Читать книгу Gesprochene Verbrechen - Heike Gerdes - Страница 6
Nestbau in Weener
Оглавление»Er ist ja so geschickt, unser Renko!« Das hatte schon seine Mutter mit stolzgeschwellter Brust verkündet, als sie uns das erste Mal in der allerersten Wohnung besuchte, die ich mit Renko bezogen hatte. Die Augen vor Rührung feucht, so stand sie vor dem Schlüsselkasten, den Renko mir zum Einzug getischlert hatte. »Damit du nicht immer nach deinem Schlüssel für unser kleines Nest suchen musst, mein Herzblatt!«
Nun hatte ich zwar noch nie Probleme damit gehabt, meine Schlüssel zu finden. Ich hatte mir schon längst einen hochmodernen Keyfinder ans Bund geclipst. Ein Pfiff, und schon antwortete das Schlüsselbund. Trotzdem war ich natürlich dankbar für diesen schulheftgroßen Kasten aus Sperrholzplatten, denn der hatte sogar einen laubgesägten Aufsatz in Schlüsselform.
»Wat mooi!«, befand Renkos Mama, und ich nickte glücklich.
Warum hätte ich auch nicht froh und dankbar sein sollen? Er war wirklich so geschickt, mein Renko. Alle meine Freunde und Verwandten sagten es. Und so sparsam dazu, da konnten sich die anderen Männer aus der Nachbarschaft eine dicke Scheibe von abschneiden.
Als wir, nicht lange nach unserer Hochzeit, endlich umzogen, in die Metropole des Rheiderlands, lebte Renko erst so richtig auf. Nicht nur, weil es für ihn die Rückkehr in die Heimat war und Mama mit dem Hollandrad bequem eben zum Tee herüberkommen konnte. Noch mehr als in der fernen Stadt zählte hier in Weener, was er an handwerklichem Eifer aufzubieten hatte. Der Ostfriese an sich ist gerne sparsam. Nicht ohne Grund gibt es im Plattdeutschen so viele Ausdrücke für den Gemütszustand, in dem sich auch mein Mann meist befand. Der Schotte unter den Ostfriesen aber ist der Rheiderländer. Zum Bummel in den Nachbardörfern nimmt er vorsichtshalber erst gar kein Portemonnaie mit, damit er nach ausgiebigem Gucken im Laden reinen Gewissens beteuern kann: »Ick hebb nett keen Knippke insteken.«
Diese Gewohnheit machte sich auch Renko schnell zu eigen. Hatte ich beim Schaufensterbummel ein wunderschönes Väschen entdeckt, begleitete er mich still in den Laden, ließ mich stöbern und feilschen, um dann mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns zu verkünden, er habe leider … Sie wissen schon.
Nur einmal pro Woche, wenn er selber zum Aufbruch blies, konnte ich mich darauf verlassen, dass er die EC-Karte einsteckte, denn seine Einkaufsbummel waren nicht nur ausgedehnt, sondern stets ergiebig. An jedem Sonnabend, den Gott werden ließ, und es waren viele, schwang er sich pünktlich um halb sieben aus dem Bett, streckte sich unternehmungslustig und zog die Decke aus der verzweifelten Umklammerung meiner Finger.
Unser Häuschen lag idyllisch am Rand der niedlichen kleinen Stadt, der Garten war groß und herrlich verwildert. Verwildert war allerdings auch das Häuschen, von den einfach verglasten Fenstern mit der abblätternden weißen Farbe bis zum Badezimmer, das ein ganz romantisches Emaillewaschbecken hatte, dafür aber keine Kacheln an den Wänden und auf dem Fußboden grünes PVC. Das Dach, mit echten Jemgumer Tonpfannen gedeckt, war wunderhübsch anzusehen mit seinem weichen Moosteppich und den kleinen Birken, die aus der Dachrinne sprossen.
Renkos Augen leuchteten – vor Glück über das malerische neue Zuhause in seiner alten Heimat. Dachte ich. Und unterschrieb den Kaufvertrag mit zitternden Fingern ebenso wie den Kreditvertrag der Bausparkasse. Den Vertrag über die Risikolebensversicherung zur Restschuldabsicherung setzte ich durch, was bei Renko aber nur kurz für Verstimmung sorgte.
