Читать книгу Terranus - Heike Datzko - Страница 3
Der Fund
Оглавление„Was ist das denn da vorne?!“ Achim stürzte vor und fegte schnell ein paar Äste und Zweige beiseite. Tatsächlich! Eine geheime Höhle! Freudig winkte er die anderen seiner Truppe zu sich hoch und präsentierte stolz seinen Fund. „Das wird unser neues Hauptquartier.“ Er bückte sich unter einer herunterhängenden, in gelb blühenden Ranke durch und stand in dem kleinen, angenehm kühlen Vorraum. Dunkel war es hier drinnen, denn von draußen drang nur mäßiges Licht durch die herunterhängenden Zweige herein. Er konnte seine Freunde reden hören, verstand ihre Worte aber nicht.
„Kommt herein, hier ist genug Platz für uns alle“, rief er ihren laut zu. Neugierig ging er etwas tiefer in die Höhle hinein, konnte aber nicht genug erkennen. Sie mussten diese Höhle unbedingt näher erkunden, das würde ein spannender Sommer werden. Fieberhaft überlegte er sich eine Strategie zur Erkundung. Sollen wir als Gruppe gehen, oder nur paarweise? Was brauchten wir an Ausrüstung? Was wird uns dort drinnen erwarten?
Ein leichtes Zittern überlief seine sonnenbraunen Arme und er schüttelte verwirrt den Kopf. Irgendetwas war dort in der Dunkelheit, etwas Interessantes. Er spürte, wie ihn die Aufregung packte. Am liebsten wäre er sofort tiefer in die Höhle vorgedrungen, um sie zu erkunden. Doch das wäre unklug gewesen. Vor allem würde es seine Freunde – seine Clique – in Gefahr bringen. Das durfte auf keinen Fall passieren!
Kim tauchte neben ihm auf und er konnte sehen, wie sie ihren Kopf drehte, um mehr zu erkennen. „Wow“ brachte sie hervor und ging einen Schritt an ihm vorbei in Richtung Dunkelheit. Sorgenvoll zog Achim eine Augenbraue hoch, es schien fast so, als hätte Kim dies gespürt, denn sie wich augenblicklich zurück und stand jetzt direkt neben ihm.
„Wann erkunden wir sie?“, flüsterte sie und in ihrer Stimme schwang Aufregung mit. Sie hatten gemeinsam als Clique schon so viele Sachen erkundet. Unter anderem waren sie oftmals in einen offenen Abwasserkanal oder einen verlassenen Bergbaustollen gegangen. Natürlich ausgerüstet mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kerzen und Taschenlampen. Sie hatten sich genug Essen und Trinken mitgenommen und am Eingang einen Faden befestigt. Diesen ließen sie dann während ihrer Erkundungstour von der Spule abrollen. So fanden sie definitiv immer den Ausweg!
In den meisten Fällen kehrten sie unbeschadet zurück und veranstalteten draußen vor dem Kanal ein kleines Fest. Diese Abenteuer waren spannend und aufregend zu gleich gewesen, aber auch gefährlich. Nur gut, dass Achim die Kontrolle hatte, er war sich jederzeit der drohenden Gefahr bewusst und plante ihre Ausflüge sorgfältig. Nie würde Achim sie ohne Ausrüstung in eine unbekannte Höhle weiter hineinführen, als bis zu dem Punkt, wo das Tageslicht oder der Eingang der Höhle nicht mehr zu sehen war.
Inzwischen waren die anderen ihrer kleinen Gruppe ebenfalls in die Höhle getreten und schauten sich neugierig um. Die anderen waren Markus, Anette, Michael und Maik. Sie lebten alle zusammen in einem kleinen Dorf. In der Gegend wurde früher viel Erz abgebaut betrieben und somit gab es neben den Abflusskanälen auch viele interessante und nicht mehr funktionale Stollen. Natürlich waren die Stollen immer gegen unsachgemäßes Eindringen geschützt, aber man musste nur etwas suchen und schon fand man einen unscheinbaren Hintereingang, der vergessen wurde. So gelangten sie dann herein und erlebten ein Abenteuer nach dem anderen.
