gewesen und werden dann kurz vor dem Ziel umgeladen.«

»Wenn das Ziel wirklich der Pfalzmarkt sein sollte«, mischte ich mich ein. Dafür kassierte ich von KPD einen optischen Verweis. Jedenfalls interpretierte ich seinen Blick so.

»Konnten Sie erkennen, welche Waren umgeladen wurden?«

Ich staunte. Mein Chef war in der Lage, sinnvolle Fragen zu stellen.

»Ich habe mich nicht näher rangetraut. Auf jeden Fall handelte es sich um Palettenware, die mit Folie umwickelt war. Den Aufschriften auf den Seitenplanen und dem Geruch nach konnte es sich nur um Gemüse handeln.«

KPD ereiferte sich: »Und Sie meinen, dass das Gemüse kurz vor der Anlieferung am Pfalzmarkt umgepackt wird? Da hätten wir ja einen faustdicken Skandal. Ich werde sofort eine förmliche Unter…«

»Ich meine gar nichts«, unterbrach Rustik. »Ich werde einen Teufel tun und den Pfalzmarkt verdächtigen.« Sie schaute kurz zu Boden. »Die Umpackaktionen laufen immer spätabends bei Dunkelheit. Meist stehen die Laster dabei leicht versetzt zueinander, sodass man beim Vorbeifahren nicht sehen kann, was im Detail passiert. Als ich mit meiner Tochter darüber gesprochen habe, kam mein Schwiegersohn dazu. Dieter hat sich am gleichen Abend hinter einem Gebüsch auf die Lauer gelegt, konnte aber ebenfalls nichts in Erfahrung bringen. Am nächsten Tag hat er einen der beteiligten Lkws mit seinem Auto verfolgt. Am Autobahnkreuz Frankenthal hat er die Verfolgung abgebrochen. Der Lastwagen ist auf der A61 weiter in Richtung Norden gefahren, was nicht für einen Zusammenhang mit dem Pfalzmarkt spricht.«

KPD ließ sich davon nicht beirren. Er hatte längst ein großes Verbrechen im Visier. »Das kann genauso gut ein Täuschungsmanöver gewesen sein. Die Gauner haben bestimmt den Verfolger bemerkt. Ihr Schwiegersohn ist ja nicht in der Beschattung von Verbrechern geübt, wir Polizeibeamte dagegen schon. Lassen Sie mich mal machen, Frau Rustik. Ich kümmere mich höchstpersönlich um den Fall.« Er blickte sich um. »Palzki, wo bleibt denn mein Champagner? Alles muss man selbst machen.« Er nahm Frau Rustik am Arm. »Kommen Sie, gehen wir uns unseren Champagner selbst holen. Dann besprechen wir die weitere Vorgehensweise.«

»Ich weiß nicht, ob es Champagner gibt«, meinte die Landwirtin skeptisch. »Eigentlich mag ich keinen Alkohol.«

»Ach was«, konterte KPD und schob Heidelinde Rustik mit sanfter Gewalt zum Durchgang zur nächsten Halle. Ich nutzte die Gelegenheit, meine leere Flasche gegen ein volles Exemplar einzutauschen. Danach folgte ich den beiden, die gerade durch die nächste Kühlhalle liefen. Immerhin wurde dadurch mein Bier nicht warm.

»Da kann man sich ja verlaufen«, beschwerte sich KPD missmutig. »Gehen wir nach draußen, in den Hallen ist es mir zu kühl.« Den Ausgang fanden die beiden schnell, ich folgte ihnen ins Freie. Wir befanden uns auf der Rückseite des Neubaus. Nicht weit entfernt donnerte der Verkehr der A61 an uns vorbei. Auf dem freien Platz neben dem Hallenensemble stand ein einzelner, verloren wirkender offener Lkw-Hänger, vollbeladen mit abenteuerlich gestapeltem Gemüse in den unterschiedlichsten Behältnissen.

