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6.

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Eine Woche ist seit Lydias Zusage, Tillys Klasse auf großer Fahrt zu begleiten, vergangen, und schon steht sie früh an der Schule und wartet mit allen anderen auf den Bus. Bevor ihr jedoch Zweifel kommen können und sie den Rückzug antritt, macht Frau Berger sie mit Hannes Vater bekannt.

„Das ist Herr Schulze.“

Er beugt sich zu Lydia und sagt: „Du kannst ruhig Hans zu mir sagen.“

Sie sieht ihn abschätzend an und denkt: „Er ist wirklich groß und kräftig und wirkt auf die jugendliche Truppe Respekt einflößend. Da kann ich mich bei der Betreuung vielleicht etwas zurückhalten.“

Sie reicht ihm die Hand und stellt sich vor: „Lydia Bach.“

„Ich bin so froh, dass Sie sich bereit erklärt haben mitzukommen“, sagt Frau Berger zu Lydia. „Es ist zurzeit sehr schwer, Begleitpersonen zu finden, denn meine Kollegen wollen auch nicht mehr an Klassenfahrten teilnehmen.“

„Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Meine eigenen Klassenfahrten liegen Jahre zurück. Außerdem mache ich Tilly damit eine Freude“, antwortet Lydia.

Der Bus kommt pünktlich. Alle Schüler steigen ein – besser gesagt, die meisten Jungs rammeln in den Bus und die Mädchen glauben wohl, je lauter sie schreien, umso besser sind ihre Plätze.

Herr Schulze winkt Lydia zu. Als sie sich unbemerkt an seinem Sitz vorbeischleichen will, flüstert er: „Setz dich doch zu mir. Ich habe so eine bezaubernde junge Frau wie dich schon lange nicht mehr neben mir gehabt.“

Er zwinkert ihr überflüssigerweise auch noch zu.

Das kann ja was werden“, denkt sie und lehnt sein Angebot ab, um sich einen Platz in einem großen Abstand zu ihm zu suchen.

„Herr Schulze, es ist besser, wenn wir Erwachsenen uns aufteilen“, sagt Frau Berger zu ihm.

Worauf Lydia sie erleichtert ansieht. Für die lange Fahrt hat sie sich einen MP3-Player eingepackt. Sie glaubte, dass sie während der langen Busfahrt endlich Zeit hätte, in Ruhe etwas Musik zu hören, denn die Kids können ja nicht weit weg und brauchen noch keine Aufsicht. Falsch gedacht, denn schon bald wundert sie sich über die Unruhe. Alle Schüler sind immerzu irgendwie in Bewegung und reden laut durcheinander. Sie benehmen sich wie die Hühner, sowie der Fuchs im Stall auftaucht.

Nach zehn Stunden kommen sie endlich in der Jugendherberge an.

Wie die Kinder eingestiegen sind, so wollen sie auch wieder aus dem Bus raus – mit Gedränge und Geschrei.

Der Fahrer verteilt das Gepäck. Auch dabei geht es laut zu.

Einem Mädchen fehlt der Schminkkoffer, den sie gerade in diesem Augenblick unbedingt brauchen würde.

Ein Junge meint: „Der hat sicher während der Fahrt die Flucht ergriffen, denn der hat es bei dir auch nicht mehr ausgehalten.“

Ein anderer fügt lachend hinzu: „Guck mal, Cindy. Dort sind junge Männer. Schnell, leg noch eine Schicht Farbe auf, damit die dich nicht gleich so genau erkennen.“

Cindy verzieht das Gesicht und sieht aus, als würde sie gleich anfangen zu heulen.

Frau Berger beruhigt sie.

„Es wird sicher alles wieder zum Vorschein kommen. Wo sollte der Koffer denn sein? Der Gepäckraum war die ganze Zeit verschlossen.“

Zum Glück kann Cindy das unentbehrlichste aller Stücke noch in Empfang nehmen.

Als sich alle ihre Sachen genommen haben, informiert Frau Berger die Schüler, dass die Jungs im ersten Stock des Haupthauses und die Mädchen in einem Anbau untergebracht sind.

Das freut mich, denn der Herr Schulze muss bei den Jungs bleiben“, denkt Lydia.

Frau Berger versucht, alle zu übertönen und ruft in die Runde: „Ihr geht jetzt in eure Unterkünfte und packt aus. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier auf dem Vorplatz.“

Es versammeln sich dann auch alle und schreien schon wieder oder besser gesagt, immer noch, durcheinander.

„Ruhe bitte“, ruft Frau Berger.

Leider kann sie damit nichts erreichen.

Plötzlich erschallt neben Lydias Ohr ein schriller Pfiff. Erschrocken dreht sie sich um.

Herr Schulze zwinkert ihr schon wieder zu und sagt: „So macht man das bei dieser Hammelherde!“

Da die Schüler sofort still waren, bleibt seine unangebrachte Bemerkung über die Truppe nicht ungehört.

Er fängt sich von Frau Berger einen strafenden Blick ein. Als sich die meisten von dem Schreck erholt haben, geht das Geschrei weiter.

Wenn er diese Hammelherde länger ruhighalten will, muss er an seinem Pfiff noch arbeiten“, denkt Lydia und hofft, keinen bleibenden Hörschaden zu behalten.

Die Vorschläge für Unternehmungen weichen sehr von den gegebenen Möglichkeiten ab.

Disco, Shopping, Drachenfliegen, Kino, Rafting .....

An der Rezeption hatte Lydia Flyer gesehen und schickt Tilly hin, um einige zu holen. Sie kommt mit einem Stapel verschiedener Prospekte zurück und verteilt diese. Es setzt wirklich kurz Ruhe ein.

Frau Berger schlägt den Schülern vor, sich in kleinere Gruppen aufzuteilen und zu beraten.

Bereits kurze Zeit später maulen ein paar Mädchen, und sagen mit Nachdruck, dass sie auf keinen Fall wandern werden.

