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I. Die Komödie

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»Und ver­ra­tet mich nicht«, sag­te Ma­rio Mal­vol­to zu sei­nen zwei Freun­den. »Lasst sie glau­ben, ich käme zu­rück.«

»Du kommst nicht?«

»Ich muss nach Hau­se. Ich habe Kopf­schmer­zen … Nein, ich will euch ge­ste­hen, ich muss al­lein sein.«

»Dei­nen Tri­umph über­den­ken. Gute Nacht, glück­li­cher Dich­ter.«

»Schla­fen wirst du kaum.«

»Wer weiß. Gute Nacht.«

Die an­de­ren gin­gen hin­ein. Ma­rio Mal­vol­to stand noch einen Au­gen­blick oben an der Trep­pe. Hin­ter ihm ver­hall­te das Ban­kett zu sei­nen Ehren. Links und rechts neig­ten sich tief zwei La­kai­en voll gol­de­ner Schnü­re. Er hielt sei­ne schmäch­ti­ge Ge­stalt ganz steif und schritt hin­ab, über den blas­sen, di­cken Tep­pich, zwi­schen den ver­gol­de­ten Ge­län­dern.

»Die­se Ei­tel­keit muss aus­ge­kos­tet wer­den«, dach­te er da­bei. »Drin­nen ar­bei­te­te ich zu sehr an mei­ner Rol­le. Jetzt be­herr­sche ich das Er­leb­nis.«

»Wo­hin fah­ren wir, Herr Mal­vol­to?« frag­te der Kut­scher.

»Nach Set­ti­gna­no.«

»Wa­rum frag­te denn der. Mein­te er, ich fah­re jetzt noch zu Mimi? O Mimi, du hin­und­her­we­hen­des Sei­den­fähn­chen! Bald flat­tert es dem um den Hals, bald je­nem. Ich hab’ es ge­küsst, so oft an mir die Rei­he war, habe so­gar Aben­teu­er hin­ein­ge­stickt. Ja, Mimi, klei­ne Ko­kot­te mit flüch­ti­gen Im­pul­sen, aber ohne Spur von Grö­ße in dei­ner Sinn­lich­keit, ich habe dir Lei­den­schaf­ten an­ge­dich­tet, habe sie zu mei­ner ei­ge­nen Ge­nug­tu­ung, aus Ei­tel­keit, aus Sehn­sucht, dei­nen gan­zen Le­bens­lauf ent­lang auf­ge­stellt, wie Pup­pen, die große Ge­bär­den schleu­dern. Du warst nur ein Mä­del. Adieu, Mimi.

Wir wün­schen mehr, wün­schen Stär­ke­res. So et­was wie Mimi lässt sich noch ne­ben ei­ner Tra­gö­die her lie­ben. Es nimmt so we­nig Herz ein. Mei­ne Tra­gö­die hat heu­te Abend ge­siegt. Ja, ich wer­de stark. Aber es heißt von den klei­nen Ge­nug­tu­un­gen ganz frei blei­ben, die schwach er­hal­ten, und die Der ver­bie­tet, der in mei­nem Zim­mer über sei­ne ei­ser­ne Schul­ter hin­weg mich her­aus­for­dert!«

Nahm die­ses enge Flo­renz kein Ende? Es ver­lang­te ihn auf ein­mal hef­tig nach der Luft von sei­nen Hü­geln, nach der von Öl­laub durch­schim­mer­ten, von Lor­beer ge­würz­ten Luft, die ihn bit­ter und sanft auf den Mund küss­te. Die Gas­sen lie­ßen noch im­mer ihr nächt­li­ches Echo klap­pern. Der Schat­ten von Pferd und Kut­scher stieg die Mau­ern hin­auf und hin­ab. Dann lich­te­ten sich die Vor­stadt­häu­ser. In die ers­ten Gär­ten tauch­te das Mond­licht.

»Ich habe den Hü­gel dort hin­ten er­obert, der mein Haus trägt. Und nicht bloß ihn – alle die­se Hü­gel hab’ ich er­obert.«

Sei­ne Hand form­te in der Luft einen Halb­kreis; sie glitt über das ent­fern­te Bild ei­nes Hü­gels, wie über eine Frau­en­brust.

