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Das Haus Freiheitsstraße 176 lag ganz am Ende der Häuserreihe. Über einen gepflegten Vorgarten gelangte man zur vornehm aussehenden Eingangstür. Christa blickte die vier Stockwerke nach oben. Der braunrote Klinker wirkte etwas eintönig, aber insgesamt machte das Haus einen wohlhabenden Eindruck. Die Klingelleiste zeigte acht Namen, im zweiten Stock las sie den Namen Hansken. Christa drückte auf eine Taste im Erdgeschoss. Sofort ertönte der Summer. Sie öffnete die Haustür und betrat einen in Eierschalenton gehaltenen Flur. Rechts ging eine Wohnungstür auf. Eine Frau sah sie fragend an.

„Ich möchte zu Herrn Hansken“, sagte sie, „er ist aber wohl nicht da. Können sie mir zufällig sagen, wann ich ihn erreichen kann? Es ist sehr wichtig.“

„Oh“, antwortete die Frau und trat auf den Flur hinaus. „Da fragen sie am besten Frau Blumentritt oben im dritten Stock. Die kümmert sich immer um seine Wohnung, wenn er verreist ist.“

Sie trat einen Schritt näher an Christa und sagte verschwörerisch: „Der ist fast immer verreist. Muss wohl auswärtig arbeiten oder so. Warum der noch hier wohnt, weiß ich auch nicht.“

Einer Eingebung folgend fragte Christa:

„Bekommt er manchmal Besuch, oder fragt jemand nach ihm?“

Die Frau machte ein rundes Gesicht.

„Jetzt wo sie es sagen, ja, da war jemand. Erst letzte Woche hat jemand bei mir geklingelt, so wie sie. Ein junger Mann war das, so ein südländischer Typ. Sprach gebrochen deutsch. Irgendwie unheimlich, der Mensch. Ich habe ihm nicht verraten, dass Frau Blumentritt … muss doch nicht jeder wissen.“ Die Frau schüttelte sich.

„Vielen Dank“, sagte Christa. „Dann werde ich mal bei Frau Blumentritt klingeln. Hoffentlich ist sie da.“

„Die ist da“, sagte die Frau wichtig.

„Heute Morgen wollte sie einkaufen gehen und das am Feiertag. Hatte sie wohl vergessen. Ich traf sie im Treppenhaus und sagte es ihr. Da jammerte sie, weil sie eigentlich auch noch zum Friseur wollte. Na ja, geht mich nichts an, ich stecke meine Nase nicht in anderer Leute Dinge. Gehen sie ruhig hoch, sie schläft noch nicht. Ihren Mittagsschlaf hält sie immer erst später.“

Christa bedankte sich und ging die Treppe hoch, gefolgt von den neugierigen Blicken der Frau.

Frau Blumentritt entpuppte sich als mollige, offene Frau, der die Gutmütigkeit aus den Augen schaute. Sie sah Christa neugierig an und bat sie gleich in ihre gemütliche Wohnung.

„Ich hab mir gerade die Haare gewaschen und wollte mich gleich ein wenig hinlegen“, informierte sie Christa.

„Macht aber nichts. Wollte eigentlich zum Friseur. Hatte ganz vergessen, dass heute Feiertag ist. Ein richtig langweiliger Tag, nichts los. Da kommen sie gerade recht. Trinken sie einen Kaffee mit? Den kann ich zu jeder Tageszeit trinken. Ich mache uns gerne einen. Aber nehmen sie doch Platz.“

Sie wuselte um die Couchgarnitur herum und verschwand dann in der Küche. Christa hörte Geschirr klappern und einen Wasserkocher zischen und blubbern.

Mit Kaffeegeschirr und einer Kuchenplatte erschien Frau Blumentritt im Wohnzimmer.

„Ich habe sie noch gar nicht gefragt, warum sie hier sind“, plapperte sie, während sie das Geschirr auf dem Couchtisch sortierte.

Christa Dreyer stellte sich erst einmal als Reporterin der lokalen Zeitung vor, die sehr eng mit der Polizei zusammen arbeite. Da hatte sie etwas geschummelt. Aber sie musste doch eine schlüssige Erklärung abgeben, warum sie noch vor der Polizei bei Frau Blumentritt aufgetaucht war. Dass ihr journalistisches Gespür und ihre Neugierde sofort eingesetzt hatten, als sie die Leiche gefunden hatten, das wollte sie nicht kundtun.

„Es geht um Rüdiger Hansken“, sagte Christa.

Frau Blumentritt hielt in ihrer Geschäftigkeit inne. „Rüdiger? Was ist mit ihm? Haben sie unten bei ihm geklingelt? Er müsste eigentlich zu Hause sein.“

Christa schluckte. „Frau Blumentritt, Herr Hansken wird nie mehr zu Hause sein, ich muss ihnen leider mitteilen, dass er tot ist.“

Frau Blumentritt ließ einen Kuchenteller fallen und griff sich an die Brust.

„Was sagen sie da? Tot? Das kann doch nicht sein. Ich habe doch heute Morgen noch mit ihm geredet.“

Sie fiel in einen Sessel und rieb sich mit beiden Händen das blass gewordene Gesicht. Christa trat zu ihr und fasste sie beruhigend an die Schulter.

