Читать книгу Ein einzigartiges Lied. - Heiko Wenner - Страница 11
ОглавлениеTeil 3
Der Beginn der Lehrzeit
Der Beginn der Lehrzeit
Die Schulzeit ging nun langsam zu Ende und ich begann, mich an verschiedenen Stellen zu bewerben. Da meine Noten recht gut waren, hatte ich keine Bedenken, eine Lehrstelle zu bekommen. Meine Eltern rieten mir, mich bei einer Behörde zu bewerben, denn als Beamter würde ich mich nicht zu Tode arbeiten, hätte mein geregeltes Einkommen und einen sicheren Arbeitsplatz auf Lebenszeit.
Prompt bekam ich eine Lehrstelle beim Finanzamt Groß-Gerau, die ich am 01.08.1977 als Steueranwärter antrat.
Ausbildungsvertrag
Schnell merkte ich, dass dieser Verwaltungskram absolut nichts für mich war. Ich musste zwei Mal die Woche zur Verwaltungsschule nach Wiesbaden. Im Frühjahr 1978 standen die ersten Prüfungen an und ich hatte keinerlei Lust und Freude daran, mich intensiv darauf vorzubereiten. Innerlich hatte ich schon beschlossen nicht weiter zu machen. Es war die Zeit, wo mein Vater mir sehr häufig mit zu verstehen gab, dass ich zu tun hätte, was er für richtig hält. Diese Floskel „So lange Du Deine Füße unter meinen Tisch streckst, machst Du gefälligst das, was ich Dir sage“ war an der Tagesordnung. Ich überlegte mir dann schon immer, wie ich meine Füße unter diesem Tisch so schnell es ginge wegbekäme. Mein Entschluss stand fest, die Lehre beim Finanzamt abzubrechen und das Elternhaus schnellstmöglich zu verlassen. Ich plante meinen Ausstieg auf meine Art.
Mein Ausstieg nach Kanada
Ich hatte den Plan nach Kanada zu gehen und begann diese Idee akribisch vorzubereiten. Kanada war zu diesem Zeitpunkt faszinierend für mich und dieses Land „der unbegrenzten Möglichkeiten“ zog mich förmlich in seinen Bann. Im April 1978 war es dann so weit. Ich ließ mir bei meinen Eltern nichts anmerken. Absolut niemandem hatte ich von meinem Vorhaben erzählt. Nur einem guten Arbeitskollegen schwärmte ich mehrmals von Kanada vor.
Am Morgen vor meinem Abflug verabschiedete ich mich wie immer, als würde ich normal zur Arbeit gehen von meiner Mutter. Meine Arbeitstasche versteckte ich im Holzstall meiner Großmutter, wo ich meinen Rucksack mit den wichtigsten Utensilien schon Tage zuvor deponiert hatte. Neben meinem Reisepass hatte ich neben Geld auch meine 10 Dollar Silbermünzen von den olympischen Spielen, die 1976 in Kanada stattfanden, im Gepäck. Diese Gedenkmünzen galten in Kanada auch als offizielles Zahlungsmittel. Am Flughafen in Frankfurt angekommen, kaufte ich mir ein Hin-Flugticket nach Montreal, denn ich wollte ja in Kanada bleiben. Alles lief perfekt wie am Schnürchen, bis ich in Montreal durch die Passkontrolle musste. Es gingen alle Sirenen an. Zwei in deutscher Zolluniform gekleidete Beamte kamen auf mich zu und nahmen mich erst einmal mit. Sie filzten mich regelrecht, entleerten meinen Rucksack und ich musste mich bis auf die Unterhosen ausziehen. Ich wusste überhaupt nicht, was mit mir geschah und es erklärte mir auch erst einmal niemand, warum sie das mit mir anstellten. Erst nachdem sie nichts Auffälliges außer meinen Münzen fanden, erklärten sie mir, dass ich für die Einreise nach Kanada ein Visum benötige. Nach der Klärung weiterer unangenehmer Fragen drückten sie mir dann einen Stempel in meinen Reisepass, der mir eine Aufenthaltsdauer von zunächst einmal acht Wochen in Kanada garantierte. Immerhin, ich hatte es geschafft, nach Kanada einzureisen. Ich beschloss zunächst einmal für 3 bis 4 Tage in Montreal zu verbringen, um meine Ausrüstung für die Wildnis zu komplettieren. Neben einem Jagdgewehr, einer Leuchtpistole, entsprechender Munition, einer Axt, einem Zelt und Schlafsack, kaufte ich mir noch ein paar Klamotten, blieb dann noch zwei Tage in Montreal und machte mich dann zunächst mit dem Bus auf den Weg in Richtung Norden. Ich blieb in der Provinz Quebec und stieg in Rawdon aus. Es war Anfang April, in den Wäldern lag noch verbreitet Schnee und ein Großteil der Flüsse und Seen waren noch zugefroren. Ich suchte mir vor Anbruch der Dunkelheit einen geeigneten Platz zum Übernachten. Ich schlug mein Zelt auf und unterfütterte meinen Schlafplatz mit viel Moos, um weich und nicht direkt auf dem noch frostigen Waldboden in meinem viel zu dünnen Schlafsack zu liegen. Am nächsten Tag zog ich weiter und kam zu einer verlassenen Hütte. Die Tür stand offen und so suchte ich hier erst einmal für die nächsten Tage Unterschlupf. Am nächsten Tag hörte ich das Geräusch von Maschinen im Wald. Ich ging der Sache nach und machte Bekanntschaft mit einem französisch sprechenden Waldarbeiter. Mein Schulfranzösisch reichte, um mit ihm ein wenig reden zu können. Ihm gehörte das Waldgebiet und er lebte von dem Holz, das er verkaufte. Ich fragte ihn, ob er mich als Arbeitskraft gebrauchen könne. Er entgegnete mir, wenn Du eine Arbeitserlaubnis und Papiere hast, dann ja, ohne diese Erlaubnis, nein. Natürlich hatte ich keine gültigen Papiere und somit wurde mein Traum vom Arbeiten in Kanada mit einem Mal zu Nichte gemacht.
