Читать книгу Auf Wölfe schießt man nicht - Heinz-Dietmar Lütje - Страница 6

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»Das verstehe wer will – ich nicht mehr«, erklärte kopfschüttelnd Jochen Buss, genannt Jockel, »noch vor zwei Wochen überall Rehwild, auch tagsüber zu sehen. Und jetzt?«

»Das frage ich mich auch. Und Damwild habe ich überhaupt nicht mehr gesehen«, entgegnete der Jagdpächter, der gerade seinen Anteil an einer Anwaltspraxis in Hamburg an seine Kollegen in der Sozietät verkauft hatte und sich nun mehr der geliebten Jagd widmen wollte. Zuvor hatte es ihm immer an der Zeit gemangelt, die seit bereits über zwanzig Jahren gepachtete Jagd im Kreis Plön wirklich zu nutzen. Gut, er schoss seine Böcke, und dann und wann auch mal eine Sau. Aber den seit Beginn an möglichen IA-Damhirsch, den hatten weder sein Jagdaufseher, noch er selbst bisher erlegen können. Einige Spießer, zwei Knieper und einige Stücke weibliches Wild. Das war es bisher. Eigentlich in keinem Verhältnis zum Preis, den der Eigentümer der Jagd, ein Rheinländer, der das rund dreihundert Hektar große Grundstück geerbt hatte, ihm pro Jahr abknöpfte. Aber er hatte immer gut verdient und darum konnte er es sich leisten, sich diese überteuerte Jagd zu gönnen. Jetzt aber, in seinem ersten Jahr als Ruheständler, wollte er vielleicht einmal ein Fachbuch oder auch einen Roman schreiben, vor allem aber sich der Jagd widmen und auch einmal selbst Strecke machen, und nicht die meisten jagdlichen Freuden seinem Jagdaufseher und einigen Freunden und Bekannten überlassen. Aber gerade jetzt, zum Aufgang der Bockjagd am 1. Mai, also in der nächsten Woche, war kaum noch Wild zu sehen. Selbst das sonst allgegenwärtige Rehwild schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. »Weißt du, woran das liegen kann? Ob hier vielleicht gewildert wird?« Jockel, der Jagdaufseher kratzte sich den etwas ungepflegt wirkenden grauen Bart.

»Ist doch lange Jahre her, dass wir mal ein paar verluderte Stücke Rehwild aufgefunden haben«, erwiderte der Jagdherr, der 65jährige Dr. Gerd Michaelis, der doch immer eine Stunde Fahrzeit von seinem Haus in Bad Brammer bis ins Revier Birkenrade an der Bundesstraße 404 aufwenden musste.

»Stimmt auch wieder«, nickte sein Freund und Jagdaufseher zustimmend, »auch Schlingen oder Fallen haben wir ja nicht gefunden.«

»Eben, und verdächtige Schüsse sind auch von den Reviernachbarn nicht gemeldet, was aber wohl wenig zu sagen hat, weil es hier rundherum alle naslang knallt«, nickte der frühere Anwalt. »Aber, vielleicht sollten wir uns die Segnungen der Technik zunutze machen«, setzte er noch hinzu.

»Was meinst du da speziell?« Für Technik war Jockel immer zu haben. Schließlich war er Computerfan, nervte mit überflüssigen Rundmails Freunde und Bekannte und hatte auch sein Haus mit Kamera gesichert.

»Na, überleg mal«, neckte ihn sein Freund, »was käme wohl in Betracht?«

In Jochen Buss arbeitete es, wie nicht zu übersehen war. Seine Stirn furchte sich, und als er schon den Kopf schütteln wollte, überzog plötzlich ein wissendes Lächeln sein Gesicht und die blauen Augen blitzten erfreut. »Kameras!«, entfuhr es ihm und fragend blickte er auf.

»Richtig, mach mal und stell die insbesondere an den wenig genutzten Wegen auf, nicht an den Kirrungen, wo man sie vielleicht erwartet«, nickte Michaelis, »und vor allem, halt das Maul und erzähl niemand – niemand, verstanden – davon.«

»Ich bin doch nicht blöd!«, versetzte Jockel empört. »Nee, aber manchmal sehr mitteilsam – und das können wir hier nicht gebrauchen!«

Bereits am selben Abend bestellte Jockel Buss die insgesamt fünf Kameras und freute sich über die prompte Lieferung, die bereits drei Tage später erfolgte.

Als Technikfreak, der er ganz im Gegensatz zu seinem Jagdherrn war, der selbst mit den simpelsten Anwendungen eines heute ja leider allgegenwärtigen Computers seine Probleme hatte, hatte Jochen Buss natürlich dafür gesorgt, dass jedes Bild, das die mit Bewegungsmelder ausgestatteten Kameras machten, sofort auf sein Handy übertragen wurde.

Am Abend des 1. Mai trafen sich Gerd Michaelis und Jochen Buss im Revier Birkenrade verabredungsgemäß am Ortseingang. Sie begrüßten sich und Jockel, der ganz stolz auf seine schnelle Ausführung der in Auftrag gegebenen Kamerainstallation war, fragte, »und, soll ich dir noch schnell zeigen, wo ich die Kameras angebracht habe?« Er freute sich immer über die Bestätigung seiner Arbeit, und meistens tat Michalis ihm auch den Gefallen und lobte anschließend reichlich. Heute aber meinte er nur, »ich glaube dir ja, dass du die Dinger so installiert hast, dass nicht jeder sie gleich erkennt und abbaut – und wo du sie angebracht hast, haben wir ja besprochen. Aber nun sollten wir uns erst einmal ansetzen, bevor wir noch unseren ersten Bock für dieses Jahr verpassen!«

»Wenn du meinst«, entgegnete Jockel, der seine Enttäuschung nicht ganz verbergen konnte.

Beide saßen sie bis in die Dunkelheit hinein auf den sonst immer, gerade bei Aufgang der Bockjagd, vielversprechenden Leitern an. Aber ohne jeden Erfolg. Lediglich Michaelis bekam einen Fuchsrüden in Anblick, der aber im Hinblick auf das zu versorgende Geheck natürlich verschont wurde.

Auch Jockel hatte keinen Anblick, wie er missmutig zum Ausdruck brachte. »Das hatten wir ja wohl noch nie, Aufgang der Bockjagd und noch nicht mal einen Bock zu Gesicht bekommen, geschweige denn erlegt«, schüttelte er sein graues Haupt. »Vielleicht sollten wir morgen früh unser Glück versuchen!« »Nee, ganz bestimmt nicht. Ich habe ja meinen Beruf nicht aufgegeben, um jetzt noch früher aufzustehen«, verneinte Gerd Michaelis, »aber wenn du willst, meinen Segen hast du!«

Dann bestiegen sie ihre Fahrzeuge. Jockel seinen in die Jahre gekommenen Ford-Kombi und Gerd seinen ebenfalls angejahrten Pajero, der ihm seit fast 18 Jahren treue Dienste leistete und von dem er sich nicht trennen mochte, auch wenn er diesen Wagen eigentlich nur zur Jagd nutzte, oder im Winter, wenn hoch Schnee lag oder Gartenabfälle zu entsorgen waren. Dieses Auto hatte ihn noch nie im Stich gelassen, egal, ob hohe Minusgrade, das Auto sprang immer an und war auch sonst die Zuverlässigkeit an sich.

Jockels Ford hingegen hustete schon erst einmal asthmatisch, ehe er endlich ansprang und mit einigen Fehlzündungen in Gang kam.

Michaelis kam gut vierzig Minuten später nach Hause, packte Waffen und Munition in den Safe, stieg die Treppe vom Keller in sein großes Haus hinauf und begrüßte den Jagdhund, einen Deutsch-Drahthaarrüden, der infolge einer Laufverletzung zu seinem großen Bedauern nicht mitgenommen wurde und sein Missfallen hierüber auch deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Seine Frau schlief schon tief und fest, wie er mit einem Blick in das Schlafgemach bemerkte. Er zog seine Jagdklamotten aus, kleidete sich bequem in Freizeithose und leichten Pullover, machte sich einen ordentlichen Abendimbiss und verholte sich vor den Fernseher. Das machte er so seit Jahren, egal, ob er morgens früh raus musste oder nicht, das gehörte für ihn einfach zum Abschluss des Tages dazu. Dafür schlief er gerne morgens aus.

Gegen zwei Uhr, mitten in der Nacht, er war gerade eingeschlafen, klingelte sein Handy. Ganz gegen seine Gewohnheit hatte er es nicht vor dem Schlafengehen ausgeschaltet. Knurrend griff er nach dem klingelnden Ruhestörer, während seine Frau aufwachte und fragte, was los sei?

»Hä, ist der Kerl verrückt«, entfuhr es ihm und erklärend für seine sogenannte bessere Hälfte fügte er hinzu, »das ist Jockel«, wie ihm der Blick auf das Display verraten hatte.

»Spinnst du, mich mitten in der Nacht anzurufen? Ich bin gerade eingeschlafen, du Nervensäge!«

»Mein Handy hat geklingelt«, erklärte Jockel, »und du …«

»Ach und deshalb meinst du Arsch, dann kann ich auch geweckt werden? Da hört sich ja wohl alles auf!« Gerd Michaelis war rechtschaffend empört und schob die Hand seiner Frau, die ihn beschwichtigen wollte, beiseite.

»Entschuldige, aber das willst du wissen, sonst hätte ich dich bestimmt nicht gestört«, den Grunzlaut seines Gesprächspartners vernehmend fuhr er schnell fort, »ich weiß jetzt, was das Wild vertrieben hat!« »Das dauert länger, schlaf weiter!«, gab der genervte Angerufene seiner Frau Hiltrud Bescheid, wohl wissend, dass ihre Neugier sie keine Ruhe finden lassen würde, bis sie wusste, was der Grund des nächtlichen Anrufes war. »Bleib dran, Jockel, ich gehe ins Wohnzimmer«, knurrte er in sein Telefon und schlurfte aus dem Schlafgemach.

»Ich schick dir ein Bild aufs Handy, du wirst staunen!«, verkündete Jockel.

Dr. Gerd Michaelis wusste im ersten Moment nicht, ob er staunen oder sich schlicht ärgern sollte? Das, was auf seinem Handy zu sehen war, sah aus wie ein Schäferhund-Mischling. Und neben seinem Drahthaar-Rüden war auch er Besitzer eines Deutschen Schäferhundes. Eines Prachtexemplars von Rüden, wie ihm alle gern bestätigten. Berry hieß der stolze Hund. Etwas zu groß geraten, aber umso stattlicher im Aussehen. Schwarze Maske, knuffig und nicht etwa spitz und mickrig, wie bei so vielen überzüchteten Hunden dieser Rasse, die Schnauze mit dem kräftigen Gebiss und den aufmerksamen braunen Augen, denen nichts entging. Dazu ein erstklassiges Gehör und eine Nasenleistung, die in der Vergangenheit schon den einen oder anderen Nachsuchenspezialisten auf die hinteren Plätze verwies. Michaelis hätte auch sein Schäferhund gereicht, wenn dieser als Jagdhund die Prüfung hätte machen dürfen. Da dieses seinerzeit nicht der Fall war, wurde zusätzlich zu dem imponierenden Schäferhund ein Drahthaar angeschafft. Berry war der vierte Schäferhundrüde und Roy das dritte Drahthaar, aber der erste Rüde. Seine jagdlichen Vorgänger waren Hündinnen gewesen, was somit deutlich weniger Probleme aufgeworfen hatte. Beide Hunde vertrugen sich nach kurzem Kräftemessen, dass Roy, so hieß der Drahthaar, als zweiter Sieger beendete, ausgesprochen gut. Keine Selbstverständlichkeit bei zwei stattlichen Rüden, wie jeder Hundekenner weiß.

»Scheiße, ein wildernder Hund, das hat uns gerade noch gefehlt«, lautete der nicht ganz feine aber verständliche erste Kommentar des Ex-Anwaltes.« Dann stutzte er, schaute nochmals genau hin und wurde kurz abgelenkt, als sich die Stubentür öffnete und Hilde, die Angst hatte, etwas zu verpassen, das Zimmer betrat. Interessiert schaute sie ihren Mann, mit dem sie fast vierzig Jahre verehelicht war, an. Bevor sie fragen konnte, winkte er ab und unterbrach auch etwas grob den gerade zu einer Erklärung ansetzenden Jockel. »Sag nichts. Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst. Kein Wort, zu niemand. Wir treffen uns um neun Uhr bei dir. Ansitz fällt flach. Bis nachher und kein Wort zu irgendwem, auch nicht zu deiner Zimmerlinde!« Mit diesen Worten beendete er das Gespräch.

»Ja, nun sag schon, was ist denn so wichtig, dass Jockel mitten in der Nacht anruft?« Etwas unwirsch starrte Gerd seine Frau an. Er überlegte kurz, kam aber zu dem Schluss, dass sie ohnehin keine Ruhe geben würde. »Ein wildernder Hund im Revier. Darum ist das Wild entweder verschwunden, hat sich also anderswo eingestellt oder aber ist sehr heimlich geworden. Ich bespreche das morgen mit Jockel.

»Aber ihr werdet doch den Hund nicht totschießen?« »Nein, du kennst mich doch«, beruhigte der Jäger seine besorgte Frau, »da müsste schon viel passieren, bevor ich auf einen Hund schießen würde.«

Nur komisch, dass wir von den umliegenden Revieren nichts gehört haben, überlegte der Beständer. Aber da dieses Eigenjagdrevier inmitten eines sehr großen, fast zweitausend Hektar umfassenden gemeinschaftlichen Jagdbezirkes und einer auch nicht gerade kleinen anderen Eigenjagd von fast 900 Hektar lag, zu deren Eigentümer und den Pächtern der Genossenschaft eine gewachsene Feindschaft seines Verpächters bestand, war das auch nicht ganz unverständlich. Leider hatten die Genossen der Gemeinschaftsjagd, wie auch der Großbauer und Eigenjagdbesitzer, ihre Aversionen gegenüber seinem Verpächter, die auch bereits durch die Feindschaft mit dessen Großonkel, den dieser beerbt hatte, herrührten, auch auf ihn übertragen. Alle Versuche seinerseits, diesen Zustand zu beenden, waren erfolglos geblieben und schließlich hatte auch er dann auf stur geschaltet. Nicht schön, für keine Seite, aber wohl verständlich und leider alles andere als selten, gerade in Jägerkreisen.

