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Der Rote Hahn an der Nordsee
Оглавление„Hallo, Juri, dich sieht man schon von weitem!“
„Hallo, Rico, ich hätte dich benahe nicht erkannt nach den langen vier Jahren, die wir uns nicht mehr gesehen haben. Zum Glück gibt es ja Skype, so konnten wir auf dem Laufenden bleiben.“
„Ja, aber auf deinem Zeltplatz am Ellbogensee gab es wohl kein Internet?“
„Nein, brauchte ich dort auch nicht. Dort gab es Natur pur.“
„Wie war es denn? Erzähl mal!“
„Zunächst hatte ich ja keine Lust, mit den Großeltern auf einen Campingplatz zu fahren. Ich hatte Angst, 10 Tage ohne meine Eltern von zu Hause weg zu sein. Auch dachte ich, Oma und Opa würden nur bestimmen.
Aber dann war alles ganz anders: Sie waren immer als Anlaufpunkt am Zelt und ich konnte den ganzen Tag machen, was ich wollte. Es gab viele Kinder, Wald und Wasser, eine Hüpfburg, wo ich richtig trainieren konnte: Salto. Die anderen Kinder sind mir zugesprungen, so dass ich toll durch die Luft flog. Stundenlang.“
„Und welches war nun dein schönstes Erlebnis?“
„Schön kann man nicht sagen, aber die Sage vom Stechlin-See „Der Rote Hahn“ hat mich am meisten beeindruckt.“
„Erzähl mal!“
Inzwischen waren sie über den Alex gegangen , mit der S-Bahn bis zum Hauptbahnhof gefahren und hatten auch schon ihren Zug Richtung Nordsee gefunden. Beide fühlten sich so wunderbar frei und leicht, aber auch stark und sehr geschickt. Sie waren im besten Alter: 15 Jahre alt. Es war das erste Mal, dass sie ohne Erwachsene in die Ferien fuhren, ohne Aufpasser, ohne Bestimmer! Und sie merkten auch, dass sie gut aussahen, denn viele bewundernde Blicke streiften sie.
Sie legten die Arme um ihre Schultern und genossen ihre Freundschaft. Beide hatten die 10. Klasse abgeschlossen und hatten es sich verdient, an der Nordsee zu faulenzen, tanzen, schwimmen, spielen zu gehen und sich um nichts zu kümmern.
Sie fanden ein leeres sechser Abteil und nahmen am Fenster einander gegenüber Platz. So könnten sie sich beim Zuhören auch noch sehen. Juri fühlte im Innern eine behagliche Wärme. Das ist gemütlich, dachte er. Auch Rico hatte ein Lächeln im Gesicht und zeigte Vorfreude.
Gleich, nachdem sie sich gesetzt hatten, ging zaghaft die Schiebetür auf und ein kleines Mädchen von ungefähr 12 Jahren fragte: „Ist hier noch ein Platz frei?“
„Aber ja“, riefen beide wie aus einem Munde. Sie halfen der Kleinen, das Gepäck zu verstauen. Es war nur ein Rucksack so wie bei Juri und Rico auch.
„Willst du auch in eine Jugendherberge?“
Sie hatte das gleiche Ziel wie die Jungs und das war ihnen sehr angenehm. Aber sie schlief gleich tief und fest ein. Sie hatte wohl viel Arbeit vor ihrer Abreise gehabt.
Und Juri erzählte die Sage vom Roten Hahn, der sich immer wieder Menschen in sein Wasserreich holt, wenn sie ihn herausfordern und seine Kraft und Grenzen nicht akzeptieren wollen.
„Meine Oma hat mir einen Spruch gemacht, damit ich den Hahn nicht vergesse.“
„Wie lautet er?“
„Bevor sich der Rote Hahn auf dich besinnt,
sieh zu, dass du noch Land gewinnst.“
Rico dachte nach und wiederholte die Zeilen:
„Bevor sich der Rote Hahn auf dich besinnt,
sieh zu, dass du noch Land gewinnst.“
„Ja, dabei hat sie zwar ihre schalkhaften Augen blitzen lassen, aber ihre Stimme klang sehr ernst. Sie erzählte mir, dass in letzter Zeit fast täglich Männer ertrunken sind. Starke, gute Schwimmer, aber auch Jugendliche in unserem Alter. Sie haben sich überschätzt oder das Wasser unterschätzt.“
„Ja, sie haben den Roten Hahn nicht für voll genommen.“
„Meine Oma machte mir auch noch einmal klar, dass die Nordsee gefährlich ist. „Die Nordsee ist keine Schwimmhalle!“, sagte sie. Auch über die Nordsee gibt es viele Sagen und Geschichten.“
„Mich interessieren die alten Sagen und Geschichten sehr. Auf Lanzarote gibt es auch viele, denn auf einer Insel lauern für die Menschen und Tiere viele Gefahren. Ich sammle sie alle in meinem Sagen-Buch. Es heißt „Sagen aus aller Welt“. Ich werde mal Weltenbummler und Sagen-Sammler.“ Rico schmunzelte wieder bei dem Gedanken und Juri bewunderte den Weltenbummler heute schon.
