Читать книгу Der Club der scharfen Tanten - Heinz-Dietmar Lütje - Страница 5
ОглавлениеEs gibt wohl kaum jemanden auf der Welt, der noch nie von Hamburg gehört hat, der größten und bedeutendsten deutschen Hafenstadt, dem Tor zur Welt. See- und Sehleute denken hierbei vielleicht auch sofort an die berühmtesten Attraktionen, wie die sündigste Meile der Welt im Stadtteil St. Pauli, um die berüchtigte Reeperbahn herum. Fußballfreunde vielleicht an den HSV, den Hamburger Sport Verein, andere wiederum an das Hamburger Wahrzeichen, den Michel oder auch die berühmte Davidwache, dass wohl bekannteste Polizeirevier Deutschlands, wenn nicht vielleicht der Welt.
In jeder Großstadt gibt es aber auch Clubs, Vereine, Stammtische oder ähnliche Institutionen, denen anzugehören in bestimmten Kreisen die Wichtigkeit der eigenen Person deutlich herausstreicht, wovon zumindest die jeweiligen Mitglieder selbst überzeugt sind.
Je nach Neigung oder auch Geldbeutel mag manchem sich wichtig nehmenden Zeitgenossen bereits die Mitgliedschaft im derzeit angesagten Golfclub das Gefühl vermitteln, deutlich aus der Masse herauszuragen. Für andere wiederum muss es schon die Mitgliedschaft in einer der immer noch mehr oder weniger geheimnisumwitterten Logen sein, oder auch ein Vorstandsposten in einem der drei bis vier Clubs, in denen die vermeintliche Elite sich die Mitgliedschaft vorbehält. Aber fast immer sind es die Herren der Schöpfung, die auf diese Weise die eigene Wichtigkeit herauszustreichen bemüht sind. In den meisten dieser, früher einmal durchaus zumindest teilweise elitären, Vereinigungen triumphiert aber heute das Geld des millionenschweren Baulöwen oder reich gewordenen Spekulanten über die Honorigkeit des ehrlichen hanseatischen Kaufmanns, Klinikchefs oder Richters.
Vor einigen Jahren geschah aber dann bemerkenswertes in der Szene, die im wahrsten Sinne des Wortes um eine Attraktion reicher wurde. Einige der jüngeren Ehefrauen der sogenannten Oberschicht beschlossen, es den beruflich angespannten und die kärgliche Freizeit lieber dem Vereinsleben, Freundeskreis oder auch der Geliebten widmenden Ehemännern gleichzutun. So entstand der Stammtisch Ladies Power. Soweit die vielbeschäftigten Männer dieses überhaupt mitbekamen, belächelten sie entweder die Tatsache, dass die Gattin sich jetzt an dem einen oder anderen Tag in der Woche mit ihren Freundinnen nicht mehr nur zum Shoppen oder Kaffeetrinken traf, sondern stattdessen in einem langsam wachsenden Kreis am Damenstammtisch. Andere ermunterten ihre Frauen geradezu, diesem Stammtisch beizutreten, in der Hoffnung, dass so ein Stammtischabend das Kreditkartenkonto wesentlich weniger belasten würde, als die ausufernden Shoppingtouren der besseren Hälfte. Zunächst waren es nur vier oder fünf Damen der besseren Gesellschaft, die Gründungsmitglieder dieses Stammtisches, der bald unter vorgehaltener Hand in gewissen Kreisen der „Club der scharfen Tanten“ genannt wurde.
Anfangs mag es so gewesen sein, dass sich die Damen reihum in den Villen, Penthäusern oder sonstigen Orten trafen, die von ebenso nobler, wie auch teurer, Wohnkultur zeugten. Aber das änderte sich bald. Denn den Damen stand nicht nur der Sinn nach Kaffeetrinken, gehobenem Smalltalk oder gemeinsamen Einkaufsorgien. Wobei, Orgien war gar nicht einmal so verkehrt, schließlich wollten sie es ihren Ehemännern gleichtun. Denn, dass die Herren der Schöpfung durchaus nicht nur Geschäfte im Sinn hatten, war den Damen schon klar – und es dauerte auch gar nicht einmal lange, bis sich ihr Verdacht mehr als nur bestätigte.
Am frühen Dienstagabend im Juli, die Sonne brannte noch richtig heiß vom heute fast wolkenlosen Himmel, trafen sich in ihrem Stammcafé an der Außenalster zunächst die Notarsgattinnen Etta von Tarla-Hippenstedt und Helga Altmann. In Anbetracht des wirklich schönen Sommerabends beschlossen die Damen, sich auf die luftige Außenterrasse zu begeben. Mit gewinnendem Lächeln bot ihnen der Inhaber einen der schönsten, zudem noch etwas separat gelegenen Tische an. „Erwarten Sie noch die anderen Damen?“, erkundigte sich der kleine, aber stets freundliche Gastronom, der einen Großteil seiner bekannten Köstlichkeiten aus Küche und Backofen selbst kreiert hatte.
„Verabredet ist eigentlich nichts, aber ich glaube schon, Herr Hämmerle“, nickte ihm Etta v. Tarla-Hippenstedt freundlich zu und bestellte eine Flasche Jahrgangs-Champagner und zunächst zwei Gläser. Noch bevor die prickelnde Flüssigkeit, zum noch prickelnderen Preis, serviert wurde, zündete sich die Mitbegründerin des Stammtisches „Ladies Power“ eine ihrer geliebten, überlangen, schwarzen Zigaretten an. Die etwas jüngere und auch etwa fünf Zentimeter kleinere Helga Altmann lehnte die dargebotene Packung dankend ab. Sie rauchte nur gelegentlich. Etta hingegen brauchte mindestens eine Packung pro Tag, manchmal auch mehr. Endlich kam der kleine Österreicher, der es sich nicht nehmen ließ, seine bevorzugten Gäste, wann immer dieses möglich war, auch einmal selbst zu bedienen, und schenkte in die geschliffenen Kristallschalen ein. Während die vollbusige, rothaarige Helga nur an ihrem Glas nippte, schüttete Etta den teuren Stoff in einem Rutsch hinunter und schenkte sich sofort nach. Mit der nächsten Füllung verfuhr sie ebenso. Wen wundert’s, dass Helga daraufhin ihre Freundin verwundert ansah.
„Entschuldige, aber das brauchte ich jetzt“, entgegnete diese und nahm einen weiteren, hastigen Zug aus ihrer Zigarette und inhalierte tief. „Dass unsere Göttergatten ihre Fleischeslust anderweitig befriedigen, wissen wir ja, dass mein lieber Falk aber jetzt auch ohne mich und die Kinder in Urlaub fahren will, das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus“, ereiferte sich die zweifache Mutter und Gelegenheitsjournalistin.
Auch Helga schien überrascht: „Was? Ich denke, ihr habt für euch vier eine Kreuzfahrt im Mittelmeer gebucht?“
Etta füllte ihr Glas zum dritten Mal, nahm jetzt aber nur einen Schluck und bestätigte: „Haben wir, haben wir. Bereits im April. Die Kinder und ich sollen auch fahren, aber ohne ihn. Angeblich braucht er einfach einmal seine Ruhe und muss weg von Büro und auch Familie. Sonst bricht er zusammen, der arme Kerl. Vom Burn-out-Syndrom bedroht, wie er meint. Geht es deinem Hanno vielleicht ähnlich?“
„Wenn du ihn fragst, dann ganz bestimmt“, lachte Helga Altmann, „aber wir urlauben schon lange getrennt. Mark ist ja schon erwachsen und studiert jetzt im ersten Semester in Marburg und Doreen und ich, wir fliegen ohnehin meist im Herbst nach Gran Canaria und waren jetzt im Sommer gerade zwei Wochen bei meinen Eltern auf Usedom. Hanno fährt ja mit seiner Golftruppe viermal im Jahr für jeweils eine Woche irgendwohin. Mir auch egal. Zwischen uns läuft eh nichts mehr.“
„Eben, genau wie bei uns. Zum Juristenempfang, Sportlerball oder sonstigen offiziellen Gelegenheiten wird die heile Familie präsentiert, sich ins rechte Licht gesetzt und ansonsten in der Gegend rumgefickt“, ereiferte sich Etta und nahm den letzten Schluck aus ihrer Schale, während ihre Freundin gerade ihr erstes Gläschen geleert hatte.
„Aber jetzt habe ich die Schnauze voll“, fuhr sie nicht so ganz damenhaft fort, während sie die fast geleerte Flasche mit erhobenem Arm kreisen ließ. „Jetzt lass ich es genauso krachen. Da werden sich noch einige wundern. Solltest du dir auch mal überlegen, Schätzchen!“
Überlegt hatte „Schätzchen“ sich das auch bereits. Mehrfach, um nicht zu sagen, fast täglich.
Aber sie war etwas anders gestrickt, als ihre Freundin Etta. Zwar hatte auch sie es – wer will es ihr verdenken – nicht nur einmal außerehelich bereits krachen lassen. Aber nur zur Befriedigung ihres Hormonhaushaltes und Selbstwertgefühls. Und nur mit Männern, deren Diskretion sie sich sicher sein konnte. Aber es war nur einer dabei, der ihr tatsächlich was bedeutet hatte und der, der stand nicht mehr zur Verfügung, weil ihn sein beruflicher Werdegang nach Amerika geführt hatte. Ihre Gedanken drohten abzuschweifen – hin zu ihrem verflossenen Liebhaber, einem Investmentbanker – als Ettas Stimme sie in die Gegenwart zurückrief.
„Gib schon dein Glas her, die nächste Flasche rollt an!“
Die vierzigjährige Helga Altmann trank gehorsam aus und hielt das geleerte Glas ihrer vier Jahre älteren Freundin hin. Wenn Etta erst so ins Fahrwasser geriet, dann gab es kein Halten mehr. Das kannte sie. Und das kannte auch der Betreiber der angesagtesten Lokalität weit und breit, das eigentlich Café, Weinlokal, Spezialitätenrestaurant und Biergarten in sich vereinigte und demnächst auch noch eine Kellerbar erhalten sollte. Wenn Etta und ihre Damen vom Stammtisch „Ladies Power“ sich trafen, dann klingelte es in der Kasse. Eilfertig trabte er heran, die bereits geöffnete Flasche im frischgefüllten Kühler. „Sehr zum Wohl, meine Damen“, mit diesen Worten entfernte sich Bogomil Hämmerle, der seinen Vornamen nun so gar nicht leiden konnte, weshalb er von Freunden nur kurz „Bo“ genannt wurde.
Etwas später am Abend – und einige Drinks weiter – musste Etta v. Tarla-Hippenstedt in vergrößerter Runde erfahren, dass ihre Stammtischschwestern auch so ihre Probleme hatten. Größere als sie selbst, wie sie schließlich zugestehen musste.
„Ach, Ladies, ihr habt Sorgen“, erlaubte sich die, mit sechsundzwanzig Jahren Jüngste im Bunde, sie zu unterbrechen. Erika Boll hatte in diesen elitären Club eigentlich nur Aufnahme gefunden, weil sie Etta und Helga und auch zwei weitere Damen in dem überteuerten Salon eines Starfriseurs bedienen durfte, wenn der Meister ausfällig war, was aufgrund seines Hanges zu Prickelwasser und Schneepulver immer häufiger der Fall war. Als die Damen der Gesellschaft dann auch noch – und das übereinstimmend – der Meinung waren, dass Erika sie besser stylte, als der hochgerühmte Haarkünstler, überredeten sie sie, sich selbstständig zu machen, zumal sie ihre Meisterprüfung bereits in der Tasche hatte.