»Dies gan­ze Land, alle sei­ne Städ­te, je­des Haus, bis auf das letz­te, hab’ ich er­obern müs­sen. Denn mir ge­hör­te kei­nes. Kein heim­li­cher Feld­weg in kei­nem Win­kel des Lan­des kennt mich von mei­nem An­fang an. Be­den­ke das heu­te. Du bist auf dem Meer ge­bo­ren, von ei­ner Mut­ter aus frem­dem Volk. Dei­ne tra­gi­sche Kunst hat um die­ses Land, um jede sei­ner Acker­fur­chen ge­wor­ben, wie ein sehn­süch­ti­ger Pil­ger im Ket­ten­hemd, der aus In­brunst Blut ver­gießt.

Jetzt hab’ ich Fuß ge­fasst. Je­der in Ita­li­en weiß, in wel­chem Dorf und auf wel­chem Tisch das Blatt Pa­pier liegt, das ich mit Zei­chen be­de­cke. Heu­te Nacht sind die Be­sieg­ten an mir vor­über­ge­zo­gen, ein gan­zer Thea­ter­saal, von mir un­ter­wor­fen. Was habe ich zu ver­mer­ken? Elf Her­vor­ru­fe. Die Wor­te der Kö­ni­gin. Den Hän­de­druck des Gra­fen von Tu­rin. Dann das Ban­kett. Die bei­den De­pu­tier­ten, das Te­le­gramm des Mi­nis­ters. Der Bür­ger­meis­ter re­det. Die Kol­le­gen hel­fen sich mit Iro­nie. Was noch? Nichts; kei­ne Frau­en beim Ban­kett. Kei­ne Frau­en – was bleibt von al­lem also üb­rig.«

Aus dem Wa­gen ge­lehnt, das Kinn in der Hand, sah Ma­rio Mal­vol­to zu, wie die Blü­ten­bäu­me weit­hin in blei­chem Lich­te schwam­men. Vor Pon­te a Men­so­la mein­te er einen Au­gen­blick einen zwei­ten Wa­gen zu ent­de­cken, dem sei­ni­gen vor­aus, in der Höhe. Er war gleich wie­der ver­schwun­den. Das Ver­deck war auf­ge­stellt ge­we­sen. Der Kut­scher hat­te nichts ge­se­hen, und wer soll­te die Nacht auf der Land­stra­ße ver­brin­gen.

»Ob sie’s ei­gent­lich wis­sen, die Frau­en, dass al­les im Grun­de nur für sie ge­schieht? Man­che tun, als ob sie an den Geist glaub­ten – an den Geist, das hilflo­se Kind, das ohne un­se­re Sin­ne nicht ste­hen und ge­hen kann. Wir ha­ben nur un­se­re Sinn­lich­keit; und wem gilt die, wie heißt ihr höchs­ter Preis? O, eine Sit­zung am Schreib­tisch ist ver­schwen­de­tes Wer­ben um die Frau, eine durch­dich­te­te Nacht ist eine frucht­lo­se Lie­bes­nacht. Ob sie’s wis­sen? Was frag’ ich. Ihr Miss­trau­en ge­gen das Ta­lent lehrt mich ge­nug, und ihre Vor­lie­be für den Dumm­kopf, der nur ih­nen ge­hört, und nicht dem Buch. Die Frau und das Buch, das sind Fein­de.

Ein Dich­ter von zwan­zig Jah­ren, ich kann mich ent­sin­nen, hat ih­nen zu viel zu sa­gen – dar­um schweigt er lin­kisch; sucht zu viel Lei­den­schaft – das ist den We­sen un­be­quem, die kei­nen Rausch ken­nen als den der Ei­tel­keit. Ich habe da­mals von je­der ein­zel­nen ge­träumt, so vie­le in ei­nem Sa­lon sa­ßen, oder in den Wa­gen beim Kor­so. Mit fa­na­ti­scher Ent­schlos­sen­heit und fürs Le­ben hät­te ich mich der zu Fü­ßen ge­wor­fen, die mich er­kannt hät­te. Sie sind nicht so dumm. Kei­ne ein­zi­ge fühlt sich be­ru­fen, un­se­re neur­asthe­ni­schen Über­reizt­hei­ten zu trös­ten. Sie ge­sel­len sich nie­mals un­sern ein­sa­men Ver­fei­ne­run­gen, son­dern un­fehl­bar dem wohl­ge­lun­ge­nen Ty­pus. Den er­hal­ten sie, das ist ihre Be­stim­mung. Sie las­sen es, un­wis­send über ihre Funk­ti­on, ge­sche­hen, dass wir schö­nen Krank­haf­tig­kei­ten uns an ih­nen zu­grun­de rich­ten. Sie aber sind von der Mensch­heit das Un­ver­wüst­li­che. Und ich bete sie an, weil ich die Kraft an­be­te!

