Читать книгу Erinnerungen eines Langensalzaer sechsten Ulanen an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 - Heinrich Ziehn - Страница 8

3. Ueber die Grenze, Schlacht bei Wörth.

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Am 4. August früh 4 Uhr wurde nach Insheim zu, dem Sammelplatz der ganzen Kavalleriedivision, aufgebrochen. Es war für uns ein herrlicher Anblick, als wir unsere 6 stolzen Reiterregimenter und die 2 Batterien zum erstenmal zusammensahen und von Sr. Königl. Hoheit unserem Kommandeur warm begrüßt wurden.

In langem Zuge setzte sich die ganze Reitermasse nach der Grenze zu in Bewegung. Mittag kam die Nachricht, daß bei Weißenburg gekämpft würde, und nun ging es im scharfen Trabe auf den bald hörbaren Kanonendonner los. Um 4 Uhr waren wir auf dem Schlachtfelde, zu spät, um Arbeit zu finden. Gegen Abend wurde bei dem südlich von Weißenburg gelegenen Grenzdorfe Altstadt Biwak, mit nur etwas Regen in der Nacht, bezogen. Zum erstenmal kam uns, als wir unsere Pferde zur Tränke ritten, ein Zug Gefangener, worunter einige Turkos, entgegen. Der ganze Trupp von ca. 100 Mann machte keinen schlechten Eindruck, alle waren pulvergeschwärzt und sehr ernst, ältere Unteroffiziere sah man die Zähne vor Aerger und Scham zusammenbeißen. Da die Begleitmannschaften (Bayern) erzählten, wie tapfer die Leute gewesen seien, so verstummten bei uns gar bald alle höhnischen Worte, welche sich beim Sieger seinen Gefangenen gegenüber nur allzuleicht hervordrängen. Ueberhaupt haben wir auch später mit den Gefangenen, welche vom wirklichen Militär waren, mehr Mitleid gehabt, als Verachtung. Der französische Soldat ist sehr gewandt, sehr tapfer und ausdauernd, aber er war nicht genügend ausgebildet mit dem vorzüglichen Chassepotgewehr, und das Offizierchor war unsern Offizieren durchaus nicht gewachsen. Da in dem ersten Kampfe unserer so verschiedenartig zusammengesetzten Armee die erste Waffenbrüderschaft geschlossen wurde, so war der Jubel der einzelnen Truppenteile groß.

Am 5. August früh, kurz nach 4 Uhr, wurde zu einer großen Rekognoszierung gegen Hagenau aufgebrochen. Am Geisberg, dem Hauptpunkt des gestrigen Gefechts vorüber, ging es über Sultz nach der vor Hagenau liegenden Mulde. Unser Regiment hatte die Avantgarde. Die 1. Eskadron, als rechte Seitendeckung, berührte hierbei verschiedene Ortschaften wo am nächsten Tage gekämpft wurde, und stellte die Stellung der französischen Armee bei Wörth fest, 1 Mann und 8 Pferde war ihr Verlust.

Wir, die 4. Eskadron, hatten die Spitze vom Gros der Division, 1 Detachement Pioniere zu Wagen waren uns beigegeben. Ich selbst war mit an der äußersten Spitze. Als wir auf einer Höhe kurz vor dem Hagenauer Walde ankamen, wurde eben von den Franzosen die über die Sauer führende Brücke in die Luft gesprengt, noch sahen wir die französischen Pioniere davonlaufen. Schnell unsere Pioniere vor, (mein Nachbar und Schulkamerad Louis Bamberg, Utzberg dabei) einige ziemlich starke Pappeln an der Straße wurden abgesägt, zwei auf einem Teich, oberhalb gefundene Kähne herbeigeschafft und umgestülpt verankert. Die Pappelstämme wurden mit Reisig und alsdann mit abgegrabenen Rasenstücken belegt. Nach 1 Stunde schon war die Brücke fertig und wir gingen zuerst darüber. Als wir auf der Straße in den Wald eindrangen, bemerkten wir einige Reiter und hörten schießen. Aber wir wurden auch auf ein sonderbares „Klatschen“ an den Bäumen aufmerksam und als wir uns darüber wunderten, meinte ein alter Reservist, der 66 mitgemacht hatte, ruhig: „Schafsköpfe, Kugeln sinds“. Als wir dann auch das sonderbare Pfeifen und Zischen deutlich hörten, da wußten wir alle, daß dies der erste Gruß der hinter dem Walde liegenden Franzosen an uns war, und gar mancher machte bei jedem Schusse eine elegante Verbeugung nach vorn. Wir rückten ganz an den Straßenseiten unter den Baumästen noch ein Stück vor, da aber allerwärts Verhaue und sonstige Straßensperrungen errichtet waren, gingen wir zurück. Nachdem ein großer Teil des Geländes, auf welchem am nächsten Tage so schwer gerungen wurde, abgesucht war, ging es in Gärten bei dem rückwärts gelegenen Orte Hermesweiler ins Biwak. 2 Stunden Regen.