„Wieso mph?“ Etta hatte bereits leichte Schwierigkeiten, sich klar zu artikulieren. „Dir geht’s doch gut. Dein Kerl hat sich am Brückenpfeiler verabschiedet. Kinder hast du keine … mph, dafür aber einen einträglichen Salon.“
„Ja, noch“, seufzte das Küken, wie sie von den älteren Stammtischschwestern immer einmal wieder tituliert wurde.
„Was ist?“, wandte sich Helga Altmann erst an Erika, dann an die insgesamt mittlerweile versammelten sechs Damen, die sich am Stammtisch untereinander als Ladies oder Members zu bezeichnen pflegten. „Nun lasst uns doch erst mal hören, was für Sorgen unsere Erika plagen?“
Endlich konnte diese sich der Aufmerksamkeit der anderen sicher sein und begann, von Schluchzen unterbrochen, zu berichten.
Dass ihr Göttergatte nur Schulden hinterlassen hatte, als er sich nach der neuesten Pleite mit einer EDV-Dienstleistung mitsamt dem noch nicht bezahlten BMW um einen Brückenpfeiler gewickelt hatte, war bekannt. Deshalb hatte ihr die Anwältin unter den Mitgliedern auch geraten, die Erbschaft auszuschlagen, was sie auch tat. Allerdings hatte sie vergessen zu erwähnen, dass sie für seine letzte Idee und den dafür benötigten Kredit als Bürgin eintreten muss.
Aus dieser Bürgschaft wurde sie nunmehr in Anspruch genommen. Dazu kam noch die Tatsache, dass sie diese Verpflichtung bei ihrem Kreditantrag für den eigenen Frisiersalon zu erwähnen vergaß. Nicht einmal aus Berechnung, sondern schlicht aus Vergesslichkeit. Die Bank allerdings nahm diese Tatsache jetzt zum Anlass, den Kredit zu kündigen und die Rückzahlung sofort fällig zu stellen.
Betretenes Schweigen breitete sich für einen Moment aus, bis dann alle gleichzeitig ihr Mitgefühl bekundeten. „Schade, dass Nadine nicht da ist, die sollte dir doch helfen können“, machte Helga Altmann einen ersten Vorschlag.
„Quatsch“, kam es – schon ziemlich undeutlich – aus Ettas mit neuen Porzellankronen versehenem Munde, „da kann unsere Scheidungstante auch nicht helfen. Um wie viel geht es denn?“
„Insgesamt?“ Fast schamhaft leise erfolgte die Rückfrage von Erika.
„Natürlich, alles was du an Schulden hast!“
„Zweihundertzwanzigtausend Euro.“
Während Helga einen überraschten Laut hören ließ, schwiegen die restlichen Damen. Bis auf Etta, die sich mit einem weiteren großen Schluck stärkte, das geleerte Glas vor sich auf dem Tisch abstellte und erneut die wiederum leere Flasche aus dem Kühler nahm und kreisen ließ, dabei aber gleichzeitig feststellte: „Na, das ist ja überschaubar.“ Sie vergewisserte sich vorsorglich, dass der Wunsch nach Nachschub an flüssiger Nahrung angekommen war und meinte dann locker, wenn auch leicht lallend: „Hi, Anne, da musst du deinen Olaf anstoßen, dass sollten doch für ihn kleine Fische sein!“
„Ja, klar doch, für was hast du einen Banker geheiratet?“, kommentierte Henni, die durchtrainierte Kampfsportlerin, die richtig Henriette Hähnlein hieß, was ihr schon immer Kummer bereitet hatte. Besser zu ihr passte schon ihr Geburtsname, der da „Eisenhart“ lautete. Und eisenhart konnte sie auch sein, wenn es darauf ankam. In manchen, meist den sogenannten besseren Kreisen, war sie nur unter ihrem Künstlernamen „Madame Chantal“ bekannt. Auch sie hatte vor fast zwanzig Jahren, jung und unerfahren, den Fehler begangen, den falschen Mann zu heiraten, der auch wenig vom Arbeiten hielt, aber viel für Geld übrig hatte. Was schließlich dazu führte, dass er sie, nachdem sanfter Druck nicht reichte, ganz massiv, auch unter Einsatz körperlicher Gewalt, zum Anschaffen auf die Straße schickte.
Dann – nach einigen Jahren – war ihr ehelicher Zuhälter plötzlich verschwunden und tauchte erst Tage später, als Wasserleiche in der Elbe treibend, wieder auf. Der oder die Täter wurden nie ermittelt. Eine Abrechnung im Milieu, hieß es und schließlich wurde die Akte geschlossen. Henriette aber beschloss nun ihre erworbenen Kenntnisse zu nutzen, ohne sich selbst benutzen zu lassen und eröffnete kurz darauf in einer kleinen Mietwohnung in einem anonymen Hochhaus ihr erstes Domina-Studio. Mittlerweile hatte sie eine kleine Villa in der Sierichstraße gemietet und beschäftigte jetzt auch einige Damen, die sie in ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit tatkräftig unterstützten. Sie selbst behandelte, besser gefiel ihr der Ausdruck therapierte, nur noch die Creme de la Creme.
Annemarie Felten hob die Hand und wartete einen kleinen Moment, bis Ruhe eingekehrt war, was deshalb etwas länger dauerte, weil der Wirt und einer seiner Kellner die nächsten Einheiten an flüssiger Verstandsnahrung servierten. Endlich konnte sie, nach bedauerndem Kopfschütteln, vorbringen, dass es ihr Olaf wohl kaum richten würde. „Tut mir schrecklich leid, Ladies, aber meinen Olaf könnt ihr insoweit vergessen. Der hat genug Sorgen mit sich selbst.“
„Äh, wieso denn das?“, fragte Helga Altmann überrascht nach.
„Na, ich hatte doch angefragt, ob wir die Frau von dem Staatsrat Hammerschmidt bei uns aufnehmen, was ihr ja abgelehnt habt.“
„Das war doch wohl auch ein Witz … mph … oder was?“ Ettas promillebedingte Sprachprobleme waren nicht mehr zu überhören. „Diese dürre Gi… Giraffe mit ihrem grrmh Faltenhals … Das geht doch gar nicht.“
„Stimmt, hast du – habt ihr ja alle recht mit eurer Ansicht. Aber die Bank hat jetzt, ganz aus heiterem Himmel, eine Steuerprüfung bekommen … und, naja, offenbar haben die auch was gefunden; und Olaf gibt jetzt mir die Schuld.“
„Das ist ja ein Hammer, genau wie bei mir!“ Dieser Satz entfuhr, gar nicht geplant, sondern mehr aus der Überraschung geboren, Helga Altmann, die daraufhin einen kräftigen Stoß von ihrer Freundin Etta erhielt. Begleitet von den nur noch schwer verständlichen Worten: „Was, äh … mmh, wieso weiß ich nichts da … äh … von?“
Nun war es zu spät, jetzt musste Helga mit der Sprache heraus. Sie stärkte sich mit einem kräftigen Schluck und erklärte: „Genauso wie die Hammerschmidt-Stute mit ihrem knochigen Gerippe und ihrem Pferdegebiss haben wir“, sie unterbrach sich, „habt ihr doch auch die Aufnahme von Heidelinde Bollmann abgelehnt. Ihr erinnert euch?“
„Klar doch – und ob – die passt doch auch wirklich nicht zu uns.“ So und ähnlich kamen die Bestätigungen der Ladies. „Soll das etwa heißen, dass dein Hanno und Ettas Falk jetzt auch das Finanzamt auf den Hals gehetzt bekommen haben?“, kombinierte die Journalistin und Buchautorin Rita Schaller, bereits eine tolle Story von Behördenfilz und Amtsmissbrauch witternd.
„Nein, das nicht, aber Bollmann, der ja Falk und Hanno laufend die Kaufverträge anschleppt, der will sich einen neuen Notar suchen. Und“, setzte sie jetzt noch hinzu, „wenn das passiert, will Hanno mir die Kohle zusammenstreichen.“
Erneut ereiferten sich die Ladies über ihre und auch die Männer im Allgemeinen. Ein ohnehin unerschöpfliches Thema.
Was sie alle nicht bemerkten, war eine allein an einem entfernten Tisch sitzende, teuer gekleidete, aber ansonsten eher alles andere als einen Blickfang darstellende Frau. Seit zwei Stunden saß sie da auf ihrem Platz an einem kleinen Tisch, in einer kaum einsehbaren Nische der Terrasse, von dem sie zwar einen Blick auf den Tisch der Ladies erhaschen, von diesen aber kaum gesehen werden konnte.
„Da müssen wir gegenhalten. Außerdem habe ich eine Neuigkeit für euch alle, die wir aber in Ruhe diskutieren müssen. Ich schlage daher vor, dass ich eine Rundmail noch heute herausgebe und wir uns am Donnerstag gegen neunzehn Uhr hier wieder treffen. Bis dahin sollte jede sich überlegen, was wir für Anne und Helga – und natürlich auch für Erika – unterstützend tun können?“ Rita Schaller schaute in die Runde und nahm zufrieden die allgemeine Zustimmung der Ladies zur Kenntnis. Kurz darauf verabschiedeten sich die Damen und zahlten. Bei der nicht mehr ganz auf sicheren Beinen stehenden Etta von Tarla-Hippenstedt dauerte alles etwas länger. Dann stolzierte auch diese Richtung Parkplatz hinaus.
Mit Befriedigung nahm dies die einzelne Frau in der Nische zur Kenntnis, erhob sich und trat ins Licht, als sie ihre zwei getrunkenen Mineralwässer bezahlte. Ein langes, irgendwie abweisend wirkendes, Gesicht mit kalten, graublauen Augen, trotz teuerster Friseurbesuche strohig aussehendem, mehr gelb als blond wirkendem Haar saß auf einem langen, dürren und von Falten durchzogenen Hals. Darunter eine hochgewachsene, knochige Gestalt, die weder Busen, noch Po auch nur erahnen, sondern Erinnerungen an eine hölzerne Wäschestütze aufkommen ließ. Ein hämisches Grinsen legte sich auf ihre maskulin wirkenden Gesichtszüge, als sie Etta auf unsicheren Beinen ihr rotes Mercedes-Cabrio ansteuern sah.
Bei diesem, in teurer Damengarderobe daherkommenden Wesen handelte es sich um Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume, die Gemahlin von Dr. Peter Hammerschmidt, dem Staatsrat im Finanzresort, dem gute Chancen nachgesagt wurden, demnächst seinen Chef als Finanzsenator abzulösen, der sich altersbedingt zurückziehen wollte.