Achim drehte sich von der unscheinbaren Dunkelheit weg zu seiner Clique. Sie folgten ihm blind, vertrauten ihm und hatten ihn wegen seiner Art und seinem Wissen zu ihrem Anführer gewählt. Es war eine stumme Wahl gewesen und sie wurde von allen anderen akzeptiert. Gestern erst hatten sie gegen eine andere Clique gekämpft und hatten sie gemeinsam besiegt. Dank Achim, der sie angespornt hatte genug Munition (kleine Plastikkugeln für ihre Pistolen) zu kaufen und seiner Planung!
Geschützt durch eine undurchdringbare Hecke hatten sie die anderen schnell in die Flucht schlagen können. Nun gehörte dieses Territorium sozusagen ihnen und sie erkundeten es das erste Mal. Die Höhle war natürlich ein sehr bedeutender Fund, sogar noch ein Stück wertvoller als die Bruchbude, welche die andere Bande ihr Hauptquartier nannte.
In dem Hauptquartier der anderen hatten sie ziemlich viele nützliche Dinge gefunden, unter anderem die Metallzwille, die jetzt in Achims Hosentasche steckte. Sie fühlte die gut an. Sie hatten zwar ihre Spielzeugpistolen mit den Plastikkugeln, aber mit so einer Zwille konnte man weit mehr Schaden anrichten, als einem lieb war. Gerade für so eine Erforschung wie diese Höhle könnte sie sich als notwendig erweisen. Ihm fehlte nur noch die passende Munition, doch die würden sie morgen am in Form von Kieselsteinen schon finden.
In seinem Kopf plante er schon den genauen Ablauf der Erforschung, machte sich eine Liste und musterte dabei seine Freunde. Sie wussten, was jetzt kommen würde und hatten ihn schon in einen Kreis eingeschlossen. Er hielt als Erster seinen Arm ausgestreckt in die Mitte, seine Hand war zu einer festen Faust geballt, sodass der Handrücken nach oben zeigte. Kim legte ihre Hand über seine und auch die anderen folgten. Achim sah jedem nacheinander tief in die Augen, sie bestätigten den Blick und er sah ihre Entschlossenheit. Diese Freunde würden alles für ihn machen und sie würden ihm blind folgen, weil sie ihm vertrauten.
„Zu keinem ein Wort, das hier wird unsere nächste Mission. Wenn auch nur einer etwas von unserem Fund erzählt, bekommt er es mit mir zu tun.“ Wieder sah er jedem tief in die Augen und wusste, dass sie es nicht verraten würden. „Das hier, wird unser Geheimnis bleiben. Wir erforschen die Höhle nächsten Samstag. Wer aussteigen will, kann es gerne machen, braucht mir dann aber nicht mehr unter die Augen zu treten. Ist allen klar, was sie mitzubringen haben?“
Alle nickten zustimmend, sie standen hinter ihm und Achim sah ihren Forscherdrang in ihren Augen aufblitzen. Alles musste genau geplant werden, damit nicht doch etwas passierte. Denn einmal ist etwas passiert. In einem Stollen auf der anderen Seite des Tals. Es ist einfach passiert und sie konnten es nicht ändern. Achim fühlte sich deswegen schuldig und plante seit dem noch präziser und mit noch mehr Sicherheit. Auch seine Freunde schienen danach noch vorsichtiger geworden zu sein.
In Gedanken ging Achim die Fehler von damals noch einmal durch – seine Fehler. Er hatte sich oft gefragt, ob es an ihm lag, oder ob es einfach nur Schicksal war. Sie hatten sich den gesamten Nachmittag über in dem kleinen schattigen Wäldchen auf der anderen Seite vom Dorf aufgehalten. Das Dorf selber lag in einer Art Talsenke und war von zwei größeren stark bewaldeten Hügeln fast umschlossen. Einzig allein die große Schnellstraße störte im Bild. Sie führte über das Tal hinweg und verband so die beiden Berge miteinander.
