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II
Der Arbeiter und das Bürschlein

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Inhaltsverzeichnis

Zweitnächsten Sonntag kamen die Familien Dinkl und Balrich mit dem Neugeborenen Mallis über das Feld zurück von Beutendorf, wo es getauft war. Alle gingen geradeswegs in die Kantine und tranken, der Säugling an der Brust. Sie saßen an einem langen Tisch und noch allein. Als andere Gäste eintraten, hatten sie schon zu Mittag gegessen und waren aufgeräumt. Der Großonkel Gellert, vertrocknet unter seinem schwarzen Gehrock und mit dem Grinsen im Bocksbart, vollführte einen Tanz, verbunden mit Händeklatschen und Gestampf, um seine Nichte Leni her. Er behauptete, draußen irgendwo Derartiges gesehen zu haben.

Dann fiel er freilich auf die Bank und blies mühsam aus seinen Hängebacken. Indes ringsum Lärm war, beobachtete Karl Balrich gespannt das Wackeln des Alten und seinen Blick, der sich greisenhaft verglaste. Plötzlich, das Auge auf ihm, raunte er ihm zu:

„Onkel, was war es damals, mit dir und Heßling?“

Gellert starrte verständnislos. „Damals?“ fragte er. Balrich nickte fest.

„Mit dir und — du weißt schon.“

Denn er hatte sich entschlossen, ins reine zu kommen mit dem Geschwätz von neulich. „Was fehlt viel, und ich wäre, was er ist,“ hatte der alte Tunichtgut gesagt, von sich und dem Generaldirektor. Geschwätz, dachte Balrich, so oft es ihm einfiel, und doch fiel es ihm ein. Jetzt wartete er, bis der da kam, — und schon kam er. Er begriff, fuhr auf und fragte zitternd:

„Hab’ ich denn geschwatzt?“

„Du hast schon zu viel gesagt,“ erklärte Balrich. „Jetzt sag’ auch den Rest!“

„Weiß schon jemand?“

„Von mir kein Mensch. Bist du aber nicht offen mit mir —“

Der Alte winkte beschwörend. „Lieber du als die anderen. Du bist der tüchtigste. Dein Onkel leider war nicht tüchtig.“

Das sei ihm bekannt, sagte Balrich barsch. Er hatte keinen Sinn für Familienmitglieder, die mit siebzig Jahren ihren Neffen wohl etwas Erworbenes hätten mitbringen können, und statt dessen fielen sie ihnen noch zur Last. Auch der Tanz vorhin um Leni her hatte ihm mißfallen.

Der Alte blinzelte erregt. Aus Furcht vor dem Neffen ließ er alles fahren.

„Konnte man denn wissen, damals?“ Man hat einen alten Freund, Kriegskameraden, Fechtbruder. Mein Strohsack, dein Strohsack, meine Laus, deine Laus; und auch die Sparpfennige immer auf demselben Brett. Manchmal waren es Taler. Und als der eine im Städtchen bleiben will, sein Handwerk treiben und Meister werden, läßt der andere ihm, bis er wiederkommt, seine Taler.

„Das warst du?“

„Gott sei es geklagt.“

„Und der die Taler nahm, war der alte Heßling.“

„Und der sie auch behielt. Verstehst du wohl?“ wisperte Gellert. Balrich hob die Schultern.

„Würdest du sie sonst noch haben?“

Da griff der Alte mit Leidenschaft um die Tischkante und rief in der Fistel:

„Nicht die Taler, meinen Anteil an Gausenfeld würde ich haben!“

Kaum ausgesprochen, verfolgte er das Wort auf den Gesichtern der Nächsten. Sie hatten in ihrem Lärm es nicht gehört. Balrich seinerseits wendete sich unwirsch weg. Das war einmal der Mühe wert, um solch ein Gefasel noch nachzufragen. „Mit deinen vier Talern hat er also Gausenfeld gegründet?“

Gellert zischte. „Es waren aber vierhundert weniger vier. Ja doch! Und alles war von einer Meisterin, bei der ich gearbeitet hatte — gearbeitet, du weißt schon wie. Mit dem Pinsel, womit ich anstrich, würde ich beileibe das nicht verdient haben.“

„Unehrliches Geld,“ sagte Balrich. Der Alte meckerte.