Mit­ten aus mei­nen Schüch­tern­hei­ten her­aus ent­führ­te ich mich da­mals plötz­lich – mich, und die klei­ne Prin­zes­sin Nora. Was für eine Über­ra­schung! Ein Haus­leh­rer von un­be­deu­ten­der Ge­stalt, dem die Da­men nicht ein­mal ein Pa­ket zu tra­gen ga­ben! … Ich hat­te sie durch eine Tat der Verzweif­lung alle auf ein­mal er­nied­rigt. Eine ent­führ­te Prin­zes­sin Gal­li­po­li – wer war die, vor der ich noch die Li­der zu sen­ken brauch­te. Ach, ich be­hielt trotz­dem im­mer die Nei­gung, zu Bo­den zu se­hen. Jede Frech­heit bei Frau­en ist mir seit­her ge­lun­gen; aber zu je­der habe ich mich zwin­gen müs­sen.

Man wirft mir Unz­art­hei­ten vor, et­was Schlim­me­res als Frech­hei­ten. Ein Klub­mann hat sich ge­wei­gert, sich mit mir zu schla­gen, und ein Ehren­rat hat ihm recht ge­ge­ben. Die To­ren, wie könn­ten sie ah­nen, dass mei­ne Unz­art­hei­ten aus mei­ner Furcht vor der ei­ge­nen Zart­heit stam­men. Ich lei­de an zu viel Ver­ste­hen, zu viel Be­den­ken, zu viel Voraus­sicht des Jam­mers der an­de­ren. Ich habe ganz das Zeug, als Be­sieg­ter zu en­den. Wel­che Selbst­ver­ge­wal­ti­gung hat es mich ge­kos­tet, die klei­ne Prin­zes­sin Nora sit­zen zu las­sen, ent­ehrt, de­klas­siert. Noch heu­te, wenn ich ihr in Rom in der ho­hen Halb­welt be­geg­ne – ich spü­re et­was wie Angst …

Hab’ ich nicht oft­mals Angst we­gen Tina, der großen Tra­gö­din, die an mir lei­det?«

Ma­rio Mal­vol­to warf sich in den Wa­gen zu­rück, er späh­te er­regt nach der Höhe des fer­nen Ber­ges, wo dem Mond­grau wei­ter Laub­wel­len mond­grau ein Schloss ent­stieg. Ein Licht, ein klei­nes, boh­ren­des, schwä­len­des Licht stak, ähn­lich ei­nem Ge­dan­ken, hin­ter ei­ner Baum­kro­ne und ver­wan­del­te sie in eine röt­li­che Wol­ke.

»Wo in der Welt wacht sie jetzt? Wie lan­ge schon bin ich ohne Nach­richt. Es ist schlimm dies­mal, da sie sich ge­wei­gert hat, heu­te Abend die Schöp­fe­rin mei­ner Arach­ne zu sein. Habe ich ihr einen Schmerz zu­ge­fügt, den ich nicht von ihr emp­fan­gen hät­te? Wer ist so kun­dig im Lei­den und im Lei­den­ma­chen als wir bei­de. Wir wis­sen, dass wir nir­gends so ar­bei­ten, dass wir nie so große Künst­ler sind, wie bei­ein­an­der, durch­ein­an­der. Und trotz al­ler Ver­wün­schun­gen, al­ler Er­schlaf­fung und al­len Has­ses stür­zen wir im­mer wie­der auf­ein­an­der zu. Es gibt in der Welt kei­ne Ko­mö­die wie un­se­re Lie­be. Hin­ter al­len un­se­ren Lei­den­schaf­ten, wil­den Ge­stal­ten, die von un­serm Le­ben bren­nen, lau­ert die Kunst, ein zwei­fel­haft lä­cheln­der Ku­lis­sen­mensch, gie­rig nach Wir­kun­gen für eine neue Rol­le.

