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Sexunddreißig, Rouge, Pair et Passe

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Wider jedes Erwarten hatte der rosa Elefant geplaudert, ja die gekränkte und vielleicht doch nicht so vollständig befriedigte Dame war sogar zur Polizei gelaufen und hatte unser so gut eingespieltes Trio kurzerhand angezeigt.

Natürlich wurde Patkul nicht verhaftet, aber er erhielt einen ebenso vertraulichen wie beschwörenden Anruf, der ihn veranlaßte, seine Aktivität einzuschränken, und mir, der Mademoiselle Heidemarie Hirschmann, zur Zeit in Monte Carlo wohnhaft, brachten zwei der putzigen monegassischen Polizisten die Order, das Ländchen binnen 48 Stunden zu verlassen, da ich ohne Arbeitsgenehmigung einer Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen sei. Welche Beschäftigung dies war, daß ich Schlepperdienste geleistet und im Geschäftsinteresse mit Kunden geschlafen hatte, das wurde schamhaft verschwiegen. Alles ging so keusch und höflich zu, als wären die monegassischen Polizeiakten die tägliche Morgenlektüre von Prinzessin Caroline.

„ Ja, mein Kind“, sagte der Baron zärtlich, „da schlägt also nach relativ kurzer Zeit die Trennungsstunde. Für mich kommen anstrengende Wochen, ich muß jetzt allabendlich nach San Remo fahren, um dort so lange meine Brötchen zu verdienen, bis hier Gras über die Sache gewachsen ist, und ich hasse nichts mehr als dieses Alimentationsspiel, von dem allein hier in Monte mindestens hundertfünfzig alte Damen leben. Und deinen traditionellen Kosmetiksalon konnten wir in der kurzen Zeit auch nicht herauswirtschaften, das wirst du verstehen!“

„ Ich habe doch gar keinen verlangt!“ sagte ich schmollend. „Es hat mir bloß bei euch beiden sehr gut gefallen, und ich werde insbesondere Inga vermissen.“

„ Nun“, sagte Patkul aufgeräumt, um keine düsteren Stimmungen aufkommen zu lassen, „einen Abend haben wir auf jeden Fall noch, und da ich ohnedies niemanden ausnehmen kann, wollen wir es uns wenigstens gemütlich machen!“

Mein Abschiedsabend wurde, das kann ich jetzt im Rückblick mit Überzeugung sagen, zu der nettesten Orgie, die ich je erlebte. Ich wäre zwar auch ganz gern mit Inga allein gewesen, aber sie gestand mir, daß ihr Vater der einzige Mann sei, der sie in keiner Situation störe.

„ Es klingt komisch. Man sollte doch gerade vor dem eigenen Vater das eine oder andere verbergen, schon in seinem Interesse, um ihn zu schonen, um ihm ein paar Illusionen über die eigene Tochter zu lassen. Aber obwohl ich nie mit ihm geschlafen habe, ist er für mich wie ein vertrauter Liebhaber, wie der beste Freund, und ich bin auch gar nicht eifersüchtig, wenn er dich in die Arme nimmt.“

Patkul trank nicht viel, als unsere Abschiedsfeier herangekommen war, wirkte aber so fröhlich, daß ich dem Braten nicht ganz traute; er überspielte offensichtlich einen tieferen Kummer, dessen Ursache ich noch nicht kannte.

„ Du mußt für mich aufpassen, Heidemarie“, sagte er, als wir mit seinen Spielwürfeln ermittelten, wer sich zuerst ausziehen und in diesem Kostüm den Tisch abräumen mußte, „wenn ich in der Hitze des Gefechts Inga mit dir verwechsle, mußt du mich sofort stoppen. Seit der olle Frank Thieß seine Verdammten geschrieben hat, glauben viele, wir Balten hätten es auf unseren abgelegenen Gütern innerhalb der Familie getrieben. Aber nee, nicht bei Patkul, lieber noch mit einer Schimmelstute!“

Inga verlor, und ich genoß, im leichten Abendwind auf der Terrasse sitzend, ihre süße blonde Nacktheit im Gehen und Kommen, in den vertrauten häuslichen Bewegungen, mit dem unverwechselbaren mädchenhaften Aufblick ihrer schmalen Augen. Patkul sah ihr sichtlich ebenso gern zu wie ich.

„ Dem Racker“, sagte er leise, als sie eben verschwunden war, „sollte man doch gar keine Kleider geben. Wenn die wüßte, wie ihr das steht, nichts anzuhaben, die würde nie mehr etwas anziehen. Sie hat einen Gang wie ein junges Tier. Ob ich sie jemals einem Mann gebe?“

„ Gib sie mir mit nach Rom!“ bat ich, „nur für eine Woche. Ich mache eine kleine Pause, vor dem Herbst finde ich ja doch nichts Richtiges. Sie könnte mich begleiten und dann zurückfliegen.“

Patkul überlegte.

„ Vielleicht ist es ganz gut, wenn man sie hier eine Weile nicht sieht, sie ist doch eine ziemlich auffallende Erscheinung, und Monte ist ein Dorf. Also gut, abgemacht, morgen früh könnt ihr gemeinsam starten!“

In den zwei Stunden, die wir anschließend in bester Laune auf Patkuls Sofa-Spielwiese im großen Salon verbrachten, beschäftigte sich der Baron überwiegend mit seiner Tochter, aber da ich aufpaßte, wie er befohlen hatte, kam die in ihm aufgestaute Erregung dann doch jedesmal mir zugute. Und Inga, die von ihm wie von mir geküßt, gestreichelt, geleckt und zärtlich gekniffen wurde, die mitunter wie ein weicher Ball zwischen uns hin- und herflog oder unter dem starken Reiz, wenn wir sie kitzelten und masturbierten in einem, sich wie eine Stahlfeder vom Sofa hochschnellte, diese süße Inga erlebte zweifellos den lustvollsten Abend ihrer ganzen Jugend. Sie war wie ein Spielzeug für uns, wie eine wunderbar konstruierte Puppe, die reagierte, die sich schämte, sich entzog und sich dann wieder voll ausgab, ein springlebendiges, nacktes Hexlein aus den Wäldern des Nordens eher als ein Mensch unseres Jahrhunderts.