„Sie hat es hergeben müssen, sonst holte sie der Teufel.“

„Und der Heßling wußte davon.“

„Vielleicht nicht?“

„Auch ein Lump.“

Gellert ward ernst und verweisend.

„Er hatte es nicht selbst getan. Er war sogar ein strenger Mann. Auch er nannte mich Lump.“

„Wenigstens gab er dir einen Schuldschein.“

„Das mußte er nicht.“

Balrich schob den Kopf vor und sagte dem andern nahe in das Gesicht: „Jetzt hab ich genug von deinen, Räubergeschichten.“

Hier fing der Alte zu weinen an. „Ich war es doch,“ schluchzte er, „und du willst sagen, ich war es nicht.“

Er stieß Dinkl an und auch Herbesdörfer, bis sie ihm zuhörten.

„Ein Schuldschein, zwischen alten Kriegskameraden und Fechtbrüdern? Habt ihr das erlebt?“

Da sie nicht begriffen, erzählte er nochmals das Ganze, begegnete auch ihren Einwänden und schwor, noch immer sei sein Geld ihm geschuldet. Warum er es nicht zurückgefordert habe? Als er wiederkam nach mehreren Jahren, war es nicht mehr da. Vielmehr, es steckte im Geschäft.

„Es steckte im Geschäft? Kannst du das beweisen?“

„Ob ich es kann! Der alte Heßling hat mich doch bei der Hand genommen in seinem Kontor in Gausenfeld und hat mir alles vorgerechnet.“

Balrich sagte, grabenden Blickes:

„Gausenfeld hat dem alten Heßling nie gehört. Seine Fabrik stand in der Meisestraße.“

Gellert ward wild.

„Meisestraße oder Gausenfeld, ich sehe ihn noch an seinem Pult beim Fenster, er kratzte sich hinter dem Ohr und rechnete. Ich sollte nur warten, bald würde ich anfangen, mit zu verdienen.“

„Du siehst ihn. Hast du sonst keinen Beweis?“

„Daß er auf seinem Pult einen Tintenwischer hatte, und der war ein Mohrenkopf.“

Dinkl fragte ernsthaft:

„Wielange ist das nun her?“

„Auf den Schlag vierzig Jahre!“ schrie Gellert.

„Das ist Zeit genug,“ sagte Dinkl. „Inzwischen hat der Mohrenkopf vielleicht das Reden gelernt und kann für dich zeugen.“

Da er selbst sehr lachte, wandten die anderen Gäste sich her und wollten hören. Dinkl schickte sich auch an, ihnen seinen Witz zu erläutern; Balrich aber verbot es ihm leise und kurz.

Der alte Gellert sank wieder in sich zusammen, und beim Weggehen hatte er nur noch die Sorge, daß niemand weiter von der alten Geschichte erfahre, besonders die Weiber nicht. Dinkl meinte zwar, es sei zu komisch, man dürfe es nicht für sich behalten. „Onkel Gellert Teilhaber von Heßling auf Gausenfeld! Generaldirektor Gellert!“ kreischte er und tanzte auf einem Bein, — indes der Alte mit blutunterlaufenen Augen dabeistand wie ein bittender Hund. Aber Balrich verlangte dringend, daß kein Wort laut werde. Ob Dinkl einen alten Arbeiter, der sich in der Fabrik mit Anstreichen ein Stück Brot verdiene, ins Elend bringen wolle. Dinkl erklärte sofort, wenn Onkel Gellert seine Arbeit verliere, werfe er selbst die seine hin, und streiken sollten dann alle!

Dennoch hatte Dinkl jetzt immer, wenn er den Alten sah, einen heimlichen Rippenstoß für ihn. „Wann lassen wir uns denn unsere Dividende auszahlen?“ fragte er, und der Alte sah sich nach allen Seiten um wie ein Dieb. Eines Tages aber, in einem Winkel des großen Hofes in Gausenfeld, als er vor dem Schichtmachen sein Gerät ordnete, stieß auch Balrich ihn so an und raunte:

„Du hast wohl noch Zeit bis zur Abrechnung?“

Da entsetzte sich der Alte, und wie gerade ein Schub Arbeiter aus dem Tor kam, glitt er hinein und drückte sich. In diesem Augenblick ward es Balrich zum erstenmal gewiß, Gellert rede wahr, das mit dem Geld sei wahr.

