Читать книгу An die Rollatoren Mädels - Heidi Hollmann - Страница 4

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„Du alte Ziege!“ Welche Frau hätte diese nicht gerade schmeichelhafte Unverschämtheit nicht schon des Öfteren in ihrem Leben gesagt bekommen und natürlich zu ignorieren versucht?

Bei mir klappte es diesmal nicht, obwohl diese Fistelstimme nicht unbedingt eindringlich war.

Die Wertung dieses jungen Mannes brachte mich zur Weißglut. Vorgebracht in einer Tonlage die einem Countertenor zu Weltruhm verholfen hätte.

„Ein Kastrat,“ spottete ich und sein „du alte Ziege“ war ganz sicher nicht als Kompliment gedacht. Ich hatte übrigens schon von je her und in jungen Jahren auf Komplimente seitens der Männer verzichtet, sozusagen schon immer darauf gepfiffen. Nein, darauf geschiss...., hatte ich.

Ein müdes Lächeln wäre normalerweise über meine Lippen gehuscht. Mich als gestandene und noch einigermaßen flotte Siebzigerin bringt man nicht so schnell in Harnisch, jedenfalls nicht, wenn ich es nicht will. So viel Disziplin muss sein! Was mich bei der ganzen Angelegenheit dann doch noch auf die Palme brachte, war der Hinweis auf mein Alter. Ziege hätte durchaus gereicht!

Aber „Alte Ziege“, das war ja nun doch die Höhe und ging weit über meine Toleranzgrenze hinaus!

Ich verstand die Welt nicht mehr. Dieser Eunuch machte mir den Parkplatz streitig und ließ mich unversehens auch noch zu einer alten Ziege mutieren. Bei geschlossenem Autofenster brüllte ich das klassische Wort, das von keiner guten Kinderstube zeugt. Ja, die Vermutung ist richtig. „Arschloch“ hieß das Losungswort, das mich vor dem Platzen bewahrte. Dabei stellte ich mir ein solches bildlich vor.

Der Kerl jedenfalls kam vergleichsweise schlecht dabei weg. Er wäre eine Beleidigung für jedweden Vergleich dieser Art gewesen. Seine kümmerliche Äußerlichkeit, war nicht im Mindesten mit einem solch pompösen Teil zu vergleichen. Ich kurbelte das Fenster runter, hatte Zeit, diese Gestalt zu fixieren. Seine langen strähnigen Haare zu einem Zopf gebunden, irritierte meine Nasenschleimhaut. Ich roch plötzlich ranziges Öl. Mir wurde übel.

Zum Glück fehlten diesem Menschen vorne die Haare gänzlich, wer weiß, welche Assoziationen sie sonst bei mir ausgelöst hätten. Sein fast kahler Schädel in einem formvollendeten Oval ließ mich an das Osterfest denken, weswegen ich überhaupt in die Stadt gefahren war.

Ich fühlte mich genötigt, klar Schiff zu machen und versuchte dem Menschen zu erklären, dass ich die ganze Zeit auf das ewig dauernde Ausparken meiner Vorgängerin gewartet hätte. Verständlich, dass ich immer mehr in Rage kam und ihm zuletzt anstelle eines frommen österlichen Grußes, das Götzzitat entbot.

„Na, nun halte mal den Ball flach, du alte Ziege,“ (wieder dieses böse Wort) machte er sich Luft. „Mit deinem dicken Schlitten (ich hatte den Wagen von Armin genommen, Automatik und so), kämste sowieso nicht in die enge Lücke rein!“ Ich merkte förmlich, wie der Puls hinter meinen Augen zu hämmern begann und sah zum ersten Mal in meinem langen Leben, das vielzitierte Rot. Ich verbat mir dermaßen aufgebracht, das „Du,“ wobei das „Ei“ hämisch grinste.

„Als Sie noch in die Windeln geschissen haben,“ fuhr ich ihn an, „bin ich schon in enge Parklücken gefahren!“ Ich schnappte nach Luft. Das Gesicht des Kahlen wurde von einem roten Farbton überzogen, wobei mir „Bluthochdruck“ in den Sinn kam, und auch, dass ich zu allem Überfluss noch Eier zu färben hatte. Er rappelte an meiner Autotür. Vorsorglich hatte ich bereits und in Windeseile die Zentralverriegelung in Betrieb gesetzt. Dermaßen abgesichert zeigte ich ihm den Vogel, hätte ihm gern noch ganz was anderes gezeigt. Ich wollte aber kein öffentliches Ärgernis erregen. Visionär sah ich einen Schriftzug vor mir. „Siebzigjährige zeigte, mitten in der Stadt, Kontrahenten ihren nackten „Arsch!“ Arsch....... fett gedruckt!

Ich hätte es tun sollen. Im Alter hat man ja nichts mehr zu verlieren. Ich dachte aber an meine Kinder, bzw. an meinen lieben Ehemann Armin und vor allem an meine Enkelkinder, denen ich bisher jedes böse Wort verbot. Ich selbst wollte stetes Vorbild sein, was mein fortschreitendes Alter immer stärker vereitelte.

„Wie lange soll man das alles eigentlich noch durchhalten, wenn man in die Jahre gekommen ist?“ fragte ich mich.

Die vielen Attacken, die bisher des lieben Friedens wegen von mir erfolgreich abgeblockt worden sind, haben mir bestenfalls den hohen Blutdruck beschert und mir diese Betablocker, eingebrockt.

Ich habe das Gefühl, die Posaunen von Jericho zu hören, wenn Armin mal wieder lautstark trompetet: „Unterstütze die Pharmaindustrie nur ja, damit die Aufsichtsräte auch weiterhin ihre Yachten fahren können!“ Damit nicht genug, muss ich mir von ihm, als einem medizinischen Laien anhören:

„Glaube mir, die Werte werden bewusst manipuliert, damit vor allem die bekloppten Alten diese Pillen fressen!“ Dabei guckte er mir vielsagend in die Augen.

Dieses Gebrülle zu dem leidigen Thema schluckte ich bisher anstandslos und natürlich auch weiterhin die Pillen, um die es ja ging.

Seit dem ich Betablocker „konsumiere,“ wie er das nennt, könnte jedenfalls eine Bombe fallen, worauf ich bestenfalls mit einem freundlichen „Herein“ aufwartete. Nun ja, effiziente Medizin hat eben ihren Preis und da kann es mir scheißegal sein, wer mit wem und mit welcher Yacht auch immer, auf welchen Weltmeeren unterwegs ist. Hauptsache ist doch, dass ich das, was man allgemein als Lebensabend bezeichnet, auch als solchen genießen kann. Von hier aus, „ein lieber Dank an die Pharmaindustrie!“

Zu der Zeit, als ich diesen Parkplatz generiert habe, wie es heute heißt und dieses Ekel eben jenen für sich in Anspruch nahm, war ich noch kein Pillenschlucker.

Armin selbst schluckt, o nein, so gut wie nichts Pharmazeutisches, kommt aber in regelmäßigen Abständen immer mal wieder ins Krankenhaus, wegen diverser Hörstürze.

„Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ stelle ich zu solchen Gelegenheiten fest. Dieser Spruch ist zu meinem Lebensmotto geworden und ich fahre gut damit. Ich persönlich beuge solchen Dingen lieber vor. Krankenhäuser sind keine Pläsierchen, jedenfalls nicht für mich.

Ich denke schon eine ganze Weile aus aktuellem Anlass über die Vorzüge und Nachteile des Alters nach. Es wird sich immer wieder über eben jenes beklagt. Warum eigentlich?