„Nun wartet doch erst einmal ab, was für Vorschläge von den anderen kommen“, sagt Lydia etwas genervt. „Und statt zu sagen, was ihr alles auf gar keinen Fall tun wollt, solltet ihr euch Gedanken darüber machen, wozu ihr überhaupt bereit seid.“

Sie setzt sich mit einem Flyer auf eine Bank im Schatten.

Nach einer Weile kommt Tilly zu ihr und fragt: „Was machst du so alleine hier?“

„Ich wünsche mich gerade ganz weit weg“, antwortet Lydia spontan. „Aber ich habe scheinbar die richtige Zauberformel vergessen.“

Tilly guckt traurig. „Bereust du es jetzt schon sehr, dass du mitgekommen bist?“

„Sehr vielleicht noch nicht. Man muss eben das Beste daraus machen. Wir lassen uns so viel einfallen, dass selbst das faulste Kind in Bewegung kommt und am frühen Abend darum bettelt, ins Bett gehen zu dürfen.“

Tilly grinst und sieht sich gemeinsam mit Lydia die Flyer an. Ziemlich schnell haben sie ein Programm notiert, bei dem jeder auf seine Kosten kommen kann – wenn er dazu bereit ist. Sie gehen zu den anderen. Der versammelten Mannschaft erzählt Tilly, was ihnen alles eingefallen ist.

„Also, wir können an einem Tag mit der Seilbahn auf den Gletscher fahren. Dort kann man Wintersportgeräte ausleihen. An einem anderen Tag besuchen wir den großen Freizeitpark im Nachbarort. Da wird ziemlich viel Abwechslung geboten.“

Cindy fällt ihr ins Wort: „Aber wandern gehe ich auf keinen Fall, dass das mal klar ist. Ich renne hier nicht durch die Berge.“

Ein Junge kann sich seinen Kommentar einfach nicht verkneifen. Er sagt: „Das haben die Tiere auch nicht verdient, dass sie auf dich treffen. Die erschrecken sich ja zu Tode.“

„Felix, lass es gut sein“, ermahnt ihn Frau Berger.

Die Schüler grinsen und als Hannes Luft holt, um auch noch seine Meinung zu äußern, bekommt er einen warnenden Blick von seinem Vater. Damit hat er das erste Mal etwas bei Frau Berger gepunktet, die ihn dankbar ansieht.

„Und wenn alles gut läuft, damit meine ich wirklich alles, dann bin ich damit einverstanden, dass wir am letzten Tag in das Erlebnisbad gehen“, verspricht sie.

Dieses hatten sie bei der Ankunft schon gesehen. Der Vorschlag wird lautstark und begeistert aufgenommen.

Bis zum Abendessen erkunden noch einige die nähere Umgebung. Cindy und Annabell haben sich schon abgesetzt und sind auf der Pirsch nach den jungen Männern. Natürlich haben beide vorher noch reichlich aus dem Schminkkoffer nachgelegt.

Nach dem Abendessen spielen die Jungs Fußball und die Mädchen Tischtennis.

Ohne großes Theater gehen auch alle nicht allzu spät in ihre Betten. Lydia teilt sich mit Frau Berger ein Zimmer.

Sie fühlt sich in die Zeit ihrer Klassenfahrten zurückversetzt. Dass sich ihre Mitschüler auch so aufgeführt hatten, wie diese Klasse hier, wird ihr bewusst. Damals fand sie es nicht so schlimm. Im Nachhinein sendet sie in Gedanken eine Entschuldigung an ihre ehemaligen Lehrer.

Sie fragt Frau Berger, wie sie das denn tagtäglich aushält.

„Das ist alles nur Gewohnheitssache. Und die schlimmste Klasse habe ich in diesem Schuljahr mal nicht erwischt. Was da meine Kollegen schon alles hinter sich haben?“ Sie schüttelt ihren Kopf. „Vor einem halben Jahr haben die Jungs der zehnten Klasse auf dem Dachboden des Schullandheimes geraucht. Dort waren alte Matratzen eingelagert und die fingen Feuer. Da sie sich natürlich nicht getraut haben, Alarm zu schlagen und das Feuer auch nicht selbst löschen konnten, ist das ganze Gebäude bis auf die Grundmauern abgebrannt. Wir können froh sein, wenn uns so etwas erspart bleibt und unsere Schüler auch weitestgehend auf Alkohol und Drogen verzichten. Wir müssen nur zusehen, dass alle immerzu beschäftigt sind und keine Möglichkeit haben, sich abzusetzen. Ich mache jetzt noch einen Rundgang und schaue nach, ob alles in Ordnung ist.“

Mit der Hoffnung, dass die nächsten Tage ohne größere Zwischenfälle und wie im Flug vergehen, schläft Lydia irgendwann ein.

Am nächsten Morgen ist nach dem Frühstück Treffen an der Bushaltestelle angesagt und alle staunen nicht schlecht. Die Modepüppchen Cindy und Annabell kommen im Minirock, mit Riemchensandaletten und bauchfreiem Top. Da die Sonne noch hinter den Wolken ist, haben sie ihre überdimensionalen getönten Designerbrillen in den Prachtfrisuren platziert.

Die müssen doch mindestens vier Uhr aufgestanden sein, um diese Kunstwerke an sich zu erschaffen“, denkt Lydia amüsiert.

„Du kannst den Mund wieder zu machen und musst dich nicht wundern. Die kommen sogar so zur Schule“, sagt Tilly zu ihr.

Lydia klappt ihren Unterkiefer wieder nach oben. Zum Glück nimmt Frau Berger ihr das Wort aus dem Mund.

„Cindy und Annabell, seid ihr wahnsinnig? Ihr könnt doch so nicht mit auf den Gletscher kommen und Skifahren schon gar nicht.“

„Das haben wir überhaupt nicht vor“, stellt Cindy fest.

„Ja. Ihr hofft nur, dass junge Männer über euch stolpern“, sagt der vorlaute Felix.