Er hätte es nicht geglaubt, — obwohl er jetzt jede Nacht darüber nachdachte. Noch nicht in der ersten; die Zweifel näherten sich langsam, nahmen immer mehr Schlaf und wurden schwerer, eben von der Schlaflosigkeit. Da er nun gewiß war, schlich er, anstatt zu seinem Mädchen, dem alten Gellert nach, der ihm auswich. Eines Abends nur traf er ihn bei Dinkls, ein reiner Zufall. Der Alte, leicht angetrunken, schien weniger ängstlich. Da trat Besuch ein, ein Herr in mittleren Jahren, recht dick schon, weiches Gesicht ohne Bart, weicher Hut, der Gang etwas einwärts, — und hast du nicht gesehen war Gellert fort. Es ging so schnell, im Schatten die Wand hin und ab, daß der Herr sich nicht einmal umsah.

„Ich bin der Rechtsanwalt Buck,“ sagte er. „Guten Abend, ich bringe Ihnen, was sonst meine Frau Ihnen bringt. Sie ist nicht wohl.“ Und mit zarter Hand legte er neben Malli, die das Kind stillte, einen verschlossenen Umschlag.

Dinkl erwies sich gewandt, räumte die Kinder fort und machte dem Herrn Rechtsanwalt so viel Platz, als genügte seinem Umfang das ganze Zimmer nicht. Buck ließ sich wohlwollend auf den gebotenen Stuhl, hatte einen gerührten Blick für Malli mit dem Säugling, einen bewundernden für Leni, die die Brust herausstreckte, einen erstaunten über die Kinderschar hin, dann seufzte er und fragte mild und etwas fett:

„Wohnen Sie hier gut?“

Niemand antwortete. Selbst Dinkl hatte die Fassung verloren. Der Schwager des Herrn Generaldirektors fragte: „Wohnen Sie hier gut?“ — anstatt nur hinzuwerfen, daß sie glänzend wohnten! In der Stille traf Buck auf die gefalteten Brauen Balrichs. Seine Augen prallten zuerst ab, dann suchten sie um so eindringlicher die des Arbeiters, — dessen Gesicht sich ein wenig entspannte unter dem braunen, weich glänzenden Blick. Buck sagte sanft:

„Lieber möchten Sie natürlich auf Villa Höhe wohnen.“

Und als sei dies noch nicht genug des Unerhörten, hob er seine schweren Schultern und sagte ergeben:

„Begreiflich, aber was kann man machen.“

Es klang, als bewohnte er selbst, mit seiner Frau und seinem Sohn, nicht einen ganzen Flügel von Villa Höhe, sondern allenfalls ein Kellerloch.

Dann stand er auf, gab allen die Hand, ohne irgendeinen dabei anzusehen, und entschwand ihnen, langsam und einwärts. Die Meinung Mallis und Dinkls war: „Ein armer Herr!“ Leni blies nur geringschätzig durch die Nase. Balrich schwieg, und er blieb nicht mehr lange.

Zwischen dem Onkel Gellert und diesem Buck gab es einen Zusammenhang, — und was sollte er betreffen, wenn nicht die alte Geldgeschichte. Balrich zweifelte nicht, er ließ sich in der Kantine ein Fläschchen mit Schnaps füllen und ging damit durch die rückwärtige Gartenpforte der Villa Klinkorum, zu dem Anstreicher. Der Schnaps freilich erwies sich als zwecklos, denn Gellert saß schon vor einer Flasche und war nun soweit, daß er sich ganz allein etwas vorsang. Beim Erscheinen Balrichs sang er:

„So dumm ist der alte Gellert noch nicht. Das hast du gedreht!“

Was er gedreht habe, fragte Balrich. Das Zusammentreffen mit Buck sei kein Zufall gewesen, behauptete Gellert. Ihn aber gehe der Buck nichts an. „Wie soll ich ihn kennen. Als ich einmal bei seinem Vater war, trug er noch Röckchen.“

„Aha. Bei seinem Vater.“

Gellert, stark erschrocken, bot Schnaps an.

„Sein Vater ist doch tot,“ sagte er, den Blick auf dem Glas. „Was willst du von ihm. Damals freilich wollte jeder etwas von ihm. Er war der mächtigste Mann in der Stadt, noch zu meiner Zeit und der Zeit des alten Heßling. Der junge Heßling dann —“

Er strich sich mit der gestreckten Hand über die Kehle.