Michaelis ging wieder zu Bett. Während kurz darauf seine Frau wieder fest eingeschlafen war, wie ihre rasselnden Schnarchtöne verkündeten, wurde er immer wacher und – wen wundert es – auch immer wütender. Ausgerechnet jetzt, wo er Job und auch Ehrenämter aufgegeben hatte und sich schon seit Jahresbeginn auf den Aufgang der Bockjagd gefreut hatte, musste dieses Unglück über ihn hereinbrechen. Denn da hatte Jockel wohl recht, auch wenn er ihn gerade noch daran gehindert hatte, dieses auszusprechen, aber der wildernde Hund war wohl ein Wolf. Schließlich waren nicht weit entfernt erst in jüngster Vergangenheit Wölfe aufgetaucht, eindeutig identifiziert und auch bereits einer überfahren worden. Nun hatte er nichts gegen Wölfe. Ganz bestimmt nicht. Aber in diese dicht besiedelte Kulturlandschaft passten sie ganz einfach nicht – und in sein gepflegtes Revier, wo Fuchs und sonstiges Raubwild mit allen erlaubten Mitteln scharf bejagt wurde, schon gar nicht.

Diese ganze »Wolfshype«, die überall ausgebrochen war, konnte er ohnehin nicht nachvollziehen.

»Da siehst du das noch etwas deutlicher. Ich habe das Bild nochmal auf Fotopapier ausgedruckt.« Mit diesen Worten hielt Jockel seinem Jagdherrn das von der Kamera auf sein Handy gesandte, jetzt ausgedruckte, Foto hin. Michaelis guckte lange auf das in erstaunlich guter Qualität gefertigte Foto. »Stimmt, Jockel, das dürfte eindeutig ein Wolf sein. Nur erstaunlich, dass bisher keine Risse bekannt geworden sind.« Michaelis rieb sich die Nase. Das tat er immer, wenn er intensiv nachdachte. Bei Gericht hieß es dann immer: Er hat sich lange den Kolben gerieben; gleich kommt irgendeine nicht alltägliche Einlassung. Manche sagten auch: Jetzt serviert er uns wieder einen dicken Hund.

Das war allerdings gegenüber seinem Freund Jockel nicht der Fall. Nachdenklich meinte er nur, »auch wenn der Wolf noch jung aussieht, scheint er doch schon fast ausgewachsen zu sein – oder?«

»Ja, mit Wölfen kenne ich mich nicht so gut aus, aber dein Schäferhund ist in jedem Fall größer und kräftiger. Was wiegt Berry?« Michaelis war kurz mit den Gedanken schon weiter und hatte die Frage nur halb mitbekommen. »Berry? Wie schwer? Na, ich schätze so an die fünfzig Kilo. Er ist ja auch etwas höher vom Stockmaß, als eigentlich üblich.« Michaelis fuhr sich mit der Hand durch die ebenfalls schwindenden Haare und bemerkte plötzlich, dass er Hunger und Durst bekam.

»Ja, siehst du, und den Wolf schätze ich auf höchstens vierzig bis fünfundvierzig Kilo – wenn überhaupt. Ach, hast du eigentlich schon gefrühstückt?« Fragend sah Buss auf.

»Du nimmst mir die Frage aus dem Mund«, antwortete Gerd erfreut. Irgendetwas Deftiges und auch ein Bier könnte wohl nicht schaden.

Kurz darauf standen zwei Flaschen Budweiser und ein Teller mit Wurstschnitten und Pfefferbeißern auf dem Tisch und beide langten kräftig zu. Michaelis wischte sich den Schaum und die kleinen Krümel des selbstgebackenen Brotes vom ebenfalls angegrauten, aber gepflegten Oberlippenbart und nahm das Thema wieder auf. »Weißt du, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass weder Risse von Wild bei unseren geliebten Jagdkollegen aufgefallen sind, noch dass insbesondere Walthers Schafe nicht vom Wolf als schmackhaft empfunden worden sind.« Walther, das war einer der kleinen Bauern, der auch ein paar Schafe draußen hielt.

»Das hätte sich aber doch rumgesprochen. Da bleibt nicht der Deckel drauf, kann ich mir zumindest nicht vorstellen«, widersprach Jockel vehement. »Aber, wenn die genauso denken, wie du und nichts rauslassen«, arbeitete es in ihm, »warum eigentlich?« Nun, das war Jockel. Ein lieber, netter und hilfsbereiter Typ, auch handwerklich begabt, aber manchmal haperte es beim schnellen Erfassen von Sachlagen. Etwas, das Michaelis überhaupt nicht abkonnte, was vielleicht berufsbedingt war. Er hatte sich auch immer mühsam beherrschen müssen, wenn Richter, Staatsanwälte oder auch Kollegen oder Referendare eine überlange Leitung bewiesen. Früher war das einmal anders, pflegte er oft im Kreise vertrauter Kollegen zu klagen. Aber seitdem man ohne Beschränkung eigentlich nur noch Jura und einige noch wirtschaftlich deutlich uninteressantere Studienplätze belegen kann und auch jeder Hans und Franz heute das Abitur nachgeworfen bekommt, wenn er man nur fehlerfrei seinen Namen schreiben kann, haben wir doch gerade im Anwaltsbereich eine ganze Menge Bodensatz angesammelt, die lieber an Autos schrauben oder auch den Besen schwingen sollten. Das war eines seiner Lieblingsargumente, vor allem, wenn er sich wieder über einen dusseligen Gegenanwalt geärgert hatte. Aber Jockel sah er vieles nach, auch wenn er lange nicht mehr so flexibel und fix war.

»Ja, vielleicht haben die ja auch eine schnelle pragmatische Lösung des Problems angedacht.«

Jockel nahm den letzten Schluck aus seiner Buddel und auf seinen fragenden Blick nickte Michaelis. Kurz darauf stellte der Jagdaufseher zwei neue grüne Flaschen auf den Tisch, öffnete diese mit einem auf dem selbstgezimmerten Holztisch liegendem Feuerzeug und hatte zwischenzeitlich nachgedacht.

»Du meinst, dass sie den Wolf schießen wollen?« Gerd Michaelis nickte vielsagend und ergänzte, »oder vergiften, was weiß ich? Auf keinen Fall kann ich mir vorstellen, dass sie bei sich in der Jagd irgendwelche sogenannten Wolfsbetreuer oder sonstige grüne Spinner sehen wollen. Will doch eigentlich kaum einer, auch wenn öffentlich immer etwas anderes behauptet wird. Und jetzt, mit unserem grünen Umweltminister ganz bestimmt nicht.« Buss dachte nach. Dann nickte er.

»Stimmt, zumal diese Idioten wohl auch noch uns die Hasenjagd verbieten wollen und wenn irgendwo ein seltenes Tier gesehen wird, in Kompaniestärke durch die Gegend latschen und damit letztlich auch noch den Rest an Wild verjagen.« Gedankenschwer nickte Jockel zu seinen eigenen Worten und Gerd Michaelis musste schmunzeln. Man musste den guten Jockel nur auf die Fährte setzen, dann folgte er ihr wie ein guter Schweißhund. Und richtig, jetzt redete er sich in Rage.

»Und unser Rehwild wird verdammt als Rindenfresser und egal, ob es passt oder nicht im Staatsforst abgeknallt. Ohne Rücksicht auf Verluste.« Zustimmung erheischend sah er hoch.

»Stimmt, mein Lieber, und das ist ja noch lange nicht alles«, bestärkte ihn sein Jagdherr gern, »und der Fuchs wird dann wohl demnächst eine ganzjährige Schonzeit erhalten, das Damwild als artfremder Einwanderer ausgemerzt und die Rotwildbestände so dezimiert, dass eine vernünftige Hege nicht mehr möglich ist. Dazu wird dann von dieser rotgrünblauen Koalition der ach so klugen, besserwissenden Selbstbeweihräucherer und in die eigene Tasche lügenden Gutmenschen die Fallenjagd verboten, wie auch das Auswildern der ebenfalls als die ursprüngliche Fauna verfälschende Lustzielscheiben angesehenen Fasanen verboten und die Gänsejagd zumindest stark eingeschränkt. Singvögel wie die Rabenkrähe, Elster und Eichelhäher ganzjährig geschont und die Jäger als wirkliche Naturschützer, die sie sind, als Lustmörder verteufelt, aber durch Erhöhung der Jagdabgaben und Waffengebühren lustig weiter geschröpft. Zum Ausgleich dafür, darf er dann kaum noch nach den Grundsätzen der Deutschen Waidgerechtigkeit jagen, sondern wird zum Schädlingsbekämpfer degradiert, der alles was fiept und grunzt ohne Rücksicht auf Verluste abzuknallen hat. Willst du da noch Jäger sein?«

»Nein, nein und nochmals nein!« Jochen Buss war jetzt auf Linie gebracht und Gerd Michaelis glaubte schon, dass dieser nun auch ohne weitere Worte wusste, was zu tun ist, was also von ihm für den Fall des Falles erwartet würde. Doch dann bemerkte er, wie es in dem klein und faltig gewordenen Gesicht des Freundes arbeitete. Als wenn die Gedanken nach draußen drängen, musste Michaelis unwillkürlich denken. Und so war es wohl auch. »Also, wenn ich ihn sehe, Finger krumm und unschädlich beseitigen?« Das war die Frage, die Michaelis gern vermieden hätte, wie auch die Antwort darauf. Aber er war natürlich rhetorisch in vielen gerichtlichen Redeschlachten geschult, so dass auch hier ihm die Antwort nicht schwer fiel. »Wenn du den wildernden Hauskater siehst, den grauen Gesellen, der uns wohl schon so viele Hasen gestohlen hat, ja!« Wie der Zufall es wollte, musste der Anwalt im Ruhestand, der aber seine Zulassung behalten hatte, man weiß ja nie, bei dem Wort Hauskater kräftig zwinkern. Er wischte zur Sicherheit sich auch nochmals über das linke Augenlid und grinste. Mit den Worten, »wenn also was Außergewöhnliches im Revier sein sollte, ruf mich an und«, rein vorsorglich fügte er noch hinzu, »wenn, was ja unwahrscheinlich ist, aber man weiß ja nie, wenn du also diesen alten grauen Kater erwischt, lass ihn im Revier, aber gut verblendet und ruf mich an. Du meldest dann nur: Wildernde Katze erlegt!«

Aber es schien so, als sei der Wolf weitergezogen oder eben vielleicht doch in irgendeinem Revier verendet, vielleicht gar an Bleivergiftung gestorben, wie angeblich so viele Greife, also Habichte, Bussarde und auch Seeadler, die sich an Aufbruch, den Jäger nicht ordentlich entsorgt haben sollten, delektiert hatten? Zweifel dürften zumindest erlaubt sein. Man denke nur an die vielen Angler, die von Kindheit an die Bleikügelchen an der Angelschnur stets mit den Zähnen an der Schnur befestigt haben und es wohl vielfach immer noch tun.

Der Monat Mai neigte sich dem Ende und sowohl Michaelis, als auch Buss hatten mit je einem Jährling und Buss auch noch mit einem Schmalreh Waidmannsheil. Dennoch war selbst das sonst weniger vorsichtige Rehwild deutlich heimlicher geworden, trat nur kurz zum Äsen aus und sicherte deutlich häufiger als sonst üblich.

Damwild hingegen wurde zwar von Jockel Buss noch vereinzelt gefährtet, kam aber nicht mehr in Anblick. Also, irgendetwas hatte sich in Feld und Wald verändert. Etwas, das das Wild zur Vorsicht mahnte. Immer noch die Anwesenheit des Wolfes? Aber im eigenen Revier fanden weder Buss noch Michaelis auch nur einen einzigen Riss und das war ungewöhnlich.

Dann geschah es. Zu diesem Zeitpunkt eigentlich völlig unerwartet, da wohl alle, zumindest aber Dr. Gerd Michaelis und Jochen Buss, die ja tatsächlich Kenntnis von der Anwesenheit des Wolfes im Revier erlangt hatten, davon ausgegangen waren, dass dieser weitergezogen war. Es war der frühe Abend des 27. Mai, unmittelbar nach Vollmond. Jockel hatte eine Rotte Sauen, wohl drei bis vier vagabundierende Überläufer, da alle Abdrücke in etwa gleich groß waren, gefährtet. Da der Mond in der zweiten Nachthälfte noch gutes Licht spendete, wollten Dr. Michaelis und sein Jagdaufseher erst noch das letzte Licht nutzen, um vielleicht noch einen Bock oder eines der nach Abschussplan zu streckenden Schmalrehe zu erlegen. Danach, sofern keine Wolken aufzogen, sollte noch der Ansitz verlängert werden, im Hinblick auf die gefährteten Sauen.

Während der Jagdherr am Waldrand ansaß, hatte Jockel in der Nähe des Wegekreuzes, etwa hundert Meter von der Stelle entfernt, wo die Wildkamera den grauen Räuber abgebildet hatte, einen überdachten Sitz bezogen. Einzig ein Hase vertrieb ihm die Zeit von etwa 20.00 Uhr an. Kein roter Bock, kein Schmalreh und erst recht kein Schwein kamen in Anblick. Langsam senkte sich die Dunkelheit über das Feld. Bis der aufziehende Mond genug Licht spenden würde, dürfte es noch einige Zeit dauern und so beschloss Jockel noch etwas Augenpflege zu betreiben und setzte sich bequem zurecht. Kurz darauf fielen ihm die Augen zu.

Dr. Michaeles hingegen hatte schon Anblick. Ein ganz starker Bock mit ungewöhnlich langen, starken Sechserstangen trat aus dem kleinen Bauernwäldchen, das auch die Reviergrenze zum Großbauern bildete, kurz aus. Gerd Michaelis überlegte einen Moment lang, ob er schießen sollte oder aber dem Kapitalen noch Gelegenheit gegeben werden müsste, sich in der demnächst anstehenden Blattzeit zu vererben? Ach was, der Großbauer würde auch nicht zögern, allein deshalb nicht, damit nicht etwa er oder gar sein Freund Jockel diesen hochkapitalen Trophäenträger erbeuteten.