Von Zeit zu Zeit er­tappt ei­ner den an­de­ren dar­auf, dass er nur Ko­mö­die spielt. Und plötz­lich bricht bei bei­den der Ekel aus, und wir pral­len aus­ein­an­der. Aber vier Mo­na­te spä­ter er­schei­nen wir wie­der bei der Pro­be. Das ist Be­rufs­an­ge­le­gen­heit. Von Lie­be hat das nichts – nichts von der Lie­be, für die man als Jüng­ling die ar­beit­sa­men Näch­te durch­wacht, um de­rent­wil­len man den Ruhm er­sehnt. Denn ich möch­te wis­sen, wozu der Ruhm dient, wenn er nicht Lie­be ein­trägt … Ach, er ist Phan­tom wie sie. Er ent­weicht im­mer wei­ter, je has­ti­ger man auf ihn zu­läuft. Als ich ganz un­be­kannt war, hat­te er Kör­per; ein Kö­nig, der den gol­de­nen Kranz schwang. Seit ich ihn Fet­zen um Fet­zen er­kauft habe und ge­nau weiß, wie er her­ge­stellt wird – was kann er mich noch füh­len las­sen. Der Ruhm ist ein von mir weit­hin aus­ge­streu­ter, glän­zen­der Irr­tum über mei­ne Per­son. Er gilt ei­nem, der nicht ich bin. Über mich darf die Wahr­heit kei­ner wis­sen.

Man muss sa­gen: Die­ser Mal­vol­to be­han­delt Wei­ber und Le­ben mit ei­ner Ent­schlos­sen­heit – et­was an­rü­chig ist er. Er ist ein stäh­ler­ner Da­seins­kämp­fer, das ist auch die See­le sei­ner Kunst. Die Grö­ße und die Kraft der Ras­se ist auf­er­stan­den in ei­nem Dich­ter. Man sieht, auch in ei­ner schma­len Brust kön­nen sie sich er­he­ben. Die Re­naissance ist, zum An­griff be­reit, zu­rück­ge­kehrt … Das muss man sa­gen, und darf nichts ah­nen von mei­nen schwar­zen Ängs­ten, von der De­mü­ti­gung, die mir jede Frau, je­des große Kunst­werk, je­der ge­sun­de Mann zu­fügt; nichts da­von, dass ich für eine mei­ner Sei­ten, worin das Le­ben rauscht mit rei­chem Blut, hal­be Tage see­li­schen Jam­mers und hy­gie­ni­scher Übun­gen be­zah­le. Ich will nicht, dass man es ahne. Es steht wohl hin­ter je­der vollen­de­ten Schön­heit der Schmerz und hat noch den Mei­ßel in der Hand. Soll­te ich nicht stolz sein?

Ich füh­le den me­lan­cho­li­schen Stolz auf ein Werk, das nicht die Kraft schuf, son­dern nur der Wil­le zu ihr; auf ein Le­ben ohne wah­re Stär­ke, das nur sehn­süch­ti­ger Drang in die Höhe reckt, wie eine Nio­be ihre Arme. Ich seh­ne mich am Schlus­se von al­len, die ich ge­habt habe, noch heu­te nach der Frau. Ich träu­me noch von ihr wie mit zwan­zig Jah­ren – nur hoff­nungs­lo­ser. Denn ich habe sie in­zwi­schen er­probt, und dass sie nie die Ge­fähr­tin des Ko­mö­di­an­ten ist. Sie ist mir zu ähn­lich, was hät­te sie mir zu bie­ten, oder ich ihr. Sie will sel­ber Ap­plaus. Sie will mit Lei­den­schaf­ten be­zahlt wer­den: – mir ist sie zu teu­er. Ich brau­che mei­ne Ge­füh­le, um sie den Leu­ten vor­zu­spie­len. Ich muss an mei­ner See­le spa­ren, da­mit an­de­re sich mit ihr be­rau­schen kön­nen. Je mehr ich Le­ben aus­tei­le, de­sto är­mer muss mein ei­ge­nes wer­den.

Die sel­te­ne­re Frau aber und die wah­re – sie, die sich ein­fach hin­gibt, in un­be­dach­ter Lei­den­schaft; die an nichts zwei­felt, nichts ver­langt, kei­nen Bei­fall, kein Mar­ty­ri­um; die all ihr Le­ben zu­sam­men­rafft, um es ohne ein Zau­dern, ohne ein Be­sin­nen auf Welt, Ruf, Zu­kunft in mei­nes zu wer­fen, mich reich zu ma­chen, durch mich zu at­men und mit mir un­ter­zu­ge­hen: na­tür­lich gibt es sie für mich nicht. Trä­te sie auch leib­haf­tig in mei­ne Tür, das Wun­der wäre un­voll­stän­dig. Denn in mir, in mei­nen Ta­gen, hät­te sie nicht Raum: nicht sie selbst, die zu groß, zu stark wäre; nur die Sehn­sucht nach ihr!