Sie hatten sich also im östlichen Bergteil aufgehalten, im früheren Abbaugebiet. Stefan hatte damals eine kleine Höhle gefunden, nur durch Zufall. Stefan hatte sich schon immer als schwächstes Glied ihrer Kette erwiesen, er war nicht ganz so sportlich wie die anderen, aber vor allem redete er mit seinen Eltern über ihre Erlebnisse! Man konnte ihm also nicht alles anvertrauen. Achim war schon am Überlegen, wie er ihn aus der Gruppe herausbekommen konnte, da kam ihm das Schicksal zu Hilfe. Trotzdem nagte das schlechte Gewissen an seiner Seele und fraß ein tiefes Loch.
Stefan setzte sich auf einen aus einer Felswand hervorstehenden Stein, um sich auszuruhen. Die anderen standen gelangweilt herum, sie brauchten sich noch nicht ausruhen. Stefan holte aus seiner Hosentasche einen Schokoladenriegel heraus, doch er bot den anderen nichts davon an. Das machte er nie, wenn es um sein Essen ging.
Als er ihn aufmachte, konnte Achim die geschmolzene Schokolade hervorquellen sehen. Ihn schüttelte es, so gerne er auch mal einen Schokoriegel aß, so widerte ihn dieser Anblick an. Er drehte sich weg, um zum Dorf herunterzuschauen. Er konnte durch eine Lücke zwischen den Bäumen hindurchblicken und suchte nach dem Haus von seinen Großeltern, wo er zusammen mit seiner Mutter wohnte. Dann gab es da ganz in der Nähe noch das Haus seines Vaters, den er immer dann besuchen durfte, wenn es ihm danach war. Er hatte Vertrauen zu ihm und fühlte sich dort wohl.
Ein leises Knirschen hintern ihm versetzte ihn in Alarmbereitschaft, suchend flogen seine Augen über die Steinwand und er registrierte, dass Stefan erschrocken von seinem Sitzplatz aufgesprungen war. Den halb gegessenen Schokoriegel zerquetschte er mit seiner linken Hand, sodass eine klebrige Erdnuss auf den Boden fiel. Sein erschrockener Blick war auf den Stein gerichtet, welcher jetzt auf dem Weg lag und ein klaffendes Loch hinterlassen hatte. Er schaute ängstlich zwischen Loch und Stein hin und her, dann schüttelte er langsam den Kopf und schob sich den Rest seines Schokoriegels in den Mund.
Achims Starre löste sich und er merkte, dass auch die anderen ihrer Clique sich erschrocken umgedreht hatten. Es war aber zum Glück nichts weiter Schlimmes passiert, außer das Achims Adrenalinspiegel schlagartig in die Höhe gesprungen war. Was er jetzt allerdings in der Wand sah, ließ sein Blut noch schneller durch die Bahnen schießen. Er spürte die Aufregung, sie hatten etwas entdeckt! Besser gesagt Stefan hatte etwas entdeckt.
Kim kniete als Erste vor dem gut 20 Zentimeter großen Loch und blickte hinein. „Nur Dunkelheit“, sagte sie und schüttelte enttäuscht den Kopf. Michael reichte ihr seine kleine Taschenlampe und sie leuchtete hinein, Achim konnte sehen, wie sich ihre Augen vor Erstaunen weiteten. „Es ist eine Höhle! Vielleicht einer der verdeckten Zugänge zu den Bergstollen!“, in ihrer Stimme schwang die Aufregung über die Entdeckung mit.