Gerade hatte er sich zum Schuss entschlossen und die alte Sauer 80, seinen ersten Repetierer, den er gleich nach Erlangung des Jagdscheines erworben hatte, in Anschlag gebracht, drehte sich der Bock und drehte dem Jäger das Hinterteil zu, um am Waldrand die jungen Laubblätter zu äsen. Verdammt, dachte Michaelis, ich kann ihm doch nicht ins Weidloch schießen. Er wartete und wartete, aber der starke, sicher mehr als fünf Jahre alte, Bock dachte gar nicht daran, sich breit zu stellen und dem Schützen Gelegenheit zu geben, einen sauberen Schuss hinter das Blatt anzutragen.

So vergingen die Minuten. Das Licht des Tages wich der hereinbrechenden Nacht und der rote Bock erschien nur noch als grauer Schatten, bis er nicht mehr auszumachen war.

»Warum habe ich Idiot auch solange gezögert«, brummte der verhinderte Erleger sich in den grauen, Oberlippe und Kinn bedeckenden Bart. Längst hatte er die Büchse wieder gesichert und vor sich auf die Leiterumrandung, die gleichzeitig einen sicheren Anschlag ermöglichte, gelegt. Ein Blick zum Himmel verriet ihm, dass wohl noch mindestens zwei Stunden vergehen würden, bis der aufgehende Mond genug Schützenlicht spenden würde, um den hoffentlich auftauchenden Überläufern einen sicheren Schuss aus der Waffe im Kaliber 7,64 mm antragen zu können. Er gähnte herzhaft und es dauerte gar nicht lange, bis auch ihn die Müdigkeit übermannte.

Auch das Objekt der jagdlichen Begierde, der starke Rehbock, hatte nach dem abendlichen Mahl sich zur Ruhe begeben und eine Liegestelle im Gras der Wiese, zwischen Ansitzleiter und Waldrand, bezogen und war nach ausreichender Sicherung schließlich eingeschlafen. Doch plötzlich regte er sich. Irgendetwas beunruhigte ihn. Fast unhörbar hob er den Kopf über das schon ziemlich lang gewachsene Gras, das in Kürze dem ersten Schnitt anheimfallen würde, um als Heu im Winter dem Vieh als Nahrung zu dienen. Er holte Wind und wurde unruhig. Die Lauscher spielten und bemühten sich ein Geräusch auszumachen. Da, ein ganz leises Rascheln verkündete, dass da etwas gegen den kaum merkbaren Wind auf ihn zukam. War das etwa der graue Mörder, dem er erst vor wenigen Wochen ganz knapp entkommen war? Angstvoll spähte er in die Richtung, aus der seine Lauscher das kaum hörbare Geräusch vernommen hatten, das grünes, saftiges Gras verursacht, wenn es langsam und sacht niedergedrückt wird und sich dann, wenn der Druck gewichen ist, wieder aufrichtet.

Jetzt gab es kein Halten mehr. Laut schreckend sprang der Bock auf die Läufe und flüchtete in Richtung der breiten Straße, die ihn schon einmal gerettet hatte, als dieses graue Raubtier ihn fast erwischt hätte. Seine Rettung war wohl ein Lkw, der einen laut klappernden Bauwagen zog und vor dem er eben noch die asphaltierte Fahrbahn überqueren konnte, um sich auf der anderen Seite in Sicherheit zu bringen.

Das Schrecken riss auch Dr. Michaelis aus dem Schlummer. Die Augen aufreißen und zum Gewehr greifen, sowie die Sicherung zu betätigen, war eins. Der Lauf der Waffe richtete sich in Richtung des Geräusches, während das Gehirn des Jägers registrierte, dass der Mond noch kaum hinreichendes Licht für einen sicheren Schuss spendete. Da, ein Schatten raste in vollem Lauf in Richtung Bundesstraße. Oh, dahinter ein zweiter, etwas niedriger und mit Riesensätzen den ersten verfolgend.

Ein wildernder Hund, der den kapitalen Bock reißen wollte, fuhr es dem Jäger durch den Kopf. Er versuchte krampfhaft, den Verfolger in die Zieloptik zu bekommen. Da, der rote Punkt im Zielfernrohr fasste den Schatten. Ohne weiter zu überlegen ließ er seinen rechten Zeigefinger den Abzug betätigen. Wumm! Laut hallte der Schussknall durch die Nacht und der helle, feurig rote Blitz des Mündungsfeuers blendete den Schützen. Angestrengt stierte er mit brennenden Augen in die Nacht. So langsam konnte er die Konturen des Waldrandes und auch der einzelnen Bäume und Büsche wieder wahrnehmen. Da drang, mittlerweile ein ganzes Stück entfernt, erneut der bekannte Laut schreckenden Rehwildes an sein Ohr. Laut hörbar atmete der Schütze die eingesaugte Luft aus. Trotz der Kühle der noch jungen Frühjahrsnacht begann er zu schwitzen und seine Brille beschlug. Auch auf dem Rücken und im Nacken fühlte es sich feucht an. Er versuchte, das Geschehen zu ordnen. Was war genau gewesen? Ja, das Schrecken eines Rehs hatte ihn aus dem Traum gerissen. Instinktiv hatte er zur Waffe gegriffen und sah schließlich den Schatten eines Rehs flüchten. Unmittelbar dahinter ein langgestreckter, flacherer Körper. Der Kontur nach ein Hund. Für einen Fuchs eindeutig zu schnell und auch zu groß. Er griff zum Fernglas. Aber auch durch die teure, nachttaugliche Optik war nichts zu erkennen. Wo war noch genau der mutmaßliche Anschuss? Unmöglich das jetzt genau zu sagen, überlegte er.

Jetzt überkam ihn der fast unbezwingbare Wunsch, sich eine Zigarette anzustecken. Aber seit einem halben Jahr rauchte er ja auf ärztliches Anraten nicht mehr. Außerdem hatte er ja auch gar keine mehr bei sich. Einen Fluch zwischen den Zähnen durchquetschend tastete er nach seiner Taschenlampe. Gut, die war zumindest da, wo sie sein sollte, nämlich in der rechten Tasche seiner warmen Jagdjacke aus dickem Fleece. »Na denn, schauen wir mal, ob wir etwas finden«, machte er sich selbst Mut, glaubte aber nicht so richtig daran, dass diese Suche von Erfolg gekrönt sein könnte.

Dreißig Minuten oder sogar etwas länger suchte er bereits in der Richtung des möglichen Anschusses. Ohne jeden Erfolg, bisher zumindest. Er würde nur noch alle Anschusszeichen, soweit er denn getroffen hätte, wovon er alles andere als überzeugt war, zertrampeln. Nein, es nützte nichts, ein Hund musste her und sein Drahthaar wartete ja sicherlich schon ganz angespannt im Pajero. Den Schussknall hatte er ja mit Sicherheit vernommen und hoffte von ganzem Hundeherzen, dass jetzt seine Dienste benötigt wurden.

Er griff zum Handy. »Hi, Jockel, komm zum Auto, alles Weitere mündlich!«

Schnell unterbrach Michaelis die Verbindung, bevor Jockel zu viele Fragen stellen konnte. Natürlich war auch ihm schon der Gedanke gekommen, dass nicht alles, was wie ein Hund in dunkler Nacht daherkommt, auch wirklich ein Hund sein muss. Aber eigentlich müsste es schon mit dem Teufel zugegangen sein, wenn er mit diesem schnell dahingeworfenen Schuss tatsächlich getroffen haben sollte. Er hatte ja auch nur im Sinn gehabt, den vermeintlichen Hund durch den Schuss zu erschrecken und so dem Bock die Flucht zu begünstigen. Und gefunden hatte er schließlich auch nichts. Aber so ganz sicher konnte man nie sein. Wer wüsste das besser als ein Anwalt, der er doch war, wenn auch jetzt eigentlich im Ruhestand.

Kurz darauf trafen sich Michaelis und Buss am Plattenweg, wo sie in der Auffahrt zu einer Brache ihre Fahrzeuge geparkt hatten. »Hast du mitbekommen, dass unsere Nachbarn umherfahren?« Ganz aufgeregt meldete Jockel diese Beobachtung seinem Jagdherrn und schaute erwartungsvoll auf.

»Ne, habe ich nicht, wohl aber Fahrgeräusche von der Dorfstraße gehört«, entgegnete Gerd Michaelis und nickte. »Die haben sich wohl gefragt, welcher Idiot bei diesen Lichtverhältnissen schießt?«

»Dann hast du also geschossen? Warum oder besser auf was?« Jockel guckte fragend und irgendwie ungläubig, »Ich dachte schon, vielleicht hast du mitbekommen, dass die irgendwas Illegales machen, weil du am Telefon nichts sagen wolltest.«

Gerd berichtete, was geschehen war und sein Freund hörte interessiert zu, um dann ganz ungeduldig einzuwerfen, »ja, aber daran ist doch nichts auszusetzen. Und so ein Bock, da kann man doch nicht zugucken, wie der vom Hund gerissen wird. Wem kann denn dieser Köter gehören? Da müssen wir doch was machen!« Jockel war ganz aufgeregt, kratzte sich den Bart und fragte, »und nun?«

Nun gehen wir suchen mit Roy und meinetwegen auch Jacky!« Jockel guckte erst etwas ungläubig, dann aber hatte er begriffen oder meinte es zumindest. »Ach so, du meinst, falls du doch getroffen hast. Ja, dann nehm man erst mal Roy an die Leine. Jacky sucht lieber allein. Vermutlich hast du ja schon genug zertrampelt, da müssen wir Jacky nicht auch noch ablenken.«

»Halt, wir nehmen die Autos mit!«, bremste der Pächter, als sein Jagdaufseher schon seinen kleinen Terrier aus dem alten Ford holen wollte. Kurz darauf fuhren sie Richtung Wiese. Auf der Dorfstraße kam ihnen der Mercedes-Geländewagen des Großbauern mit diesem am Steuer entgegen, wendete und kurz darauf folgten dessen Scheinwerfer den Rücklichtern der vorausfahrenden Fahrzeuge. Michaelis wollte gerade zum Handy greifen, als dieses auch schon klingelte. »Der Großagrarier folgt uns«, verkündete Jockel. »Stimmt, aber den scheißen wir an. Wir fahren jetzt nicht zur Wiese, sondern zur 404, ganz so, als wenn wir nach Hause fahren würden. Also, fahr mir nach!«, ordnete Michaelis an. Sein Plan ging auf. Die Scheinwerfer des Mercedes folgten – in gebührendem Abstand – den beiden bis diese ihre Fahrzeuge auf die B 404 lenkten und mit offensichtlichem Heimatkurs beschleunigten. Das der Pajero und hinter ihm der alte Ford nach wenigen hundert Metern anhielten, bekam der sich als Detektiv betätigende Jagdnachbar nicht mit.

»So, verkündete Michaelis, jetzt warten wir eine halbe Stunde und dann stellen wir unsere Autos an der 404 in der Einfahrt zu der Firma auf der anderen Straßenseite ab, sodass diese nicht von unserer Seite aus zu sehen sind und gehen dann mit den Hunden über die Straße und die zwei Felder bis zur Wiese. Ich hoffe, dann bekommt uns keiner mit. Sorge also dafür, dass deine kleine Jacky nicht anfängt zu kläffen.« Das hörte Jockel gar nicht gern. Sein Hund war unfehlbar. Gar keine Frage!

»Jacky kläfft nicht. Keine Sorge, wenn Roy man ruhig bleibt. Oder willst du ihn lieber hierlassen?«

Das wollte Michaelis seinem Roy nun so ganz und gar nicht antun. Also nahmen beide Jäger ihre Hunde an die Leine und überquerten die zu dieser Nachtzeit leere Straße und dann auch die beiden angrenzenden Felder. Zuvor leuchteten sie noch die Umgebung mit ihren Gläsern ab. Aber nichts zu erkennen.

»Halt, warte mal!« Jochen Buss bremste abrupt, als sein Terrier sich plötzlich sehr interessiert zeigte.

»Aha, siehst du die Eindrücke hier. Die dürften von dem Bock stammen, der hier hochflüchtig den Weg überfallen hat«, erläuterte Jockel überflüssigerweise, denn die tiefen Abdrücke der Schalen am Übergang der Wiese in das frisch bestellte Feld waren deutlich zu sehen, sowie der Strahl der Lampen hierauf gerichtet wurde. Auch Roy zeigte sich jetzt sehr angetan und beide Hunde wollten der verführerischen Fährte des Rehs folgen und verstanden nicht, weshalb sie abgerufen wurden. Etwas unwillig folgten sie ihren Führern dennoch auf entsprechende Befehle. Sogar, ohne ihr Unverständnis laut werden zu lassen. Michaelis blickte zu der jetzt im Glas dank dem nunmehr voll leuchtenden Mondlicht deutlich zu erkennenden Leiter und gab die Richtung vor. Buss, vor ihm an der Leine Jacky, gefolgt von Roy und seinem Führer, zog die Korona in Richtung des mutmaßlichen Anschusses.

Plötzlich und völlig unerwartet warf sich Jacky in den Riemen und zog nach links. Jockel hob die Hand, was eigentlich völlig unnötig war, denn der im Abstand von vielleicht fünf Metern folgende Michaeles hatte das natürlich auch mitbekommen. Auch Roy zog fast in derselben Sekunde in die gleiche Richtung. »Jacky hat was in der Nase«, stellte Jockel ebenso überflüssig laut fest. »Wäre ich nie drauf gekommen«, kommentierte Gerd Michaelis, der jetzt auch seinen Roy einbremsen musste, der ungestüm vorandrängte. Nach gut zwanzig Metern standen sie vor dem Objekt, das das Interesse der Hunde so geweckt hatte. Der Kadaver eines weiblichen Rehs. Schon alt und eigentlich nur noch aus Decke und Knochen bestehend, Mühsam gelang es, die Hunde, die jetzt beide anfingen zu winseln und zum Stück wollten, zu beruhigen und zu verhindern, dass diese sich lautstark äußerten, was in der Stille der Nacht weithin zu hören gewesen wäre.

»Das dürfte der Köter gewesen sein, auf den du geschossen hast. Ist aber schon einige Zeit her«, äußerte Jockel und verwies im Licht der hellen Taschenlampe auf einen noch deutlich festzustellenden Einriss an der von Getier jeder Art in Beschlag genommenen Decke.