„ So sind die Estinnen“, sagte Patkul um Mitternacht, schwitzend, erschöpft, aber glücklich, „sie haben uns in Dorpat, wo wir hätten studieren sollen, den letzten Tropfen Kraft ausgesaugt und selbst nie aufgegeben, eine einzigartige Rasse.“

Inga aber schlief längst, schlief als erste, die blonden Haare auf dem Kissen ausgebreitet, den Kindermund leicht geöffnet, das Näschen hin und wieder schnuppernd, wie man es bei einem Baby sieht, ein Bild der Unschuld.

Beim Frühstück überreichte mir Patkul einen Umschlag.

„ Nach unserem bewegten Abend habe ich doch nicht gleich einschlafen können“, sagt er, „und habe die letzten Bulletins des Casino Municipal von Nizza studiert, wo man dich nicht kennt. Wenn du deine Abreise um einen Tag verschiebst, was du darfst, denn 48 Stunden sind schließlich noch nicht um, dann könntest du nach dem System, das ich dir skizziert habe, in zweieinhalb bis drei Stunden einen guten Zug machen. Ob es ein Kosmetiksalon wird, weiß ich nicht, aber ein schönes Cadeau zum Abschied kannst du dir damit gewiß verdienen.“

Während Inga noch ein paar Besorgungen machte, um für die römische Woche richtig ausgestattet zu sein, fuhr ich abschiednehmend über die Moyenne Corniche nach Nizza und saß als eine der ersten, gleich nach der Eröffnung des Saales, an einem der Roulettetische. Ich hatte in den letzten Wochen so vielen Spielern zugeschaut, daß ich mich bereits völlig sicher fühlte, wenn es auch ein wenig kompliziert war, nach System zu spielen. Patkul hatte alles sehr übersichtlich notiert, ich hatte genug Geld mitgenommen, und als ich am Ende der empfohlenen Einsätze war, türmten sich die Jetons schon recht ansehnlich vor meinem Platz, und hinter mir hatte sich eine kleine Ansammlung ehrfurchtsvoll flüsternder Herren und Damen gebildet.

Sollte ich aufhören? Der letzte Einsatz sah die einfachen Chancen Rouge, Pair und Passe vor. Mein Blick lief über die roten geraden Ziffern der zweiten Ziffernhälfte und blieb an der Sechsunddreißig hängen.

„ Messieursdames“, sagte der Chef de Table, „faites vos jeux.“

Ohne zu überlegen, machte ich statt drei Häufchen, wie Patkul es mir aufgeschrieben hatte, ein einziges, nicht unbeträchtliches Säulchen und schob es auf die 36. Die Kugel schnurrte in tiefster Stille, sie klickerte, sprang, blieb liegen und machte nur noch als Passagier die letzten Runden des Drehkreuzes mit.

„ Trente-six, rouge, pair et passe“, sagte der Chef de Table, ließ den Blick über den Tisch huschen, erspähte mein Säulchen und häufte einen ganzen Berg von Jetons vor seinen Rechen.

„ Plein pour Mademoiselle“, sagte er mit einem charmanten Lächeln, in dem die Gratulation, die Anerkennung und das Amüsement über meine roten Wangen zu erkennen war. Ich bat um ein Tablett, ein Diener kam und trug die Jetons vor mir her zur Wechselkasse. Ich hatte in drei Stunden 237 400 neue Francs gewonnen.

„ Versuch es nie wieder!“ sagte Patkul, als ich ihm berichtete. „Alles ging gut, weil du zum erstenmal spieltest, weil du die große Unbefangenheit hattest, die wir Spieler die desinvolture d’or nennen. An diesem ersten Spieltag konnte gar nichts schiefgehen; nun aber schnell auf die Bank mit dem Geld, und daß ihr beiden mir unterwegs nicht in San Remo oder in Viareggio Station macht und den schönen Gewinn wieder verplempert!“

Nun, wir waren auch damit und mit uns selbst glücklich genug, und in der Überzeugung, nun doch, wenn auch auf Umwegen, mir meinen traditionellen Kosmetiksalon verehrt zu haben, entließ mich der Baron selbst getröstet und mit dem Schicksal wieder versöhnt.

„ Umarme mich ganz fest und mach mir’s so toll, wie du nur kannst“, sagte Inga am Abend zu mir, als wir in einem kleinen Hotel von Nervi in unseren Betten lagen, „sonst denke ich zuviel an Papa!“

„ Ich will mein Möglichstes tun“, versprach ich seufzend, denn ich war groggy von dem langen Tag, und zum Schluß noch die Durchfahrt durch das nächtliche Genua! Inga, ahnungslos wie ein Kind, eigensüchtig wie ein Kind, wollte bedient sein, und ich bediente sie.

Genußsüchtig, wie kleine Mädchen nun einmal sind, nahmen wir nicht die Autostrada nach Rom, sondern schnuckelten an der Küste entlang, durch eine Unzahl freundlicher kleiner Orte, manchmal auch hoch auf der Steilküste, während die malerischen Nester tief unter uns in den Felsenbuchten lagen. Als wir in Orbetello gegessen hatten, war uns in dem kleinen Wagen trotz des offenen Verdecks so heiß und wir fühlten uns so schlapp und schläfrig, daß wir einen sandigen Seitenweg einschlugen und an den Strand hinausfuhren.

Es war ein Strand ohne Häuser, ein paar Inseln hohen Schilfes gaben Schatten, eine leichte Brise wehte vom Meer her. Mit einem zweistimmigen Schrei der Begeisterung sprangen wir aus dem Wagen, warfen die Kleider ab, unter denen wir der Hitze wegen ohnedies so gut wie nichts mehr anhatten, und rannten nackt in das glitzernde Wasser. Es war nicht kühl, aber doch erfrischend, und träge treibend gelang es uns, die Körpertemperatur langsam zu senken.

Als wir genug hatten und zurückschwammen, um noch ein Viertelstündchen zu schlafen, rief Inga auf einmal erschrocken:

„ Du, da sind Männer bei unserem Wagen!“

„ Verdammt“, sagte ich, „wenn es nur Witzbolde sind, werden wir ja wohl mit ihnen fertig werden, zu zweit, aber vielleicht sind es Verbrecher!“

Nun, es half nichts. Wenn sie mit dem Wagen wegfuhren, waren wir noch schlechter dran, als wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzten. Ein Glück, daß das Geld nicht mehr im Wagen war, sondern seit neun Uhr morgens sicher in der Filiale der Banco di Roma zu Nervi ruhte.