Achim war sofort bei ihr und erhaschte einen kurzen Blick auf die nur schwach erleuchtete Höhle. Er spürte, wie Stefan sich auf seinen Rücken abstützte, wahrscheinlich um etwas im Loch erkennen zu können. Angeekelt dachte er an den Schokoriegel, welchen Stefan ja in seiner linken Hand gehalten hatte. Ein Schauer überlief seinen Rücken und er stellte sich vor, wie Stefan mit seiner schokoladigen Hand auf sein frisches Hemd packte. Schönen Dank auch, dachte er im Stillen und ging leicht zur Seite, um den anderen nicht die Sicht zu versperren.
Stefan drängte sich nach vorne durch und starrte angestrengt in das schummerige Licht. „Meine Höhle“ brachte er ehrfürchtig hervor, dann fing er langsam damit an, weitere Steine aus der Wand zu nehmen. Es knirschte ziemlich lauter und Achim zuckte instinktiv zusammen. Das war nicht gut, sie sollten später wiederkommen, wenn sie bessere Ausrüstung dabei hatten. Das lose Gestein an der Wand gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Stefan hör auf damit, das ist zu gefährlich! Es könnten sich Steine lösen und die Wand einstürzen. Wir brauchen bessere Ausrüstung“ diesmal fasste er Stefan auf die Schulter und zog ihn sanft zurück. Dieser schaute ihn verwirrt an. „Es ist meine Höhle und ich habe sie gefunden! Ich will sie jetzt auch als Erster erkunden.“ Achim sah die Entschlossenheit in Stefans Augen aufblitzen und schüttelte langsam den Kopf.
Bisher hatten sie doch alle auf mich gehört? Was machte Stefan da bloß? Er könnte noch zu einer Gefahr werden. Wenn uns etwas passiert, sperren sie womöglich noch alle Höhlen hier in der Umgebung und wir können nichts mehr erforschen. Außerdem könnte ich es mir nie verzeihen, wenn einem von uns etwas passieren würde. Versteht Stefan das nicht?
„Ich will aber jetzt in die Höhle hinein, wir müssen doch nur die paar Steine hier wegmachen! Zusammen schaffen wir das doch ganz schnell.“ Stefan drehte sich schon wieder zu der Höhle um und zog einen Stein nach dem anderen heraus. Sie schienen locker zu sitzen, denn es strengte den sonst eher unsportlichen Stefan nicht an, sie aus dem Beg zu zerren. Das Loch war inzwischen schon gut 50 Zentimeter breit und 35 Zentimeter hoch, doch noch konnte sich natürlich keiner von ihnen hindurchzwängen.
Achim erschreckte es, dass Stefan so besessen von der Höhle war und er schaute zum Rest seiner Clique. Auch sie schienen sichtlich erschrocken über das, was Stefan tat. Sah er denn nicht die Gefahr? Kim trat zu Achim hin und schaute ihm tief in die Augen. Ein leichter Schauer durchlief Achim und er war nicht mehr in der Lage etwas zu sagen, anstatt dessen nickte er ihr nur zu. Kim schloss zustimmend die Augen und drehte sich dann zu Stefan um.
„Hört auf Stefan, es hat doch keinen Sinn. Wir müssen eh nach Hause. Morgen kommen wir wieder und dann erforschen wir deine Höhle gemeinsam und mit der notwendigen Sicherung.“ Stefan blickte sie alle mit traurigen Augen an, aber er hatte es endlich verstanden. Achim war Kim dankbar dafür, dass sie Stefan aufgehalten hatte.
Achim hörte, wie jemand seinen Namen rief. Leise drang die Stimme zu ihm heran, welche bei ihm ein angenehmes Gefühl hervorrief – es war Kims Stimme. „Achim“ hörte er sie sagen und langsam öffnete er seine Augen wieder. Er sah seine Clique im Dämmerlicht stehen, spürte Kim neben sich und nickte langsam, um ihnen zu zeigen, dass er da war.
