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Arnold Böcklin:
ОглавлениеMaler des Mittelmeeres
als eines mythischen Wesens
Dass er – ein Sohn des Nordens, der den Süden liebte – diesen Süden jedoch nur mit nordischen Augen sah, das war das Geheimnis seines deutschen Erfolges, malte er doch ihren Süden, den Süden der Nordländer. Nicht den bekannten und billigen der Reisenden aus Licht und Leichtigkeit, und nicht den schwermutvollen, sonnverbrannten der Einheimischen, sondern jenen fahlen, föhnigen Süden, der hinter dämmrigen Schatten alle versunkenen Götter der Heiden an die Oberfläche beschwört.
Nie hätte ein Italiener die „Toteninsel“ gemalt, nie ein moderner Grieche das „Spiel der Najaden“.
„Wo man nur irgend kann, soll man die Darstellung klaren Sonnenscheins in Bildern vermeiden“, schreibt Böcklin. Das ist ganz nordisch, ganz mit den überempfindlichen, leicht geblendeten Augen des Deutschen gesehen. Die Sonne verjagt alle Geheimnisse einer feinabgetönten Schattenwelt. Sie zerstört jenes niederländische Helldunkel, das Böcklin als fix und fertiges Vorbild nach Italien mitbringt.
Denn nur die kennen alle Weite des Lichts, denen es sparsam zu Teil wird. Zuviel Sonne blendet und erhellt nicht die feineren Unterschiede, sondern verdunkelt sie.
„Diese Florentiner“ sagt Böcklin zu Floerke, „wenn man von den Niederländern kommt – Nacht wirds. Beobachtungen machen gibt’s nicht. Nie haben sie etwas zu erzählen, nie etwas mitzuteilen: die Niederländer (hingegen) sind bis in die Fingerspitzen voll. Kinder sind die Florentiner in der Kunst, ärmliche hohle Gesellen, diese Botticelli und so weiter. Dagegen so ein van Eyck-Schüler – durchempfunden bis ins kleinste… oder ….dieser Rogier von Weyden zum Beispiel. Bis ins letzte hinein belebt. Daneben nun die besten Italiener: Gleich hörts auf. Und nun gar an Stellen, wo sie sich unbeobachtet meinen….“
Auch die Venezianer: „Rücksichtslose Schmierer von wenig edlem Geschmack.“ Tizian: „Leichtfertig und liederlich“ und „an der Lebensfülle des Rubens gemessen – ein Nachtwächter“. Dagegen Rembrandt: „Auf Farbstimmungen hat er sich zwar nie eingelassen“, aber „das stärkte Licht auf kleinstem Raum konzentriert, durch große breite Schattenmassen unterstützt …. Das hat er verstanden!“
„Ja, wenn diese Flamen und Holländer mehr in Italien gewesen wären! Das malen, was die Italiener gemalt haben, aber so malen, wie sie selber es konnten!“
Böcklin war dreiunddreißig, als er nach Rom kam. Im Wagen. Durch die Porta Salaria. Er kam und blieb sieben Jahre. Was früher gewesen war, wurde unbedeutsam: Basel, das ihn geboren hatte, dann Düsseldorf, Antwerpen, Brüssel, Paris…
Alles war anders hier. Rinder weideten über sonnenüberglühten Ruinen und die Ruinen waren ohne Zeit. Auch die vielen Brunnen waren es und auch die Öde vor den Toren – die Campagna.
Manche unter seinesgleichen ist diese Stadt ohne Uhr und Stunde zum Verhängnis geworden. Die Urwüchsigkeit Böcklins blieb ihr gewachsen. Er lernte das Schauen in ihr, und die Frucht dieses Schauens waren weiträumige, lichtgebadete Landschaften von einem bezaubernden Wohlklang der Formen – noch ein bisschen „Claude Lorrain“ in mancher Hinsicht, aber doch schon sehr „Böcklin“; und für manche der Höhepunkt seiner Kunst überhaupt. Denn nicht die Unberufensten bezeichnen seine späteren, bekannteren Entwürfe in der Art des „Heiligen Hains“ oder der „Villa am Meer“ bereits als Denkmale eines bedauerlichen Verfalls.