„— ist mit ihm fertig geworden. Hat ihm sein Geld genommen, seine Aktien, seine Würden, und stellt nun mehr vor als je der alte Buck.“

„Der junge Buck aber — — ist ein armer Herr,“ sagte Balrich, finster grübelnd. Gellert kicherte.

„Hat sich zuerst abschlachten, dann heiraten lassen. Nicht das gesundeste Schwein hält das aus.“

Balrich rückte näher.

„Onkel Gellert, du mußt jetzt loslegen.“

Da der Alte sich duckte, faßte er ihn beim Arm. „Das hilft dir nicht mehr. Ich weiß schon zu viel. Und dann bin ich dein Großneffe. Wer wird wollen, daß du reich wirst, Onkel Gellert? Der, der dich beerben soll — wie?“

Der Alte zwinkerte von unten.

„Glaube doch nur nicht, daß da etwas zu machen ist. Hast du eine Ahnung, was für eine Laus du bist gegen Heßling?“

„Sage mir, was du mit dem alten Buck gehabt hast. Vielleicht wächst die Laus.“

Seine Faust rüttelte an den Alten, bis er sich entschloß. Ja, bei dem alten Herrn Buck war er damals gewesen, in dem alten Haus in der Fleischhauergrube, mit den Stufen, die abgewetzt waren von den Füßen der ganzen Stadt. Der Vertrauensmann der ganzen Stadt sollte ihm zu seinem Geld helfen. „Das Seine hat er getan. Er hat sich den Vater Heßling kommen lassen, und Heßling hat ihm auch geschrieben.“

„Auch geschrieben!“ rief Balrich unterdrückt.

„Hat ihm schriftlich gegeben, daß in seiner Werkstätte mein Geld stak und daß ich mitverdienen sollte.“

„Wo ist der Brief?“

„Die Abschrift vom Herrn Buck habe ich,“ — und Gellert entnahm sie der Kommode. „Er hat sie mir nachgeschickt auf die Wanderschaft und hat mich vertröstet. Mein alter Kriegskamerad Heßling sei schwer bedrängt, und sonst noch allerlei.“

Balrich las schon, gierig versenkt. Zurückkehrend seufzte er.

„Das ist eine Abschrift, die muß keiner uns glauben. Wo ist der Brief selbst?“

Der Alte grinste.

„Der Brief meines alten Kriegskameraden? Gewiß in den Papieren des Herrn Buck. Das ganze Haus war voll von Papieren.“

„Und die Papiere?“

Der Alte kam grinsend näher.

„Heimlich habe ich umhergehört.“

Plötzlich zerrte er an seinen Knöpfen, riß sich die Kleider auf bis zur nackten Brust. Sein Gesicht zerteilte sich in violette Fetzen, und auf heulte er:

„Aus! Der Junge hat sie verbrannt.“

Balrich rührte sich nicht. Gellert begann allmählich, sich wieder zuzuknöpfen. „Noch ein Gläschen,“ sagte er.

Balrich trank aus.

„Dann kann ich nach Haus gehen.“

Unter der Tür fiel er gegen den Pfosten, kam aber gleich wieder auf.

Er ging nicht heim, sondern die Straße nach Villa Höhe. Die Linden dufteten, ein warmer Wind schlug ihm entgegen. Sommer war geworden aus dem dürren Frühling, in dem er angefangen hatte zu leben, — zu hoffen, zu wollen, zu leben. Sollte dies aus sein jetzt, nie hätte es dann anfangen dürfen. Lieber tot, als alles wieder sein lassen wie sonst.

„So wird es nicht mehr!“ rief er in die Nacht. Vorgebeugt gegen den Wind, machte er Fäuste und zerstampfte die Lindenblüten. Jetzt weißt du! Aufgedeckt war jetzt die Grube. Gestohlenes Geld, und Geld noch dazu, das ein alter Elendsgenosse auf schmutzige Art erworben hatte, dies war die Grundlage des Heßlingschen Reichtums. So sah die Grundlage eines großen Vermögens aus, Geschlechtsschande und Diebstahl. Dies ist das wahre Gesicht derer, die ihr enteignen werdet, Proletarier!