Am 6. August vormittags blieben wir noch im Biwak, als um ca. 8 Uhr Kanonen- und Gewehrfeuer hörbar wurde. Dasselbe wurde stärker und stärker und mittags wußten wir es, daß eine große Schlacht da vor uns geschlagen wurde. Wir aber mußten unsere Pferde füttern und tränken und sollten Fleisch im Feldkessel für uns kochen. Darüber murrten wir, und als um za. 3 Uhr Sr. Königl. Hoheit ruhig unsere Reihen durchritt, jedenfalls um seine Truppen zu inspizieren, da trat ein alter Reservist an ihn heran und sagte wörtlich: „Königl. Hoheit, wir liegen hier untätig und hören doch, das vor uns eine große Schlacht geschlagen wird, wir wollen auch mit vor und unsern Kameraden helfen“. Da antwortete derselbe mit laut erhobener Stimme: „Leute! Sr. Königl. Hoheit der Kronprinz schlägt heute eine große Schlacht, und der Sieg ist unser! Den Sieg aber auszunutzen, den geschlagenen Feind vollends niederzuringen, dazu werden frische Truppen gebraucht und (betonend) das seid Ihr.“ Hurra! Hurra! erschallte es da, unser Führer freute sich darob nicht wenig, man sah es ihm an.

Das Fleisch aber, was wir auf dem Feuer hatten, haben wir im Feldkessel halbgekocht mitnehmen müssen, denn eben kam ein Adjutant des Kronprinzen auf triefendem Pferde herangejagd, an Prinz Albrecht den Befehl überbringend, sofort mit seiner Kavallerie die Verfolgung aufzunehmen.

Da kam Leben in uns hinein, schon nach 1/4 Stunde waren die Regimenter zum Abrücken fertig und weg ging’s über Sultz nach dem an allen Ecken brennenden Gunstedt.

Bei Gunstedt mußte längere Zeit gehalten werden, weil eine große Zahl Gefangener revoltierten und die III. Eskadron wurde deshalb kommandiert, dieselben mit zu bewachen. Aber es kam für uns hier noch anders.

Wagen mit transportfähigen Verwundeten begegneten uns in großer Zahl und die totbleichen Gesichter, das bei jedem Radschlag schmerzliche Stöhnen, erregten bei uns ein recht sonderbares Gefühl. In Gunstedt war jedes Haus ein Lazarett. Vor dem Dorfe war ein großer Verbandsplatz. Zum größten Teil auf bloßer Erde lagen da Tote und schwer Verwundete alle untereinander, die letzteren vielmals laut aufschreiend vor Schmerzen. Die Aerzte aber, mit aufgestreiften Hemdärmeln, hantierten mit Messer und Verbandszeug darunter.

Das war der Krieg und der Tod in Wirklichkeit, nicht wie er in schwungvollen Festreden und Festliedern vielmals geschildert wird. Alle diese gesundheitstrotzenden, jungen Leute hatten kurz vorher noch gejubelt, und nun lagen sie hilflos da und rangen mit dem Tode, wollten nicht sterben in ihrer Jugend und Kraft und mußtens doch. — Wir aber, die wir noch gesund waren, wir wären gern zu ihnen gegangen, denn alle waren vom 11. Korps und mancher Freund vielleicht darunter, konnten und durften es aber nicht, denn unsere Pflicht war eine andere. Von diesem Bilde waren wir alle tief ergriffen, später freilich, da wurde das Herz hart, die Macht die Gewohnheit ändert eben vieles.

Es war mittlerweile Nacht geworden, als wir durch Gunstedt hindurchkamen. Auf einem Kirschbaume der Chaussee saß oben ein angeschossener Turko und schrie vor Schmerzen laut auf, niemand bekümmerte sich um ihn. Dann ging es bei der Brückmühle, wo unsere 11. Jäger so furchtbar gelitten hatten, über die Sauer auf der Straße bis Eberbach vor, wo wir der Dunkelheit wegen um 10 Uhr Biwak aufschlugen. Vorher jedoch sahen wir an einem Hügel eine große Anzahl weißer Punkte und glaubten erst es seien Gänse, es waren aber tote französische Kürassiere, welche bei einer Attacke auf unsere Infanterie, hauptsächlich auf das Eisenacher Batallion, gefallen waren. Da es zu regnen anfing, holten wir uns aus den Gehöften von Eberbach, welches ebenfalls voller Verwundeten, meist Franzosen, lag, Stroh, Türen und alles mögliche heraus und hieran knüpfte sich für mich später folgendes Erlebnis: Als ich vor mehreren Jahren mit einer Anzahl 94er zur Denkmalsweihe nach Wörth fuhr, stiegen wir bereits bei Gunstedt aus und mich drängte es, die Stelle, auf welcher in der Nacht des 6. August mein Haupt gelegen, noch einmal zu sehen. Da schloß sich uns ein Mann an, welcher aus Ebersbach war. Ich fragte denselben, ob er etwas darüber wisse, wie es während der Schlacht bei ihnen zugegangen sei. Er erzählte hierauf, daß er selbst ein kleiner Junge gewesen und im Keller gesteckt habe, sein noch lebender Vater aber rede heute noch oft davon, daß zwar im Orte selbst nicht gekämpft worden wäre, trotzdem aber alles voller Verwundeter gelegen habe. In der Nacht aber seien vor dem Orte so viel preußische Ulanen eingetroffen, daß es ihnen Angst und Bange geworden sei. Alles hätten dieselben hinausgeschleppt, Betten, Stroh, Türen, Holz und Lebensmittel und früh, als es Tag geworden, seien dieselben eben so plötzlich verschwunden gewesen wie sie gekommen seien.

Ich sagte dem Manne, er möge seinem alten Vater berichten, wie er mit einem von diesen greulichen Ulanen gesprochen und dieser ihn herzlich um Verzeihung bitten ließe, weil es eben damals Krieg gewesen, wo sich jeder helfen müsse so gut es ginge: „Not kenne kein Gebot.“

Erinnerungen eines Langensalzaer sechsten Ulanen an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71

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