Читать книгу Gehirnfrüchte - Heike Zinkl - Страница 3
Schwein gehabt
ОглавлениеAn einem warmen Sommertag, es war ihr 27. Hochzeittag beschlossen Ursula und Günter Weiding, ein bisschen aufs Land zu fahren. So wie früher. Vor langer Zeit hatten sie das oft gemacht. Einfach so ins Blaue fahren. Ohne Ziel. Und dann ein schönes Plätzchen suchen. Dann kamen die Kinder, die Zeit änderte ihre Wünsche und plötzlich veränderten sie sich selbst.
Das Radio spielte alte bekannte Lieder. Herr Weiding trommelte den Takt zur Musik, während das Auto langsam durch die Landschaft fuhr.
„Wollen wir im nächsten Ort uns ein Restaurant suchen, so wie damals?“
Ursula Weiding blickte ihren Mann an, überlegte kurz und nickte dann zum Gesagten. Lust auf eine Unterhaltung hatte sie nicht, was sollten sie auch miteinander besprechen. Also schnell etwas essen und dann wieder nach Hause. Ab auf die Couch und den Fernseher einschalten. Die Emails checken, bestimmt gab es wieder viele Neuigkeiten in den unzähligen Chats. Blöd so ohne Handy. Wenn Günter ihre Gedanke lesen hätte können, wäre er sofort umgedreht.
"Wir unterbrechen unser Programm für eine wichtige Verkehrsdurchsage. Auf der Bundesstraße 268 hat es einen schweren Unfall gegeben. Die Polizei teilte uns mit, dass die Straße in beide Richtungen voll gesperrt wurde. Die Aufräumarbeiten werden wohl den ganzen Tag in Anspruch nehmen."
"So ein Mist, das liegt genau auf unserer Strecke. Da müssen wir wohl eine andere Route nehmen." Günter Weiding schaute suchend nach einem Straßenschild. "Da, da vorne kommt die angegebene Umleitungsstrecke", meinte Frau Weidling. Das durfte doch wohl nicht wahr sein, jetzt würde sich dieser unnütze Ausflug auch noch in die Länge ziehen, dachte Ursula sofort.
Sie bogen von der Hauptstraße ab, um eine ihnen völlig unbekannte Nebenstrecke zu nehmen. Es wurde schnell dunkel. Gegen Mitternacht etwa leuchtete plötzlich die Benzinanzeige auf.
"Habe ich dir nicht gesagt, dass wir an der letzten Tankstelle hätten tanken sollen? Aber nein, du bist wie immer gescheiter als alle anderen", meckerte Ursula gereizt.
"Wir werden es schon schaffen. Wir haben noch einige Liter Reserve, und bis dahin werden wir irgendwo Benzin herbekommen. Und außerdem, sei doch bitte nicht so gereizt und verdirb uns nicht den netten Abend", antwortete Günter.
Frau Weiding zog eine Augenbraue hoch, und zog sie Luft stark durch die Nase ein.
Nach einigen Kilometern stockte das Auto und der Motor ging abrupt aus. Mehrmals versuchte Günter, den Wagen wieder flott zu bekommen, doch ohne Erfolg.
"Günter, lass es sein! Das hat keinen Sinn! So geht die Batterie nur leer, du Trottel! Versuch lieber, dort auf dem Bauernhof Benzin zu bekommen oder zu telefonieren. Das hat man davon, wenn man einen Handyfreien Tag haben will. Hätt ich nur nicht auf dich gehört. Aber das ist so typisch für dich, immer in den alten Zeiten leben."
Genervt nörgelte Ursula immer lauter. Um sie zu beruhigen, stieg er aus dem Auto aus.
Günter Weiding machte sich auf den Weg. Er erreichte den Hof und klopfte an die alte Holztür und wartete. Nach mehrmaligem Klopfen ging endlich das Licht im Hausflur an.
"Ja, was ist denn los? Wer ist denn da überhaupt?", fragte eine mürrische, gereizte Stimme.
"Ähm, entschuldigen Sie bitte die späte Störung. Aber ich, also, ich meine, wir hatten eine Autopanne. Vielmehr das Benzin ist uns ausgegangen ..."
Weiter kam Günter Weiding nicht, denn ihm versagte beim Anblick des Mannes die Stimme.
Mit wild aufgestellten Haaren und blitzenden Augen stand ein kleiner, dürrer Mann vor ihm. Seine Kleidung war blutverschmiert, und in der linken Hand hielt er ein großes Messer.
"Was ist nun, was wollen Sie? Ich hab nicht ewig Zeit! Also?"
Günter schluckte trocken und antwortete: "Eigentlich, nur ..., ähm, haben Sie Benzin oder ein Telefon? Und wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Günter Weiding."
Das kleine Männchen starrte ihn an, als hätte er gar nicht verstanden, was Günter überhaupt wollte."
„Ach, es wird besser sein, wenn ich es bei Ihrem Nachbarn versuche. Ich will sie auch nicht weiter stören. Sie waren wohl gerade bei einer wichtigen Arbeit, so wie Sie aussehen!"