Klagen würde ich persönlich bestenfalls über das Verhalten meiner Mitmenschen dem Alter gegenüber.

Wie neulich im Park. Armin und ich gingen ungewohnt friedlich, Arm in Arm, bei bestem Wetter und dementsprechend guter Laune, spazieren. Vor uns trippelte eine junge Frau. Alles, was neuerdings unter fünfzig ist, ist für mich noch jung. Schließlich ist alles und jedes eine Frage der Relation. Also diese junge Frau blieb stehen. Der Hund beschnupperte den Armin, der als Tierliebhaber, ebenso Kontakt suchte. Wie ich zu seinen Gunsten annehme, nur zu dem Hund. Aber ich will nicht abweichen. Er streichelte das Tier mit den Worten:

„Nun beiß mich aber bitte nicht!“

Der Hund wedelte mit seinem Schwänzchen, zeigte keinerlei böse Absichten. Aber dafür sein Frauchen. Als ich ihre ungehaltene Stimme vernahm und schon glaubte, mich verhört zu haben, stellte sie lakonisch stellvertretend für ihren Hund fest: „Zu alt, zu zäh!“ Peng! Ich lachte Tränen. Der, um den es ging, stimmte notgedrungen mit ein. „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“

Humor ist übrigens im Alter eine Art von Überlebensstrategie.

Manchmal ist es besser zu lachen, um nicht weinen zu müssen.

Schrott ist möglicherweise zur Not noch veräußerbar, wenn die Preise stabil genug sind. Beim Alter sieht es ein klein wenig anders aus. Das Wort„stabil“ im Zusammenhang mit dem Alter ist ohnehin ziemlich gewagt, wenn nicht fehlinvestiert. Wir, die man allgemein als „die Alten“ bezeichnet, sind Eintagsfliegen. Das beweisen die vielen Beerdigungen, für die man (frau) tunlichst stets die schwarzen Klamotten, frisch gebürstet, parat haben sollte.

Nicht auszudenken, was die Leute sagen würden, trüge man keine „Trauer“ Über derlei Dinge bin ich persönlich hinweg. Ich trage ohnehin gern Schwarz. Dazu brauche ich keine Beerdigungen. Dunkles macht bekanntlich schlank und auch beim obligatorischen Beckleckern, dank meines immer fülliger werdenden Busens, würde es bei Weiß mehr ins Gewicht fallen. Mein kritischer Armin führt diese Beckleckerei neuerdings auf meine „Rückenlage“ zurück, will heißen, ich sitze ihm nicht gerade genug bei Tisch.

Meinen Freundinnen, die ich im Laufe meines langen Lebens gewonnen habe, geht es ähnlich. Auch sie werden laufend attackiert.

Jedenfalls die Übriggebliebenen, die mit und gleich mir, alt geworden sind. Alt wird allzu oft mit senil assoziiert, spätestens dann, sobald man sich mal verspricht, oder etwas, das einen ohnehin nicht besonders interessierte, verdrängt hat oder auch in der Tat, vergaß.

Ich gebe zu, manches Mal wegzuhören. Aus Trägheit, Eigenschutz, und einer langen Reihe anderer Substantive, die es sich nicht lohnt, konkret zu benennen.

Meiner Tochter Adda musste ich neulich in die Hand versprechen einen Ohrenarzt zu konsultieren.

„Ihr Gehör funktioniert unter dem Aspekt ihres vorgerückten Alters, (nette Formulierung) noch ausgesprochen gut!“ wurde mir attestiert.

Abschließend meinte der Ohrklempner wohlwollend: „Könnte es sein, Sie überhören gern mal was?!“

„Es könnte,“ gab ich knapp zur Antwort und fühlte mich erleichtert, mein Versprechen endlich eingelöst zu haben.

Meine beiden Kinder fragen mich seit geraumer Zeit alternierend und unumwunden, ob ich vielleicht wieder mal dem Herrn Alzheimer begegnet wäre. Spätestens dann, wenn ich nicht von jetzt auf gleich auf ihre „Einflüsterungen“ prompt und aufgeweckt, wie in früheren Zeiten, reagiere. Dass mich manches mit zunehmendem Alter immer weniger interessiert, bekommen sie gar nicht mit. Auch nicht, dass alte Menschen ihren eigenen Gedanken besonders gern frönen. Dass sie überhaupt noch eigene Gedanken haben, kommt ihnen schon verdächtig vor.

Wenn man uns Alte, wenn wir unter Unsresgleichen sind, so fidel sieht, sei es in Cafés, Bildungseinrichtungen oder sonst wo, kann ich mir persönlich den Rochus der Jungen vorstellen. Die Kluft wird auch hier immer größer, wie beim Reichtum und der Armut.

Ich ermahne deshalb immer meine Freundinnen, wenn wir einen besonders schönen Tag miteinander verlebt haben, sie sollten doch bitte sehr selbst dafür sorgen, dass er auch so schön endet. An verkehrsreichen Straßen die wir etwa zu überqueren haben, nehme ich das Heft gern in die Hand,

„Mädels seid wachsam, die Autofahrer bekommen womöglich Prämien, wenn sie uns umnieten!“ gebe ich zu bedenken.

Wir haben weil wir uns regelmäßig treffen und endlich für uns die Zeit für schöne Unternehmungen gekommen ist, „wenn nicht jetzt, wann dann?“, eine fast militärische Strategie entwickelt.

Die Rollatoren kommen in die Mitte, werden links und rechts von denen, die noch gut zu Fuß sind, eskortiert. Die noch nicht so stark Hörgeschädigten lauschen vorab auf etwaiges Autogebrumm. Nicht auszudenken, wenn, wie es geplant ist, fast geräuschlose Elektroautos mal „in“ sein sollten, um es mal auf Neudeutsch zu sagen.

Da könnte es womöglich Prämien „hageln.

Solche, ich weiß, makabren Vorstellungen, gehören zum Alltag von uns Alten, wie der Dotter zum Ei. Aber Galgenhumor ist schließlich auch eine Art von Humor, oder?

Manchmal habe ich das Gefühl ein Schemen zu sein. Wenn ich etwa bereit bin, ein Kaufhaus zu betreten. „Peng!“ Wenn ich nicht aufpasse, schlägt mir die Tür um die Ohren. Einfach mir nichts, dir nichts, von meist jungen Leuten gedankenlos losgelassen. Losgelassen auf mich, die sich herzlich bedankt mit den Worten:

„Ach, es ist doch immer wieder beachtenswert und erfreulich, wie sich die jungen Leute ein Bein ausreißen, um den Älteren behilflich zu sein. Vor allem diese Fürsorglichkeit!“

Der Gesichtsausdruck bei den meisten ist kaum zu beschreiben. Manchmal wird eine nur schlecht zu verstehende „Entschuldigung“ gehaucht, aber nur manchmal und nur von den wenigen Wohlerzogenen.

Anscheinend habe auch ich meine Kinder trotz der größten Mühe, nicht unbedingt als Wohlerzogene in die Welt entlassen.

Beim Zusammensein mit ihnen überkommt mich, wie das hier und da fast jedem älteren Menschen schon mal unterläuft, so etwas wie ein Erzähldrang-, meinetwegen auch Zwang. Für mich kein großer Unterschied! Ich berichte vor allem gern über meine Kindheit. Zum besseren Verständnis. Für wen allerdings ist hier die Frage!?

Ich sehe Adda, wie sie unwillig ihren blonden Haarschopf schüttelt. Stelle fest, wie sie augenscheinlich und vorab schon genervt ist, ohne das ich nur einen einzigen Mucks von mir gegeben hätte. Sie scheint Gedanken lesen zu können.