Wir zogen sofort ein, denn was im Haus zu tun war, konnte genauso gut und noch besser direkt an Ort und Stelle erledigt werden, fand Renko, und seine Mutter unterstützte ihn nach Kräften. Also stapelte ich die Umzugskartons zunächst im Schlafzimmer, das nach Renkos Ansicht von allen Räumen am wenigsten dringend eine neue Tapete und einen frischen Teppich brauchte – schließlich war man da ja nur nachts, und da war es, wenn man den einzigen Lichtschalter neben der Tür ausgeknipst hatte, ohnehin dunkel und ich musste die gewagte Wand mit den klodeckelgroßen orangen und braunen Kringeln nicht sehen.
Gleich am nächsten Tag suchte ich mir aus dem Telefonbuch die wichtigsten Nummern heraus und bestellte Maurer, Dachdecker, Elektriker und Installateur in unser neues Zuhause. Renko ließ mich gewähren, bis der erste heimische Handwerker seinen Kostenvoranschlag abgeliefert hatte.
An diesem Tag, es war ein Samstag, öffnete er die Post, schaute unten auf die dritte Seite des Briefs, ließ sich auf den Küchenstuhl sinken und sagte: »Haou.« Dann erhob er sich, zog sich ein frisches T-Shirt über, tastete nach seinem Knippke und holte den Autoschlüssel aus dem laubgesägten Schlüsselkasten. Ich angelte mir den Brief, der diesen Gefühlsausbruch ausgelöst hatte, und las mit großen Augen den Preis, den der Maler für seine Arbeit errechnet hatte.
Als Renko drei Stunden später den Kombi rückwärts auf die Einfahrt rangierte, war die Rückbank geklappt und der Wagen bis unters Dach voll. Obenauf lagen verschiedene kleinere Kästen, die er als Erstes in die Küche trug. Ich identifizierte eine Bohrmaschine, einen Exzenterschleifer und eine Stichsäge. Bei den anderen Sachen durfte ich tragen helfen. Es kamen ein Tapeziertisch, vier Eimer Wandfarbe, je ein Satz Pinsel und Farbrollen und mehrere Arme voll Raufasertapetenrollen dazu. Ich war froh. Renko hatte recht, das bisschen Streichen und Tapezieren konnten wir auch alleine schaffen. Er war ja so geschickt, und das Geld für den Maler konnten wir sparen und für die anderen Arbeiten aufheben.
Ich hatte mir gerade einen feschen Hut aus Zeitungspapier gefaltet – das gleiche Modell wie die Papierschiffchen, die wir im Unterricht immer unter der Bank gebastelt hatten – und den Tapeziertisch im Wohnzimmer aufgeschlagen, als ein aufgeregtes »Haou!« von Renko mich zusammenfahren ließ. Vor dem Haus nagelte ein Diesel und Renko eilte vor die Tür, um dem Fahrer eines blaugelben Lastwagens beim Abladen zu helfen. Behutsam lehnte er elf verschieden große Fenster an die Hauswand. Bei der weißen Kunststoffeingangstür musste ich mit anpacken. Sie war so schauderhaft, dass ich beschloss, beim nächsten Einkauf unbedingt mitzufahren.
Schon der nächste Samstag brachte uns wieder – diesmal gemeinsam – auf die Autobahn Richtung Leer, denn der Baumarkt draußen beim Emspark hatte Montageschaum im Sonderangebot. Zum Glück hatte uns die Woche trockenes Frühlingswetter beschert, so dass die Plastikfolie, die Renko vor die leeren Fensterhöhlen gespannt hatte, nicht viel auszustehen hatte.
Es folgte eine Zeit herrlicher Zweisamkeit. Gemeinsam durchstreiften wir die Baumärkte des Landkreises Leer und der Nachbargemeinden. Ich lernte die Läden schätzen, die neben Schrauben, Brettern und Dämmstoffen auch ein gut sortiertes Angebot von Geschenkartikeln und Dekomaterial hatten – von Dingen eben, die nicht einmal mein geschickter Mann selbst bauen konnte. Die Vorräte trugen wir gemeinsam in unser Nest.