Hab’ ich sie heu­te Abend wie­der be­gehrt, auf der Büh­ne, durch das Loch im Vor­hang, hin­ter dem mein Platz ist! Hab’ ich sie alle be­gehrt!«

Ma­rio Mal­vol­to leg­te den Kopf in den Na­cken, stöhn­te und schau­te tief in den blei­chen Fluss der Ster­ne.

»Ich kann­te fast alle. Ein paar hat­te ich be­ses­sen, ei­ni­ge an­de­re könn­te ich ha­ben. Wozu. Soll ich sie zu mei­ner sen­ti­men­ta­len Er­zie­hung und zu mei­nem ge­sell­schaft­li­chen Fort­kom­men be­nut­zen, wie die klei­ne Prin­zes­sin Nora, oder zum Stu­di­um von zwan­zig ver­schie­de­nen Rol­len, wie Tina, die Tra­gö­din? Oder sol­len sie arme lee­re Glie­der­pup­pen sein wie Mimi, und ich be­hän­ge sie im Traum mit Lei­den­schaf­ten, die we­der sie er­le­ben wer­den noch ich? Sol­len sie zum Schluss da­hin­ter­kom­men, wer ich bin, und mich be­lei­digt und voll Ver­ach­tung weg­schi­cken? … Man wird müde, die Ster­ne dort oben mit den Au­gen zu pflücken, einen nach dem an­de­ren, und am Ende nichts in den Hän­den zu hal­ten …

So glänz­ten sie auf den Rän­gen heu­te Abend.«

Er be­trach­te­te einen großen, rei­fen Stern.

»Die Li­noz­zo. Ägyp­tisch plat­te, lan­ge Nase, lan­ge Au­gen eng bei­ein­an­der. Die Brau­en dicht un­ter der fett­schwar­zen Haar­wel­le. Wei­ter wei­cher Mund, feucht, tief ge­färbt, be­weg­lich. Sie ist am be­geh­rens­wer­tes­ten, wenn sie einen hell­g­lit­zern­den Fä­cher an den Mund­win­kel hält, oder wenn sie über die Schul­ter weg, den Kopf zu­rück­ge­legt, aus den Ecken ih­rer Au­gen lä­chelt … So­lan­ge ich in der Loge der Kö­ni­gin war, hat sie im­mer­fort hin­ge­se­hen. Sie ist ehr­gei­zig, ich könn­te sie ha­ben.«

Sei­ne Au­gen häng­ten sich an an­de­re Gestir­ne.

»Die Borgo­fi­na­le. Ein fet­tes Pro­fil mit hän­gen­dem Kinn, wil­d­äu­gig aus ei­nem hef­ti­gen Wulst braun­ro­ter Haa­re her­vor, über ei­nem mäch­ti­gen Her­me­lin­kra­gen. Das war eine der ers­ten, die mich hin­auf­ge­hisst ha­ben. Auf ih­rem zer­stör­ten Ge­sicht tref­fe ich mei­ne Erin­ne­run­gen an so vie­le er­lo­ge­ne Auf­re­gun­gen. Sie aber war viel­leicht ehr­lich?

Eine Un­mög­li­che: die Lan­cre­do­ni. Ma­ge­re Prin­zes­sin von bräun­li­cher Haut. Ein stei­ler Hals trägt den klei­nen, star­ren Kopf, mit der ent­wei­chen­den Li­nie von Nase und Stirn. Der Spit­zen­är­mel ent­fal­tet sich sehr tief un­ter der nack­ten Schul­ter, die ab­fällt, zer­brech­lich, rein. Un­ter den kal­ten Blit­zen ih­res Dia­dems gähnt die Prin­zes­sin … Und heu­te Abend, hin­ter mei­nem Vor­hang, hab’ ich sie ver­ge­wal­tigt! Ich habe zu ihr hin­aus tri­um­phiert, wis­send, dass ich mehr von ihr schme­cke als der, der sie jede Nacht in den Ar­men hiel­te! Was bleibt da­von üb­rig. Vi­el­leicht ein paar Zei­len, die ich dru­cken las­se. Aber für mich, in der See­le? …

Die jun­gen Mäd­chen! Da sa­ßen sie, ganz nah, und lug­ten hell­äu­gig aus ei­ner Welt her­vor, in die kein Weg führt. Die Can­tog­gi traf ein­mal mein Auge, im Loch des Vor­hangs. Ich er­schrak tief über die­sen Blick, den sie aus­sand­te, ohne zu ah­nen wo­hin.