»So, an diesem Ort sind wir ungestört«, meinte KPD zu der Landwirtin. »Hier draußen kann uns niemand belauschen.«

Heidelinde Rustik wollte gerade zu sprechen beginnen, da unterbrach sie mein Chef abrupt. »Lassen Sie uns doch besser in den Schatten des Hängers gehen, die Sonne blendet mich zu sehr.«

»Ja was jetzt?«, motzte die Landwirtin. »Zuerst in der Halle, dann doch lieber draußen, und jetzt jammern Sie wegen des bisschen Sonnenlichts. Wissen Sie, was es heißt, den ganzen Tag im Freien zu arbeiten?«

KPD grummelte vor sich hin und ging unbeirrt zu dem Hänger, Rustik folgte ihm sichtlich genervt.

Während ich hinter den beiden hertrottete und aufpasste, kein Bier zu verschütten, passierten zwei Dinge gleichzeitig: Die Landwirtin sagte etwas zu meinem Chef, das ich nicht verstand. Mein Chef blieb stehen und starrte sie zornig an. War ein Streit zwischen den beiden ausgebrochen? Ich konnte nur kurz darüber nachdenken, denn ich sah, wie sich plötzlich mehrere volle Gemüsekisten selbstständig machten und aus mehreren Metern Höhe herabzustürzen drohten. In der direkten Falllinie stand KPD.

»Achtung!«, schrie ich, so laut ich konnte. Da ich gerade einen Schluck Bier im Mund hatte, schoss das Getränk fontänenmäßig aus demselben. KPD reagierte kaum. Er drehte sich zwar zu mir um, verließ dabei aber seinen Platz nicht. Seinem Blick nach deutete er den Schrei falsch. Frau Rustik reagierte ebenfalls anders, als erwartet. Sie ging nicht aus der Falllinie, sondern direkt auf sie zu, genau in dem Moment, als das Gemüse den Kampf um das Gleichgewicht verlor und sich der Gravitation geschlagen gab.

Nur meiner unermesslich fixen Reaktion war es zu verdanken, dass ich die beiden rechtzeitig erreichte und seitlich zu Boden stoßen konnte. Dass dabei die Flasche Bier auf dem Beton zerschellte, war das geringste Problem.

Irrsinnige Mengen Gemüse nebst Verpackungen knallten mit lautem Getöse auf den Boden und verteilten sich dort in einem größeren Radius. Es sah aus wie auf einem Miniaturschlachtfeld. KPD verdeckte mit seinem Oberkörper zur Hälfte die Landwirtin. Sein Hinterkopf war mit zwei oder drei Kisten Radieschen bedeckt. Ein längliches Stück Gemüse mit mir unbekanntem Namen lag zerbrochen quer über seiner Nase. Ich selbst hatte ebenfalls mein Fett abbekommen: Es musste eine Gemüsesorte geben, die sehr wasserhaltig war. Aus mehreren gestapelten Holzkisten, die deformiert neben mir lagen, tropfte eine eklige Pampe direkt in mein Gesicht sowie meinen Rücken hinunter.

Mehrere Personen kamen angerannt und halfen uns aus der Misere. Meinem Einsatz war es zu verdanken, dass alle Beteiligten mit kleineren Verletzungen davonkamen. KPD beschwerte sich zwar bei mir lautstark, wie ich es wagen könnte, ihn umzustoßen, doch ich ignorierte ihn einfach. Zwei Pfalzmarktmitarbeiter sperrten den Bereich großzügig ab. »Wir wissen immer noch nicht, welchem Idioten dieser Hänger gehört«, meinte der eine zu dem anderen. »Jetzt müssen wir das ganze Zeug aufwendig entsorgen.« Der andere Mitarbeiter, wahrscheinlich der Vorgesetzte des zweiten, fragte uns, ob wir ärztliche Hilfe benötigten. Heidelinde Rustik, die nur ein paar Kratzer am Arm hatte, verneinte genauso wie mein Chef. Seiner Mimik nach hatte er ein paar schmerzhafte blaue Flecken davongetragen. Auch mir ging es einigermaßen gut, wenn man von der übelriechenden Brühe absah, mit der ich getränkt war.