Nach dieser Absage war ich sehr niedergeschlagen und ich hatte das Gefühl, dass die Welt für mich abrupt zusammenbricht. Seit Tagen hatte ich nur wenig gegessen und mein Gemütszustand war auf dem Tiefpunkt angelangt. Ich fühlte mich als Versager und Verlierer. Ich wusste, dass meine Mission gescheitert war. An diesem Tag beschloss ich mir das Leben zu nehmen. Ich holte mein Jagdgewehr, das ich bisher noch nicht benutzt hatte, legte eine Patrone in den Lauf und nahm die Mündung des Gewehres in meinen Mund. Ich drückte ab. Stille und Ruhe umsäumte mich. War ich nun tot? Nein, der Abzug klemmte. Ich versuchte das Gewehr zu reparieren und stellte fest, dass die Verriegelungskammer nicht richtig schloss. Das Gewehr war defekt und für mich unbrauchbar.
Heute, über 40 Jahre später bin ich dankbar dafür, dass meine Schutzengel diesen Selbsttötungsversuch verhindern konnten. Was hätte ich alles versäumt. Mein geschriebenes Buch war zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht zu Ende.
Am nächsten Tag besuchte ich den Waldarbeiter, teilte ihm mit, dass ich nach Montreal gehen würde und schenkte ihm mein Gewehr. Verzweifelt ging ich zur nächsten Polizeistation und bat dort um Hilfe. Die Polizisten schauten mich erstaunt an, begutachteten meinen Reisepass und teilten mir mit, dass sie nichts für mich tun könnten, denn ich hätte ja ein gültiges Visum, welches erst in 5 Wochen auslaufen würde. Dann könne ich gerne wieder kommen.
Verwirrt über die Situation streifte ich ziellos durch Montreal. In einer Einkaufspassage sprach mich ein Mann mittleren Alters in englischer Sprache an und fragte mich, ob er mir helfen könne. Ich erklärte ihm meine Lage und er beschloss, mich mit nach Hause zu nehmen. Er war verheiratet, hatte 2 kleine Kinder und gehörte einer freikirchlichen Gemeinschaft an. Er erklärte seiner Frau meine Situation und sie war damit einverstanden, dass ich erst einmal bleiben durfte. Diesem Fremden erzählte ich, für den Fall, dass jemand in meinem Rucksack nachschauen sollte, sich darin meine Leuchtpistole mit Munition und ein großes Messer, befände. Für ihn war das so in Ordnung und er fand es gut, dass ich ihm dies mitteilte. Am nächsten Tag nahm er mich mit in seine Firma. Hier wurden Haushaltsgeräte hergestellt. Er sprach mit dem Geschäftsführer über meine missliche Lage. Dieser konnte sehr gut Deutsch und er gab mir zu verstehen, dass hier in Kanada jeder Beschäftigte registriert sein müsse. Die Gesetze seien sehr streng und er ginge als Arbeitgeber ein sehr hohes Risiko ein, wenn er mich hier arbeiten ließe. Ihm drohe im Extremfall die Schließung seiner Firma, wenn eine unerwartete Kontrolle käme. Zu meinem größten Erstaunen, nahm er dieses Risiko auf seine Kappe und ich durfte noch am gleichen Tag anfangen zu arbeiten. Meine Aufgabe war es, elektronische Spulen herzustellen. Diese mussten damals noch mit der Hand gedreht werden.
