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II.

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Gleich beim Eintritt sah der Diener das Bild, das am Boden lehnte. Er stutzte, sein eifriges, blondes Gesicht erschrak, und er schien dem Bilde seine Missbilligung auszudrücken, weil es seinen ordentlichen Platz verlassen hatte. „Er müsste schon ein guter Komödiant sein,“ dachte Cromer, „sonst ist er eine wohlgeratene Dienerseele.“ Er sagte: „Philipp, Sie bringen mir den Tee ohne die Schürze, die Sie anhaben.“ Der junge Mensch betrachtete seine Schürze, blinzelte mit seinen geröteten Lidern und erwiderte: „Beim Herrn Grafen von Alten kam ich in der Schürze.“ Nein, er verstellte sich nicht, die natürliche Erklärung des Vorfalles schien misslungen. Aber Cromer fühlte nicht das Bedürfnis, eine fernerliegende zu suchen. Auf der Fahrt zur Stadt verlor er die Sache aus dem Gesicht.

Warum war er dennoch gegen Abend wieder draußen? Er versäumte sogar eine Verabredung zum Essen. Leichter Kopfschmerz? Ruhebedürfnis? Gewiss; darum schien es aber nicht nötig, den Garten zu durcheilen, als wartete Jemand. Es war noch hell, Haus, Wege und Terrasse lagen nackt und klar unter blauem Himmel. Im Zimmer an der Tapetentür — nein, nichts, ganz selbstverständlich nichts. Aber wenn begreiflicherweise niemand und nichts auf ihn gewartet hatte, blieb doch zu bemerken, dass er selbst nicht frei von Spannung gewesen war — und vielleicht nicht frei von Hoffnung? „Wäre es mehr als Kinderei, wenn ich etwas zu erleben wünschte, was eine Fortsetzung des gestern Erlebten wäre? . . . Ach! Das Beunruhigende ist keineswegs, dass ein Bild ohne erkennbaren Grund den Platz gewechselt hat, sondern meine gleichzeitigen Gedanken. Indes sie kam, fühlte ich sie kommen,“ sagte er halblaut und mit Kopfschütteln. „Anderen soll ein Sterbender von fern sich ankündigen, wenn sie ihn nur genug liebten. Ich habe eine bevorstehende Rückkehr geahnt.“ Denn es lag in ihm, trotz seinem besseren Wissen, als hätte er ihre Spur berührt und von ihrem sich wieder belebenden Schatten ein Zeichen erhalten. Das bessere Wissen sagte: „Vorgefühl und Gesichte heißen mit ihren ehrlichen Namen Sehnsucht und Reue. Man lebt nicht ungestraft ein illusionsloses und ungläubiges Leben — nicht ungestraft, wenn man weder einen leichten Kopf noch ein stumpfes Herz hat. Der Augenblick ist wohl gekommen, wo ein Wesen mir nicht unwillkommen wäre, das ich verachtet und verworfen hatte.“

Er stand vom Stuhl auf, er wiederholte sich sein Geständnis am anderen Ende des Zimmers, als müsste es dort anders klingen. Aber er vernahm nur immer den Zweifel, ob es denn nötig war, dass sie starb. Da hielt er schon das lederne Kästchen in Händen, mit ihren Briefen. Er las — und er fand es sonderbar, wieder ganz diesen Tonfall zu hören, als sei er erst gestern ausgeklungen. Angesichts ihrer großen, raschen Schrift traten einem unverhofft die wechselnden Mienen ihres im Ausdruck geübten Gesichtes wieder vor Augen. Alle ihre früheren Mitteilungen waren offen, ohne Rückhalt, und glichen so wenig diesen letzten, andeutungsvollen, fieberhaften. Von dem ganzen Gastspiel nur der eine Brief — und aus ihm bebte die Hast des Zusammenraffens von Ruhm, Geld, Lebensgefühl. Feststimmung jeden Abend, nach dem zweiten ihr Kontrakt verlängert, ihr Auto vor dem Bühneneingang immer umlagert. Den Erfolgen entsprachen die Huldigungen, und des Nachts hieß es, Rollen lernen. Jagd des Vergnügens, Jagd der Arbeit, nie schnell genug, nie ergiebig genug — aber mitten darin etwas wie ein Atemstocken, verhaltenes Erschrecken: es ist nicht mehr weit . . . „Wie lange soll dies alles noch dauern?“ fragte sie. „Manchmal habe ich es satt zum Sterben — und sehne mich nach etwas, das kein Erfolg wäre, kein Triumphieren, o, durchaus kein Triumphieren! Es muss Dinge geben, die stärker sind als unser Wille: hier, gestern, bin ich zum ersten Mal darauf gestoßen worden; kann sein, dass ich noch mehr erfahre, etwas wie eine Niederlage; denn Erlebnisse, die wir weder beherrschen, noch verstehen, sind doch Niederlagen?“

