Читать книгу Der Sonnensturm Teil 1 Energiekrieg - Hardy Klemm - Страница 5
Die Nacht
ОглавлениеIch schaute auf die Erde herab. Das mache ich öfters, und entdeckte natürlich hin und wieder mich, aber meistens gab es Besseres.
Zum Beispiel Martin Bretz. Er lebte in Sassnitz, auf einer Insel namens Rügen. Er war arbeitslos, aber er hatte eine Idee, wie er aus dieser Lage herauskommen konnte. Er suchte sich eine Arbeit. Schreck, lass nach. Rügen war nicht gerade der richtige Ort, um die Kapazitäten eines Mannes durch Arbeit auszulasten. Zahlreiche Jobs hatten ihm dieses bereits bewiesen, schließlich lernte man durch Versuch und Irrtum. Trial and Error.
Sein Ziel war der Abschluss des Kapitels „Hartz IV“, das totale Ende jeglicher Kommunikation mit der Arbeitsagentur und der Aufstieg in eine funktionsfähige und gerechte Welt.
Martin beschloss: Ich mache eine Erfindung!
Er befolgte den Rat der Bundeskanzlerin: Ideen braucht das Land!
Also suchte er ein Problem, das er lösen konnte, oder er fügte zwei nützliche Dinge zusammen, die danach noch nützlicher waren. Alles so nebenbei, die Inspiration sollte schließlich ihn finden, und man wollte das Arbeitslosendasein ja auch genießen.
Es war Herbst, und die Insel erholte sich. Von der Badesaison, von der unser Held in den Küchen, Büros und auf den Baustellen seit seiner Schulzeit nichts mehr mitbekommen hatte. Klimaforscher prognostizierten, dass auf Rügen in einigen Jahrzehnten im Winter Temperaturen herrschen würden wie auf Malle.
Wenn der Prophet schon nicht zum Berg kam, dann eben anders herum. Martin gab sein Geld anders aus. Ab und zu aß er kaum bezahlbare südamerikanische Rindersteaks. Dabei hatte er durchaus ein schlechtes Gewissen, vor allem, weil diese beim Discounter direkt neben den Bauernglück-Schweinekoteletts lagen. Die wohl eher und öfter vom eigenen Finanzhaushalt diktiert wurden, und wahrscheinlich passten die auch vom Namen her besser zu ihm. Das Höchstmaß an Luxus stellte der Karamell-Eisbecher dar. Diesen gab es in dem einzigen Café, in dem er Trinkgeld gab, dem mit dem Strandkorb, in der Hafenstraße, mit der Bedienung, die sich entschuldigte, wenn sie mal den Aschenbecher vergaß.
Und bei eben diesem Genuss kam ihm seine erste Idee. Nein, er hatte schon eine Unzahl Ideen gehabt. Er versuchte, die Mischung aus Nuss-, Vanille-Eis und Karamellsauce mit dem langen Löffel aus dem tulpenförmigen Glas zu schöpfen. Ein ständig wiederkehrendes Problem: Der gläserne himmelblaue Eisbecher war zu tief, um die flüssige Karamelleisschmelze herauslöffeln zu können. Der verchromte Freudenspender konnte nur hineingetaucht werden. Die Möglichkeit, sein Eis einfach zu verspeisen, bevor alles geschmolzen war, kam ihm nicht einmal in den Sinn, viel zu kalt! Er konnte nur das Geschmolzene genießen und dies war mit dem Löffel nicht zu transportieren, viel zu flüssig. Es lief alles von dem nur senkrecht zu positionierenden Förderkorb herunter.
Martin: Es braucht ein Loch!
Das kreisrunde Förderkorbhaltemassiv brauchte genau dies, und man hätte einen Strohhalm. Das köstliche Geschmolzene würde unmittelbar in den Löffel gelangen. Und in diesem Café, dem einzigen, in dem er jemals Trinkgeld gab, war es völlig in Ordnung, den Löffel mitzunehmen. Er hatte auch den passenden Onkel Rudolf und dieser hatte die passende Werkstatt. Was nicht passte, waren die Bohrer. Es musste ein sehr langer, sehr dünner Bohrer sein, wenn man einen Hohlraum in den Stiel des Löffels bohren wollte. Der Stiel musste abgeflext und durch eine Alustange ersetzt werden, wie sie für Zierpflanzen verwendet wurden. Und plötzlich läuteten die Alarmglocken: Zusatzinvestition!
Mit gelähmtem Blick begab er sich zum Baumarkt, oder, wie er ihn auch nannte: „Oh mein Gott mit den biblischen Preisen“. Es gab Dinge, die man dort kaufen konnte, und die Dinge, die man nicht kaufen konnte. Die Stange war so ein Mittelding.
Die Verkäuferin sagte: „Fünf Euro und dreißig Cent, bitte.“
Dieser Schmerz in der Brieftasche, nicht unerwartet, aber doch überraschend.
Da Funkenflug kleine Löcher im Lack verursachen konnte, hatte Martin die Garage vom Sharan befreit. Danach entstaubte er erst einmal den Schraubstock und dachte dabei an seine überbetriebliche Ausbildung, an eine seiner ersten Ideen als Kfz-Mechaniker.
Im Praktikum erhielt er damals eine Aufgabe. Er sollte Ladekabel herstellen, für die Batterien des Patienten. Zu diesem Zweck überreichte man ihm einen Seitenschneider, Kabel, Kabelschuhe und eine Zange. Sinn der Übung, denn wirklich niemand brauchte so viele Ladekabel, war es wohl, seine Handkraft zu messen.
Plan A des Meisters, die Kabel abzuisolieren und die Schuhe mittels Zange an die Kabel anzubringen, war inakzeptabel. Der Griff der Zange hätte sich im Handrücken abgezeichnet. Plan B sah vor, den Schraubstock zu missbrauchen anstatt der Zange, und dieser Plan war fertig und bewilligt, bevor der Meister ausgesprochen hatte. Schön, wenn man alleine arbeiten konnte, so war der tatsächliche Arbeitsablauf nicht nachvollziehbar.
Eine Anstellung hatte es für ihn dennoch nie gegeben.
Beim Abflexen des Stiels von der Löffelmulde schien es, als wäre es das höchste Ziel, möglichst großen Abstand zwischen sich und die Maschine zu bringen.
Rudolf: „Beißt der, oder hast du in Feuerzeugbenzin gebadet?“
Martin zog sein besonderes Lächeln auf, das sonst den Beratern von der Arbeitsagentur vorbehalten war, wenn sie etwas unglaublich Dummes gesagt hatten oder wieder mal Vorschläge oder Kommentare zum nächsten oder vorigen Praktikum abgaben. Schließlich habe der Löffel Schrapnellqualitäten, entgegnete er seinem Onkel. Immer weit weg vom Körper, so hatte er es gelernt und wahrscheinlich war er der Einzige, der sich daran hielt. Nicht einmal der Geselle, der für den Arbeitsschutz beauftragt wurde, hielt sich daran. Überhaupt niemand hielt sich daran. Die Schaufel des Löffels fiel senkrecht nach unten. Beim Ablängen der Alustange ging es dann schneller.
Feilen, dann löten, wieder feilen, dann war der unbenannte Gegenstand der Hoffnung fertig.
Rudolf: Fahr das Auto wieder rein.
Das war schon ein Running Gag, denn Martin hatte keinen Führerschein.
Es ging ans nicht unangenehme Testen mittels Eisbecher. Die niemals verschwendeten 3,90 Euro waren vorhanden. Die kleinen Metallpartikel, die man schmeckte und die großen, die man in der Speiseröhre spürte, blieben ein lösbares Problem. Das im Kopf zusammenkalkulierte Acht-Euro-Wunder war vollbracht. Leider schon lange zuvor von einem anderen Erfinder, in Plastik, wie sich herausstellte. Er erinnerte sich an den Schmerz in der Brieftasche und beschloss, etwas zu erfinden, das so groß war, dass, wenn dieses bereits erfunden wäre, er ganz sicher davon gehört hätte.
Das Warpfeld, viel besser, etwas, mit dem er glaubte, sich auszukennen, so als bekennender Trekkie. Es gab nur wenige Informationen über dieses künstliche Universum. Ein Verrückter in Mexiko hatte ausgerechnet, dass man mehr Energie zur Verfügung stellen müsste, es zu erzeugen, als der Mensch in seiner gesamten Geschichte bisher verbraucht hatte. Diese Forschung wurde nicht finanziert, was allerdings von den Amerikanern finanziert wurde, war die Antimaterie-Bombe. Natürlich die Amerikaner, wer sonst. Das war schon eine witzige Sache: Um mit Antimaterie eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen, benötigte man erheblich mehr als das Hundertfache des Bruttosozialproduktes dieses Landes. Aber mit Antimaterie flog die Enterprise!
Die kalte Fusion, das nicht wiederholbare Experiment eines Asiaten. Dieser sagte, er hätte es geschafft, konnte das Ganze aber nie wiederholen oder beweisen. Der wollte wahrscheinlich finanziert werden. Oder die heiße Fusion, die von den Europäern finanziert wurde, und die wahrscheinlich in nächster Zukunft Geld abwerfen sollte, in fünfzig Jahren oder so. Dieses dahingestellte Fusionskraftwerk war ein riesiger Gebäudekomplex, der scharf bewacht wurde. Der Reaktor war donutförmig, aus Raumfahrtmaterialien, hohl, im Wesentlichen ein Magnet. Das superheiße Deuterium-Tritium-Plasma fusionierte im Inneren.
Als Martin fragte, wie er denn in dieses Geschäft einsteigen könnte, nannte man ihm eine Summe, mit der man auch alle Mannschaften der Bundesliga hätte kaufen können. Es bräuchte einen anderen Ansatz für sein Warpfeld. Aus- „Star Trek“, „Andromeda“ und „Star Gate“ zusammengeklautem Wissen und ein paar tatsächlichen Fakten. Zum Beispiel, dass, wenn ein „Bird of Prey“, ein Raumschiff, sein Tarnschild aus Tachyonen aufbauen würde, es sich rückwärts durch die Zeit bewegen würde. Captain Kirk hätte also gar nicht um die Sonne fliegen müssen, um die Wale zu retten.
Das mit den Tachyonen glaubte Martin allerdings nur. Man hatte mit einer Antennenanlage versucht, sie zu finden. Die Tachyonen bewegten sich rückwärts durch die Zeit und das Erste, was sie taten, war irgendwo ankommen, und das Letzte, was sie taten, war existieren. Sie konnten ja nirgendwo ankommen, bevor sie anfingen zu existieren, deshalb fand man sie nicht, schlussfolgerte Martin.
Teilchenphysik oder Quantenphysik waren spannend genug, um sich dafür zu interessieren. Teilchen, die aus dem Nichts auftauchten, immer zwei gleichzeitig, um wieder miteinander zu kollidieren und sich wieder im Nichts aufzulösen. Dann und wann kam es vor, dass eines der zwei Teilchen von einem schwarzen Loch verschlungen wurde. Die Folge davon war, dass das Universum ein neues Teilchen hatte, da das andere nicht mehr mit diesem kollidieren konnte. Quantenphysik, eine Wissenschaft, bei der Experten wie Richard Feynman sagten: „Wenn man behauptet, dass man das versteht, hat man nichts verstanden.“
Das war doch einfach: Es ist alles da und nicht da. Martin hatte es eindeutig verstanden! Stephen Hawking sagte, dass man für so etwas wie ein Wurmloch wohl eine neue, exotische Sorte von Materie bräuchte.
Pseudo-Professor Bretz: Das ist mein Ansatz, denn von Energie sagt der ja nichts.
Wie ging man da heran? Genau wie alle anderen – mit einem Teilchenbeschleuniger. In dieser langen Röhre von der Größe einer oder mehrerer Kleinstädte, etwas billiger als das Apollo-Programm, suchte man zum Beispiel Spartikel, schwere Partikel, die sich wahrscheinlich in einem anderen Universum befanden. Auch Antimaterie konnte man dort herstellen, was den Preis erklärte.
Martin: Wenn ich mir das so angucke, brauche ich so etwas sowieso.
Die Lichtmauer galt es zu überwinden. Wenn es sie denn gab. Das war ein rein theoretisches Konstrukt, ähnlich der Schallmauer. Beim Durchbrechen der Schallmauer reiste man durch stark komprimierten Schall, das war laut! Beim Durchbrechen der Lichtmauer reiste man durch stark komprimiertes Licht. Damit war keineswegs gemeint, den Regenbogen zu durchfliegen, sondern eher einen Neutronenstern, da die radioaktive Gammastrahlung ebenfalls Licht war. Hinzu kam noch, dass mit den bekannten Materialien ein interstellares Schiff einen acht Meter dicken Mantel brauchte, um sich interstellar, also zwischen den Sternen bewegend, nennend zu können, da der Sonnenwind die weltraumtypische Strahlung wegdrückte und aus der Planetenscheibe fernhielt. Und überhaupt, so ein Warpfeld war ein künstliches Universum, wer wusste schon, was dort für Regeln herrschten, fern jeder Logik.
Martin: Wie im Bundestag?
Ein Teilchenbeschleuniger, das sind doch nur ein Magnet, eine Röhre und eine Kollisionskammer. Meiner muss gar nicht so groß werden, dann noch Sensoren wie ein Elektronenmikroskop. Wie teuer ist denn so ein Ding?
Ein paar Klicks später …
Martin: Ein Elektronenmikroskop brauch ich doch eigentlich nicht, das müsste ich doch alles auch so sehen können. Wie viele Quarks passen denn auf eine Nadelspitze?
Der Laptop krepierte beim Versuch, dies zu errechnen. Quarks waren die kleinsten bewiesenen Teilchen.
Martin: Diese Spartikel sollen ja größer sein, und das, was ich da herausbekomme, müsste ja auch irgendwie auffallen. Das Platzproblem muss ich auch noch lösen – ah, ich hab’s!
Ein Teilchenbeschleuniger war eigentlich rund.
Martins Plan basierte auf Blasinstrumenten. In ihnen war nur der Weg wichtig und nicht die Form des Weges. Seine Gedanken drehten sich eher in Richtung Alchemie als in Richtung Wissenschaft. Das Platzproblem bestand nur aufgrund des Wagens in der Garage. Das Einzige, was ihm sonst noch als Ort zur Verfügung stand, war seine Wohnung, mit einem Einrichtungsmix aus westlichem und östlichem Stil. Für einen Europäer war es beispielsweise wichtig, dass das Außen der Behausung gut aussah, für einen Koreaner hingegen zählten die inneren Werte. Ihm war beides scheißegal. Zwei Dinge zeigten dies deutlich: der Kaktus, den er niemals goss, er zog die Feuchtigkeit wohl aus der Luft, und der Kalender, den er erfunden hatte, aus Klebeband, die vielseitigste Entdeckung der Menschheit. Man konnte den Tag am Gelbton der Tapete ablesen. Es wurde einfach jeden Tag ein Stück abgezogen. Das Muster mit den kleinen Quadraten, das so entstand, erinnerte an die Tarnfarbe des Leopard 2 PSO, das war ein hochmoderner Kampfpanzer.
Aber er war weder ein Messie noch ein Mietnomade. Die Wohnung bot noch eine Menge an Platz. Nach der Aufstellung der Stückliste – Magnete, Vakuumröhre und Kollisionskammer – kam die Materialbeschaffung. Sperrmüll, wo er bereits einen Laptop gefunden hatte und noch einen weiteren fand, und Schrottplätze, wo er eine gut erhaltene Röhre, oder besser einen Schlauch mit Mettalarmierung, aufspürte. Von einer Schulauflösung nahm er sich gleich einen Karton scheinbar unbenutzter Erlenmeyerkolben mit.
Magneten aus Radios, Mikrochipschrott als Supraleiterersatz. Und in den Wochen und Monaten war er immer davon überzeugt, das alles würde ein Teilchenbeschleuniger werden.
Martin: Das Ding muss wahrscheinlich gekühlt werden.
Dazu wurde ein alter Feuerlöscher verwendet, den er sich immer wieder von der Feuerwehr auffüllen ließ. Dann wurde der Kühlschrank dafür geopfert. Bei dieser Aktion hoffte der Amateur bereits auf das surrende Geräusch, das er aus den Fernseh-Dokus kannte. Aber Löten machte ihm immer noch Spaß. Er nahm einen Job als Zeitungsjunge an, so entging er den kontraproduktiven Vermittlungsversuchen der Arbeitsagentur.
Nägel gerade klopfen, da der Sinn der Arbeiten, die er so tat, sich wohl seiner etwas niedrigen Bewusstseinsebene entzog. Die Stellenangebote, die er vom Amt bekam, passten nie. Sie wanderten direkt in den Papiermüll. Nicht, weil er die Chance nicht nutzen wollte, sondern aufgrund des Meinungswechsels von Seiten des Chefs. Es handelte sich um die Weisheit eines Mannes, der ganz sicher einen höheren Bewusstseinszustand hatte: Haki, er war Taxifahrer.
Haki: Wohin soll es denn gehen?
Martin: Wenn es eine Möglichkeit gibt, ohne über die Grenze zu fahren von diesem Kuhdorf zum Bahnhof zu gelangen, dann dahin.
Haki: Wir haben aber eine Laune!
Martin: Ich bin seit drei Uhr auf den Beinen, weil da der einzige Bus fährt, der mich zumindest in die Nähe einer Arbeitsstelle bringt, die bereits vergeben ist, für die ich nicht qualifiziert bin, die kurz vor der Pleite steht und bei der der Chef mich weitere drei Stunden warten lässt.
Haki: Und da stellt der Chef noch an?
Martin: Nein, das Arbeitsamt. Ein Ein-Euro-Job. Theoretisch müsste ich auch noch auf meinen Arbeitsberater warten, der mit dem Chef verwandt ist. Ist sein Schwager. Ich bin jetzt weg hier. Als ich gefragt habe, wo es hier etwas zu essen gibt, haben die gesagt, dass übermorgen der mobile Inselfleischer kommt. Der hat nur rohes Fleisch.
Haki: Aber gutes!
Martin: Passen Sie auf, das Geld für das Taxi kriege ich mit Sicherheit von keiner Stelle erstattet, weil der vom Arbeitsamt mich auf Verdacht in die Pampa geschickt hat.
Haki: Drei Worte genügen: Runter von Rügen.
Als Zeitungsjunge konnte man spazieren gehen, nachdenken, und es war einer der wenigen Jobs außerhalb der Saison. Er wurde in dieser Zeit überhaupt sehr nachdenklich. Er hütete sein Geheimnis.
Es war eher Modellbau, ein Hobby wie Eisenbahn oder Rollenspiele. Martin wäre es mittlerweile egal gewesen, ob der Apparat funktionierte oder nicht. Aber dann, die Maschine sah durchaus nach etwas aus, ein geordnetes Gewirr, das zu einem Viertel in einem Kühlschrank steckte. Es gab ein Geräusch, ein „Plub“.
Martin: Etwas abgebrochen?
Oder das mittlerweile fast perfekte Vakuum der Röhre war nicht mehr, dachte er noch, als er auf der Rückseite des Kühlschrankes sowohl eine Beule als auch eine Delle registrierte. Der Kasten hatte sich auch verzogen. Als er in Gedanken schon begann, einen neuen Kühlschrank zu kalkulieren, zog sich ein Knistern durch die Apparatur. Er dachte sofort an ein Feuer.