„Was war denn los?“, fragte Kim, doch Achim schüttelte abwehrend den Kopf. „Ach nichts“ druckste er rum „Ich habe nur an ihn gedacht.“ Er wollte den Namen bewusst nicht aussprechen – nicht dass er ihn vergessen hatte, wie konnte er! „Wen?“, flüsterte sie fragend. Doch sogleich hörte er, wie sie schlagartig Luft holte und er sah, wie sie einen strengen Blick von Markus erntete.
Markus hatte sich von ihnen am besten mit Stefan verstanden und man merkte ihm an, wie er unter dem Verlust litt. Doch was war damals geschehen? Was war in der Nacht nach ihrem Fund passiert? Keiner von ihnen wusste es genau und keiner hatte sich getraut, das Thema anzusprechen. Sie hatten zu viel Angst und gaben sich selber die Schuld an den Geschehnissen.
Denn nur ein Schutthaufen, vermischt mit Erde, erinnerte einen Tag später an die von Stefan gefundene Höhle. Aber wo war Stefan? Ihnen allen war insgeheim klar, dass er in der Höhle war, als sie einstürzte. Er war auf eigene Faust und alleine dort hereingegangen, um sie zu erforschen.
Als sie sich am frühen Nachmittag trennten, war sein letzter Satz gewesen: „Ich werde gehen und meine Höhle erforschen.“ Das war das Letzte, was sie je von ihm gehört, oder gesehen hatten. Achim wünschte sich so sehr, dass er ihn aufgehalten hätte. Er machte sich deswegen Vorwürfe und auch, weil sie Stefan nie wirklich viel Beachtung geschenkt hatten.
Sie waren auf dem Rückweg zum Dorf und Achim störte das eingetretene Schweigen nicht weiter. Keiner von den anderen sagte etwas. Wahrscheinlich merken sie, dass sich ein Streit bildet. Ich verstehe nicht, wie Stefan so unvorsichtig sein kann und warum er nicht auf mich hört. Achim merkte, wie sich der Ärger in ihm anstaute, und spürte seine verkrampften Schultern. Merken die anderen etwas? Kim bestimmt, sie geht ja direkt hinter mir, sie muss meine verkrampfte Körperhaltung bemerken.
Als der Weg sich vor ihnen gabelte, und sie kurz davor waren, sich aufzuteilen, bracht der Streit los. Achim hörte Stefans aufgeregte Stimme und zuckte leicht zusammen „du willst doch nur wieder den ganzen Ruhm für dich einstreichen.“ Fassungslos schaute Achim ihn an, „ich bin der Anführer der Gruppe. Das weißt du und es war die sicherste Entscheidung für unsere Gruppe.“ Sprach er ganz ruhig und gelassen aus. Ein kurzer Blick zu Kim verriet ihm, dass sie ihn für seine Reaktion bewunderte. Achim lächelte und unterdrückte seinen aufkommenden Zorn. Er wollte sich seinen Ärger nicht anmerken lassen und darin war er schon immer gut gewesen.
„Es ist meine Höhle und ich habe sie gefunden. Die nimmst du mir nicht weg, ich habe sie entdeckt und ich gehe zuerst hinein!“ Achim nickte zustimmend und realisierte, dass Stefan wirklich sauer war. Was hat der denn auf einmal? So habe ich ihn ja noch nie erlebt. „Natürlich ist es deine Höhle“ stimmte er Stefan schnell zu und hoffte, damit eine Eskalation abzuwenden. „Doch wir sollten nicht einfach unüberlegt in diese Höhle gehen. Wir wissen doch überhaupt nicht, ob sie nicht doch einstürzen könnte, oder plötzlich ein tiefer Abgrund kommt. Du könntest dich und auch uns in extreme Gefahr bringen! Deine gefundene Höhle ist spannend, das gebe ich zu, aber sie wirkt so, als wenn sie jederzeit einstürzen könnte.“
„Uns ist doch bisher auch nie etwas passiert und ständig müssen wir diese blöde Ausrüstung mitschleppen! Wer braucht das schon. Ich finde aus meiner Höhle auch selber wieder heraus. Und ich werde dort hereingehen, ohne euch und dieser dämlichen Ausrüstung!“ Er drehte sich wütend um, und stapfte in die Richtung seines Elternhauses. Dann überlegte er es sich noch einmal anders. Er drehte sich wieder um und begann den Weg zurückzugehen. Zurück zur Höhle.