Woran Böcklin vorbeiging in Rom, war alles, was die Zeit dort geschaffen hatte und, unter ihrem Szepter, Päpste wie Cäsaren. Und was er schließlich mitnahm, war weder das geistige oder sinnliche Bild des alten Imperium Romanum, noch das der Renaissance oder das des Barock – sondern etwas aus Luft und Landschaft, das um Rom ist und südlich von Rom, und das erst in der kälteren Luft Deutschlands frei wurde für sein Werk wie der Tau erst frei wird in der Kühle des Morgens.
Dort treten mit einem Mal an Stelle der bisherigen flimmernden Fernen und der im silbrigen Mittagslicht träumenden Baumgruppen die dunkel leuchtenden Gemälde einer versunken Götterwelt.
Nun, da er nicht mehr in Rom ist, malt er aus den Gesichtern seiner römischen Zeit. Aber er malt nicht was er in Wirklichkeit sah, denn es sei ganz verkehrt, die Natur nachahmen zu wollen. Da ziehe jeder Maler den Kürzeren. „Wir haben kein Sonnenlicht auf der Palette…. wir müssen die Farben beim Malen übersetzen und durch Kontraste ihre Wirkung sichern….“
„Die Farbe ist im Bilde zu einem ganz anderen Zweck da, als in der umgebenden Natur. Unsere Bildtafel ist eine Fläche. Um diese Fläche räumlich zu gestalten, muss ich ihren Charakter als Fläche aufheben und dazu hat der Künstler nur die Farben. Also muss ich die Farben nach ihrer optischen Wirkung, so wie sie für unser Auge vor- und zurückspringen, verwerten.
Aber man malt nicht wegen der Farben, diese sind lediglich Mittel und Zweck, zum Erzählen. Die Farbe macht das Erzählen deutlich und ich brauche nur so viel Farbe, als dazu gerade notwendig ist…. Kolorismus – das heißt Farbe als Selbstzweck – ist Unsinn.“
Das „Erzählte“ – klarer kann es Böcklin nicht sagen – er ist nicht zuerst Maler, sondern Erzähler, Dichter. „Wenn man solche Kerle malt“ meint Böcklin zu Lasius, „muss man sich auch seelisch in sie hineinleben. Ein Pferdeleib mit menschlichem Oberkörper ist noch lange kein Kentaur!“
Auch frühere Künstler waren in erster Linie Dichter gewesen, vielleicht alle frühen Künstler. Auch ihnen war nicht das Zuschaustellen von Linien und Farben letztes Ziel ihres Malens gewesen, sondern das Wiederbringen von etwas, das schon vor ihrem Bild da war, und immer war dieses im buchstäblichen Sinn. „Wieder-zu-gebende“ – (der Engel, oder die biblische Szene oder der Held oder der Heilige) – das Entscheidende ihrer künstlerischen Absicht gewesen – und niemals hätten diese einfachen Menschen verstanden, dass sich spätere Jahrhunderte mehr für ihren Stil und ihre Technik interessieren würden, als für das, was sie selbst als das Wichtigste ihres Werkes ansahen – das Erinnern an etwas, das wert ist, erinnert zu werden.
Zu denken, dass zufällige Art und Weise der Abbildung wichtiger sein könnte als das Abzubildende selbst – das zu denken, wäre ihnen nur widersinnig erschienen und die Bezeichnung „Vorwand“ für den Gegenstand ihres Bemühens gleichbedeutend mit einer Verkehrung der natürlichen Ordnung der Dinge.
Und wie die Künstler dachten, dachten ihre Auftraggeber: auch sie wollten eine Madonna und nicht einen Stil, eine Landschaft und nicht eine Manier, ein Portrait und nicht einen „Ismus“. So zu empfinden allerdings war eines Tages unzeitgemäß geworden. Und wollte einer – entgegen der nunmehr üblichen Entwertung der Dinge durch die Virtuosität ihrer Wiedergabe – an der alten Rangordnung festhalten, so musste er, um überhaupt beachtet zu werden, der Neugier seines Publikums unerwartete Tore auftun. Und das tat Böcklin. Aus dem Aufbäumen seines schöpferischen Willens gegen die Zeichen der Zeit, entsprang das Herausfordernde seiner Kunst.