»Ich habe jemanden gesehen«, flüsterte die Landwirtin mir und KPD zu, nachdem die neugierigen Menschen verschwunden waren. Da KPD in seinem Zustand, seine Uniform hatte den einen oder anderen Fleck abbekommen, nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen wollte, standen wir im Freien etwas abseits. »Ich meine, ich habe jemanden auf dem Hänger stehen sehen. Diese Person war äußerst seltsam gekleidet, in Decken oder Tücher, so genau konnte ich das nicht erkennen.«

Wir schauten sie neugierig an, und Rustik präzisierte. »Als das Zeug auf uns stürzte, fiel ich mit Blickrichtung zu dem Hänger auf den Boden. Dabei konnte ich schemenhaft eine Gestalt erkennen, die sich da oben versteckt haben musste.«

»Dann wurde das Zeug mit Absicht auf uns geworfen, ein klassischer Sabotageakt«, stellte KPD fest. »Ich dachte im ersten Augenblick, Palzkis abscheulicher Schrei sei dafür verantwortlich gewesen.«

Die Landwirtin machte ein finsteres Gesicht. »Ich bin endgültig davon überzeugt, dass ich etwas überaus Heikles entdeckt habe und man mich deswegen beseitigen will. Das war eindeutig ein Attentat auf mich, Herr Diefenbach. Ich möchte Polizeischutz haben, und zwar sofort.«

KPD überlegte. »Nun habe ich wegen des feigen Attentats einen Grund, Ermittlungen aufzunehmen. Immerhin wäre ich selbst fast zum Opfer geworden, das ist ungeheuerlich. Palzki und ich werden sofort zur Dienststelle fahren, damit ich mich umziehen kann. Und dann werde ich den Täter ermitteln, und zwar schnellstmöglich.«

»Wissen Sie was, Herr Diefenbach? Kommen Sie doch gegen 17 Uhr zum Abendessen bei uns auf dem Hof vorbei. Dann können wir die weiteren Schritte besprechen, wie Polizeischutz und so weiter.«

KPD war von der Idee begeistert. »Dann kann ich den Parkplatz und die ausländischen Laster höchstpersönlich in Augenschein nehmen. So machen wir es, Frau Rustik. Ich bringe Palzki mit, der kann das Protokoll schreiben.«

»Ich kann heute Abend nicht«, flehte ich. Mit diesem Plan hatte ich nicht gerechnet.

»Keine Chance, Palzki. Ich kann schließlich nicht alles alleine machen. Warum habe ich denn Untergebene? Sie fahren mit mir zum Dinner bei Frau Rustik. Wir werden sogar etwas früher losfahren, damit ich mir vor Ort ein Bild machen kann.«

Heidelinde Rustik verabschiedete sich. Ängstlich sah sie sich um, als sie in Richtung Parkplatz ging.

»Ich bin mir mit dieser Frau noch nicht im Klaren, Palzki. Zuerst fängt sie mit mir Streit an, dann dieses Attentat auf mich, das ist schon sonderbar.«

»Attentat auf Sie, Herr Diefenbach?«

KPD seufzte. »Das ist mir klar, dass Sie das nicht bemerkt haben. Warum sollte jemand die Landwirtin umbringen wollen, bloß weil sie Lastwagen beobachtet hat, die heimlich umgeladen werden? Nein, das Attentat galt eindeutig mir. Irgendetwas ist faul im Pfalzmarkt. Das habe ich sofort bemerkt, als die Vorstände und der Aufsichtsratsvorsitzende meine Wichtigkeit ignoriert haben. Dass kein Sitzplatz auf meinen Namen reserviert war, ist ein weiteres eindeutiges Indiz, dass man mich in eine Falle locken wollte. Aber nicht mit mir!«

»Welche Falle?«, hakte ich nach. KPDs Paranoia war legendär, doch das setzte allem die Krone auf.