Es beginnt damit, dass sie ihre hübschen rehbraunen Augen flehentlich `gen Himmel richtet; einem Botticelli-Engel gleich, dem sie auf makabre Weise ähnelt.

Danach löst sich ihre Erstarrung. Sie dreht mit ihrer rechten Hand, sie ist Rechtshänderin, an einer imaginären Kurbel einer imaginären Drehorgel. Soll heißen: „Die alte Leier! kenn ich schon!“

Und ob sie die kennt. Ihre kleine Nichte, die eine meiner Enkelinnen ist, hockt neben ihr, bettelt: „Omi, bitte erzähl!“ Wie könnte man so hartherzig sein, einem so süßen und wissbegierigen Kind etwas abzuschlagen!

Omi folgt der Bitte. Omi legt los! Sie erzählt zum hundertsten Mal, wie sie als kleines Kind im Krieg, wiederum von ihrer Omi durch die Fenster eines überfüllten Zuges in das Innere befördert worden war. Und ebenso wie ihre etwas größere Schwester Hetti auf dem gleichen Wege irgendeinem Mitreisenden auf den Schoß gesetzt worden war. Dabei hatten beide Kinder voller Entsetzen bemerkt, wie sich der Zug in Bewegung setzte. „Mit ohne“ ihre Omi natürlich!

„Wir Kinder schrieen uns die Hälse ab, bis wir in einer Kurve unsere Oma wie einen Klammeraffen von außen an einer Waggontür hängen sahen!“ sagte ich zum Schluss. Spätestens bei dem Ausspruch, „Klammeraffe“, ich wusste es, klatschte meine kleine Enkelin Julia vergnügt in ihre Händchen. Der Klammeraffe war für sie immer wieder der amüsante Höhepunkt dieser für mich unseligen Geschichte.

Noch heute bekomme ich das Zipperlein, wenn ich eine unvermeidbare Zugfahrt antreten muss. Mein Auto ist seit langem mein bevorzugtes Transportmittel.

„Im allerletzten Augenblick war unsere Oma zum Glück noch mitgekommen,“ beendete ich eine meiner vielen Geschichten, die meine gesamten Enkelkinder, bis auf die beiden Kleinsten, seit langem bereits, bequem und ohne nur ein einziges Mal hängen zu bleiben, synchron mitsprechen können.

Bei meinen Enkelkindern fand ich stets das Gehör, was ich bei meinen eigenen Kindern schon seit Urzeiten vermisste. Diese kleinen Engel konnten nie genug davon bekommen.

Auch fühlte ich mich verpflichtet, ihnen den übertriebenen Wert des Geldes

klar zu machen.

So erzählte ich ihnen, dass es gar nicht so wichtig wäre, bei jedem Schritt und Tritt immerzu Geld in der Tasche zu haben, wie ihre ebenfalls in die Jahre gekommene Großtante Hetti zum Beispiel.

„Man gibt es meist sowieso nur für Kinkerlitzchen aus“ brachte ich ihnen bei.

Meine Schwester Hetti legt noch heute allergrößten Wert darauf, einen gewissen Betrag bei sich zu haben. Ich habe die Summe vergessen.

„Nun denn,“ habe ich ihr gesagt „du musst ja wissen, was du tust!“ Haste jedenfalls als alte Tante größere Chancen von unseren Drogenheinis überfallen zu werden!“

Sie tat so, als wenn sie das gar nicht tangieren könnte.

Sie war immer schon Spitzenreiterin im Verdrängen, scheint vergessen zu haben, dass auch sie bereits eine alte Tante ist. Sie wunderte sich neulich über einen kleinen Jungen, der sie mit Oma ansprach und sie sinnierte augenscheinlich darüber, wieso das Kind sie als das entlarvt hatte, was sie meiner Meinung nach ja nun mal war.

„Verstehst du das?“ fragte sie mich am Schluss.

Sie klimperte nervös mit ihren immer noch schönen dunklen Augen, klemmte sich eine widerspenstige graue Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr, dem größeren von beiden und verstand offensichtlich die Welt nicht mehr, als ich feststellte:

„Klar doch. Bestimmt benannte dich der Kleine so, weil du nicht mehr so ganz taufrisch aussiehst!“ „Huch!“ Was hatte ich da angerichtet. Zur Sühne erzählte ich gleich, was auch mir kürzlich untergekommen war.

„Mir ist neulich ähnliches passiert“, sagte ich ihr zum Trost und weil sie mir leid tat.

„Ich stand neulich bei Aldi an der Kasse, hörte eine Mutter zu ihrem kleinen quengelnden Sohn sagen: „Wenn die Frau dran kommt, sind wir auch gleich dran!“ „Welches Deutsch!“

„Das ist keine Frau, das ist eine Oma! wetterte der kleine Knirps und nur ich konnte damit gemeint sein“, schloss ich meinen Bericht, wobei Hetti zu strahlen begann wie ein Reaktor.

„Wie hast du reagiert,!“ fragte sie mich und man konnte ihr förmlich ihre Wonne ansehen!“

„Die Mutter, kann ich dir sagen, fiel aus allen Wolken!“ „So etwas sagte man nicht!“ meinte sie.

„Nun lassen sie mal die Kirche im Dorf, gute Frau, ihr Junge hat ja Recht, natürlich bin ich eine Oma! Sogar eine siebenfache!“ habe ich sie beruhigt. Danach wandte ich mich an den Kleinen, obwohl der sicher keine Ahnung hatte, was das Siebenfache bedeutet.

„Weißt du, ich habe meine Enkelkinder alle lieb. Einer ist so alt wie du und ich will dir noch vor allem dazu sagen, dass eine Oma durchaus auch eine Frau ist, jedenfalls kein Opa!“

Mutter und Kind machten sich aus dem Staub.

Um auf Hettis Marotte zurückzukommen, nur ja einen fetten Geldbetrag mitzuschleppen, fürchte ich nicht unbedingt einen Überfall. Ich hasse es aber, grundsätzlich mehr Geld in der Tasche zu haben, als ich für meine Vorhaben brauche. Es kann durchaus passieren, dass ich an der Kasse stehe und meine Cents zusammenklaube, zum Verdruss der Wartenden in der Schlange. Kein seltenes Bild. Anderen meiner Generation geht es ebenso. Ich habe dann mal wieder haarscharf kalkuliert und komme gerade mit dem Betrag so eben hin. Zudem muss ich im Kopf addieren, was ein gutes Training für mich ist.

Wie am letzten Freitag. Da vernahmen meine leider noch intakten Ohren den ungeduldigen Ausspruch: „Hoffentlich ist die Alte bald so weit!“

„Die Alte“, da war es wieder, dieses Reizwort! Das hätte sich der Glatzköpfige mit seinen vermutlich „Ganzkörper Tattoos“ und um seiner Selbstwillen, verkneifen sollen. Ich versuchte auf Mimikry-Art, Eindruck zu schinden. Viel größer konnte ich durch Recken und Strecken nicht werden, aber imposanter. Ich atmete tief durch, positionierte meine ich muss gestehen, ohnehin schon voluminösen Brüste so weit wie möglich in seine Richtung und sandte ihm Blitze zu, die selbst Zeus vor Neid hätten erblassen lassen. Dann begann ich zu dozieren, fällt mir nicht schwer als Kursleiterin in der Alten- (wieder dieses böse Wort) Pardon, in der Seniorenbildung !!