»Tja, Hund oder …?« Michaelis wirkte nachdenklich. Er sah seine Befürchtung fast bestätigt.

»Oder, wieso oder? So wie die Decke zerrissen ist. Eindeutig, wenn du mich fragst«, war sich Buss sicher. »Ja, oder aber eben«, Michaelis dehnte die Worte absichtlich in die Länge, »doch ein Wolf!«

Jockel guckte erst entgeistert, dann zeichnete sich Verständnis in seinen Gesichtszügen ab.

»Ja, oder eben ein Wolf. Das wär ja ein Ding. Mannomann, sag ich da nur. Und nun?«

»Und nun machen wir so gut es geht ein Foto, besser noch mehrere« Das taten sie mit Hilfe der Taschenlampen mit den Handys und mit der kleinen Kamera, die Dr. Gerd Michaelis immer im Auto hatte.

Danach suchten sie weiter und endlich verwies nicht Jacky, sondern Roy, viel dichter, als Michaelis geschätzt hatte, den mutmaßlichen Anschuss. Nur gut fünfzig Meter von der Leiter entfernt, fand Roy, als sie schon aufgeben wollten und die Hunde nur von der Leine gelassen wurden, damit sie noch etwas spielen und vor allem sich lösen konnten, einige graue Haare, etwas Schweiß, aber keine Knochensplitter oder Gewebeteilchen, durch die sie auf die Schwere der Verletzungen Rückschlüsse hätten ziehen können.

Aber jetzt hatten sie zumindest Gewissheit, dass das Projektil getroffen hatte. Da über einen wildernden Hund nichts bekannt war und der einzige Schäferhund-Mischling im Ort wohl kaum infrage kam, dürfte es sich in der Tat um einen Wolf gehandelt haben. Eins war Michaelis nur zu klar. Der Schuss auf den Wolf durch ihn durfte nicht publik werden, sonst Jagd ade. Welch drakonische Strafen einem Jäger drohten, der einen Wolf verletzte oder tötete, war ihm als Anwalt nur zu bekannt, auch wenn er dieses nicht nachvollziehen konnte. Er dachte kurz an die drakonische Strafe für einen Jäger, der einen Wolf nach einem Verkehrsunfall durch einen Schuss von seinen Leiden erlöst hatte. Eigentlich sollte Tierschutz Vorrang haben. Aber bei der derzeitigen Wolfshype?

»Und was machen wir?« Was wohl? Wir lassen deine Jacky mal zeigen, was sie kann und schauen mal, ob wir weitere Hinweise finden?« Diese Antwort gefiel Jockel nicht. Er machte sich offensichtlich Sorgen um seinen Hund. Michaelis grinste, »keine Sorge, wir sind ja dabei und passen auf, dass der böse Wolf deine Jacky nicht frisst. Aber jetzt mal los, bevor der Betrieb hier losgeht. Muss ja nun nicht jeder Hans und Franz mitkriegen, dass wir hier ganz offensichtlich eine Nachsuche veranstalten.«

Die Wundfährte wurde von dem kleinen Terrier zunächst gut gehalten. An der Bundesstraße, auf der jetzt gegen fünf Uhr morgens der Verkehr stärker wurde, schlug der Wolf einen Haken und lief wieder Richtung Dorf. Glücklicherweise blieb er im Pachtrevier des Schützen. Kurz vor dem Revierende, an der Grenze zur Gemeindejagd, überfiel Isegrim eine schmale Au und hier fand sich an beiden Ufern wieder etwas Schweiß. Aber weder hell noch schaumig. Dunkelrot, leicht zu übersehen, wenn man nicht konzentriert gerade darauf achten würde.

Dann allerdings mussten die beiden Kameraden ihre Nachsuche abbrechen, denn jetzt führte die Fährte geradewegs in die Gemeindejagd. »Scheiße, das war’s. Komm Jockel, wir machen uns vom Acker. Hoffen wir, dass uns keiner gesehen hat.«

»Ja und?«, fragte Jockel, wie nur er fragen konnte. »Nichts und«, versetzte Michaelis, der die Frage überflüssig fand, »oder willst du etwa bei unseren lieben Nachbarn um Hilfe bei der Nachsuche bitten? Schnauze halten und zu niemand ein Wort. Sollte uns jemand gesehen haben, dann habe ich auf eine wildernde Katze geschossen und die haben wir nachgesucht. Leider aber ohne Erfolg … ach ja, und ganz wichtig: Auch die Hunde haben keinen Anschuss gefunden. Ich habe also vorbeigesemmelt. Merk dir das!«

Der nächste Tag verging, die Gedanken aber nicht. Wo war der Wolf geblieben? Hatte er nur eine leichte Verletzung durch den Schuss erlitten und war vielleicht weitergezogen? Das wäre natürlich die beste Lösung. Zumindest für ihn, den Schützen. Aber was, wenn der graue Räuber unsäglicherweise im Nachbarrevier verendet sein sollte? Mit einem guten Hund, und den hatte auf jeden Fall der dortige Mitpächter, Tierarzt Dr. Albert Klein. Sein bayrischer Gebirgsschweißhund war allseits angesehen als Nachsuchenspezialist.

Abends trieb ihn die Unruhe aus dem Haus. Er gab seiner Frau Hiltrud, die drei Jahre jünger war und ihm manches Mal ziemlich auf die Nerven ging, einen beiläufigen Kuss auf die Wange, und wollte sich mit Berry auf den Weg machen. »Halt, wieso nimmst du Berry mit, wenn du zur Jagd gehst? Oder gehst du etwa gar nicht jagen?« Das ihn so kränkende Misstrauen in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Hatte er nicht schon genug Sorgen? Musste jetzt auch noch die Alte mit ihrer ewigen, dazu noch völlig unbegründeten, Eifersucht nerven? Die ihm schon im Mund liegende etwas heftige Erwiderung herunterschluckend antwortete er, »was du schon wieder hast. Ich habe dir doch von dem wildernden Hund erzählt, den wir im Revier vermuten. Da das ein großes Tier ist, möchte ich nicht, dass der gegebenenfalls mit Roy ins Gehege kommt. Da hat Berry schon bessere Chancen, wenn es hart auf hart geht.«

»Ach so. So weit habe ich natürlich nicht gedacht. Ich bin ja auch keine Jägerin!«, meckerte sein Weib, die sich über sich selbst ärgerte, dass sie daran nicht gedacht hatte, »aber pass bloß auf, dass unserem großen Hund nichts passiert!«

»Ja, natürlich!« So, jetzt nichts wie weg, dachte er, ließ den Hund in den Geländewagen springen, legte die Büchse auf den Rücksitz und fuhr los. Jedenfalls blieben ihm heute Jockels Bedenken erspart, da dieser angekündigt hatte, zum Geburtstag eines seiner vielen Freunde zu müssen.

In Birkenrade war indes einiges los. Am frühen Morgen, keine Stunde, nachdem der verhinderte Wolfstöter und sein Jagdaufseher die Nachsuche an der Reviergrenze zur Gemeindejagd abgebrochen hatten, hatte sich einige Kilometer weiter in Richtung Kiel ein Verkehrsunfall ereignet.

Nichts von Bedeutung, wie es zunächst schien. Die Einsatzleitstelle der Polizei informierte, nachdem der Pkw-Fahrer einen Wildunfall gemeldet hatte, den zuständigen Polizeiposten. Dieses war Birkenrade. Brummig nahm POK (Polizeioberkommissar) Peter Helmers den Anruf entgegen. Seine Frau, eine aus dem Leim gehende Braunhaarige, hatte entgegen seiner Weisung abgenommen und ihm den Hörer mit intrigantem Lächeln gereicht, weil sie sich wieder einmal mehr über eine seiner Bemerkungen über ihre Eltern, die gestern zu Besuch waren, geärgert hatte.

»Wildunfall, so hm, wo genau?« Er hörte zu, während er schon zum Pullover griff. »Super Ortsangabe, vielen Dank, was ist denn das für ein Arsch? Weiß er jedenfalls, was er angefahren hat und ist das Stück tot?« Wieder hörte er einen Moment zu und seine ohnehin nicht gute Stimmung verschlechterte sich noch. »Na, Klasse, also von Hase bis Hundertkilokeiler alles möglich. Ich bin begeistert. Ach, eilig hat es der Herr. Na sowas. Der soll gefälligst warten, bis ich da bin … und das kann dauern«, fügte er noch hinzu.

Kurz darauf fuhr er langsam auf die Dorfstraße, bog dann ab Richtung B 404 und nahm diese unter die Räder des blausilbernen Passat-Variant in Richtung Kiel.

Keine fünf Kilometer, da sah er schon am rechten Straßenrand in Gegenrichtung einen brandneuen Mercedes S-Klasse mit eingeschaltetem Warnblinker stehen. Davor einen aufgeregt winkenden älteren Mann im blauen Anzug mit altmodischem Hut auf dem Kopf. Er wartete zwei entgegenkommende Fahrzeuge ab, einen Kleinbus mit Bauarbeitern einer bekannten Kieler Baufirma und einen blauen VW-Golf, drehte dann und stellte seinen Dienstwagen hinter den teuren Luxuswagen, machte Warnblinker und Blaulicht an, um die Unfallstelle entsprechend zusätzlich abzusichern und stieg aus. Gemessenen Schrittes ging er, sich zur vollen Länge seiner 186 Zentimeter streckend, auf den Unfallfahrer zu.

»Na, Sie haben sich ja reichlich Zeit gelassen!« Mit diesen Worten empfing ihn der etwa siebzigjährige, gutgekleidete Herr. POK Helmers blickte amüsiert auf den knapp zwanzig Zentimeter kleineren Mann hinab. »Hätten Sie vielleicht auch besser getan, dann wäre ihr Wagen noch heil und wir beide müssten jetzt nicht hier sein«, erwiderte Helmers. »Jetzt geben Sie mir mal Führerschein und Fahrzeugpapiere und dann sehen wir weiter.«

Mit missbilligendem Blick auf den Beamten reichte der Fahrzeugführer dem Polizisten die geforderten Unterlagen. Umständlich blätterte Helmers den Fahrzeugschein auf, trat einen Schritt zurück und stellte laut fest: »Stimmt!« »Was stimmt?« Auf diese Frage zu antworten hielt der Beamte für nicht erforderlich. Vielmehr schlug er jetzt den Führerschein auf, etwas fiel heraus, was allerdings der mit der Prüfung voll in Anspruch genommene POK Helmers nicht zu bemerken schien. Der ältere Herr bückte sich und hob das kleine Stück Papier auf. »Das ist da rausgefallen, hätten Sie auch gern wieder aufheben dürfen, bevor der Wind es wegweht!«, beschwerte sich der Unfallfahrer.

»Da hat nichts rauszufallen. Vielmehr gehört da was rein, was fehlt und das ist ganz schlecht. Schlecht für Sie, wohlgemerkt.« »Wie bitte, was soll schlecht für mich sein?« Ein strenger Blick aus insoweit geübten Augen brannte sich in das Gesicht des kleineren Mannes. »Diese uralte Fahrerlaubnis ist ausgestellt auf einen Dr. Peter Himmelmann, geb. o4.04.1940 und darin fehlt das Lichtbild.«

»Das ist Ihnen doch beim Aufschlagen meines Führerscheins herausgefallen, sagte ich doch.« Mit diesen Worten reichte ihm der alte Herr das kleine Schwarzweißfoto. Mit spitzen Fingern, als fasse er ein benutztes Taschentuch an, nahm der Beamte das Bild. »Aha, das wollen Sie sein? Kann ich unmöglich feststellen. Geben Sie mir mal Ihren Personalausweis!« Diesen bekam er, prüfte umfassend die Daten und das üblich kaum höheren Ansprüchen genügende Porträt des Bundespersonalausweises und meinte, »so, erst einmal müssen Sie sich einen neuen Führerschein ausstellen lassen. Dieser ist infolge des herausgefallenen Bildes mängelbehaftet. Bericht folgt!« Mit diesen Worten verfrachtete er Fahrzeugschein, Führerschein und das lose Bild auf sein Klemmbrett und gab den Personalausweis zurück. Er warf nochmals einen ausführlichen Blick auf die Daten, die er auf dem weißen Blatt auf seinem Klemmbrett notiert hatte und forderte, »so, Herr Professor Doktor Himmelmann, jetzt schildern Sie mir einmal genau, was passiert ist. Mit beredten Worten tat der Befragte dieses. »Mh, und Sie konnten nicht erkennen, um was für ein Tier es sich gehandelt hat?« Prof. Dr. Himmelmann schüttelte sein grauhaariges Haupt. »Nein, das habe ich Ihren Kollegen doch schon bei meinem Anruf gesagt.« Eben, eben. Als aufmerksamer Fahrer sollte man schon etwas mehr erkennen. Haben Sie gebremst?« »Ja, natürlich!« »Dann haben Sie das Tier doch auch gesehen und müssen dieses beschreiben können. Hatte es Hörner, war es rotbraun oder vielleicht grau?«

»Jetzt habe ich langsam genug. Halten Sie mich für dement? Das Tier war dunkel, vielleicht auch grau und wohl größer als ein Hase.«

»Soso, größer als ein Hase, na dann schauen wir doch mal.« Mit diesen Worten wandte sich der örtlich zuständige Polizeigewaltige der Vorderfront des Mercedes zu. Der rechte Kotflügel wies Haar- und Blutspuren auf, war aber nicht eingedellt. »Hm, kaum Schaden, aber ein Hase war das nicht. Vielleicht ein Wildschwein? Aber dafür ist der Schaden sehr gering. Wie schnell sind Sie denn beim Anstoß noch gewesen?«

»Das weiß ich nicht genau. Vielleicht vierzig oder auch weniger. Ich bin die erlaubten achtzig Stundenkilometer schnell gefahren, dann kam das Tier von links über die Fahrbahn und ich habe gebremst so schnell ich konnte.«