»Heidelinde Rustik handelt meiner Meinung nach im Auftrag des Vorstands. Sie ist doch Genossin in dem Unternehmen, nicht? Ihre Aufgabe war es, mich in eine Falle zu locken. Dieser beladene Lkw-Hänger stand nur mit dem Ziel im Hof herum, um mich zu beseitigen. Durch die Ablenkung mit ihrem Schrei hat sie sich unbeabsichtigt selbst gefährdet. Den Streit mit mir hat sie nämlich nur deshalb begonnen, damit ich alleine an der Stelle stehe, wo das Gemüse herabstürzen sollte.« KPD nickte selbstbestätigend wie ein Wackeldackel. »Und deshalb müssen wir unbedingt die Einladung wahrnehmen. Ich werde sie entlarven, die falsche Schlange.«

Da wir in der prallen Sonne standen, begann die Substanz, mit der ich getränkt war, übel zu riechen. Die ersten Schmeißfliegen schwirrten um mich herum.

KPD wedelte sich mit der Hand frische Luft zu und trat einen Schritt zurück. »Das ist mit Ihnen nicht auszuhalten, Palzki. Warum haben Sie nicht besser aufgepasst?«

»Sie haben ja selbst genug abgekriegt. Tut es schön weh?«

»Natürlich spüre ich meine blauen Flecken«, konterte KPD ungewohnt schlagfertig. »Aber ich lasse mich deswegen nicht gehen. Nur wegen des desolaten Zustands meiner Uniform müssen wir jetzt schleunigst unauffällig zu unserem Wagen. Bleiben Sie ein paar Schritte hinter mir, damit mir von dem Gestank nicht übel wird.«

Meiner jahrelangen Erfahrung als psychologisch geschulter Kriminalbeamter hatte ich es zu verdanken, dass ich es förmlich roch, wenn in meiner direkten Umgebung irgendetwas nicht stimmte. Das Riechen war in diesem Fall zwar nicht wörtlich zu nehmen, trotzdem erkannte ich das Besondere: Einige Meter von uns entfernt stand ein Mann in auffälliger Bekleidung verdeckt hinter einem Container und fotografierte mit einem Mordstrumm an Teleobjektiv die Personen, die vor dem Eingangsbereich standen. Der Beschreibung seiner Kleidung nach konnte das der Kerl gewesen sein, den Rustik auf dem Hänger gesehen hatte. Nur wegen unserer momentanen Position konnte ich ihn sehen. Ich wusste sofort, dass dies kein offiziell für dieses Fest bestellter Fotograf war, viel zu heimlich war sein Tun. Um die Person länger beobachten zu können, verlangsamte ich meinen Schritt. Dafür erhielt ich von KPD umgehend einen Rüffel und die Aufforderung, mich zu beeilen. Ich entschied mich dafür, meinem Chef Folge zu leisten, da der heimliche Fotograf Sache des Pfalzmarkts war. Eine kriminelle Tat konnte ich mit dem Fotografieren der Gäste nicht in Verbindung bringen. Um den Rest wollte sich ja mein Chef kümmern. Umgehend strich ich meine Beobachtung aus dem Kurzzeitgedächtnis.

Der Chauffeur rechnete zu dieser frühen Stunde nicht mit uns. Er lag in der Stretch-Limousine und gönnte sich einen älteren Zombiefilm, der in einem Einkaufszentrum spielte, als mein Chef die Tür mit den abgedunkelten Scheiben aufriss.

»Da sind Sie ja!«, schrie er.

Der Chauffeur sprang erschrocken und mit rotem Kopf aus dem Wagen. Dann sah beziehungsweise roch er unseren Zustand. »Was ist mit Ihnen passiert?«

»Nichts«, entgegnete KPD. »Halten Sie mir jetzt endlich die Tür auf, damit ich einsteigen kann? In Schifferstadt fahren Sie bitte direkt in den Hof und halten neben meinem Dienstwagen an. So, wie ich aussehe, darf mich niemand sehen, verstanden?«

Der Chauffeur nickte. Nachdem KPD in der Limousine saß, wandte er sich mir zu. »So kann ich Sie leider unmöglich mitnehmen. Den Wagen kriege ich nie mehr sauber, wenn sich das Zeug in den Polstern festsetzt.«

»Soll ich heimlaufen?«

»Ich könnte Ihnen ein Taxi bestellen, kann aber nicht garantieren, dass Sie mitgenommen werden.«

»Und die Badewanne?«, fragte ich dreist.