„Junger Mann,“ begann ich, „zu meiner Zeit war es üblich, dass von Äpfeln angefangen, bis zum Zucker, noch alles abgewogen wurde. Dass dabei natürlich viel Zeit draufging, ist logo, wie Sie heute sagen würden. Sie werden doch wohl hier und jetzt die Geduld und den Anstand aufbringen, eine Minute an der Kasse zu verharren, wobei sie auch noch ihre Kriegsbemalung nebenbei und kostenlos zur Schau stellen könnten!“

So forsch vorgetragen, war der „Tätto“ platt, wie ein Mäuschen vor dem Kater. Angriff ist die beste Verteidigung, hört man ja immer wieder. Ich, von Natur aus gut, praktiziere so etwas nur im Notfall. Dieser hier war absolut einer.

Wo kommen wir hin, wenn wir Alten uns die Butter vom Brot nehmen lassen?

Solange ich noch einigermaßen weiß, wer ich bin, werde ich mich nicht klein kriegen lassen, wie die Menschen, die in Altenheimen ihr tristes Dasein fristen.

Ich weiß, wovon ich rede. Unsere Eltern sind fünfundneunzig und sechsundneunzig Jahre alt und befinden sich seit kurzem in einem Altenheim und das kam so:

Mutter seit längerem dement, hatte wieder mal am Herd die Flammen angemacht, während Vater mit seinem Auto die nötigen Einkäufe verrichtete. Dass sich die Form seines Wagens zusehendes veränderte, fanden wir nicht sonderlich verwunderlich. Das lag an den kleinen Crashs, die Vater immer wieder mal passierten. Der Wagen bestand zum Schluss eigentlich nur noch aus Beulen, aber was soll` s. Er tat noch immer gute Dienste.

Es gibt aber weitaus Schlimmeres, nämlich, als Vater nach Hause kam, nahm er Brandgeruch wahr und eilte ins Haus. Das heißt, er versuchte aufzuschließen, was nicht möglich war.

Mutter hatte sich von innen eingeschlossen und weigerte sich permanent, jemanden reinzulassen. Ihr Mann hätte es ihr verboten. Vater blieb nichts anderes übrig, als einen jungen Mann im Nachbarhaus zu bitten, die Tür einzutreten.

Es war für Hetti und mich nicht einfach, einen Heimplatz für die alten Leute zu „ergattern.“

Warten Sie mal bis November, das tut sich einiges“, wurde mir versprochen. Endlich war für Mutter gesorgt und Vater folgte ihr, weil er uns versprochen hatte, seine Frau nicht allein in die „Diaspora“ zu schicken. Ein weiterer Heimbewohner war verstorben und Vater nachgerückt.

Wir ihre einzigen Töchter bitten seit dem inständig und demütig den lieben Gott, oder wer auch immer dafür zuständig sein mag, uns durch einen Blitzschlag, oder sonstige Vergünstigungen den Heimaufenthalt zu ersparen. Wir wären auch mit herabfallenden Dachziegeln zufrieden. Alles Gute soll ja bekanntlich von oben kommen.

Übrigens gibt es Möglichkeiten, die auch schon einige unserer weiblichen Ahnen genutzt haben müssen. Merkwürdiger Weise sind eine Reihe vornehmlich weibliche Verwandte, nachweisbar einem Unfall zum Opfer gefallen. Und alle, wir sind eine langlebige Familie, befanden sich im hohen Alter. Das wäre doch auch eine schöne Möglichkeit für uns, nur diese Herrschaften können wir nicht mehr dazu befragen, wie sie das angestellt haben. Elektroautos standen damals ja noch nicht zur Debatte.

Ich denke, wir können getrost noch ein Weilchen abwarten, bis diese Lautlosen auf den Markt kommen.

Bis dahin wird auch mein Gehör nicht mehr das sein, was es einmal war und ich werde das leise Summen nicht mehr mitkriegen. Es sei denn, man baute unsinniger Weise Motorengeräusche ein, wie es neulich in der Zeitung stand. Es heißt also: Abwarten!

Ich habe eine Bekannte, die als Köchin in einem Altenheim tätig war und die mir sagte, ehe sie in so was reinkäme, würde sie, falls es eben noch eben ging, Hand an sich legen.

Es gäbe ja so viele Möglichkeiten. „Dem Himmel sei Dank!“ meinte sie abschließend und schüttelte sich.

Auch ich könnte mich schütteln, vor und nach den Besuchen im Altenheim, in dem unsere Eltern ihr Altersdasein eher fristen, als genießen.

Ab und zu erboten sich meine beiden bereits erwachsenen Enkelmädchen, uns zu begleiten. Eine Liebestat für die ich ihnen immer sehr dankbar war.

Großherzig schenkte die Uroma ihnen sofort das Mobiliar des ganzen Hauses. Keine Sorge, alles wäre ihr Eigentum, versicherte sie. Die Mädchen spielten mit, bedankten sich artig und wenn die Ur-Oma insistierte, sie müssten doch nun endlich heiraten, so langsam sähe man ihnen das Alter an, stimmten sie auch dem zu. Wenn sie Geld brauchten, würde die Urgroßmutter ihnen natürlich damit unter die Arme greifen.

Dabei weiß sie nicht mehr, was Geld überhaupt ist. Die Umwandlung in den Euro hat sie damals schon nicht mehr mitbekommen.

Am Mittag vertraten sich die beiden Mädchen ihre Beine und kamen mir lachend in dem langen Flur entgegen. Vor der hauseigenen Kapelle waren X-Rollstühle geparkt, wie in Kindergärten die Fahrzeuge der kleinen Insassen. Es war nicht immer alles trist und traurig. Unsere Mutter, früher recht drall, nahm im Heim konstant ab. Ohne meckern zu wollen, bei dem Essen, würde sich bei mir sogar mein stattliches Körpergewicht reduzieren, worüber ich glücklich wäre, aber bitte sehr nicht unter der Prämisse, dort etabliert zu werden.

Da bleib ich lieber korpulent bis zum seligen Ende meiner Tage. Selbst auf die Gefahr hin, meine Lebenszeit zu verkürzen, wie Ärzte es ihren Patienten gern plausibel zu machen versuchen, um sie zum Abnehmen zu bewegen.

Da halte ich es lieber wie eine meiner Schwägerinnen, die mehr als füllig geworden, meinte, den Sargträgern müsste der Schweiß den Steiß runterlaufen, wenn man sie zu Grabe trüge.

Sie hat einen deftigeren Ausspruch getan im Hinblick auf die Schweißrichtung. Recht hat sie. Ein bisschen Egoismus muss sein, zumal es uns alten Menschen schmeckt und Essen nicht zu Unrecht als „Rentnersex“ bezeichnet wird. Das heißt, so lange wir noch das essen können, was wir wollen. Keinen Einheitsfraß konsumieren müssen wie bei Militär oder in so manchen Krankenhäusern und leider auch in Altenheimen.

Mutter hatte so sehr abgenommen, so dass ihre Prothesen weder oben noch unten in ihrem Kiefer Halt fanden. Sie lockerten sich immer mehr und eines Tages im Beisein von Hetty und mir, fiel unserer Mutter die Prothese aus dem Mund. Die obere oder untere, ich weiß es nicht mehr, ist auch unwichtig. Sie landete geradewegs in ihre auf dem Schoß ruhenden hohlen Hände. Mutter zuckte erschreckt zusammen. Wir hörten sie in ihrem Platt ein überraschtes: „Watt ist datt dann?“ murmeln. Wieder einmal:

„Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“

Bei mir gibt`s im Moment immer weniger zum Lachen. Wenn ich nur an diese gleichermaßen grässlichen, wie effizienten Kompressionstrümpfe denke, wird mir manchmal ein wenig plümerant.