»Gut, Sie können sich ins Auto setzen, ich prüfe einmal, ob ich etwas feststellen kann?« Mit diesen Worten ging der Polizeibeamte am Straßenrand zurück. Den ebenso jagdlich, denn er war auch Jäger und Jagdaufseher bei dem Großbauern Deepenow, wie polizeilich geschulten Blick auf den Übergang der Straße zum Feld, insbesondere den Graben gerichtet, kam er nur etwa fünfzehn Meter weit. Da, an der Grabenkante, waren tiefe Einrisse im Boden. Bei näherem Hinsehen auch etwas Schweiß. Er folgte der Fährte noch einige Meter in das frisch bestellte Feld und auf dem Acker sah man deutlich die Abdrücke von Pfoten. Hundepfoten, wie auf den ersten Blick zu deuten. Ein Lauf, offenbar der rechte Hinterlauf wurde nicht aufgesetzt, war also verletzt. »Mh, schau an«, brummte Helmers. Dann sicherte er einige gräuliche Haare an der Vorderfront des Mercedes, stellte dem Fahrer eine Bescheinigung über die erfolgte Aufnahme des Unfalls aus und entließ diesen mit der Mahnung, sich um einen neuen Führerschein zu kümmern. Anschließend nahm er die Kamera aus dem Dienstwagen, fotografierte die Stelle, an der das angefahrene Tier von der Straße durch den Graben in das vor kurzer Zeit neu bestellte Feld gewechselt war. Auch einige Fotos von der gut sichtbaren Fährte in dem schwarzen Ackerboden vergaß er nicht. Einige weitere Haare und auch etwas von dem ausgetretenen Blut an den Grashalmen sicherte er in einer kleinen Plastikhülle. Gerade wollte er wieder zurück zu seiner kleinen Zweimannstation fahren, meldete sich sein Handy. Seine Frau Maren war dran. »Was, wann?« Er hörte zu, zunehmend angespannter und entschied schließlich, »okay, kein Wort darüber, ich fahre anschließend bei Paul vorbei und kümmere mich darum. Danach fahr ich noch zu Deepenow und komme dann nach Hause.«

Paul Graeser und seine Frau Inge waren in heller Aufregung. Das Ehepaar Graeser hatte vor drei Jahren einen Resthof mit Hofkoppel erworben und für die kleine Enkelin ein Pferd angeschafft, eine sechsjährige Stute, die auf der Hofkoppel gehalten wurde, wo sie auch einen winterfesten Unterstand hatte. Das Ehepaar Graeser war jetzt drei Tage bei Tochter und Schwiegersohn in Hamburg zu Besuch gewesen. Da die Witterung es zuließ, die feste Tränke wohlgefüllt war und zu fressen die Hofkoppel eine noch für längere Zeit ausreichende Nahrung bot, bestand wenig Anlass, sich um das Tier zu sorgen. Zudem war die Stute schon mehrmals für zwei, drei Tage problemlos allein geblieben. Trotzdem hatten sie den jungen Studenten, der im Wohnwagen auf ihrem Hofplatz hauste, bis er einen Platz im Wohnheim oder eine sonstige finanzierbare Bleibe in Kiel fand, gebeten, ein Auge auf Pferd und auch Haus und Hof zu halten. Umso entsetzter waren sie, als sie bei ihrer Rückkehr ein völlig verängstigtes Tier vorfanden, das zudem erhebliche Verletzungen aufwies, die ihm offenbar ein Hund beigebracht haben musste, wie der sofort herbeigerufene Tierarzt, Dr. Klein, diagnostizierte. Nach der Notversorgung des Tieres und die Veranlassung der Überführung in die Tierklinik, noch in der Nacht der Rückkehr, hatten Inge und Paul erst jetzt am nächsten Morgen den Polizeiposten verständigt, da sie nachts niemand erreicht hatten.

»Mannomannomann, das ist ja wieder ein Tag«, stöhnte »Pepe«, wie der Dorfschutzmann von Freunden und Bekannten genannt wurde, als er den Sachverhalt zu Protokoll nahm. Dankbar nahm er den angebotenen Kaffee und verschmähte auch das offerierte zweite Frühstück nicht. »Und Dr. Klein ist sicher, dass die Verletzungen von einem Hund herrühren?«

»Ja, eigentlich ein Wunder, dass die Stute überlebt hat. Irgendwas muss den Hund, der ja ziemlich groß gewesen sein muss, gestört haben. Vielleicht hat Tila, so heißt das Pferd, ihn ja mit einem Tritt verletzt. Da sind einige Spuren noch zu erkennen.« »Die schaue ich mir gleich mal an«, versetzte Pepe, »ich komme gerade von einem Unfall auf der 404. Da ist ja wohl ein größerer Hund angefahren worden. Vielleicht war das der Missetäter.«

»Das wäre zu hoffen. Was ist denn mit dem?«

»Ja, der ist offenbar verletzt, aber verschwunden. Ich werde mal sehen, ob wir den nachsuchen können? Ich gebe Euch dann Bescheid!«

Eine halbe Stunde später saß der Dorfsheriff dem Großbauern Carl-Johann Deepenow gegenüber. Der schwerreiche und ebenso gewichtige Mann hatte sich gerade seinem opulenten Frühstück gewidmet. Eine heilige Handlung, bei der er sich ungern stören ließ. Lediglich jagdliche Angelegenheiten wurden als hinreichender Grund angesehen. Außerdem hatte er bereits eine halbe gebratene Ente und eine Schüssel Bratkartoffeln, in reichlich Speck gebraten, sowie drei Stücke Sauerfleisch von je etwa dreihundert Gramm eingefahren, so dass der Hungertod nicht mehr unmittelbar drohte. Während er sich jetzt, zum Abschluss sozusagen, noch zwei Brötchen mit reichlich gewürfeltem Schinken bepackte, gab er dem immerhin auch mit einer Tasse Kaffee bedachten Polizisten das Zeichen loszulegen.

Dieser schaute sich nochmals vorsichtig um, aber die Tür der riesigen Wohnküche war geschlossen und es stand ohnehin nicht zu befürchten, dass irgendjemand es wagen würde, den mächtigen Bauern beim heiligen Frühstück zu stören. »Ja, Hanne«, begann er und bewies damit, dass er zum Kreis der Auserwählten gehörte, die den Großbauern »Hanne« nennen durften, »es gibt wohl Neues vom Wolf.« Die mächtigen Kiefer im grobschlächtigen Gesicht des Herrschers über rund achtzehnhundert Hektar hörten auf, das eingeschobene halbe Brötchen mit Schinken zu zerkleinern. Er schluckte es leicht vorgekaut hinunter und spülte mit einem großen Schluck aus der angemessen Inhalt aufnehmenden Tasse nach. »Ist das Scheißvieh etwa wieder da?« POK Helmers nickte. »Aber wohl angefahren worden.« »Wo?« »An der 404, etwa dort, wo du neulich dieses Riesenfeld neu bestellt hast. Wir sollten vielleicht versuchen, der Fährte zu folgen. Was meinst du?«

Der große, kräftige Mann überlegte kurz und nickte nachdenklich, »wenn man wüsste, wie schwer er verletzt ist, dann ja. Aber sonst könnten wir doch warten, ob er vielleicht verendet oder zumindest richtig krank wird. Wäre doch die einfachste Lösung. Unfall und fertig ist die Laube!«

»Ich bin mir da nicht so sicher. Aber falls er von deinem Revier woanders einwechselt, vielleicht sogar bei diesem Michaelis, dann brauche ich ja nicht fragen, wenn ich in amtlicher Eigenschaft, unter Tierschutzgesichtspunkten und auch zur Gefahrenabwehr, versuche den«, er grinste verschwörerisch, »Hund zu finden.« Anerkennend schnalzte Deepenow mit der Zunge und schob eines der halben, mit jeweils mindestens hundertfünfzig Gramm bestem Räucherschinken belegten Brötchen zum Beamten rüber. Eine Auszeichnung wie eine Ordensverleihung. »Oh, danke, Hanne.« Auch wenn er satt war, das konnte er nicht ablehnen. »Schmeckt echt gut, also einverstanden?« »Ja, ich komme mit meinem »Lorbass« mit.« »Eben darum wollte ich dich bitten«, dankte Helmers und schluckte den restlichen Bissen herunter.

In den Streifenwagen einzusteigen kam natürlich für den Großgrundbesitzer nicht infrage. Also folgte er mit Hund, einem stattlichen Hannoveraner Schweißhund, im standesgemäßen Mercedes-Geländewagen.

Erschöpft hatte sich der Wolf in eine dichte Tannenschonung hinter dem neuangelegten Feld, auf dem Getreide auflaufen sollte, eingeschoben. Er litt starke Schmerzen. Das Projektil aus der Waffe des Jagdpächters Michaelis hatte seinen hinteren Körperteil durchschlagen, ohne sich zu zerlegen und war durch das Gescheide gedrungen und hatte auch nur einen etwas über Kaliberdurchmesser großen Ausschuss hinterlassen, so dass nur wenig Schweiß von den nachsuchenden Jägern gefunden wurde. Dann, als er vor dem Donner flüchtete, den Schmerz hatte er erst danach gespürt, und merkte, dass irgendetwas nicht stimmte, hatte er seine Fluchtgeschwindigkeit merklich reduziert. Aber dann, als er die breite Fläche überqueren wollte, schoss urplötzlich eine Schmerzwelle durch seinen Leib und dadurch abgelenkt hatte er das heranrasende Etwas zu spät mitbekommen und konnte sich gerade noch mit einem Riesensatz vor dem Schlimmsten bewahren. Aber die Anstrengung und das Strecken des Körpers beim Sprung löste erneut höllische Schmerzen aus und als er im Graben aufkam, merkte er, dass auch sein rechter Hinterlauf nicht mehr richtig zu gebrauchen war. Diesen schonend war er auf drei Läufen weitergeflüchtet und froh, diese geschützte Stelle gefunden zu haben. Hier hatte er sich jetzt niedergetan und leckte seinen Hinterlauf. Viel mehr allerdings schmerzte ihn sein Leib. Was war ihm da bloß geschehen? Solche Schmerzen kannte er bisher überhaupt nicht. Erschöpft rollte er sich zusammen, so gut es mit den Verletzungen halt ging und hoffte auf Besserung.

So schnell, wie geplant, konnte die Wolfssuche allerdings dann doch nicht beginnen. Gerade, als die beiden mit Hund am Ort des Unfalls angekommen waren und POK Helmers sich über Funk abmelden wollte, meldete sich die Einsatzleitstelle und beorderte ihn zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden am entgegengesetzten Ende seiner Zuständigkeit. »VU mit Personenschaden B 404 Abfahrt Depenau. NAW ist angefordert. Sonderrechte zugelassen!«, klang eine sachliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Tut mit leid, Hanne, kann ich nicht ablehnen«, entschuldigte sich der sichtlich genervte Dorfpolizist, »ich melde mich, sowie wir loskönnen.« Der Großagrarier hielt eine Antwort für entbehrlich und hob nur die rechte Hand zu einer vieldeutigen Geste.

»Nanu, Berry, was ist denn hier für ein Auftrieb?« Michaelis sprach häufig mit seinen Hunden und hatte manchmal das Gefühl, dass diese ihn auch gut verstanden. Vor dem einzigen Geschäft standen jetzt, kurz vor 19.00 Uhr, einige Dörfler, was nicht ungewöhnlich war, da der Einzelhändler direkt neben seinem Laden auch noch einen Kiosk betrieb, wo die Leute gern einmal ein Bier tranken, zumal auch einige Tische und Sitzgelegenheiten aufgestellt waren. Ob der Betreiber auch eine Schankerlaubnis hatte, wagte der Anwalt zu bezweifeln. Aber wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter, wie der Volksmund richtig sagt. Ungewöhnlich allerdings war, dass auch einige Jäger, mit Waffen, dabeistanden. Auch der Großbauer und sein Jagdaufseher, der Polizeioberkommissar Peter Helmers, waren anwesend. Letzterer in Uniform mit Pistole am Koppel und auch der Streifenwagen stand direkt vor dem Eingang zum Laden am rechten Straßenrand. Besonders verwunderte den ankommenden Jagdpächter der kleinen Eigenjagd, die wie ein Fettgeschwür mitten in Gemeinde- und Großbauers Jagdrevieren eingebettet war, aber die Tatsache, dass auch der Tierarzt, einer der wenigen im Dorf, zu denen auch er Kontakt hatte, anwesend war. Er wollte langsam seinen Pajero vorüberrollen lassen, als POK Helmers ihm ein – nicht ganz korrektes, aber durchaus erkennbares – Haltezeichen gab. Nun schätzen Polizisten Anwälte in den seltensten Fällen, es sei denn, sie brauchen selbst anwaltlichen Rat. So war es auch hier der Fall. Hinzu kam, dass der Dorfpolizist auch noch Jagdaufseher beim Großbauern war, was ihn schon von daher zur Feindschaft geradezu verpflichtete.

Ganz kurz überlegte Gerd Michaelis, ob er einfach weiterfahren sollte? Aber dann hielt er an, ließ die rechte vordere Scheibe seines jagdgrünen Mitsubishi hinabsurren und wartete gespannt.

»Gut, dass Sie gerade vorbeikommen, Herr Michaelis«, begrüßte ihn der Blauuniformierte.

»Finden Sie, Herr Polizeioberkommissar«, grinste der Jagdpächter, »und was gibt’s?« Der Polizeibeamte blieb, sichtlich bemüht, freundlich. »Wir haben hier einen Fall von … Äh, ja, wie soll ich sagen? Ach, ganz einfach, ein Hund hat das Pferd von Graeser’s angefallen. Das Pferd ist schwer verletzt.« Michaelis grinste innerlich über die Versuche des, von ihm nicht gerade geschätzten Beamten, ihn zu informieren. Über was eigentlich? Laut antwortete er, »das ist sicherlich bedauerlich, aber da kann Ihnen wohl eher Dr. Klein helfen. Was soll ich dabei bewirken?«

Das Gesicht des Oberkommissars rötete sich. »Der Köter, will sagen, der mutmaßliche Verursacher ist nicht weit von hier auf der 404 angefahren worden.« »Aber ganz sicher nicht von mir«, konnte Gerd sich nicht zurückhalten. »Nein, natürlich nicht von Ihnen, aber wir haben den mutmaßlich verletzten Hund nachgesucht und dieser ist wohl in ihr Revier eingewechselt.«

»Aha, jetzt lichtet sich das Dunkel Ihrer anfänglichen Ausführungen. Sie möchten jetzt, dass ich ab der Reviergrenze die Nachsuche fortsetze. Stimmt’s?«

»Äh, ja, das heißt nein …« Ganz schnell, bevor der sichtlich genervte Dorfpolizist seinen Satz fortsetzen konnte, unterbrach ihn Michaelis, der jetzt langsam Spaß an der Geschichte fand.