Welch tiefinnere Überreiztheit, diese verderbte Neugier nach der Selbstaufgabe! Cromer ward gequält davon, wie damals, beim ersten Lesen. Er sah lange durch die offene Gartentür hinaus in die grau dämmernde Luft. Als er zu dem Brief zurückkehrte, ließ sich im Zimmer nur schwer noch lesen. Er entzifferte: „Der Herr, der mich auf diese Gedanken gebracht hat, scheint an sich selbst nicht sehr empfehlenswert. Er sieht aus wie . . .“ Hier ward das Blatt geknickt von einem Luftzug, der so plötzlich einsetzte, als sei auch die Tür im Hintergrund geöffnet worden. Sie stand offen; Cromer, der niemand eintreten sah, tat eine raschere Bewegung, sein Stuhl fiel um. „So finde ich doch Menschen hier?“ sagte eine Stimme, — und von der Farbe des Schattens und schlecht aus ihm herausgelöst, zeigte sich eine Gestalt, die auf hohen Beinen einen kaum erkennbaren Körper fortbewegte. Zwei lange Schleichschritte, ein zuckendes Anhalten, und wieder ein Anlauf, mit Verbeugungen über jeden Schritt des linken oder rechten Beins: so kam es herbei. Cromer, im unwillkürlichen Drang, es aufzuhalten, drehte die Tischlampe an; der grelle Schein fiel genau auf die Gestalt, da stand sie. Cromer sah einen großen und scharfen Kopf, der spöttisch grüßte, und, mit seinen Brillen funkelnd, sagte: „Ich komme wegen des Hauses. Es ist zu verkaufen.“ Und auf Cromers trockenes Nein: „Wie, nicht zu verkaufen? Man hätte mich falsch berichtet . . .? Oder, die Wahrheit zu sagen. —“ Der Besucher spreizte die Hand, mit einer bedeutsamen Rundung zwischen Daumen und Zeigefinger. „Vielleicht hat niemand mich berichtet. Nur meine Einbildung verhieß mir, dies Haus, abseits und verschollen“ . . . Er wiederholte: „Verschollen . . . Genug, ich ziehe mich zurück. Es war dunkel überall, kein Mensch trat mir entgegen, Verzeihung für mein Eindringen, ich bin . . .“ Er murmelte, sich abwendend, etwas wie einen Namen, wobei er den gefalteten Sommermantel wieder hinaufschob auf die Schulter, die höher schien als die andere. Dabei zögerte er und spähte die Wand hinan. Auch Cromer wendete sich hin — und er fuhr zurück, das Bild sah ihn an, ihr Bild, mit ihrem kühnen und lockenden Lächeln, an dem Vorhang, aus dem sie kam, oder in dem sie verschwinden sollte.

„Ihnen ist unwohl?“ fragte der Besucher. Cromer fasste sich.

„Nein.“ Seiner noch nicht sicher, setzte er hinzu: „Sie scheinen das Bild wiederzuerkennen?“

„Nicht im geringsten.“ Der Besucher spreizte schon wieder bedeutsam die Hand. „Höchstens, dass es mich erinnert hat, an eine berühmte Schauspielerin, die ich kannte.“

„Die Sie kannten.“

„Will sagen, ich weiß nicht einmal, ob sie berühmt war. Ich bin kein Weltmann.“ Dabei lächelte er bescheiden und geistreich. „Aber es gibt Stunden, und eben Frauen, wie jene, die mir einmal begegnete, haben wohl solche Stunden, da spricht man zu einem Erstbesten, was man nicht einmal zu sich selbst sprechen würde — geschweige zu seinem Nächsten.“

Hier schien sein Blick hinter den Gläsern den Tisch zu streifen, mit den Briefen darauf, ihren Briefen. „Wollen Sie sich nicht setzen?“ sagte Cromer.

