Читать книгу Vom Wedding verweht - Heiko Werning - Страница 11
Miteltern
ОглавлениеDer Unheil verkündende Zettel in der Postmappe des Sohnes drohte an, dass über die kommende Klassenfahrt zu sprechen sei. Deswegen werde ein Elternabend einberufen. Herrjeh, dachte ich da, was soll das denn? Wenn Klassenfahrt ist, würde doch ein Zettel, auf dem alles draufsteht, völlig reichen: wann geht’s los, wann müssen wir sie wo wieder abholen hinterher, und gut is’. Aber nein, wir werden einen ganzen Abend lang gründlich durchinformiert. Und müssen alle möglichen Entscheidungen treffen.
Schon geht es los. Taschengeld. Die Kinder sollen ihr Taschengeld in einem Briefumschlag mit Namen drauf mitbringen. Der wird dann bei den Lehrern abgegeben. Wenn sie sich am Kiosk in dem Schullandheim etwas kaufen wollen, können sie sich das Geld wieder abholen. So ist gewährleistet, dass es nicht verloren geht. Und natürlich, wir sind schließlich eine Weddinger Grundschule, dass die lieben Kleinen sich nicht gegenseitig überfallen, um an die Kohle der anderen zu kommen. Eine zweifellos sinnvolle Einrichtung.
Doch die Miteltern schauen sich ratlos an. »Aber wieviel?«, flüstern sie verunsichert. »Wie, wieviel?«, werfe ich irritiert ein, »einen Umschlag halt.« »Aber wir müssen doch wissen, wieviel Geld da rein soll!« Ach, es ginge ja nur darum, am Kiosk mal ein paar Süßigkeiten zu kaufen, fünf oder zehn Euro würden für die fünf Tage völlig ausreichen, erklärt der Lehrer. Die Miteltern gucken nun noch verunsicherter, es zischelt und tuschelt gar ärgerlich bis erregt: »Aber dann hat ja ein Kind fünf Euro dabei und das andere zehn!«, faucht eine Mutter. In der Tat. So wird es am Ende kommen, denke ich. Man könnte sagen: wie es halt so ist im Leben. Und in der Schule. Da haben auch einige Kinder Taschengeld dabei und kaufen sich nach Schulschluss im Spätkauf gegenüber Sammelkarten, und die anderen nicht. Die einen haben Handys, die anderen nicht. Die einen haben Väter, die anderen nicht. So geht es eben zu da draußen.
Aber nicht auf der Klassenfahrt. Erregte Debatten folgen. Ich seufze. Schnell bilden sich zwei Lager: Die Budgetisten gegen die Kapitalliberalen, scharfe Wortgefechte folgen. Ich schaue fassungslos auf die Uhr. Seit einer halben Stunde diskutieren hier dreißig erwachsene Menschen miteinander, ob die Kinder nun alle gleich viel Taschengeld mitnehmen sollen oder nicht. Die Stimmung wird zunehmend gereizt, in einer Kampfabstimmung setzen sich die Budgetisten knapp durch. Auch gut, Hauptsache, wir müssen über den Quatsch nicht weiter reden, denke ich.
Aber zu früh gefreut. »Gut, also: Alle nehmen gleich viel Taschengeld mit. Aber: wieviel denn nun?«, fragt eine Mitmutter, und sofort brechen erneute Tumulte aus. Fünf oder zehn Euro, das ist hier die Frage. Mit offenem Mund verfolge ich staunend, dass man sich dazu eine engagierte Meinung bilden kann: »Fünf Euro sind ein Euro pro Tag, das ist doch eine sehr logische Einheit, damit können die Kinder gut umgehen.« »Zehn Euro sind zwei Euro am Tag, da lernen sie gleich viel besser, auch mal mit ›geteilt durch‹ zu rechnen.« »Zehn Euro ist viel zu viel. Dann kaufen sie sich dafür nur Gummibärchen und kriegen Bauchweh.« »Fünf Euro ist viel zu wenig, ist doch klar, dass sie sich dann nur Gummibärchen kaufen, was anderes kriegt man dafür ja gar nicht.« Die Hilfspaketverhandlungen mit Griechenland waren ein Dreck dagegen. Hier werden gerade Feindschaften fürs Leben geschlossen. Ich schaue auf die Uhr: sechzig Minuten. Am Ende einigen wir uns auf sieben Euro fünfzig. Das kann zwar kein Mensch auf fünf Tage verteilen, aber die Kinder sollen ja auch lernen, insgesamt mit ihrem Budget umzugehen.