„Auch wenn hier die Sonne scheint, ist es doch dort oben kalt“, klärt Frau Berger sie auf. „Ihr geht jetzt schnell zurück und holt euch eine Jacke, Hose und feste Schuhe.“

„So etwas haben wir nicht mit.“

Unterdessen kommt der Bus. Frau Berger ist etwas ratlos, denn sie kann die Mädchen so nicht mitnehmen, dann ist eine Lungenentzündung vorprogrammiert. Also fährt der Bus ohne die Schüler weiter. Der nächste kommt in einer Stunde. Bis dahin sollte das Problem Sommer-/Winter-Outfit von Cindy und Annabell geklärt sein.

„Dann müsst ihr euch eben von den anderen Mädchen ein paar warme Sachen borgen“, schlägt Frau Berger vor.

„Das kommt nicht in Frage. Mit dem unmodernen Zeug kann man sich in der Öffentlichkeit nicht zeigen. Wir sehen noch mal in unseren eigenen Taschen nach, ob wir etwas finden.“

Mit diesen Worten wackeln sie ab, nicht, ohne ihren Unmut zur Schau zu stellen. Nach fünfundvierzig Minuten kommen sie wirklich in etwas passenderen Klamotten an und sogar noch pünktlich genug, damit alle mit dem nächsten Bus in Richtung Gletscher aufbrechen können.

Der Tag verläuft recht ruhig. Fast alle sind mit irgendwelchen Wintersportgeräten auf den Pisten. Einigen Kindern merkt man an, dass sie bisher öfter die Gelegenheit hatten, Ski zu laufen. Sie wedeln wie die Profis den Hang hinunter. Lydia rodelt mit Tilly und Annika um die Wette.

Am Nachmittag fragt Frau Berger Lydia, ob sie mit in die Bergbaude kommen möchte, um einen Kaffee zu trinken. Außerdem müsste sie nach Cindy und Annabell sehen, die sich nicht überwinden konnten, die Bahnstation zu verlassen. Zur Beruhigung von Frau Berger sitzen beide in der Sonne, jedoch in ihrem ursprünglichen luftigen Outfit. Bei ihnen sind drei junge Männer, die sich zu überschlagen scheinen, die Mädchen zu verwöhnen und anzuhimmeln.

Auf der Terrasse finden sie auch Herrn Schulze, der in einem Liegestuhl eingeschlafen ist. Frau Berger geht zu ihm und fragt, ob er sich zu ihnen setzen möchte.

Mit großen Schritten kommt er auf Lydia zu und sagt: „Ich habe die beiden Mädchen bewacht. Wenn das meine wären, hätten die nichts zu lachen.“

„Fremde Kinder lassen sich immer leichter erziehen, Herr Schulze. Die Fehler, die andere Eltern machen, sieht man ganz genau. Das war schon immer so“, sagt Frau Berger zu ihm.

Nach der wohlverdienten Kaffeepause sammeln sie alle Schüler ein und fahren zurück.

Eine ungewohnte Ruhe breitet sich im Bus aus. Fast alle sind erschöpft. Außer natürlich die ausgeruhten Modepüppchen, die ununterbrochen den anderen von ihren Eroberungen vorschwärmen wollen. Aber, anstatt erwarteten Neid zu ernten, sehen sich die beiden schnell schlafenden Mitschülern gegenüber.

Nach dem Abendessen sitzen alle auf der Wiese hinter dem Haus. Es ist aber ersichtlich, dass der Abend nicht mehr allzu lang wird. Cindy und Annabell sind auf der Suche nach den jungen Männern und Frau Berger auf der Suche nach den beiden Mädchen, um sie zu ermahnen, auch endlich in ihr Zimmer zu gehen. Maulend ziehen sie ab.

Als Lydia mit Frau Berger allein ist, nutzt sie die Gelegenheit, um nach Annika zu fragen.

„Annika ist erst vor kurzem in diese Klasse versetzt worden“, sagt Frau Berger. „Ich habe sie darauf angesprochen, aber sie schweigt. Mehr, als Hilfe anzubieten, kann ich nicht tun. Ihre Mutter ist einmal zum Elterngespräch gekommen. Sie hat auch nichts gesagt. Sie wirkte sehr eingeschüchtert und traurig. Als ich ihr anbot, auch mit ihrem Mann zu sprechen, hat sie das entschieden abgelehnt. Vielleicht erreichen Sie zusammen mit Tilly etwas, denn sie hat mich auch schon um Rat gefragt. Aber, wie gesagt, wenn Annika nicht von selbst um Unterstützung bittet, sind mir die Hände gebunden.“

Ratlos denkt Lydia über Annika nach und hofft, dass sie ihr gemeinsam mit Tilly und Christine helfen kann.

Am nächsten Tag steht der Besuch des Freizeitparkes auf dem Programm. Alle scheinen zufrieden zu sein, schwatzen in freudiger Erwartung durcheinander.

Auf dem weitläufigen Gelände sind die verschiedensten Karussells aufgebaut, die mit ihrer Kulisse ein tolles Ambiente bilden. Selbst die Losbude wurde in ihrer Gestaltung der Berggegend angepasst. Als Gewinne gibt es Murmeltiere, Steinböcke, sogar Vögel aus Plüsch und Zubehör für Trachten, vom Taschentuch bis zu den Schnürsenkeln, Hüte, Wanderstöcke, Edelweiß-Anstecknadeln bis hin zur Lederhose in mini-klein bis Herrn Schulze-groß.

Kaum hat Lydia an ihn gedacht, steht er auch schon dicht hinter ihr und flüstert: „In so einem feschen Dirndl möchte ich dich gern mal sehen. Da siehst du sicher umwerfend aus.“

Lydia ignoriert ihn einfach und geht weiter.

Um ihm aus dem Weg zu gehen, fragt sie Tilly und Annika: „Was haltet ihr davon, wenn wir da vorn mit der Schleuder fahren? So ein tolles Karussell gab es in meiner Jugend noch nicht.“

Und denkt: „Was ich nicht alles auf mich nehme, um diesem Herrn zu entkommen. Hoffentlich behalte ich mein Frühstück drin.“

Die Mädchen sind begeistert und laufen schon mal vor, um sich anzustellen.