„Danke. Ich verweile nicht ungern ein Wenig. Der Zug fährt erst in einer halben Stunde hier vorüber. Ich bin ermüdet vom Reisen. Eine Reise, das Leben,“ sagte er und legte, einer Anerkennung gewärtig, die rasierten Lippen in Falten. Cromer wechselte ungeduldig den Platz. „War es denn so bemerkenswert, was die Dame Ihnen erzählte?“ fragte er nachlässig. Der Besucher machte es sich bequem, er stützte den schwachen Körper gegen seine umeinander gewundenen Beine, ließ eine Hand, die schmale Hand eines Verkrüppelten, über das Knie hängen, und lugte hervor unter seiner niedrigen, aber umwölkten Stirn, in die Löckchen fielen.

„Bemerkenswert?“ sagte er klangvoll und mit runder Aussprache. „Keineswegs für den Freigeist, der ich bin. Aber wenn Sie es hören wollen, wohlan denn! Ich glaube nicht, dass die berühmte Schauspielerin mir zürnen würde. Sehr wahrscheinlich, dass sie alles nur in der Phantasie erlebt und es längst wieder vergessen hat . . . Sie war damals der Gast eines kleineren Theaters, dessen Spielplan sie unbedingt beherrschte. Sie hatte sich Rollen mitbracht, darunter eine, die nirgends erprobt und niemanden bekannt war. So wenigstens sagte sie mir — und setzte hinzu, dass trotzdem in einer Gesellschaft ein Unbekannter ihr den Inhalt eben dieser Rolle deutlich vorhergesagt habe, ihn ohne weiteres erraten habe aus ihrem Gehaben, aus unmerklichen Zeichen, einem Lachen, einem Nichts . . . Eine Taschenspielerei, wie? Die Künstlerin — man begreift, eine Künstlerin — kann es nicht so leicht nehmen, wie sie möchte. Der Unbekannte verfolgte sie nun.“

Der Unbekannte auf dem Stuhl dort lächelte durchdringend. Oben auf seinen Wangen war ein wenig Röte erschienen. „Sie spielt die Rolle, die er erraten hatte, und glaubt ihn im Theater. Sie spielt matt, wie betäubt! mit einem Schlag wacht sie auf, legt los, erreicht alles, was sie will! Nachher erfährt sie . . .“ Der Unbekannte stieß die Worte einzeln aus, er punktierte sie mit seinen langen Fingern auf dem Knie, und sein spitzes Gesicht ward unerbittlich anzusehen. „Bei dieser Szene hatte er das Haus betreten . . . Hier fasst sie die Angst, zum ersten Mal echte Angst; sie schilt sich aus, weil sie versucht ist, abzureisen, nur um nie dem Menschen wieder zu begegnen, — der übrigens persönlich nicht weniger unheimlich gewirkt haben soll als durch seine Taten.“ Das Lächeln des Unbekannten ward feucht und krampfhaft, ein Lächeln, gemacht aus Bosheit, Eifer und Scham.