»Herr Polizeioberkommissar, Sie sprechen in Rätseln. Was denn nun? Soll ich nachsuchen oder nicht?« »Doch, natürlich, aber wir kommen mit!« Gerd grinste, als er feststellte, dass jetzt mittlerweile alle Anwesenden sich um seinen Wagen versammelt hatten, um ja nichts zu verpassen. Denn, dass sich hier möglicherweise etwas anbahnte, das Gesprächsstoff für die nächsten Tage bot, zeichnete sich ab. »Das glaube ich kaum. Ich werde doch nicht diese ganze Korona durch mein Revier latschen lassen. Sie zeigen mir, wo der Hund in mein Revier gewechselt ist und ich suche mit meinem Hund. Wechselt er wieder aus, informiere ich Sie. Eine Wildfolge möchte Ihr Jagdherr, ebenso wie die Pächter der Gemeindejagd, mit mir ja nicht. Aus Gründen, die ich nicht so ganz nachvollziehen kann, wie ich noch hinzufügen möchte.« Großbauer und die Jäger und anwesenden Pächter der Gemeindejagd machten saure Gesichter. Andere freuten sich unverhohlen und wieder andere fragten sich, wo denn hier überhaupt ein Problem zu sehen sei? Der Hund musste gefunden werden – und da konnte doch nur ein jeder nach Kräften mithelfen! Das waren die, die mit der Jagd nichts am Hut hatten, also derartige Feinheiten nicht verstanden.

»Pepe« Helmers hingegen merkte, dass er hier vorgeführt werden sollte. Das ging ja nun gar nicht. So ein Anwaltsfuzzi und seine Autorität untergraben? Na warte, Kerlchen, dachte er und überlegte krampfhaft, wie er als Sieger aus dem sich anbahnenden Disput hervorgehen könnte? Schließlich war auch Hanne, sein Jagdherr, dem er schöne Stunden im Revier und auch das eine oder andere Stück Wild für seine eigene Küche verdankte, vor Ort. Da konnte er sich natürlich auch vor diesem nicht ins Bockshorn jagen lassen.

»Sie übersehen, dass ich hier sozusagen in amtlicher Eigenschaft tätig werde, nämlich als Polizeibeamter zur Gefahrenabwehr«, pumpte er sich auf, »und als solcher bin ich befugt, auch ohne Ihre Erlaubnis nach dem Hund zu suchen, wo auch immer ich es für nötig halte, also auch in Ihrem Revier.« Gerd Michaelis grinste jetzt und der Spott stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sich aus seinem Wagen schob. »Eine schöne Rede, Herr Polizeioberkommissar, aber da gibt es noch Klärungsbedarf. Sie sagten, wir kommen mit. Meinen Sie damit sich in Ihrer Eigenschaft als 1. Polizeibeamter und Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft und 2. als amtlich bestellter Jagdaufseher des Herrn Deepenow? Sehen Sie sich insoweit auf einer Stufe mit weiland Kaiser Wilhelm, der von sich auch als wir sprach, da er als deutscher Kaiser und König von Preußen es wohl als zu poplig ansah, sich schlicht als ich zu bezeichnen?«

POK Helmers bekam einen puterroten Schwellkopf, wie immer, wenn er sich auf das Äußerste gereizt sah. Durch die tiefrote, seine Frau nannte es immer blutrote, Färbung wirkte sein Kopf fast doppelt so groß, weshalb er früher, als er noch seinen Dienst in einer Wechselschicht des 2. Polizeireviers in Kiel versah, auch »der Schwellkopf« von den Kollegen genannt wurde.

Während er mühsam nach Luft rang – am liebsten hätte er dem blöden Anwalt kräftig eine gescheuert – setzte dieser noch hinzu, »das möchte ich von Ihnen selbstverständlich nicht annehmen, Herr Helmers. Ich vermute also, dass Sie mit wir meinen, dass auch noch einige andere Herrschaften uns bei der Nachsuche begleiten dürfen. Dem Ersuchen kann ich aber leider nicht zustimmen. Dafür werden Sie als erfahrener Jäger wohl Verständnis aufbringen – oder etwa nicht?«

Nun konnte man dem Polizeigewaltigen von Birkenrade vielleicht vieles zu Recht vorwerfen, nicht aber, dass er dumm wäre oder seine beruflichen Belange nicht kannte.

»Sie übersehen eins, Herr Michaelis, im Hinblick auf die von dem Tier ausgehende Gefahr kann ich geeignete Personen durchaus zu meiner Unterstützung dienstverpflichten und in vorliegendem Fall sind Jäger und Hundeführer ja wohl absolut geeignet oder sehen Sie das etwa anders?«

Schau an, schau an, er versucht ja zu kontern. Gar nicht einmal so daneben. »So ganz falsch liegen Sie da natürlich nicht, Herr Polizeioberkommissar, aber nicht in Kompaniestärke und ganz gewiss nicht die Herren Pächter der Gemeindejagd oder gar den Besitzer der anderen angrenzenden Eigenjagd, Herrn Deepenow. Das würde ich als amtsmissbräuchlich ansehen. Keine Einwände bestehen bei Herrn Tierarzt Dr. Klein, der ja auch Jäger ist und zudem noch über einen bekannt guten Schweißhund verfügt. Damit wäre ich einverstanden. Dann sollten wir uns aber auf die Socken machen und nicht noch mehr Zeit verlieren.«

Diese Runde war an Gerd Michaelis gegangen und – nachdem Dr. Klein zugestimmt und seinen bayrischen Gebirgsschweißhund »Inka von der Senner Alm« sowie seine Büchsflinte geholt hatte, zog man – unter Führung des Polizeibeamten, der sich inzwischen mühsam wieder abgeregt hatte, los.

Der Wolf war vor Erschöpfung und Schmerzen, die sowohl in seinen Eingeweiden, als auch seinem rechten Hinterlauf wüteten in einen unruhigen Schlaf gefallen. Plötzlich erwachte er. Sein Instinkt hatte sich gemeldet. Drohte neue Gefahr? Da drangen leise, aber befremdliche Geräusche an sein aufmerksames Gehör. Menschen, seine wohl größten Feinde, signalisierte ihm sein Sinn für Gefahr.

Unter Schmerzen richtete er sich auf, wollte sich schnell noch strecken, was aber der sofort verstärkt einschießende Schmerz ihn gleich wieder abbrechen ließ. Leise stahl er sich davon. Irgendwie war er bei weitem nicht mehr so schnell auf den Läufen, wie vor diesem lauten Knall. Danach wurde alles schlechter und auch die Schmerzen immer mehr. Was war das bloß gewesen? Dann noch dieser komische schnelle Kasten, der auf der dunkel wie ein Fluss schimmernden festen Fläche ihn noch am Hinterlauf getroffen hatte. Und jetzt waren seine vielen Feinde schon wieder hinter ihm her. Nein, sowie es ihm wieder besser ging, wollte er sich aus dieser ungastlichen Gegend verabschieden. Aber jetzt galt es, auf drei Läufen erst einmal den neuen Häschern zu entgehen. Unter Schmerzen und dem nun doch merkbaren Blutverlust taumelnd hatte er schließlich einige Kilometer hinter sich gebracht. Vorsichtig sichernd näherte er sich wieder dieser gefährlichen Fläche, die hier die Felder trennte, wie ein Fluss oder breiter Bach, nur ohne Wasser und fest und hart und mit so gefährlich schnellen Ungetümen. Sorgfältig sondierte er aus schmalen Lichtern die Lage. Jetzt ging es wohl. Keine sich schnell nähernden kleinen, hellen und gefährlich wirkenden Dinger, die wie kleine Monde leuchteten. So schnell es ging, überquerte er die gefahrvolle dunkle Fläche, überfiel mit Mühe den breiten Graben und lief weiter. Auch zunehmender Durst quälte ihn. Nur nicht nach rechts, da hatte es geknallt und danach ging es ihm immer schlechter. Er strauchelte kurz vor Schwäche, als er die Rapsfläche durchquerte und stieß auf einen kleinen Wasserlauf. Keinen Graben, nein, eher schon ein schmaler Bach mit nur leicht abfallendem Ufer. Er sicherte nochmals und schöpfte dann lang und ausgiebig. Oh, tat das gut. Was war das, eben noch so erfreut das frische Wasser geschöpft und schon wurden die Schmerzen im Leib noch stärker? Mühsam erhob er sich auf seine drei heilen Läufe und schaute sich um. Da drüben. Bäume, Wald. Das verhieß mehr Sicherheit. Dort würde er einen Unterschlupf finden und ausruhen können. Und richtig. Auch dort standen Fichten dicht an dicht und er ging unter einer dieser mit tiefen, fast den Boden berührenden Schutz verheißenden Ästen ins Wundbett. Schmerz, Schwäche und Müdigkeit ließen ihn schnell in einen unruhigen Schlaf fallen.

»Hier haben wir abgebrochen«, verkündete Polizeioberkommissar Helmers, »und da, sehen Sie, ist er in Ihr Revier gewechselt. Hier ist auch Schweiß, deutlich zu sehen. Ja, und auch, dass der Köter nur drei Läufe aufsetzt.« Sie überquerten die Straße und richtig, auch an der Grabenkante auf der Seite, wo das von Michaelis gepachtete Revier begann, zeigte sich in dem höheren Bewuchs an dem hier noch tieferen Graben abgestreifter Schweiß. Während der Polizeibeamte und Michaelis schon voranschreiten wollten, stoppte sie der Tierarzt, der eine breite Grünpflanze einer näheren Betrachtung unterzog. »Halt, meine Herren, sehen Sie hier!« Er beruhigte kurz seinen Hund, der ebenso wie der beteiligte, aber deutlich hinter dem Schweißhund zurückbleibende, Berry ungestüm auf Fortsetzung der Suche drängte. Interessiert schauten Sie auf das mit Schweiß gesprenkelte Grünzeug.

»Ja, Schweiß, aber was ist daran denn …«, fragte Helmers? Auch Michaelis konnte nicht erkennen, was jetzt so bedeutsam sein sollte? »Schweiß ja, aber hier, diese etwas dunkleren, braunschwarzen Sprenkel. Sehen Sie? Das sieht mir fast wie Darminhalt, vermischt mit Blut, aus.« Dr. Albert Klein zerrieb die mit dem Fingernagel abgekratzten Krümel zwischen seinen Finger, führte sie an die Nase und beschnupperte sie ausgiebig. Dann nickte er. »Ja, ich bin mir eigentlich ziemlich sicher. Das Tier hat eine Verletzung des Darms. Aber mir erschließt sich nicht, wieso dann an dem Pkw kein stärkerer Schaden entstanden ist und insbesondere nicht, wenn hier eine derart tiefe Wunde bei dem Zusammenprall mit einem Pkw entstanden ist, weshalb wir dann nicht mehr Schweiß gefunden haben, wieso dann insbesondere das Tier noch soweit kommen konnte?«

Michaelis war jetzt endgültig sicher. Es handelte sich hier um den Wolf und die Verletzung rührte von seinem Schuss her.

Inka von der Senner Alm hielt die Fährte ohne jede Anstrengung und die Korona hatte Mühe, ihr zu folgen. Es bedeutete natürlich auch überhaupt keine Schwierigkeit für einen geschulten und hochtrainierten vierläufigen Spezialisten, eine derart frische Fährte zu halten.

Nur Berry, Michaelis Schäferhund, der diese Aufgabe auch spielend gemeistert hätte, war hochgradig unzufrieden. Wieso durfte diese Hundedame die erste Geige spielen. Das stand ihm naturgemäß zu. Also versuchte er immer wieder sich nach vorne an die Spitze zu setzen. »Berry, nun zergel mich hier nicht über die Plane, was sollen die Leute denken?«, wies Gerd seinen Hund zurecht. Er erntete nur einen tief enttäuschten Blick aus braunen Hundeaugen, was er ja irgendwie auch verstehen konnte.

Das Feld mit frisch aufgelaufenem Getreide war schnell geschafft. Dann ging es plötzlich scharf nach links. »Das arme Tier will seine Verletzungen kühlen und strebt zum Bach«, vermutete der Veterinär und gebot seiner Schweißhunddame kurz anzuhalten, was diese gar nicht verstehen konnte.

»Wir sollten das weitere Vorgehen kurz abstimmen«, wandte er sich dann an seine beiden Mitstreiter.

»Was gibt es da abzustimmen? Wenn wir den Wolf aufgestöbert haben, schießen Sie beide oder schnallen die Hunde. Gemeinsam werden sie mit dem Vieh schon fertig, es liegt schließlich ei …«

»Was haben Sie gesagt? Wolf?«, unterbrach Michaelis den Polizisten. »Das habe ich auch gehört«, bestätigte der Tierarzt völlig verblüfft und starrte den Beamten an, als sei diesem eben ein zweiter Kopf gewachsen. »Allerdings. Ich habe eindeutig Wolf gehört. Das verlangt nach Aufklärung, Herr Polizeioberkommissar!« Bewusst betonte Michaelis den Dienstgrad des Beamten. Überrascht war auch er, wenn auch aus anderem Grund, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt und war sich sicher, dass er jetzt wohl seinen Hals aus der Schlinge ziehen konnte. Gespannt, was dem erfahrenen Beamten jetzt einfiel, bedachte er ihn mit dem Blick, der schon so viele Zeugen total verunsichert hatte. »Äh, ich … Habe ich Wolf gesagt?«, stotterte Pepe Helmers und überlegte krampfhaft, wie er sich aus dieser Schlinge herauswinden konnte? Allein sein Kopf, der jetzt mächtig anschwoll und eine Rotfärbung angenommen hatte, wie sie jedem Indianer zur Ehre gereicht hätte, strafte ihn Lügen.

»Merken Sie etwas, Herr Dr. Klein? Ich glaube fast, wir sollen hier Opfer einer Verschwörung werden.