Die Schleuder ist ein riesiger runder Metallkäfig, der sich um seine eigene Achse dreht. Durch die Fliehkraft wird jeder Mitfahrer nach außen gedrückt. Lydia hätte nie gedacht, dass sich der Herr Schulze auch in die Schlange der Schleuder-Willigen einreiht. Er beobachtet sie und als sich ihre Blicke treffen, grinst er sie an.

Zurück kann sie nun nicht mehr, denn dann hätte sie an ihm vorbeigemusst. Ohne engen Körperkontakt wäre das nicht möglich gewesen, da die Breite des Zugangs nur für eine vorwärtsstrebende Person gedacht ist.

Tilly und Annika stellen sich beide links neben Lydia und wie sollte es anders sein, der Herr Schulze kommt unaufhaltsam auf sie zu und schiebt seine Massen an ihre rechte Seite.

„Da will ich mal schön auf dich aufpassen, damit du nicht abhebst und wegfliegst“, sagt er mit leuchtenden Augen zu ihr.

Sie sendet eine große Bitte nach ganz oben: „Oh Gott, bitte lass die Fahrt schnell vorbei sein. Oder besser noch – schicke einen Motorschaden in dieses Gefährt“, und hofft, dass die Schleuder durch das Gewicht des Herrn Schulze erst gar nicht in Fahrt kommt.

Leider sind nur wenig Mutige eingestiegen, sodass das Gewicht des Herrn Schulze nicht sehr ins Gewicht zu fallen scheint, denn die Fahrt geht einfach los, ohne Lydias Wünsche zu erfüllen.

Sie denkt entsetzt: „Wenn sich doch dieses Ding wenigstens in die andere Richtung drehen würde, aber nein – den Herrn Schulze drückt es unaufhaltsam zu mir. Womit habe ich das verdient? Oh Gott, du weißt wohl nicht wie viel der wiegt? Du musst ja hier nicht hängen. Das Gitter drückt sich in meinen Rücken. Noch ein bisschen und ich schnipse durch, wie eine Kartoffel durch den Pommesschneider. Hiiilllfffeee!“

Irgendwann lässt die Geschwindigkeit langsam nach.

Herr Schulze kann es sich nicht verkneifen, Lydia zuzuflüstern: „Wow. Das hat gut getan.“

Als Lydia die Augen öffnet, sieht sie, dass Tilly ganz blass geworden ist und Herrn Schulze böse anfunkelt.

Annika sieht so aus, als würde sie gleich ihr Frühstück verlieren. Lydia vergisst ihre eigene Übelkeit und Verzweiflung.

Sie sucht sich mit den Mädchen eine ruhige Ecke, in der sie erst mal verschnaufen können.

„Wie geht es dir?“, fragt Tilly. „Ich hatte so eine Angst, dass der dich zerquetscht.“

Nun muss Lydia lächeln, denn die ganze Situation ist ihr einfach zu blöd.

„Ich wollte doch nur mit diesem Ding fahren, weil ich dachte, dass Herr Schulze da ganz bestimmt nicht einsteigt. Damit ich ihn ein Weilchen los bin. Aber beruhige dich, es geht schon wieder. Mein Rücken sieht sicher aus, als hätte man mir ein Brandzeichen aufgedrückt. Morgen laufe ich im Schwimmbad wie ein Werbeplakat für Metallgitter rum.“

Tilly sieht Lydia zweifelnd an. Es bleibt ihr aber nichts anderes übrig, als ihrer Patentante zu glauben, dass es ihr wirklich ganz gut geht.

Frau Berger kommt zu ihnen und sagt mitleidig zu Lydia: „Das sah ja schlimm aus. Sind sie verletzt?“

„Nein. Es geht schon wieder. Der Schreck ist größer als es die ganze Sache wert ist.“ Damit beruhigt sie sich auch selbst und schlägt vor: „Vielleicht sollte ich nur noch auf einem Schwein des Kinderkarussells reiten.“

Nach einer kurzen Pause sind alle in der Lage, die nächste Attraktion in Angriff zu nehmen.

Eine Geisterbahn mit Gruselkabinett wurde in einen alten Bergwerkstollen eingebaut. Die Schautafeln am Kassenhäuschen lassen erkennen, dass drinnen schaurig schöne Aktionen zu erwarten sind. Man muss wirklich zwischendurch aus dem Wagen aussteigen und durch verschiedene Räume eines Spukschlosses gehen. Wenn man sich da durchgequält hat, wird man den Rest der Strecke wieder gefahren. Die Geräusche aus dem Lautsprecher tun ihr Übriges. Wer jetzt noch keine Gänsehaut bekommen hat, kauft sich ein Ticket und reiht sich in die Schlange der Wartenden ein. Von den Schülern will niemand als Feigling dastehen, also drängen alle nach vorn.

Leider ist am Eingang kein Extra-Warnschild angebracht: „Nur für ganz Mutige“, oder so, denn dann könnte man es sich noch einmal überlegen, überhaupt in den Berg reinzufahren.

Alle stürmen in die Wagen und wollen sich an der Angst der anderen erfreuen.

Tilly und Annika setzen sich zu Lydia.

„Ich weiß aber nicht, ob ich euch beschützen kann“, sagt Lydia vorsorglich.

„Gemeinsam sind wir stark“, meint Annika.

„Oder willst du lieber mit Herrn Schulze fahren?“, fragt Tilly schelmisch.

Zum Glück haben die Mädchen ihren Humor wiedergefunden.

„Das weiß ich zu verhindern. Den würde ich höchstens da drin aussetzen. Ohne Orientierungshilfe“, sagt Lydia.

Los geht die Fahrt und gleich abwärts in das unterirdische Gewölbe. Aus den vorderen Wagen sind Schreckensschreie zu hören. Lydia macht ihre Augen zu und hofft, wenigstens das erste Stück gut zu überstehen. Die Mädchen können ihr ja hinterher erzählen, was es zu sehen gab. Da beide ziemlich still sind und sich an sie klammern, öffnet sie ihre Augen und sieht in einem Moment, als grelle Blitze die Umgebung erleuchten, dass beide ebenfalls die Augen zugekniffen haben.