Frau Dr. jur. Hammerschmidt-Blume, geb. Blume, gehörte seit Geburt dem Hamburger Geldadel an. Ihr Urururgroßvater, Aaron Blume, hatte zu Kaiser Wilhelms Zeiten das Bankhaus Blume gegründet, das dann in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Nazis umbenannt wurde, nachdem der damalige Inhaber, ihr Urgroßvater, noch rechtzeitig nach Amerika emigrieren konnte, als er die Bank an ein Konsortium hoher Parteifunktionäre zu einem Spottpreis verkaufen musste. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten dann ihr Urgroßvater und dessen Sohn, ihr Großvater, gemeinsam mit einem anderen Emigranten, Carl Silberzweig, das „Bankhaus Blume, Silberzweig & Söhne“ neu an alter Wirkungsstätte am Ballindamm eröffnet. Vorausschauend rechtzeitig zur Währungsreform, was wohl den schnellen Aufstieg der Bank und die überaus erfreuliche Vermögensmehrung der Inhaber erheblich beschleunigt hatte. Auch heute noch war die Bank, die jetzt als „Bankhaus Blume, Silberzweig, Kropf Nachfolger KG a. A.“ firmierte, ein überaus renommiertes Geldinstitut, dass sich seine Kunden nicht nur aussuchen konnte, sondern es auch tat. Wer bei dieser altehrwürdigen und über alle Skandale erhabenen Privatbank seine Konten führte, war allein deshalb über jeden Zweifel – zumindest, was seine Kreditwürdigkeit betraf – erhaben. Allein deshalb hatte auch die vierzigjährige Sieglinde nicht den geringsten Zweifel, dass sich die Damen des derzeit bedeutendsten Damen-Stammtisches um ihre Aufnahme reißen würden. So verstand sie die Welt nicht mehr, als ihr Etta v. Tarla-Hippenstedt mitteilte, dass es für ihre Aufnahme nicht das erforderliche einstimmige Votum der Ladies gegeben habe. Es dauerte eine ganze Weile, bis die, nun wirklich alles andere als begriffsstutzige, zukünftige Erbin eines der größten Vermögen der Hansestadt erfasste, dass sie abgewiesen worden war. Ihr ohnehin nicht gerade schönes Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze, als sie, rot angelaufen und mit Tränen der Wut in den Augen verkündete: „Dann eben nicht! Wer eine Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume derart zurückstößt, sollte es sich auch leisten können. Können Sie das wirklich?“
Seit diesem Tage sann sie auf Rache. Diese Schmach erforderte drastische Vergeltung. Dass die Ablehnung nicht nur ihrer äußeren Erscheinung, wie sie vermutete, zuzuschreiben war, sondern – und als wichtigstem Grund – auch ihrem herrschsüchtigen und stets fordernden und andere herabwürdigenden Verhalten, auf diesen Gedanken wäre die, zwar hochintelligente, aber absolut kritikresistente Egomanin nie gekommen.
Auch ahnte sie nicht, dass Dr. Peter Hammerschmidt vor zehn Jahren lange, schlaflose Nächte mit sich gerungen hatte, dann aber dem Wunsch nach politischer Karriere und reichlichem Geldsegen erlegen war. Immerhin war die Ehe auch nach zehn Jahren kinderlos geblieben. Eine Tochter als jüngeres Ebenbild der Xanthippe von Mutter hätte er auch nicht ertragen. Auch so überfiel ihn immer wieder ein kalter Schauer des Gruselns, wenn er sich nach einem langen Tag, mit netter abendlicher Gesellschaft, dann doch neben Sieglinde ins Bett legen musste. Jedenfalls versuchte sie nicht mehr, ihn zum ehelichen Beischlaf zu bewegen, was seine bereits aufgekommenen Suizidgedanken seltener werden ließ.
Dafür hatte sie ihm jetzt ihr Leid geklagt, was ihr mit der Verweigerung ihrer Aufnahme in den Damenstammtisch, von dem die ganze Hansestadt sprach, angetan worden war. Etwas Ruhe hatte der geplagte Mann sich damit erkauft, dass er eine Steuerprüfung bei der von Dr. Olaf Felten geleiteten „Hanseatischen Bürger- und Geschäftsbank“ auf Umwegen angestoßen hatte. Sieglinde meinte nämlich, dass dessen Frau Annemarie, hinter ihrer Ablehnung steckte.
Diese hatte jetzt hoffentlich Ärger bekommen. Nicht genug, aber immerhin. Jetzt sollte Etta von Tarla-Hippenstedt büßen. Wie kalt hatte diese dumme Schnepfe sie abgefertigt?
Aber jetzt war sie dran. Ein von Herzen kommendes, boshaftes Auflachen konnte Sieglinde kaum unterdrücken, als Etta startete und mit Mühe die schmale Ein- und Ausfahrt passierte.
Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume folgte ihr in ihrem grünen BMW-Coupé und nestelte in ihrer Handtasche nach dem Prepaid-Handy, das sie sich beim letzten Flohmarktbesuch geleistet hatte. Sicher geklaut und nur noch zwei Euro Guthaben, aber für den beabsichtigten Zweck bestens geeignet, da Rückschlüsse auf sie vermieden wurden. Ihr eigenes Handy oder auch das Autotelefon konnte sie natürlich nicht benutzen um die Polizei zu verständigen. Zumindest nicht anonym, da auch bei Rufnummernunterdrückung bei den Notrufzentralen die Klarnummer des Anrufers auf dem Display erschien, wie sie als Juristin nur zu genau wusste.
Sie tippte und vergewisserte sich, dass die Zahlen 110 auf dem Handy aufleuchteten. Kaum war der grüne Hörer gedrückt, da meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen eine weibliche Stimme: „Polizeinotruf!“
„Ja, ich wollte nur melden, dass vor mir ein rotes Mercedes-Cabrio in Schlangenlinien unterwegs ist!“
„Ja, und wer sind Sie?“, klang die Stimme der Einsatzleitstelle der Polizei aus dem Mobiltelefon.
„Das tut nichts zur Sache. Hauptsache, Sie holen diese Person von der Straße!“, verweigerte Sieglinde die Auskunft und gab noch das Kennzeichen des Mercedes, sowie ihren Standort, durch und unterbrach die Verbindung. Sie überlegte kurz und entschloss sich dann, dem roten Sportwagen weiter zu folgen. Dass die Polizei Etta stoppte und pusten ließ und dann ja zur Blutentnahme auf die Wache bringen würde, das wollte sie sich nicht entgehen lassen.
Oh, was war das denn? Sieglinde war der festen Meinung, dass die angeschickerte Etta doch wohl auf dem Heimweg nach Bönningstedt wäre, aber wieso bog die dann jetzt ab? Wenn die jetzt ganz woanders hinführe, dann würde die Polizei sie ja vielleicht gar nicht schnappen. Oh wie gut, dass sie ihrem Impuls gefolgt und ihr weiter nachgefahren war. Sie griff nach ihrer teuren Handtasche und suchte das Flohmarkthandy. Wo war das verdammte Ding nur? Ah, da! Während ihrer Suche hatte sie allerdings mehr in ihre sündhaft teure Designertasche geschaut, als auf die Straße geachtet und nicht gemerkt, dass sie mit ihrem Auto immer weiter nach rechts an den Fahrbahnrand geriet. Gerade richtete sie den Blick wieder auf die Straße, da knirschte es auch schon hässlich. Oh nein, nun hatte sie doch tatsächlich einen parkenden Wagen gerammt. Sie blickte in den Spiegel. Ach, so eine alte Blechschaukel. Natürlich würde sie gleich umkehren und ihre Karte hinter den Scheibenwischer stecken, aber erst einmal die Polizei auf den Umstand hinweisen, dass der rote Mercedes jetzt abgebogen war. Sie drückte die Wahlwiederholung, als sie auch schon im Spiegel ein blaues Flackern bemerkte. Ach, da ist die Polizei ja schon, freute sie sich. Gleichzeitig meldete sich die Einsatzleitstelle: „Polizeinotruf!“
„Äh, ja, ich bin es nochmal, der rote Mercedes ist Richtung Innenstadt abgebogen und …“ Sie legte auf, als sie das zuckende Blaulicht direkt hinter sich bemerkte und der Streifenwagen jetzt auch sein Martinshorn aufjaulen ließ. Da schor der blau-silberne VW-Variant auch schon aus, überholte ihren BMW und – sie glaubte es ja nicht – aus dem rechten Seitenfenster kam ein Arm mit Kelle heraus und forderte sie zum Anhalten auf. Gleichzeitig bremste der Polizeiwagen stark ab, so dass sie ebenfalls bremsen musste, wenn sie nicht auffahren wollte.
„Die Bullen sind ja noch blöder, als ich gedacht habe“, murrte sie halblaut vor sich hin.
Da öffnete sich die rechte Tür des Passats und ein Beamter stieg aus. Gemächlichen Schrittes näherte sich der noch junge Mann in seiner dunkelblauen, fast schwarz wirkenden Dienstkleidung, die eigentlich nicht mehr wie eine Uniform aussah, sondern sie eher an einen Mechaniker im Blaumann oder einen Wachmann denken ließ. Eine weiße Mütze setzten die Burschen heutzutage wohl auch nicht mehr auf. Schrecklich dieser Verfall der Sitten, ging ihr durch den Kopf. Sie ließ die Scheibe runter und fuhr den jungen Beamten an: „Wieso halten Sie mich an? Da vorn, gleich links, ist die betrunkene Frau mit dem roten Mercedes abgebogen. Da müssen Sie hinterher. Nun machen Sie schon!“
Die eben noch neutral, fast freundlich wirkenden Gesichtszüge des schlanken Mannes mit den kurzgeschnittenen, blonden Haaren veränderten sich schlagartig. Ein ironisches Grinsen glitt über sein Gesicht, als er etwas lauter als nötig erwiderte: „Ich mache gar nichts. Sie machen, und zwar als erstes den Motor aus. Dann reichen Sie mir Führerschein und Fahrzeugschein und danach steigen Sie aus!“
Sieglinde glaubte nicht richtig zu hören. „Ja, was fällt Ihnen denn ein? Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?“
„Nein, aber gleich werde ich es wissen“, kam es unfreundlich zurück. Gleichzeitig griff er in das Fahrzeug, drehte den Zündschlüssel um und zog ihn aus dem Schloss.
„Sind Sie jetzt total verrückt geworden?“, fauchte Sieglinde, „das wird Sie teuer zu stehen kommen!“
Der Beamte winkte in Richtung Funkwagen und meinte gleichzeitig in geradezu herablassendem Tonfall: „Teuer mag stimmen, aber für Sie und jetzt raus aus dem Wagen, oder ich helfe nach!“
Sieglinde verschlug es die Sprache, was seit Jahr und Tag nicht mehr vorgekommen war. Halt, stimmt ja nicht. Erst vor wenigen Tagen, als der Stammtisch „Ladies Power“ sie abgelehnt hatte.
Mittlerweile hatte der zweite Beamte seinen Kollegen erreicht. „Was gibt’s?“
„Diese Dame beliebt sich für etwas Besseres zu halten. Ich habe ihr schon den Schlüssel abgenommen, weil sie den Motor trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausgemacht hat. Papiere hat sie auch nicht rausgerückt und aussteigen will sie wohl auch nicht freiwillig.“
„Na, wenn’s weiter nichts ist, das haben wir gleich!“ Er öffnete die Tür, packte die Frau am linken Oberarm und zog sie aus dem Wagen.