Renko hämmerte und schraubte, sägte und stemmte. Ich bückte mich nach heruntergefallenen Zangen, reichte Dübel an, sammelte abgebrochene Sägeblätter auf und ergänzte regelmäßig die Heftpflastervorräte für unseren Medizinschrank, den Renko aus weiß furnierten Spanplattenabschnitten zusammengeleimt und mit einem großen roten Kreuz bemalt hatte. Bei diesen Gelegenheiten, wenn ich meinen Einkaufswagen durch die Regalreihen des Supermarktes schob, lernte ich, wenn auch geflüstert und nicht direkt an mich gerichtet, die Vokabeln »sünig« und »grannig« kennen, die ich in der Stadtbücherei im Ostfriesischen Wörterbuch nachschlug.
Ich kannte die A 31 zwischen Weener und Leer bald gut, konnte unfehlbar erkennen, ob einer der Bäume neben der Fahrbahn kränkelte, und registrierte, dass der Straßendienst durchschnittlich sechs Wochen benötigte, um entflogene Plastikplanen aus dem straßenbegleitenden Großgrün zu entfernen.
Zwei Wochen vor unserem Hochzeitstag verblüffte mich Renko dadurch, dass er die Autobahnauffahrt Richtung Meppen nahm und am Dreieck Bunde abbog, statt in der Gegenrichtung bis zum Emstunnel durchzurauschen und dann nach Leer auszuscheren.
Ich fühlte mich wie im Märchenland, als ich durch die breiten stuhl- und schrankgesäumten Alleen des schwedischen Möbelhauses in Groningen schlenderte. Renko folgte mir mit wachem Blick. Wo immer ich länger verweilte, zückte er seinen Zollstock, vermaß die massiven Kiefernschränke, filigranen Regale und kompakten Nachtschränkchen und machte sich fleißig Notizen. Meine Frage, ob wir nicht gleich das eine oder andere Teil mitnehmen könnten, beantwortete er mit verschmitztem Grinsen und verheißungsvollem »Haou!«
An unserem Ehrentag überraschte er mich mit einem Wohnzimmerregal, das er aus ungehobelten Dachlatten und Profilholz genau nach den Maßen des Schwedenmöbels zusammengezimmert hatte.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich an den geregelten Wochenablauf mit den samstäglichen Baumarktbesuchen ebenso wie daran, auf einer Baustelle zu leben. Dass die Ehefrauen der heimischen Handwerker inzwischen die Straßenseite wechselten, wenn ich durch Weeners malerische Innenstadt ging, gab mir zwar einen Stich, aber ich nahm es mir nicht lange zu Herzen. Ich hatte mein Häuschen und ich hatte meinen fleißigen Renko mit den breiten Schultern und den blonden Haaren.
Bis ich ihn kennengelernt hatte, waren alle meine Männerbekanntschaften dunkellockig und eher mediterran gewesen, aber seit jenem denkwürdigen Gallimarktsbesuch, bei dem mir dieser große Blonde im Schwarzwaldhaus einen Glühwein spendiert hatte, war alles anders. Rein genetisch war das zu erklären, las ich. Dass sich in der Zeit des hormonellen Hochbetriebs Gegensätze anziehen, liegt am biologischen Programm der Arterhaltung. Je größer die Unterschiede zwischen Männlein und Weiblein, desto besser werden die Gene durchmischt, was der Population zugute kommt. Zumindest theoretisch, denn das genetische Programm rechnet ja nicht mit Pille und Pariser. Erst wenn es an Nestbau und Jungenaufzucht geht, setzt das Weibchen unserer Spezies auf Ähnlichkeit, wegen der Sicherheit. Deshalb hatte ich wohl sofort gewusst: der oder keiner.