„Ihr Feiglinge“, schreit Lydia sie an, um die schrecklichen Geräusche zu übertönen. „Ihr sollt die Fahrt genießen und mir hinterher ganz genau berichten, was ich verpasst habe.“

Die Mädchen blinzeln durch ihre dünnen Lidschlitze. In diesem Moment schnellt ein Gerippe von oben vor ihren Wagen, sodass alle drei wie wild kreischen.

„Mensch, erschreckt mich doch nicht so“, schreit Lydia. „Das ist doch alles nur aus Gips und Farbe.“

Der Wagen wird immer schneller, saust um Kurven mal links, mal rechts. Einmal geht es steil nach oben und dann wieder nach unten. Sie werden ununterbrochen durchgerüttelt. Ständig kommen sie an unheimlichen Gestalten vorbei, die den Eindruck erwecken, sie angreifen zu wollen.

Sie sind sehr erleichtert, als der Wagen endlich stehenbleibt.

Jetzt müssen sie aussteigen und den weiteren Weg aus dieser Hölle zu Fuß zurücklegen.

„Uns bleibt nichts weiter übrig, als zusammenzubleiben und wenigstens einer sollte gucken, wo es lang geht“, sagt Lydia. „Wir könnten uns doch abwechseln.“

„Ich habe eine andere Idee“, sagt Tilly und macht einen Vorschlag. „Wir verstecken uns dort hinter der Mauer, warten auf die nächsten Mutigen und schleichen dann hinter denen her.“

In dem Wagen sitzen der vorlaute Felix, Hannes und Annabell. Sie steigen aus, sehen sich um und suchen vorsichtig nach dem richtigen Weg. Zum Glück bemerken sie nicht, dass sie verfolgt werden.

Der Felix, mit seiner großen Klappe, hält sich immer dicht hinter Annabell. Hannes zeigt sich von seiner mutigen Seite und geht voran. Das geht nicht lange gut, denn der Boden wechselt ständig, sodass man den Eindruck hat, einmal auf Eiern zu laufen oder auf Wackelbrettern oder gleich ganz den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ein Stück geht es doch wirklich nur auf einem schmalen Vorsprung an der Wand lang. In dem Dämmerlicht kann man nicht erkennen, wie tief der Abgrund ist.

„Das war eine gute Idee von dir“, flüstert Annika. „Es ist schon lustig, wie dumm die sich anstellen und sich einer ängstlicher als der andere aneinander festhalten. Und der mit der sonst größten Klappe macht sich besonders klein. Da ist uns einiges erspart geblieben.“

„Hoffentlich bemerken die uns nicht. Die vermuten vielleicht, dass wir auferstandene Tote sind und erschrecken sich so sehr, dass sie einen Notarzt brauchen“, sagt Lydia warnend und ruft: „Hannes, Annabell, Felix, wartet. Wir gehen mit euch zusammen.“

Die Drei drehen sich um und sind sehr erleichtert. Sie sehen in Lydia wahrscheinlich ihren rettenden Engel.

Das habe ich nun davon. Fünf furchtsame Teenager dicht hinter mir, die ich sicher durch die Hölle bringen muss. Warum tue ich mir das nur freiwillig an? Und wo ist der Herr Schulze, wenn man den mal braucht? Keine Spur. Den könnte man hier gut als Schutzschild und Ramme benutzen“, denkt Lydia.

Sie sagt sich, dass alles nur Illusion ist und eigentlich überhaupt nicht gefährlich. Vorsichtig öffnet sie eine Tür nach der anderen und hat bald, mit viel Geschick, die Kinder durch alle Räume gebracht. Sie steigen in die bereitstehenden Wagen und werden nach oben transportiert.

Irgendwann kommen auch die anderen mehr oder weniger blass wieder raus.

Das war ganz schön aufregend und sollte nicht den ganzen Tag so weitergehen“, denkt Lydia. „Das macht mein Herz nicht mehr lange mit.“

Gemeinsam gehen sie weiter und kommen zu einer großen Bühne, die vor einem Felsen aufgebaut ist.

Auf dem Programm steht für den Nachmittag „Ronja Räubertochter“.

Frau Berger sagt: „Na, wenigstens noch etwas Kultur.“

Sie gibt allen Bescheid, dass sie sich zu der Vorstellung einzufinden haben. Es wird wieder gemault, denn für so eine Kindergeschichte fühlen sich die meisten Schüler viel zu alt.

Als alle ihre Plätze einnehmen, setzt sich Herr Schulze natürlich neben Lydia und will gerade Luft holen, um ihr etwas zuzuraunen. Frau Berger tippt ihn in diesem Moment von hinten auf die Schulter und sagt: „Bitte, Herr Schulze. Wir wollen uns doch verteilen, damit die Aufsicht gegeben ist.“

„Ja, ja. Ich gehe ja schon“, sagt er und springt auf.

Die Aufführung ist sehr schön. Nur Cindy und Annabell gähnen gelangweilt und stören mit ihrem Geschwätz.

Langanhaltender Applaus zum Schluss zeigt aber, dass alle begeistert sind.

Bis zur Rückfahrt ist noch etwas Zeit, sodass Frau Berger das Kommando gibt: „Ihr dürft noch Karussell fahren bis zum Abwinken.“

Eine Wildwasserfahrt bildet den endgültigen Abschluss für diejenigen, die nicht genug bekommen können.

Am Abend sitzen alle am Lagerfeuer und erzählen aufgeregt, was ihnen am Tag am besten gefallen hat. Sie scheinen wirklich zufrieden zu sein. Cindy und Annabell haben die jungen Männer eingeladen. Einer hat eine Gitarre dabei. Es gibt sogar ein paar Mädchen, die sich dazu hinreißen lassen, mitzusingen.

„Das hat mir gerade noch gefehlt“, sagt Frau Berger und sieht besorgt zu Cindy, die engumschlungen mit einem Jungen etwas abseits sitzt.