„Was …, was ist passiert?“, krächzte Frau Blumentritt.

Christa erzählte es ihr, während sie gedankenverloren die Schulter von Frau Blumentritt knetete.

„Oh Gott, oh Gott, was … was wird denn nun?“, flüsterte Frau Blumentritt und fing endlich an zu weinen. Christa ließ sie eine Weile gewähren, dann umschlang sie die Weinende mit ihren Armen und wiegte sie wie ein kleines Kind. Frau Blumentritt drückte sich an sie und murmelte unverständliche Worte.

Endlich löste sie sich und sah Christa stumm an. Noch immer liefen ihr Tränen aus den Augen.

„Standen sie Herrn Hansken sehr nahe?“, fragte Christa.

Frau Blumentritt zögerte. „Nicht, was sie vielleicht denken“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Ich war so etwas wie die Haushälterin von Rüdiger, ich meine, Herrn Hansken. Ich habe seine Wohnung geputzt, für ihn eingekauft und manchmal auch gekocht. Er war viel weg, ‚in Geschäften‘, wie er immer sagte.“

„Wissen sie, was das für Geschäfte waren?“, fragte Christa.

Frau Blumentritt dachte eine Weile nach. „Er hat es mir nie richtig erklärt. Das sei zu kompliziert, sagte er. Irgendwelche technischen Geräte, soviel habe ich mitgekriegt. Aber wozu die gut waren … keine Ahnung.“

„Wo hat er denn die Geschäfte gemacht?“

„Immer auf dem Balkan. In Sarajewo, in Zagreb, auch mal in Ungarn oder Rumänien, soweit ich weiß. Aber, ehrlich gesagt, es hat mich nie besonders interessiert. Rüdiger hat jedenfalls nichts Unrechtes getan, das konnte er gar nicht, dazu war er viel zu sensibel.“

Wieder kullerten ihr die Tränen aus den Augen. Sie ging in die Küche und kam mit einer großen Packung Papiertaschentücher zurück. Dann nahm sie ein Taschentuch und schniefte hinein.

„Was wird denn nun? Rüdiger hat keine Verwandten mehr. Die Eltern sind schon lange tot, der jüngere Bruder ist vor zwei Jahren an Krebs gestorben. Das hat Rüdiger sehr mitgenommen. Drei Wochen hat er gebraucht, um wieder seiner Arbeit nachgehen zu können. Kinder hat er keine. Seine geschiedene Frau wollte das nicht.“

Erschöpft setzte sie sich auf das Sofa.

Der Kaffee war vergessen.

Vorsichtig wechselte Christa das Thema. „Die Polizei wird kommen und Rüdigers Wohnung durchsuchen. Sie werden alles auf den Kopf stellen und vieles mitnehmen.“

Frau Blumentritt machte ängstliche Augen.

„Wir sollten nach seinen persönlichen Sachen sehen, bevor sie für immer verschwinden“, sagte Christa.

Frau Blumentritt riss sich zusammen.

„Darf die Polizei das denn? So überall rumschnüffeln und alles mitnehmen?“

„Die dürfen das“, antwortete Christa.

„So, wie ich den Kommissar Hagedorn erlebt habe, werden sie nicht zimperlich sein.“

Frau Blumentritt entrüstete sich. „Das ist ja unverschämt.“

„Kommen sie, wir gehen in Rüdigers Wohnung und sehen nach, ob wir etwas Wichtiges finden, sein Stammbuch, seine Urkunden, vielleicht auch seine Briefe“, meinte die Journalistin. Frau Blumentritt wuchtete sich aus dem Sofa. „Kommen sie schnell, sonst kommt die Polizei vor uns. Den Schlüssel habe ich.“

Die Wohnung sah aus, als wäre sie unbenutzt. Alles war peinlich sauber, nichts lag herum, die Küche glänzte und duftete nach Putzmitteln.

„Ich habe sauber gemacht, nachdem Rüdiger …“ Sie konnte nicht weitersprechen und weinte wieder.

„Wann ist Herr Hansken denn weggegangen?“ fragte Christa.

„Heute Vormittag“, antwortete Frau Blumentritt, „ich glaube so gegen zehn. Ja, es muss zehn Uhr gewesen sein. Ich habe zwei Stunden geputzt. Ich war um kurz nach zwölf wieder in meiner Wohnung.“

Christa schaute sich um. Links war die Küche, davor eine geschlossene Tür, wohl das Bad. Geradeaus war das Wohnzimmer, rechts das Schlafzimmer. Sie gingen ins Wohnzimmer. Es nahm die ganze Fensterfront ein. Auf der rechten Seite, die offenbar für das Esszimmer gedacht war, hatte Rüdiger Hansken sich ein Arbeitszimmer eingerichtet. Christa sah einen Schreibtisch, an der hinteren Wand einen großen Schrank mit Aktenregal, neben dem Fenster stand ein kleinerer Tisch mit einer Station für ein schnurloses Telefon und einem Fax-Gerät. Das Aktenregal war gut durchorganisiert. Die Ordner waren farblich sortiert und ordentlich beschriftet. Auf dem Schreibtisch stand eine Leuchte, einige Briefe waren zu einem Stapel zusammengelegt, ein Block mit einigen Papieren lag in der Mitte der Arbeitsfläche. Auf einem Bild waren zwei lachende Männer zu sehen. Christa erkannte Rüdiger Hansken. Er war ein gut aussehender Mann, seine Augen strahlten lebenslustig in die Kamera.