Als ich sie verschrieben bekam, die Dinger sind sauteuer, fragte mich die auch nicht mehr ganz so junge Ärztin mit einem bedauernden Blick auf meine sich schlängelnden Krampfadern, ob ich vielleicht welche mit Spitze oben dran haben wollte und in Schwarz. Wollte ich, kosten ohnehin nicht mehr und nicht weniger. Sexy sind sie sowieso nicht, ob oben ohne, oder mit. Aber immerhin nett von der Medizinerin gemeint.

Bei jedem Wetter, selbst bei 40 ° im Schatten trage ich treu und brav meine Medizinischen.

Es gibt Dinge, die einem das Alter einfach auferlegt und man ist gut beraten, sich mit dem Unvermeidlichen zu arrangieren. Das müssen Jüngere manchmal schon praktizieren, wie meine flotte auf Marylin Monroe getrimmte Friseurmeisterin, die den ganzen Tag über stehend, ohne diese hilfreichen Plagegeister überhaupt nicht würde arbeiten können.

Morgens, wenn ich die erste Schlacht geschlagen habe, den ersten Strumpf unter vielen Verrenkungen und dementsprechendem Gekeuche übergezogen habe, brauche ich erst einmal eine dicke Pause, wie bei vielen anderen Verrichtungen auch, seit ich in die Jahre gekommen bin.

Wenn der Zweite dann endlich wie eine feste Pelle mein Bein umschnürt, ist das schon die halbe Miete. Der Tageseinstieg schon nicht mehr ganz so katastrophal. Geschafft! Geschafft im Doppelsinn!

Abends dann allerdings erneutes Theater, diese schwarzen Zwillinge wieder in den Griff zu bekommen. Nur andersherum, wobei mir das Gekeuche ob der Anstrengung, sie wieder loszuwerden, nicht erspart bleibt. Das frenetische Keuchen bekommt Armin trotz seiner Hörstürze mit, falls er sich in der Nähe befindet.

Unsere Rhythmen sind in allem schon immer sehr verschieden, aber es ist durchaus möglich, dass wir beim Ausziehen im Schlafzimmer auch mal als Duo zusammenstoßen.

Bei meinen unvermeidbaren Geräuschen, vor allem am Abend könnten Nachbarn wer weiß was von uns Oldies annehmen; würden wir in einer Neubauwohnung zu Hause sein. Schön in jeder Beziehung, im eigenen soliden Heim wohnen zu dürfen.

Die frühere Kabarettistin Isa Vermehren und spätere Nonne behauptete einmal in einem Fernsehinterview, als sie schon längst Ordensfrau war, dass man mit dem Alter ausgezeichnet zurecht käme. Möglicherweise weiß sie nichts von Stützstrümpfen.

„Die hat ja auch keinen sie beobachtenden Mann meinte meine Hetti dazu, worauf ich Einspruch erhob.

„Die ist immerhin mit Gott verheiratet, und der liebe Gott sieht bekanntlich alles!“, gab ich zu bedenken, worauf ich ihre glaubwürdige Antwort erhielt:

„Ja, schon, aber der urteilt und beurteilt nicht!“

Sich mit dem Alter anzufreunden halte ich persönlich für wünschenswert.

Sich dagegenzustemmen ist genau so unnütz, als wenn man versuchen wollte, Schneeflocken zu rösten.

Allerdings tun mir alle jene alten Damen leid, die sehr spät oder gar nicht Omis geworden sind. Für die ist das Alter doch ein Quäntchen fader.

Ich wurde exakt genau in dem Alter Oma, in dem meine Tochter Mutter wurde. Das ist nicht verwunderlich, ich war eine ziemlich junge Mutter und die logische Konsequenz, jedenfalls zu meiner Zeit war die, dass der Großmutterstatus auch früh eintrat. Ich war ganze neununddreißig Jährchen jung.

In dem Alter hat man für gewöhnlich noch Nerven wie Drahtseile, oder?

Nein, nicht immer. Häufig genug war ich völlig ermattet, wobei es auf das jeweils zu hütende Enkelkind ankam. Unser fünfter Enkel, ein besonders aufgeweckter Junge, verlangte mir bisweilen meine ganze Kraft ab. Seine Mama bezeichnete ihn häufig als „Jubiläumskind“. Er folgte erst Anweisungen beim fünfundzwanzigsten Mal. Das konnte ich aus eigenem leidvollem Erleben nur bestätigen. Ich hätte eine Flüstertüte gebraucht, um meine Stimmbänder zu schonen. Das Schöne an Enkelkindern ist, dass man sie immer wieder los wird. Meine Freundinnen, die ehrlichen jedenfalls, bestätigen mir immer wieder, wie unbändig sie sich freuen, wenn ihre Enkelkinder kommen, die Freude aber ebenso groß ist, wenn die Enkel wieder gehen und sie sich, gleich mir, in ihre feudalen Fernsehsessel knallen können.

„Ach des Menschen größte Freud....!“

Meine beiden Kinder bescherten mir im Ganzen sieben Enkel; im Alter von sechs Monaten bis zu dreißig Jahren. Eine breite Spanne, die einigen verrückten Umständen zu verdanken ist.

Zudem, durch nur einen einzigen Sohn und nur einer einzigen Tochter vierfache Schwiegermutter zu werden, ist zwar kein Kunststück, aber erklärungsbedürftig.

Unser Sohn hat schlicht und einfach drei Frauen beglückt, mit denen er insgesamt fünf Kinder zustande brachte, die natürlich allesamt meine Enkelkinder wurden. Unsere Tochter Adda als „Nachzüglerin“ bekam ihre beiden Mädchen ziemlich spät. Bedingt durch ihr langes Studium, mit ihrer nachfolgenden Selbstständigkeit. Bis sie endlich etabliert war und dann erst an Kinder denken konnte. So wie es heute bei jungen Frauen eher die Regel, als die Ausnahme ist.

Ich bin vorsichtig geworden, wie neulich, als ich meine zweitjüngste Enkelin beim Spiel im Sandkasten beobachtete und wo sich ein etwa gleichaltriges Kind, um die vier, breit machte. Eine überaus korpulente Frau tapste schwerfällig durch den Sand, um dem Kind ein Schüppchen zu bringen, beugte sich keuchend nieder und sprach mit dem Mädchen.

Als Rheinländerin kontaktfreudig, war mir nach einem Schwätzchen zumute. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich ein Gespräch von mir aus „anstoßen“ musste, wie eine Billardkugel, die von allein und selbst in hundert Jahren nicht in Bewegung gerät. Vor zig Jahren in die Diaspora des Humors emigriert, sprach ich diese Schwerfällige an.

„Ein nettes Enkelkind haben Sie!“ Die Frau stutzte, guckte über mich hinweg und würdigte mich keines Blickes. „Eine wenig selbstbewusste Oma,“ konstatierte ich, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel, als das spielende „Enkelkind“ verzweifelt „Mama“ brüllte, als meine Enkelin ihm eins auf den Pelz schlug!

Seit dem, bin ich hellsichtiger und vorsichtiger geworden, man lernt bekanntlich auch im Alter noch dazu. Ich behaupte lieber gleich, wenn mir gelangweilt nach einem Schwätzchen zumute ist, wie hübsch ich doch das nette Töchterchen oder den netten kleinen Sohn finde. Mit ungläubigem Augenaufschlag und stolzgeschwellten Brüsten schenken mir diese Omis, von Omi zu Omi sozusagen, ihr liebstes Lächeln, was sie ehrlich um Jahre verjüngt.