Beim Näherkommen erkannten wir, daß es vier junge Männer waren, keine Touristen, sondern wohl Fischer aus dem nächsten Dorf. Sie hatten uns längst erspäht, lösten sich mit einem gewissen Bedauern von all den hübschen Dingen, die wir im Wagen hatten, und kamen, bloßfüßig wie sie waren, uns ein paar Schritte ins Wasser entgegen.

Ich hielt es für geraten, die Verhandlungen schon aus sicherer Distanz zu eröffnen, aber es erwies sich, daß mein Italienisch nicht ausreichte. Inga hatte in ihrem Schweizer Internat die Sprache wesentlich besser erlernt und ersuchte die vier zunächst, ein wenig beiseite zu gehen und sich umzudrehen, wir hätten nichts an.

„ Wir nichts tun, nur zuschauen!“ rief auf einmal einer der vier in jenem Neger-Italienisch, in dem er sich wohl auch mit den Touristen unterhielt. Es war gewiß die einzige Form von Schriftsprache, in der er sich überhaupt ausdrücken konnte, und seinen Dialekt hätten wir ja beide nicht verstanden.

„ Bestimmt nichts tun?“ erkundigte sich Inga schelmisch. Sie machte es richtig und hielt die Männer bei Laune. Sie bildeten geradezu ein Spalier für uns, als wir aus dem Wasser kamen, und hatten tatsächlich eine einmalige Augenweide, denn wir kamen auf den harten Uferkieseln nur langsam vorwärts, führten die tollsten Verrenkungen auf, weil die Steine an den Sohlen so schmerzten, und boten ungewollt eine minutenlange Show.

Als wir uns dann laufend dem Wagen zuwandten, kam plötzlich Bewegung in die Männergruppe. Sie riefen sich ein paar kurze Worte zu, und schon waren wir von unserem Simca abgeschnitten. Die vier umringten uns, einander die Hände reichend. Nun lachte keiner mehr. Die Gesichter waren verschlossen und gespannt.

„ Wir gesunde Jungen aus Dorf“, sagte der Sprecher, „nix krank, nix böse. Wir machen amore mit euch, ihr liebe Mädchen sein, nix Gewalt und schlagen. Dann ihr uns geben kleine Geschenke für gute amore und weiterfahren!“

„ Und nach der Liebe“, sagte ich zu Inga leise auf französisch, „da wollen sie dann das ganze Geld, und dann wieder Liebe und so weiter. Wir lassen uns nichts gefallen, und wenn sie uns angreifen, schrei wie am Spieß!“

Vereint warfen wir uns gegen die uns umschließenden Arme, brachen durch und rannten los. In den Wagen kamen wir, ehe die gekränkten Papagalli sich von ihrer Überraschung erholt hatten, aber anfahren konnte ich nicht mehr. Nun erwies es sich als Nachteil, daß der Wagen offen war. Sie langten einfach von beiden Seiten herein, zerrten unsere Kleider aus dem Wagen, und nach kurzem Kampf hatte einer auch den Zündschlüssel. Mit dem lief er zum Meer, hielt ihn höhnisch hoch und drohte, ihn in die Wellen zu schleudern.

„ Stop!“ rief ich. Ehe wir für eine Woche festlagen, bevor ein anderer Schlüssel aus Paris kam, sollten sie in drei Teufels Namen ihre amore haben!

„ Wir machen amore, ganz richtig, ohne Sträuben und Weinen“, rief Inga, „und ihr schwört, daß ihr uns dann abfahren laßt, ohne Gewalt und Ärger!“

D’accordo“, riefen die vier und rieben sich die Hände vor Vergnügen. Wie Kinder sprangen sie um den Wagen herum, holten die Decken von den Sitzen, breiteten sie ins Schilf und begannen dann mit lautem Geschrei und höchst komplizierten Gebärden um uns zu knobeln. Die Sieger zogen sich dann so flink die Hosen aus, daß ich lachen mußte, obwohl mir ganz und gar nicht danach zumute war.

Immerhin zeigte es sich, daß wir doch die richtige Lösung gewählt hatten. Die Burschen waren plötzlich heiter, gutmütig, ja in ihrer rauhen Art sogar zärtlich. Nach dem erstenmal rauchten wir alle von unseren Zigaretten, und als ich ein paar Päckchen Gauloises verteilte, kam die Verbrüderungsstimmung auf einen echten Höhepunkt.

„ Hoffentlich erholen sich unsere ersten Partner nicht zu schnell!“ seufzte Inga, während sie sich für den zweiten Gang zurechtlegte, „sonst wird das ein Perpetuum mobile zu unseren Lasten!“

Aber die Befürchtung war unbegründet. Die Burschen waren zwar jung, aber noch nicht raffiniert genug für so lange ausgesponnene Genüsse. Die beiden, die wir zuerst gehabt hatten, standen zwar dabei, als die zweite Riege anrückte, und kommentierten sachkundig die Bewegungen, die Inga und ich machten, und wenn im Lauf des Liebeskampfes eine von uns nach oben kam, so daß wir den blanken Po in die Luft reckten, dann gab es ein mächtiges Hallo, und die zwei scheuten sich nicht, sich hinzuknien und aus nächster Nähe zu starren, als hätten sie noch etwas zu lernen.

Als unsere Partner genug hatten, sprangen wir auf, strichen den Sand von der Haut, packten die Decken und riefen kurz und forsch addio !

Die Überrumpelung gelang tatsächlich. Unsere vier Bezwinger standen, noch immer ohne Hosen, verklärt lächelnd am Strand und brüllten uns zärtlich addioa rivederci nach, als wir in einer riesigen Staubwolke den Strandweg hinaufpreschten.

„ Das wäre überstanden!“ seufzte Inga, als wir uns wenige Minuten später dem nächsten Ort näherten. „Ich glaube, jetzt können wir es wagen, uns anzuziehen und wieder menschlich zu machen.“

Unter einer kleinen Baumgruppe befreiten wir einander mit Selterswasser und Eau de Cologne von den ärgsten Spuren der sandigen Orgie und schlüpften in Wäsche und Kleider.

„ Sollen wir die vier anzeigen?“ fragte Inga, als wir im Ortszentrum einen Carabinieri-Posten entdeckten.

„ Und endlos aussagen, alles x-mal erzählen, aus Italien nicht ausreisen dürfen als Hauptzeuginnen? Vielen Dank. Was kommt denn für uns dabei heraus?“ antwortete ich und drückte aufs Gas. Ich hatte genug von Behörden im allgemeinen und von der Polizei im besonderen. Aus Monte Carlo hatte man mich ausgewiesen, das reichte, in Italien wollte ich endlich einmal an nichts denken, als an die Erholung – aber sie sollte mir nicht gegönnt sein.