„Aua, Sie Flegel, Sie tun mir weh!“, empörte sich Sieglinde Hammerschmidt-Blume. „Das ist Körperverletzung im Amt. Ich werde Sie anzeigen. Sie sind die längste Zeit Polizist gewesen. Darauf können Sie sich verlassen, Sie Rüpel!“
Der große, gut über einen Meter und neunzig messende und wohl auch an die neunzig Kilo schwere Beamte musterte sie mit abfälligem Blick von oben bis unten und fuhr sie dann an: „Jetzt halten Sie endlich die große Klappe, sonst lege ich Ihnen Handschellen an!“
„Was? Das, das wagen Sie nicht. Ich bin Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume!“ Triumphierend blickte sie zu ihm hoch.
„Schön für Sie, und ich bin Polizeiobermeister Bernd Bühse und werde langsam sauer. Verstanden?“
„Wenn wir schon bei den Vorstellungen sind, ich bin Wolf Winkler, Polizeioberkommissar, und fordere Sie letztmalig auf, mir Führerschein und Fahrzeugschein auszuhändigen!“
„Haben Sie nicht gehört, ich bin Frau Dr. Hammerschmidt-Blume. Mein Mann ist der Staatsrat im Finanzresort.“
„Ja und? Kann ich was dafür?“, lautete die jetzt auch unfreundliche Erwiderung.
Dann wandte er sich an seinen Kollegen. „Hol ihre Tasche aus dem Wagen, aber erst hier öffnen!“ Kurz darauf durchsuchte der Oberkommissar die Tasche nach den Papieren, fand diese schließlich in einer ebenfalls teuren Hülle aus feinstem Leder und stellte fest: „Na also, Ihre Angaben zur Person stimmen ja jedenfalls. Haben Sie überhaupt begriffen, weshalb wir Sie angehalten haben?“
Sieglinde guckte verwundert. „Natürlich, wegen des roten Mercedes! Aber der ist ja jetzt weg. Das haben Sie fein hingekriegt. Alle Achtung, kann ich da nur sagen!“
Die beiden Polizisten wechselten einen verdutzten Blick.
„Von einem roten Mercedes wissen wir nichts. Interessiert uns auch nicht. Wir haben Sie angehalten, weil Sie einen anderen Wagen angefahren haben und einfach weitergefahren sind. Das nennt man Unfallflucht und wird in der Regel mit Geldstrafe und Führerscheinentzug geahndet.“
„Wie bitte? Das ist doch nur passiert, weil ich nach meinem Handy gesucht habe, um ihrer Kollegin, die ich bereits auf die angetrunkene Fahrerin hingewiesen habe, mitzuteilen, dass der Mercedes abgebogen ist.“
Sieglinde schwante plötzlich, dass Sie wohl an die Falschen geraten war. Die beiden ließen sich nicht davon beeindrucken, wer sie war.
„Das wird sich doch alles aufklären lassen“, versuchte sie jetzt freundlich zu werden.
„Wird sich ganz sicher. Sie steigen jetzt bei uns ein und alles Weitere regeln wir auf der Wache“, lautete die weniger freundliche Antwort.
Etta von Tarla-Hippenstedt hatte von alledem nichts mitbekommen. Mit einem Mal war ihr der Einfall gekommen, dass der Abend doch noch nicht enden brauchte. Meist immer, wenn sie zu viel flüssigen Seelentröster zu sich genommen hatte, benötigte sie entweder seelischen oder auch körperlichen Trost. So wie auch heute. Also machte sie einen Ad-hoc-Termin bei Ben, den sie so alle Woche einmal aufzusuchen pflegte. Psychologen waren fast genauso teuer, schwafelten aber für ihr teures Honorar nur rum, wie sie bei mehreren Versuchen festgestellt hatte. Ben hingegen war sein Geld wert – und zwar in jeder Beziehung. Gut zureden konnte er ihr allemal besser und in seinem Bett lag es sich auch schöner. Also nahm sie einen entsprechenden Kurswechsel vor und ersparte sich damit einigen Ärger, wie sie gut drei Stunden später feststellen durfte.
Ja, Ben, der achtundzwanzigjährige Student der Philosophie, hatte seine eigene Lebensphilosophie längst gefunden. Mit dem Studium ließ er es langsam angehen, denn in einer späteren Anstellung würde er kaum mehr verdienen, als jetzt. Und mehr Spaß hatte er so ohnehin. Also, solange er Spaß an der Sache hatte und sich seine Kundinnen aussuchen konnte, nach Gefallen und Entlohnung seiner Leistungen, was sprach dagegen? Eigentlich nichts, befand er, denn konditionell war er absolut auf der Höhe. Nach etwas schweißtreibender, körperlicher Betätigung, vier Tassen kräftigem Mocca, den der junge Mann hervorragend zu brauen pflegte, befand er, dass Etta es verdient hätte, von ihm mit ihrem Wagen nachhause gefahren zu werden. Diese erhob, zu ihrem Glück, keinen Einspruch, sondern legte noch einen grünen Lappen mit zwei Nullen drauf. Gut angelegtes Geld, wie sie bei ihrer Ankunft in Bönningstedt feststellen durfte.
In der Nähe ihres großzügigen Grundstückes mit langer, kiesbestreuter Auffahrt zum weißen Bungalow mit angebauter Doppelgarage stand ein Polizeiwagen. Dieser setzte sich in Bewegung, als Ben das rote Cabrio die Auffahrt passieren ließ und kaum, dass der Mercedes in der rechten Garagenhälfte geparkt war, war auch der Streifenwagen vorgefahren und ein schon etwas älterer Beamter stieg aus und näherte sich.
„Nanu, was will denn die Polizei von dir, Etta?“, fragte Ben verwundert tuend.
„Keine Ahnung“, verkündete diese, jetzt wieder einigermaßen fest auf ihren Füßen stehend.
„Polizeihauptmeister Scholz“, stellte sich der etwa fünfundvierzigjährige Beamte vor, „wir haben den Hinweis erhalten, dass ihr Fahrzeug in Hamburg, im Bereich der Außenalster, auffällig bewegt worden ist. Da die Hamburger Kollegen den Wagen nicht auffinden und anhalten konnten, bin ich jetzt hier, um den Sachverhalt zu klären. Sie sind doch Frau v. Tarla-Hippenstedt, die Halterin des Mercedes?“
„Allerdings. Worum geht es denn?“ Sie stutzte: „Ach so, weil ich bei meinem … äh … Freund hier, das eine oder andere Glas Champagner zu mir genommen habe? Da haben Sie Pech, Herr Wachtmeister, darum eben hat Ben mich ja gefahren.“
„So ist es“, bestätigte dieser eilfertig.
„Nun ja, das habe ich auch gesehen“, räumte Polizeihauptmeister Scholz ein, „aber vorher, da hatten Sie nichts getrunken?“ Er sah Etta genau in die Augen.
„Nein, wenn ich fahre, trinke ich nie!“, behauptete diese steif und fest.
„Von wo sind Sie denn gekommen, als die Anruferin oder auch der Anrufer, das weiß ich nicht so genau, ihre unsichere Fahrweise gemeldet hat?“
Etta lachte laut auf: „So nicht, Herr Polizist, so fragt man Leute aus. Das geht Sie gar nichts an. War’s das? Dann schönen Tag noch!“
Was sollte er machen, der Beamte? Recht hatte sie ja. Es ging ihn wirklich nichts an. Und der junge Kerl, der war ja tatsächlich gefahren. Sicher so ein Callboy, der sich mit seinem naturgewachsenen Arbeitsgerät einen schönen Lenz machte. Erst bei dem Gedanken bekam sein Gesicht einen mürrischen Ausdruck. So schlecht sah die Alte doch gar nicht aus, da hätte er sich doch auch nochmal, ohne finanzielle Interessen, geopfert. Aber in den Kreisen, da hatte man als kleiner Polizist wohl keine Chancen. Mit diesen Gedanken fuhr er los und erstattete auf der Heimfahrt zur Station Bericht.
Etta ihrerseits aber überlegte noch lange, wer ihr hier die Bullen auf den Hals gehetzt hatte? Von den Ladies war es keine gewesen, da war sie sich sicher, aber wer denn dann?
Währenddessen hatte diejenige, der Etta den Besuch des doch eigentlich ganz freundlichen Polizisten Scholz zu verdanken hatte, es mit wesentlich rüpelhafteren Beamten, zumindest ihrer maßgeblichen Meinung nach, zu tun. So eine Behandlung war eine Dr. jur. Sieglinde Hammerschmidt-Blume nicht gewöhnt. Weiß Gott nicht! Alles in ihr schrie förmlich nach Vergeltung.
Kaum hatte sie das Polizeikommissariat 29 in der Sierichstraße betreten, verlangte sie lauthals den Chef zu sprechen. „Alles zu seiner Zeit. Jetzt setzen Sie sich erst einmal hier hin und mäßigen sich. Dann nehmen wir Ihre Personalien auf und danach können Sie sich zur Sache äußern. Bis dahin können Sie sich ja auch überlegen, ob Sie mit einem Atemalkoholtest einverstanden sind?“, fuhr der lange Flegel von Polizist sie an.
„Ich denke ja gar nicht daran. Jetzt holen Sie mir sofort Ihren Vorgesetzten, Sie Lümmel!“, keifte Sieglinde zurück, was ihr die Aufmerksamkeit der weiteren Beamten im Raum einbrachte.
„Holla, was habt ihr denn da für einen Vogel aufgegabelt, Bernd“, fragte eine jüngere Frau, die auf die Tastatur eines Computers einhämmerte.
„Ein ganz besonderes Exemplar, weit entrückt von uns normal Sterblichen. Schrammt fremde Autos, hält es aber nicht für nötig anzuhalten. Faselt aber was von Staatsrat als Ehemann, als ob ihr das hier Sonderrechte einräumt. Will den Chef sprechen. Ist ja vielleicht auch besser. Ist Kalle da?“
Die junge Frau mit den dunkelbraunen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren nickte. „Ich hole ihn!“
Kurz darauf kehrte die kleine Polizeimeisterin mit dem Dienstgruppenleiter, wie der Wachhabende heute korrekt bezeichnet wird, im Schlepptau zurück. Dieser, ein etwa fünfzigjähriger, großer und schwergewichtiger Mann mit vollem dunklen Haar, das mit grauen Strähnen durchsetzt war, guckte interessiert auf die lange, dürre Frau, die ihm erwartungsvoll entgegenblickte.
„Was gibt es, das meine Anwesenheit hier erforderlich macht? Werdet ihr mit einer Frau – das ist doch eine Frau, wie ich vermute – die Unfallflucht begeht, nicht mehr allein fertig?“
„Was erlauben Sie sich? Natürlich bin ich eine Frau. Ich bin Frau Doktor Sieglinde Hammerschmidt-Blume!“ Erwartungsvoll blickte sie ihn an. Die Antwort allerdings fiel beileibe nicht so aus, wie sie es erwartet hatte.
„Schön, wenn Sie das sagen. Das ändert aber nichts daran, dass Sie hier sind, weil Sie einer Straftat verdächtigt werden, nämlich der Verkehrsunfallflucht gemäß § 142 Strafgesetzbuch.