Martin: Tu das nicht!
Er kappte die Stromversorgung des Apparates, worauf das moderne Kunstwerk an die Decke sprang, ohne das geringste Geräusch, und danach wieder den Boden berührte. Kreidebleich öffnete er langsam die Tür des Kühlschranks. Schließlich hätte es ja auch das Vakuum sein können. Wenn nicht, dann das Magnetfeld? Außerdem wollte, nein, musste erkundet werden, welche Auswirkung die Delle, der Verzug und vor allem die Beule auf das eingeschwebte Kühlschrankinnere hatten. Antwort: Keine. Betrachtete man die Sache von innen, war alles absolut unbeschädigt. Zwei Millimeter dickes Blech, außen eine Beule, innen nichts. Dasselbe mit der Delle, was wirklich für Ratlosigkeit sorgte. Zwei bis drei Zentimeter tief. Nachdem erst einmal sichergestellt war, dass keine Gefahr drohte, wanderten die Gedanken von der Unfallversicherung zum Automobilbau.
Martin: Knautschzone!
Er musste erst einmal das Prinzip und den genauen Sachverhalt klären, um an den Kommerz zu denken. Danach ging es an die Ursachenforschung die Kausalität. Die Anwendungen waren einfacher. Hier waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die Mikrowellenantenne war nach dem Patent auch eine Wettermaschine. Mit Freude fing Martin an, zu spinnen. Die erste Anwendung lag auf der Hand.
Martin: Intelligentes Metall, zum Beispiel in der Robotik.
Die zweite Anwendung steuerte in eine Richtung, die nur wenig gefiel.
Martin: Im Militärwesen.
Beim Katalogisieren und systematischen Testen waren seine Werkzeuge so gut wie wirkungslos. War sein Material so hart?
Martin: Discounter!
Eigentlich waren sie noch in Ordnung, die Bohrmaschine, deren Bohrer nicht einmal warm wurde, geschweige denn dass auf dem Blech irgendeine Schramme zu erkennen war. Das war noch nicht alles. Die gesamte Oberflächenstruktur hatte sich verändert. Der Vergleich zur Lotusblüte drängte sich auf, da selbst Honig davon abperlte oder auch extrahaftender Ofenreiniger. Keines seiner Messgeräte zeigte auch nur halbwegs erklärbare Werte.
Martin: Kein Widerstand auf … lass das mal sechs Meter sein.
Sogar Supraleiter hatten einen Widerstand. Es gab bis jetzt nichts, das eine solche Eigenschaft besaß. Alles schien ganz ohne Strom unter Spannung zu stehen. Nur durch einen Zufall zeigte sich, dass Zigarettenrauch von oben in die Delle zog und unten wieder heraus kam. Dieses Phänomen wurde mittels Wassertropfenversuch untersucht. Zwei so identische Tropfen, wie es dem jetzt tatsächlichen Forscher unter Zuhilfenahme einer Spritze möglich war zu erzeugen, einen neben und einen durch die Delle, brauchten einen identischen Zeitraum für unterschiedliche Strecken. Da die Maschine, durch die Spannung angezeigt, noch zu arbeiten schien, fiel der Beschluss, jedes Teil zu markieren und dieses Knäuel an Rätseln zu demontieren. Nur, um einfach die eigentlich arbeitenden Teile zu entwirren. Dabei sprang die Maschine, das Blech veränderte sich, aber diesmal begann die Angelegenheit kontrolliert zu verlaufen. Martin löste jene Schraube und erhielt dafür zwei Beulen, zog sie wieder fest und die vorher entstandenen Arschbacken waren verschwunden.
Nach zwei Wochen kannte er die meisten Ursachen und Wirkungen, hatte diese mittels selbst konstruiertem Computer-Tool auf dem zweiten Laptop festgehalten, und begann, ein Smiley ins Blech zu zeichnen, mit einer anderen Platte die Schwerkraft abzuschirmen, und dazu noch Origami. Sogar Vergrößern und Verkleinern lag im Bereich des Möglichen. Auch unter Radiowelleneinfluss, und mit diesem steuerte man den Bau-Modus, wie er dieses gezielte Verändern von Eigenschaften und Form der Bleche nannte. Mit der Spannung ließ sich Energie erzeugen. Das war ein Meilenstein! Nur das mit der Energie mochte er nicht. Er wusste nichts über die Herkunft.
Martin: Problem. Nullpunktenergie, eigentlich sehr schwach, entsteht bei der totalen Abwesenheit von Energie und Masse aus dem, na ja, Nichts, Nullpunkt.
Das Vakuum war mittlerweile wegreduziert. Kein Nullpunkt, und Saft hatte diese Maschine eigentlich vergleichsweise viel.
Martin: Ich zapfe die Schwerkraft an. Wenn das so ist, muss ich weg von der Schwerkraft, um zu sehen, ob sich die Werte verändern, den Planeten verlassen. Tachyonen, Metaversen, ich hab ein Problem, das Raum-Zeit-Kontinuum, der Hyperraum, vielleicht, nein, unwahrscheinlich, da bewegt sich nichts schneller als das Licht.
Das, was er anfangs wollte, wollte er nun nicht mehr.
Bretz versus Einstein.
Der sagte und tat das auch noch nach dem Tod, nichts war schneller als das Licht. Hyperraum, Warpfeld, am Ende noch die String-Theorie, eine solche Sache kam immer mehr und mehr infrage. Das Warpfeld war ja auch anfangs geplant, aber keinesfalls, weil die neuen Erkenntnisse darauf hinwiesen.
Veni vidi vici – ich kam, ich sah, ich siegte. Das wollte ich machen, ich habe das getan. Das Ego spielte sein Spiel weiter. Hiroshima, Nagasaki. Er könnte noch etwas bedeutend Gefährlicheres an Land gezogen haben. Die lange isolierte Arbeit, der Druck des Erfolges veränderten ihn. Er griff zum Karamell-Eisbecher als Beruhigungsmittel. Für ihn war das wichtig, etwas, was er nicht begriff. Und wie er den Eisbecher wegschmiss. Er wartete nicht, bis das Eis taute. Zum Abendessen gab es argentinisches Rindfleisch, schwimmend im eigenen Protein, besser bekannt als rote Soße, Saft. Er hatte eine beeindruckend lange Zeit nur von Hartz-IV-empfängertypischer Dosennahrung gelebt.
Das Arbeiten als Zeitungsjunge erfolgte fast wie in Trance. Für gewöhnlich kannte man die Familien, die man bediente, und zumindest über die Familiennamen machte man sich lustig, ganz besonders, wenn es sich nur um Reihenhäuser handelte. Auf seiner Tour mit dem Bollerwagen gab es eine Familie, die Schwanzlose hieß, da zwischen den weit voneinander stehenden Briefkästen eine Menge Platz für Gedanken war.
Aber dieser Platz wurde stets ausgefüllt durch die nächsten Konfigurationen der Maschine, und das Arbeiten – Briefkasten auf, Zeitung rein – erfolgte schon nach kurzer Zeit so automatisch, dass er vor seinem Hauseingang stand und sich ein paar Minuten fragte, ob die gesamte Arbeit bereits erledigt war. Blackouts, die Arbeitstage waren kurz.
Martin: Hartz IV macht gaga, ich brauche Urlaub.
Hätte ihn jemand gefragt, was er da machte, hätte er es ihm erzählt.
Er wollte erst damit beginnen, die Schwerkraft im Zusammenhang mit seiner Maschine zu untersuchen, dann funkte ihm das Arbeitsamt dazwischen.
Der Ausflug nach Bergen tat gut, bis er ins Amt musste. In der Stadt gab es zahlreiche Secondhand-Läden, auch für Hardware. Die Laune des Schnäppchenjägers sank nur langsam, aber bis er vom Wartesaal des Amts ins Büro gelangt war, waren die Erfolgserlebnisse, die Martin gehabt hatte, nämlich dass er ein altes Programm auf CD und andere Laufwerke für seine Laptops gefunden hatte, schon vergessen. Die Stimmung war vergleichbar mit der, die Martin gehabt hatte, wenn er sich mit seiner Ex GZSZ ansehen musste. Die Ursache hierfür waren nicht, wie eigentlich zu erwarten, die Dekaden, die man mit der Nummer in der Hand verbrachte. Die Ursache waren die wahrscheinlichen Vermittlungen, besonders die mit einem kürzlich eröffneten Callcenter. In Hartz-IV-Empfängerkreisen fiel das Wort ‚Betrug‘ im Zusammenhang mit diesem Gebäude häufiger als ‚der‘, ‚die‘ oder ‚das‘. Dort gab es aufgrund des hohen Verschleißes unzählige Stellen. Das passte nun wirklich nicht auf ihn, ehrliche Haut, die er war. Die normale Reaktion des Arbeitsuchenden in einer Situation wie dieser war es, mit Schusswaffengebrauch oder Amokläufen zu drohen. Legal gab es jedoch keine Möglichkeit, eine solche Stelle abzulehnen, sonst drohten Sanktionen. Martin war nicht normal. Er versuchte es mit reden. Dabei musste eine Sprache gewählt werden, die der mutmaßlichen Bewusstseinsebene des jeweiligen Arbeitsberaters entsprach. In unzähligen Versuchen vorher hatte sich gezeigt, dass diese anscheinend transzendent existieren musste.
Es war hypothetisch nur möglich, mit diesen zu reden, wenn man selbst auf der gleichen Ebene war. Um die Gesetze umzusetzen, die Politiker beschlossen, war so etwas wie ein Nirwana wohl nötig. Und das taten diese transzendenten Wesen. Jedes Mal, wenn Martin etwas zahlen musste, schien weniger als eine Sekunde zu vergehen, bis die Rechnung oder der Abzug bei ihm ankam. Aber es musste auch diese Anderen geben, wenn er mehr bekommen sollte oder einfach nur normale bürokratische Sachen wie ein Anruf, zehntausend mal die Zeit im Wartezimmer. Diese Theorie basierte auf der puren Hoffnung, dass man jemals auch nur so etwas Ähnliches wie ein normales Gespräch führen konnte, egal in was für einem Büro. Die tatsächliche Bewusstseinsebene war Null, denn den Zustand eines Arbeitsberater konnte man auch als bewusstlos definieren. Das Gespräch lief folgendermaßen: Der Arbeitsberater fragte zuerst nach den Bewerbungen oder besser, wieso man sich nicht dort bewarb, das Versuchsstier antwortete in Standardantworten.
Versuchsstier: Die Firma gibt es nicht mehr, der Gesetzgeber verbietet mir, dort ohne Weiterbildung zu arbeiten, ich kann nicht für einen Job, der nur vier Tage dauert, in ein Hotel ziehen, für das ich selbst zahlen muss, bei diesem Lohn mache ich Miese.
In Martins Fall sah das so aus:
Martin: Das ist mittlerweile ein Baumarkt, ich bin Kfz-Mechaniker, kein Fluggerätemechaniker. Gut, das ist schon mal ein Anfang, von der Insel herunter, gut, das Problem mangelnder Italienischkenntnisse lässt sich mittels Pantomime umgehen, aber wie immer gibt es gute Gründe, wieso die Stelle wahrscheinlich noch offen ist. Trotz der lustigen Grammatik ist erkenntlich, dass man hier wohl kurzfristig einen Arbeiter sucht, der einen anderen ersetzt, der für die Dauer einer Meniskusoperation und den Zeitraum seiner Genesung ausfällt, das heißt für gewöhnlich, man sollte dort in der Gegend wohnen, und mir ist es überhaupt ein Rätsel, wie diese Anzeige nach Rügen kommt.
Man sollte sich stets selbst um seine Bewerbungen kümmern, denn das Amt schickte einem immer nur das, was aus guten Gründen übrig geblieben war. Der wahre Stellenmarkt bestand aus subtilen Informationen, ohne die Bitte nach Arbeitskraft. Man erhielt pro Jahr nur fünfzig Bewerbungen gesponsert, da musste man wählerisch sein.
Der Rest des Gesprächs lief ähnlich ab. Der Arbeitsberater machte einen Vorschlag, entschuldigte sich für etwas, das wohl verschwunden war und fragte nach Informationen, die man ihm bereits gegeben hatte, wobei man feststellte, dass diese wohl verschwunden waren. Beiderseitig wurde versucht, zu verhindern, dass das Amt irgendeine Aufgabe erhielt, natürlich nur, wenn man Glück beim Arbeitsberater hatte.
Arbeitsberater: Das mache ich schon!
Arschkarte, wie die Nachricht „Sie haben Hodenkrebs“. Danach sprach man über die zukünftigen Geschehnisse. „Das mache ich schon“ war kein zukünftiges Ereignis, obwohl die deutsche Sprache etwas anderes behauptete. Anscheinend entwickelte sich hier eine neue Sprache, die man mit dem Hochdeutschen verwechseln konnte.
Das Merkwürdigste war das Wort „wollen“. Es konnte nur benutzt werden, wenn man, für einen Hartz-IV-Empfänger mochte das eventuell etwas viel sein, mehr als eine Möglichkeit zur Auswahl hatte. Beispielsweise: „Ich möchte diese Stelle“ und „Ich möchte diese Stelle nicht“. Irgendwie waren die Sanktionen, die man bei Ablehnung einer Stelle erlitt, in dem Satz „Wollen Sie dieses Praktikum machen?“ unauffindbar. OK, ein bisschen schwer, es handelte sich auch um Quantenphysik, für den Arbeitsberater existierte diese Option, für Sie nicht. Da und nicht da. Noch zu viel, OK, das Universum hatte nicht vier Dimensionen – Länge, Breite Höhe und Zeit –, sondern elf. Mit Quantenphysik schien sich das Amt wirklich auszukennen. Es musste etwas Ähnliches wie ein Teleporter im Spiel gewesen sein, denn plötzlich fand sich das Versuchstier Martin auf der Straße vor dem Amt wieder, mit einem Zettel in der Hand.
Martin: Reha-Maßnahme, Februar, Stralsund, von der Insel runter, gut.
Aber die Apparatur, die sich vermutlich auf dem Herrenklo befand, denn niemand wollte diese Räumlichkeiten betreten, war noch im Versuchsstadium und hatte eine Sicherheitsvorrichtung, genannt ‚Fahrkostenantrag‘. Eine Prozedur, die so ständig und unumgänglich war, dass man diese mittlerweile automatisiert hatte. Man benötigte einen Beleg vom Arbeitsberater, um an das Geld in diesem Automaten zu kommen. Saß man dem Arbeitsberater noch gegenüber, erinnerte einen niemand an den Fahrtkostenantrag oder fragte, ob man Fahrgeld brauchte. Die ungeheure Anzahl von Worten, die ein Mensch hintereinander weg sagen konnte, ohne dass ein vitales System dahinter steckte, war so faszinierend, dass Martin die Frage fast immer vergaß. Es folgte der zweite Anmarsch. Es gab Leute, die in einem solchen Fall nochmals im Wartebereich Platz nahmen. Herr Bretz hatte zwar eine kleine Macke, aber er wusste, was als nächstes passieren würde, würde er das tun. Ein Bauarbeiter würde ihn darauf hinweisen, dass dieses Gebäude gesprengt würde. Er hatte keine Einladung. Das Positive an der Situation im Büro des Arbeitsberaters war, dass nun sowohl der Arbeitsberater als auch Martin wollten, dass er das Gebäude auf dem schnellsten Weg verließ. Das nächste Versuchstier war nebensächlich. Danach hing die Reha-Maßnahme an ihm wie der Zettel am Zeh.
Das war ein guter Behördengang, runter von der Insel und nicht so wie der, bei dem Martin versuchte, zu erklären, dass ein Pannenhelfer sehr wohl einen Führerschein brauchte.
Die knappe Zeit, bis die Maßnahme begann, wurde mit weiteren Versuchen verbracht. Der wichtigste Versuch war der, eine Ersatzkraft für den Zeitungsjob zu finden. Es sollte eine gute Bekannte machen, Anja. Diese hatte Probleme in der Schule, und eigentlich sollte es auch eine Vertretung sein, die mehr Zeit hatte. Ein Aushang im Supermarkt blieb unbeantwortet und auch die sechs Personen, die Martin auf der Straße gefragt hatte und die zugestimmt hatten und sich am Samstag vor seiner Haustür einfinden sollten, um die komplizierte Strecke erklärt zu bekommen, trafen nie dort ein.
Es war eine Kunst, die schwierigen Regeln des Zeitungsjungen einem Außenstehenden zu vermitteln.
Martin: Also, Anja, wie verläuft die Route?
Anja: Einfach vom ersten äußersten Punkt zum nächsten äußeren Punkt, vom Mittelpunkt aus gesehen, also von außen nach innen, ganz einfach.
Martin: Und wieso machst du das Austragen so?
Anja: Weil der erste Zeitungsjunge das so gemacht hat?
Martin: Fast richtig, er war ein Gelehrter und wollte die Weltwunder besuchen, in der Antike, zu Fuß. Der hat es erfunden und unseren Job leichter gemacht. So, wie wir es machen, ist es immer der kürzeste Weg. Welche Regeln kennst du noch?
Anja: Stets rechts abbiegen, das geht am schnellsten, und das hat UPS erfunden.
Das Erste, was auf der Maßnahme erklärt wurde, war, dass diese trotz schriftlicher Gegenbeweise, die jeder vorzeigen konnte, keine Reha war. Eher eine Arbeitserprobung. Man suchte sich einen Bereich aus, in dem man getestet wurde, und es handelte sich dabei um Idiotentests. Herr Bretz ging in den Bereich Elektronik und Elektrik. Das hatte nichts mit seiner Erfindung zu tun, sondern mit einem anderen, ständig wiederkehrenden Problem. Wenn er irgendwo als Hausmeister arbeitete, musste immer ein Elektriker gerufen werden, wenn es um mehr ging als eine Glühlampe auszutauschen. Er hätte es gekonnt, aber man wollte immer einen vom Fach. Das Kantinenessen war sehr gut. Oh, ein lustiges kommunikatives Problem, wenn man zuerst gesagt bekam, es handele sich um eine Reha-Maßnahme, denn so konnte man sich nicht auf eine mögliche Umschulung vorbereiten.
Am Ende der vierwöchigen Maßnahme hieß es, er sei sprachbegabt und redegehemmt, die Diskussionen mit dem Arbeitsberater hatten ihn im Sprechen geübt. Nicht zur Umschulung geeignet. Es hieß, er sei nicht motiviert.
Nachdem er Anja das Geld für ihre Arbeit gegeben hatte, begab er sich wieder in die Fänge der grinsenden Maschine in seiner Wohnung.
Die Zeitungstour führte mit dem durch das Gewicht der Zeitungen verbeulten Wagen bergauf, bergab. Auf der Runde gab es zwei Blocks, dann noch ein paar Reihenhäuser und der Rest bestand aus 651 weit verteilten Briefkästen. Der Lohn dafür war so gering, dass die Strecke sich nicht rentiert hätte, wäre man sie mit einem Auto abgefahren.
Jeden Morgen lachte die Maschine ihn aus, weil sie keinen Namen hatte.
Seine Möglichkeiten, herauszufinden, worauf sie basierte, waren erschöpft. Die Forschung konnte nicht nur teuer, sondern in Martins Augen auch eine Gefahr für die Menschheit werden.