Ich hatte mich nach den ersten römischen Tagen, dem ersten Ausflug nach Ostia antica und den unvergeßlichen Spaziergängen mit Inga auf die Suche nach einer günstigen Gegend für mein sechstes Placement gemacht und mich schließlich für ein ruhiges Wohnviertel entschieden, in dem mein Salon keine Konkurrenz haben würde. Eine kleine Agentur – Pussich & Co. – hatte mich auf einen Neubau in der Via Arezzo aufmerksam gemacht, wo ich zu einem Preis, der gegen das, was ich in Deutschland und Frankreich bezahlte, sehr niedrig genannt werden mußte, ein geräumiges Parterrelokal erwerben konnte. Die damit verbundene Hochstimmung endete aber jäh, als Inga mir eröffnete, daß sie sich an die Verabredung mit ihrem Vater halten werde, vor allem, da ja auch die Ferien zu Ende gingen. Ich brachte sie also zur nächsten Maschine nach Zürich, dort hatte sie Anschluß nach Nizza. Als die Swissair ihre Passagiere zum Ausgang rief, war mir hundeelend zumute; nicht einmal der Abschied von Noemi war mir so schwer gefallen. Auf der Rückfahrt nach Rom hätte ich um ein Haar einen schweren Unfall gebaut, weil ich in Gedanken noch immer bei diesem reizenden und eigenartigen Mädchen weilte, und im Hotelzimmer weinte ich mich erst einmal tüchtig aus.

Nach einer Stunde war ich dann soweit, mir klar zu machen, daß es auf diese Weise nicht besser werden könnte. Ich brauste, machte mich schick und ging zu einem Stadtbummel aus. Einkaufen tröstet die meisten Frauen, ein Paar eleganter Autohandschuhe – angeblich aus Elefantenleder – besserte meine Laune schon merklich, eine Antilopenjacke tat ein übriges, und zum Abschluß begab ich mich noch zu Herder. Ich blätterte unschlüssig in einem Roman von Lattmann und danach in einem Band Erzählungen von Nabokov, als plötzlich eine Stimme hinter mir sagte:

„ Ist das nicht das Fräulein Heidi Hirschmann aus Augsburg?“

Da sich dies nicht gut leugnen ließ, wandte ich mich vorsorglich lächelnd dem Sprecher zu, entdeckte einen leidlich gutaussehenden Boss Ende dreißig, der mich erwartungsvoll angrinste, und hörte dann erleichtert den Groschen fallen: Das war der Industrielle aus Berlin, der für sein Firmen-Erholungsheim im Allgäu bei Engelbert Epple bestellt hatte – unter der Voraussetzung, daß ich ihm nachdrücklich alle Vorzüge der Epple-Brausen und meiner eigenen Person vorführte.

„ Ich sehe, Frollein, dat ik bei weitem nich soviel Eindruck auf Sie jemacht habe, wie Sie uff mir“, berlinerte er gut gelaunt, fiel dann aber zu meiner Erleichterung in eine auch für Süddeutsche verständliche Ausdrucksweise zurück. „Sie können sich meinen Namen nicht gemerkt haben, bei dem Betrieb, ist ja klar. Aber ich habe mir Ihren gemerkt, ist das nicht toll?“

Als er toll sagte, hatte ich auch seinen Namen:

„ Sie werden lachen, Herr Doktor Dussing“, sagte ich, „auch ein Brausemädchen hat ein Köpfchen, nicht nur alles andere. Das haben Sie damals in Augsburg vielleicht übersehen, weil Sie sich für die Brausen so furchtbar interessierten. Ich weiß noch alles, ich habe vor allem Ihre Stielaugen nicht vergessen!“

„ Ich werde Sie versöhnen“, sagte Dussing schnell und faßte mich am Arm, „bloß nicht hier, hier wimmelt’s ja von Landsleuten. Sehen wir mal zu, daß wir ‘ne stillere Ecke finden. Essen Sie mit mir zu Abend?“

„ Aber nur essen!“ sagte ich in Erinnerung an jenes denkwürdige Souper bei den Drei Mohren, und da er hoch und heilig allerbeste Manieren versprach, saßen wir wenig später im Vorgarten der Trattoria zu den vier Strömen auf der Piazza Navona.

Dussing gestand mir, daß er jenen Tag in Augsburg nie mehr vergessen hatte, ja, daß ihn mein Bild, die Erinnerung an meinen Anblick all die Jahre unausgesetzt verfolgt habe, und daß ihm Epple trotz verzweifelter Bitten nur von meinem Abgang nach Wien erzählt habe, nichts sonst.

„ Mehr wußte er auch nicht“, sagte ich und skizzierte kurz die Stationen meiner Karriere seit Epple & Co. „Jetzt, da ich Sie wiedergefunden habe, Heidemarie“, sagte Dussing und sah mir mit seinem weinfeuchten Blick tief in die Augen, „wiedergefunden auf so wunderbare Weise, jetzt gebe ich Sie nicht mehr her. Mein Laden hat sich in den letzten Jahren ganz gut entwickelt. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern: Ich mache wasserdichte Stoffe, Planen, Zelte und so weiter, und ich bin immer mehr in die NATO-Aufträge hineingerutscht, so daß ich mich jetzt einigermaßen sicher fühlen kann, wirtschaftlich. Ich kann Ihnen in Berlin bieten, was Sie gewöhnt sind, Sie werden angenehm wohnen, werden in meiner Firma nur die Rezeption machen, gut aussehen, repräsentieren.“

„ Und abends dem Chef zur Verfügung stehen.“

„ Das brauchen wir doch nicht so hart auszudrücken. Ich bin ja verheiratet. Sagen wir: zwei Abende pro Woche? Und ich verlange keine Exklusivität, ich bin nicht eifersüchtig.“

„ Also gut“, sagte ich und reichte ihm die Hand über den Tisch, „hier werde ich, so schön die Stadt ist, ja doch nur trübsinnig. Fünfzehnhundert netto und beim Ausscheiden einen kleinen Berliner Kosmetiksalon, einverstanden?“

„ Einverstanden“, schrie Dussing so laut, daß die Leute von den anderen Tischen uns ganz verblüfft anblickten. „Cameriere!“ brüllte er, „Sekt … wie sagt man? Schampusso … Spumanti … irgend etwas, das knallt!“

„ Wenn er uns nur keine Bombe bringt“, sagte ich und hätte dabei beinahe vorgezogen, daß es eine Bombe gewesen wäre. Immerhin, auf diese Weise kam ich weg von Rom, denn diese fröhliche Stadt ist nichts für traurige Menschen, und vielleicht war es ganz gut, wieder einmal in Deutschland zu arbeiten.