Sie lehnten sich beide wohlig zurück und ließen ihre Gedanken baumeln. Die Landschaft glitt an ihnen vorbei, das Mädchen lächelte im Schlaf und sie waren sich sehr nahe.
Plötzlich wurde es draußen auf dem Gang laut. Ein Rumpeln setzte ein, ein Geschimpfe, ein Türen -auf- und -zu -Reißen, ein Rufen „Hier ist noch Platz, kommt hierher!“
Und nun veränderte sich alles.
Im Türrahmen ein Mann, nein ein Bär von einem Mann, dahinter ein Mädchen, lang und dürr, total gestylt, nichts Natürliches mehr im Gesicht, dahinter noch ein Bär von einem Mann.
„Tach auch“, sagte der erste. Und mit tiefer, drohender Stimme: „Hier is doch noch frrrrei!“ Es blieb den Alteingesessenen nichts weiter übrig als zu nicken.
Nun die vielen Koffer, Rucksäcke, Boote, Drachen, und was noch alles ´rein ins Abteil. Für die Beine gab es keine Freiheit mehr. Schnaufend wie Walrösser ließen sich die drei in den Polstern fallen.
Ein Wort ergab das andere und es stellte sich heraus, dass der erste Bernd, der zweite Hottel und das Mädchen Jaklin hieß. Das kleine Mädchen gab nach langem Drängen auch seinen Namen zum Besten: Marion. Alle hatten das gleiche Ziel.
Und nun begann die Geschichte ihren Lauf:
Bernd erzählte, dass sie schon viele Jahre dorthin fahren und dass es eine lange Tradition gab, die schon die Eltern und Ureltern umsetzten: Es gab ein Wettschwimmen in der Nordsee, und zwar nicht dort, wo die Schwimmer durch Bojen und andere Kennzeichen geschützt sind, wo der Rettungsdienst einsatzbereit ist, wo man nicht abgetrieben werden kann, sondern –so sagte Bernd mit dem Ton der tiefsten Überzeugung – „ auf offener See, als echte Herausforderung! Ja, ich weiß, es gibt auch gut organisierte Wettkämpfe, aber so abgesichert, das ist schnullifax! Nööö, das ist nur was für Weicheier! Das bin ich nicht, du vielleicht?“ Und dabei sah er Juri herausfordernd an.
Juri ärgerte sich nicht nur darüber, dass diese traute Zweisamkeit mit Rico jetzt schon geendet hatte, sondern noch mehr, dass Bernd genau ihn ansprach, ihn anstachelte, ihn in seinem Ehrgeiz packte und dass da sofort in ihm diese Leidenschaft ausbrach. Es glühte in ihm. Er doch nicht! Er, Juri, war doch nun wirklich kein Weichei. Das musste er Bernd beweisen. Er hatte schon viele Wettbewerbe im Schwimmen und Tauchen gewonnen. Da kann Bernd einpacken, wenn er es mit ihm aufnehmen will!
So gingen seine Gedanken, so hoch loderte der Eifer, so sehr war er in seinem Stolz getroffen, dass er fast rot im Kopf anzulaufen drohte.
Bernd lehnte sich zurück. Er war älter als Juri und wusste genau, wie er dessen Ehrgeiz anstacheln musste.
„Na“, sagte er und schaute gütig auf Juri herab, „ bist du morgen mit dabei?“
„Morgen geht nicht,“ rief Rico eifrig dazwischen. Juri wunderte sich, aber Rico fügte schnell hinzu: „Da sind wir mit Juris Oma im Roten Hahn verabredet.“ Juri verstand sofort und sagte, dass er dort unbedingt hinmüsste, denn seine Oma ist streng und reißt ihm den Kopf ab, wenn er nicht pünktlich an Ort und Stelle wäre.
Insgeheim aber war er Rico dankbar, dass er ihn aus dieser Situation herausmanövriert hat. Nun hatte er Zeit zum Nachdenken, wie er seine Lage retten konnte. Er hatte überhaupt keine Lust, sich mit dem Roten Hahn anzulegen, aber er wollte sich auch nicht von diesem Bernd als Weichei beschimpfen lassen!