Nach kurzem Überlegen nickte der Chauffeur. »Sie bleiben aber in der Wanne liegen und fassen nichts an, einverstanden?«

So kam es, dass ich das erste Mal in meinem Leben in einer Badewanne liegend in einem Auto fuhr. Der Chauffeur war so nett, mich nach meinem Chef zu Hause vor der Haustür abzusetzen. Ich achtete beim Ausstieg peinlich genau darauf, nicht von meiner Nachbarin erwischt zu werden, die bestimmt hinter einem Fenster lauerte. Doch dieses Mal war ich schneller. In Riesenschritten sprang ich zu unserem Hauseingang und schloss die Tür auf. Im Flur stand zufällig Stefanie.

»Du bist ja ganz außer Atem«, rief sie überrascht. Ihre Nase benötigte nur eine Sekunde länger als die Augen. »Boah, hast du in einer Biotonne gesteckt? Das ist ja nicht auszuhalten. Und wie du wieder aussiehst! Geh gleich durch auf die Terrasse und zieh dich aus.«

»Danke der Nachfrage«, sagte ich im Vorbeigehen. »Übrigens, ich bin nicht verletzt, und mir geht es gut, falls du danach fragen wolltest.«

Mit dieser Spitze hatte ich die Vorwurfsattacke meiner Frau pariert. Ihr nächster Satz klang deutlich milder. »Sag schon, was ist passiert? Warum bist du so früh zu Hause?«

Ich lächelte sie an. Meinem Lächeln konnte sie nur selten etwas entgegensetzen. Der kurze Kuss, den ich ihr geben wollte, ging ihr aber wegen der Geruchsbelästigung zu weit. Geschickt wich sie aus. »Ich hole dir frische Klamotten, du wirst bestimmt duschen wollen. Was darf ich dir zu essen machen?«

Ich nickte, ohne ihr zunächst eine konkrete Antwort zu geben. Ich hatte zwar einen Bärenhunger, aber keinerlei Appetit. Das Geruchsensemble, das an mir hing, war für mich mit einer Nahrungsaufnahme nicht in Einklang zu bringen. »Ich war mit KPD auf einer Eröffnungsfeier des Pfalzmarkts. Leider ist da ein bisschen was schief gegangen.«

»Jetzt verstehe ich«, sagte Stefanie. »Dieser penetrante Geruch erinnerte mich sofort an mehrere Gemüsesorten, was bei dir eigentlich auszuschließen ist. Was ist konkret passiert?«

»Es sind ein paar Gemüsekisten auf KPD und mich gestürzt. Es muss auch irgendeine Flüssigkeit dabei gewesen sein. Genauer kann ich es dir nicht sagen, weil es mich nicht interessiert hat. Jedenfalls muss ich nach dem Duschen wieder weg.« Um den fragenden Blick Stefanies zu beantworten, fügte ich an: »KPD und ich müssen zu einer verdächtigen Landwirtin bei Hochdorf fahren.« Die Sache mit dem Abendessen behielt ich für mich. »Mein Chef meint wieder einmal, es habe ein Attentat auf ihn gegeben.« Ich machte mit der Hand eine Wischbewegung vor meinem Gesicht. »Er vermutet, dass diese Landwirtin im Auftrag des Vorstands des Pfalzmarkts das Gemüse auf uns stürzen ließ.«

»Ist Herr Diefenbach verletzt?«

»Nicht die Bohne«, antwortete ich, »ein paar blaue Flecken, sonst nichts. Auch sonst wurde niemand verletzt. Und Tote gab es auch keine.«

Stefanie verdrehte die Augen. »Und deswegen macht Diefenbach solch einen Aufstand?«

»Du kennst ihn ja«, bestätigte ich. »Blöd, dass er mich mitnehmen will. Du weißt, wie ich zu dem ganzen Gemüsegedöns stehe.«

»Ich würde mir den Pfalzmarkt gerne mal anschauen. Bestimmt könnte ich mir da die eine oder andere Anregung für unsere Küche holen. Was gibt es dort für Sorten, Reiner?«

»Alle«, antwortete ich. »Eher noch mehr.«

Sie seufzte. »Vermutlich hättest du nicht einmal Kartoffeln erkannt.«

»Die gibt’s dort nicht. Das weiß ich 100-prozentig.« Bevor meine Frau ins Detail gehen konnte, verschwand ich in Richtung Bad.