Ich weise Sie darauf hin, dass alles, was Sie von jetzt an sagen, gegen Sie verwendet werden kann. Wenn Sie einen Anwalt wünschen, können Sie gern anrufen. Sie brauchen sich zur Sache auch nicht äußern oder können dies über einen Rechtsanwalt tun.“
Damit drehte er sich um und wandte sich an die Beamten, die Sieglinde hereingebracht hatten. „So und nun macht weiter, wie es sich gehört. Wenn Verdacht auf Trunkenheit besteht, denkt an den Richtervorbehalt wegen der Blutprobe.“ Mit diesen Worten entfernte sich der Polizeihauptkommissar wieder, ohne die ihm entsetzt nachblickende Frau noch eines weiteren Blickes zu würdigen.
Immerhin schien sie das etwas – wenn auch nur kurzfristig – zur Vernunft zu bringen. Mit dem Hinweis darauf, dass sie ja schließlich selbst promovierte Juristin sei, verzichtete sie auf anwaltlichen Beistand und willigte in einen Atemtest ein, der nullkommanull Promille ergab. Daraufhin behielt sie ihre Fahrerlaubnis – zunächst – wie ihr erklärt wurde und es blieb bei der Anzeige wegen „Unerlaubten Entfernens vom Unfallort“, wie die Unfallflucht so schön im Gesetz bezeichnet wird.
Donnerstag, kurz vor neunzehn Uhr. Ein schöner Tag, auch am Abend war es noch sommerlich warm. Eigentlich ein Grund, um trotz der bald eintretenden Dunkelheit, den Tag auf der luftigen Terrasse zu verbringen. Dennoch hatten die Ladies vom Stammtisch „Ladies Power“ sich in eines der drei Hinterzimmer, von denen eigentlich das größte auch als kleiner Saal bezeichnet werden konnte, zurückgezogen. Das, was zu Erörtern anstand, war schließlich nicht für fremde Ohren bestimmt.
Nachdem Etta v. Tarla-Hippenstedt die Gesprächsrunde in ihrer Eigenschaft als Gründerin und auch ohne Wahl als Vorsitzende akzeptierte Autorität eröffnet hatte, meldete sich die junge Rita Schaller zu Wort und verkündete: „So, Ladies, bevor wir jetzt zu den Problemen von Member Erika und auch Member Helga und Anne kommen, hatte ich ja schon angedeutet, dass ich eine interessante Neuigkeit für uns alle habe. Nachdem ja schon manchmal in den hiesigen Zeitungen über uns berichtet wurde, vor allem auch über unsere Charité-Aktivitäten, ist jetzt in der Samstagausgabe der „Hamburger Allgemeinen“ ein ganzseitiger Artikel über „Ladies Power“ und dessen Members geplant.“ Rita ließ diese Worte auf die fast vollzählig erschienenen Ladies wirken.
Und ja, sie wurde nicht enttäuscht. Überall – naja, fast überall – strahlende Gesichter. „Super, Klasse, oh prima!“ So und ähnlich lauteten die Kommentare. Bis auf Erika und auch Anne und Helga, die nicht so genau wussten, ob sie sich auch freuen konnten? Erika, weil sie noch keine Lösung ihres finanziellen Problems erkennen konnte, und Helga und Anne, weil dann vielleicht noch mehr Druck seitens ihrer Ehemänner auf sie ausgeübt werden würde. Vor allem dann, wenn noch andere Ehefrauen oder auch nur derzeitige Lebensabschnittsgefährtinnen irgendwelcher, sich selbst für den Nabel der Welt haltenden, Kerle auf den Gedanken kommen würden, ihr Mann solle dafür sorgen, dass auch sie künftig zu „Ladies Power“ gehören würden.
„Aha, da hast du doch bestimmt dran gedreht, Rita“, freute sich Etta. „Das würde uns natürlich noch weiter aufwerten. Sag schon, wie soll das vonstatten gehen?“
Also berichtete die allseits beliebte Autorin und Journalistin, wie es ihr gelungen war, ihren Chefredakteur dafür zu interessieren, in der auflagenstärksten Ausgabe überhaupt, nämlich am Samstag, eine ganze Seite über „Ladies Power“, ihre Mitglieder und Aktivitäten zu bringen. „Nun, bekannt sind wir schon. Aber ich habe jetzt auch noch erwähnt, dass wir klare Regeln haben, und das fand er noch zusätzlich interessant“, erklärte Rita und lachte verschmitzt.
„So, und welche wären das?“ Diese Frage stellte, wer sonst, in etwas spitzem Ton natürlich Etta, die darüber nachzudenken begann, ob sie hier etwa übergangen worden sei?
Nun war Rita natürlich als Journalistin daran gewöhnt, auch auf Untertöne zu achten. Zudem kannte sie Ettas manchmal übergroßes Ego und parierte gekonnt. „Nichts, was völlig aus der Luft gegriffen wäre. Dass wir uns als Member oder auch Lady ansprechen, dass neue Mitglieder nur auf einstimmigen Beschluss aufgenommen werden, dass wir nicht unpolitisch, aber überparteilich sind. Tolerant und aufgeschlossen und uns natürlich auch zu wirtschaftlichen und politischen Themen äußern.“
Etta überlegte kurz und kam zu dem Schluss, sich hier nicht übergangen oder gar böse mitgespielt fühlen zu müssen. Im Gegenteil, darauf ließ sich doch aufbauen. „Sehr gut, Member Rita, damit können wir dann auch den Kerlen von Helga und Anne etwas den Wind aus den Segeln nehmen, die da glauben, dass allein die Fürsprache ihrer Frauen dazu führen kann, dass man uns irgendwelche Tanten unterjubelt, die nicht zu uns passen. Denen einfach das Niveau fehlt.“
„Sehr gut, und für das Gespräch mit uns hat Gunther, mein Boss, sich den Dienstagabend freigehalten. Einverstanden?“ Etta und mit ihr fast alle Ladies nickten und Etta legte gleich die Regeln für das Gespräch fest. „So, das hätten wir. Dann kommt der Gunther also Dienstag gegen neunzehn Uhr. Wir treffen uns dann schon eine Stunde vorher hier, in diesem Raum, damit wir uns noch kurz abstimmen.“
„Ja, ich dachte, wir wollten heute zusammenkommen, weil ihr was für mich tun wolltet?“
Etta fuhr herum. „Ach, Lady Erika, entschuldige bitte, das wäre jetzt fast untergegangen. Aber das ist doch die Lösung. Am Dienstag legen wir das Problem, gut verpackt, auf den Tisch. Vielleicht bringen wir dann ja auch die Zeitung dazu, auf deine Gläubiger einzuwirken. Von mir bekommst du“, sie überlegte kurz, „sagen wir fünf Mille.“ Ihr Blick schweifte in die Runde.
„Und ihr überlegt auch, was ihr geben könnt und bringt die Kohle mit. Wir erklären dann, dass wir den Betrag X aufbringen, wenn wir damit für unsere Member Erika einen Vergleich erreichen. Was meint ihr, Ladies?“
Erneut setzte eine hitzige Diskussion ein. Es zeigte sich, dass bei Geld zwar nicht die Freundschaft dieser im Stammtisch verbundenen Ladies aufhörte, aber doch einige gar nicht über die nötigen Mittel verfügten, größere Beträge beizusteuern, weil sie zwar alles für den täglichen Gebrauch sich leisten konnten, einschließlich eines durchaus üppigen Bewegungsgeldes, aber ansonsten die Rechnungen an den Göttergatten gingen und dieser die Hand auf der Kohle hatte.
„Also, macht, was ihr könnt, Ladies. Am Dienstag ist auch unsere Nadine da, so dass wir unser, das von mir angedachte, Vorgehen im Fall Member Erika, noch kurz auch mit ihr als Juristin abstimmen können.“
Damit gingen die Damen, zum großen Teil noch angeregt die erwarteten Möglichkeiten, sich selbst ins rechte Licht zu setzen, erörternd auseinander. Jede für sich war bereits damit beschäftigt, zu klären, wie sie sich gewanden würde, um den bestmöglichen Eindruck auf dem erwarteten Hochglanzfoto in der Presse zu hinterlassen. Einige dachten auch bereits daran, durch Wortbeiträge zu glänzen. Nur Erika, Anne und Helga waren nicht von der Euphorie angesteckt. Sie dachten mehr an ihre ureigensten Probleme, die ja keineswegs gelöst waren, sondern sich vielleicht sogar verschlimmern würden.
Ein ganz anderes Problem hatten die Ehemänner der Damen Etta und Helga in den Griff zu kriegen – aber wie? Die Herren Notare Falk v. Tarla und Hans-Georg Altmann hatten gewartet, bis auch die letzte Angestellte, wie üblich ihre Bürovorsteherin Carla Gerster, eine unscheinbare graue Maus von etwa Mitte fünfzig, aber dafür eine exzellente Fachkraft, die auch die Ausbildung der neuen Berufsanfängerinnen fast selbstständig erledigte und den Herren somit erhebliche Personalkosten einzusparen half, das Büro verlassen hatte.
Falk v. Tarla, dem man seine Vorliebe für gutes und gehaltvolles Essen, wie auch geistige Getränke, sowohl an seiner Körpermasse von rund einhundert Kilogramm bei aber immerhin respektabler Größe von einem Meter und neunzig Zentimetern ansah, schenkte die Cognacschwenker etwas voller als üblich und hob sein Glas dem Freund und Partner entgegen. Während der schlanke, mehr als zehn Zentimeter kleinere, Hanno Altmann zunächst nur ein kleines Schlückchen zu sich nahm, goss Falk den Inhalt in einem Zug hinunter. „Also, was meinst du, Hanno, kriegen wir unsere Weiber zur Vernunft gebracht?“
„Ich arbeite daran, aber bisher mit nur mäßigem Erfolg.“
Hans-Georg schüttelte den Kopf, „Helga wird immer komischer. Ich habe ihr bereits angekündigt, ihr den Geldhahn zuzudrehen. Aber sie meinte nur, da wird sie sich zu helfen wissen und außerdem könne sie gar nichts tun, weil auch die anderen Weiber nicht mitspielen, insbesondere auch deine liebe Etta!“
Falk schenkte sich nach und ließ sich mit einem Seufzer auf das teure und schwere Ledersofa in seinem Büro fallen. „Ich weiß, ich weiß, aber ich habe noch weniger Möglichkeiten. Etta verdient schließlich ihr eigenes Geld und ist ja auch von Haus aus nicht auf mich angewiesen, wie du weißt.“
„Schon, schon, aber den Bollmann dürfen wir einfach nicht verlieren. Da hängt doch ’ne ganze Menge Kohle dran. Außerdem kennt der ja auch viele unserer anderen Vervielfältiger.“ Hanno schüttelte betrübt seinen Kopf mit dem gutgeschnittenen Gesicht und den kurzen, mittelblonden Haaren. „Ach so, Falk, das weißt du ja noch gar nicht.“
„Was?“ Falk sah hoch.