Wel­che von ih­nen kommt und nimmt mich bei der Hand und führt mich heim­wärts in ihr Land, wo man stark und mit Un­schuld emp­fin­det!

Kei­ne. Denn sie ha­ben selbst nichts Ei­li­ge­res zu tun, als die Ko­mö­die zu er­ler­nen. Gem­ma Can­tog­gi, das Kind, frisch vom Lan­de, hei­ra­tet den Lan­ti, einen Vi­veur auf dem Ab­marsch. Sau­ber ist das.

Ver­langt man von ei­ner, sie sol­le ma­chen, dass man sich selbst ver­gisst – wahr­schein­lich darf man auch von ihr nichts wis­sen? Im Par­kett saß eine Frem­de, ein schö­nes, star­kes Pro­fil un­ter der Samtschlei­fe des großen Hu­tes. Eine we­hen­de Kra­vat­te hüll­te sie bis an den Mund in ro­si­ge Gaze …«

Ma­rio Mal­vol­to träum­te noch, als er auf den Platz von Set­ti­gna­no ein­bog. Der nied­ri­ge, flach ge­schweif­te Kir­chen­gie­bel war von Mond bläu­lich ge­pu­dert. Eine ein­sa­me La­ter­ne er­blin­de­te in der wei­ten Ster­nen­nacht, in de­ren Mit­te auf sei­nem Hü­gel das Städt­chen schlief.

Ein Geräusch ver­lor sich ir­gend­wo. Ma­rio Mal­vol­to sah da­hin­ten in der lan­gen Gas­se et­was Dunkles sich be­we­gen. Ge­wiss, es war der Wa­gen von vor­hin; das Ver­deck war auf­ge­stellt. Ein Mond­streif fiel plötz­lich dar­über; et­was Wei­ßes hat­te sich her­aus­ge­beugt. Wo in der Um­ge­gend war die­ses Ge­fährt zu Hau­se? Nir­gends, sag­te der Kut­scher. Es ver­schwand im Schat­ten.

Sie ver­lie­ßen die Gas­se und fuh­ren ein Stück bergab. Ma­rio Mal­vol­to stieg aus, mach­te ein paar Schrit­te zwi­schen He­cken, elf Stu­fen hin­an; da stand er vor sei­ner Tür. Sie war of­fen. Sein Die­ner lag schla­fend da­vor.

Ma­rio Mal­vol­to schritt über ihn weg, er nahm im Ves­ti­bül die Lam­pe vom Tisch, ging die Trep­pe hin­auf und be­trat sein Ar­beits­zim­mer. Auf der Biblio­thek die Frau­en­büs­ten in ih­rer schma­len al­ten Tracht lä­chel­ten weiß, ver­schlos­sen, aus stei­len Träu­men; und auf ih­ren Stir­nen die große Per­le schi­en im Mond­licht an ih­rer Ket­te zu schwan­ken.

Das Zim­mer war so hell, dass Mal­vol­to die Lam­pe lösch­te. Er lehn­te sich in die of­fe­ne Ter­ras­sen­tür. Wie weiß war der Gar­ten! All dies schwe­re dunkle Laub über den gan­zen Hü­gel­rücken hin und bis un­ter die Mau­er mit ih­rem Bal­da­chin von Stein­ei­chen, al­les blitz­te in blei­cher und kost­ba­rer Ver­zau­be­rung. Als ein sil­ber­ner Man­tel hin­gen die Gly­ci­ni­en um die star­re, tote Zy­pres­se. Und die Ka­me­li­en in den Tie­fen ver­senk­ter Bü­sche blu­te­ten nur wie Geis­ter.

Er sah ins Zim­mer zu­rück, und er er­schrak. Ei­nen Au­gen­blick hat­te es ihm ge­schie­nen, der über­le­bens­große Mensch dort auf der grel­len Wand rei­ße sein Schwert in die Höhe. Ma­rio Mal­vol­to sag­te in Ge­dan­ken zu ihm, zu die­sem Bil­de, dem ein­zi­gen, das täg­lich auf sei­ne Ar­beit her­nie­der­sah:

»So fin­den wir uns wie­der. Als ich dich heu­te Abend ver­ließ, war ich kamp­fes­froh, ge­spannt auf einen lau­ten Sieg oder eine der­be Nie­der­la­ge. Es ist Sieg ge­we­sen. Bei Wein und Re­den ist er an­ge­schwol­len. Ich gehe, sei­ner si­cher, da­von. Ich brau­che ihn nur aus der Brust zu zie­hen und zu be­trach­ten, nicht wahr? Und un­ter­wegs, in ei­ner Mond­nacht voll ge­spens­ti­gen Be­sin­nens, wird eine Nie­der­la­ge dar­aus – o, eine stil­le, blas­se Nie­der­la­ge, und eine schlim­me­re, als wäre ich lär­mend aus­ge­pfif­fen.