„Enteignen! Setzet mich und die Meinen, ehrliche Arbeiter, an die Stelle solcher Verbrecher! Wäre in der Welt nur ein Funken Gerechtigkeit, hier liefen alle zusammen, zeugten und hülfen. Statt dessen würden alle nur lachen über den armen Arbeiter, und schrie er zu laut sein verlorengegangenes Recht, ihn totschlagen für toll. Lieber gleich sterben! So ist es bestellt. Lieber gleich sterben!“

Er nahm sein Halstuch ab und suchte in den Bäumen nach einem passenden Ast.

Als er aber schon in einer Krone saß, vernahm er Stimmen, und von der Villa herab kamen zwei Gestalten, Herren, schien es. Wer sollte es sein? Nun, gut, Heßling und sein Schwager Buck sollten die ersten sein, die ihn hängen sahen . . . Er fand aber, dies wäre dennoch eine übertriebene Genugtuung für die glücklichen Verbrecher. Ihr Eintreffen war vielleicht ein Fingerzeig ganz anderen Sinnes.

So ließ er sie vorbei, stieg hinunter und folgte ihnen. Die Nacht war schwarz, und er schlich. Dennoch hörten sie ihn, wenigstens Heßling, denn er blickte sich mehrmals um und ward unruhig, wenn ein Leuchtkäfer ihn anglühte. „Er hat Furcht vor mir,“ sah Balrich und freute sich. Er fühlte: Wer schon zum Sterben bereit gewesen war, der hatte und konnte viel mehr als diese reichen Schächer. Er hatte ein doppeltes Leben, und mit denen da konnte er Schindluder treiben. Balrich im Gebüsch tat einen Sprung, daß es knackte, und stieß dazu einen Laut aus wie ein Phantasieungeheuer, — worauf Heßling sich hinter einen Baum duckte. Buck blieb nur stehen und knipste mit den Fingern.

Dann gingen sie weiter, immer sprechend; und Balrich versuchte zu verstehen, soviel der warme Wind ihm übrigließ, der das meiste wegtrug. Eins war klar, daß Heßling seinen Schwager herunterputzte wie einen Tagelöhner. Er warf ihm den Weg in der Dunkelheit vor; das Volk sei verroht, es werde immer gefährlicher; und ihre Geheimnisse hätten sie sich auch anderswo sagen können . . . Welche Geheimnisse? Buck redete von ihnen nur leise. Darauf erinnerte Heßling ihn, um so lauter, an das Geld, das er von ihm bekomme, die Prozesse und Verhandlungen, die er für ihn führen dürfe.

„Solche nicht!“ schrie plötzlich Buck, — worauf es eine Zeitlang still blieb. Balrich schlich noch leiser, von Nüchternheit ergriffen. Wie kam er hierher? Was hatte er gewollt, welcher Fingerzeig war ihm gegeben? Die Herren dort hatten ihre Welt, nichts wußte man. War, was ihm im Kopf saß, nicht ein Schwindel des alten Gellert? Oder er selbst hatte geträumt?

Aber die Herren stritten weiter — ein richtiger Streit. Heßling nannte seinen Schwager einen Schöngeist und Verteidiger in Majestätsbeleidigungsprozessen, den richtigen Sohn und Erben eines alten Achtundvierzigers. Sein Gesinnungswechsel sei ihm bezahlt worden, als Heßling ihm seine Schwester gab. Buck habe kein Recht mehr auf Widerstand, auf diese gewisse unernste Ironie, die das freundschaftliche Beisammenwohnen in Villa Höhe eines Tages gefährden und ihn brotlos machen könne . . . Worauf Buck von Manövern sprach, gewissenlosen Treibereien, einem Ende mit Schrecken, und wer bezahle dann?

„Wir nicht!“ rief Heßling und lachte.

„Nein, alle,“ rief Buck. Aber Heßling hielt ihm seine Schulden vor, da gab er klein bei.

Der Arbeiter hinter ihnen fühlte sich unheimlich verstrickt in eine Nacht der Verschwörungen, — und wer weiß welches Massensterben konnte hervorgehen aus dem tückischen Gemächt dieser beiden Bourgeois, die einander doch haßten! Denn einig sind sie nur gegen uns; untereinander möchten sie sich umbringen. Behandeln wir sie doch nur so, wie sie einander! Mut! und sieh, was für arme Menschen, die Furcht haben voreinander — und auch vor uns, wenn es Nacht ist und die Soldaten schlafen. Nur angreifen! Haft du gegen sie Waffen, und sei es die schlechteste, schäme dich nicht! Balrich dachte: „Ein armer Herr!“ und meinte Buck. Der war der schwächere, zuerst an ihn! Einschüchtern, erpressen — was wäre denn unerlaubt gegen eine Verbrechergesellschaft.