Martin: Ich muss raus aus der Schwerkraft. Du schwebst luftdicht, hm, aber wenn ich in den Weltraum ziehe, leuchte ich danach wohl im Dunkeln, oder Richard Branson und die anderen haben dich nicht und kommen in den Weltraum.
Mit einem Trick prüfte er die Strahlenschutzfähigkeiten. Nach der Anfertigung eines kleinen Probestückes, viereckig, mit einem dicken, abgerundeten Rand und zur Mitte immer dünner werdend, um zu erfahren, wie viel Strahlung welche Stückstärke abhielt, bis zur Breite eines Quarks, begab er sich mal auf dem linken Bein, mal auf dem rechten Bein hinkend zum Orthopäden. Röntgen. Fragen über Fragen zu Strahlung und Funktionsweise. Dann legte er das kleine Viereck einfach neben den Fuß, für den er sich erst bei der Frage danach entschied. Ein strahlend weißes Viereck.
Martin: Gut.
Arzt: Weichei!
Auch den anderen, immer phantastischer werdenden Eigenschaften seiner Materie ging er auf den Grund. Was teilweise schon manische Zustände im, wie es schien, zukünftigen Milliardär auslöste. Martin arbeitete nicht, er beschäftigte sich gezielt!
Aus irgendeinem Grund, wollte Martin jetzt die Erfindung teilen, ausgerechnet mit einem Mann der bereits Geld hatte, Richard Branson.
Martin: Branson – Bretz, Bretz – Branson.
Wäre Martin verheiratet gewesen, hätte im Ehevertrag wohl gestanden, dass die Gattin die Namen für die Kinder aussucht. Er besuchte ständig die Bibliothek der Berufsschule, um in den Formelsammlungen zu blättern und die Fachliteratur zu studieren. Einen Ausweis besaß Martin nicht, aber so selten, wie dieser Ort besucht wurde, war es am wahrscheinlichsten, dass die Mitarbeiter sich einfach freuten, überhaupt einen Menschen zu sehen. Er lieh sich sogar Software dort aus, nicht die aktuellste zwar, aber die vielseitigste. In neuerer Software kam man nicht so leicht in die Unterprogramme, zu viele Sicherheitsbarrieren. Die neuen Programme wiesen außerdem noch einen Makel auf, sie waren immer nur für bestimmte Maschinen. Die alten Programme sahen schlicht und einfach keinen Unterschied zwischen einem Kühlschrank und einer 250.000 Euro teuren Fräsmaschine. Die, die er brauchte, um zum Beispiel über Satellitenpositionen einen sicheren Flug zu gewährleisten, gab es zum Download bei SETI.
Search for Extraterrestrial Intelligence bot noch einen anderen Service. Um den doch großen Himmel abzusuchen, benötigte man nicht nur Teleskope, sondern auch Computer, die die enorme Datenmenge auswerteten. Die Mädchen und Jungs hatten sich dazu etwas einfallen lassen: Ein jeder, der willens war, konnte seinen PC an das Netz hängen, und damit selbst mittels hochentwickelter Programme, die die Daten der Teleskope vollautomatisch auswerteten, die freundlichen grünen oder grauen Analsondenverteiler suchen.
Martin: Saugi saugi saugi.
Bei diesem Spaß hätte er auch gerne mitgemacht, aber Internet kostete Geld. In dem nur durch Motivation betriebenen Internet-Café, in dem seine Leidensgenossen arbeiteten, wurde mit guter Laune bezahlt. Daher war es unhöflich, länger als eine Viertelstunde zu bleiben. Die Navigation war inzwischen ein kleineres Problem. Alles, was mutmaßlich das Sonnensystem verließ, versah man mit einer Tafel, auf der die Pulsar-Signaturen abgebildet waren. So fanden ALF und ET die Erde.
Die Navigation in der Nähe war also OK, im Sonnensystem selbst war es schwieriger. Glücklicherweise wirkte sich die Schwerkraft auf sein Schiff nicht aus. Es würde immer nur geradeaus fliegen, nicht geostationär oder auf elliptischen Bahnen wie Satelliten. Die Flugbahnen derer zu berechnen, war für jeden seiner Computer eine Sache von Jahren, da sie immer durch verschiedene Kräfte abgelenkt wurden.
Der Sonnenwind und die sowieso vorhandenen Partikel des Alls waren bedeutungslos für das Kurshalten, da sie ebenfalls keine Wirkung irgendeiner Art auf das hatten, was sich Martin da gebastelt hatte. Ein Instrumentenflug, bei dem nur die Strecke aufgezeichnet wurde, die man dann wieder zurückflog, mit ein paar Korrekturen. Die Atemluft sammelte Martin einfach in den Dellen, die geschlossen wurden und verkleinert. Die Schwierigkeiten, die manches Mathematische in sich barg, löste nicht er, sondern ein College seiner Wahl. Bei diesem Wettstreit der Colleges und auch der NASA, die natürlich der Meinung war, sie hätte die Lösungen, gab es natürlich Beanstandungen. Die Aufgaben seien zu leicht!
Mathematiker: Der Bretz ist wieder da. Guck dir das an, zu blöd, der fragt hier doch nach einem Körper mit der kleinstmöglichen Oberfläche.
Hausmeister: Kugel, oder?
Mathematiker: Das schick ich an Princeton, da sind die Bücher so alt, dass die immer noch mit neun Planeten rechnen.
Sir Henry Kaven: Es sollen jetzt wieder elf oder zehn sein, weil Charon sich mit Pluto um dasselbe Schwerkraftzentrum dreht. Der kleine ganz außen ist, glaube ich, zu klein. Der ist jetzt ein Planetoid, wie hieß der noch mal?
Mathematiker: Sedna, nach der Inuit-Göttin.
Sir Henry: Geht mein Antrieb?
Mathematiker: Ja, mit Einschränkungen, es ist technisch schwierig umzusetzen, Kohlefaser-Triebwerke brauchen andere Dichtungen.
Es war mittlerweile Auslegungssache, wie viele Planeten unser Sonnensystem hatte.
Es war beim Mathematischen ein Ding der Unmöglichkeit, dass Martin den Schwierigkeitsgrad änderte oder überhaupt unterscheiden konnte, da für ihn alles gleichermaßen unmöglich aussah. Aber die NASA berechnetet dort etwas Reales. So weil keiner davon wusste, konnte niemand sagen, ob es funktionierte.
Zigaretten, Konserven, Wasser und Kleidung mussten auch noch eingekauft werden.
Martin: Tschüs, Miete.
Neben einem Gerät, das die Fernsehsignale ortete, konstruierte er noch den Raum mit dem einzigen Fenster, vom Rest des Inneren getrennt, das Cockpit. Die Licht und Strahlenmauer forderte ihren Tribut. Auf dem Computer zeichnete sich langsam ein 34 Meter langes Schiff ab. Keine Triebwerke, die normalerweise den größten Platz forderten. Der Überlichtantrieb wäre nach heutigen Maßstäben in frühestens 250 Jahren realisiert, selbst wenn die ganze Welt daran arbeiten würde. Jetzt war nicht mehr drin als vier Fünftel Lichtgeschwindigkeit. Die pessimistischen Schätzungen lagen bei über 1300 Jahren. Blödsinn, das Ego kroch aus seinem Loch, in das es bei den mathematischen Aufgaben geflüchtet war. Er würde die Schwerkraft im Bug so hoch drehen, dass auch die Lichtmauer fällt. Das wäre, als hätte er ein schwarzes Loch vor den Wagen gespannt. Den ganzen Tag schweißtreibendes Training gegen die Erschlaffung des Körpers in der Schwerelosigkeit. Künstliche Schwerkraft stand in seinem Kopf ebenfalls bereits auf dem Patent und war nicht nur Fantasie.
Martin sparte Kraft und sorgte für einen langen Flug ohne interessante Ereignisse. Zeit, seinen Geisteszustand zu überprüfen.
Martin: Was mache ich hier?
Und Zeit, dafür zu sorgen, dass man den desolaten Verstand mit etwas anderem ablenkte. Er nahm jede Art von Unterhaltung, die er finden konnte. Der zu Unrecht eingesperrte Dreyfuss beschäftigte sich mit mathematischen Problemen, dann musste er es nicht tun da es schon jemand anderes machte. Philosophie gut, Mathe schlecht. Dreyfuss war tot, und Mathe wäre wohl sinnvoller.
Wenn er das Maschinchen ausreizen wollte, brauchte er Platz im Raum, nicht nur eine lange Strecke, sondern auch einen unbeobachteten Abschnitt. SETI kontrollierte zwei bis drei Prozent des Himmels. Wenn das Raumschiff nur mit der Schwerkraft der Erde flöge, wäre er schon nach kurzer Zeit hilflos im All und müsste von der ISS gerettet werden, peinlich. Dieser Witz blieb ihm noch eine ganze Zeit lang im Kopf.
Für die Außenwelt machte er für die Dauer des Fluges ein Auslandspraktikum, sechs Monate müssten reichen. Und im Bewusstsein der Tradition nahm er sich eine Plakette mit, wie sie schon auf den Voyager-Sonden angebracht waren. In „Star Trek“ wurde der erste Kontakt durch einen Warp-Flug initiiert, ein solches Ereignis war für Martin nun greifbar.
Der Tag der Abreise war gekommen und Martin war kaum noch zu halten. Da niemand eine Ahnung davon hatte, was er im Begriff war zu tun, überlegte Martin sich, ob er das nur für sich tat und wie viele einen solchen Wahnsinn vor ihm schon gewagt hatten.
Er grübelte bei guter Musik und las dabei ein paar Bücher, die sich nur zum Teil mit diesem Thema befassten. Schlafen konnte er kaum, aber rauchen. Er rauchte Billigzeug, diese Zigarillos für einen Euro pro Packung. Die waren Bückware, dabei dachte man, dass es so etwas nur zu DDR-Zeiten gegeben hatte. Er rauchte eine Schachtel pro Tag, dementsprechend war die zu transportierende Menge. Der ‚Hawazuzie‘ – Handwagen zum Ziehen – war das einzige Transportmittel, das ihm zur Verfügung stand. Erst die Zigaretten zum kleinen Versteck auf der Waldlichtung, in einer Bauminsel, und dann die schwereren Konserven. Beim Beladen stellte Martin einen Backstein unter die Achse des im Supermarkt gekauften Wagens, damit diese, dünn wie ein Zahnstocher, nicht durchbog. Er konnte nicht stehenbleiben, bergauf, bergab, mit dem Backstein in der Hand. Er glaubte, ihn zu brauchen, wenn es ums Ausladen ging. Dem war aber nicht so, da der Wagen in der Wiese der Lichtung versank.
Die namenlose Maschine lief auf schwerelos.
Um 01:15 Uhr nachts wurde das Schiff gebaut. Filigran veränderten sich die einzelnen Bauteile, aber viel zu laut bogen sich die Bleche zum Schiff. Besonders das Vergrößern sorgte für kräftiges Knarzen. Martin hüpfte mit den Händen fuchtelnd umher.
Martin: Pst!
Parallel suchte er bis zwei Uhr morgens die Gegend nach Spionen ab. Das Bunkern der Luft war dann noch geräuschintensiver. Es knarzte wie das Feilen eines zu hoch eingespannten Stücks Plastik. Gleichzeitig belud er das fleckige Schiff. Rot, gelb, blau. Das Schiff hatte beim Wachsen Farbe bekommen.
Einen Konstruktionsfehler bekam Martin beim Beladen zu spüren. Die Sache fiel erst auf, als es bereits zu spät war. 1,5 Sekunden vor dem Aufprall stellte Martin fest, dass die Treppe, die das Beladen des schwebenden Schiffs ermöglichen sollte, zu glatt war. Taunasser Rasen und ein Stück der Treppe, die auf ihn prallten, sorgten nur für einen blauen Fleck und ein paar unauffindbare Konserven. Das war alles, was Martin zunächst übersehen hatte. Schulterzuckend legte er eine Decke über die Stufen und belud das Schiff. Praktischerweise programmierte man zwei Schiffe, eines mit und eines ohne Tür.
Als Martin das Beladen beendet hatte, baute er kurzerhand um.
Martin: Luftdicht.
Gestartet wurde 02:45 Uhr. Martin bevorzugte zum Steuern ein Joypad, keinen Steuerknüppel. Durch die durch die Lichter der Stadt rot ausgeleuchteten Wolken sollte es gehen, so schnell wie möglich. Luftraumüberwachung gab es zwar nicht, aber die Signalfarben Rot und Gelb korrigierten Martins Einschätzung der Sichtbarkeit stark nach oben. Gute Gründe für UFO-Sichtungen. Martin setzte, im Cockpit sitzend, zum Spurt an und jagte sein Schiff durch die beim Näherkommen dunkel werdenden, rötlich glühenden Wolken.
Es folgten Wassermassen. Als die Sterne aufblinkten, bemerkte er, dass die Maschine immer noch keinen Namen besaß. Er befand sich tatsächlich in einem UFO, nur bedeutete es in seinem Fall „unbenanntes fliegendes Objekt“, nicht unbekanntes.
Martin: Schiff ist ein schlechter Name für ein Schiff.
Bei Martins Sinn für Namensgebung war diese Erkenntnis eine gewaltige Leistung.
Martin plante nicht, wieder auf den Boden zurückzukehren. Ein solcher Flug wäre nur in Geschwindigkeiten denkbar, die eine Entdeckung mit sich führen könnten, ohnehin konnte er nicht abschätzen, wie weit der Boden unter ihm lag.
Eine Ausrede des Egos, die Fähigkeiten eines Piloten wurden nicht gemessen an der Geschwindigkeit, sondern eher an Dingen wie der Landung. Entweder dachte er, dass er das schon lernen würde, wahrscheinlich hatte er jedoch gar nicht daran gedacht.
Die Wolken und die Höhe, die er langsam erreichte, schlugen ihn aus jedem Blickfeld. Sein eigenes war etwas eingeschränkt. Aus Gründen der Orientierungslosigkeit wurde der Autopilot eingeschaltet, den er auf der gesamten Reise brauchen würde. Der Plan war, in der Ionosphäre bis zum eigentlichen Startpunkt des langen Geradeausfliegens durch die Blackout-Zone zwischen den Horizonten, Verstecken mit der Luftraumüberwachung zu spielen.
Aber zu was für einem Preis!
Das Cockpitfenster, das einzige Fenster, zeigte die immer gleichen Sterne, einen Teil des Rumpfes und sonst nichts. Martin stellte sich vor, dass etwas durch die Scheibe schoss, Raumschrott. Er hatte bereits geahnt, dass dieser nicht so groß sein würde wie auf den Karten angezeigt. Martins Vorstellung, von einem gefrorenen Brocken Urin abgeschossen zu werden, brachte ihn nicht wirklich zum Lachen. Beim Überprüfen der Instrumente und der Systeme, da er langsam die natürliche Gravitation verließ, blinkten die ersten Sterne auf, die sich bewegten: Satelliten. Nach den ersten Kurskorrekturen durch den Autopiloten entdeckte Martin das Morgengrauen, mehr nicht. Es gab Witze darüber, wie wunderschön sich die Erde vom Orbit aus zeigte. So dicht, wie er davor war, dies zu sehen, war das auch einer. Er hätte gern die Tiefe begriffen, vielleicht, wenn er in die Senkrechte schwenkte …? Auch nicht, er konnte nur das Blau der Atmosphäre wahrnehmen.
Martin: Soll ich mich auf die Konsole legen und es so versuchen?
Aber dann dachte er, bei seinem Glück würde er auf die Schaltfläche kommen und im Bau-Modus zwischen den beiden Schiffen switchen, wenn er den falschen Knopf erwischte. Die Tür wäre da, Martin wäre der erste Mensch, der im Weltraum starb, was für eine Leistung. Das Schiff wäre weg und er würde brennend zur Erde zurückstürzen. Als nächstes sagte Martin, der Weltraumeroberer, schulterzuckend: „Scheiße.“
In der Hagakure, dem Ehrenkodex der Samurai, stand, man soll sich einmal pro Tag seinen eigenen Tod vorstellen. Es sollte immer auf eine andere Art geschehen. Zumindest war es vorstellbar, dass er beim ersten Mal der erste Mensch war, der dachte von Exkrementen abgeschossen wurde. Er hatte wie ein Bushidō eine Doppelschicht hinter sich gebracht. Der selbsternannte Samurai hatte ein neues Hobby.
Martin: Vielleicht werde ich beim Rückflug etwas sehen.
Er starrte auf einen Monitor, der zum Rückflugplan wechselte, überlegte, wie herum sein Schiff fliegen müsste und wo. Martin erkannte, dass er die Erde kurz auf der Tagseite zu Gesicht bekommen würde. Kurz ging gar nicht. Das wäre eine peinliche Sache, wenn sich die Unterhaltung seiner mutmaßlichen Kollegen um den Ausblick drehte, könnte er zu den Astronauten nur sagen: „Da war sie mal kurz.“ Als würde er sein Genital beschreiben. Da will man doch lang sagen und nicht kurz!
Nach der Feststellung, dass die Konsole zu bullig schien, begann er einen achtstündigen Programmier-Marathon, eine richtige Sightseeing-Tour. Er wollte mitreden können. Da war er der erste Überlicht-Astro- oder Kosmonaut und das Tollste bekam er nicht zu Gesicht. Wo die Kontinente lagen, wusste er nicht, also verlief die Route von schräg nach links.
Den Raumschrott und die Satelliten ignorierte er dabei völlig. Um zwölf Uhr mittags machte er ein Schläfchen, nach zwei Stunden aß er eine Dose Ravioli. Er las gute Bücher und hörte dabei Musik von CD in Endlosschleife. Die Routine brach in den namenlosen Schiffskörper ein. Er las Nietzsche, den er nicht mochte, und Konfuzius, mit dem er sich stritt.
Martin: Ein Führer konnte am besten durch sein Vorbild dienen?
Er hatte grundsätzlich etwas gegen Führer und hier sollte wohl eher ein Kaiser Chinas sich benehmen, unter dem Konfuzius lebte.
Martin: Die größte Kraft erhält man, wenn die Gegensätze miteinander arbeiten. Aber wie macht man das? Natürlich, ein Kurzschluss!
Das Computerspielen wurde erst für ihn interessant, wenn er sich ein todsicheres System zum Gewinnen überlegt hatte. Programmierfehler waren eigentlich auch zu genießen. Jeder andere schmiss die Spiele weg, wenn dies zu oft passierte, aber für Martin war es Kleinkunst. Zum Beispiel Boras, der Spinnenkrieger, hatte den schnellsten Schlag, einen Speerhieb. Kein Gegner landete auch nur einen Treffer, weil er immer vorher getroffen wurde. Der machte alles nieder, da konnte angreifen, was wollte, das ganze Spiel bestand darin, sich auf den Boden zu hocken und mit dem Speer zu schlagen. Natürlich begann er auch, über seine Siege zu philosophieren.
Martin: Was nützt der größte Highscore, wenn ihn niemand sieht?
In die Filme, die er sah, kroch er hinein. Bei “Small Soldiers” sang er mit: „War? What is it good for? Absolutely nothing!“
Der Trick mit den zwei verschiedenen Schiffen musste bis zur Gänze ausgelastet werden. Ihm war brachial langweilig. Auf dieselbe Weise setzte er die Heizung unter die Liege, das war schön warm. Der Samurai legte sich dann auf die beheizte Liege, die Heizung bekäme einen Energiestoß und alles, was sich auf der Liege befand, verbrannte zu Asche, fiel durch das Gitter auf die Heizung und seine Füße, die nicht ganz auf der Liege Platz fanden, würden neben der Heizung auf den Sohlen landen.