Nachdem ich mich wenig später geruchsneutral fühlte, spielte ich ein paar Minuten mit den zweijährigen Zwillingen Lisa und Lars, die sich inzwischen zu permanenten Stressfaktoren entwickelt hatten. Ich war mir sicher, dass die beiden mittels Gedankenübertragung kommunizierten. Mit schöner Regelmäßigkeit lenkte einer der beiden Zwillinge uns Eltern ab, während der andere irgendetwas Saublödes anstellte, was man bisher eigentlich für ausgeschlossen hielt. Was mich besonders beunruhigte, war, dass die Ergebnisse der Zwillingsaktionen um ein Vielfaches fieser waren als die Dinge, die mein Sohn Paul tat, als er in deren Alter war. Dass man Pauls Heldentaten steigern konnte, hätte ich bis vor Kurzem noch für unmöglich gehalten.

»Kannst du mich mit deinem Wagen zur Dienststelle fahren, Stefanie?«, säuselte ich.

»Erst in einer halben Stunde, wenn Melanie und Paul von der Schule da sind. Paul bekommt heute übrigens eine versetzungsrelevante Mathearbeit zurück. Und nächste Woche steht der Elternabend an.«

Da ich wenig erpicht auf die Ausreden meines Sohnes war, zog ich es vor, den brutal weiten Weg von fast einem Kilometer zu Fuß zurückzulegen.

»Wieso bist du nicht verletzt?«, fragte Jutta, als ich deren Büro betrat. Kollege Gerhard saß wie heute früh am Besprechungstisch und las seine Zeitschrift. »KPD hat vor ein paar Minuten von seinem Büro aus angerufen und gesagt, dass ihr schwerverletzt einem Attentat entkommen seid.«

»Der spinnt wie immer. Ein bisschen Gemüse ist auf uns gefallen«, spielte ich die Sache herunter »Zufall, Unfall, keine Ahnung. KPD wurde vorher in seiner angeblichen Wichtigkeit gedemütigt, daher geht er davon aus, dass man ihm nach dem Leben trachtete. Ihr kennt das ja, es ist jedes Mal dasselbe.«

»Gedemütigt?« Gerhard wurde hellhörig und legte das Heft weg. »Lass mal hören, Reiner.«

Zur Freude und zur Unterhaltung meiner Kollegen erzählte ich die Begegnung unseres Chefs mit dem Führungspersonal des Pfalzmarkts. »Und im Saal war kein Platz für ihn reserviert«, schloss ich den ein wenig ausgeschmückten Bericht. »Das gab ihm den Rest.«

»Kein Wunder, dass er so kurz angebunden war«, sagte Jutta. »Normalerweise wäre er sofort zu mir ins Büro gekommen. Ich habe mich gewundert, warum er nur angerufen hat.«

»Wahrscheinlich hat er ein kleines Bewegungsdefizit«, erklärte ich. »Ein paar blaue Flecken hat er abbekommen.«

»Du auch?«, wollte Gerhard wissen.

»Sportlich wie ich bin, konnte ich geschickt ausweichen und musste nur wegen des Geruchs unter die Dusche. In den riesigen Hallen gibt es nichts außer Gemüse. Das kann man sich als normaler Mensch gar nicht vorstellen.«

Ich erhielt schallendes Gelächter zur Antwort. »Du und sportlich«, meinte Gerhard. »Zwei Welten prallen aufeinander.«

»Wer ist diese Heidelinde Rustik?«, fragte Jutta, nachdem sie sich beruhigt hatte. »KPD sagte, dass wir alles über diese Frau in Erfahrung bringen sollen. Und alles über die Führungsriege des Pfalzmarkts.«

»Warum macht das nicht Jürgen?« Unser Jungkollege Jürgen war der Vierte in unserem Team und unter anderem für Recherchen zuständig. Was er nicht herausfand, das gab es nicht. Manchmal schoss er bei der Tiefe seiner Untersuchungen über das Ziel hinaus, doch seine Ergebnisse hatten stets Hand und Fuß.