Halsstarrige Omas würden meiner Beobachtung nach, niemals zugeben, ihre Vorlieben zu haben. Ich behaupte, sie haben sie!

Überzeugend versuchen sie, aus welchem Grund auch immer, sich selber zu belügen, in dem sie behaupten, alle Enkelkinder gleich zu halten.

Meiner Erfahrung nach ist das schier unmöglich. Jedes Kind hat andere Vorlieben. Differenzieren ist hier gefragt.

Meine Julia, das erste Kind aus der zweiten Verbindung unseres Sohnes war das Enkelkind „meiner Wahl“ möchte ich behaupten.

Das Kind wuchs mir immer mehr ans Herz, wie ich immer wieder entzückt feststellte.

An einem Montag hatte ich Julia in meinem Auto mitgenommen, um ihr die versprochenen Pferde auf einer Vorortweide zu zeigen. Als wir dort ankamen, war das Kind eingeschlafen. Auf dem Rückweg kamen wir bei Hetti vorbei.

Armin weiß um meine technischen Defizite und schnallte das Kind deshalb höchstpersönlich vor der Abfahrt an. Zugegeben, ich bin eine technische Idiotin, was ich unter Beweis stellte, als ich versuchte nach dem Besuch, den Kindersitz festzuzurren. Es misslang. Die Großtante befestigte unter Kopfschütteln die kleine Person, meinte unmutig: „Deine Oma ist doof Julia, sie kann deinen Sitz noch nicht mal befestigen!“

Julia, sie mag um die drei gewesen sein, verzog ihr Mündchen und ich stellte mich auf eine Heulorgie ein. Sie reckte plötzlich ihren Kopf nach vorne, in die Richtung derjenigen, die behauptet hatte, ihre Oma wäre doof. Sie sah wie ein kleiner wilder Schwan aus, schrie in einer nicht zu überhörender Lautstärke:

„Du bist doof!“ Hetti brach in Gelächter aus, hielt sich den Bauch und sagte:

„ Du bist richtig, Julia, verteidigst deine Oma, das gefällt mir!“

Ja, und so ist es bis heute geblieben. Julia ist meine Favoriten gewesen. Lange Zeit.

Sie war es, die mir nach dem Fußbruch, als ich um die Sechzig alt war, bei Familientreffen meinem genagelten Fuß auf ihrem Schoß Schutz gewährte. Ich wäre vor Berührungsschmerz ohnmächtig geworden. Wenn ich auf meinem Küchenstuhl kniete, um etwa aus dem Fenster zu schauen, pinselte meine kleine Katze meinen Fußrücken mit ihrem hochgereckten Schwänzchen, was bei mir schon einen gehörigen Schmerz auslöste.

Ich sprach davon, dass Julia meine Favoriten war. Sie bleibt die erste, es gibt aber mittlerweile eine zweite, wie es auch eine zweite Siegerin geben kann.

Greti ist die erste Tochter meiner Tochter. Kurz nach der Geburt bekam das kleine Menschlein eine Sepsis und nur der Himmel wusste, ob das Kind durchkommen würde. Greti ist mir ebenfalls sehr nah. Mir zuliebe hat sie häufig die Übungen mitgemacht, die mir die Therapeutin nach einem Glatteissturz mit nachfolgendem Schulterbruch aufbrummte, um ein Versteifen der Schulter zu vermeiden.

Solidarisch mit mir zog das kleine Kind an dem Seil, das ihr Opa oben an der Decke für mich eigens befestigt hatte. Ein kleines Vierjähriges liebes Etwas, über das ich hoch beglückt bin.

Ich revanchiere mich häufig. Ich habe die Angewohnheit, Tierstimmen zu imitieren. Unter anderem gelingt es mir, das Röhren eines brünstigen Hirsches, ich muss schon sagen, gekonnt von mir zu geben, was bisher für Heiterkeit beinahe in der übrigen Familie gesorgt hat.

Die rühmliche Ausnahme ist dabei Adda, Gretis Mama also. Sie hasst das Geräusch wie die Pest.

Ich könnte mir denken, dass diese Art von Gegrunze sie an ihre Patienten beim Spülen ihrer Münder, erinnern mag. Greti macht mir zuliebe jedenfalls mit. Sie legt ihre beiden Händchen an den Mund, als wenn sie im Sturm jemandem was zurufen möchte und schon geht das Röhren und Grunzen los. Sie ist lernfähig, wird immer besser, was mich außerordentlich freut. Ehrlich gesagt, ich würde niemals etwas tun, was das Verhältnis zwischen Mutter und Kind verwässern würde. Aber auf das Grunzen meiner Enkelin, mir zu Ehren, kann und möchte ich nicht verzichten. Neuerdings üben wir heimlich und ich stelle mir dabei das entrüstete Gesicht meiner Adda vor. Augenblicklich bekomme ich Harndrang und renne zur Toilette. Natürlich ist auch meine Blase nicht mehr das. was sie früher einmal war! Greti läuft gleich mit. Aus Sympathie!

Seit einer Reihe von Jahren findet in unserer Westfalenhalle ein Wettröhren statt, wozu die Jäger mit oder ohne Hilfsmittel ihr zweifelhaftes „Können“ alljährlich unter Beweis stellen.

Neulich haute mich der Armin an: „Sag mal,“ knurrte er und hielt höchst pikiert ein Zeitungsblatt mit dem Konterfei eines Jägers hoch.

„Hast du dich dieses Jahr vielleicht für diesen hirnrissigen Wettkampf eingetragen? Zuzutrauen wäre dir das?!“

„Welcher Wettkampf?“ stellte ich mich doof. „Hier“, er wedelte nervös mit seiner Zeitung, „steht Schwarz auf Weiß, dass zum ersten Mal eine Frau mitmischen wird,“ stellte er unmutig fest.

„Mit dem Gedanken habe ich ehrlich gesagt, auch schon gespielt. Du weißt ja selbst, dass ich immer besser werde,“ beichtete ich dem Besorgten. „Aber mir passt es ganz und gar nicht, einen solch blöden grünen „Bibbi“ aufsetzen zu müssen, was ein absolutes Muss für diese versnobten Jagdfritzen ist! Nur über meine Leiche!“

Es stimmte. Hüte standen mir noch nie. Weibliche Brillenträger sollten das Tragen von Hüten tunlichst vermeiden, meiner bescheidenen Meinung nach.

Früher voller Spott: „Eine Frau mit einer Brille, das ist mein letzter Wille!“, wusste Armin erst jetzt vermutlich und erstmalig meine Brille zu schätzen, könnte ich mir jedenfalls denken.

Erleichtert sank er mit mitsamt seiner Zeitung in seinen Sessel zurück.

Vielleicht röhrt die Greti irgendwann einmal in eigener Regie. Nichts Erlerntes im Leben ist für die Katz! Irgendwann wird sie es vielleicht mal gebrauchen können. Vielleicht als Oma?

Ja, wozu sind Großmütter speziell,“ eigentlich sonst noch gut?“, frage ich mich immer häufiger, je mehr ich mit meinen Enkelkindern in Berührung komme.

Die Chinesen behaupten, weil Gott nicht den Müttern alles allein aufbürden möchte, hätte er die Großmütter erschaffen. Völlig unlogisch, wie ich meine. Schließlich waren ja die Großmütter eher da. Oder ist es möglicherweise wie bei der Geschichte mit dem Huhn und dem Ei. „Welches von beiden war zuerst da?“ stellt sich hier die Gretchenfrage. Wenn man die heutigen Mütter betrachtet, könnten sie bequem auch als Großmütter durchgehen. Zum Glück werden ja die Menschen mittlerweile viel älter, so dass sie ihre Kinder noch lang genug, will heißen, bis die flügge sind, auf dieser schönen Erde begleiten können.