Er wäre quasi nach dem Tod wiederauferstanden. Es stand die Frage im Raum, ob er der erste gewesen wäre, dem dies passierte. Die Kost war so einseitig, dass der Maître de micro-ondes, der Meister der Mikrowelle, die Mahlzeiten mit Absicht anbrennen ließ und unter anderem Bohnen und Fischsuppe kombinierte, am besten mit gerösteten Zwiebeln, nur um einen anderen Geschmack zu genießen, egal welchen.
Bei der üblichen Kurskontrolle setzte er sich um 16 Uhr in Shorts ins Cockpit. Er suchte einen Namen für sein Schiff.
Martin: PSS – Private Space Ship, da fehlt ein „i“. „Attila“ – nein, nicht nach einem Feldherrn; „Blech“ sagt, was es ist, „Aschenbecher“ zu was es benutzt wird, „Phoenix“ nach Gene Roddenberrys erstem Warpschiff. Die „Enterprise“ wurde ja auch nach einem realen Schiff benannt, aber da ist ja noch das Shuttle, das nie im Weltraum war. Die Amis haben einfach die „Star Trek“-Ideologie genutzt. Ich nutze doch keine Ideologie!
Er spielte mit dem Gedanken, sich in „Kapitän Kirk“ umzubenennen, als plötzlich ein hellbrauner Blitz erschien, dann nicht mehr, innerhalb von einer halben Sekunde. Als hätte der Vorführer im Kino die Weichstellung der Linse vergessen und dadurch sah man jedes Brandloch beim Rollenwechsel. So drehte er sich blitzschnell um und erstarrte, mit einem Lächeln, weil das Gesicht gefror, und großen Augen zwanzig bis dreißig Sekunden zur Schleuse, die das Cockpit mit Wohnkammer verband. Schockgefrostete Gedanken, die erst auftauen mussten. Jetzt fingen die Gedanken an, die Situation zu beurteilen, dazu waren sie da. Asteroid, möglich, er wäre ausgeleuchtet von der Sonne, die sich im Rücken befand. Eigentlich war die Wahrscheinlichkeit zu gering. Er flog nicht durch die Planetenscheibe und den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Der Kuipergürtel war also weit entfernt oder die Oort'sche Wolke am Rande des Sonnensystems. Fehlfunktion, keine Ahnung, was transparentes Blech so auf die Dauer machte. Es hätte nur etwas für das Material typisches sein können.
Degradiert vom Groß-Kirk zum Kleinpassagier, strich er sich die Haare aus dem Gesicht. Wie oft wurde so was übersehen? Martin war zum in die Leere starren abkommandiert. Eigentlich bewegten sich alle Asteroiden auf einer Bahn. Stand dieser einfach da, auch beim Rückflug?
Die Aussicht beim Rückflug sah etwas anders aus. Der Asteroid würde nicht angestrahlt werden, wäre also ein schwarzer Punkt im schwarzen Weltraum. Er hatte sich aus zwei Gründen gegen den Flug durch die Planetenscheibe entschieden. Erstens, weil buchstäblich jeder die Planetenscheibe beobachtete, und zweitens aufgrund des interstellaren Krieges.
In der Schule bestand das Sonnensystem noch aus neun Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, und Pluto, dann kam etwas später Charon dazu und dann noch Sedna, also elf. Wir hatten zwei zusätzliche Planeten erobert. Dann waren es nur acht. Wir verloren, gegen wen auch immer. Da wollte sich Martin nicht einmischen. Mit den Zusatzschichten im Cockpit raste das Schiff weiter und Martins Selbstgespräche wurden immer lauter.
Martin: Stell dir mal vor, es kommt jemand zu Besuch, du stinkst, du brauchst ein Bad.
Für den Standard-Astronauten war ein Bad eine Utopie, obwohl er den halben Tag trainierte. Martin schuf sich Abhilfe. Er konstruierte eine Badewanne. Nach dem täglichen Sternbildergucken schuf der Designer nicht nur eine einfache Badewanne, ein in der Wand steckendes Blech mit einer einseitigen Delle, die mit einem ständig die Farbe ändernden Wasserersatz gefüllt war und von einem Röhrenrahmen umschlossen. Das Blech, das er dazu brauchte, war winzig und stammte von einer Dose.
Ein Gedankenspiel war es, sich die verschiedenen Möglichkeiten des Ertrinkens vorzustellen, auch dass die Pseudo-Flüssigkeit plötzlich vom flüssigen in den festen Aggregatzustand wechselte oder ihm einen tödlichen Stromschlag verpasste.
Aber unvorsichtig war der Seepferdchen-Inhaber nicht. Das Tool, das er programmierte, um den Luftdruck zu regulieren wenn er das Schiffsvolumen änderte, war der Beweis dafür, sonst drohte ja die Taucherkrankheit. „Ahoi“, schrie er, als das kaum nützende Programm startete. Als Martin dann das lauwarme Blütenmeer der Wanne betrachtete, stellte sich erneut die Frage nach dem Namen der Maschine. Diese zu beantworten war ja der eigentliche Grund für die Reise. Eine Drohne, mit allen Messinstrumenten, die dazu notwendig sein müssten, sie sollte den Test von außen beobachten. Ein Problem, sie würde langsamer sein als das Schiff.
Martin: Noch zwei Wochen bis zum Testgelände.
Er kontrollierte dabei den Boden.
Martin: Sie muss gut sein, viel Planung.
Mit höher gerichtetem Blick:
Martin: Ein Meisterwerk!
In einer aufwärts gerichteten Bewegung des Kinns:
Martin: Eine totale Überkonstruktion!
Lustvoll lächelnd und gleichzeitig kopfschüttelnd ging er an die Arbeit. Es gab einen minimalistischen Entwurf, eine quadratische Platte mit einem Loch, in einer der Ecken rot und schwarz gefärbt. Einen Entwurf inspirierte das HAL’s Auge aus „2001 – Odyssee im Weltraum“, in der Mitte eben das rote Auge und der Abstand vom Augenrand bis zum Rand der Sphäre, die wieder bunt war, entsprach dem Augendurchmesser. Oder auch wie ein Urzeit-Krebs, nur ohne Schwanz, das stand auch auf der Liste der Möglichkeiten. Die Sphäre hatte die größte Sensorenfläche.
Er addierte zusätzlich noch einen CD-Spieler mit Beethovens 9. Sinfonie dazu, um einen Eichpunkt für die Sensoren zu erhalten, da man an der Stelle, an der man das Lied empfing, durch ein Programm die Entfernung berechnen konnte. Und die Platte sollte einen durch ein Stäbchen verbundenen Ring besitzen.
Sie war so etwas größer als ein Fußball, 29,4 Zentimeter im Durchmesser, ein Computer, so leistungsstark wie der des Schiffes.
Der Bremsweg des Schiffes war so lang, dass es einen halben Tag dauerte, das Schiff zu stoppen. Beim Beginn des Manövers setzte sich Martin in die Zelle, die er viermal am Tag besuchte.
Martin: Die Verschiebung des Lichts vom Blauen ins Rote muss man bestimmt sehen können.
Der Geschwindigkeitsmesser des Schiffes arbeitete auf Basis der Spektral-Verschiebung und von jetzt an bis ans Ende der Zeit würde Martin sagen, genau diese habe ich gesehen, nun ja, ich nicht. Nach einer langen Nacht, seine Muskeln zuckten schon, so angespannt war er, stand das Schiff. Wie geplant wurden die Farben des Schiffes unter Zuhilfenahme der Sonde gemustert. Er hatte es bis jetzt nur nachts von außen gesehen. Geflammte und gefladerte Flecken, symmetrisch, also steckte ein System dahinter. Das letztendlich weiße Licht der Sonde brach sich bläulich. Beschädigungen durch den hellbraunen Blitz gab es keine. Da HAL’s Auge in „2001“ rot glühte, wurde die Farbe des Auges wieder geändert, ins gleiche Rot.
Bloße Sturheit und zehn Minuten Zeit brachten dann ein rotschwarzes Bild zum Erscheinen, das weit weniger brillant wirkte als das Bild des weißen Auges. Es folgten weitere zehn Minuten, in der die Farbe wieder geändert und das Schiff wurde durchkontrolliert, sogar abgemessen, von innen und außen.
Die Schwerkraft, die vor den Bug gespannt war, ging hoch und das Schiff setzte sich in Bewegung. Die Lichtmauer wurde gebrochen. Er stellte sich vor, das auf dem Bett, eine Strahlenwand durch den Raum fegte und ihn grillte. Oder das Schiff hielt den physikalischen Belastungen nicht stand und er fegte mit Überlicht und in Unterhosen durch das unendliche All.
Es könnte auch einfach sein, dass er sich in Flüssigkeit auflöste. Der Samurai schob Überschichten. Oder, oder, oder … er krepierte am laufenden Band. Alles, was nur den leisesten Hauch einer Gefahr bedeutete, verschwand. Nach einer Packung Tortilla Chips, die, mehr geplant als gewollt genau wie alles andere Gefährliche verschwanden, hatte Martin alles getan, was getan werden konnte. Leider war alles erledigt.
Martin: Wir schlafen noch darüber.
Mut trug den Atem. Das Unternehmen war einfach: so lange den Beschleunigungsknopf drücken bis Warp erreicht wurde oder bis das Schiff nicht mehr schneller wurde. Mit all der Kompetenz, die ihm zu Verfügung stand, drückte er den Knopf.
Jetzt konnte auch er die Spektralverschiebung sehen, wie das Licht sich spaltete und Punkte zu Streifen wurden. Martins Kopf suchte hektisch die Armaturen nach Informationen ab, Farbe wurde zu schwarzweiß, das Schiff bekam überall transparente Flecken und Löcher, die mehr All hergaben. Diese wurden berührt und dann registriert. Warp 4, erst dann stoppte er das Schiff. Dass es sich scheinbar auflöste, war irgendwie zur Nebensache verkommen. Veni vidi vici, der Tanz der Tänze, beginnend mit einem Schrei.
Martin: Warp 4.
Dass er dabei nicht nachdachte, zeigte der Tanz! Mal springen, mal Hüftschwung und Liegestütze. Vierzig Sekunden dauerte es so, die enorme Anspannung abzubauen, bis er sich wehtat.
Martin: Autsch, ich brauche mehr Platz.
Der Flug selbst dauerte nur wenige Sekunden.
Nach zwei Stunden bekloppt sein folgte die Auswertung, mit Musik. Vom Ritter zum König, thronte er auf dem Monitor und bediente die Tastatur mit den Füßen. Ab und zu wackelte sein Kopf. Die Stimmung schlug um.
Martin: Von 4 auf 0 dauert umgekehrt 30 Prozent länger. Hm, die Startspannung ist gewachsen und dann ging die Leistung rauf. Das endet in einer Kaskadenreaktion.
Die nächsten zehn Tage kam ihm etwa alle halbe Stunde ein „Hä?“ ungläubig aus der Kehle gekrochen, dann war er wieder da, wo er die Überkonstruktion ausgesetzt hatte, am Startpunkt. Rein medizinisch gesehen hätte Martin eigentlich eine Wunde bekommen müssen vom vielen Stirnrunzeln und am Kopf kratzen.
Das Auge wurde ungeduldig eingeschwebt, mehr Daten, mehr Fakten, redete der schon leicht Verwirrte. Beim Rückflug zur Erde wurde der Finger mehrmals erkennend erhoben und blieb oben, tagelang.
Der Wahnsinn, der kam, beschränkte sich auf Theorien. Immer wieder probierte er einen neuen Standpunkt aus und nach dem darauf folgenden Fehlschlag lenkte er sich mit anderen Projekten ab. Ein Pissoir, das einfach nur stank. Ein Wecker, der ohne Unruhe nur laut tickte – nur einen Tag, weil er so laut tickte. Die Ruhe des Weltraums war gewohnt und die Unruhe des Weckers wurde schnell zur Belästigung.
Sein größtes Projekt war ein Raumanzug, der Brustpanzer hatte griechische Züge.
Den rätselhaften Farbcode knackte er übrigens, deshalb war der Anzug knallrot, mühsame Kleinarbeit. Gebaut, aber unfertig, nur zur Ansicht. Das kommentierte er mit „Pyjama“.
Im Ausguck lernte er die Sternbilder der südlichen Hemisphäre kennen. Mensa, Drache und Co. würden ihn im unendlichen Sternenmeer überall wiederfinden. Er hatte das Licht gedimmt, um Asteroiden zu erwischen. Mehr Sterne bedeuteten ebenfalls mehr Lichter, die hinter Asteroiden verschwinden können. Einen Stern verlor er nie aus den Augen, die Sonne, obwohl sie auf keiner Karte stand, jedenfalls nicht so winzig, wie sie dort war.
Martin: Es sind immer die Sterne zu sehen und nie ist es Nacht.
Eigentlich passte er im Wachdienst nur selten wirklich auf. Selbst wenn auf dem Heimweg etwas im Weg gelegen hätte, hätte er es nicht bemerkt. Das Fernseher- und Radiosignal fand er nicht wieder, lag bestimmt an der Nähe zur Sonne, dachte er. Am letzten Tag der Reise stand der Heimkehrer auf und bewunderte die Bewegung der Sterne als die Sightseeing-Tour begann – am leeren Platz, wo eigentlich die Erde hätte sein müssen.
In der Theorie konnten bei höheren Geschwindigkeiten die Dinge für das beschleunigte Objekt oder die Person etwas langsamer ablaufen als das eigentlich der Fall für alles andere war. Die Erde war auf ihrer Umlaufbahn einfach weiter gezogen. Da Martin keinen Entfernungsmesser besaß außer dem Empfänger für Radiosignale, bedeutete das nun Dauerdienst im Cockpit. Eine viertägige Suche begann. Als er es endlich auf eine geostationäre Umlaufbahn geschafft hatte, programmierte er, nach den ganzen komplizierten Kurskorrekturen nörgelnd, eine neue Sightseeing-Tour.
Martin: Wie sich die Sonne in den Meeren und Flüssen spiegelt! Im Fernsehen hat das nicht so geblendet.
Der Ausgeschlafene suchte Deutschland, fand es und drehte noch eine Runde.
Die Faszination lag nicht im Überblick, sondern darin, dass immer etwas Winziges auffiel. Man zoomte völlig automatisch heran, bemerkte der Voyeur.
Martin: Das ist doch ein Anlegesteg, nö, zu groß.
Auf der anderen Seite des Planeten, der Nachtseite, suchte er nach den Lichtern der Großstadt, nichts.
Martin: Die Fotos haben sie bestimmt mit Restlicht gemacht.
Er dämmte wieder das Licht und sah nur schwarz.
Martin: Das ist doch Strand. Ich flieg mal näher heran.
Ohne Licht war eine Nachtlandung undenkbar, tagsüber landen, das gab UFO-Alarm.
Martin: Ich muss nach Radar landen. Start schwierig, Landung noch schwieriger. Das kleine Feld treffe ich so nie. Am Ende lande ich noch in der Stadt, im Haus, im selbstgemachten Krater. Das mit dem Stromsparen nimmt man doch nicht so ernst.
Zweifelnd suchte Martin nach Licht und fand es auch über den USA, oder war es Kanada? Das Schiff stoppte. Mit sehr mulmigem Gefühl startete die Drohne. In der mittleren und unteren Atmosphäre fingen die Strahlensensoren beunruhigende Werte auf. Auf dem Boden waren es dann vier Sv/h im Durchschnitt, unbewohnbar und tödlich.
Ein Fanal kam aus einem amerikanischen Gaskraftwerk. Die Problemdefinition war einfach: Die Vorräte gingen zur Neige, die Menschheit war weg, ganz zu schweigen von der Maschine ohne Namen. Die Lösung: Ein richtig schöner Nervenzusammenbruch. Jedenfalls sah es so aus. In den er in der Wanne badend, kichernd, auf die Erde zu rasend, mit 900 Kilometern pro Stunde abstürzte. Zuckend lag er etwa sechs Stunden in der Wanne. Das Kichern fing an und hörte wieder auf. Zum Schluss kam er auf die Idee, er müsse den Antichrist suchen. So was wie eine rationale Entscheidung gab es nicht, nicht hier im heißen Krater. Als der Tag anbrach, suchte er dann mit dem weißen Auge der Sonde den Antichrist. Es hielt, nicht überraschend, viel aus.
Häuser, Bäume und auch ganze Hügel waren dem irren Raser im Weg. Nach einer Weile stoppte er die unkontrollierbare Drohne, hockte sich in die Ecke und schlief. Danach suchte er demotiviert die zum Großteil entkernten Städte ab. Dort fand er nicht einmal das, was mal Menschen waren.
Autos, sehr neue Autos, in einer Daimler-Filiale fand er drei Modelle, die er noch nicht kannte. Die Gasflamme des Kraftwerks, genauer der dazugehörigen Raffinerie, brannte. Es arbeitete ein bisschen Hoffnung in ihm. Aber die Vorräte, Luft, Wasser wurden bereits rationiert. Die Lösung für diese primären Probleme: Ein Atomschutzbunker aus dem Kalten Krieg.
Der Bunker von NORAD am Cheyenne Mountain war der einzige Martin bekannte, beim Suchen verwendete er gefundene Straßenkarten von 2027. Die Drohne hatte NORAD, die North American Aerospace Defense Command, gefunden, das Schiff wurde aus dem Krater manövriert und die Odyssee begann aufs Neue. Kopfüber flog das Schiff die Straßen ab, da Martin sie sehen musste. Da stand die Mutter der Staus. Der EMP hatte wohl die Elektrik lahmgelegt.
Auf den Wagen war Staub, der radioaktiver war als die eigentlichen Krater. Dort war eine Bewegung in etwas, das aussah wie ein Solarkraftwerk. Daneben lag ein riesiges Gebiet mit flachen Hügeln. Es war ein Friedhof mit vollautomatischem Bestattungsunternehmen. Eine Drohne überprüfte und reparierte das Kraftwerk. Drei Drohnen, Kettenfahrzeuge wie Braunkohlebagger, nur zwei Meter hoch und mit einem schwarzen Chassis gruben die Gräber. Sie trugen die richtige Farbe. Einzelgräber, keine Massengräber, hoben sie aus. Sie spritzten wahrscheinlich Weihwasser auf die Flächen. Später bemerkte Martin noch einen sechsbeinigen, einen Meter zwanzig hohen, zwei Meter dreißig langen Sargträger, wie Martin ihn nannte.
Eine skelettierte Leiche hielt sich an einem fünffingrigen Greifer. Der Sargträger hatte zusätzlich zwei Arme mit dreifarbigen Händen. Die Größe konnte einen Piloten aufnehmen, aber aus dem liegenden Monolithen ragten auf der Oberseite schwarze Kabel, die zum eigentlichen Körper führten. Martin schloss daraus, dass auch dieser Sargträger vollautomatisch war wie die anderen.
Martin: Die Priester haben wohl Lose gezogen, wer nun das Wasser weihen durfte?
Martin schaffte es nicht, sich auf das Geschlecht der Leiche festzulegen.
Martin: Wie viel Bauschutt hat der wohl schon beerdigt?