Schon begannen die Laternen der Vorstadt, dem Heßling kam wohl der Mut, er sagte zu seinem Begleiter: „Magst du nicht weiter, keine Umstände!“ Und Buck, nach einem Gruß mit dem Hut, kehrte allein um.

Balrich in langen Sätzen sprang zurück bis wo es dunkel war, und hinter Ästen, die er herabzog, wartete er. Es dauerte lange, Buck kam daher, watschelnd und barhäuptig, schwenkte seinen Hut und sprach mit sich selbst. Mehrmals blieb er stehen, und obwohl er den Wind im Gesicht hatte, wischte er sich den Schweiß. „Ich kann nicht länger!“ sagte er, wie beschwörend. „Ich bin der am schwersten Belastete, der Verräter, Gott strafe zuerst mich!“

Da sah er auf, die Strafe nahte schon. Zweige schnellten, und ein Mensch trat vor ihn hin. Buck wartete; da der andere nichts äußerte, sagte er selbst: „Guten Abend.“

„Auweh,“ dachte Balrich, „es ist gefehlt.“ Und Zorn kam ihm gegen Dinkl, den Prahlhans, der behauptete, sie schliefen immer und mit einem Finger könne man sie umwerfen. Jetzt fragte Buck:

„Sie sind wohl erschrocken?“ — und seiner milden Stimme war es anzuhören, daß er im Dunkeln ein spöttisches Lächeln aufgesetzt hatte. Balrich sagte heiser:

„Sie müssen sich nun bequemen —“

Weiter wußte er nicht. Undeutlich hatte er sich vorgenommen, sofort und auf der Stelle Geld zu verlangen und mit Skandal zu drohen. Buck erwiderte schließlich:

„Ich tue nie etwas anderes als mich bequemen. Sie wünschen also?“

„Alles haben Sie gestohlen!“ schrie Balrich. „Sie gehören nicht dahin, wo Sie sind!“

Plötzlich brachte Buck ihm das Gesicht ganz nahe.

„Sie sind es also doch,“ sagte er. „Ich habe öfter an Sie gedacht seit heute. Sie sind doch überzeugt, daß auch Sie nicht dorthin gehören, wo sie sind?“

Nach einer Pause:

„Sondern in die Villa Höhe?“

„Ich will mein Recht.“

„Ihr Recht. Nun ja. Gehen wir doch weiter!“

Im Gehen:

„Ich gebe zu, wir haben jeder gleich wenig Recht und fußen einzig auf dem Zufall. Daß ich nicht meinen Platz räume, ist Feigheit, leidige Feigheit. Möchten denn auch Sie so feig werden?“

Er hatte den Arm Balrichs genommen und stützte sich darauf. Seine Sprache ward klangvoll und bewegt.

„Sie sind ein junger Arbeiter und stehen vor dem Leben. Ihresgleichen kann weit kommen. Ich, ich bin ein verlorener Mensch. Könnte viel Unrecht verhindern und, wer weiß, dem Verderben Unzähliger in den Arm fallen. Aber der Augenblick kommt, da du Weichling das Herz nicht mehr hast. Verstehen Sie?“ fragte er, stehenbleibend.

Balrich verstand, daß der da aus der Fassung war und hier im Dunkeln mit Dingen hervorkam, die nur ihn angingen. Ein armer Herr! Er machte seinen Arm frei. —

„Was ich will, muß Sie nichts kosten,“ sagte er hart. „Ich will Ihre Zeugenschaft und daß Sie den alten Brief herausgeben, worin geschrieben steht, daß das Geld des alten Heßling von meinem Onkel Gellert war.“

Buck zögerte nur kurz. Wieder mit seinem gewohnten Phlegma sagte er:

„Schon gut. Dann kommen Sie.“

Er ging voran. Balrich hinter ihm fühlte das Herz im Hals und fürchtete, nicht mehr mitzukönnen. War es denn wahr? Buck hatte den Brief? Und gab ihn einfach her? War dies Wahnsinn? War es eine Falle?

Die Armen

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