Um beim Thema zu bleiben. Adda sagte mir neulich ziemlich arrogant, sie würde ihre Kinder bildungsmäßig zu nichts, aber wirklich zu gar nichts zwingen. Auch über die Schulform ließe sie ihre Mädchen selbstverständlich selber entscheiden. Von Zwang hielte sie absolut nichts.

Ich habe mir meinen Teil gedacht und aufseufzend erklärt, wie schade ich es fände, dass gerade sie so spät ihre beiden Sonnenscheinchen bekommen hätte. Folglich hieße das für mich, dass ich ein Groß- und Erwachsenwerden dieser beiden letzten Enkelchen wahrscheinlich nicht mehr würde miterleben können.

Da meinte diejenige, die ihre Kinder zu nichts würde zwingen wollen, voller Überzeugung:

„Ja aber, bis zu deren Abi kannste das doch noch bequem schaffen.!“ Selten so gelacht!

Bis zum Abi! Eine lange Zeit, die sie noch vor sich und ich mit meinen Kindern längst hinter mir habe.

Wie herrlich, eigenständig sozusagen und weitgehend nur für sich und seinen Partner zuständig zu sein. Wie beschwerlich waren früher die vielen Reisen. Dem einen war schlecht, dem anderen langweilig. Ewig saß man als Mutter wie auf heißen Kohlen.

Von Urlaub war kaum die Rede. Heute ist das alles anders, günstiger, bis auf die Dinge, die mit den Beschwernissen des Alters zu tun haben. Wir brauchen ja leider alle mehr oder weniger unsere Pillen.

In jungen Jahren war die Antibabypille die einzige „Medizin“, die man, d. h. frau schluckte.

Schließlich wünschte man keine wundersame Vermehrung.

Meine Oma behauptete immer:„ An ein Kind kommt man eher als an einen Hundertmarkschein! Stimmt! Sogar gratis!

Wenn ich mir so meinen Kulturbeutel, ein Ausdruck, über den sich Armin zeitlebens krumm gelacht hat, betrachte, muss ich bei den vielen Pillen schon sehr aufpassen, damit ich die richtige zum richtigen Zeitpunkt erwische. Ich könnte mittlerweile so eine Krankenhausschütte gebrauchen. Für montags, dienstags, mittwochs .....morgens, mittags, abends…………

Es ist erstaunlich, dass wir Menschen trotz oder vermutlich wegen der vielen Pillen so langlebig sind.

Ich denke, wir können noch so viel Schindluder mit unserer Gesundheit treiben, die Pharmaindustrie richtet es. Eigentlich cool, wie ich meine.

Meine Eltern fuhren noch bis ins hohe Alter nach Nord- und Südspanien, wo sie sich jeweils ein Domizil eingerichtet hatten. Einmal besuchten wir sie im Norden, wo sie ihre Wohnung für uns freimachten, um sich im Süden in der anderen Wohnung wie Wandervögel niederzulassen.

Sie luden nicht weniger als vier prallgefüllte Koffer ein. Einer war, wegen Mutters Allergie, bis obenhin mit Medikamenten gefüllt.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Damals jedenfalls noch nicht. Ich möchte nicht behaupten, einen ganzen Koffer voller Medizin mitzuführen, aber das, was für mich unverzichtbar ist, reicht mir schon. Dabei fällt mir eine Geschichte, rund um Pillen, ein.

Wegen meiner gehäuften Gallenkoliken war nachts ein Notarzt vonnöten. Der Mann wirkte völlig abgeschlafft und erzählte mir, während er mich behandelte, von seinem gerade durchgeführten Krankenbesuch. Mir war piepegal, wo der gute Mann vorher hatte Hilfe leisten müssen, ich wollte nur von diesen Schmerzen und danach auch von seinem Gerede erlöst werden. Endlich schlafen. Ich horchte auf. Was er da schilderte, interessierte mich immer mehr.

Sein Patient wäre völlig apathisch in seinem Bett gelegen, berichtete er, worauf seine Tochter den Notdienst alarmierte. „Um den alten Herrn herum türmten sich Schuhkartons auf, nachdem ich darum gebeten hatte, alle Medikamente des Apathischen zusammen tragen zu lassen,“ berichtete der Arzt, während er an mir herumhantierte, um das Schmerzmittel in die Vene zu bekommen.

„Ich hätte ihrem Herrn Vater die Leber herausschneiden können, der würde nichts davon mitgekriegt haben,“ hatte der Mediziner der Tochter des Patienten mitgeteilt und auch die kleine Frau neben ihr, vermutlich ihre Freundin, war baff.

Meine Ohren wurden immer spitzer! Hetti und ihre Freundin passten wie die Faust aufs Auge zu der Beschreibung. Auch auf die von dem tablettenkonsumierenden alten Herrn, der Vater der großen Frau und Hausbesitzer des Dreifamilienhauses.

Der Arzt schüttelte noch völlig von den Geschehnissen beeindruckt, seinen grauen Kopf.

Wo denn ihre Männer wären, hatte er wissen wollen.

„Die schlafen oben unterm Dach,“ bekam er zur Antwort.

Meine Güte, das war harter Tobak für einen Außenstehenden! Ich sagte dem Arzt, der eigentlich seine Schweigepflicht verletzt hatte, dass es sich um meine Schwester, deren Freundin und deren Vater gehandelt haben müsste.

Er versuchte, mich noch ein wenig auszuhorchen, was ihm auch gelang.

„Nein, die Damen sind nicht lesbisch und deren Männer auch nicht schwul“, konnte ich den konsternierten Mediziner beruhigen.

Später sprach ich Hetti davon, wie klein die Welt doch wäre und auch, dass es keine Zufälle gäbe, was sich wieder mal bewiesen hätte und worüber wir schon oft in Harnisch geraten waren.

Der alte Herr war vordem in der unteren Etage ausgerastet. Er schrie laut um Hilfe. Seine Tochter war nach unten geeilt, wo sie ihren Vater mit weit aufgerissenen und glasigen Augen auf sein Vertiko starren sah.

„Bitte, nimm den Tiger dort runter,“ kreischte er.

Seine Tochter war versucht, ihrem Impuls nachzugehen und wahrheitsgemäß zu behaupten: „Ich sehe keinen Tiger!“ Sie besann sich eines Besseren, ging auf das wilde Tier zu, stieß zwei fauchende Laute aus und führte die willfährige Bestie am imaginären Halsband aus dem Raum.

Ihr Vater war zunächst dankbar, beruhigte sich aber kaum mehr, so dass die Tochter in ihrer Not den Notarzt, eben jenen, der mir die ganze Story brühwarm erzählt hatte, alarmierte.

Just, als der eintraf, verfiel der alte Herr in eine Art von Agonie.

Ausschleichend wurden die Medikamente, wie es im Medizinerjargon heißt, abgesetzt. Halleluja! Pillensucht durch Vereinsamung! Das stand für mich fest. Ich kannte den alten Herrn. Obwohl seine Tochter mit Familie im selben Haus wohnte, litt er unter den vielen Stunden des Alleinseins. Mittags brachte sie ihm das Essen runter, manchmal kam er auch nach oben.

Fast sämtliche Freunde waren ihm weggestorben. Wie wichtig Freunde sind, wurde mir mal wieder bewusst.