Er hatte sich einen gewissen Abstand angeeignet. So etwas bräuchte er, um die Vorräte zu transportieren, in einem sicheren Container.
Martin: Wenn der Bunker noch strahlungsfrei ist, schneidere ich mir einfach einen Strahlenanzug aus dem Blech, und bei Schwierigkeiten steuere ich unsere Drohne, die hält. Sie braucht noch Werkzeug. Mit der Drohne aufklären und mit dem Anzug folgen. Am Cheyenne Mountain steht beim NORAD bestimmt eine Reinigungsanlage für Luft und Wasser, und ganz sicher hatten die nur Corned Beef.
Er war kein Freund davon, eher von Frühstücksfleisch, das er scheibenweise ohne Brot genoss.
Martin: Gut, Volltreffer.
Der Bunker am Cheyenne Mountain war der Bunker des Präsidenten, das letzte Hauptquartier der USA, war gut am Volltreffer zu erkennen, auch wenn Martin sonst nichts erkannte. Beim Näherkommen bemerkte er einen blauen Frachtcontainer. Er stand aufgebockt auf sehr massiven Stahlstützen im Krater. Er war also nach dem Treffer aufgestellt worden. Da war noch ein Haufen Aushub und der dazugehörige Schacht. Der Schacht lief im 30-Grad-Winkel nach unten und war durch ein Aluminiumprofil abgestützt. Ein circa sechshundert Meter langer Rettungsversuch. Die Strahlung sank, als die Drohne den Gang im braunen Massiv erkundete. Die Stahlplatten, die das durch den Stahlbeton des Bunkers führende Loch wieder verschlossen, erforderten Werkzeuge für die Drohne.
Martin: Stopp.
Martin griff in den Gedanken ein. Ein Schwerkraftprojektor oder das simple Verkleinern der Stahlplatten durch die namenlose Maschine waren auch Optionen.
Martin: Ich werde dahinter bestimmt auch noch Werkzeuge brauchen.
Bohrer, Säge, Winde, zu schwierig, so viel Zeit habe ich einfach nicht. Ein langweiliger Greifer, Zange, wieso nicht einfach rammen, dann Tunnel zu.
Martin steuerte die Drohne zurück an Bord und entwarf sie größer.
Ein Bohrer war an der Seite starr angebracht. Geplant war, dass die Drohne sich drehte. Er hatte keine Zeit für komplizierte Anbauten, also erhielt die Drohne einen schlichten Werkzeugarm mit einer großen Zange, die als Greifer eingesetzt werden konnte und eine Sägefläche am unbeweglichen Teil der Zange. Dieser, bedenkt man es, schärfste Bohrer der Welt sollte Unterstützung erhalten, einen Franzosen. Das war eine Auslegerklinge zum Schneiden eines Loches, die sich mit dem Bohrer drehte.
Lautlos erfolgte der Startbefehl der Abrissbirne in Drohnenform. Bei den Stahlplatten angekommen, lieferte die Drohne während des Bohrens nicht mehr als das aus gelb-rötlichen Kreisen bestehende Bild eines Spirographen, da die Kamera sich mitdrehte. Der Stahl war drei Zentimeter stark und nur 40 Sekunden im Weg, das auch nur, weil der Werkzeugarm zum ersten Mal benutzt wurde. Wenn ein Bauarbeiter diesen schlechten Schnitt gesehen hätte, hätte Martin die Steuerung wohl abgeben müssen. Er schnitt aus mangelnder Steuererfahrung ständig daneben. Der Drohne machte das nichts aus. Luft, Stahl, wo war denn da der Unterschied? Der Stahl verlor und der Roboter triumphierte.
Der Tunnel war nicht zufällig an dieser Stelle. Es folgte ein Raum mit einer Schleuse. Durch den Stahlbeton drohte plötzlich kurz vor der Schleuse Signalverlust. Der Kurs der Drohne brachte sie zurück ins Schiff, durch die Nebelschwaden, in denen die Stahlplatten noch ihre Positionen verrieten. Einige Fragmente glühten noch.
Martin: Der Anzug wäre jetzt praktisch.
Der Anzug war bis jetzt nur eine rote „RoboCop“-Imitation. In ihm herrschte null Gravitation; unangenehm, wenn man nichts gegessen hatte. Einen Antrieb brauchte er nicht. Dieser war noch auf dem Rückflug eingeplant, nun herrschte Gravitation, aber er besaß schon nützliche Lebenserhaltungssysteme. Normal sollte er sich an die Form der Rüstung anschmiegen, trotz der Fülle der Kurven des menschlichen Körpers. Martin versuchte wirklich verzweifelt, seinen Podex zu vermessen, als er den Anzug zum dritten Mal anprobierte.
Martin: Bin ich Schneider?
Die NASA hatte schließlich einen Artdirector, der die Anzüge entwarf, Raymond Loewy.
Ein Bild wie gemalt, die Arme krumm, weil die Ärmel zu kurz waren. Die Schultern hätten brechen müssen. Die Elastizität von Martins Körper war ein Wunder in Anbetracht der Winzigkeit des Oberteils, im Rücken sagten zwei übereinander liegende Säcke „umarme mich“, das hatte schon was von einem Kamel. Den Beinen ging es schlecht, Blutstau. Der Platz für die Fersen war etwas zu groß bemessen und der Brustpanzer reichte lediglich bis zu den Brustwarzen. Beim vierten Versuch war der Anzug zum Sack geworden, der mittels Draht an den Körper gebunden war. Eine volltransparente Kuppel, ein Goldfischglas, diente als Helm. Neben einer sehr nützlichen Fernsteuerung für die Abrisskugel, gab es oben drauf noch einen schönen Vorrat Luft.
Der Hawazuzie aus der Zeitungsbranche sollte auch wieder ein nützliches Werkzeug sein. Im Dauerlauf preschte er durch den Rettungstunnel. Hätte er dabei gesprochen, hätte es vielleicht eine Ladung Hiroshima-Tschernobyl-Strahlung gegeben. Der Gedanke daran, dass das Gesagte ihn durch Falschatmung langsamer machen würde, verhinderte es.
Mit einer Hand bedeckte er seine Hoden, mit der anderen Hand zog er den Wagen. Das Poltern hörte er nicht. Nachdem er zweimal versucht hatte, die Schleuse zu öffnen, war wieder die Drohne an der Reihe. Fast hätte die ihn umgehauen. Die Kameraansicht des Spielzeugs spiegelte im Helm. Die Schleuse sprang mit einem nur schwach zu hörenden Donnern auf. Durch den Anzug drang nur wenig Schall. Mit einer Taschenlampe schleppte sich der Held mit dem Goldfischglas in den Gang dahinter. Die Luftvorräte hatten Qualitätsmängel, oder er sei eben Marathon und keinen Sprint gewöhnt, tröstete das Ego über sein Ausdauerdefizit hinweg. Die Schleuse wurde geschlossen. Der Lichtschalter besaß die Größe eines Suppentellers. Das Goldfischglas, der Helm, wurde in der nur wenig radioaktiven Umgebung zum Ballast.
Martin: Püh, Höhlenforschen macht jedem Jungen Spaß.
Nach dem Bewundern einer Lachskonserve, die auf den Boden lag:
Martin: Besonders Fremde.
Er nahm sie hoch, roch daran und verzog das neugierige Gesicht.
Martin: Nichts.
Er flaggte sie scheppernd in die Ecke und strich sich die Haare aus dem heißen und feuchten Gesicht.
Martin: Ihr seid schon lange fort und habt alles mitgenommen, nicht wahr?
Schnaufend trat er die Erkundung an.
Martin: La Cucaracha.
Ein Kakerlak bewegte sich auf der rechten Seite auf einem Kabel entlang. Martin hatte seit dem Abflug nicht mehr so eine fließende biologische Bewegung gesehen und überhaupt, wenn Martin spazieren war, entging ihm keine Raupe.
Martin: Die sind weg und du isst die Reste. Hast du mir etwas übrig gelassen?
Neugierig folgte er dem Krabbler, einem zehn Zentimeter großen Exemplar. Beim Gedanken, dass der Käfer ihn zum Essen führte, bekam er tatsächlich Hunger. Das Kabel führte um die Ecke in einen nicht beleuchteten Gang. Blitzen, Donnern und ein Flug gegen die linke Seite. Er rollte sich instinktiv nach hinten. Vor seinen Füßen landeten Splitter. Martin hatte die Beine eingezogen, bevor ihm klar war, dass dort anscheinend ein Maschinengewehr wartete. Das Donnern verhallte im Gang, das Blitzen stoppte.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass im Bunker noch Menschen ausharrten. Martin griff sich an die Seite und schnappte nach Luft. Ein heißer, dumpfer Schmerz zog von seiner linken Niere über den Bauch. Die Augen begannen zu tränen. Vom rechten Oberschenkel kroch ein Schmerz ins Knie. Kein Blut, kein Durchschuss, kontrollierte Martin. Das Öffnen des Anzuges lief unter pulsierenden Schmerzen vollautomatisch ab. Die rechte Hand riss am Kragen und die linke Hand rieb und drückte das Knie und die schmerzende Wade. Gleich würde ein amerikanischer Soldat um die Ecke biegen, dachte der Plünderer.
Martin: Was heißt „unbewaffnet“ auf Englisch? Scheiße! Stopp!
Ihm fiel es nicht ein. Der Gang war dunkel und keine Schritte auszumachen. Hatte der Wachhabende gestoppt?
Bei diesem Gedanken stoppten seine Bewegungen ebenfalls. Er zog weiter am Kragen, um die Schäden zu begutachten. Eine Minute später sah Martin einen roten Strich, der sich von rechts oben nach links unten quer über seinen Bauch abzeichnete. Ein ovaler rot-blau-grüner Fleck markierte das, was mal seine Niere war. Schnell überlegte er, dass das Gewehr, welches da schoss, ziemlich hoch hängen musste, der Winkel der Markierung verriet es. Die Kugel hatte ihn gegen die Wand geworfen. Es blieb aber nicht bei diesem einen Treffer, drei weitere folgten ins Bein, welches sich im Wahrnehmungsbereich des Bewegungsmelders der Kanone befand.
Ein Robotergeschütz, kein Soldat, der schon lange neben ihm gestanden hätte. In seiner angeschlagenen Lage bevorzugte Martin die sitzende Position, um sich mit den Händen vorwärts zu schieben, so wie es Hunde tun, wenn die Analdrüse verstopft war. Der Sack nahm es mit einer kugelsicheren Weste auf, nur Striemen, keine Knochenbrüche.
Es verbrannten fünf Zigaretten, weil der Angeschlagene nicht aufstehen konnte. Die Bewegungen entwickelten sich weiter zum Vierfüßlergang eines Hundes ohne verstopfte Analdrüse, dieser benutzte allerdings nicht die Knie, wie Martin es tat.
Er ging so zur Drohne, die jetzt aufklären sollte. Drohnenpilot und Drohne vollbrachten es, die Falle trotz ständiger Feuerstöße von der Decke zu kneifen. Eine Kanone, die an das Gatling-Geschütz, das auf Schiffen der Ticonderoga-Klasse zur Raketenabwehr benutzt wurde, erinnerte. Nachdem das Halbrund von der Decke fiel, klimperte die doch größer eingeschätzte Munition auf den Fluren.
Martin: Helmpflicht.
Er stöhnte immer noch etwas. Ein Kopfschuss, Minen oder Giftgas machten die Operation "ich klau mich satt" nicht gerade schnell. Das ständige Sauerstofftanken des Anzugs, der doch einen zu kleinen Vorrat besaß und keine richtige Anzeige dafür hatte, führte auch zur längeren Exkursion. Mit der Drohne als Scout verlief man sich fast im riesigen Komplex, was wohl der Hauptgrund für den langen Marsch war. Eigentlich hoffte Martin nach der Sache mit der schmerzhaften Alarmanlage auch auf eine Begegnung mit Menschen.
War sie vielleicht zum Selbstschutz angelassen worden, von jemandem, der nicht gerettet werden konnte? Andererseits war Bleiben bei eingeschalteter Alarmanlage ein zu hohes Unfallrisiko. Ein ständiger Schulterblick verhinderte ein Entspannen, noch ließ er eine Methodik beim Aufklären des Bunkers zu, da Martin immer einen bereits besichtigten Raum nochmals kontrollierte. Hinkend durchstreifte er die Wohnräume, wo er einen Kugelschreiber und einen Block Papier entwendete.
Er kartographierte das Minenfeld. Sechs Kanonen folgten der ersten. Die Etage bestand aber nur aus Wohnräumen und Büros, Frischwasser, viele Quartiere hatten Duschen. Strahlungsfrei, das Chlor roch und schmeckte er bedauerlicherweise. Er konnte nicht sicher sein, ob das wirklich als Trinkwasser gedacht war.
Schilder hatten schon früh den Weg zum Aufzug gewiesen, der aber erst fuhr, als Martin das gesamte Stockwerk durchsucht hatte, jeden Raum und jeden Flur mehrmals. Man hatte Zeit. Abwärts, es waren noch drei Stockwerke über diesem. Martin erkannte diese als zum Eingangsbereich gehörend.
Im fünften Stockwerk fand er noch mehr Flure und Räume. Einen Flur fand er ganz besonders gut konstruiert, da sich Panzerschotten schnell hinter und vor ihm schlossen und sonst kein Ausweg wieder heraus führte. Der Allzweckschlüssel in Drohnenform entriegelte den Gang. Martin blieb trotz Metallregen unverletzt.
Die Drohne verformte diese Schotten nicht nur. Sie mussten irgendwie gespannt sein, da die Schrauben, die brachen, mehrere Meter heraussprangen. Schnell waren die Scharniere ausgeschnitten. Dort gab es auch ein richtiges Krankenhäuschen. Röntgen konnte Martin nicht, aber kühlen und verbinden. Im Rollstuhl fuhr man durch die behindertengerechten Räumlichkeiten. Das Hinken hatte ein Ende, das Rollen einen Anfang, dies war dann zwei Stockwerke tiefer praktisch, als dreieckige Nägel durch den Beton schossen.
Martin: Platten.
Er war erschreckt, aber auch nicht überrascht. Das Ausschalten der Fallen, sogar das Auslösen drohte langweilig zu werden, und scheinbar verteidigten sie nur leere Räume. Hinter einer drei Meter hohen Schiebetür verriet die Kantine die Nähe zur hoffentlich großen und vollen Speisekammer.
Martin: It’s Plündertime, gebaut vom amerikanischen Steuerzahler für einen deutschen Hartz-IV-Empfänger!
Trotz leichter Schmerzen kam Freude auf und mittlerweile hatte er nicht mehr nur leichten Hunger. In der Küche fand er dann einen enttäuschend kleinen Schrank mit Gläsern und Konserven.
Martin: Amerikaner leben wohl von Luft und Patriotismus?
Ihm war natürlich klar dass das nicht alles gewesen sein konnte. Aber erstmal gab es eingelegte Zwiebeln und Kochschinken aus der Dose.
Er hätte auch während des übernächsten Öffnens „Sesam öffne dich“ sagen können. Es erinnerte ihn an den Baumarkt mit den biblischen Preisen, also so von der Größe her, zwei Stockwerke mit geschlossenen Kisten und beweglichen Leitern. Ganz vorn waren schon welche aufgebrochen worden. So wenige von den vielen.
Martin: Ihr wart wenige und ihr wart auch nicht lange hier.
Wein, Käse, Schinken und das berühmte Brot aus der Dose. Dieser Raum, Saal, Halle war natürlich größer als der Baumarkt. Er spazierte summend durch die Halle. Ein Champignon-Regal gut voll, eigentlich war es ein einziger Pilz.
Martin: Alles, was die Nahrungskette hergibt.
Anstatt die Vorräte in sein Schiff zu laden, beschloss Martin, seine Tour durch das Bunkersystem fortzusetzen. Er glaubte, dass man sich veränderte, wenn man eine Waffe besaß. Diese These, die er gelesen hatte sollte sich beweisen.
Martin: Du bist die Casa des Big Boss.
So erschien zumindest die Kammer, die er im Zuge der Weitererkundung fand. Die einzigen Zimmer mit Bad, einem Safe und Doppelbett. Auf dem Bett sitzend stellte er fest:
Martin: Hier zusammengebaut, der Teak-Rahmen passt so nicht durch die Tür.
Schön weich war es, ein gutes Nachtquartier, gerade gut genug für den Herrscher des Verlieses. Er beschloss, das Bett anzuwärmen. Es war schon ein wenig kalt, deshalb fuhr die Hand unter das Kopfkissen. Dort wartete eine Baretta auf ihr erstes oder nächstes Opfer. Immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen, kam der Beschluss, ein bisschen mit ihr zu spielen, um den Beweis oder Gegenbeweis der These zu führen. Er zog am Lauf und die Patronen fielen mit Magazin heraus. Hollywood hatte ihm gezeigt, dass man eine Waffe so entsichert. Allerdings hatte Hollywood auch gesagt, dass sich noch eine Kugel im Lauf befand. Also zog er nochmals den Lauf nach hinten, worauf auch die letzte Patrone sich klimpernd zum Rest auf dem Boden gesellte. Was er im Independent Kino lernte? Auch die Fähigkeit des Lesens des Englischen war ihm eigen. Martin verstand die Worte „Lock“ und „Unlock“, die auf der schwarzen Pistole bei genauerer Begutachtung unter einem kleinen Hebel zu lesen waren. Er versuchte, die Wand mit dem schwergängigen Hahn zu bestrafen. Martin legte beide Hände so an, dass beim Betätigen des Abzuges durch den mit Wucht ausgerasteten Hahn Fleisch vom Daumen abgehobelt wurde.
Martin wandte sich der Krankenstation zu und stahl sich ein Pflaster. Er verkostete eine Flasche trockenen kalifornischen Rotweins. Der Inhalt der Flasche verwandelte sich binnen sieben Minuten in Urin. Mit einem angenehmen Alkoholpegel, gut zugeschüttet, drehte sich der Head of State im Bett – weil so gewohnt – auf die falsche Seite.
Das Wasser, das Martin nach dem Aufwachen trank, bekam die Note „möglicherweise giftig“. Das schmatzende Gesicht im Spiegel teilte mit, dass der Kaffee mit saurer Milch möglicherweise besser schmeckte. Kellner – Frühstück, Kippen und Kaffee! Wobei die Zigaretten langsam einer Stange Luft wichen. Beim Blick in die fast leere Schachtel:
Martin: Ich muss wieder nach oben.
Der Geschmack des restlichen Kaffees konnte mit der Zigarette nicht überdeckt werden, also blieb er stehen. Wieder auf Erkundungstour, wurden sechs Aquarien inspiziert, riesige Kästen mit 1,20 Meter hohen Scheiben.
Martin: Fische!
Die gab es allerdings nicht, wenn sie niemand fütterte. Das automatische Licht ließ dann aber doch kleine Welse erkennen.
Trotz unvollendeter Kartographie schleppte Martin einen Teil der Vorräte mit einem Wäschewagen nach oben. Die Zigaretten waren wichtiger als alle Neugier und Akribie.