Als Lydia in der Nacht von einem Geräusch geweckt wird, steht sie auf, sieht nach draußen und nimmt einen Schatten wahr, der aus dem Fenster eines Mädchenzimmers springt. Schnell zieht sie ihren Jogginganzug an und läuft raus.

„Schlimmer als im Spukschloss heute Mittag wird es schon nicht werden“, spricht sie sich Mut zu.

Als sie um die Ecke biegt, stößt sie fast mit Frau Berger zusammen, die hier schon länger auf der Lauer zu liegen scheint. Beide können einen Aufschrei gerade noch unterdrücken.

„Da hätte ich ja gar nicht leise machen müssen, um Sie nicht aufzuwecken“, flüstert Lydia ihr zu.

„Gut, dass Sie da sind. Dann habe ich wenigstens einen Zeugen. Mit dem Herrn Schulze möchte ich nicht unbedingt mitten in der Nacht allein sein“, flüstert sie zurück.

Sie schleichen hinter der Ausreißerin her und warten. Sie erahnen mehr was sich vor ihren Augen abspielt, als dass sie im Mondlicht genau erkennen können, was wirklich vor sich geht. Cindy wirft sich wie wild auf den jungen Mann, mit dem sie schon den ganzen Abend wie festgeklebt verbracht hat und zerrt an dessen Sachen. Frau Berger sieht sich das eine Weile an und schreitet dann endlich ein.

„Cindy! Hör sofort damit auf und komm hierher!“

Cindy springt erschrocken hoch und funkelt Frau Berger wütend an: „Was wollen Sie denn hier? Kann ich nicht mal nachts vor Ihnen meine Ruhe haben?“

„Du kommst jetzt mit! Das hat ein sehr unangenehmes Nachspiel für dich“, sagt Frau Berger.

Cindy läuft wütend neben Lydia her, die es sich nicht verkneifen kann, ihre Meinung zu äußern.

„Du bist doch erst vierzehn Jahre alt. Willst du dir dein Leben versauen?“

„Was geht Sie das an? Sie waren wohl nie jung? Außerdem nehme ich die Pille, da kann gar nichts passieren. Zum Glück ist meine Mutter nicht so spießig wie Sie.“

Frau Berger weist in ihrem Zimmer Cindy ein freies Bett zu und schließt die Tür ab.

„Und wage es auf gar keinen Fall, hier aus dem Fenster zu klettern“, sagt sie streng zu ihr.

Cindy legt sich in das Bett und brubbelt ihre unwillige Meinung in das Kissen. Ab und zu schnaubt sie noch wie ein wütender Stier. Nach einiger Zeit wird sie ruhiger und ist eingeschlafen.

Lydia liegt noch lange wach. Ebenso Frau Berger, denn sie wälzt sich auch hin und her.

Sie flüstert: „Das habe ich mir gleich gedacht, dass so etwas passiert. Deshalb schlafe ich auf Klassenfahrten immer im Jogginganzug. Dann bin ich schneller draußen.“

„Da müssten Sie ja Nacht- und Gefahrenzuschlag bekommen, so wie sie auf alles Acht geben müssen. Bin ich froh, doch nicht Pädagoge geworden zu sein“, erwidert Lydia.

Der letzte Tag, den alle im Erlebnisbad verbringen wollen, ist angebrochen.

Unausgeschlafen stehen Frau Berger und Lydia früh auf. Cindy hat die nächtliche Aktion scheinbar nicht viel ausgemacht, denn sie sieht aus wie der Frühling, nur noch ungeschminkt.

„Kann ich jetzt endlich in mein Zimmer gehen?“, fragt sie unfreundlich.

„Ja. Und damit du dich gleich darauf einstellen kannst, du bleibst heute in meiner Nähe.“

„Ha! Das wollen wir erst mal sehen“, sagt Cindy und verschwindet.

Herr Schulze begrüßt Frau Berger zum Frühstück und will ausführlich von der nächtlichen Aktion informiert werden. Er hofft wohl auf pikante Einzelheiten.

„Da gibt es nicht viel zu berichten“, sagt Frau Berger zu ihm. „Zum Glück ist noch mal alles gut gegangen.“

Die Schüler beeilen sich sogar, denn sie können es gar nicht erwarten, in das Schwimmbad zu kommen.

„Was war denn eigentlich in der Nacht los?“, fragt Tilly Lydia, während sie ihre Decke ausbreitet.

Lydia berichtet ihr von Cindys Alleingang, und dass sie zum Glück noch gebremst werden konnte. Tilly erzählt, dass Cindy schon seit längerer Zeit so unverschämt ist. Sie gibt ja immer mit ihren Aktionen an, da wären alle gut informiert.

„Weißt du, Tilly“, sagt Lydia. „Du musst nicht alles glauben, was sie erzählt. Ich denke, dass bei ihr viel Fantasie im Spiel ist und sie sich mit ihren Berichten in den Vordergrund drängen will. Wahrscheinlich ist sie ziemlich einsam.“

„Da könntest du Recht haben. Ich habe mich schon manches Mal gewundert, wieso so viele Jungs sich für die Cindy interessieren sollten und auf sie reinfallen.“

„Kommst du mit rutschen?“, fragt Annika.

Tilly schaut sich um, ob Herr Schulze in der Nähe ist und fragt Lydia: „Können wir dich hier alleine lassen?“

„Na klar. Geht nur und macht die anderen müde.“

Auch Lydia sieht sich vorsichtshalber suchend um und muss etwas schmunzeln. Die Cindy ist zum Schatten der Frau Berger geworden und zieht ein Gesicht wie ganz viel Regenwetter. Da Annabell es ohne Cindy nicht aushält, beschattet sie Frau Berger gleich mit.

Lydia macht es sich auf ihrer Decke bequem, schließt ihre Augen und genießt die Sonne.

Nach kurzer Zeit wird es kühler und sie denkt: „Sicher ist eine Wolke zwischen mich und die Sonne gezogen.“

„Soll ich dich eincremen?“, flüstert die Sonne. „Damit du nachher nicht aussiehst wie ein knuspriges Hühnchen.“

Erschrocken setzt sie sich auf.