"Kommen Sie rein. Benzin habe ich im Stall. Ich werde es für Sie holen. Und ich heiße Behrens, Josef Behrens!"
Günter zögerte, doch Herr Behrens zerrte ihn an seiner Jacke ins Innere des Hauses. Ihre Schritte polterten laut auf dem blanken Holzboden. Totenstille herrschte im gesamten Haus. Günter wurde mulmig zumute. Durch seinen Kopf rauschten die wildesten Visionen. Von Dingen, die in dem Haus passiert sein könnten. Sein Instinkt und sein Bauchgefühl wollten ihn zur Flucht bewegen. Die tiefsten Urinstinkte zum Überleben machten sich bei Günter breit.
"Leben Sie alleine hier?“, wollte er schnell wissen.
"Ja, jetzt schon", antwortete Behrens kurz angebunden, "und nun warten Sie hier. Ich komme gleich wieder!"
Durch die Hintertür verließ er das Haus. Günter schaute sich vorsichtig um. Dort auf der abgeschabten Kommode stand das Telefon. Langsam und wachsam bewegte er sich darauf zu. Beim Näherkommen sah er den blutverschmierten Hörer danebenliegen. Günters Blick richtete sich auf den Boden. Auch hier sah er Blutflecken. Blutige Spritzer überall. Die Spur führte zu einer angelehnten Tür. Mit zitternden Händen stieß er die Tür auf. Ein merkwürdiger Geruch stieg ihm in die Nase. Hinter dem Kachelofen, der am Ende des Raumes stand, sah er undeutlich etwas liegen. Irgendetwas war in ein graues Tuch gehüllt. Günter schauderte. Sollte hier etwa ein Verbrechen geschehen sein? Das würde zu dem merkwürdigen Aussehen des Mannes passen.
In diesem Moment hörte Günter ein Geräusch direkt hinter sich. Da stand Herr Behrens. In der einen Hand einen Kanister und in der anderen Hand das blutverschmierte Messer.
"Was suchen Sie hier? Ich glaube nicht, dass ich Ihnen erlaubt habe, in meiner Wohnstube herumzuschnüffeln", sagte er barsch.
„Ich habe, ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört!“
Günter versuchte, an dem dürren Mann vorbeizukommen. Doch plötzlich hob Herr Behrens die Hand mit dem Messer. Günter fühlte sich bedroht und versetzte dem alten Mann einen Tritt, so dass er auf dem Fußboden landete. Blitzschnell schloss Günter die Tür hinter sich. Er stürzte zur Kommode und wählte eilig den Notruf.
„Schnell, schnell kommen Sie! Hier ist ein Verbrechen geschehen. Blut, überall Blut. Was? Ja, natürlich. Hier bei Josef Behrens auf dem Hof. Ja, also beeilen Sie sich!“
Hastig verließ er das Haus und rannte zu seinem Wagen.
„Schnell, Ursula, drück die Knöpfe runter“, rief er außer Atem seiner Frau zu.
„Günter, was ist denn passiert? Erzähl schon! Du siehst aus, als wäre dir der leibhaftige Teufel erschienen!“
„Viel schlimmer! Ein Mord, ein Gemetzel, ach, ich weiß nicht was! Die Polizei muss gleich hier sein!“
Völlig verängstigt saßen sie stumm in ihrem Wagen. Keiner sprach auch nur ein Wort. Man hörte die schnaufenden Atemzüge der Wartenden. Endlich sahen sie ein Auto in den Weg einbiegen. Es war ein Polizeiauto. Zwei Beamte stürmten aus dem Wagen und in das Haus hinein. Gespannt verfolgten Günter und Ursula das Geschehen. Nach wenigen Minuten kamen die Polizisten wieder aus dem Haus und marschierten auf sie zu.
„Sind Sie derjenige, der uns angerufen hat?“
„Ja! Haben Sie die Leiche gefunden? Die muss ziemlich grausam zugerichtet sein“, fragte Günter ängstlich.
„Leiche ist gut! Die tote Sau hängt im Stall und blutet aus“, grunzte der eine Beamte.
Herr Behrens erschien hinter den beiden und klopfte ihnen auf die Schultern und erklärte: „Ich habe meine Sau Anni geschlachtet, weil sie alle vier Jungen totgebissen hat. So, und hier haben sie das Benzin, Herr Sherlock Holmes. Wünsche eine gute Heimfahrt, ach und träumen Sie heute Nacht etwas Nettes, vielleicht von grausam zerstückelten Leichen!“
Laut lachend entfernten sich die drei Männer.
„Mensch, Sepp musst die armen Touristen denn immer so erschrecken? Das ist schlecht für die Gegend, haha!“ prustete der jüngere Polizist los.
Josef Behrens grinste frech und wischte das Messer in seiner Hose ab.
„Tja, was die Stadtmenschen auch immer so schlecht denken müssen!“
Wie ein begossener Pudel saß Günter hinter dem Lenkrad.
„Ich hätte schwören können, dass da eine Leiche war“, sagte er immer wieder zu seiner Frau.