Dussing hatte nicht mehr viel Zeit, und so saßen wir schon am übernächsten Tag in der First-Class-Cockpit einer Boeing und donnerten über die Alpen. Wir waren in unserem Abteil allein, und Dussing wurde, kaum daß Rom unter uns versunken war, sogleich zudringlich. Viel konnte er glücklicherweise nicht anstellen, es war Spätsommer, warm, so daß es aufgefallen wäre, eine Decke zu verlangen, und es vergingen kaum zehn Minuten, in denen nicht eine Stewardess durch den Gang gerannt wäre. Allerdings hatten diese pfiffigen Mädchen bald ‘raus, welche Bewandtnis es mit Dussing und mir habe, und blickten vorsichtshalber gar nicht mehr in unsere Richtung.

Ich hatte der hohen Temperaturen wegen keine Strumpfhose angezogen, sondern nur einen sommerlichen Minislip, und mein kurzes, weites Kleid bot seiner forschenden Hand auch so gut wie keine Hindernisse.

„ Doktor!“ sagte ich warnend, als er bis zum Slip vorgedrungen war, „wir haben doch eine Abmachung. Wollen Sie alles aufs Spiel setzen, bevor es noch begonnen hat?“

„ Ach, Hirschmännchen“, bat er mit treudeutschem Schweinsäugleinblick, „sei doch friedlich. Morgen liegst du ja doch neben mir im Bettchen, ganz ohne, so wie ich dich in Augsburg gesehen habe.“

Dabei hatte er – ratsch! – meinen Slip bis zu den Knien heruntergezerrt, die Hostess kam, ich konnte ihn nicht wieder hochziehen, ohne Aufsehen zu erregen, und als sie in der Pilotenkabine verschwunden war, war auch mein Slip weg.

„ Den behalt’ ich jetzt mal als Andenken an diesen Flug“, sagte Dussing befriedigt und tauchte genüßlich gleich zwei Finger in mein Muschelchen, das während der Abwehrschlacht ganz schön heiß geworden war. Dann angelte er sich seinen Mantel aus der Gepäckablage.

„ Wir fliegen jetzt wohl ziemlich hoch!“ sagte er erklärend zu der vorüberhuschenden Hostess, „na ja, die Alpen, da ist es immer kalt!“

Das Mädchen, eine kesse Blonde mit allerliebstem Käppi, konnte sich das Lachen kaum verbeißen und warf mir einen entschuldigenden Blick zu: offensichtlich fühlte sie sich für das verantwortlich, was jungen Damen an Bord alles passierte. Und es passierte zwischen Gardasee und Starnbergersee immerhin, daß ich im Sitzen, ohne mich rühren zu können und ohne schreien zu dürfen, einen wilden Orgasmus hatte, weil ich so ausdauernd befingert wurde. Und zwischen München und Nürnberg revanchierte dann ich mich, indem ich ihm den Pimmel aus der Hose holte – unter dem Mantel, versteht sich – und just in dem Augenblick zur Ejakulation brachte, als die kühle Blonde wieder vorbeimarschierte. Die Grimassen, die mein neuer Chef in diesen Sekunden schnitt, werde ich nie vergessen.

„ So, jetzt haben Sie, was Sie wollten“, sagte ich dann, „jetzt rücken Sie schnell meinen Slip heraus, ich habe eben noch Zeit, auf die Toilette zu gehen und ihn anzuziehen!“

„ Kommt gar nicht in Frage!“ keuchte Dussing, noch immer außer Atem, „der ist mein Souvenir!“

„ Und wenn in Tempelhof der Wind weht und mir auf dem Lufthansatreppchen den Rock hochhebt?“ fragte ich wütend.

„ Dann will ich hoffen, daß ein flinker Fotograf zur Stelle ist“, antwortete Dussing ungerührt, und ich gab auf.

In Berlin selbst glätteten sich dann die Wogen. Es wurde nicht mal halb so schlimm, wie ich im Flugzeug befürchtet hatte, und als mein guter Chef erst einmal wieder in seinem alten Trott war, als ihn tagsüber die Lieferanten und die Abnehmer gemeinsam plagten und abends die holde Familie, da hatte sich auch sein Furor weitgehend verflüchtigt. Ich kann sagen, daß ich seit der windigen Minute auf der Gangway, als ich, aus dem Flugzeug auf das Leiterchen steigend, keine Hand frei hatte und den Tempelhofer Wind an der Möse fühlte, keine wirklich unangenehme Minute mehr zu durchleben hatte – monatelang, ja ein ganzes Jahr hindurch, bis eben die NATO aufs Tapet kam.

Dussing hatte mir ein schickes Appartement in der Meineckestraße gemietet, eineinhalb Zimmer, ineinandergehend, mit niedlichem Bad, kleiner, separierter Küche und sogar einer Art Balkönchen, wo ich mich so lange sonnen konnte, bis die Gäste aus dem noblen Parkhotel Zellermeyer sich wegen ihrer ausgerenkten Hälse über meine Schamlosigkeit beschwerten.

Im Zellermeyer war es auch, wo ich mit einer niedlichen Delegation wohlgenährter Herren aus Holland, Belgien und Luxemburg bekanntgemacht wurde, drei Monsieurs oder Mijnheers, die sich mit Dussing über ein größeres Geschäft in Tarnplanen unterhalten wollten. Mir paßte die Ankunft der drei, mit denen wir uns fünf Tage lang intensiv zu befassen haben sollten, überhaupt nicht in den Kram. Ich hatte mich – nach zwei lesbischen Liebschaften – endlich wieder einmal für einen Mann erwärmt, was mir sehr gut tat und ihm noch mehr. Er war ein junger Textil-Chemiker, der in Dussings Betrieb in der Imprägnierungsabteilung arbeitete, was soviel heißt wie: er machte die Gewebe wasserdicht, nachdem sie gefärbt worden waren. In seinen freien Stunden arbeitete er außerdem für sich selbst an einem Verfahren, das schon die Faser wasserabstoßend machen sollte, und Dussing hatte ihm dafür das Labor zur Verfügung gestellt. Als ich einmal wegen eines Ferngesprächs abends länger im Büro geblieben war, traf ich mit Willi, dem Chemiker, zusammen, und seither kam er – wie ich befürchte – mit seinen Faserforschungen nur noch sehr langsam voran.