»Der ist auf IT-Lehrgang beim LKA«, sagte Gerhard. »Das weißt du aber seit Wochen.«

»Hab’s vergessen«, knurrte ich.

»Was ist jetzt mit dieser Rustik?«, hakte Jutta nach.

»Eine Landwirtin, nichts weiter. Sie hat einen Aussiedlerhof zwischen Dannstadt und Hochdorf und war zufälligerweise dabei, als der Unfall mit dem Gemüse passierte. Kurz zuvor berichtete sie von Lastwagen, die in der Nähe ihres Hofes nachts angeblich umgeladen werden.«

»Und deswegen gehört sie zu den Tätern?«

»Täter? Wie kommst du auf den Schwachsinn?«

»Weil KPD es gesagt hat.«

»Ach was«, sagte ich leicht verärgert, »KPD spinnt, habe ich das vorhin nicht schon einmal gesagt? Leider hat die gute Frau KPD und mich für heute Abend zum Essen eingeladen.«

»Zum Essen?«

Mist, das mit dem Abendessen wollte ich meinen Kollegen eigentlich verheimlichen, um nicht noch mehr Häme zu kassieren. »Nur ein Imbiss«, verharmloste ich. »KPD will sich die Situation vor Ort anschauen, vor allem dort, wo die Lkws umgeladen werden.«

»Und Argumente für ihre Täterschaft suchen«, ergänzte Gerhard.

»Das auch«, bejahte ich. »Da kann er aber lange suchen. Das Ganze ist ein absolut überflüssiger Abendtermin. Für mich schon der zweite oder dritte in diesem Jahr. Kein Wunder, dass mein Überstundenkonto bis zum Anschlag gefüllt ist. Wenn mir KPD das auszahlen würde, könnte ich bis zur Pension zu Hause bleiben.«

Meine Kollegen lachten erneut. »Jetzt übertreib mal nicht, Reiner. Unser Chef hat dich in letzter Zeit in Ruhe gelassen. Eine kurze Fahrt nach Dannstadt gemeinsam mit ihm wird dich nicht umbringen.«

»Hoffen wir’s. So sicher bin ich mir da nämlich nicht. Ich werde euch morgen berichten. Jetzt mache ich aber erstmal Pause, bis KPD sich meldet.«

Ich schaffte es, zwei Tassen Kaffee zu genießen. Währenddessen fachsimpelte ich mit Gerhard über unsere sportlichen Erfolge. Als Marathonläufer war er natürlich ein wenig fitter aufgestellt. Als ich ihm erzählte, dass ich vorhin den ganzen Weg zur Dienststelle zu Fuß zurückgelegt hatte, pfiff er erstaunt durch die Zähne. »Und das in deinem Alter ohne Pause? Oder hast du dir unterwegs eine Verpflegungsstation eingerichtet?«

In das allgemeine Gelächter klingelte das Telefon. Schon am Schrillen war mir klar, dass der Anrufer KPD sein musste.

»Haben Sie sich gut vorbereitet?«, fragte KPD, als ich in sein gigantisches Büro kam, das mehr als zwei Drittel des Obergeschosses einnahm. An der Wand hingen Baupläne, die mich neugierig machten. Als ich erkannte, was ich sah, musste ich hart schlucken, dann böse lächeln. Wenn KPD diese Pläne tatsächlich umsetzen würde, wäre er die längste Zeit Dienststellenleiter gewesen. Und vermutlich auch Beamter. Kein Polizeipräsident, kein Innenminister würde es zulassen, dass er die Außenfassade unserer zugegebenermaßen baulich sehr schlichten Dienststelle in ein zweites Schloss Neuschwanstein verwandelte. Sogar die diversen Turmbauten waren dem Original nachempfunden.