Schauen Sie sich mal unseren wackeren Polizeibeamten und Jagdaufseher von Großbauers Gnaden an. Wenn da nicht die personifizierte Lüge vor uns steht, dann habe ich in über vierzig Jahren als Anwalt noch nie eine Person vor Gericht lügen sehen!«

In Pepe Helmers Kopf drehte sich alles. Die Gedanken rotierten und ihm brach trotz der eingesetzten abendlichen Kühle der Schweiß aus. Nur der rettende Einfall kam nicht. Er holte tief Luft und brüllte in einer Lautstärke, die sicherlich noch im kilometerweit entfernten Ort zu hören sein müsste los:

»Sie! Sie, sie Rechtsverdreher, mir drehen Sie nicht das Wort im Mund um! Soweit kommt’s noch! Hund! Hund habe ich gesagt und nichts anderes! Mir hängen Sie nichts an! Mir nicht – merken Sie sich das!« Fast entsetzt blickte Tierarzt Dr. Albert Klein von Einem zum Anderen. Auch seine Bayrische Gebirgsschweißhündin wirkte hochgradig irritiert. War man hier auf Nachsuche oder gab es gleich eine Beißerei zwischen den Menschen? Dann müsste sie ja wohl ihr Herrchen verteidigen und so wollte sie gerade einmal vorsorglich knurren, als ihr der große Schäferhund zuvorkam. Dieser platzierte sich zwischen Michaelis und den Beamten und ließ ein derart tiefes Grrrrrh hören, dass POK Helmers vorsorglich drei Schritte zurückwich und mit zitternden Fingern am Holster seiner Pistole nestelte. Knurren kann der Rüde, alle Achtung, schien sich Inka von der Senner Alm zu denken und wollte da auch nicht zurückstehen und ließ sich ebenfalls mit einem deutlichen Kgrrrr vernehmen. Während Berry sein schneeweißes Gebiss bleckte und gespannt wie eine Stahlfeder auf den Beamten starrte. Bereit, bei der geringsten Gefahr bedeutenden Bewegung loszuschnellen und diesen mit seinem beeindruckenden Gebiss bekanntzumachen. Da sah es Dr. Klein als seine Aufgabe an, hier deeskalierend einzuwirken.

»Meine Herren! Meine Herren, ich bitte Sie. Gleich haben Sie es geschafft, dann drehen die Hunde durch. Beruhigen Sie sich und Sie, Herr Helmers, treten gefälligst drei Schritte zurück, sonst haben Sie womöglich den Schäferhund am Hals und dann garantiere ich für nichts!«

»Ich allerdings auch nicht!«, schloss sich Gerd Michaelis, seinerseits auf Berry von Brachefelden, wie der Rüde laut Papieren vollständig hieß, beruhigend einzuwirken. Nur die Worte, mit denen er es tat, waren eher dazu angetan, noch Öl ins Feuer zu gießen. »Ganz ruhig, guter Hund. Wenn solche Leute beim Lügen ertappt werden und ihnen nichts Gescheites einfällt, wie sie sich wieder rauswinden können, dann wird geschrien und naja, manchmal noch mehr zum Einsatz gebracht.«

Gerade schien es, als sei das Schlimmste geschafft, wollte sich jetzt der Beamte erneut aufpumpen, da geschah etwas, das niemand, auch Michaelis, ganz bestimmt nicht wollte. Ohne, dass er noch ein Wort hervorgebracht hätte, sackte der massige Polizeibeamte in sich zusammen und blieb schwer atmend auf dem trockenen Feld mit dem erst um die zehn Zentimeter hoch aufgelaufenen Getreide liegen. Schwer röchelnd rang er nach Luft und der schweißüberströmte Kopf, der zudem blutrot das zarte Grün dominierend überstrahlte, wirkte auf die Männer umso besorgniserregender.

»Schnell, halten Sie Ihren Hund zurück!«, befahl Dr. Klein und gebot seinerseits seiner Hündin, sich abzulegen, was diese irritiert tat. Auch Berry war etwas verwundert. Jetzt fielen die Leute schon um, wenn er ihnen nur sein Gebiss präsentierte. Verstehe einer die Menschen.

Michaelis griff zum Handy und wählte die 112. Währenddessen untersuchte der Tierarzt den nach wie vor laut röchelnden Beamten, der auf die besorgten Fragen des Veterinärs nicht antwortete, sondern mit ausgesprochen schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck wortlos in den allmählich sich verdunkelnden Himmel starrte. »Was haben Sie? Wo tut es weh? Kriegen Sie Luft?« Alle diese Fragen des Mediziners blieben unbeantwortet. Lediglich das Röcheln wurde jetzt durch zum Erbarmen anrührendes Stöhnen ersetzt. Die Minuten dehnten sich wie Stunden. Dann endlich vernahmen die Ohren der Männer das schnell lauter werdende Geheul des herannahenden Rettungswagens. »Was soll denn das, wollen die etwa mit der Trage hier erst fast zwei Kilometer querfeldein rennen? Ich denke, Sie haben gesagt, wo wir uns befinden und einen Rettungshubschrauber dringend benötigen?« Fragend blickte Dr. Klein Gerd Michaelis an. »Habe ich auch!«, versetzte dieser entrüstet.

»Na, nachdem die Marine aus Kiel abgezogen ist, brauchen die Luftretter vielleicht länger. Einer von uns sollte zur Straße laufen und die Retter einweisen!« Bei diesen Worten blickte der Tierarzt fordernd den Jäger an. Gerd aber machte keine Anstalten, sich in Bewegung zu setzen und erwiderte kopfschüttelnd, »nicht nötig. Ich habe den Leuten unsere Fahrzeuge beschrieben und den Streifenwagen werden die ja erkennen und unserer Spur kann jeder Dreijährige wohl folgen.«

In diesem Moment erklang das unverwechselbare Geräusch des anfliegenden Hubschraubers. Dieser verlor an Höhe und in diesem Moment klingelte das Handy des Anwaltes. »Ja, Michaelis hier! Ja, wir hören und sehen Sie. Achtung! Wir stehen etwa vierhundert Meter südlich von Ihnen und winken mit unseren Jacken!« Unmittelbar danach erkannte die Besatzung des Rettungshubschraubers die Männer auf dem Feld und mit flappenden Rotoren ging der Drehflügler tiefer und landete unmittelbar neben den Männern. Der Notarzt sprang aus dem gerade gelandeten Schrauber und kniete Sekunden später neben dem jetzt wieder röchelnden Beamten am Boden. Der Rettungsassistent nahte mit dem tragbaren EKG, während der Mediziner, ebenfalls ergebnislos, versuchte, mit dem Polizeibeamten zu sprechen. Das Stethoskop wieder um den Hals legend, betrachteten Notarzt und auch Dr. Klein und Michaelis, was sich auf dem Gerät abzeichnete. »Mmh, komisch, ganz plötzlich zusammengebrochen, sagen Sie, Herr Kollege?«

»Ja, ich habe erst einen Infarkt vermutet, aber dann kamen mir sofort Zweifel, weil …«

»Mir auch«, quetschte der Notarzt durch die Zähne. Kurz darauf hob der Helikopter ab und nahm Kurs auf die Uni-Klinik in Kiel.

»Und was machen wir beide jetzt?« Michaelis schaute den Tierarzt fragend an. »Wir vier«, dabei zeigte dieser antwortend auf die Hunde, »sollten wohl abbrechen und, wenn Sie einverstanden sind, ganz in der Früh hier wieder ansetzen.« »Einverstanden«, bestätigte Michaelis, »aber Sie haben doch auch deutlich Wolf verstanden oder etwa nicht?«

»Doch, habe ich und«, er zögerte, »wenn ich ehrlich bin, habe ich auch ganz kurz den Gedanken gehabt, als ich mir die Haare genauer angesehen habe, die wir mit dem Schweiß am Grabenrand gefunden haben. Aber die hätten natürlich auch von einem grauen Hund stammen können.« Er zögerte, setzte aber dann noch hinzu, »zu Denken gegeben hat mir auch, dass Helmers, als Jäger und Jagdaufseher, nicht seine Büchse oder noch besser, seinen Drilling mitgenommen hat? Als vor einigen Wochen ein Boxer-Mischling auf der 404 angefahren und schwer verletzt wurde, hat er extra noch den Umweg zu sich nach Hause gemacht, um das Gewehr zu holen. »Weil doch die 9mm-Vollmantelpatronen seiner Dienstwaffe nur Durchschüsse produzieren und die Leiden des Tieres nur verlängern würden«, wie er auf Nachfrage erklärt hat.

»Mhh, da haben Sie wohl recht. Er wollte auf keinen Fall auf den Wolf schießen, damit er sich Ärger erspart, obwohl er als Polizeibeamter im Dienst am Wenigsten zu befürchten hätte.«

»Dann sollten wir wohl auch auf eine Nachsuche verzichten. Warum sollen wir uns selbst in Probleme stürzen?« Mit dieser Aussage hatte Dr. Klein gar nicht einmal so Unrecht, überlegte Michaelis. Nachdem die Katze, richtiger der Wolf, ja nun aus dem Sack war, half eigentlich nur noch die Flucht nach vorn, überlegte der Jurist. »Sie haben ja so recht, Dr. Klein. Also werden jetzt zwar jede Menge unserer selbsternannten Wolfsexperten durch unsere Reviere stapfen, aber das Päckchen müssen wir wohl tragen. Also, wie wollen wir vorgehen?« Dr. Klein blickte auf seine ohnehin verstimmte Hündin, die sich mit dem Schäferhund anzufreunden begann und meinte, »Wenn es Ihnen recht ist, besprechen wir das bei mir im Haus. Dann können auch die Hunde getränkt und gefüttert werden und wir haben uns wohl auch einen Schluck verdient.« Nach kurzem Nachdenken stimmte Gerd Michaelis zu.

Zwei Stunden später, nachdem die Hunde versorgt waren und zufrieden zu Füßen ihrer Führer im Arbeitszimmer, das mehr wie ein Jagdraum aufgemacht war, mit den vielen Trophäen, Bildern mit Jagdmotiven und einer riesigen Sauschwarte, auf der Inka und Berry beide Platz gefunden hatten, waren auch die Männer zu einer Entscheidung gekommen.

Sie hatten beschlossen, den schwarzen Peter einfach an die Polizei weiterzureichen. »Schließlich hat uns ja ein Polizist auch den Ärger eingebrockt und wohl ohnehin ein böses Spiel mit uns vorgehabt«, begründete auch Albert Klein nochmals, letztlich auch zu seiner Beruhigung, ihre Entscheidung. »Wollen Sie oder soll ich?« Bei diesen Worten wies Dr. Klein auf das Telefon auf dem kleinen Tischchen zwischen den wuchtigen und offenbar alten Ledersesseln, in denen die Jäger ausgesprochen bequemen Platz gefunden hatten.

»Ich will mich ganz bestimmt nicht drücken, aber wenn der Anruf von mir als Anwalt kommt …?«

»Schon gut. Hundertzehn?« Gerd Michaeles nickte dankbar zustimmend und trank einen großen Schluck von dem hervorragenden Rotwein, den ihm, nach einem reichhaltigen Schinkenbrot und einem großen Bier, der Tierarzt jetzt kredenzt hatte.

»Ja, hier ist Dr. Klein, Tierarzt in Birkenrade. Sie sind über die Sache mit Ihrem Kollegen Helmers informiert? … Sehr gut. Also, Herr Schilling, es geht um folgendes …«

Ausführlich, mehrfach von Zwischenfragen des Polizisten unterbrochen, schilderte Dr. Albert Klein dem Beamten am anderen Ende der Leitung den Fall und erwähnte auch, dass dessen Kollege ganz plötzlich das nachgesuchte Tier als Wolf bezeichnet hatte.

»Ja und da der Wolf in Schleswig-Holstein ja nicht dem Jagdrecht unterliegt, werden der zuständige Revierpächter und auch ich natürlich uns hüten, jetzt nachdem wir von einem Wolf, statt einem angefahrenen und mutmaßlich wildernden Hund ausgehen müssen, hier noch etwas zu unternehmen. Wie bitte? Ja, auch ich halte es durchaus für möglich, dass es sich tatsächlich um einen verletzten Wolf handelt.«

Mit diesen Worten beendete Dr. Klein das Telefonat. Später stieß dann noch seine Frau Merle zu den Männern und infolge der geistigen Getränke, die eine Heimfahrt von Herrn und Hund mit dem Wagen selbstredend ausschlossen, musste Michaelis das Angebot annehmen, im Gästezimmer zu übernachten. Es wurde noch ein vergnüglicher Abend und am nächsten Morgen verabschiedeten sich nicht mehr die Herren Michaelis und Dr. Klein voneinander, sondern Gerd von Albert und Merle.

Auch Inka von der Senner Alm und Berry von Brachefelden hatten innige Freundschaft geschlossen.

Und jetzt nahmen die Dinge ihren Lauf.

Im Umweltministerium herrschte helle Aufregung. Schon auf dem Weg ins Amt wurde der den Grünen angehörende Minister verständigt. Eine Glanzleistung amtlicher und insbesondere ministerieller Arbeit sorgte dafür, dass noch am selben Tag eine »Task Force Wolf« unter Federführung des parlamentarischen Staatssekretärs gebildet wurde. Dieser gehörten auch ein Ministerialdirigent, ein Ministerialrat und der Leiter der Schleswig-Holsteinischen Landesforsten, gleich drei sogenannte Wolfsmanager, der stellvertretende Leiter des Veterinäramtes – der eigentliche Chef hatte just an diesem Morgen, kurz nach seiner Verständigung, festgestellt, dass ihn die Grippe gepackt hatte – sowie natürlich der Leiter des Landesamtes für Naturschutz und die unverzichtbaren absoluten Wolfsexperten von TINA (Tier-u. Natur e.V.) und Bund für Natur und Umwelt an. Auch die Arbeitsgemeinschaft Naturnahe Jagd in Schleswig-Holstein e. V. wurde selbstverständlich eingebunden. Nur der Landesjagdverband wurde nicht berücksichtigt, ja noch nicht einmal informiert. Präsident und Präsidium sowie Geschäftsführer erfuhren erst aus der Presse, was sich ereignet hatte. Häuptlinge waren also genug an Bord, nur die Indianer, die die eigentliche Arbeit vor Ort, beginnend mit der Nachsuche, also dem Aufspüren des verletzten Tieres, machen mussten, fehlten noch. An diese wurde, wie so häufig, zuletzt gedacht. Als man dann loslegen wollte, fiel schließlich doch noch auf, dass ja auch Personal für diese Tätigkeiten benötigt wurde.