Willi war siebenundzwanzig, also nur wenig älter als ich, sehr dünn, beinahe schlaksig, elend groß, so an die 1,91 und wirkte auf den ersten Blick mit seinem blonden Schöpfchen, den abstehenden Ohren, dem großen Mund und dem riesigen Adamsapfel ein wenig doof. Das war aber nur die Fassade, er blödelte eben gern. Im Grund war er ein ganz kluges Bürschchen und wollte es zu etwas bringen. Zunächst freilich brachte er es nur zu einer ganzen Menge Spaß im Bett. Er war zwar alles andere als ein wirklicher Liebhaber, daran fehlte es ihm an Ernst, an Hingabe, an Leidenschaft und an Erfahrung. Aber er war so munter, so unermüdlich in seinen Späßen und auch nachher immer noch so gut aufgelegt, daß es nie zu schwülen oder tristen Stimmungen kam und ich mich von seinem urwüchsigen Berliner Humor richtig wieder eingedeutscht fühlte nach den Zeiten in Wien, Paris und an der Riviera.

Ich hatte mich eben daran gewöhnt, ein ganz gewöhnliches Mädchenleben zu führen, mit fünfmal die Woche Freund und zweimal die Woche Chef im Bett, mit Wochenende am Wannsee oder in Tegel und abends Kino auf dem Kudamm, als die NATO anrückte, und zwar gleich drei Mann hoch. „Ich kann dir nicht helfen, Heidemariechen“, hatte Dussing gesagt und seine Sorgenmiene aufgesetzt, „die müssen wir abkochen, koste es, was es wolle.“

Nun, ich hatte ja dank der Schule des netten Barons Patkul eine gewisse Erfahrung im Umgang mit gutsituierten Herren mittleren Alters und fürchtete mich nicht vor dem, was da auf mich zukam. Mich schmerzten nur die fünf Abende, die das kosten sollte, und darum verhandelte ich vorneweg ein wenig mit Dussing.

„ Ich bin deine Freundin“, sagte ich ihm zwischen der ersten Nummer und der Doublette, in jener vagen Stimmung, da beide voneinander genug haben und doch wissen, daß sie noch einmal loslegen werden, „ich bin deine Freundin, aber ich bin kein Callgirl. Ich bin eine sogenannte femme entretenue, was etwas durchaus Ehrenwertes ist und nicht so mir nichts dir nichts weiterverhökert werden kann.“

„ Mariechen“, blökte Dussing und krabbelte ablenkungsbedürftig in meinen Schamhaaren herum, „ich habe dich doch in dieser Hinsicht niemals strapaziert. Mir hat es immer genügt, wenn du nett aussahst und freundlich zu den Herren warst und mal ein paar Blicke in dein Dekolleté gestattet hast. Diesmal aber geht es wirklich um etwas. Wenn ich diesen Vertrag kriege, dann bin ich in, dann brauche ich keine Lobby mehr, dann spare ich die ganzen irrsinnigen Provisionen, die ich bisher diesem Schnösel – du kennst ihn, mir fällt der Name jetzt nicht ein – bezahlt habe, dann bin ich vor allem nicht mehr abhängig von dieser Visage!“

„ Wenn du soviel sparst, sollte dann nicht auch für mich etwas ‘rausspringen?“

„ Halte ich dich zu kurz? Hast du nicht Wohnung, Gehalt und Apanage?“

„ Für das Gehalt arbeite ich, das scheidet aus den Erwägungen aus, mein Guter“, sagte ich hart, „und was Wohnung und Apanage anbelangt, so rechne mal ein bißchen. Im Schnitt kommst du neunmal im Monat zu mir, zu einer Biene mit Grips, Figur, Umgangs- und anderen Formen, jeweils für den ganzen Abend mit allen Schikanen. Das kostet dich bei einem hübschen Callgirl neunmal zweihundertfünfzig.“

„ Danke, ich habe begriffen“, ächzte Dussing und erhob sich. „Mir ist die Lust vergangen, womöglich rechnest du mir noch jeden Verkehr einzeln vor. Also bis morgen!“

Ich hatte eine unruhige Nacht. Hatte ich den Bogen überspannt? Epple war weicher gewesen, Sachenberger reicher; woher sollte ich wissen, wie man mit einem deutschen Chef von Mittelkaliber umzuspringen hat?

Mittags aber, als er mit der Post fertig war und vor dem Essen noch eine Minute Zeit hatte, leuchtete das Cheflämpchen auf, und ich marschierte, zum Beidrehen entschlossen, in sein Zimmer.

„ Hier“, sagte er wortlos, reichte mir ein weißes Kuvert und nahm den Mantel vom Haken, „aber es ist ein reines Erfolgshonorar, also voller Einsatz!“

Ich sah natürlich nicht gleich nach, was drinstand, steckte mit eisiger Miene das Kuvert in meine Bluse und verschwand. Erst, als er mit Tschüs Mahlzeit enteilt war und die Mittagsstille sich im Büro ausbreitete, öffnete ich den Umschlag. Darin stand groß

Ein Prozent

und darunter: Wir brauchen aber noch zwei Bienen, und zwar Klasse, keinen Durchschnitt.

Im Büro gab es wohl noch ein paar Damen, aber wir waren insgesamt kaum ein Dutzend Angestellte, und ich konnte mir denken, daß Dussing die Sache nicht gerade in diesem Kreis bekanntmachen wollte. Die Arbeiterinnen aber, vor allem die zum Teil recht jungen und appetitlichen Anfängerinnen an den Webstühlen, kannte ich viel zu wenig, traf nur gelegentlich die eine oder andere im Lohnbüro, da konnte man in der gebotenen Eile auch nicht viel machen, und es war auch mehr als zweifelhaft, ob diese breit berlinernden, ziemlich direkten Mädchen den Geschmack der doch ziemlich zugeknöpften Benelux-Herren getroffen hätten.