»Tolle Sache«, lästerte ich mit Blick auf die Pläne. »Dann haben wir endlich keine Raumnot mehr.«

KPD fühlte sich geschmeichelt. »Das ist aber alles noch streng geheim, Palzki. Ich habe die Baupläne gerade eben aufgehängt, um mir ein Gesamtbild verschaffen zu können. Außer Ihnen weiß noch niemand davon.«

»Nur der Architekt.«

»Welcher Architekt?«, fragte KPD sofort. »Mit meiner allumfassenden Kompetenz benötige ich keinen Fachmann.« Er ging zur Wand und hängte die Pläne ab. Während er sie vorsichtig in Papprollen verstaute, fragte er nach: »Was ist jetzt? Was haben Sie über diese dubiose Landwirtin herausbekommen?«

»Unsere Fachkraft für Recherchen ist zurzeit auf Fortbildung, und Frau Wagner ist überlastet. Auf die Schnelle konnten wir nichts Beunruhigendes finden, das für eine Untersuchungshaft reicht.«

»Die sind schlau, die Leute vom Pfalzmarkt«, sagte KPD mehr zu sich selbst. »Es hätte mich gewundert, wenn wir sofort das Motiv durchschauen könnten. Ich gehe davon aus, dass es äußerst verzwickte Ermittlungen werden, Palzki. Deswegen kann ich Sie nicht alleine losschicken. Ohne meine Erfahrung, mein Wissen und meine Kompetenz würden Sie hoffnungslos untergehen.«

»Keine Angst, Herr Diefenbach, ich werde mich im Hintergrund halten und Ihnen die Ermittlungshoheit überlassen. Ab morgen werden Sie ja bestimmt ohne mich auskommen.«

KPD hatte andere Pläne mit mir. »Im Prinzip stimmt das, was Sie sagen, Palzki. Ich komme immer bestens ohne Sie aus. Generell sind Sie sowieso ein unablässiger Störfaktor in der von mir sehr gut geführten Dienststelle. Aber dieses Mal brauche ich Sie, und das leider nicht nur heute.«

»Sie … Sie … äh … Sie brauchen mich?«, stotterte ich. Nie hätte ich gedacht, dass solche Worte über KPDs Lippen kommen könnten.

»Ich wollte, es wäre anders«, meinte KPD. »Aber da Sie offensichtlich diesen Aufsichtsratsvorsitzenden persönlich kennen, muss ich über meinen Schatten springen.«

Jetzt wusste ich, was los war. Mein Chef dachte, dass ich Christian Deyerling kennen würde, weil er sich mit mir, aber nicht mit ihm unterhalten hatte. Ich beschloss, diesen Joker zunächst für mich zu behalten, auch wenn mir KPD deswegen bestimmt einen unangenehmen Job aufbürden würde. »Ich kenne viele prominente Bürger und bin fast überall beliebt«, sagte ich allgemein gehalten.

»Das verstehe, wer will«, brummte KPD mürrisch. »Jedenfalls werde ich Sie undercover im Pfalzmarkt einschleusen. Dann kann ich Sie nach Gutdünken lenken, und Sie berichten mir täglich, was passiert.«

»Das ist eine ganz schlechte Idee, Herr Diefenbach. Christian Deyerling kennt mich gut und weiß, dass ich ein erfolgreicher Kriminalhauptkommissar bin. Er wird sofort Lunte riechen.«

KPD lachte kurz auf. »Erfolgreich, da habe ich andere Vorstellungen. Der Chefclan des Pfalzmarkts kann gerne wissen, dass ich ihm auf der Spur bin. Irgendwann werden die sich verraten. Und Sie werden mir das dann brühwarm weiterleiten. Aber so weit sind wir noch nicht. Heute will ich mir zunächst ein Bild von dieser Landwirtin machen. Ich gehe davon aus, dass sie nicht nur eine Genossin des Pfalzmarkts ist. Es muss eine weitere Verflechtung zum Großmarkt geben.«

»Die Sache mit den Lastwagen?«

KPD winkte ab. »Das ist bestimmt nur eine falsche Spur, um von dem Attentatsversuch auf mich abzulenken. Können wir fahren, Palzki?«

Das letzte Mahl

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