„Nun ja, ich weiß ja nicht, ob da der Bollmann hinter steckt? Aber der Felten hat heute auch drei Termine abgesagt.“
„Warum?“
„Warum, warum? Er hat nur was von Steuerprüfung gemurmelt, aber auch so eine versteckte Andeutung gemacht, als ob unsere Frauen und ihr dämlicher Stammtisch da mit reinspielen. Angeblich haben die Weiber auch der Frau von dem Hammerschmidt die Aufnahme verweigert und …, naja, der ist ja Staatsrat im Finanzsenat, also hat Felten wohl eins und eins zusammengezählt.“
Behänder, als Hanno seinem massigen Kollegen zugetraut hätte, schoss Falk aus dem schweren Ledermöbel hoch. „Ach du verdammte Scheiße. Wenn das jetzt schon so um sich greift …, ja dann gute Nacht, Marie!“ Jetzt trank auch Hanno sein Glas leer, derweil sein Partner sich bereits das dritte Glas einschenkte. „Wir sollten uns zunächst mit Olaf zusammensetzen und sehen, was da genau im Busch ist und eine gemeinsame Strategie entwickeln. Erst Bollmann, jetzt vielleicht noch Felten und seine Bank, das sind ja mindestens zehn Prozent unseres Umsatzes“, trauerte Falk schon jetzt den Einnahmen nach.
Auch Hanno, der zwar sehr gut verdiente, aber auch je mehr er einnahm, umso geiziger wurde, sah vor seinem geistigen Auge bereits die Fünfhunderter gleich bündelweise Flügel bekommen. Aber da war noch etwas. Etwas, das vielleicht noch viel schwerer wog. Also stärkte er sich mit einem tiefen Zug des edlen Tropfens, der sanft und weich die Kehle hinabrann, dann aber die erwünschte wohlige Wärme im Magen verbreitete. Dafür aber hatte der bedauernswerte Großverdiener heute gar nicht das Genussempfinden, als er – fast mehr zu sich selbst, als zu Falk meinte: „Ja, und eine Steuerprüfung ist wohl das Allerletzte, was wir jetzt brauchen können.“
Dr. Peter Hammerschmidt konnte es nicht fassen. Einmal mehr wurde ihm schmerzlich bewusst, dass Geld nicht glücklich macht. Jedenfalls dann nicht, wenn man dafür so ein Weib wie seine Sieglinde in Kauf nehmen musste. „Ja, bist du denn nun total verrückt geworden? Wenn das an die große Glocke kommt, kann ich mir den Finanzsenator abschminken!“ Ausnahmsweise musste Sieglinde ihrem Gatten hier einmal zustimmen. Etwas kleinlaut, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, äußerte sie:
„Ja, das war einfach dumm von mir. Tut mir leid, sehr leid, Peter, aber vielleicht …“
„Was vielleicht?“ Peter Hammerschmidt raufte sich nicht nur sinnbildlich die Haare, sondern riss in der Tat an seinem Haupthaar, das ohnehin nicht mehr allzu reichlich vorhanden war.
„Na, ich meine, das sind doch ganz einfache Polizisten, wenn du da vielleicht mal mit Holger, dem Staatsrat in der Innenbehörde oder dem Polizeipräsidenten …?“
Hammerschmidt konnte es nicht fassen. Sieglinde, die sonst immer sich als die Klügste von allen erachtete, oft auch war, wie er zugeben musste, war jetzt wohl völlig von der Rolle. Bisher hatte er sich zurückgehalten, in allem, naja, fast allem. Aber jetzt platzte ihm der Kragen.
„Ja, bist du denn jetzt völlig von der Rolle? Wenn ich das versuche, dann bin ich doch für immer erpressbar. Holger wird den Teufel tun. Erst neulich hat er einmal anklingen lassen, dass gerade die kleinen Bullen, die ja ohnehin nicht viel mehr werden können, unberechenbar sind. Gerade erst soll einer seinen Direktionsleiter angezeigt und sogar erwogen haben, die Anzeige auch gleich gegen den Polizeipräsidenten zu richten. Sieh zu, wie du da rauskommst, aber versuche nicht, mich da mit hineinzuziehen. Die Steuerprüfung bei Feltens Bank ist da was ganz, ganz anderes. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen und da habe ich dem zuständigen Menschen einen Hinweis gegeben. Mehr nicht!“ Er schlug sich klatschend mit der Hand an die Stirn und verschwand fast fluchtartig aus dem Haus. Keine Minute später hörte Sieglinde den Motor seines A 6 aufheulen. Das ist mal wieder typisch für ihn. Was heißt für ihn, für alle Männer. Wenn frau sie mal braucht, ziehen sie den Schwanz ein. Diese und andere Gedanken gingen der mageren Frau durch den Kopf. Aber sie würde sich schon zu rächen wissen. Soweit kannte sie sich.
Vermutlich würde sie wohl ohne Führerscheinentzug davonkommen und einen Strafbefehl erhalten. Wenn es soweit war, konnte sie immer noch einen der prominenten Spezialisten mit ihrer Vertretung beauftragen. Aber eingebrockt hatten ihr das diese Stammtischweiber, die sie nicht haben wollten. Auch wenn ihr Versuch jetzt gescheitert war, sie würde sie schon noch spüren lassen, was es bedeutet, eine Sieglinde Hammerschmidt-Blume, geb. Blume, also ältester Geldadel der Hansestadt, so zu düpieren.
„Nein, nein und nochmals nein!“ Helga Altmann schüttelte den Kopf, dass nicht nur ihre gerade geföhnte kupferrote Haarmähne, sondern auch ihre imposanten Brüste hin und her schwangen. Eigentlich ein Anblick, der Hanno immer fasziniert hatte. Aber im Moment hatte er überhaupt keine Augen für Helgas körperlichen Vorzüge. Wie konnte es nur angehen, dass dieses Weib nicht begreifen wollte, um welche Honorareinbußen es ging, wenn Bollmann und vielleicht noch andere Urkundenvervielfältiger absprangen und künftig ihre Verträge von anderen Notaren beurkunden ließen. Wie hatte Falk doch so süffisant gemeint? Ach so: „Das kommt dabei raus, wenn man seine Gehilfin heiratet, nur weil sie große Titten hat und gut ficken kann.“ Nur das hatte ihm ja auch nicht geholfen bei seiner Etta. Das sollte er mal nicht vergessen, hatte Hanno ihm aufs Brot geschmiert. Aber weitergebracht hatte sie diese fruchtlose Diskussion leider nicht.
„Liebe Helga“, versuchte Hanno es erneut, „sicher habe ich auch nicht alles ganz richtig gemacht. Aber du kommst doch aus der Branche. Du warst doch meine beste Kraft und hast den ganzen Aufbau unseres Notariats mitgemacht. Soll das denn jetzt alles den Bach runtergehen, nur weil euer Stammtisch, das will ich ja zugeben, eine Institution geworden ist, an der viele Damen teilhaben wollen, ihr sie aber nicht lasst?“
Helgas grüne Augen blitzten wie funkelnde Smaragde. Ein herrlicher Kontrast zu ihrem roten Haar und dem gebräunten Körper mit den sinnlichen Formen, dem aber jetzt jede gebührliche Aufmerksamkeit verweigert wurde.
„Ha, komm mir doch nicht so. Was ist denn mit deinen Rotariern oder wie der Verein heißt? Oder mit deinem Golfclub, mit dem du ja mehr verheiratet bist, als mit mir? Da nehmt ihr doch auch lange nicht jeden Schwanz auf, nur weil er Geld hat. Hast nicht du mir vor Jahren erklärt, wie stolz und glücklich du bist, dass in diesem Club eben nicht der Rotlichtkönig und der Miethai aufgrund ihres Geldes die große Rolle spielen, sondern die ach so ehrbaren Hamburger Kaufleute, Banker, Reeder und natürlich Juristen. Aber selbstredend nicht der popelige kleine Anwalt, sondern, wenn schon, dann der Herr Gerichtspräsident, der Leitende Oberstaatsanwalt und die ein oder zwei ganz bekannten Prominentenanwälte. Aber natürlich auch ein paar junge Schauspielerinnen oder was sich so schimpft. Der Herr der Schöpfung braucht ja schließlich auch angemessenes Publikum, vor dem er den stolzen Pfau mit gespreizten Federn Rad schlagen und sich bewundern lassen kann.“
Als er das hörte, fiel Hanno der Unterkiefer runter. Was war denn mit seiner Helga los? Wie kam die ihm denn mit einem Mal? Das waren ja völlig neue Töne. Helga, die doch mal aufbegehrte, aber immer im Rahmen und sich dann, wenn er nicht darauf einging, schmollend zurückzog. Aber so war sie ihm ja noch nie in die Parade gefahren. Ganz klar, sie war aufgehetzt worden und vom wem war auch sonnenklar. Von Falks Etta und wohl auch von dieser Göricke, dieser Scheidungszicke, die auch das große Wort an diesem unsäglichen Stammtisch führte. Ob sich Helga vielleicht schon bei ihr erkundigt hatte? Und wenn schon. Sein Ehevertrag war hieb- und stichfest. Da war er sich sicher. Unterhalt würde er zahlen müssen, na gut, aber natürlich in begrenzter Höhe. Aber so weit war es ja wohl noch nicht oder doch?
Erneuter Strategiewechsel war jedenfalls angesagt. „Helga, da hast du wohl nicht ganz unrecht, aber es gibt doch noch einen kleinen Unterschied.“
Helga wollte gerade erneut zum Föhn greifen, obwohl ihre Haare bereits trocken waren, als sie sich doch gleich zur Erwiderung entschloss. „Ach, da bin ich aber gespannt. Dann erzähl mal ein neues Märchen, lieber Hanno!“
Der Mann schluckte, nahm aber dennoch erneut den Faden auf. „Schau, Loge, Golfclub und auch der Juristenstammtisch, wo ich ja kaum noch hingehe, dies ist alles nur aus beruflichen Gründen wichtig. Im Golfclub habe ich die richtigen Leute kennengelernt und lerne, wie Falk auch, immer noch neue künftige Mandanten, wenn wir unsere Klientel einmal auch so bezeichnen wollen, kennen. Das ist doch für uns wichtig. Von selbst fallen die Verträge nicht durch die Tür. Bei euch hingegen ist das ja was ganz anderes. Ihr habt dort euren Spaß“, er merkte, wie sich ihr Gesicht verzog und fügte schnell hinzu, „den ihr auch absolut verdient habt. Das will niemand bezweifeln. Aber ihr habt euch auch Ansehen erworben. Die Presse berichtet über euch und eure Aktivitäten. Da wollen natürlich auch andere Frauen Anteil haben. Frauen von ebenfalls bedeutenden Männern in wichtigen, also einflussreichen Positionen. Da kann es doch nicht so schwer sein, diese Damen der Gesellschaft mitmachen zu lassen. Das müsst ihr doch einsehen. Eine Sieglinde Hammerschmidt-Blume ist doch nicht ein Irgendwer.“
„Nein, aber die will keine von uns. Nicht nur Etta und ich nicht. Niemand! Ach ja, und Heidelinde Bollmann ist doch wohl wirklich nur dämlich, aber vielleicht gut zu ficken und kann wohl auch ganz gut blasen, denn der dicke Bollmann würde doch sonst bei jeder anderen Stellung einen Infarkt bekommen und wäre wohl auch seine fette Wampe im Weg.“
„Hahaha, stimmt wohl“, Hanno musste doch lachen, als er sich Bollmann beim Geschlechtsverkehr vorstellte, „aber Bollmann ist der größte Makler weit und breit, und sicher auch bereit, über seine Frau euch auch finanziell einiges für eure Wohltätigkeitsveranstaltungen zukommen zu lassen!“
„Ach Hanno, auch wenn ich wollte, die anderen Frauen sind ja alle dagegen. Nicht nur Etta und ich. Versteh das doch.“
„Tu ich ja, Liebes, aber wenn du und vielleicht auch Etta ein gutes Wort für die beiden Frauen einlegt? Überleg doch mal. Vielleicht reicht das ja, wenn Falk und ich Bollmann beweisen, dass es an uns, also an euch, nicht liegt, dass Heide nicht akzeptiert wird. Auch gegenüber Hammerschmidt könnte man das durchblicken lassen. Bitte, versuch es zumindest!“
Helga dachte lange nach, schließlich nickte sie.