„Das ist er mit seinem Bruder“, sagte Frau Blumentritt. Christa ging zu dem Aktenregal und überflog die Ordnerrücken. Einige nahm sie heraus und blätterte in ihnen herum. Sie entdeckte nichts Besonderes, Briefwechsel mit Versicherungskunden, Abrechnungen mit der Versicherung, Angebote. Sie ging zum Schreibtisch und blätterte durch die Post. Schreiben von Kunden, die Telefonrechnung, der Prospekt einer Anlageberatung, ein handschriftlicher Brief.

Sie wollte den kleinen Stapel schon zu- rücklegen, da nahm sie den letzten Brief doch noch einmal in die Hand. Die Anschrift war mit ungelenker Schrift geschrieben, der Name enthielt einen Fehler. Hansen stand da anstelle Hansken. Christa drehte den Brief herum. Kein Absender. Sie nahm den Inhalt heraus. Es war ein einzelnes Blatt mit wenigen Sätzen:

„14 Ur am Weswal vor dem Seniorenhaim. Wen du nicht kommen, dann weist du, was pasiert.“

Christa drehte den Brief um. Keine Unterschrift.

„Oh Gott, jetzt sind meine Fingerabdrücke darauf“, dachte sie mit Schrecken. „Der Kommissar wird durchdrehen.“

Sie zeigte den Brief Frau Blumentritt. Die las ihn mehrmals durch und schlug dann die Hände vor dem Mund zusammen. „Oh mein Gott, der arme Rüdiger, er ist in eine Falle gelaufen.“

Die Tränen kullerten ihr wieder aus den Augen. „Der arme Rüdiger“, murmelte sie immer wieder.

Christa öffnete die Schubläden des Schreibtisches. Über weitere Fingerabdrücke machte sie sich keine Gedanken mehr. Sie würde den Kommissaren sowieso erklären müssen, dass sie mit Frau Blumentritt in Hanskens Wohnung gewesen war. Sie fand Bleistifte, Kugelschreiber, einige Stempel, ein Lineal, einen Notizblock und einen dicken offenen Briefumschlag. Christa nahm ihn in die Hand und zog den Inhalt heraus. Ihre Augen wurden groß vor Erstaunen. Geldscheine! Fünfhunderter, Zweihunderter und viele kleinere Scheine, wie sie beim Durchblättern feststellte.

„Frau Blumentritt, kommen sie doch bitte mal.“

Diese stieß einen Laut aus, als sie das Geldbündel sah.

„Das werden wir jetzt zusammen zählen“, verkündete Christa, „und dann legen wir es wieder zurück. Der Kommissar soll keine Chance haben, uns zu unterstellen, wir hätten davon etwas entwendet.“

Sie gingen zum Couchtisch, setzten sich und begannen zu zählen. Für jeden Tausender machten sie einen Stapel. Es waren genau zehn.

„Zehntausend Euro“, keuchte Christa.

Frau Blumentritt fing wieder an zu weinen.

„Wozu hat er denn so viel Geld in seiner Wohnung?“ krächzte sie.

„Das ist die Frage“, sagte Christa, während sie sich das Kinn rieb. Sie packte das Geld wieder in den Umschlag. „Kommen sie bitte mit und sehen zu, wie ich das Geld zurücklege“, sagte sie zu Frau Blumentritt. „Ich brauche dafür einen Zeugen.“

Den Umschlag legte sie in den Schreibtisch und sah noch einmal die Schubladen durch. Sie hatte nichts übersehen. Dann ging sie ins Schlafzimmer und öffnete die Schublade der Nachtkonsole. Dort fand sie einige Medikamente, einen Kugelschreiber und einen Notizblock, sonst nichts.

Sie öffnete den Kleiderschrank und überprüfte flüchtig den Inhalt. Nichts als die üblichen Kleidungsstücke und Wäsche eines Single-Haushalts.

„So, das war’s“, sagte sie zu Frau Blumentritt. „Es ist wohl besser, wir verlassen die Wohnung, bevor die Polizei kommt.“

Frau Blumentritt machte ein ängstliches Gesicht und ging schnellen Schrittes zur Wohnungstür.

Christa kehrte noch einmal zum Schreibtisch zurück und öffnete die Schublade, in der sich das Geld befand. Sie nahm ihr Telefon und fotografierte die Schublade mit dem Umschlag. Dann fotografierte sie den Brief mit der Aufforderung, zum Westwall zu kommen. Sie legte ihn wieder sorgfältig auf die Arbeitsplatte und folgte Frau Blumentritt und verließ die Wohnung.

Im Treppenhaus verabschiedete sie sich von ihr und verließ das Haus.

Tod in Dorsten

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