So etwas soll ja schon öfter vorgekommen sein: Alle Führungsposten sind sofort besetzt, aber am Ende der Kommandokette der hochbesoldeten und schwer an ihrer Verantwortung tragenden Entscheidungsträger werden auch noch ein paar Leute benötigt, die die Ausführung vor Ort übernehmen.

Aber auch das wurde schließlich geschafft und drei Forstbeamte, darunter ein Schweißhundführer und der Amtstierarzt, sowie zur Absicherung ein Kleinbus mit Polizeibeamten konnten mit einem weiteren Tag Verzögerung tätig werden. Mit dem Schweißhund an der Spitze, geführt von Forstamtmann Kühn, den weiteren Forstbeamten und dem Amtsveterinär wurde nochmals die Fährte in Anwesenheit von Gerd Michaelis, den man immerhin verständigt hatte, dort aufgenommen, wo der Polizeibeamte Helmers so plötzlich zusammengebrochen war. Auch der von Gerd Michaelis verständigte Albert Klein und natürlich Jockel Buss hatten es sich nicht nehmen lassen, der Prozession zu folgen. Auch zwei der drei Wolfmanager, der Vizechef der allwissenden Ökojäger und natürlich die absoluten Experten von Bund für Natur und Umwelt und TINA trabten hinterdrein.

Der Ministerialrat, als Entscheidungsträger vor Ort, und der Chef der Landesforsten blieben im landeseigenen VW-Bus sitzen und stärkten sich mit Kaffee und belegten Brötchen, derweil sie über Funk Kontakt hielten.

»Ist ja ein gewaltiges Aufgebot«, meinte lachend Dr. Klein und grinste seinerseits den Revierinhaber Michaelis an. »Und, wie beurteilst du die Erfolgsaussichten, Gerd?« Dieser lachte unverblümt laut auf. »Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll? Wenn es um die Rettung eines Haustieres geht oder um leidendes und oft verhungerndes Vieh bei absolut ungeeigneten Tierhaltern, dauert es oft Wochen, bis etwas unternommen wird. Meist ist es dann ohnehin zu spät.«

»Da hast du ja so recht, mein lieber Gerd, aber hier wird es ja wohl auch zu spät sein. Entweder die Verletzung ist doch nicht so gravierend, was ich aber nicht glaube, dann ist der Wolf, wenn es denn einer ist, längst weitergezogen.« »Allerdings. Das sehe ich auch so und im anderen Fall ist er wohl bereits verendet, oder was meinst du?« Der Tierarzt nickte nur. »Weiß man es? So ein Tier steckt vieles weg, was uns längst erledigt hätte«, gab Jockel seinen Senf dazu.

Am selben Morgen standen in der Uniklinik in Kiel der Oberarzt und sein Stationsarzt am Bett des hier vor drei Tagen eingelieferten Polizeioberkommissar Peter Helmers. »Tja, Herr Helmers, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Wir haben nichts gefunden. Hohe Leberwerte, dazu passende ebenfalls erheblich zu hohe Werte bei den Blutfetten, aber nichts, was Ihren Zusammenbruch auch nur annähernd erklären könnte. Kein Herzinfarkt, kein Schlaganfall. Nichts was medizinisch erklärbar wäre.«

»Was soll das heißen?« »Das wir nichts, aber auch gar nichts, gefunden haben und sie nach Hause können.« »Soll das etwa bedeuten, dass Sie mich für einen Simulanten halten?« Pepe Helmers Kopf nahm wieder sichtbar an Volumen und auch an damit einhergehender Rotfärbung zu.

»Ach ja, man hätte vielleicht an einen Kreislaufzusammenbruch infolge hohen Blutdrucks denken können, wenn man Sie jetzt so betrachtet, aber dagegen spricht die Feststellung des Notarztes. Also ziehen Sie sich an. Wir brauchen jedes Bett dringend für wirklich Kranke!«

»Unerhört! Sie hören noch von mir!«, brüllte Helmers den beiden hinterher, als sich die Tür bereits geschlossen hatte und starrte dumpf vor sich hin. Irgendwie hatte er das ungute Gefühl, dass sich etwas Bedrohliches über seinem Kopf zusammenbraute.

Die Nachsuchenden verharrten gespannt, als der Forstamtmann seinen Hund zurückrief und zuerst allein, dann gemeinsam mit seinen Kollegen von den Landesforsten eine Stelle an einem kleinen Bach genauer in Augenschein nahm. »Hier ist der Wolf über den Bach gegangen«, erklärte der Hundeführer und musterte den Wasserlauf. Hoffentlich sacken wir nicht über die Stiefel weg. Nützt ja nichts, wir müssen hinüber!« Der Hannoveraner Schweißhundrüde hatte keine Probleme mit der Überwindung des nassen Hindernisses. Sein Führer schon eher. »Scheiße, verdammte Scheiße!« Unüberhörbar fluchte er, als das Wasser in seinen rechten Stiefel floss.

Auf nasse Füße standen die Herren nicht. »Hier gibt es doch bestimmt einen Übergang, einen Steg oder sowas?« Als niemand antwortete, wandte sich der Forstrat direkt an Michaelis. »Das hier ist doch noch ihr Revier. Sie müssen das doch wissen!« »Tue ich auch«, antwortete der, »brauchen wir aber nicht, denn zehn Meter zurück ist eine schmale Stelle, wo wohl jeder rüberhüpfen kann.«

Er voraus, dann Jockel und Dr. Klein gingen ein paar Meter zurück, wo der Wasserlauf wohl nur noch an die knapp zwei Meter breit war. Mit kühnem Anlauf setzte Gerd hinüber und war froh, dass es geklappt hatte. Ganz so sicher, wie er tat, war er beileibe nicht gewesen. Dr. Klein, der ja wesentlich jünger war, hätte wohl auch eine doppelte Weite problemlos gemeistert. Nur Jockel, der mit den Jahren noch etwas mehr geschrumpft war, hatte leichte Probleme, wurde aber auf der anderen Seite so in Empfang genommen, dass auch ihm eine unliebsame Erfrischung erspart blieb.

Der jüngere Förster kam auch gut rüber, ebenso der Ökojäger. Die anderen verzichteten auf die sportliche Übung und schimpften auf Michaelis, der so tat, als höre er ihre Rufe nicht, die ihn aufforderten, ihnen die Richtung nach dem nächstgelegenen Übergang zu weisen.

Die Rufe verstummten und weiter ging es – aber nicht mehr sehr weit. Dreihundert Meter weiter hatte die Suche ihr Ende gefunden. Unter einer bis tief auf den Boden beasteten Fichte lag zusammengekrümmt die nachgesuchte Kreatur. Mühsam gelang es dem Förster, seinen Schweißhund davon abzubringen, den toten etwas entfernteren Artgenossen näher zu untersuchen.

Schnell gab er die Meldung per Funk durch. »Ja, ja ich habe verstanden. Jawohl, ich pass auf – Ende!«

Der Beamte steckte das Funkgerät weg und verkündete. »Niemand darf die Kreatur berühren. Alles Weitere übernehmen der Amtstierarzt und seine Behörde!«

»Na, denn mal viel Spaß«, verabschiedeten sich Michaelis und auch Dr. Klein.

»Und, Albert, was meinst du? Ist das nun ein Wolf oder nicht?«, fragte Gerd seinen neu gewonnenen Freund auf dem Weg zu den Fahrzeugen.

»Auf den ersten Blick kann ich das unmöglich sagen, aber vieles spricht wohl schon dafür«, lautete die Antwort, »auch meine hochgeschulten Kollegen werden sich erst nach Auswertung der DNA festlegen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Es ist dann ja auch noch die Frage, woher kommt das Tier? Aus unseren neuen Ländern, aus einem Zoo, der den Ausbruch nicht gemeldet hat oder gar aus einem privaten Gehege? Heute ist doch wirklich rein gar nichts mehr unmöglich. Wenn du einmal hören würdest, was an Tieren alles so in Privathaushalten, auf größeren Grundbesitzen oder in Gehegen gehalten wird – du glaubst es kaum!«

»Och, ich bin Anwalt. Es gibt nichts, was ich nicht glauben könnte. Was meinst du wohl, Albert, was mir in den vierzig Jahren alles so von Mandanten aufgetischt wurde?«

Nach einigen Anekdoten beiderseits kamen sie dann wieder auf das Thema Wolf zurück.

»Dann geht jetzt wohl der Ärger richtig los«, knurrte Gerd und trat wütend einen größeren Stein beiseite.

»Da kannst du sicher sein!«, bekräftigte sein neuer Freund Albert.

Diese Prognose war alles andere als übertrieben. Die Bergung des mutmaßlichen Wolfskadavers, wie auch alles das, was folgte, wäre einer Morduntersuchung mehr als würdig gewesen.

Die Obduktion, für die die Tiermedizinische Hochschule Hannover bemüht wurde, ergab eindeutig als Todesursache die Schussverletzung aus einer Jagdwaffe. Da bei der teuren Untersuchung keine Kosten gescheut wurden, wurde auch festgestellt, dass es sich wohl trotz der Tatsache, dass keine Geschosssplitter gefunden wurden, wohl nicht um eine Vollmantelvariante, sondern ein Zerlegungsgeschoss gehandelt haben dürfte, da Bleiabrieb gesichert werden konnte. Den Zusammenprall mit dem Pkw hingegen hätte der Wolf überlebt und den nur angebrochenen, aber zudem stark geprellten Hinterlauf wohl ziemlich folgenlos ausgeheilt. Auch das Kaliber konnte unschwer als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit sieben Millimetern dokumentiert werden. Als diese Daten in Funk, Fernsehen und auch den Printmedien marktschreierisch mit Fingerzeig auf die bösen Jäger verbreitet wurden, war das für die meisten Menschen ohnehin schon klar. Schließlich hatten bis auf ganz wenige, als absolut seriös zu bezeichnende Medien und noch weniger Politiker, bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Wolfsmordes nicht nur alle interessierten Kreise, sondern auch die meisten Bürger verallgemeinernd die Jäger als die Schuldigen ausgemacht. In vorderster Front der Ankläger standen, wen wundert’s, Die Grünen, Bund für Natur und Umwelt, TINA und natürlich die sogenannten Tierrechtler. Die Einen forderten lückenlose Aufklärung, die Anderen sogar Verbot der Jagd insgesamt und dazu die anonyme Aufforderung im Internet Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

In den regionalen Sendern traten sich bei Interviews und Talkrunden die üblichen Verdächtigen, also die selbsternannten Experten, die von Bund für Natur und Umwelt und TINA und den allgegenwärtigen Parteien, gegenseitig auf die Füße. Auch die Öko-Jäger wurden eingeladen. Aber nur sehr wenige der Medien dachten auch an den Landesjagdverband. Dort, wo Präsident und Geschäftsführer auftreten durften, hatten sie es naturgemäß mehr als schwer und wurden gnadenlos von der hetzenden Mehrheit niedergemacht.

Aber auch die strafrechtlichen Ermittlungen liefen natürlich an. Auch hier wurden keine Mühen gescheut. Die eingerichtete Sonderkommission – die eigentlich zuständige Dienststelle reichte auf politischen Druck wohl nicht aus – wurde entsprechend verstärkt durch einige Spezialisten und natürlich die Beamten vor Ort. Auch der wundersam schnell genesene Polizeioberkommissar Helmers und sein Kollege auf der Station, Polizeihauptmeister Peter Schnack, wurden als örtlich zuständig eingebunden. Auf die dienstliche Aufforderung, zu den Vorwürfen, er habe bereits gewusst, dass es sich um einen Wolf handele, Stellung zu nehmen, hatte er sich dahingehend geäußert, dass hier nur ein Missverständnis vorliegen könne. Er habe natürlich nicht gewusst, dass es sich um einen Wolf handelte, wohl aber wegen der grauen Haare, die er ja verantwortungsbewusst und erfahren, wie er nach fünfunddreißig Dienstjahren war, am Unfallort gesichert hatte, ganz kurz an einen Wolf gedacht. Deshalb hatte er ja auch so umfassende Untersuchungen, einschließlich begonnener Nachsuche, durchgeführt. Schließlich wisse man jetzt, dass es tatsächlich sich um einen Wolf handelte, der von dem Mercedes angefahren worden war, was ja auch zum erheblichen Teil ihm zu verdanken sei.

Der grüne Umweltminister und mit ihm seine Gesinnungsfreunde bedauerten lautstark den Tod des Wolfes und versprachen umfassende Aufklärung. Zudem sahen sie sich bestätigt, dass es Lebensraum für Wölfe auch in Schleswig-Holstein gäbe.

Der weitaus überwiegende Teil der Jägerschaft bedauerte das Ereignis ebenso. Kaum ein Jäger würde absichtlich einen Wolf schießen. Einerseits war klar, dass dieser sich kaum lange in den kleinen Revieren aufhalten würde, sondern wohl nur durchzieht. Der Schaden dürfte sich also absolut in Grenzen halten. Das scharenweise Auftreten der ganzen Wolfologen, wie viele Jäger die Wolfsmanager und sonstigen Wolfsfreunde spöttisch nannten, würde aber ungleich negativere Auswirkungen auf die kleinen Reviere haben und eher das Wild vertreiben, als es denn einem durchziehenden Wolf gelingen könnte.

So dachte auch Michaelis. Hätte er gewusst, dass es sich um einen Wolf handelt, der das Reh verfolgt, hätte er wohl kaum oder allenfalls in die Luft – oder besser den Boden, um Abpraller zu vermeiden, geschossen – wenn überhaupt.

Jetzt allerdings nahmen die Dinge ihren Lauf. Natürlich wurden aus ermittlungstaktischen Gründen nicht alle Einzelheiten des Obduktionsergebnisses veröffentlicht, so insbesondere nicht, dass ein Geschoss, oder auch ein Rest davon, nicht sichergestellt werden konnte. Vielmehr wurde öffentlich gemacht, dass es sich um ein Geschoss im Kaliber von sieben Millimetern handele, dass einer gängigen Jagdwaffe zugeordnet werden könne, verbunden mit dem Aufruf, der Täter möge sich stellen, um insoweit zumindest sogenannte tätige Reue zu beweisen, was bekanntlich bei der Strafzumessung stets positiv berücksichtigt wird.

Auf Wölfe schießt man nicht

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