Dass sie nicht am Straßenrand wachsen, ist ja hinlänglich bekannt. Auch das jeder etwas dafür tun muss, ist eine alte Jacke. Auf ihre Verschiedenartigkeit einzugehen, ist ebenso wichtig.

Aber kann man das immer? Ich habe es oft versucht. Freundschaften sind mir bis ins hohe Alter erhalten geblieben, es sind auch manche zerbrochen.

„Wo viel gehobelt wird, fallen Späne,“ wie man zurecht sagt.

Ich gehe immer wieder mal in Gedanken meine Freundinnen durch. Auch meine männlichen Freunde, die meist die Partner meiner Freundinnen sind.

Sie alle haben einen gemeinsamen Nenner, der Zuverlässigkeit heißt. Man muss sich aufeinander verlassen können. Sonst lastet die Betonung des Wortes „Verlassen“ auf der ersten Silbe. Verlassen werden genügend Menschen. Auch das hat ein jeder von uns schon erlebt.

Unter dem Zeichen des Wassermann geboren, habe ich das Glück, leicht Freundschaften schließen zu können, „Ohn` Anseh`n der Person“ sozusagen, wie es so schön blöd heißt. Mir ist es völlig egal, ob eine Freundin in einem gehobenen Job tätig ist, oder als Putzfrau arbeitet.

Ob sie reich ist oder arm oder tugendhaft oder weniger moralisch.

„Ich bin nicht der Nabel Welt“ und „Jedem Tierchen sein Pläsierchen,“ habe ich mir zum Grundsatz gemacht.

Auch bemühe ich mich, meine stärkste Schwäche, nämlich nachtragend zu sein, zu minimieren. Dazu brauchte ich die Unterstützung des Herrn Alzheimer, fürchte ich. Mein Gedächtnis, vor allem das der Langzeit, funktioniert erstaunlich gut. Zu gut! Im Bösen und zum Glück auch im Guten. Eine gute Tat, mir gegenüber vollbracht, lässt sie mich ein Leben lang nicht vergessen.

Aber über eins komme ich nur besonders schwer oder gar nicht hinweg. Das ist Verrat, den bisher nur eine einzige Freundin an mir begangen hat.

Sie hatte kurzfristig morgens per Mail ein vereinbartes Treffen abgesagt. Sie begründete das mit dem Hinweis, durch das Hüten ihres kleinen Enkels, keine Kraft mehr an dem betreffenden Nachmittag zu haben, um mit mir auch noch etwas zu unternehmen.

Das war für mich völlig o.k. Kräfte wachsen schließlich nicht auf Bäumen.

Ich hatte den schon verplanten Nachmittag also für mich, fuhr mit dem Wagen in aller Ruhe zum Einkaufen und traute meinen Augen nicht, als ich vor mir eben jene Freundin im Beisein einer anderen Freundin in ihrem Wagen puppenlustig vor mir herfahren sah.

Ich war wie erstarrt, dachte: „Morgens sterbender Schwan und nachmittags von den Toten auferstanden! Wie passt das zusammen!“

„Nee, nicht mit mir!“ war mir klar. Ich startete dann gleich eine E-Mail mit dem Hinweis, die Welt wäre klein und es gäbe keine Zufälle. Sie sollte wissen, dass ich sie und ihre Begleiterin wahrgenommen hatte. Zwei volle Tage später erst, eine mir unverständliche Verzögerung, wurde mir dann auf gleichem Wege mitgeteilt, dass ich bitte Verständnis haben sollte.

Wie konnte ich das? Ich habe ihr nicht mehr geantwortet, zumal sie in der bewussten Mail ohnehin mitgeteilt hatte, mir nicht mehr so oft schreiben zu wollen.

Manchmal sehen wir uns noch zufällig, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass es keine Zufälle gibt. Wir wohnen dicht beieinander. Einmal trafen wir uns bei einer Museumsführung und wir unterhielten uns, als wenn nichts dazwischen gelegen hätte. Erkundigten uns gegenseitig nach den Enkeln und so etwas wie eine alte Vertrautheit keimte wieder auf.

Ich sammle anscheinend Freunde, wie andere Leute diverse Wertgegenstände. So könnte man meinen. In Wirklichkeit sind Freunde von hohem Wert, wenn sie echte Freunde sind. Wozu für mich Verrat das Letzte ist und wo mir das Verzeihen verdammt schwer fällt. Ich wurde von meiner Freundin Lotte darauf aufmerksam gemacht, Typen anzuziehen, die irgendwie aus der Norm fallen. So vorsichtig drückte sie sich jedenfalls aus. Als Psychologin musst sie es ja wissen.

Ich dachte darüber nach. Sie war nicht im Unrecht! Eine meiner Freundinnen die besonders an mir hing, war im Grunde genommen eine sehr aggressive Frau. Mir gegenüber selten, eigentlich nur einmal, was mich tief verunsichert hat. Guste hat einmal, das ist mir von einer ihr nahen Verwandten gebeichtet worden, eine Pizzeria auseinandergenommen und die Stühle durch die Luft gewirbelt, gewütet, wie ein Taifun. Den Grund weiß ich nicht mehr. Vielleicht war die Pizza angebrannt oder nur der Himmel weiß, warum sie sich so aufgeknöpft hat. Bei mir flippte sie auch einmal aus, weil ich sie gebeten hatte, die Chormusik im Autoradio leiser zu stellen. Daraufhin wurde sie dermaßen fuchsig:

„Hast du was gegen Chormusik?“ schnauzte sie. Ich verneinte. Da fing sie an zu brüllen, sie liebte geradezu solche Musik und ich sollte mich schämen, nichts dafür übrig zu haben. Dann war der Spuk augenblicklich vorbei. Sie saß unvermittelt wieder seelenruhig da. Auch weiß ich von diesem „Pizzeria-Schreck,“ dass ein Räuber sie in ihrem Schreibwarengeschäft einmal mit vorgehaltener Pistole zur Kasse gebeten hatte. Ganz schön mutig von ihm!

Statt ihm Geld auszuhändigen, schlug sie ihm erst die Pistole aus der Hand, danach eins auf die Nuss, wobei der Dieb zu Boden ging. Erst nach getaner Arbeit wurde sie selber ohnmächtig und neben dem Räuber liegend von einem (Zufälle gibt es nicht) vorbeikommenden Polizisten erstversorgt, bis der Krankenwagen eintraf. Ich könnte einen Roman speziell über meine gesamten Freundinnen schreiben. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, warum man annimmt, ich würde Typen anziehen, die nicht ganz in der Norm wären. „Du könntest ja auch einen neben dir herlaufen haben,“ meinte meine Mutter dazu, als sie selbst noch „normal“, sprich, noch nicht dement war. Das finde ich, ist der Knackpunkt! Vielleicht war ich wirklich diejenige die gagga war. Wer weiß das schon so genau! Zudem, was soll `s. Wichtig war uns, dass wir uns mochten und stets beistanden.

„Was ist schon noch normal! Was ist verrückt?“ stellte sich mir neuerdings immer wieder mal die Frage. Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, dass die Menschen, die in der Psychiatrie sitzen, vergleichsweise „normal“ sind und die, die es von sich behaupten, eher ab und an mit ihnen tauschen sollten.

Wenigstens für eine befristete Zeit. Ich selbst habe schon mit vielen Freundinnen schöne und auch schwere Zeiten erlebt. Irgendeinen an der Klatsche haben sie genauso wie auch ich.

Dennoch sind wir sind allesamt unterschiedlich, was den Reiz von Freundschaften ausmacht.

An die Rollatoren Mädels

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