Cromer sagte nach einer Pause: „Natürlich ist sie nicht abgereist.“

„Weit entfernt! Menschen von Rasse sind nicht feige vor dem Unerklärlichen — vor dem scheinbar Unerklärlichen! Sie weicht ihm aus, jenem Wesen, leider hilft es nichts. Ein Abend erscheint, an dem sie in ihrer Garderobe sitzt, im ersten Stock des Theaters, dies ist wichtig, und bis ihr Stichwort kommt, noch einmal ihre Rolle durchliest. Das Buch liegt im vollen Licht der Lampe, die über dem Toilettetisch hängt, aber auf einmal ist ein Schatten darauf. Die Künstlerin erkennt eine Nase, eine gewisse lange, gebuckelte Nase, ihr nur zu wohl geläufig.“ Und der Unbekannte hielt, wie zur Erläuterung, sein eigenes Profil hin. „Aufspringen, schreien — das tut sie nur innerlich. In Wirklichkeit wendet sie ruhig den Kopf und sagt: „Wie kommen denn Sie dahin?“ Seltsam, er ist nicht da, niemand ist da. Sie kehrt zu dem Buch zurück, das weiß und leer ist. Kaum aber will sie lesen, schiebt sich wieder der Schatten darauf. Da ist sie freilich vom Stuhl gefahren, hat alles durchsucht in dem Raum, das Fenster aufgerissen, aber es lag zu hoch und in einer glatten Mauer. Die Künstlerin weiß nicht mehr ein noch aus, ihr schwindelt, sie wäre einfach davongelaufen; zum Glück klopft der Inspizient an und holt sie. Er geht vor ihr her über die Treppe, es ist halbdunkel, und merkwürdigerweise weiß sie, dass soeben jemand hinuntergehuscht ist, an ihr vorbei, wenn sie auch nichts gesehen hat. Und sie ist nicht im geringsten überrascht, dass auf der Bühne statt ihres Partners ein anderer steht: man weiß schon, wer. Sie spielt wahnsinnig aufgepeitscht, wie vor einer Katastrophe, wie um das Leben. Man sagte, dass sie gut sei. Hinter der Szene trifft sie den Direktor, der klatscht. Sie fragt ihn: „Warum haben Sie mir denn im letzten Auftritt einen anderen Partner hingestellt?“ Und er ganz verblüfft: „Einen anderen?“ worauf sie macht, dass sie fortkommt.“

Der Unbekannte stand auf. „Da wäre wohl mancher gelaufen. Ich selbst, nachdem ich Ihnen alle diese Märchen aufgetischt habe, weiß nichts anderes mehr, als das Weite zu suchen. Leben Sie wohl!“

„Einen Augenblick!“ Cromer trat drohend auf ihn zu. „So schließt die Geschichte nicht.“

Da sah er, dass durch die Brillengläser des Unbekannten eine Flamme stach.

„Möglich, dass sie nicht so schließt. Die schöne und berühmte Künstlerin fiel gewiss, je schöner und berühmter sie war, um so unrettbarer in die Macht jenes Unbekannten. Das sind Affären, zu denen kein Blick mehr reicht.“

Und er ging. Cromer kam ihm zuvor, stieß die Tür auf und überraschte dahinter seinen Diener. „Geleiten Sie den Herrn hinaus,“ sagte Cromer; aber der junge Mensch blinzelte fragend, rührte sich nicht und sah nicht einmal hin, als der Besucher vorüberkam. Cromer selbst öffnete ihm das Haus und auch draußen blieb er dicht hinter ihm.

„Liebliche Nacht,“ sagte der Unbekannte. „Man durcheilt sie, war da und kehrt nie wieder. Aber ich habe nun doch auf Ihrem Stuhl gesessen; und von jetzt an, so oft Sie in Ihrem Zimmer jenes Bild wiederfinden —. Ah! Niemand hat das Recht, zu glauben, dass die Menschen nur aneinander vorbeistreifen und nichts sei geschehen.“

Damit stieg er spinnenartig aus der Gartenpforte. Vor Cromer hielt er sie zu. „Ich höre meinen Zug schon. Wenn Ihr Haus zum Verkauf steht, sehen Sie mich wieder.“ Und er verschwand im Schatten. Cromer ging schnell zurück, um nach dem Polizeipräsidium zu telefonieren, man möge das Individuum im Bahnhof erwarten. In der Nähe des Hauses zögerte er, er überlegte, dass nichts Greifbares vorliege; im Grunde aber wusste er wohl, dass er gar nicht gewillt sei, einzugreifen in die Vorgänge um ihn her, nicht fähig, das Geheimnis, das heranwuchs, vor der Zeit zu zerreißen. Die Terrasse ward soeben beleuchtet; der Diener hatte den Tisch gedeckt und stand eifrig wartend. Cromer ging hinauf. „Philipp, warum haben Sie den Herrn unangemeldet eintreten lassen? . . . Nun?“

„Welchen Herrn meinen der Herr?“

„Den, der soeben mit mir fortging.“

„Ich habe niemand mit dem Herrn fortgehen gesehen.“

„Sie haben niemand gesehen?“

„Nein.“

Cromer sah ihm in die Augen. Der Diener blinzelte fragend wie je. Da sein Herr mit der Hand andeutete, die Sache sei erledigt, ging er voll Beflissenheit an das Servieren.