Um ein Haar wäre sie gegen Herrn Schulze geprallt, weil der sich gerade in diesem Moment zu ihr herunterbeugt.

„Herr Schulze, haben sie mich erschreckt! Nein, danke. Das ist nicht nötig“, lehnt sie entschieden ab.

„Ach, komm schon. Hab dich nicht so. Diese Gelegenheit hast du nicht so schnell wieder. Die willst du dir doch nicht entgehen lassen, oder? Und außerdem, sag doch einfach Hans zu mir. Das ist doch viel vertrauter.“

Bevor sie antworten kann, ruft Frau Berger: „Herr Schulze, kommen Sie doch bitte. Die Jungs wollen Wasserball spielen und brauchen einen Schiedsrichter.“

Sein Gesicht fällt etwas zusammen und er flüstert: „Bis später, Süße.“

Laut sagt er: „Aber natürlich, ich habe gerade nichts anderes vor.“

Frau Berger ist unterdessen mit ihren beiden Schatten angekommen und sagt leise zu Lydia: „Vor zwei Jahren war ich mit dem alleine. Das war unangenehm.“

„Das kann ich mir vorstellen. Machen Sie sich keine Sorgen. Mit dieser Art Mann werde ich schon fertig.“

Damit Frau Berger wenigstens eine kurze Zeit aufatmen kann, bietet Lydia ihr an, Cindy und Annabell zu beaufsichtigen. Tilly und Annika kommen auch bald darauf zurück, sodass Lydia sich nicht mehr so unwohl fühlt.

„Hast du schon genug Ideen für dein neues Buch, oder sollen wir uns etwas einfallen lassen?“, fragt Tilly.

„Bloß das nicht. Mir reicht es vollkommen, was um mich geschieht“, sagt Lydia gespielt entsetzt. „Ich freue mich schon auf die Einsamkeit und Ruhe in meiner Wohnung.“

„Was für ein Buch?“, fragt Cindy empört und sieht Lydia mit zusammengekniffenen Augen an. „Sie werden doch nicht über mich schreiben? Das rate ich Ihnen nicht! Sowie ich davon etwas erfahre, wird mein Vater sie verklagen. Da können Sie Gift drauf nehmen.“

Annabell nickt, um die Worte von Cindy zu bekräftigen. Sicher will sie Lydia nur darauf vorbereiten, dass sie nie mehr froh wird, sollte sie sich nicht an die Warnung halten. Cindy dreht Lydia den Rücken zu und bleibt so sitzen, bis Frau Berger sie eine Stunde später wieder abholt.

Tilly und Annika wollen noch eine Runde schwimmen.

Lydia ist wieder allein auf der Decke, traut sich aber nicht, die Augen zu schließen. Das war eine gute Idee, denn sie sieht den Herrn Schulze, wie er schnellen Schrittes auf sie zueilt.

Nichts wie weg hier“, denkt sie und läuft den Mädchen hinterher.

Lydia ruft ihnen zu: „Wollen wir um die Wette schwimmen? Los. Wer zu erst am anderen Ende ist, hat gewonnen.“

Sie springt ins Wasser und schwimmt sich den ganzen Herrn-Schulze-Frust von der Seele. Tilly und Annika kommen kaum hinterher.

Ein Teil des Freizeitzentrums ist als Fitness-Park ausgebaut. Frau Berger schlägt am Nachmittag vor, dass alle testen sollen, wie fit sie sind. Manche stellen sich geschickt an, andere hängen wie Affen an den Stangen.

Herr Schulze kommentiert die Versuche seines etwas beleibten Sohnes. Dabei schielt er immerzu in Lydias Richtung und kommt sich mit seinen Bemerkungen mächtig schlau vor. Er hat die Abfuhren scheinbar nicht verstanden. Hannes strengt sich an, aber für seinen Vater ist nichts gut genug. Hannes ist schon fast den Tränen nahe und weigert sich, das nächste Gerät auszuprobieren. In Lydia staut sich die Wut. Der Junge tut ihr leid und sie sagt: „Herr Schulze, man kann von seinem Kind nicht verlangen, wozu man selbst nicht in der Lage ist. Dann zeigen Sie Ihrem Sohn doch mal, wie es gemacht wird.“

Herr Schulze winkt nur ab und sagt: „Als ich so jung war, da habe ich alles mit Leichtigkeit genommen.“

Hannes will es noch einmal versuchen. Er greift nach der Stange und strengt sich sehr an, bekommt aber keinen Klimmzug hin. Es hilft ihm auch gar nichts, dass er dabei kräftig zappelt und laut stöhnt.

Die meisten Kinder grinsen.

Sein Vater sagt genervt zu ihm: „Junge, du bist eine Pfeife. Aus dir wird mal nichts, so blöd wie du dich anstellst.“

Lydia zwinkert Hannes zu und erwidert: „Herr Schulze, ich dachte gerade, wie ähnlich Sie doch Ihrem Sohn sind.“

Das saß. Herr Schulze bekommt einen roten Kopf, dreht sich um und geht. Frau Berger hat Lydia verstanden und lächelt. Auch Hannes muss sie gehört haben, denn er stutzt, denkt kurz nach und fängt an zu lachen.

Später sagt er zu Lydia leise: „Danke.“

Sie kann es sich nicht verkneifen, ihm freundschaftlich durch die Haare zu wuscheln.

Frau Berger sieht nachdenklich vor sich hin: „Kinder können nichts dafür. Sie sind das Produkt ihrer Eltern. Da spielt zum einen Vererbung eine Rolle. Aber, wenn es nicht viel zu vererben gibt .....“

Sie lächelt Lydia an und spricht weiter: „Zum anderen können Kinder nur so gut sein, wie die Vorbildhaltung der Eltern auf sie abgefärbt hat. Und wenn kein Vorbild vorhanden ist .....“

Lydia denkt über diese Äußerungen kurz nach und nimmt sich vor, diese Zitate unbedingt mit in ihrem Buch zu erwähnen.