Während ich so grübelte und das verheißungsvolle Prozent bereits wieder davonschwimmen sah, blätterte ich im Tagesspiegel und sah zu meinem Entzükken, daß der Oiseau bleu bei Eden gastierte. Das war ein Fingerzeig des Himmels oder zumindest eines liebenswürdigen Teufels. Ich schrieb Dussing einen erklärenden Zettel und machte mich sogleich auf, um das Hotel meiner Kolleginnen von einst ausfindig zu machen.

Um zwei Uhr hatte ich sie gefunden, sie saßen eben beim Frühstück in einem scheußlichen neuen Kasten von Hotel am Kudamm ganz hinten, von wo sie bis zum Europacenter endlos zu hatschen hatten, wie sie mir nach den ersten frenetischen Umarmungen alle zugleich anvertrauten. Noemi war nicht mit von der Partie, das war natürlich eine Enttäuschung, und auch Don Hersch war in Paris geblieben, was ich eher verschmerzen konnte. Aber von dem Rest der niedlichen Schweinchen, die diese Tournee mitmachten, waren zwei gleich bereit, mir aus der Patsche zu helfen:

„ Wir haben ohnedies eine Reserve von zwei Girls, so daß zwei immer bei Eden herumsitzen oder im Hotel. Da ist es doch viel lustiger, bei einer alten Freundin ein wenig Geld zu verdienen!“

Die erste Markaufwertung und die erste Francsabwertung lagen inzwischen hinter uns, und beide erklärten sich begeistert mit 300 DM pro Kopf und Abend einverstanden.

Dussing fiel mir erleichtert um den Hals, als ich ihm, eben noch vor Büroschluß eintrudelnd, von dieser eleganten Lösung berichten konnte.

„ Wunderbar“, sagte er, „die können ja mit den Herren französisch sprechen.“

„ Die können überhaupt französisch“, bekräftigte ich, „und nicht nur sprechen!“

Der Empfang der drei Herren verlief denn auch in bester Stimmung, Dussing brachte sie selbst ins Hotel, zeigte ihnen nachmittags seine Fabrik und die Schneiderei und verabschiedete sich dann mit ihnen verheißungsvoll zu einem intimen Abend in seiner Villa, die erst am Morgen von der Familie geräumt worden war: Frau Dussing mit den süßen Kleinen war Hals über Kopf zur Oma nach Bad Kreuznach expediert worden. Die Villa – ein Gelegenheitskauf – lag in Lichterfelde-Ost sehr angenehm in einem Garten mit hohen alten Bäumen, aber es hatte meines besten Französisch bedurft, um den Herren klar zu machen, daß Lichterfelde-Ost immer noch WestBerlin sei und sie keine Gefahr liefen, wenn sie uns dort besuchten: Kleiner Scherz der Berliner Topographie, sonst nichts.

„ Zu dumm, dieses Ost hinter Lichterfelde“, wütete Dussing, der hypernervös war, „ich hätte doch in Dahlem bauen sollen, statt diesen alten Kasten zu nehmen. Aber er war um 80 000 DM billiger, und du wirst sehen, diese 80 000 von damals kosten mich jetzt eine Million!“

Um acht Uhr fuhr das erste Taxi vor, es brachte Monique, eine entzückende blonde Pariserin, und Irina, eine hinreißende Eurasierin, die schlechthin unwiderstehlich war. Dann kam der Lieferwagen mit dem kalten Buffet von Kempinski und der Serviererin, und schließlich, um halb neun, unser Firmenmercedes, der die Herren Dremelon, van Straaten und de Gebwiller aus dem Hotel abgeholt hatte.

Warum soll ich lange Umschweife machen? Es bestätigte sich wieder einmal, daß Positionen und Funktionen nach der dritten Flasche nicht mehr viel zu sagen haben, vor allem, wenn von der anwesenden Weiblichkeit soviel Attraktion ausgeht wie in diesem Fall. Dussings Altbau-Villa hatte eine Flucht von drei schönen, hohen Räumen, deren mittlerer ein Wintergartenzimmer war. Dort war das Buffet angerichtet, in den beiden Salons vollzog sich bei gedämpftem Licht die weitere Entwicklung. Dussing, der einzige Unbeweibte, mochte sich Hoffnungen auf die hübsche Serviererin gemacht haben, die in einem knappen schenkelkurzen schwarzen Kleid mit kokettem weißem Schürzchen so lange für Stimmung gesorgt hatte, als noch niemand sich wirklich traute. Um halb elf aber erklärte die junge Dame, daß ihr Dienst abgelaufen sei, das Nachschenken werde ja wohl der Hausherr selbst besorgen können, und sie entschwand – was gewisse Nachteile, aber auch das Gute hatte, daß wir nun unter uns waren.

Der Holländer war der erste, der die Contenance verlor und beim ersten Toast mit der vierten Flasche uns allen das Du antrug. Da er der älteste war, ließ sich dagegen nichts sagen, aber als Irina dann noch einmal vous sagte statt tu, weil sich in Frankreich eben auch gute Freunde noch so anreden, da verlangte der eigensinnige Greis, daß sie zur Strafe das Kleid ausziehe. Nichts konnte ihr weniger ausmachen, daß wußte ich, aber es ärgerte sie, daß sie es als Strafe tun sollte – vor allem, da wir alle drei Abendkleider trugen, die so geschnitten waren, daß man allenfalls einen Minislip, sonst nichts mehr darunter anziehen konnte.

„ D’accord, Monsieur“, sagte sie mit ihrer dunklen Akzentstimme, „ich ziehe aus, was Sie wollen – wenn Sie mich fangen können!“

Dussing schloß blitzschnell die Tür zur Halle, Irina wetzte in einem Höllentempo ab und Mijnheer van Straaten hinter ihr her, das Gesicht vom Wein und von der Gier gerötet. Nach drei Runden um das Buffet war der Gute dem Infarkt näher als seiner Beute, ich gab Irina bittend ein Zeichen und sie strauchelte über eine nicht vorhandene Teppichfalte. Van Straaten stolperte glückselig über sie, tastete ein Weilchen nach dem verlorengegangenen Zwicker und dann nach Irina und keuchte dann, sich erhebend:

„ Sie haben gesagt, Sie ziehen aus, was ich will!“ „Und du hast eben Sie gesagt“, fauchte Irina, die aus dem Schaden klug geworden war, „also machen wir gemeinsam Striptease, du ein Stück, ich ein Stück; vas y !“