Nach schnellem Umladen auf den Bollerwagen spurtete Martin durch die Todeszone, den Rettungsgang aufwärts – und nicht einmal ein Brecheisen hätte die verletzte Hand vom Hoden entfernen können – zum Schiff zurück. Nach den schweißtreibenden sechshundert Metern aufwärts erwartete ihn der Schiffsgeruch. Zigaretten rauchend kam Martin eine neue Konstruktion in den Kopf. Der Spurt zum Schiff war zu anstrengend, und die Zeit in der radioaktiven Hölle sollte auf null reduziert werden. Dem Anzug vertraute Martin nur wenig, darum sollte die Hülle des Schiffes bis zur Schleuse verlängert werden. Auch das erneute Luftbunkern vereinfachte sich so. Der so entstehende Gang, durch den die Luft angesaugt werden sollte, machte die Erforschung des gesamten Komplexes nötig, auch und besonders der oberen Stockwerke.
Hier war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass auch bei meterdicken Bunkerwänden ein Loch entstanden war. Das Absaugen der Atemluft aus dem Bunker hätte einen Unterdruck erzeugt, welcher sich durch ein Loch zur Außenluft mit kontaminierter Luft ausgeglichen hätte. Martin war sich ziemlich sicher, dass es im Belüftungssystem einen Schutzmechanismus geben müsste, aber genauso sicher war, dass die Konstrukteure nicht damit gerechnet hatten, dass ein Unterdruck entstand.
Die Drohne kontrollierte den Bunker erst von oben, um Einstürze oder auch nur kleinste Löcher zu finden, speziell die Stellen, wo das Braun des Bergmassivs über dem Bunker dem Grau des Stahlbetons wich. Eigentlich war kontaminierte Luft nicht so gefährlich, sondern eher der Staub in ihr. Der Gang zur Schleuse machte den Wettlauf mit dem Hodenkrebs überflüssig. Die Fortsetzung der Erkundung stand an, das Luftbunkern musste aufgeschoben werden, da die oberen Stockwerke noch besichtigt werden mussten.
Als sich die Türen des Fahrstuhls öffneten, befand Martin sich plötzlich auf dem Trampelpfad der Touristen und entdeckte im Souvenir-Shop gute Karten, die nicht wirklich mit den Karten übereinstimmten, die Martin selbst gezeichnet hatte. Offensichtlich war der Bunker dort kleiner, die Schleuse gab es nicht und die Kantine war auf dem Touristenführer nicht einmal ein Viertel so geräumig
Martin: Ich bin also über zwei Stunden durch massiven Fels marschiert?
Willkommen in Amerika.
Der Führer des Führerbunkers führte allerdings sicher durch diese Etagen und auch den Kommandostand, der sich besichtigen ließ.
Zwei riesige Monitore waren sehr schnell betriebsbereit. Der Schalter konnte nicht übersehen werden. Ein Programm lief vollautomatisch. Es zeigte die letzte strategische Lage, Russland hatte es kaum erwischt. China dagegen würde wohl nie wieder das alte sein. Die Amis hatten angefangen, anscheinend nicht grundlos. Sie schossen auf China, und danach tat es auch jeder andere. Moderne Raketen flogen hoch, zu tief, waren rein fiktiv oder gleich unsichtbar.
Martin: Das werden wohl Täuschkörper gewesen sein.
Russland schoss zwei Tage später auf Afrika. Nach dem eigentlichen Krieg?
Brasilien war Atommacht.
Viele Raketen wurden abgefangen, detonierten allerdings in der Atmosphäre.
Martin: Hatten die nicht normalerweise die Detonation vorher verhindert?
Danach wurden zumindest zwei amerikanische Flotten mit Langstreckenraketen versenkt. Sogar Gefechte an den Polen gab es. Eine andere Karte sah noch wichtiger aus, danach war Sibirien passierbar, Tasmanien OK, Australien nicht. In Kanada und an den Polen konnte man anfangen, nach dem Rest der Menschheit zu suchen. Aber diese Karte war nicht aktuell. Jede Menge Satelliten waren theoretisch noch einsatzfähig.
Martin: Ich möchte wetten, die finden auch Bunker.
Das konnte sein Schiff nicht. Das Problem daran war, dass die Antennenanlage des Bunkers atomisiert worden war. Diese Nachrichten waren über unterirdische Leitungen von verschiedenen Bunkern auf dem Land gekommen. Die Positionen jener Anlagen waren nirgends verzeichnet. Diese Frage konnte nur ein riesiger Klotz namens Seneca, nach dem Indianerstamm benannt, beantworten. Seneca war ein Kampfcomputer, ein Supercomputer.
Martin begriff nur langsam seinen Zweck, viele lange englische Wörter behinderten ihn. Viele Pläne, auffallend viele Pläne, wahrscheinlich zum Reparieren, sollten Licht ins Dunkel bringen.
Martin: Quantum Matrix Ordinator.
Ein scheinbar ganz und gar nicht primitiver Quantencomputer. Er war nicht wirklich ein Kampfcomputer.
Lächelnd übersetzte sich Martin nochmals den Grund für den 204 Milliarden Dollar teuren Bau. In dieser Zeit war der Geheimdienst anscheinend etwas überfordert; superparanoide Theorien aufgrund von zu vielen Schätzungen, Vermutungen und Informationen. Auch Werbung wurde von der CIA aufs Korn genommen. So schlussfolgerte man aus dem Aussehen eines neuen Spielzeuges, dass Mali heimlich einen eigenen Panzer entwickelte. Nur aus der Form!
Martin: Gute Arbeit!
Aber was das Ding noch alles können sollte! Daten in sofortige Angriffs- und Verteidigungsempfehlungen umwandeln, riesige Informationsmengen schnell bewältigen, Desinformationen ausfindig machen, feindliche Bewegungen vorausahnen, also logische Züge eines ganzen Staates und einer Armee, sich selbsttätig Informationen beschaffen, Anpassungen aller Art und Truppenbewegungen koordinieren. Darüber hinaus fraß er noch eine Menge Energie. NORADs Anlage wurde schließlich von einem kleinen Atomkraftwerk betrieben, wahrscheinlich Senecas Schuld. Er war noch nicht völlig betriebsbereit und arbeitete trotzdem, weil Ingenieure oder Informatiker alles überbrückten, was fehlte. Die Teile waren in verschiedenen Stützpunkten und Laboratorien.
Martin: Den bau ich ein.
Dieser Computer war für einen Hartz-IV-Empfänger einfach viel zu teuer, um ihn verkommen zu lassen. Seneca könnte seiner Maschine einen Namen geben, Satelliten steuern, um Menschen zu finden, und die Drohne lenken. Denn eine KI wie aus Terminator war das nicht, Seneca bekam einen Aufgabenbereich und organisierte ihn selbständig. Der Bastelfreak fing an zu träumen.
Martin: Ein vollautomatisches Bauprogramm.
Theoretisch möglich, er würde zwar nicht immer das erhalten, was er wollte, aber es würde seinen Zweck erfüllen. Erst einmal mussten die fehlenden Teile ausfindig gemacht werden, das Überbrücken war nicht akzeptabel.
Die Pläne im Bunker mussten kopiert und umgesetzt werden, denn die teilverschlüsselte Version bot nur wenige Anwendungen. Es war in Berichten festgehalten worden, dass die Verschlüsselung das Letzte war, was diese Maschine erlebte. Sie hatte ohne diese ihre Aufgaben zur Zufriedenheit aller erledigt, welche das waren, war allerdings geheim. Das Praktischste war, dass alle Pläne auf militärischen Datenspeichern gespeichert waren. Nach dem Bau eines Lesegerätes für diese und dem Umschreiben der leicht veränderbaren Holzbearbeitungsprogrammen übertrug man die Pläne beschwerdefrei auf den Computer des Schiffes.
Der Gedanke, jede Kleinigkeit der Pläne von Hand in die Maschine ohne Namen einzugeben war so unangenehm, dass alles automatisiert wurde. Ein weiterer Grund war, dass Fehler ausblieben, bis auf jene, die sich ergaben, weil man die Pläne in der falschen Reihenfolge überspielte. In den langen Perioden des Ladens und Umsetzens dachte Martin an den Krieg. Es war nicht herauszufinden, wieso er begonnen hatte, der Computer hatte keine Kontrolle über die Waffen. Alle taten ja irgendwie das Gleiche. Vor der Schlacht lagen die zwei später mit Langstreckenraketen versenkten Flotten vor Japan. War das nicht verdächtig? Viele Mutmaßungen, es war wie ein Krimi, bei dem keine Schulterblicke aufkamen. Martin gewöhnte sich so an die neuen Räume mit der neuen Einsamkeit.
Die Systeme des Bunkers sollten wieder anspringen, vollständig, da man so die verbliebenen Antennen aufspüren konnte, die zur Satellitensteuerung dienen konnten. Martin war in dieser Zeit gut beschäftigt. Der Computer erforderte eine Vergrößerung des Schiffs, nicht nur, damit der Klotz überhaupt hineinpasste, sondern auch, damit genügend Energie erzeugt wurde. Martin war mit der Zeit dahinter gekommen, dass ein größeres Schiff eine höhere Spannung lieferte, aber die wirkliche Macht seiner Entdeckungen zu erkennen war keinesfalls Martins Stärke. Er hatte fast alles ins Feld geführt, um dies zu tun: Dunkle Materie und Punktsingularitäts-Projektoren, also künstliche schwarze Löcher, Materie-Kollabierer, erfolglos. Da die Unterhaltung fehlte, streichelte er die Fische und jagte Kakerlaken, da das Heimkino mit den Plänen des hochkomplizierten Seneca ausgelastet war. Er wurde richtig heimisch, von dem anfänglichen Überlebensinstinkt war er ja nicht getrieben.
Die Arbeiten an einer ovalen Drohne gingen trotzdem schnell voran. Sie sollte sich nur zur Antenne entfalten und das von den Chinesen atomisierte Exemplar ersetzen. Er lief zur Stelle, an der der Antennenmast stehen sollte, und war scheinbar jetzt auch an die Strecken durch die Todeszone gewohnt, da Martin die Sonde mit beiden Händen trug. Mulmig war ihm trotzdem. Es war schön, wie das blaue Ei zur Antenne wurde, noch schöner war es, wie nach dem Anschließen der Anlage die Bildschirme auf der Kommandoebene die Satellitenpositionen anzeigten. KAP, SAR 6 und das uralte SAR-Lupe-System waren sein. Martin brauchte Seneca, um sie zu steuern, aber es war schön, dass sie überhaupt noch funktionierten. Sie hatten eine beeindruckende Leistungsfähigkeit.
Kaum wurde nach Seneca verlangt, stellte das Bauprogramm die Arbeit ein und die Zeit der Ruhe war vorbei.
Eine Schrift auf dem Bildschirm meldete sich.
Seneca: Reparaturprogramme fehlen, System arbeitet nicht optimal, Optimierungsprogramme fehlen.
Herr Bretz wurde regelrecht zum Angestellten des Computersystems, das einfach nur nervte. Bedienen ließ es sich kaum. Offenbar hatte der Bauplan ein Eigenleben, der Bedienfehler verhindern sollte, und Martin hatte nur die Teile kopiert, die nervten, alles andere schien zu fehlen.
Das einzig Positive daran war, dass die Orte und die genaue Beschreibung der Baugruppen gleich mit angegeben wurden. Sie mussten nur noch abgeholt werden. Seneca hatte acht Prozent seiner Leistung, wenn er abgeschaltet war, und er bediente bereits alles, was Martin aufbot und optimierte es natürlich. Fließend Wasser und Luftfilter, Aquarienfutter und Küche mit Gasherd. Auch die Drohne steuerte er.
Neun Tage, und der schwebende Palast war fertig. Die ständigen Fehlermeldungen konnten auch nicht länger ignoriert werden, irgendwie bestand der Großteil der Arbeit des Angestellten aus dem Klicken des OK-Buttons.
Das Schiff erhob sich, um sämtliche Stützpunkte und Labors abzufliegen, da Seneca und Martin beide Dauernörgler waren.
Im neutronisierten und halb abgebrannten Miami wartete ein neuronales Interface, mit welchem sofort geübt wurde. Informatiker würden auf Extremitäten verzichten für eine solche direkte Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.
Martin: Nie wieder tippen!
Er war mittlerweile zwar schon besser geworden, allerdings war das nur die Verbesserung vom System Adler – zweimal gucken, einmal hacken, zum Zweifingersuchsystem.
So träumte er, es hätte ausgedient. Robotik und Kybernetikprogramme überspielte man zusätzlich.
Martin: Rennen besteht aus sich so weit wie möglich nach vorne lehnen, ohne umzufallen, lustig!
Hier kam auch der Gedanke auf, Seneca zum Robo-Butler aufzurüsten, als er den Robo-Koch so betrachtete. Diese und weitere Arbeitsgerätschaften fanden sich im Nebengebäude, das kein Dach mehr hatte.
Martin: 8250 Rezepte, der E-Koch?
Beim Betrachten der Pläne und der dreiarmigen Tonne wurde ohne nachzudenken geklaut. Auf der großen Einkaufstour gab es noch jede Menge Mist, der mit musste. Die nächste Station war Sun City, dort warteten unglaublich nutzlose Anti-Viren-Programme, die Seneca verlangte, um gegen Computerangriffe gewappnet zu sein, von wem sie auch immer kommen mochten. Ein Fehler-Bildschirm weniger. Las Vegas traf man viermal.
Martin: Man, muss der Strip geleuchtet haben.
Auf dem Forschungsgelände befand sich der Quanten-Teleporter. Das war leider kein Gerät wie aus „Star Trek“, das Menschen von A nach B transportierte. Also Schiff A zu Bunker B, ohne die Todeszone zu besuchen, wo man nicht länger bleiben wollte, und außerdem schämte sich Herr Bretz ständig vor dem Computer bei der Hodenkontrolle.
Er teleportierte Quanten, die kleiner waren als Hoden. So wurden Informationen verschlüsselt und sicher übertragen, ohne auf Strecke C zu sein, die man abhören konnte. Las Vegas bot neben dem Strip noch Astrophysik auf dem Stand der Zukunft. Die Theorie, dass hinter einem Ereignishorizont nur eine bestimmte Anzahl von Ereignissen stattfand, war völlig neu für Martin.
Dass hieß, man flog in ein solches schwarzes Loch, passierte eine bestimmte Anzahl von Ereignissen, flog zurück und passierte eine geringere Anzahl von Ereignissen. Aber Martin wusste nicht einmal, was ein Ereignis eigentlich war.
Tachyonen wurden immer noch gesucht.
Angenehm war das Update der Sternenkarte, 53 Prozent waren darauf verzeichnet. Für Seneca gab es neue platzsparende Speicherformate.
Bis auf ein paar Sturm- und Brandschäden war das Forschungsgelände noch in Ordnung, wenn man es mit der Stadt verglich. Zum Frühstück gab es Kryptographie. In Las Vegas befand sich annähernd jede Software, ihre Übersetzung und wie man sie knackte. Seneca knackte einfach alles. Er begann, die Satelliten zu steuern und ihre Zahl zu erhöhen. Illegaler Weise ergänzte Seneca die eigenen Satelliten durch ausländische Systeme und verbesserte ihre Zusammenarbeit durch eine Choreographie. 96 Systeme, von denen nicht alle zu gebrauchen waren. Zum Beispiel ein System, welches den Mond kontrollierte und die dortige Raumstation. Man fragte sich in der Welt der Wissenschaft schon heute, was die Amerikaner dort wollten? Experimente mit Schwerkraft, dazu sind Shuttles und Raumstationen da, und beim Besiedeln von anderen Himmelskörpern war der Mars weitaus wertvoller, da es dort Leben geben könnte, auf dem Mond nicht. Sie waren dort sechs Mal gewesen und hatten das und alles andere geklärt. Senecas Vermutung war, es könnten auf der dunklen Seite des Mondes H-Bomben getestet werden. Das war wahrscheinlich auch zu dieser Zeit illegal, und es wies sonst nichts anderes als der Computer darauf hin.
Die Satelliten hätten eigentlich an den Polen beginnen sollen, aber es trat das Militärische des Computers in den Vordergrund, der nachsah, ob andere noch gefährlich werden könnten. Martin beschloss, das Forschungsgelände mit der Drohne abzusuchen, während Seneca den Sieg feststellte.
Martin: Signal-Teleporter, Wanzen, Viren, nein, militärische Viren, Trojaner, und noch mal Codebrecher, ob die dem Computer schmecken?
Seneca sah sich nebenbei die Liste an und meldete: „Veraltet.“ Es blieb noch reichlich Platz für diese, also kamen auch sie mit.
An der letzten Station dieser Sightseeing-Tour gab es nicht nur Attraktionen, wie beispielsweise zwei Flugzeuge, die präzise nebeneinander abgestürzt waren, sondern auch eine Stadt, oder besser ein Dorf, Lochinas, in dem sich die Protokolle befanden, die eine korrekte Auswertung von Daten erst ermöglichten. Bis jetzt sagte der Computer nicht alles, was er für wahrscheinlich hielt, und dann an anderer Stelle zu viel, vor allem von Dingen, die selbst Martin ausschließen konnte. Diese Protokolle entsprachen am ehesten einem Filter für die unzähligen Theorien.
Diese Dateien waren wie andere auf dem Original im Bunker verschlüsselt, aber betriebsbereit. Martin hatte ein Faible, allerdings nicht die Fähigkeiten für Programme und Betriebssysteme. Die Geschichte zwischen ihm und BIOS war lang und tränenreich. Auch an Seneca wollte Martin herumbasteln, und mit verschlüsselten Dateien klappte das nicht. Neu an dieser Stelle war, dass Martin selbst eine Theorie aufstellen konnte und Seneca die logischen Probleme aufzählte. Für die unzähligen Theorien, die Martin aufstellte, war das eine mehr als nur nützliche Funktion, schon bei der bloßen Anzahl der Möglichkeiten für die Funktionsweise der Maschine. Hardware in Form von Mikrofon und Lautsprecher erlaubten zusätzlich eine direkte Verbindung mit dem Computer und die Illusion von Gesellschaft.
Martin: Seneca, sag: „Guten Morgen, Dave.“
Seneca: Guten Morgen, Dave. Systeme laufen auf 109 Prozent.
Martin: Ha ha, Moment, hab ich dich übertaktet?
Seneca: Negativ. Hardware ist leistungsfähiger als erwartet, schlage parallelen Testlauf vor.
Martin: Hab ich dich gut verkabelt?
Seneca: Registriere keine Zeitabweichung und damit verbundene Strecken von Leitung von Energie, besitze keine Kabel.
Der Bastler baute Seneca mit der Materie, mit der auch das Schiff gebaut wurde, Materie mit merkwürdigen Eigenschaften, gerade in der Energieleitung, aber das System lief.
Martin: Worauf führst du die Leistungssteigerung zurück?
Seneca: Unbekannte Baugruppen, setze Kompatibilitätsprüfung in die Protokolle, Eingabe erforderlich.
Die Stimme mit der abgehackten Redemelodie, die für diese Zeit eigentlich schlecht war, denn bereits 2005 konnten das Computer besser, sorgte die erste Zeit für reichlich Unterhaltung und Beschäftigung für Martin, der sich von Seneca an seine Biologie-Lehrerin erinnert fühlte. Auch sie konnte ein Thema, zum Beispiel wie den weiblichen Orgasmus so trocken aussprechen, dass man dachte, sie lese irgendwo ab. Auf dem Weg zum Führerbunker beantwortete man sich gegenseitig viele Fragen, denn beide wussten offensichtlich nicht genau, wie der Computer eigentlich funktionierte. Seneca musste, um es primitiv zu sagen, eine Hardwareerkennung durchführen, und Martin wollte über alle Funktionen aufgeklärt werden, also Software.