Indessen die Impressionisten den banalsten Alltag in der Zufallsschönheit einzelner flüchtiger Farbaugenblicke verklärten, malte Böcklin ganz altmodisch Götter und Ungeheuer vergangener Jahrtausende. Diese aber in verblüffender Leibhaftigkeit. Das war seine der impressionistischen entgegengesetzte Kunst.
Und was noch befremdlicher war, er malte auswendig und hatte dank unermüdlicher Studien, einen derart umfangreichen Vorrat naturgetreuer Vorstellungen fertig im Gedächtnis, dass er der Nachhilfe ihrer Gegenwart nicht mehr bedurfte. Nur ausnahmsweise verließ er in späteren Jahren sein Atelier, um sich eines vorübergehend verlorengegangenen Eindrucks von neuem zu versichern. So reiste er einmal in ununterbrochener Fahrt von Zürich nach Neapel, setzte sich dort an den Strand und prägte sich die vergessenen Formen der sich in wilder Brandung überschlagenden Wellen neuerdings ein.
Und wie damals Stunden, war er in früheren Jahren Tage hindurch zwischen den Felsen gehockt und war der hochaufspritzenden Gischt mit dem Pinsel ins Wasser gefolgt, um ihre flüchtigen Muster aus Sonne und Schaum aus nächster Nähe zu fassen.
Und so – mit allen Zeichnungen ihrer Oberfläche und allen Tönungen ihrer Tiefe – hat denn auch kein Abendländer vor Böcklin die salzige Flut in Bilder gebannt.
Andere hatten das Meer als Hintergrund und Begrenzung, als Teil einer Landschaft oder Sinnbild des Sturmes, als Staffage einer Seeschlacht oder als Inbegriff schillernder Farbflecke dargestellt – aber nie von so nahe – nie mit demselben Zauber eines nicht nur sichtbaren, sondern auch hör- und fühlbaren Elements.
Böcklin erst gab den Menschen des Nordens das lockende, heidnische Südmeer als das zurück, was es den Gefährten des Odysseus gewesen war – als ein gewaltiges, sich jeden Augenblick erneuerndes mythisches Wesen.
Bezeichnend, welch entscheide Rolle das Musikalische in seinem Schafften gespielt hat! Der Strich einer Geige konnte ihn ebenso heftig erregen wie das Leuchten einer Farbe – und schon in seiner Jugend pflegte er seine Arbeiten ständig mit Flötenspiel, später mit Phantasien auf dem Klavier und Harmonium, zu unterbrechen.
Bestrebt, die Wirkung seiner Bilder, bis zur Illusion eines gleichzeitigen Eindrucks von Gesicht, Gehör und Tastsinn zu steigern, hat Böcklin die Kraft seiner Farben immer wieder an Klangeffekten gemessen und versucht, eine bestimmte, mit Worten nicht näher zu erläuternde Übereinstimmung zwischen den beiden Sinneseindrücken hervorzubringen.
Er hat daher auch, eher unbewusst wohl als mit Absicht, die Darstellung solcher Naturerscheinungen bevorzugt, deren Betrachtung unwillkürlich Geräuschvorstellungen erweckt – wie der Anblick flötender Hirtenknaben, die Bewegung windgebeugter Zypressen oder das Aufleuchten an Felsklippen und Uferhöhlen zerschellender Wellenkämme. Trotzdem kannte er wie keiner die Grenzen der Malerei – und als ihm Wagner vorschlug, die Dekoration seiner Musikdramen zu übernehmen, lehnte er ab. Und auch später, als die beiden Männer einander in Neapel von neuem begegneten, kamen sie sich nicht näher.
Und doch waren sie – beide gleich versessen auf die Wiederbelebung versunkener Welten – Zwillinge derselben Idee, das in dichterischer Eingebung Geschaute durch die sinnliche Gewalt von Klang und Farbe in die Gegenwart zurückbeschwören.