„Stefan, du machst einen schweren Fehler“ Achim trat einen Schritt vor, doch Kim hielt ihn zurück. „Lass ihn, er wird sich schon beruhigen und vernünftig werden. Wir müssen jetzt nach Hause, du weißt doch, dass deine Mutter wieder sauer wird, wenn du zu spät kommst.“ Achim wollte sich von Kim losreißen und hinter Stefan hinterher, doch der Druck von Kims Hand auf seinem Arm verstärkte sich. „Lass ihn“, sprach sie noch einmal leise aus und Achim nickte langsam. Kim hatte ihn wieder beruhigt und auch Stefan würde sich wieder beruhigen, er war bisher immer vernünftig gewesen.
„Ich werde gehen und meine Höhle erforschen. Wehe, einer von euch folgt mir!“ hörten sie Stefan noch sagen, dann trennten sich ihre Wege. Sie hatte kein Wort mehr miteinander gewechselt und auch der gemeinsame Rückweg mit Markus und Michael verlief schweigend. Kim, Maik und Annette wohnten in der anderen Richtung und so hatten sich ihre Wege nach dem Streit zwischen Achim und Stefan getrennt.
Achim konnte die ganze Nacht über nicht schlafen – hatte er falsch reagiert? Hätte er Stefan hinterhergehen sollen? Hätte er es überhaupt geschafft, ihn aufzuhalten? Stefan schien fest entschlossen zu sein, seine gefundene Höhle zu erforschen. Und zwar noch am selben Tag und ohne Planung.
Tags darauf trafen sie sich an der Gabelung wieder und gingen gemeinsam zur Höhle hoch. Markus eilte ihnen voraus und Achim sah, wie er plötzlich stehen blieb und sich die rechte Hand vor den Mund hielt. Er zeigte mit der Linken auf etwas, das Achim aber noch nicht erkennen konnte. Michael kam als Nächster an und trat neben Maik. Er folgte dessen Blick und blickte genau so verdutzt wie Maik. „Kommt schnell her!“, rief er ihnen zu und Achim lief los. Er wusste, dass Kim, Annette und Maik dicht hinter ihm waren.
Achim starrte auf den Geröllhaufen vor ihnen, der nicht an einen Höhleneingang erinnerte. Sind wir an der richtigen Stelle? Er blickte nach oben und hinter sich, ja die Stelle war richtig. Noch genau erinnerte er sich an den Baum mit der Wucherung neben der Felswand. „Die Höhle ist eingestürzt. Hoffentlich war Stefan nicht drinnen“ brachte er trocken hervor, doch keiner antwortete ihm.
„Das ist doch Stefans Uhr“ hörte er Annettes Stimme und sie durchbrach damit die eingetretene Totenstille. Achim zuckte zusammen und blickte in die Richtung, in die Annette mit ihrem Finger zeigte. Da lugte ein kleiner, silberner Gegenstand unter einem der vielen Steine hervor. Es verschlug ihm die Sprache und auch von seinen Freunden schien sich zu trauen, etwas sagen. Sie wissen alle, was passiert ist und machen sich Vorwürfe.
Die meisten davon aber machte sich Achim. Ihm war schwindelig und er wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Das erste Mal wusste er nicht weiter. Sollten sie nach ihm graben? Er schüttelte langsam den Kopf, löste sich aus seiner Starre und ging in die Hocke. Ganz vorsichtig zog er die Armbanduhr hervor und betrachtete sie eingehend. Es war die Uhr von Stefan und sie wies etliche Kratzer auf, sowohl neue als auch alte. Er steckte sie in seine Hosentasche, wo sie nicht herausfallen konnte.