Erst mal wieder bei der NORAD hörte die Fragerei zwar nicht auf, sie wurde aber einseitiger. Nur Martin benutzte den Computer und der Computer hörte auf, Martin zu benutzen.
Martin: Seneca, sind da noch irgendwo Menschen?
Seneca rief eine Liste ab und formulierte eine genauso listenartige Antwort.
Seneca: Nord- und Südpol, Tasmanien.
Seneca: Atlantik, Pazifik, Nordsee, Chinesisches Meer.
Gelistet nach der Wahrscheinlichkeit und nach dem Zeitpunkt der Entdeckung.
Am Meeresboden waren sie. Die See schützte vor der Strahlung und Seneca zeigte eine Unzahl von U-Boot-Routen.
Das Gaskraftwerk und andere standen an der Küste und lieferten Strom. Seneca lenkte Martins Aufmerksamkeit auf einen schwarzen Roboter, der ein australisches Solarkraftwerk instand setzte, indem der Wagen auf Ketten ein gutes Dutzend kleiner blauer hangelnder und fahrender Roboter aussetzte, die dort blieben. Der Bedarf an Energie stieg also. Ihnen ging es gut, denn sie suchten Öl.
Martin: Ein Schiff!
Sagte der an den Monitoren klebende Herr Bretz.
Martin: Seneca, auf Bildschirm vier ist ein Schiff, berechne einen Abfangkurs.
Bevor er den Befehl ausgesprochen hatte, war der Computer fertig damit und wartete, bis der überlegte Widerruf erfolgte.
Martin: Nein, Seneca, sind dort Menschen an Bord?
Seneca: Die Aufbauten, die Strahlung und verschiedene Satellitenwinkel wie Optiken können das weder bestätigen noch widerlegen. Die Empfehlung lautet: 12,4 Minuten warten, bis eine bessere Auswertung, durch besseres Equipment abgeschlossen ist.
Vermute, dass es sich um einen Schiffsumbau zur Verlegung von Kabeln handelt. Kurs und Geschwindigkeit deuten darauf hin, hohe Strahlung spricht gegen die Anwesenheit von Menschen, diese kann aber nicht ausgeschlossen werden, da Aufbauten auch als Strahlenschutz dienen können.
Martin fing erst an, den Computer wirklich zu nutzen, das eben war ein leichter Job, folgendes nicht.
Martin: Welche Gesellschaftsformen kannst du aus den vorliegenden Daten errechnen, Seneca?
Oder anders: Wer hatte den Krieg gewonnen?
Seneca: Datenverkehr, und Verkehr zwischen U-Booten ist unregelmäßig und einfach, einfache Routen, die sich an der Topographie orientieren, das weist auf keine Grenzen hin oder sie werden nicht beachtet, vermutlich ein einfacher Handel.
Martin: Wie meinst du das, Seneca?
Seneca: Handelte es sich um höheren Handel, gäbe es Hauptrouten.
Ein paar Sekunden, die der Rechner leiser surrte und dem geistig unterlegenen Benutzer Zeit ließ, dies zu verstehen und zu verarbeiten, kam die Frage, ob er fortfahren solle.
Martin: Ja, mach das mit den Satelliten auch gleich, Seneca.
Seneca: Ja, einige Bohrinseln weisen auf Sesshaftigkeit hin, Städte oder Kolonien laufen nach erster Schätzung auf eine Anzahl von circa 1,2 Milliarden Menschen hinaus, auf das Nötigste beschränkt, große Werften mit Kommunikationsanlagen und Lichtleiterkabeln an den Polen deuten auf ein unterseeisches Kommunikationsnetz hin, das ohne Antennen arbeitet.
Senecas Empfehlung war, die Kabel und Anlagen zu infiltrieren, um über die Kommandostrukturen informiert zu sein, natürlich nur, wenn man mehr erfahren wollte.
Martin: Gute Idee, Seneca.
Der Computer korrigierte den grübelnden Benutzer.
Seneca: Taktisch, zur Erstellung einer Strategie.
Der Hobbydenker war neugierig auf Senecas Arbeitsweise.
Seneca: Ziehe nie blind in die Schlacht, das ist der halbe Weg, einen Alliierten zu vernichten.
Seneca, der Militär-Poet? Sehr beeindruckend für den Benutzer, aber eigentlich unnütz. Der immer neugieriger werdende Benutzer fragte den Computer nach dem Grund für so eine ungenaue Antwort.
Martin: Wieso sagst du so etwas?
Seneca: Das Wissen des Benutzers muss erhöht werden, sonst droht Ressourcenverschwendung durch Inkompetenz!
Martin: OK!
Martin war leicht beleidigt, aber schließlich handelte es sich bei Seneca um einen Computer, der vom amerikanischen Präsidenten benutzt werden sollte. Martin dachte beim Verzehr eines Frustschokoriegels, der Wissensaustausch muss nur so gegangen sein, in Bezug auf die von Feinden befreite Planetenoberfläche. Der Beschluss, zuerst das Kabel anzuzapfen, wie Seneca es vorschlug, kam schnell. Alles wurde erneut zur Abreise vorbereitet, bis Seneca die Frage stellte, ob eine Entdeckung erwünscht wäre. Martin, nicht der Computer, plante schließlich, mit einem riesigen, inzwischen durch die zahlreichen Veränderungen in Signalfarben gefladerten Raumschiff loszufliegen.
Martin: Nein?
Seneca brauchte nicht einmal zu sagen, dass dies eine blöde Idee sei. Natürlich tat er es trotzdem.
Seneca: Das Vorgehen wäre auch kontraproduktiv.
Eine Packung Zimtspekulatius später nörgelte Martin.
Martin: Was schlägst du vor?
Seneca: Man sollte das Patentamt mit Strom versorgen und dieses nach geeigneten Tarnkappen-Vehikeln durchsuchen, sie konstruieren, testen, und danach der Streitmacht hinzufügen, da man momentan nur Aufklärungsmissionen verantworten kann, und selbst dabei ist der unbekannte technologische Stand der potentiellen Feinde ein hohes Risiko. Da das Baumaterial keine Einschätzungen der Sichtbarkeit erlaubt, schlägt man ein eigenes Vehikel vor, das mit Sicherheit bei einer Entdeckung unbekannt ist.
Martin: Du übertreibst etwas.
Da Martin zugleich die Fähigkeiten des Computers abschätzen wollte, gab er dennoch ein OK. Danach wurde methodisch jedes Patentamt angeflogen und das Wissen heruntergeladen.
Martin: Wir sind nicht die ersten hier.
Beide stellten dies immer wieder fest, hier und dort gab es Einbruchsspuren.
Ein richtiges kleines Tarnkappen-Vehikel gab es nicht, jedenfalls nicht eines, das nur von einer Person bedient werden konnte und gegen die Strahlung schützte. Es musste also ein eigenes Transportmittel her.
Seneca kombinierte all das Wissen und entwarf „Shark“, wie es Martin nannte. Der einzige Grund, wieso der Name gut klang, waren Martins englische Sprachkenntnisse. Er hatte sich nur die gut klingenden Wörter merken können. Ein Rumpf, ähnlich wie ein Ultraleichtflieger, mit Stummelflügeln, in denen sich Radar, Infrarot und Schallzerstreuer befanden, Flossen, die einen energiesparenden Flug ermöglichten, obwohl die Spannungsänderungen kaum von den bordeigenen Sensoren erkannt wurden in den niedrigen Geschwindigkeitsdimensionen, in denen sich Shark bewegte. Es kam Begeisterung auf.
Martin: Gut gemacht, Seneca.
Ein paar Änderungen gab es aufgrund von Martins Bedingungen doch. Ein Joypad statt eines Steuerknüppels, Martin wollte nicht nur Autopilotfliegen und die Shark war auch wieder so sensibel. Ein Handschuhfach für Vorräte, Seneca plante eine Gaußkanone dazu, aber nein, es war kein Abfangjäger. Ein Monitor für das ständige Heckradar, das mangels feindlicher Flugzeuge schlicht nicht gebraucht würde, fiel der Rationalisierung zum Opfer. Zudem baute man den Schleudersitz aus, der Martin ohnehin nur in den Strahlentod katapultiert hätte.
Martin: Shark fertig.
Seneca machte den Sack, der wohl den Höhepunkt aller menschlichen Schneiderkunst darstellte, da er keine Konkurrenz fürchten musste, zum Anzug. Mit Helm war dieser dann schon ansehnlich, angeblich minenfestes Schuhwerk komplettierte das Ensemble.
Martin: Camouflage!
Seneca konnte die Farben dieser Uniform beeinflussen.
Martin: Seneca, geht dieser Trick nicht auch für Shark?
Seneca: Ja, mit Problemen, es würde Shark eventuell für andere Systeme sichtbar machen, da man hierbei das Licht wahrscheinlich nur in eine andere, unbekannte Ebene verschiebt.
Martin: Welche Ebene, Seneca, und wieso ist es wahrscheinlich?
Seneca versuchte zu erklären, allerdings erfolglos. Der Computer wusste bereits mehr über die Maschine als der Namenssucher.
Seneca: Die Farben werden verschoben und nicht entfernt. Da sie nicht verschwinden können, müssen sie in einen Bereich wechseln, den man nicht beobachten kann, eine unbekannte Ebene oder Dimension, die nicht bestimmbar ist, da die Farbe des Baumaterials nach einigen Tests weiß zu sein scheint.
Wenn man etwas mit der namenlosen Maschine baute, war es doch aber bunt, und nicht weiß! Der Computer konnte Martin nur schwer erklären, dass die korrekte Wahrnehmung seiner Erfindung und auch des gesamten Universums eine andere war, als die, die ein Mensch zu haben glaubte. Eine Farbe wie Ultraviolett wurde auch nur als leuchtendes Lila dargestellt und Seneca hatte nichts, mit dem er diese Wahrnehmung vergleichen konnte. Es war, als würde man einem blinden Menschen Farben oder einem Tauben Töne erklären.
Anders gesagt: Das knallrote Auto, das gelb lackiert wurde, hatte seine Farbe nicht verändert.
Martin: Seneca, kann ich nicht unsichtbar zur Testanlage fliegen?
Seneca: Das völlig unsichtbare Fliegen bringt das Problem der Blindheit mit sich, da Sehzellen und Sensoren ebenfalls betroffen wären. Man empfiehlt in diesem Fall, die Augäpfel sichtbar zu lassen.
Martin lächelte und stellte sich vor, wie seine Augäpfel durch das Universum rasten.
Martin: OK, Seneca.
Da die Tests zeitaufwändig schienen, wurde das Schiff, das immer noch keinen Namen hatte, kurzerhand mitgenommen. Sowohl Shark als auch das Schiff wurden von Seneca gesteuert. Beide waren sichtbar.
Da das Infrarot des Radars und sogar das Ultraviolett kaum Werte aufwiesen, war Shark offiziell „stealth“. Um genau zu sein, musste die Shark verändert werden, um überhaupt Werte zu erhalten. Die Antenne hätte auch defekt sein können, und natürlich wurde bei den Tests auch jede Menge Sensoren-Technik annektiert. Per Satellit wurde der genaue Punkt für die Spionageaktion ausgemacht und in nordpolarer Nacht begann die Operation im kleinen Shark. Die Tour war lang und langweilig. Es wurde Reisebingo gespielt, mit Martin als einzigem Teilnehmer.
Martin: Leiche, Ruine, Flugzeug, Kratersee.
Es wurden sich auch lustige Sachen vorgestellt wie zum Beispiel Senecas Vorstellung von einem Unsichtbaren und dessen Scheitern, wie die beiden durch den Himmel streifenden Augäpfel sich mitten in der Luft trennten und dass der abstürzende Augapfel an einer Hauswand zerplatzte oder von Big Foot gefressen wurde, an den man bei der Besichtigung Kanadas automatisch denken musste. Man konnte auch beides kombinieren, das Auge erwischte beim Absturz genau Big Foots Mund, verkeilte sich in seinem Hals und er erstickte daran.
Martin: Seneca, wie sieht ein mutierter Big Foot aus?
Im engen Cockpit kam Bewegungsdrang auf. Es wurde sich an allen erdenklichen Stellen gekratzt und alle Muskeln und Sehnen wurden dabei beansprucht.
Endlich angekommen.
Martin: Pinkelpause!
Martins dabei ausgepackter „Temperaturfühler“ sagte deutlich, dass dies der Nordpol sein musste. Seneca bemerkte auch, dass es dort des Öfteren radioaktiv schneite.
Seneca: In 120 Metern befindet sich eine Hüttensiedlung mit einer großen Werft.
Martin registrierte, dass zu wenige Hütten vorhanden waren, um die große Werft mit Arbeitern zu versorgen, und er fragte sich, ob die Arbeiter im Schnee geschlafen hatten.
Dank Senecas nicht enden wollender Anweisungskanonade kamen die Arbeiten schnell voran und die Anlage war installiert
Seneca: Falsches Kabel, zu früh, erst enteisen!
Auf einem kleinen Bildschirm sah Martin Strickmuster. Kleidung und Mode wurden in der Gesellschaft der Unterwasserüberlebenden selbst entworfen. Fischhäute ließen sich als Lederersatz nur schwer verarbeiten.
Martin: Wie machen die das mit den Schuppen?
Seneca wusste keine Antwort.
Martin entschied sich, etwas fernzusehen.
Martin: Oh, eine Debatte.
Fernsehsprecher: Wir müssen nichts, eine solche Operation ist zu teuer, die Strahlung bleibt mit Sicherheit ein Flachwasserproblem, das ist also die Kernaussage.
Ein Mensch mit einer künstlichen Flosse auf dem Kopf: Sicher werden ab und zu kleine Strahlenmengen zu den Kolonien, im Besonderen im Chinesischen Meer, durchkommen, aber auch die werden durch die Konstruktionen abgeblockt.
Ein Mann mit einem Pullover, der die Brustwarzen entblößte: Es ist bedauerlich, dass gerade die überbevölkerten Regionen über 700 Metern betroffen sind, und selbst wir werden in Zukunft mehr Platz brauchen in Derta.
Die Sachlage wurde erst mit weiterem Zuhören wirklich klar. Die Radioaktivität, so schätzte ein kleiner Kreis von Wissenschaftlern, könnte auf den Grund sinken und die einzelnen Stationen, die man unter Wasser gebaut hatte, verseuchen. Es gab aber auch eine Gegenmeinung von einem weitaus größeren Kreis von Experten.
Experte: Die Bodenerde ist gar nicht kolonisierbar. Sie ist für lange Zeit weg, unerreichbar, und selbst wenn es gelänge, wäre es zu teuer.
Ordinäres Fernsehen, 67 Kanäle weltweit. Seneca stellte eine Antennenanlage auf, um die für Senecas Verhältnisse viel zu langsamen Daten empfangen und verarbeiten zu können. Im eigentlich nicht mehr an das Fernsehen gewöhnten Martin erwachte auf dem Rückflug zu Schiff und Vorräten der Zapper.
Die gute Nachricht war, dass Werbung nicht mehr existierte. Es gab auch kein Geld mehr, nur Lebensmittelmarken, keinen Luxus, keine Arbeitslosigkeit, keine Nachrichten oder besser gesagt, es gab nichts Neues. Lifestyle beschränkte sich auf eine Handvoll Bands, die in ihren Liedern um Essen bettelten. Wenn man einen der Unterseeischen fragen würde, was ein Film ist, würde die Antwort vermutlich lauten: „Das Schmierige auf den Zähnen.“
Viele kleine Stadtstaaten, die die jährlich gewählte Regierung bestimmten. Wenigstens ein wenig Demokratie.
Der Umzug ins Meer ging von Nord- und Südpol aus los. Ein paar Milliarden Menschen schafften es dort hin. Angekommen, begannen sie, an Strahlenkrankheit und Hunger zu sterben. Man beschloss innerhalb der nächsten sechs Jahre, die von radioaktiven Lebensmitteln und Kannibalismus gezeichnet waren, das Meer zu besiedeln. Pilze waren der neue Reis, Kaffee wurde zum Schimpfwort, wieso auch immer.
Diese Gesellschaft kannte das Wort „Rente“ nicht. Ab einem gewissen Alter arbeitete man nur noch am Computer. Tag und Nacht waren aufgehoben, man hatte sich angepasst, das Programm wurde im Zwölf-Stunden-Takt wiederholt. Drohnen bargen Musik, Kunst und vor allem Wissen von der Oberfläche, der Bodenerde. Ein politisches Wort. Über den Atomkrieg sprach man nie. Solch ein Ding erinnerte an die alte Welt, mehr als „Das haben wir nicht gewollt …“ hörte man nicht, hier und da noch „… aber gekonnt“.
Man verbot jeden Handel, da er zu Betrug führen konnte, das war nach wie vor ein Verbrechen. Es wirkte schon recht kommunistisch.
Man hatte keine Ressourcen, um mit den Verbrechen fertig zu werden, also gab es drakonische Strafen. Das größte Problem für Martin blieb der zwölfstündige Arbeitstag. Die Schulen funktionierten zwangsweise, indem es keine Klassen mehr gab. Wer bis zum Ende nicht genug gelernt hatte, erhielt nichts zu tun und nichts zu essen. Offiziell gab es keine Arbeitslosigkeit. Hier wurde in gar seltsamen Gesetzen Mildtätigkeit bestraft, um die Schüler mehr anzuspornen.
Besonders begabte Schüler wurden gefördert und ausgezeichnet. Schlechte Schüler bekamen eine zweite Chance, im Drohnensteuern zum Beispiel. Grauenhaft für den führerscheinlosen Kfz-Mechaniker. Er hatte keine solche spezielle Schulbildung. Er würde weder zu denen gehören, die die Drohnen steuerten, noch zu den Mittelmäßigen, die sie warteten, und schon gar nicht zu den Begabten, die sie bauten oder entwarfen.
Es gab noch andere Arbeiten, aber so in etwa funktionierte das System, in das man hineingeboren sein musste, um mit ihm zufrieden zu sein oder in ihm überleben zu können. Dann wurde plötzlich über das Verschwinden diverser Satelliten diskutiert.
Seneca schaffte es, diesen Fauxpas durch einen kurzen Systemausfall, bedingt durch einen Sonnensturm, zu erklären, obwohl die Satelliten doch eigentlich dagegen geschützt waren. Es hieß dann, jemand hätte eben Mist gebaut, oder Kaffee gekocht, statt aufzupassen.
So langsam erschlossen sich Martin die kulturellen Eigenheiten. Sollte er sich hier anschließen? Er hatte die Zeit, und er hatte die Supertechnologie im Ärmel, aber die Kommunisten würden seine Maschine womöglich einfach beschlagnahmen.
Hier im Schiff ging es ihm gut.
Eine der seltenen Neuigkeiten traf seine Abhöranlage, die Neutronenblocker-Theorie. Dieser Neutronenblocker konnte angeblich Strahlung eliminieren. Das Völkchen entwickelte sich.
Martin: Wenn ich die ganze Zeit hier bleibe, lerne ich niemanden kennen, außer Seneca, der mir alles erklären muss, ganz so als wäre ich der Präsident der Vereinigten Staaten. Aber wenn ich wieder in die Zukunft reise, kann ich mich in die nächste Generation einmischen, die so etwas haben wie Hartz IV, aber ohne Kommunisten. Dann einfach frech eine Familie gründen, und wieder ignoriert werden!