Womit allerdings die nächste Front sofort eröffnet ist: »Dürfen die Kinder denn Süßigkeiten von zu Hause mitbringen?«, fragt ein Vater, der bei mir schon als notorischer Querulant unter verschärfter Beobachtung steht. Ich muss unbedingt herausfinden, zu welchem Kind der gehört, damit ich meines davor warnen kann, sich ja nicht mit dem Blag von diesem Vollidioten anzufreunden. Einige Eltern heulen auf, als habe sich gerade ein stadtbekannter Kinderschänder als Aufsichtsperson für die Fahrt vorgestellt. Süßigkeiten mitgeben? Womöglich schon für die Busfahrt? »Dann haben einige Kinder total viel dabei und die anderen gar nichts, das ist ungerecht«, quiekt es, und: »Dann beschmieren die die Sitze im Bus, und wir müssen am Ende die Reinigung bezahlen«, aber auch: »Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, was ich meinem Kind in die Frühstücksdose packe, so weit kommt das noch.«
Neunzig Minuten. Und da haben wir noch nicht darüber gesprochen, inwieweit die Kinder sich allein auf dem Gelände der Unterkunft frei bewegen dürfen, wie die Aufteilung der Schlafsäle zu gestalten ist, und, für mich der bizarre Höhepunkt des Abends, wieviele Unterhosen sie mitnehmen sollen. Ich breche innerlich schluchzend zusammen.
Nach über drei Stunden guckt der Hausmeister in den Klassenraum und fordert uns auf, endlich abzuhauen. Guter Mann, ich bin ihm sehr dankbar. Die Miteltern aber knurren verärgert. So viele Fragen bleiben noch offen. Beim Rausgehen raunt mir eine Mutter zu, dass es eigentlich ein großes Ärgernis sei, wie wenig wir einbezogen würden. Das hätte man ja alles auch schon ein paar Monate eher angehen können, nicht erst so knapp vor der Fahrt, dann hätte man sich auch mehrfach treffen können, bis alles geklärt ist. Ich antworte ihr, dass ich es begrüßen würde, wenn demnächst alle Entscheidungen von den Lehrern alleine getroffen und wir in einem Schreiben einfach abschließend darüber informiert würden. Sie guckt mich ganz seltsam an, dann fragt sie unauffällig, wie mein Kind doch noch gleich heiße?
Am Ende aber bin ich ein bisschen stolz auf die Menschheit. Eigentlich erstaunlich, was sie alles hinbekommen hat: Pyramiden, Hochhäuser, Autobahnen, die Internationale Raumstation und immerhin wichtige Teile des Flughafens BER. Logistische Meisterleistungen, wenn man es genau bedenkt. Vermutlich, die Erkenntnis überfällt mich schlagartig, verdanken wir das alles im Wesentlichen nur Kinderlosen. Während wir den Miteltern vor allem absurde Debatten verdanken. Und nicht zu vergessen natürlich: die Masern.
Vielleicht sollte man darüber nachdenken, ob es wirklich eine so gute Idee ist, dass Leute, die Kinder haben, überall mitreden und sogar wählen dürfen. Vielleicht haben die auch einfach zu viel anderes um die Ohren, als dass sie zu gesellschaftlichen Fragen noch Sinnvolles beitragen könnten.
Ich jedenfalls fange flugs an, die Unterhosen meines Sohnes abzuzählen.