Dann kniete er sich tief hin und beugte sich vor. Er tat so, als wolle er den Boden küssen. Er kam wieder ein Stück hoch und legte seine Hände aneinander, hob sie bis vors Gesicht und verharrte in dieser Position. Schweigend und darauf wartend, dass die anderen es ihm gleich taten. Kim folgte seinem Schauspiel als Erstes, obwohl sie etwas verwundert schaute. Dann taten es die anderen ihnen nach. Sie wollten Stefan die letzte Ehre erweisen, immerhin war er einer von ihnen gewesen.
„Stefan, du warst einer von uns. Du warst ein Entdecker und gemeinsam haben wir viele Abenteuer erlebt. Nun bist du nicht mehr da. Wir hoffen, dass du in deiner Höhle deine wahre Bestimmung gefunden hast. In der Stille schicken wir dir unsere letzten Gedanken.“ Achim hatte mit fester Stimme gesprochen, dann schwieg er und eine gefährliche Totenstille breitete sich aus. Niemand sagte ein Wort.
Anschließend hatte nie wieder einer von ihnen ein Wort über diesen Vorfall verloren, alle haben das Thema gemieden. Sie rechneten jederzeit damit, dass Stefans Eltern herausfanden, was passiert war. Achim hatte ihnen zur Vorsicht geraten, denn keiner sollte von dem Vorfall erfahren. Achim wunderte es nur, dass sie keiner zu dem Verschwinden von Stefan befragte oder eine Suchmeldung herausgeben wurde.
Kim erzählte ihnen später, dass sie gemeinsam mit Annette und einer gehörigen Portion Mut vor Stefans Haus gewesen war. Als sie hinter der Hecke des gegenüberliegenden Hauses hockten, sahen sie die Eltern von Stefan herauskommen und sie waren komplett in Schwarz gekleidet. Annette hatte bei Kims Erzählung ruckartig die Luft eingesogen und hätte Kim sie nicht festgehalten, so wäre sie aufgesprungen und davongelaufen.
Kim berichtete weiter, dass sie beide weiter beobachtet haben, wie Stefans Eltern in ihr Auto einstiegen und wegfuhren. Als das Auto direkt vor ihrer Nase auf der Straße war, konnten sie erkennen, was alles darinnen war! Es war vollgestopft mit Umzugskartons und allen möglichen anderen Tüten. „Wir haben uns erschrocken angeschaut, es war also definitiv besiegelt.“
„Stefan liegt unter dem Schutthaufen seiner gefundenen Höhle und seine Eltern sind von hier weggezogen, weil sie ihre Trauer nicht länger aushielten. Warum sie allerdings keine Suchmeldung nach ihm herausgegeben haben, wissen wir immer noch nicht.“ Achim hatte genickt, er verstand es. Sie hatten einfach alle zu viel Angst, dass sie Ärger bekommen würden, wenn sie nachfragen würden.
Als Kim und Annette ihren Bericht beendet hatten, breitete sich Schweigen aus. Alle starrten Achim an und dieser wusste, dass er als ihr Anführer etwas entscheiden musste. „Wir werden den Bereich fürs Erste meiden“, sprach Achim aus und das waren die letzten Worte von ihm über diesen Vorfall.
Nun gingen sie knapp 1 Jahr später den gegenüberliegenden Berg herunter und hingen ihren Gedanken nach. Achim plante immer noch die Erkundung der eben gefundenen Höhle. Er wusste schon genau, wie er seinen kleinen Rucksack packen würde. Das würde mal wieder ein richtiges Abenteuer werden! Stefans Verschwinden hatte sie irgendwie noch ein Stück weiter zusammengeschweißt. Achim machte sich immer noch Vorwürfe, denn er, als ihr Anführer, hätte besser aufpassen müssen. Er hätte ihn aufhalten sollen. Was hatte er stattdessen gemacht? Ihn gehen lassen. Noch einmal durfte so etwas nicht passieren.