„Siehst du, Schatz, es geht doch“, hörte sie Hanno fast aufjubeln und wurde in den Arm genommen und geherzt wie schon lange nicht mehr.
Dann war es soweit. Lange vor der Zeit waren die Ladies, bis auf eine einzige, die sich auf Kreuzfahrt befand, im „Hämmerle“ eingetroffen und hatten sich im Clubzimmer versammelt. Rita Schaller konnte sich ein wissendes Lächeln nicht verkneifen, als sie sah, wie sich die Ladies aufgebrezelt hatten.
Die Edelboutiquen der Hansestadt dürften hieran gut verdient haben. Allein Etta, die ein Modelkleid von Dior trug, hatte dafür wohl einen gut vierstelligen Betrag hingeblättert. Auch Annemarie Felten, die Bankiersfrau, hatte sich ein neues Outfit vom Feinsten gegönnt. Ein leichtes, dem schönen Spätsommerabendangemessenes, Kostüm aus edlem Stoff in einem hellen Grünton kontrastierte gelungen mit ihrem brünetten, schulterlangen Haar und der deutlich über dem Knie endende Rock brachte ihre schlanken, gebräunten Beine zur beabsichtigten Geltung. Nur sie selbst hatte sich mit ihrem Lieblingshosenanzug begnügt, der ihr aber ausgezeichnet stand, wie auch Gunther, ihr Chef, immer wieder betonte. Helga Altmann aber überraschte alle. Sie, die fast immer Jeans und Top trug, kam in einem weißen Wickelrock, schwarzen Pumps und einer etwas zu engen, blutroten Bluse daher, an der sie die drei obersten Knöpfe offengelassen hatte, so dass ihre großen, aber immer noch erstaunlich festen, Brüste jedem Betrachter sofort ins Auge fielen.
„Donnerwetter! Gehst du auf Männerfang?“, konnte Etta sich zu fragen nicht bremsen. „Nein, aber ihr habt euch doch für heute alle etwas Besonderes ausgedacht. Da dachte sich die kleine Helga, die ja bald von ihrem Mann kein reichlich bemessenes Taschengeld mehr zu erwarten hat, sie fängt mal an zu sparen und zwängt sich in die alten Sachen. Bisschen eingelaufen, das Oberteil, aber ich habe ja alles verstaut gekriegt. Naja, größtenteils jedenfalls“, lachte Helga und freute sich, dass die Stammtischschwestern – zumindest überwiegend – in ihre Fröhlichkeit einstimmten. Ob gespielt oder ehrlich wusste man bei den lieben Geschlechtsgenossinnen als Frau ja nie ganz sicher.
Die Getränke kamen und die Verhaltensregeln wurden von Etta nochmals festgelegt.
Dann kam er, der Chefredakteur Gunther Schöler. Gut gelaunt, ganz leger in Jeans und Hemd mit Weste. Während er die Damen, zuvorderst selbstverständlich Etta von Tarla-Hippenstedt, begrüßte, entfuhr es Helga Altmann: „Mein Gott, ist der klein! Der ist ja noch kleiner als ich.“
„Stimmt, Gattung Beutegermane römischen Ursprungs“, grinste Dr. med. dent. Irene Brockmann, die mit ihren knapp einen Meter achtzig alle überragte. „Aber eine schöne Stimme hat er, so melodisch.“ Dieses Lob kam von Ute Hollmann, der ältesten der Ladies.
Dann aber kehrte Ruhe ein. Schöler ließ es sich nicht nehmen, die Damen alle einzeln mit Handschlag zu begrüßen. Besonders lange verweilte sein Blick auf der von Helga Altmann zur Schau gestellten Auslage, was die anderen Ladies durchaus nicht alle wohlwollend zur Kenntnis nehmen mussten. Dann ließ er sich von Etta einen kurzen Einblick in die Entstehung dieses so einzigartigen Damenstammtisches und die bisherigen Aktivitäten geben, wobei sein, auch als Aufnahmegerät dienendes, Diktiergerät ihm die Fertigung von Notizen ersparte.
„In der Tat, meine Damen, Sie haben, das kann man ohne Übertreibung sagen, mit Ihrem Stammtisch eine Institution geschaffen“, zeigte Schöler sich beeindruckt und gab eine Steilvorlage für Etta, die gerade überlegte, wie sie die Überleitung zu den von ihr und ihren Mitstreiterinnen gewünschten Themen erreichen könne: „Aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Ihr Erfolg auch mancherorts Neid erregt.“
Etta strahlte ihn förmlich an, wenn auch etwas von oben herab, was der unterschiedlichen Körpergröße geschuldet war. „In der Tat, Herr Schöler, Sie sagen es. Da gibt es sogar einige Dinge, die zu erwähnen sind.“
„Dann mal los, Verehrteste, ich bin ganz Ohr“, nickte der Chefredakteur.
Und so berichtete Etta von den gemeinen Aktivitäten der abgewiesenen Damen und ihrer einflussreichen Männer und auch und besonders von der an ihr höchstselbst gerade vor einigen Tagen vorgekommenen, selbstredend unzutreffenden, Verunglimpfung.
„Und, haben Sie einen konkreten Verdacht, wer dahinter stecken könnte?“, fragte Schöler interessiert und gleichzeitig empört tuend nach, ohne aber einen lauernden Unterton ganz unterdrücken zu können.
„Naja“, zierte sich Etta, „einen Verdacht schon, aber keinen Beweis … und“, sie zuckte die Schultern, „im Gegensatz zu anderen Menschen möchte ich ja keine falschen Beschuldigungen von mir geben.“
Auffordernd sah sie Nadine Göricke an, die Anwältin und Scheidungsexpertin unter den Ladies. Diese tat, als merke sie nichts. Auch wenn Etta sie bereits vorab gebeten hatte, bei rechtlich eventuell zu beachtenden Problemen zu übernehmen, wollte sie sich hier lieber nicht den Mund verbrennen. Bei Etta, die sich schnell mit einem weiteren Glas ihres Lieblingschampagners gestärkt hatte, verfing das aber nicht. „Ja, vielleicht sollte hier Frau Göricke, als Juristin, übernehmen, damit alles in den richtigen Bahnen bleibt“, spielte sie jetzt den Ball gezielt in Richtung der einen bösen Blick absendenden Anwältin.
Nadine Göricke schluckte den aufkommenden Wutanfall hinunter. Die Presse hatte ihr schon oft allein durch Berichterstattung darüber, wen sie in Scheidungssachen vertreten hatte, interessante Mandanten und damit meist auch lukrative Honorare verschafft, also fraß sie sinnbildlich Kreide und blickte den ihr bekannten Chefredakteur der „Allgemeinen“, wie das bedeutende Blatt oft kurz genannt wurde, freundlich lächelnd an.
„Ja, Herr Schöler, das ist ja immer juristisch sehr vorsichtig zu formulieren, wenn es zwar – vielleicht sogar hinreichende – Verdachtsmomente, aber eben keine gerichtsfesten Beweise gibt. Hier ist es so, dass einige Damen der Gesellschaft sich um Aufnahme beworben haben, aber aufgrund unserer Statuten abgelehnt wurden, weil es eben keine einstimmige Zustimmung für die Aufnahme gab.“
„Donnerwetter, Ladies, da seid ihr aber hart“, kommentierte Schöler.
„Aus gutem Grund“, erwiderte Nadine, „denn das vermeidet internen Streit von vornherein.“
Der Zeitungsmensch nickte anerkennend: „Aber, wer die abgelehnten Damen sind, werden Sie mir wohl nicht verraten – oder etwa doch?“
Nadine lächelte wie die Schlange vor ihrer Verwandlung: „Namen bekommen Sie von mir nicht, aber soviel kann ich sagen, nach Ablehnung von zwei Damen, eine davon aus den wirklich sogenannten allerbesten Kreisen, wurden die Ehemänner einiger Ladies unter Druck gesetzt, und zwar massiv.“
„Wie denn das?“ Schöler schaute unschuldig drein, was Nadine natürlich sofort durchschaute. Sie wusste schließlich genau, wenn es der eigenen Sache oder aber dem gerade vertretenen Fall oder der Auflage half, dann waren weder Anwälte, noch Journalisten um einen Trick verlegen. „Nun, einigen Ehemännern unserer Ladies wurde unverblümt klargemacht, dass sie selbst keine Aufträge mehr von ihnen zu erwarten hätten, wenn sie nicht entsprechenden Druck auf ihre Frauen ausüben, dass die Damen dieser Herren doch noch aufgenommen werden.“
„Das ist ja die Höhe“, empörte sich Schöler künstlich und brachte es tatsächlich fertig, einen entsetzten Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern. Der könnte auch beim Theater Karriere machen, dachte die Anwältin, der ist ja fast so gut wie ich.
„In der Tat, in der Tat, Sie sagen es, Herr Schöler“, antwortete sie und sah dabei ernsthaft betrübt aus, „aber dabei ist es ja nicht geblieben. Es soll, ich betone, soll, auch aus heiterem Himmel eine Steuerprüfung bei einem Unternehmen“, sie verbesserte sich, „na, Unternehmen trifft es vielleicht nicht ganz, sagen wir einmal Institut, gegeben haben. Völlig unzyklisch, wenn man weiß, wie diese Prüfungen eigentlich erfolgen. Dazu gab es auch keine Veranlassung, weil nirgends auch nur die kleinste Unregelmäßigkeit aufgefallen ist.“
„Eine anonyme Anzeige?“, mutmaßte der Chefredakteur, der Mühe hatte, seine Freude nicht offen zu zeigen. Hier witterte er einen Aufmacher für sein Blatt.
„Könnte man denken, wenn nicht eine direkte Verbindung zur entsprechenden Behörde bestehen würde.“
„Was, das wird ja immer schöner!“, empörte sich Schöler, der im Geist schon die Schlagzeile entwarf, „Sie meinen damit zum Finanzamt, gar zur Betriebsprüfung?“
Nadine Göricke setzte jetzt ihr Anwaltsgesicht auf: „Das habe ich weder gesagt, noch gemeint, wie ich ausdrücklich betone.“ Während dieser Satz ihre Lippen verließ, zeigte ihr Finger, wie zufällig, gen Himmel.
„Wow, ganz oben, etwa im Senat?“ Gunther Schöler konnte sein Glück kaum fassen.
„Wie kommen Sie denn darauf? Das habe ich mit keinem Wort angedeutet!“, stellte die Juristin klar, nickte aber dabei heftig mit dem Kopf.