Martin recherchierte über den Neutronen-Stopper. Dieser zog theoretisch jede Form von Bewegungsenergie aus den Neutronen und wandelte sie in Wärme um. Der Trick bestand aus einer Disruptor-Welle im Subraum. Man hätte das auch Hyperraum nennen können, eine der möglichen unbekannten Ebenen, in die die Farben verschwanden. Die Farben konnten dort hin, er konnte dort hin. Es fehlten Informationen.
Martin: Soll ich den Kesino besuchen?
So hieß der Mann, von dem diese Idee stammte. Seneca übersetzte das Fernsehen.
Martin: Kannst du meine Stimme auch übersetzen? Es darf aber keiner bemerken.
Ein Plan zur verspäteten Rettung der Erde wurde geschmiedet.
Martin: Seneca, ich muss Kesino ausquetschen, ohne dass er es bemerkt, und ich muss zu ihm gelangen, ohne dass ein anderer es bemerkt!
Seneca: Man muss die Informationen erhalten, das ist das Ziel. Die vorgeschlagene Lösung des Problems weist Schwächen auf. Kesino hat die Informationen mit Sicherheit auf einem Medium, das nicht ständig von ihm überwacht wird, etwa auf Papier oder, wahrscheinlicher, einem anderen Speicher.
Martin: Etwas Theoretisches?
Martin war es gewohnt, mit seinen Theorien herum zu spinnen ohne sie aufzuschreiben.
Seneca: Theorien basieren meistens auf Fakten, diese sind in bestimmter Weise angeordnet, die passende Theorie ist vorhanden. Den verbleibenden Rest und den Aufbau kann man selbst errechnen. Man schlägt vor, dass diese Suchoperation von Drohnen angesetzt wird. Hier ist die Entdeckungswahrscheinlichkeit weit geringer und sie sind, was das Kopieren der Daten angeht, effektiver.
Im Planungsfieber ließ Martin den Finger nach oben wandern.
Martin: Ist das der Plan, Seneca?
Seneca: Das ist der erste Lösungsvorschlag, um die Informationen zu erhalten, die Kesino über den Neutronen-Stopper besitzt. Darüber hinaus beginnt man, sich Sorgen um den Geisteszustand des Besitzers zu machen. Der Mensch ist ein sehr soziales Lebewesen und die übereilte Entscheidung, Menschen zu treffen, zeigt, dass der Drang nach Geselligkeit eventuell Ihre Entscheidung beeinflusst hat. Wollen Sie darüber reden?
Martin war nicht direkt einsam. Er hatte Arbeit und er hatte Seneca, da aber die Lage allzu asymmetrisch war, zwei gegen ein ganzes Volk, hielt Seneca wohl nur gut überlegte Züge für sinnvoll. Der Tatendrang in Bezug auf die Möglichkeit, die Erde zu retten, schien dem Computer kontraproduktiv. Es war für Martin jedoch eine Arbeit, die ihm gefiel. Er kam sich wie ein Comic-Held vor, und der Wille, Geschichte zu schreiben, war immer noch groß.
Seneca konstruierte die Drohnen klein und unsichtbar, und lenkte sie zielgenau nach Schweid, der Kolonie, auf der sich Kesino befand. Sie war als Haufen Kästen ohne Fenster gebaut worden, nach einem Bausteinprinzip, mit schwimmenden Schornsteinen.
Schweid hatte genau zwei einsame Ressourcenquellen:
1. den Gulper, einen Tiefseefisch, der in angestrahlten Kelpwäldern hauste und dort alles fraß.
2. Manganknollen.
Das fast reine Erz wurde dort auch verarbeitet, zusammen mit Steinkohle aus der Kolonie Bitoll. Die lag im Kanal. Schweid lag in der Nordsee.
Früher hatten sie noch ein anderes Gut gehabt, Erdgas.
Die zwölf Drohnen bahnten sich ihren Weg durch die in der Demontage befindlichen Erdgaspumpen, durch die Kelpwälder, die ebenfalls bearbeitet wurden, genau in der Fahrrinne der U-Boote. Seneca hatte scheinbar viel zu tun mit den Strömungen und Strudeln. Die Drohnenkameras zeigten oft den Boden.
Die Schleuse war eine runde Sache, denn da die U-Boote weder Turm noch Periskop besaßen, waren sie nur ein Zylinder.
Nach dem Durchqueren der runden Sache stiegen die ersten Drohnen durch die Wasseroberfläche. Der Wartesaal war voller Menschen, und die Kästen waren durch sich immer wieder schließende und öffnende Schleusen verbunden. Diese stellten das erste Problem dar. Die eigentlich nur an einem schwarzen Punkt erkennbaren Drohnen mussten an den Menschen vorbei. Die Schleuse aber war praktisch von Menschen verstopft.
Eine Gruppe von Kindern, die diese Schleuse in ihren Dimensionen nur wenig beanspruchten, ermöglichte dieses Manöver. Nach stundenlangen Aufklärungsflügen fand der Quantencomputer den Mann mit den Informationen. Er unterhielt sich, typischerweise, mit einer weitaus jüngeren Frau.
Kesino: Der Doktor Jakobson sei ein Kostverächter, nein, der genießt nur im Dunklen, wo ihn keiner sieht! Sie wissen, was ich meine.
Fräulein: Und Sie?
Kesino: Ich mache so etwas nicht!
Hier ging es nicht so, wie der Herr wollte, nur heiß und wild war nicht drin. Der Rest des Gesprächs basierte auf Nonsens über Politiker. Die direkte Dame wollte, dass er kandidiert.
Kesino: Ich befürchte, dort nichts zu sagen zu haben, es geht um Wirtschaft, nicht um Teilchenphysik.
Er ging dann zum Essen in die Kantine, daraufhin nach Hause, wo die Drohnen alles durchsuchten und ein paar Forschungsunterlagen fanden. Herr Bretz wollte es ihm gleich tun und schlafen gehen.
Martin: Seneca, glaubst du, dass die Daten irgendetwas nützen?
Seneca: Das Programm stellt sich die Frage, ob dies etwas nützt. Man weiß, es sind neue Daten und ihre Relevanz wird beim erfolgreichen Abschluss der Aufgabe ersichtlich.
Mit hochgezogener Augenbraue wollte der müde Martin folgendes wissen:
Martin: Gibt es eine Möglichkeit, dass du dich kürzer ausdrückst, Seneca?
Seneca: Ja, wenn …
Unterbrechend schaltete sich der Schlafinstinkt ein:
Martin: Morgen, Seneca.
Seneca machte in der Nacht einen regelrechten Hausputz in den Räumlichkeiten des Kesino, fand in der Zweiraumwohnung aber nichts Interessantes. Zum Frühstück gab es dann wieder etwas von Wert. Kesino war an seinem Arbeitsplatz, einem Reaktor zu Forschungszwecken. Hier wurde aus Kohle Plastik gemacht. Ziel war es, Material für möglichst langlebige Maschinen zu erschaffen, die trotzdem nachhaltig waren. Eine Drohne überwachte die Fachgespräche, und die anderen elf erkundeten die Gegend.
In einer der Kantinen hörte man den Buschfunk ab. Zwei Arbeiterinnen, zu erkennen an der Einheitskleidung, unterhielten sich über die Theorie.
Arbeiterin: Das geht nicht, das ist ein Spinner, hat nichts zu sagen, und er will auch nur durch Probleme für Aufmerksamkeit sorgen, er ist wie ein Prediger für die Strahlung.
Sie biss von ihrem Essen ab, kaute und schluckte, Martin war gespannt.
Arbeiterin: Die Strahlung kommt runter, tötet dich und mich.
Andere: Prediger, das Wort kenne ich nicht. Die Strahlung tötet deinen Kumpel Finger auch.
Die andere Andere: Der stirbt nie, genau so wird der fertig.
Finger war der Spitzname eines Exfreundes.
Es wurden noch viele Szenen wie diese gezeigt.
Seneca: Man könnte mit einer solchen Theorie viele Wähler auf seine Seite ziehen, dies ist vielleicht Wahlwerbung.
Martin: Länger angucken. Der muss diese Theorie ja irgendwo herhaben, so was saugt man sich nicht aus den Fingern.
Die Kolonie wurde geradezu durchleuchtet.
Es stellte sich heraus, dass Kesino nur mit normalen Menschen über seine Arbeit, Politik und seine Theorie sprach. Mit Menschen, die seine Vorschläge beeindruckend fanden. Auf Arbeit fanden seine Kollegen das keineswegs beeindruckend. Manchmal wusste selbst der Amateurspion es besser als dieser Experte.
Martin: Mit dieser Einstellung vom Reaktor gibt das eine Staubexplosion, jede Menge Kohlenstaub in einem Raum ohne Fenster, dazu kommt noch, dass der kleinste Riss alles überschwemmen würde. Seneca, das geht doch nicht, oder?
Seneca: Der Vorschlag birgt eine große Anzahl Risiken.
Kollegin Maike wusste das auch. Kesino war neu in der Kolonie und baute sich ein paar Freundschaften auf, allerdings nicht mit Politikern, wie Seneca ständig wiederholte.
Seneca: Politische Strukturen, wie Kesino sie beschreibt, sind unauffindbar, dortige Strukturen sind wesentlich komplexer. Kesino hat nur eine wesentlich geringe Anzahl von korrekten Vermutungen, besonders im Privaten treffen sie zu. Trefferquote bei zehn Prozent. Man stellt die Theorie auf, dass er bei einer Kandidatur gewinnt. Seine Beliebtheit wächst bei der freizeitarmen Bevölkerung. Er hat jedoch keine eigene Linie, außer der Progressivität.
Martin: Bist du eigentlich auch auf Wahlkampf programmiert?
Seneca: Ja!
Kesino baute sich Freundschaften auf mit denen, die seine Sprache sprachen. Durch die Übersetzungen war dem Amateurspion entgangen, dass in Schweid mehrere Sprachen gesprochen wurden. Nur bei den neuen bunten Worten war der Übersetzer Seneca nicht in der Lage, ein passendes Pendant zu finden. Das waren Worte, wie sie jemand brüllt, wenn ihm etwas Schweres auf den Fuß gefallen war.
Seneca: Eine Gruppe von Wählern entscheidet sich für denjenigen, den sie verstehen, nicht für den, der sie versteht.
Der Herr Kesino war anscheinend etwas Ähnliches wie ein wandernder Prediger. Er zog schon nach kurzer Zeit weiter, diesmal in die Kolonie Uzal, und ging damit zu der Gruppe, die seine Sprache sprach.
Seneca: Wahrscheinlich setzt Kesino auf eine Stelle als Berater in der Politik oder will sich selbst wählen lassen.
Es wurde immer klarer, dass man hier anscheinend keine weiteren Informationen erhielt und die Beobachtungen waren zu beenden. Hätte Kesino irgendwelche weitere Informationen gehabt, wären sie mit ihm umgezogen. Kesino hatte nicht, was Martin wollte, die Strahlenblocker-Theorie.
Martin: Der hat sie nicht, unsere Theorie.
Seneca: Wenn er unsere Theorie besäße, müsste er auch Kontakt mit uns gehabt haben, vergleicht man es mit seiner, die im Vergleich zur unseren sehr unausgereift ist.
Martin: Wir haben eine Theorie?
Seneca: Ja, man hat sie erstellt, um Desinformationen auszumachen.
Martin: Wie lautet die Theorie?
Seneca: Um die Strahlung mittels eines Neutronen-Stoppers oder -Blockers zu beseitigen, benötigt man eine Apparatur, die sehr präzise die Neutronen erfasst und die Neutronen, die sich sehr schnell bewegen, eben blockt oder stoppt.
Der arbeitslose Spion: Wir kontrollieren doch die Schwerkraft, wieso funktioniert das nicht mit der, Seneca?
Seneca: Das würde mit Schwerkraft funktionieren.
Der Supercomputer hatte die falschen Anweisungen erhalten und Kesinos Hirngespinst gejagt. Die Frage, ob das Problem auch anders zu lösen wäre, war bis zu dem Zeitpunkt einfach nicht gestellt worden.
Der Computer war dann doch nicht so behindertengerecht, wie man es von einer Maschine, die vom Präsidenten bedient werden sollte, hätte erwarten können.
Die Ausgangsfrage hatte sich auf den Subraum bezogen; von einem Traktorstrahl, wie es dann hieß, war nie gesprochen worden.
Innerhalb der nächsten zwei Tage kehrten die Drohnen auf das Mutterschiff zurück, gleichzeitig liefen sechs Testreihen mit einem mobilen Traktorstrahl. Der Gewinner dieser Studien war ein Roboter mit sechs Beinen, der aussah wie eine Schildkröte ohne Kopf; sein Aussehen beschrieb auch seine Geschwindigkeit.
Man kam zu dem Schluss, dass sechshundert dieser Strahlenfresser mit rotierenden Panzern gut 140 Jahre brauchen würden, um die Erde zu reinigen.
Sie wurden getarnt und als flugtauglich genehmigt. Das erste Testfeld aus der Not heraus gewählt.
Martin: Die letzte ihrer Art.
Martin begann zu weinen. Die Packung Zigaretten war leer. Also wurde ein Tabakfeld von der Strahlung befreit, abgeerntet, und auf dem Schiff entstand auf einem extra dafür angelegten Areal eine Plantage. So bildete sich eine Biosphäre. Beim ersten Probieren gingen die Zigarren andauernd aus, aber man konnte sie rauchen. Abschmeckend wurde eine Beurteilung abgeben.
Martin: Unherb!
Danach fragte Martin sicherheitshalber Seneca nach seinen Optionen.
Martin: Kannst du eine Kälteschlafkammer für mich entwerfen? 140 Jahre, bis dieses System zusammenbricht, die will ich nicht erleben!
Anders gesagt, ohne Stütze und ohne Aufstiegschancen wollte Martin einfach nicht bis an sein Lebensende in Unterwasserkästen leben. Und dann auch noch mit Fernsehen, das noch schlechter war als das, was er aus seiner Zeit kannte.
Seneca: Man rät dringend von diesem Vorhaben ab, es gab bei ähnlichen Versuchen noch keine Erfolge!
Martin: An was ich gedachte habe, ist eine ähnliche Tour in die Zukunft, wie ich sie schon hinter mir habe.
Seneca: Da ein erfolgreicher Test erfolgt ist, kann man dies tun. Man rät jedoch zu einer geschwindigkeitsabhängigen Energieversorgung. Die Geschwindigkeit sollte sich in kontrollierbaren Bereichen bewegen. Ein einfacher Fusionsreaktor könnte kontrollierbare Energie liefern, als der nicht zu berechnende Spannungsanstieg der Hülle des Schiffes bei Geschwindigkeitserhöhungen.
Beim Abflug kontrollierte Seneca alles, was am Schiff zu kontrollieren war. Die Strahlenfresser verschwanden im Nichts und arbeiteten autonom. Sämtliche anderen Spuren der Anwesenheit des Schiffes wurden beseitigt. Die Drohnen wurden demontiert, oder vielmehr in die Metallspäne zurückverwandelt, die sie einst gewesen waren.
Die Abhöranlagen und die Antennen des Führerbunkers wurden abgebaut, sogar die Datenspeicher der Testanlage, an der Shark getestet hatte, wurden gelöscht. Das gesamte Schiff wurde korrekt getarnt und der neue Reaktor steuerte sich selbst, unterstützt von Seneca. Da beim ersten Überlichtflug der Strahlenblitz durch die Strahlenmauer ausblieb, konnte man näher an der Erde Überlicht erreichen.
Was hätte denn auch passieren können? Die Erde war bereits verstrahlt und die Menschen dieser Zeit interessierten sich nicht für die Sterne. Sie träumten von der Oberfläche des Planeten, weil sie sie zurückerobern wollten.
Martin fragte sich, wenn die Menschen Sterne eroberten, was war dann tatsächlich ihr Interesse?
Diese zweite große Reise startete um zwölf Uhr mittags, Seneca sorgte für eine schöne Reise mit grandioser Aussicht. Mit dem Fusionsreaktor war das Schiff schneller geworden und nach zwei ereignislosen Wochen erreichte man den Sprungpunkt. Die Spektralverschiebung wurde von Computer und Passagier genauestens begutachtet. Diesmal wählte man gleich einen Spiralkurs Richtung Erde. Seneca rechnete genau. Der Flug durch die Zeit wurde durch den Computer gestartet, der auch steuerte. Martin bemerkte, dass das Bremsmanöver zu früh eingeleitet wurde.
Martin: Wieso jetzt? Wir fliegen doch nicht in Etappen durch die Zeit, gibt es Probleme?
Seneca: Ja, auf uns wirkt ein Einfluss ein.
Martin: Wie geht das? Auf uns kann doch nichts Einfluss nehmen als unsere Schwerkraft? Was für ein Einfluss und wie wirkt er sich aus?
Seneca: Keine bekannte Kraft, sie zieht uns Richtung Erde, beschleunigt uns und beschleunigt uns nicht. Widersprüchliche Werte und Spannungskonflikte weisen auf einen externen Antrieb hin oder eine externe Bremsvorrichtung. Der Zeitablauf verlangsamt sich, obwohl die Geschwindigkeit sinkt.
Plötzlich blähte sich die Erde vor dem Fenster auf.
Seneca: Wir haben gestoppt.
Unter ihnen drehte sich sichtbar die Erde. Komplizierte Strukturen aus drei- und viereckigen Silhouetten mit langen, grauschwarzen Straßen, erkannte Martin. Unförmige rasende Objekte blinkten das Schiff im Orbit an.
Die Atmosphäre wurde penetriert. Eine riesige Stadt mit gigantischen Gebäuden erschien an der linken Seite des Fensters.
Seneca: Sensoren völlig funktionsunfähig.
Obwohl das Schiff sich der Erde näherte, rutschte die Stadt immer langsamer ins Bild. Die Gebäude zogen vorbei und wuchsen. Ein halbkugelförmiges Gebäude glitt in die Mitte des Fensters und stoppte dort, dann schrumpfte es. Das Schiff wurde wieder in den Orbit geschleudert, mit dem Heck voran. Aus dem Halbrund schoss ein hellblauer Kugelblitz, der ihnen zu folgen schien. Nein, er folgte nicht, er wuchs! Er warf einen Schatten, der dies verriet, und raste erst dann auf das Schiff zu.
Volltreffer, Schwerkraft weg, Bildschirme aus, das Einzige, was zu hören war, war das Brummen des rechnenden Seneca. Dann folgte ein enormer Lärm, welcher verriet, dass die Schwerkraft wieder vorhanden war. Alles, was umfallen konnte, fiel um, und die Tabakplantage wurde regelrecht umgegraben. Alle Bildschirme gingen wieder an.
Seneca: Mission fehlgeschlagen.
Die Sensoren gaben wieder die ursprünglichen Werte wieder, und der sehr angespannte Martin fragte:
Martin: Was ist los, Seneca?
Seneca: Alle Datensätze sagen, dass wir wieder in der Vergangenheit sind und nicht mehr in der Zukunft.
Martin: Was war das für eine Stadt?
Seneca: Welche Stadt?
Martin: Die Sensoren waren offline! Wo und wann sind wir?
Seneca: Noch nicht genau bestimmbar, kompensiere negative Hüllenspannung.