Er schaute über seinen Rücken zurück den Hang hoch, wo er die Höhle vermutete. Von hier aus konnte er nur ahnen, wo sie sich befand. Irgendetwas zog ihn magisch zu dieser Höhle hin, dort war noch mehr. Er konnte nicht genau sagen, was es war, doch etwas tief in seiner Seele rührte sich, kratze an der Oberfläche und drängte ihn dazu, die Höhle zu betreten.
Entschieden wandte er den Kopf wieder nach vorne, sie befanden sich jetzt auf dem kleinen Trampelpfad, der sie gleich zum Hauptquartier der anderen führen würde. Dort hielten sie noch ein paar Minuten inne und genossen den Blick auf ihr neues Quartier. Stolz schaute Achim auf die kleine Bude aus Bretten. Das hatten sie erobert, doch weit wertvoller schien für ihn der Fund der geheimnisvollen Höhle.
Er ging noch einmal in die Bude hinein, schaute sich um und fand nicht gleich, was er suchte. Sie brauchten noch etwas von hier. Etwas, das sich hier in der Bude befand! Angestrengt dachte er nach, legte seinen Kopf leicht zur Seite und ließ seine Augen über jeden Gegenstand gleiten. Es waren ganz alltägliche Dinge, welche für die anderen Jungs stark an Bedeutung gewonnen hatten. Für sie war es einfach nur Beute, sie verbanden nichts mit ihnen.
Langsam glitt sein Blick über die aus alten Kisten hergestellte Sitzgelegenheit. Eine alte und dreckige Decke lag über ihnen und eine alte Blechtonne war zu einem Tisch geworden. Aus Ziegelsteinen und alten Brettern hatten die ehemaligen Besitzer ein Regal gebastelt. Dort lagen wieder etliche kleine, scheinbar akribisch gesammelte, Dinge. Plastikflachen mit verschiedenen Krabbeltieren gefüllt, Comichefte, gefundene Steine, Glaskugeln, Blätter, ein Stift, schmutziges Papier, geschnitzte Holzäste. Daneben lehnte schlaff ein speckiger und leerer Rucksack.
Achims Blick wanderte zum dritten Mal über das Regal und blieb bei den Glaskugeln hängen. Sie sahen sehr schön aus und wirkten noch relativ neu. Was ihn aber weit mehr interessierte, war die unscheinbare und runde Scheibe unter der Schale mit Glaskugeln. Er griff ins Regal und hob die Schale behutsam hoch, dann betrachtete er die Scheibe. Sie war scharf, hauchdünn und sah sehr gefährlich aus. Er hatte mal gesehen, wie sein Vater eine kleinere Version so einer Scheibe dazu benutzt hatte, um ein Metallrohr zu zerteilen.
Michael trat neben ihn und riss erstaunt die Augenbrauen hoch. „Das ist eine Trennscheibe für eine Flex, die Dinger sind saugefährlich und extrem scharf.“ Achim pfiff durch den Mund und hob die Scheibe vorsichtig auf, vielleicht konnte er daraus eine Waffe basteln, sie mussten das Ganze nur zum Drehen bekommen. In seinem Kopf bildete sich auch schon eine Idee, wie er es machen konnte, ja das dürfte gehen.
Wenn er in der Mitte der Scheibe eine Stange durchsteckt und diese mit der Scheibe fest verbindet, dann könnte er über ein kleines Zahnrad auf ein größeres gehen und an dem größeren eine Handkurbel befestigen. Eine alte Pedale von seinem Fahrrad würde dazu wohl ausreichen. Ja, so könnte es ein nützliches Werkzeug werden. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sich Annette die Glaskugeln einsteckte. Sie bekam nicht mit, dass Achim es sah und er wollte auch nichts sagen. Sollte sie ruhig glauben, dass es keiner mitbekommen hat. Danach gingen sie alle zurück nach Hause.