Hast auch du ein­mal einen Sieg, wenn er am lau­tes­ten scholl, plötz­lich um­wen­den und da­von­fah­ren ge­se­hen? Krieg und Kunst, das ist die­sel­be über­mensch­li­che Aus­schwei­fung. Kennst du den Ekel nach der Or­gie? Ant­wor­te, Pip­po Spa­no!

Da stehst du, auf­ge­r­eckt, die ei­ser­nen Bei­ne ge­spreizt, das rie­si­ge Schwert quer dar­über in Hän­den, die aus Bron­ze sind. Du hast schma­le Ge­len­ke, bist leicht, be­reit zu Sprung, Jagd, hit­zi­gen Umar­mun­gen und kal­ten Dolch­stö­ßen, zu Wein und zu Blut. In den Lau­ten dei­nes Na­mens selbst ge­schieht ein Pfei­fen von ge­schwun­ge­ner Waf­fe, und dann ein brei­ter Schlag. Über dei­ner brei­ten Brust wölbt sich Ei­sen, um dei­ne fei­nen Hüf­ten kreist ein gol­de­ner Gür­tel, auf dem fröh­li­chen Blau des Röck­chens. Du hast einen kur­z­en, zwei­ge­spitz­ten Bart, dein Mund steht ge­walt­tä­tig her­aus aus dei­nem ma­gern Ge­sicht, und düs­ter blon­de Lo­cken um­zot­teln es. Es blickt zu­rück­ge­wor­fen über die Schul­ter, mit auf­ge­ris­se­nen Au­gen, wach und furcht­bar. Wenn man län­ger hin­sieht, lä­chelt es. Das Über­maß von grau­sa­mer Selbst­si­cher­heit bringt die­ses Lä­cheln her­vor, das sich nicht nach­wei­sen lässt, das man nur ahnt, das tief ver­wirrt, in Grau­en stürzt, fes­selt, dem man sich wi­der­setzt, und das man schließ­lich ver­ehrt!

Da du so un­ge­heu­er­lich zu tri­um­phie­ren ver­stehst – wie ent­setz­lich musst du manch­mal ge­schla­gen sein! Ja! wie musst du ge­lit­ten ha­ben, du und dein Ma­ler, der so stark war wie du. Gro­ße Kunst­wer­ke – dein Le­ben oder dein Bild – ha­ben so leuch­ten­de Hö­hen nur, weil sie so grau­si­ge Tie­fen ha­ben. Ach, du Tür­ken­sie­ger, ver­stell’ dich nicht – ich höre den­noch dei­nen tol­len Auf­schrei, wenn ein Schlag dich traf. Ich seh’ dich blu­ten, wenn ein Freund dich ver­riet. Ich ver­su­che den Rausch von Schmerz zu ah­nen, den du er­lebt hast, so oft eine Frau ihre spit­zen Fin­ger in dein Herz grub!«

Ma­rio Mal­vol­to ver­schränk­te die Arme. Er kam nä­her, die Au­gen auf dem Ge­sicht des Con­dot­tie­re. Er flüs­ter­te:

»Siehst du, nach sol­chem Rau­sche schmach­te nun ich! Ich bin zu zer­brech­lich da­für und zu nüch­tern; dar­um er­dich­te ich Men­schen, die an­ders sind. Da­rum stehst du hier, als mein Ge­wis­sen, als mein Zwang zur Grö­ße. Du sollst mir Über­druss ma­chen an der mä­ßi­gen Lust und dem haus­häl­te­ri­schen Lei­den, wo­mit wir un­zu­läng­li­chen Spät­ge­bo­re­nen uns be­schei­den. Un­se­re Kunst be­fruch­tet sich mit ei­nem matt­far­be­nen Ro­ko­ko­lei­den, ge­ziert und ohne Grö­ße. Be­lang­lo­se Neu­r­asthe­ni­ker-Ge­schi­cke deh­nen sich aus über ein bür­ger­li­ches Da­sein von sieb­zig Jah­ren, wäh­rend­des­sen man täg­lich für ei­ni­ge Kup­fer­mün­zen Leid ver­zehrt und für einen Ni­ckel Be­ha­gen. Der Künst­ler gräbt um­ständ­lich in sei­ner ver­stopf­ten See­le um­her, im­mer nur in sei­ner ei­ge­nen, und för­dert Trau­rig­kei­ten zu­ta­ge, die er ei­tel her­um­zeigt. Mit feind­se­li­ger Iro­nie blin­zelt er über al­les weg, was stark ist und in gan­zen Far­ben lebt.