Auch meine besten Freundinnen, die mich bald nach dem Umzug besuchten, waren entzückt von meinem großen, blonden Ehemann, der mit so viel Einsatz unser Nest zu verschönern suchte. Schwatzend saßen wir unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse, die ich aus alten Baustoffpaletten zusammengeschoben hatte, bis Renko sich ans Pflastern und Überdachen der richtigen Terrasse machen konnte. Die rothaarige Tina warf immer wieder schmachtende Blicke in Richtung Haus, wo Renkos gebräunter Rücken aus dem weißen Unterhemd kokett herüberblitzte. Sabine betonte ein ums andere Mal, wie sehr sie mich um meinen Renko beneidete. Und dass wir nicht im Wohnzimmer sitzen konnten, weil Renko dort gerade die Fliesen für den Badezimmerausbau gestapelt hatte, machte ihnen auch überhaupt nichts aus, schließlich war das Wetter noch immer hochsommerlich. Auch den Pflaumenkuchen lobten sie in den höchsten Tönen. Ich verschwieg, dass Schwiegermutter ihn gebacken hatte, weil der Herd, den Renko angeschlossen hatte, so gut heizte, dass jeder Kuchen nach zehn Minuten außen verkohlt und innen flüssig war.
Schwiegermutters Pflaumenkuchen war aber auch wirklich ein Gedicht. Binnen weniger Minuten klebten auf der Kuchenplatte neun Wespen, drei patrouillierten über dem Tisch und eine verfing sich in Sabines langen schwarzen Locken, geriet in Panik und stach Sabine in die Oberlippe. Ich lotste die Jammernde über einen Haufen Abbruchziegel in die Küche, um ihr einen Eiswürfel zum Kühlen zu geben. Mit einem mitleidigen »Haou« wollte Renko uns folgen, aber vier verwirrte Wespen versperrten ihm den Weg. Renko fuchtelte mit seinen kräftigen, sonnengebräunten Armen, trat drei große Schritte rückwärts, strauchelte über einen Mörtelzuber und kam endlich heftig rudernd so weit wieder ins Gleichgewicht, dass er mit langen Sätzen, Haken schlagend wie ein Feldhase, ums Haus flüchten konnte.
Sabines Lippe war nach wenigen Tagen wieder abgeschwollen und sie trug mir die Attacke nicht nach, zumal sich Renko sehr fürsorglich um sie gekümmert und mit seinen geschickten Händen höchstpersönlich ein kühlendes Gel aufgetragen hatte. Schon am nächsten Samstag besuchte sie uns wieder. Sie kam so früh, dass sie Renko zum Baumarkt begleiten konnte, während ich mich diesmal zur Abwechslung in unserem schönen, wildromantischen Garten zu schaffen machte. Natürlich lud ich sie zum Mittag ein und sie revanchierte sich dafür, indem sie Renko nachmittags beim Vertäfeln der Wohnzimmerdecke zur Hand ging. Ich war ihr dankbar, denn da ich auf dem besten Wege war, unser gemeinsames Nest in Weener mit neuem Leben zu füllen, genoss ich es sehr, nicht ständig auf dem Boden herumzukriechen, Profilbrettkrallen und Werkzeuge zu suchen oder mit weit über den Kopf gereckten Armen auf einem Stuhl zu balancieren, um vier Meter lange Holzbretter gegen die Decke zu drücken.
Stattdessen stellte ich mir einen Gartenstuhl in ein schattiges Eckchen hinter eine Holzwand, die den ewigen ostfriesischen Nordwestwind abhielt, beobachtete mit wohliger Trägheit die vorbeitorkelnden Zitronenfalter und lauschte dem Zwitschern der Vögel und dem Summen der Bienen.
Ein ausdauerndes Knistern, als würde jemand ständig die Nägel von Daumen und Zeigefinger aneinanderknipsen, erregte meine Aufmerksamkeit, und nach einigem Suchen entdeckte ich an der Windschutzwand drei fleißig raspelnde Wespen, die sich den Bauch oder was auch immer mit Holzspänchen vollschlugen. Sie ließen sich von mir nicht im geringsten stören, waren ganz vertieft in ihre Arbeit – genauso vertieft wie Renko und Sabine ins Vertäfeln unseres Wohnzimmers.
Ich holte mir ein Buch und kehrte in meinen Gartenstuhl zurück, um von dort aus meine Naturstudien fortzusetzen. Und es gab viel zu beobachten: Hier das Raspeln und Knispeln der Hymenoptera aus der Familie der Vespidae. Dort das Nestbauverhalten von Homo sapiens sapiens. Mehr oder weniger sapiens jedenfalls.