Mit dem Ausgang des Tages war ich sehr zufrieden. Mein Retter nahm mich wieder mit nach Hause. Dort angekommen, gab es zwischen seiner Frau und ihm einen heftigen Streit. Es ging um mich. Sie hatte wohl während unserer Abwesenheit in meinem Rucksack nachgeschaut und meine Pistole entdeckt. Alles Entgegenwirken machte für meinen Schutzengel keinen Sinn. Seine Frau wollte, dass ich noch am gleichen Abend die Wohnung verlassen sollte. Es tat ihm sichtlich leid und er entschuldigte sich bei mir und bot mir an, nach einer Bleibe für mich zu suchen. Zwei Häuserblöcke weiter kam ich dann für günstiges Geld in einem Apartment unter. Ich hatte noch etwas Geld zurückgelegt, aber es reichte nicht mehr, um ein Rückflugticket nach Frankfurt bezahlen zu können. Ich sparte jeden Cent und machte Überstunden. Meine Arbeitszeit begann morgens um 6 Uhr und endete abends zwischen 18 und 19 Uhr. Die Zeit verging und nach vier Wochen harter Arbeit musste ich wieder zum Geschäftsführer. Mit trauriger Miene erklärte er mir, dass er sehr zufrieden mit meiner Arbeit wäre, aber das große Risiko nicht länger tragen könne. Mein Schutzengel war bei dem Gespräch mit dabei. Das Geld, was ich während der Zeit verdient hatte, reicht noch nicht für den Kauf eines Rückflugtickets. Sie beschlossen, mir das fehlende Geld zu leihen.
Mein Gang nach Canossa
Am nächsten Tag saß ich im Flugzeug auf dem Weg zurück nach Frankfurt. Es bahnte sich für mich nun der „Gang nach Canossa“ an. Seelisch und moralisch bereitete ich mich auf ein Wiedersehen mit meiner Familie vor. Es war sehr unangenehm für mich als Versager nach Hause zu kommen. Ich war noch nicht volljährig und somit war ich dem Wohlwollen meiner Eltern ausgesetzt.
Widerwillig rief ich vom Darmstädter Bahnhof aus zu Hause an. Helmut Schäfer, ein guter Freund meiner Eltern holte mich ab. Es war Fronleichnam, ein Feiertag der einmal wieder passend, wie die Faust aufs Auge, zu meiner Situation passte. Mein Vater war wohl unterwegs und hatte keine Zeit, mich abzuholen. Helmut zollte mir großen Respekt für meine ausgezeichnete Vorbereitung für den Ausstieg nach Kanada. Ich entgegnete ihm, dass ich wohl zu naiv war und alles hätte noch besser planen müssen.
Zu Hause angekommen nahm mich meine Mutter in den Arm und erzählte mir, was sie nach meinem Verschwinden alles durchgemacht hätte. Keiner wusste zunächst wo ich war und ob mir etwas zugestoßen wäre. Erst nach einer Befragung meiner Freunde und Arbeitskollegen bekamen sie eine Ahnung, wo ich hätte sein können. Sie recherchierten weiter und bekamen über Umwege die Antwort im Terminal des Frankfurter Flughafens. Mein Vater reagierte auf seine Art und gab mir so eine heftige Backpfeife, dass ich zu Boden fiel. Ich zog mich die nächsten Tage erst einmal in mein Zimmer zurück. Ich brauchte Klarheit für meine nächsten Schritte. Zum Finanzamt wollte ich auf keinen Fall mehr zurück. Entgegen dem Willen meiner Eltern unterschrieb ich meine Kündigung und bewarb mich bei der Bundeswehr. Ich wollte unbedingt zur Luftwaffe und wenn es ginge zum fliegenden Personal.
Ein Richtfest mit Folgen
Ich wollte mir vorher ein kleines Finanzpolster schaffen und arbeitete bei dem Bauunternehmen Schäfer. Mein Einsatzgebiet war am Rhein in der Nähe von Trebur, wo eine neue Brücke über den Altrhein gebaut wurde. Es war eine gefährliche Arbeit, die den ganzen Tag meine volle Konzentration erforderte. Meine Aufgabe bestand darin, auf eine 6 Meter hohe, ölverschmierte Ramme zu klettern, um dort die tonnenschweren Stahlträger einzufädeln. Danach wurden sie in den Boden gerammt. Mein Vorgänger war einmal unachtsam und hatte dabei fast seine Hand verloren. Auf dieser Baustelle blieb ich ungefähr 3 Monate. Unser Arbeitsteam bestand aus einem Amerikaner, der noch seine traumatischen Erlebnisse aus Vietnam zu verarbeiten hatte und das ein oder andere Mal ausrastete, wenn etwas nicht so lief wie er sich vorstellte, einem Schweißer und einem Vorarbeiter.
Irgendwann war auch dieses Projekt erfolgreich beendet und wir feierten auf einem in der Nähe gelegenen Campingplatz unser Richtfest. Den Apfelkorn tranken wir aus Wassergläsern. Wir waren alle sturzbetrunken und der Vorarbeiter, der ein sehr trinkerfahrener Geselle war, fuhr uns zu später Stunde zurück in den ca. 30 km entfernten Bauhof.
Ungewaschen und mit ölverschmierten Klamotten kam ich zu Hause an und legte mich so wie ich war direkt ins Bett. Als mich meine Mutter morgens weckte, traf sie fast der Schlag, als sie mein noch ölgeschwärztes Gesicht und die Ölflecken auf dem Bettbezug sah. Obwohl es mir sehr elend ging, stand ich auf, wusch mich, verzichtete auf das Frühstück und ging wie immer zur Arbeit.
Es war das erste, aber auch das letzte Mal, wo ich ein Richtfest auf diese Art feierte. Die Quälerei am nächsten Tag war eine sehr hilfreiche Lektion für mich.