Hätte Irina nicht soviel Schmuck getragen, sie hätte bald im Freien gestanden, denn van Straaten enthüllte uns mit schöner Bedächtigkeit Gilet, Hemd, Unterhemd, lange Unterhose, Slip und so weiter und trug immerhin noch Slip und Sockenhalter, als die schöne Irina mit unsäglich verachtungsvoller Gebärde aus dem Hauch in rosa Nylon schlüpfte, den sie um die Hüften getragen hatte. Gebwiller, der luxemburgische Baron, rettete die Lage durch eifrigen Applaus (ich hatte ihn in Verdacht, daß der Oiseau bleu ihm recht gut und Irina einigermaßen bekannt war, aber er tat nichts dergleichen und hielt sich höflich an mich). Van Straaten durfte also seinen Altherrenschwanz noch ein Weilchen verborgen halten, während Irina nun, da sie nichts mehr zu verlieren hatte, sich mit lässig-frechen Attituden über die ganze Party lustig zu machen begann und schließlich so obszön inmitten der Reste des kalten Buffets thronte, daß Dussing der Schweiß auf die Stirn trat.

„ Ich bitte dich, Heidemarie, tu etwas“, flüsterte er mir hinter der vorgehaltenen Serviette zu, „die sprengt mir doch die ganze Gesellschaft.“

„ Helfen Sie mir, Baron“, sagte ich meinerseits zu Gebwiller, der als der einzige von allen vier Herren noch hinreichend nüchtern war, „Sie kennen doch Ihre Kollegen, sagen Sie mir offen, was die Herren erwarten, wir wollen es Ihnen so angenehm wie nur möglich machen, und Dussing ist diskret, dafür verbürge ich mich.“

„ Was ich erwarte, fragen Sie nicht?“ antwortete Gebwiller lächelnd und hob mir sein Glas entgegen. Sein wohlgenährtes Bonvivantgesicht legte sich in anzügliche Falten. Der also hatte es auf mich abgesehen, van Straaten auf Irina, blieb Dremelon für das Blondchen aus Paris.

„ Man müßte, nun sagen wir, Rückzugsmöglichkeiten bieten“, regte Gebwiller leise an, „wir sind doch allesamt nicht mehr jung und unbefangen genug für eine Gruppenparty. Wie steht’s denn mit dem ersten Stock, sind da noch Zimmer?“

Das war deutlich, aber zweckdienlich, und eine Viertelstunde später wälzte sich van Straaten mit Irina in den Dussingschen Ehebetten, Dremelon mit Monique im Gästezimmer, und ich saß nackt auf Gebwillers Schoß im blauen Salon, in einem mächtigen Ohrenfauteuil, der solche Spiele sicherlich schon manchmal gesehen hatte, denn er wackelte mit keinem Ohr. Der Stummel, den ich aus Gebwillers Frackhose geholt hatte, war zwar kurz, aber dick, und wenn auch Experten behaupten, daß Dicke die Länge nicht ersetzen könne (so nachzulesen bei Diane di Prima in High ), so fühlte ich mich nach den ersten Reitübungen mit dem Baron doch höchst angenehm berieben.

„ Falls Sie sich von Ihren Hosen trennen könnten, Baron, würde das Ihre Möglichkeiten um etwa zwei bis drei Zentimeter steigern“, sagte ich, als ich merkte, daß er praktisch nur masturbiert werden wollte. „Meinen Sie, daß das viel Sinn hat, Heidemarie?“ „Und ob! Wagen Sie’s doch. In diesen Dingen gibt es keine Rückzugsstrategie!“

Ich zog ihm die Hose von den Beinen, befreite ihn auch von einer köstlich geblümten Unterhose, breitete dann den Sofaüberwurf aus herrlich weichen Guanakofellen auf den Teppichboden und legte mich für ihn so einladend hin, wie es mir schon meine angefeuchtete Möse als dringend geboten erscheinen ließ.

„ Und nun blasen Sie zum Angriff, Baron“, ermunterte ich ihn, und es war nicht vergebens. Wie in alten Zeiten kniete der Bonvivant aus dem kleinen Herzogtum vor mir nieder, knabberte genüßlich an meinen Schamlippen herum, bekaute den Kitzler, als sei er eine Olive, und warf sich schließlich mit einem unartikulierten Brunftschrei auf mich.

Das Fell rieb an meinem bloßen Po, der Baron rieb in meinem Döschen, mir wurde immer wärmer und wohler zumute, und die Stuck-Amoretten an der Zimmerdecke begannen einen erotischen Tanz mit Monsterpopos und Minischwänzen aufzuführen.

In dem Augenblick, da Gebwiller voll in Fahrt an meinen Brüsten mantschte und saugende Küsse aus meinem Mund zu holen begann, seufzte es vernehmlich in nächster Nähe, beim Tisch mit dem kalten Buffet: Herr Dr. Ing. Theodor Dussing hatte aus Verzweiflung in eine große Schüssel Tomatensalat ejakuliert und bestrich sich den Pimmel, um sich zu bestrafen, mit Develey-Senf.

„ Was sagen Sie zu diesem Mann“, fragte Gebwiller, atemlos weiterrammelnd, „der hat vom Gemeinsamen Markt noch keine Ahnung. Für so etwas nimmt man doch Moutarde de Dijon!“

Er hatte also Humor, er hatte Manieren, und er hatte keinen jener langen, dünnen Levantinerschwänze, die einen in Tiefen kitzelten, wo sie ganz und gar nicht mehr angenehm waren, Glieder, die man glücklicherweise meist nur in Pornofilmen zu sehen bekam. Monsieur le Baron de Gebwiller war zufrieden mit mir, wir hatten beide miteinander geschwitzt, ohne daß einer von uns angewidert gewesen wäre, das verbindet über den Tag hinaus, und Tag war es schon lange nicht mehr. Unter Kronleuchtern hat der Sex seinen besonderen Charakter, und da Dussing, beschämt aufstehend, nun irgendwoher Musik erklingen ließ, fühlte ich mich durchaus angenehm belebt unter dem festlichen Deckenlicht, das meine unbestreitbaren Vorzüge so glanzvoll ins Bild rückte. Es war eine richtige Orgie geworden, nicht so ein verstecktes Geschmuse in einem dreivierteldunklen Separé, das nach der vorangegangenen Nummer stank. Es war la grande bouffe gewesen, von allem etwas, und Dussing jedenfalls würde mir nichts vorwerfen können.

Von Chef zu Chef II

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