Cromer suchte alsbald wieder sein Zimmer auf. Er nahm den Brief vom Tisch, ihren letzten und traf mit dem ersten Blick die Stelle, bei der er unterbrochen worden war. „Er sieht aus wie eine Spinne, und so unheimlich und unentrinnbar gebärdet er sich auch . . . Natürlich klingt dies, von mir gesprochen, lächerlich. Nicht wahr, Lieber, was ist unentrinnbar für unsereinen. Meine Nerven, die neugierig sind, machen sich Erlebnisse vor, mit denen mein bisschen Wirklichkeit nichts zu schaffen hat. Ich spiele; und mir geschieht nur, was ich will . . . Um zu dem bewussten Herrn zurückzukehren, so soll er verschuldet und etwas wie ein Hochstapler, nicht nur ein geistiger, sein. Es würde stimmen zu meinen Eindrücken. Ich will nachsehen, ob mir noch keine Wertsachen fehlen. Sobald ich Zeit habe, Näheres. Aber das ist es, Zeit haben. Ich habe keine, und mir ist, als sollte ich nie mehr welche haben.“

Die überhasteten Sätze keuchten das Papier hinauf, die Buchstaben brachen zusammen. Hier endete ihr letztes Wort. Schweigend war sie dann an das Ziel getaumelt, bis in eine böse, wirre Nacht, auf die für sie kein Morgen mehr gefolgt war. Cromer sah sich in der Friedhofskapelle, die Händedrücke, die er erwiderte, und gleich neben ihm, auf einem schwarzen Kasten, in Metall geritzt, ihren Namen. „Habe ich Schuld daran? Es war wohl ein unabwendbares Schicksal, auch für mich . . . Unabwendbar? So ist allein das Schicksal derer, die nicht lieben. Ich hätte anders zu ihr sprechen müssen damals. Jene Nacht war gemacht, damit ich sie in Wahrheit gewinnen sollte! Mein Gott, was habe ich versäumt! Lida, du hast gelitten, unverständlich dir selbst; und ich, der verstehen musste, habe nur hingeblickt, um zu argwöhnen und zu entlarven. Ich war natürlich nicht ohne Feinheit, das war ich nie — aber so trägen Gefühls, misstrauisch gegen mein eigenes Herz und ohne die Güte, die keine Einsicht braucht. Verzeih’ meiner Ungläubigkeit. Wenn du kannst, so komm’ — auf die Gefahr, dass ich auch jetzt nicht an dich glaube!“

Hinter ihm raschelte es, er fuhr herum. Ihre Briefe auf dem Tisch bewegten sich. In der offenen Tür war die Luft schwach und kaum zu spüren, aber eins der Blätter ward umgewendet, wie von einer Hand. Ihr letzter Brief: das Innere des zweiten, halbleeren Bogens geöffnet, und Worte darauf. „Ich will zu Dir! Ich will zu Dir!“ Leo Cromer fasste sich an das Herz, er stand, sein tiefster Gedanke wagte keine Regung. Plötzlich ein Griff nach der Lampe, er stürzte hinaus, er durchsuchte mit den Augen den Schein, den er in den Garten warf. Heftig ausatmend kehrte er zurück, er hielt den Brief unter das Licht. Diese beiden Zeilen waren früher nicht dagewesen . . . Waren sie dagewesen? Ihre Schrift schien echt, klarer höchstens und wie besänftigt. So wären sie nicht dagewesen — und dennoch von ihr? Noch nicht gedacht, empörte ihn sein Zweifel. Weit unerhörter war sein Zweifel als das, was hier vorging! Er durchmaß mit starken Schritten das Zimmer. Da hielt er an, die Mienen gelöst zu einem Lächeln des Selbstvergessens. Er löschte die Lampe, setzte sich lautlos in den dunkelsten Winkel und sah, wie rufend vorgeneigt, in jenes mondbleiche Gesicht, das lockte zu Geheimnissen, auf die Hand am Vorhang, diese zweideutige Anmut einer Scheidenden, die zaudert, ob sie umkehre.

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