Während Sabine und Renko ziemlich ortsfest blieben, waren die Wespen ständig in Bewegung. Ausdauernd verschifften sie ihre Holzspäne auf dem Luftweg und steuerten zielstrebig die fünfte Dachpfanne von unten an. Zum Schutz der Bauarbeiter vor Kammerjägern oder Kuckuckswespen, die gewohnheitsmäßig ihren Nachwuchs in fremden Nestern ablegen, schwebten immer drei, vier Wächter an den Grenzen des Staates von Vespula germanica.
Die Tage waren warm und trocken und jeden Morgen, wenn die ersten Strahlen der Morgensonne die Dachpfannen erwärmten, begann dort ein munteres Summen, Raspeln und Knispeln. Stieg die Temperatur nachmittags zu stark an, schaltete das expandierende Wespenvolk den Ventilator an und ein vielhundertfaches Flügelschlagen erfüllte die Luft mit gleichmäßigem Brummen.
Grenzkonflikte hatten wir nicht. Ich beschränkte mich aufs Beobachten und Renko war im Haus zu beschäftigt, um zu bemerken, was sich über der Palettenterrasse abspielte. Immer häufiger brach er jetzt zudem auch an normalen Wochentagen nach Feierabend zum Baumarkt auf. Mit Rücksicht auf mich und meinen Zustand meist allein. Ohne mich waren seine Einkaufstouren aber längst nicht so erfolgreich, immer häufiger kam er zwar spät, aber ohne neue Elektrogeräte, Farbeimer und Badezimmerfliesen zurück.
Ich begann mich zu langweilen, denn auch Sabine hatte immer seltener Zeit, mich zu besuchen. Nur samstags kam sie noch, hatte dann aber viel zu viel damit zu tun, Renko beim Heimwerken zur Hand zu gehen.
Ich beobachtete das Wachsen des Heims von Vespula germanica und, wie mir – spät, aber schlagartig – endlich klar wurde, als Renko mit der Stichsäge die Bauteile eines herzförmigen Schlüsselkastens zurechtsägte, das Balzverhalten von Homo sapiens. Und das alles, während die Birken auf dem Dach meines Nestes wuchsen, der Efeu die Wände emporkletterte und sich unter die Dachziegel vorarbeitete.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich Renko davon überzeugt hatte, dass das Dach vor dem Herbst unbedingt repariert werden musste. Aber eines schönen Morgens, die Sonne war gerade aufgegangen und ihre Strahlen hatten noch nicht viel Kraft, lehnte er endlich die lange Leiter an den Giebel unseres Hauses. Ich verabschiedete mich herzlich von ihm und fuhr zum Einkaufen, um ihm bei der Arbeit nicht im Wege zu stehen. Als ich vom Hof fuhr, hatte er bereits die obersten drei Dachpfannenreihen entfernt.
Der dunkellockige Notarzt war sehr einfühlsam. Ich sah ihn mit tränenumflortem Blick an, als er mir ein Beruhigungsmittel in den Arm spritzte und mit seinem entzückenden mediterranen Akzent behutsam fragte, ob er jemanden benachrichtigen solle. Ich schüttelte den Kopf und versuchte ein tapferes Lächeln. Ich würde schon zurechtkommen, ganz bestimmt. Ja, doch, ich wäre ihm schon dankbar, wenn er morgen noch einmal nach mir sehen könnte. Zur Teezeit vielleicht.
Als der Notarztwagen und der silbergraue Kombi mit den gekreuzten Palmwedeln auf der Milchglasheckscheibe um die Ecke des Kleidobbens verschwunden waren, ging ich in die Küche. Ganz unten in der Schublade, unter den Kostenvoranschlägen der Handwerker, lag auch die Police der Restschuldversicherung. Sie würde mir helfen, mein Nest trotz alledem wohnlich herzurichten.
Aber erst einmal bestrich ich zwei Scheiben Toast fingerdick mit süß duftendem Pflaumenmus, legte sie auf einen Teller von meinem Lieblingsgeschirr und stellte sie auf die Terrasse. Als kleines Dankeschön.