Am Abend treffen sich wieder alle auf der Wiese. Die jungen Männer haben das Lagerfeuer bereits angezündet. Einige Kinder spielen Verstecken im Dunkeln. Lydia sitzt allein auf einem umgefallenen Baumstamm, schaut in die Flammen und hängt ihren Gedanken nach. Deshalb hört sie Herrn Schulze nicht kommen. Er lässt sich schwerfällig stöhnend neben sie fallen.

„Das wird ja Zeit, dass ich dich ohne die störenden Gören erwische. Du lebst doch allein und bist sicher froh, mal die Gesellschaft von einem richtigen Mann zu genießen.“

Er grinst sie an und stößt ihr unsanft seinen Ellenbogen in die Seite.

„Danke für Ihre Sorge, aber ich komme schon klar“, sagt sie und fragt: „Sind Sie auch erleichtert, morgen endlich wieder nach Hause zu können?“

„Nein. Ich würde gern noch mit dir hierbleiben“, antwortet er und streichelt ihr über den Arm.

Lydia zuckt zusammen und rückt weg.

„Sei doch nicht so. Du musst doch keine Angst vor mir haben. Bis jetzt hat sich noch keine beklagt. Wenn du weißt, was ich meine.“

Er holt Schwung und schiebt seinen massigen Körper ganz nah an sie ran.

„Ich glaube nicht, dass ich das nötig habe“, sagt Lydia und versucht, ihn abzuschütteln.

„Hab dich doch nicht so“, sagt er etwas ungehalten, wechselt den Ton und säuselt freundlicher: „Außerdem kannst du ruhig Hansi zu mir sagen. Wie oft soll ich dir das noch anbieten?“

„Nee, ganz bestimmt nicht“, antwortet Lydia und springt auf. „So hieß nämlich der Wellensittich meiner Oma. Ich kann mich nicht überwinden, Sie so zu nennen. Das hat der Vogel nicht verdient.“

„Nun werde doch endlich etwas locker“, brummt er sie an und ignoriert diese Beleidigung einfach.

„Herr Schulze“, sagt sie jetzt mit Nachdruck. „Sie sind doch sicher mitgefahren, weil sie sich um die Kinder kümmern wollten. Nicht um mich!“

Er stutzt kurz, überlegt und sagt dann: „Du kannst doch froh sein, so einen Kerl wie mich mal zu haben, wenn du sonst nicht so ein Glück hast.“

„Herr Schulze“, sagt Lydia nun ganz laut und deutlich, „mein Liebesleben geht Sie doch gar nichts an. Bei mir haben Sie keine Chance, denn ich stehe weder auf verheiratete, noch auf wenig intelligente Männer.“

Zum Glück sieht sie Frau Berger kommen und geht ihr entgegen.

Sein Kopf wird rot und die Halsschlagadern treten hervor.

„Dann eben nicht, du frigide Kuh. Weißt ja gar nicht, was dir entgeht“, ruft er ihr wütend hinterher.

Lydia dreht sich um und sagt: „Nee. Aber was mir erspart geblieben ist, kann ich mir ganz gut vorstellen.“

Die letzte Nacht bleibt ruhig. Cindy traut sich nicht noch einmal raus.

Am nächsten Morgen wartet der Bus bereits, als sie noch beim Frühstück sind. Somit geht die Abfahrt ganz zügig vonstatten.

Als sie kurz vor München sind, ruft Cindy: „Frau Berger, können wir in der Innenstadt nicht Halt machen und shoppen gehen? Mein Vater hat mir extra dreihundertfünfzig Euro mitgegeben.“

„Nein. Das wäre den anderen Schülern gegenüber ungerecht.“

„Ich kann doch nichts dafür, dass die sich das nicht leisten können und es ist mir auch egal. Da ist man schon mal in München und darf nicht in die Stadt. Blöde Klassenfahrt“, mault sie.

Nachdem Lydia ihre Sprache wiedergefunden hat, fragt sie: „Woher bekommt man so einen großzügigen Vater?“

Frau Berger sieht Lydia nachdenklich an und sagt leise: „Eigentlich ist die Cindy ein armes Mädchen. Sie hängt seit Jahren im Rosenkrieg ihrer Eltern. Ich glaube nicht, dass Sie mit ihr tauschen möchten.“

„Nein. Das will ich dann doch lieber nicht“, antwortet Lydia, und es ist ihr peinlich, etwas gesagt zu haben.

Irgendwann ist die Fahrt zu Ende und der Bus hält vor der Schule. Einige Eltern sind gekommen, um ihre Kinder abzuholen.

„Mama ist noch nicht da“, stellt Tilly enttäuscht fest.

Als Lydia aus dem Bus steigt, hört sie eine schrille Stimme: „Hansiiii .....“ rufen.

Der Schrei kommt von einer kleinen stämmigen Frau, die energisch auf Herrn Schulze zumarschiert und mit den Worten: „Da seid ihr ja endlich!“, ihren Mann und Sohn in Empfang nimmt.

Sie streichelt ihrem Sohn unsanft über die Wange und reißt ihren Mann herrisch an sich. Sein Kinn sinkt voller Demut auf die Brust.

Lydia kann sich ihren Kommentar nicht verkneifen und sagt zu Frau Schulze: „Ihr Mann hat Sie sehr vermisst.“

Frau Schulze guckt etwas irritiert und meint: „Dazu hat er auch allen Grund.“

Herr Schulze blitzt Lydia über den Kopf seiner Frau hinweg wütend an, und Hannes winkt ihr lächelnd zu.

Olli kommt auf Lydia zu. „Wer ist das denn?“

„Das ist der unwiderstehliche Hansi. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass ich ohne ihn nicht weiterleben kann“, antwortet sie lächelnd und fragt: „Was machst du hier?“

„Christine hat mich gebeten, euch abzuholen.“

Lydia lässt sich auf den Beifahrersitz fallen und sagt erleichtert: „Das war´s, aus, vorbei. Für mindestens drei Tage stelle ich mein Telefon ab. Bis dahin haben sich meine Ohren hoffentlich wieder auf normalen Lärm umgestellt.“

Alles wird gut ...

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