So aber will ich le­ben! Ich will ver­schwen­den; in­ner­halb mei­ner kur­z­en Jah­re soll mei­ne Kunst mir ein zwei­tes, mäch­ti­ge­res Le­ben schaf­fen. Nichts will ich wis­sen von mir, dem Schwa­chen; er lehrt mich im­mer noch ge­nug von sich. Ich will frem­de Schön­hei­ten er­le­ben, frem­de Schmer­zen. Recht frem­de. Ge­op­fer­te Frau­en; Vor­neh­me, die zu viel be­geh­ren; Meis­ter, die einen vol­len Schmerz an ei­nem Stück Mar­mor aus­to­ben. Sie schla­gen die Ge­stal­ten der Höl­le aus dem Block her­aus, und ihr Schmerz ist der Wir­bel­wind, der die See­len durch pur­pur­ne Fins­ter­nis treibt … Zu De­nen will ich aus­wan­dern, in Die hin­ein, die noch nicht auf die Lau­nen ih­rer Ner­ven lau­schen; de­ren Schick­sal noch nicht in ih­rem ar­men Blut ge­fan­gen sitzt. Nein, drau­ßen in frei­er Welt er­war­tet es sie zum Kampf, und sie dür­fen hin­stür­men!

In ihr Le­ben drin­ge ich ein, wie in eine mit Dor­nen­he­cken um­stell­te, üp­pi­ge­re und jä­he­re Welt, wo Ge­walt ge­übt wird und trun­ke­ne Hin­ga­be; wo na­men­lo­se Un­ter­gän­ge aus­ge­kos­tet wer­den und un­fass­ba­re Herr­lich­kei­ten; wo man ganz lebt und auf ein­mal stirbt.

Und die Frau, die du lie­ben könn­test, Pip­po Spa­no, die ist der Preis al­ler mei­ner Sehn­sucht. Die tritt mir als die Letz­te aus der von mir ent­zau­ber­ten Welt ent­ge­gen. Nicht wahr –«

Und Ma­rio Mal­vol­to ver­gaß sich, er re­de­te lau­ter.

»Nicht wahr, sie tritt mir ent­ge­gen? Glaubst du es, Pip­po Spa­no? Sie tritt –«

Er brach ab: da stand sie.

Sie stand auf der Schwel­le des klei­nen wei­ßen Sa­lons, den ein paar Mond­strah­len plötz­lich aus sei­nem Schat­ten ho­ben. Sie war sel­ber weiß und be­deckt mit Mond. Ihr blei­ches, kurz­na­si­ges Ge­sicht mit star­ken Lip­pen um­rahm­ten schwe­re schwar­ze Flech­ten. Von ih­rer klei­nen, schma­len Ge­stalt, von Schul­tern und Na­cken lös­ten sich ge­stick­te Sil­ber­blu­men bei je­dem ih­rer Atem­zü­ge; sie leb­ten mit ih­rem Atem. Sie hob ih­ren Arm zum Vor­hang an der Tür – und der Är­mel aus lau­ter Blu­men­kel­chen fiel aus­ein­an­der in vie­le blas­se Blät­ter. Ihr Arm stand dar­in als Blü­ten­stem­pel, schim­mernd von Mond.

Ma­rio Mal­vol­to war zu­rück­ge­wi­chen. Er griff sich an die Stirn. Eine Sin­ne­stäu­schung? Er hat­te viel ge­trun­ken und noch mehr ge­schwärmt. Aber sein Herz ging ru­hig und stark, er fühl­te sich hel­le­ren, freie­ren Geis­tes als ge­wöhn­lich. Woll­te das da noch im­mer nicht ver­schwin­den? … Er mach­te zwei ra­sche Schrit­te dar­auf zu. Aber es blieb da, es sprach so­gar.

Das jun­ge Mäd­chen sag­te lei­se und ein­fach:

»Ma­rio Mal­vol­to, ich lie­be dich. Ich bin her­ge­kom­men, da­mit wir uns lie­ben.«

Flöten und Dolche

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