Das wird ja immer besser, dachte der Zeitungsmacher, der seinen Reporterinstinkt nie abgelegt hatte, und blickte in die Runde der Ladies. Sein Blick blieb auf Annemarie Felten haften, die rot angelaufen war und wie erstarrt in ihrem Polsterstuhl saß. Der Tag hatte sich in der Tat gelohnt. Jetzt brauchte er nur noch Zwei und Zwei zusammenzählen. Noch weiter zu bohren würde wenig bringen, vielleicht nur bewirken, dass auch andere Fragen nur sehr ausweichend beantwortet werden würden, sagte sich der erfahrene Menschenkenner.
„Nun, es ist schon schlimm, was alles in unserer Gesellschaft möglich ist“, meinte Schöler und legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten, „aber Sie wollten noch darauf zu sprechen kommen, dass einige von Ihnen, meine Damen, auch etwas Ärger mit den Gatten bekommen haben.“
„Ja“, führte Etta, die zwischenzeitlich zwei weitere Gläser des teuren Prickelwassers geschlürft hatte, aus, „einige der ach so treusorgenden Ehemänner, die sich selbst auch als Spitzen der Gesellschaft sehen, haben nicht einmal davor zurückgescheut, einigen Ladies ganz klar zu verstehen zu geben, dass sie ihnen den Geldhahn zudrehen, wenn sie sich nicht für die Aufnahme irgendwelcher Damen bei uns verwenden.“ Nach der langen Rede, die sie trotz der reichlich geleerten Champagnergläser unfallfrei zustande gebracht hatte, stärkte die Clubgründerin sich erst einmal mit einem weiteren tiefen Schluck. „Hm, traurig, traurig, aber ich werde in dem Artikel über Ihren schon fast nicht mehr wegzudenkenden Damenstammtisch auch nochmals darauf hinweisen, dass nach Ihren Regeln nur einstimmiges Votum aller Members eine Aufnahme ermöglicht.“
Das hörten die Ladies natürlich gern, aber würde es helfen? Das war doch wohl sehr fraglich.
Dann brachte Rita Schaller endlich das Gespräch auf die Sorgen, die ihr jüngstes Mitglied, Erika Boll, plagten. Dieses brachte ihr einen mehr als dankbaren Blick der Betroffenen ein, die schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, dass auch ihr Problem noch zur Sprache kommen würde. Aber als Etta dann, jetzt doch schon leicht angeschlagen, erwähnte, dass die Ladies natürlich ihr Member Erika nicht allein im Regen stehen lassen würden und hierbei ein Bündel Scheine aus ihrem Täschchen zog und auf den Tisch warf, was von dem sich bisher völlig im Hintergrund gehaltenen Fotografen abgelichtet wurde, kam richtig Schwung in die Sache. „So, Sie alle, meine Damen, wollen also dazu beisteuern, dann mal die Scheinchen auf den Tisch. Geld ist sexy, viel mehr, als die Meisten glauben.“
Was sollten die so gelobten „Members of Ladies Power“ machen? Vor den Augen der Kamera war schlecht kneifen. Einige warfen durchaus höhere Beträge, als eingeplant, auf den Tisch – und dann einen bedauernden Blick hinterher. Einige Male flammte das Blitzlicht auf und schließlich, als die Scheinchen mitten auf dem Tisch ein schönes Stillleben darstellten, meinte Gunther Schöler: „Dann wollen wir doch mal sehen, ich darf doch?“ Die Ladies nickten und der Chefredakteur begann zu zählen.
„Donnerwetter, sechsundachtzigtausendzweihundert Euro, alle Achtung. Also, ich schlage vor, ich nehme die Kohle mit, sperre sie bei uns in den Safe und nehme Kontakt zu Ihren Gläubigern auf“, wobei er Erika Boll freundlich zunickte. Wenn wir das Einverständnis bekommen, dann bringen wir die Kohle zu den Herrschaften oder bitten diese in die Redaktion, wobei dann Sie, Frau Boll, und zwei, drei andere Damen mit dabei sein sollten.“ Die Damen nickten. Die einen, mit Etta an der Spitze, hoheitsvoll, andere freundlich und zufrieden, Erika erwartungsvoll und ob des Geldsegens ihrer Stammtischschwestern glücklich. Daran, dass ohne Pressebericht und Fotos wohl deutlich weniger zusammengekommen wäre, dachte sie nicht. Etta und einige andere Ladies hingegen wunderten sich sehr. Sechsundachtzigtausend? Wie das? Etta war sich sicher, dass mehr als sie wohl niemand geben würde. Viele, wie Helga, Ute und einige andere sogar viel weniger. Edelgarde v. Toppendorf, Freifrau und Großgrundbesitzerin und zigfache Millionärin konnte ein Lächeln gerade noch verbergen, als sie sah, wie es gerade hinter der Stirn der mittlerweile nun wirklich nicht mehr ganz nüchternen Etta arbeitete, als Schöler ein dickes Bündel Fünfhunderter hochhielt und sein Fotograf ein Bild schoss. Fast unauffällig hatte die bekannte Sportreiterin, die auch eine exzellente Jägerin und anerkannte Hundeführerin war, das dicke Bündel auf dem Tisch platziert.
Dann, nach noch einigen durchaus interessanten Gesprächen, verabschiedete sich der Chefredakteur der „Hamburger Allgemeinen“ mit den Worten: „Dann freuen Sie sich auf die Samstagsausgabe, meine Damen!“
Diejenigen, die den geistigen Getränken nur mäßig zugesprochen hatten, fuhren in ihren meist teuren Sportcoupés oder Cabrios vom Parkplatz. Die doch etwas vorsichtiger gewordene Etta ließ sich von ihrem „Helgalein“ chauffieren und einige bevorzugten auch ein Taxi. Nur Busse oder Bahnen waren für Damen ihrer Klasse natürlich tabu.
Gunther Schöler allerdings nahm, nachdem er das gespendete Geld im Tresor der Redaktion eingeschlossen hatte, einige Straßen weiter den einen oder anderen Whisky gemeinsam mit seinem Fotografen zu sich, wobei sie sich die Fotos anschauten und insbesondere bei einem sich ohne Worte zunickten. Das Foto hatte den Moment eingefangen, als fast alle Ladies gleichzeitig ihre Beiträge leisteten und das Geld auf den schweren Eichentisch warfen. Mittendrin ein Arm mit einer schlanken, aber sehnigen Hand, die eindeutig ein dickes Bündel Fünfhunderter auf den gut ausgeleuchteten Tisch fallen ließ. Am Handgelenk ein gelbgoldener, ganz sicher alter, Armreif mit im Licht dunkelrot funkelnden Rubinen besetzt. Diesen Armreif kannte nicht nur Schöler, sondern auch sein Pressefotograf genau. Das Schmuckstück und seine zwar viel jüngere, aber mindestens ebenso edel wirkende, Besitzerin war in ihrem Blatt eine häufig abgelichtete Persönlichkeit.
Und tatsächlich, der Artikel über den Damenstammtisch „Ladies Power“ war gelungen. Ja, mehr als das, und zwar in jeder Hinsicht. Etta und ihre Stammtischschwestern waren hellauf begeistert. Nicht nur, dass ihr Stammtisch als mittlerweile „Hamburger Institution“ auf eine Stufe mit dem Lions-Club, dem Golf-Club „Grün-Weiß 99“ und dem „Hanseatischen Segel-Verein von 1850“ gestellt wurde, was zwar nicht das ehrwürdige Alter, aber das mittlerweile erlangte Prestige anbetraf, sondern auch, was die Zusammensetzung der Mitglieder, die sich als Members bezeichneten, und auch die Aktivitäten anging. So wurde von der Unterstützung in Not geratener Mitbürger, über die Hilfe bei Umweltkatastrophen, wie dem letzten Elbhochwasser, ebenso berichtet, wie die tatkräftige Mitarbeit im Bereich des angewandten und tatsächlichen Tier- und Naturschutzes und die Förderung von Talenten jeglicher Couleur. Besonders aber freuten sich die Ladies darüber, dass der Hinweis nicht fehlte, dass nur einstimmige Zustimmung aller Members die Aufnahme neuer Mitglieder ermöglichte. Außerdem wurden die Damen alle namentlich genannt und auf einem Gruppenbild der geneigten Leserschaft präsentiert. Gewissen Rahmen nahm auch die großzügige Spendenbereitschaft für eine der Ladies, die schwer vom Schicksal gebeutelte Erika Boll, ein. Insbesondere die dicken Geldbündel, die um die Fünfhunderter drapiert wurden, und so selbstverständlich sofort ins Auge fielen. „Geld“, so erklärte Schöler seinem Fotografen nachdrücklich bei Betrachtung der insgesamt gelungenen Bilder, „ist für den Normalo stets der interessanteste Blickfang.“ Wer anderer Meinung ist, lege einen dreckigen Fünfhunderter und gleichzeitig ein Hochglanzfoto einer nackten Schönheit auf den Tisch und beachte, worauf die Blicke der Anwesenden zuerst fallen werden?
Nachdem auch einige der Ladies zu Wort kamen, selbstverständlich die Gründerin, Etta v. Tarla-Hippenstedt, an der Spitze, sprach der Chefredakteur noch ganz kurz die Hoffnung aus, dass die Gläubiger der unschuldig in diese finanzielle Not geratenen Erika ein Einsehen haben mögen und sich mit der Aufteilung der zusammengekommenen Gelder zufriedengeben würden, was auch nachdrücklich mit der ganzen Macht dieses bedeutenden Blattes insistiert wurde.
Rita Schaller jedenfalls war stolz auf ihren Chef und dachte sogar, zwar nur ganz kurz, aber immerhin, darüber nach, ob sie ihn vielleicht doch irgendwann einmal in ihr Lotterbettchen lassen sollte? Mit dem Artikel hatte er auf einer ganzen Seite jedenfalls absolut gehalten, was er versprochen hatte. Aber wäre das in jedweder Beziehung so? Nun, frau würde sehen. Erst einmal abwarten, ob er denn auch im Falle Erika erfolgreich ist, sagte sie sich.
Viel weniger Begeisterung hingegen löste der des überschwänglichen Lobes volle Artikel bei einigen anderen Mitgliedern der „Oberen Fünfhundert“ der Hansestadt aus.
„Da siehst du es! Eine Institution nennt die ‚Hamburger Allgemeine‘ den Stammtisch. Du bist in jedem Verein, der Rang und Namen hat“, Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume machte eine kleine Pause um tief Luft zu holen, um dann mit erhobener Stimme zischend den Satz zu vollenden, „von meinem Geld natürlich! Und ich, die dir alles, alles was du dir gewünscht hast, ermöglicht hat, ich stehe wieder einmal außen vor!“
Staatsrat Dr. Peter Hammerschmidt wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Ihm war, als würde eine böse Schlange gleich ihr Gift über ihn verspritzen. Aber sollte er ihr sagen, wie oft er diesen Schritt schon bereut hatte? Wie konnte er nur so dumm gewesen sein, sich vom Geld und natürlich dem Einfluss der Familie Blume so blenden zu lassen, dass er diesen hässlichen und bösartigen tapezierten Knochen geehelicht hatte? Aus sicherer Entfernung und in der Nähe der Tür, die Aktenmappe bereits unter dem Arm und den Autoschlüssel in der Hand, gestattete er sich immerhin den Hinweis: „Nach allem, was du dir gerade geleistet hast, solltest du lieber still sein, Sieglinde. Danke Gott, wenn es mit einem Strafbefehl ausgeht und du nicht in einer öffentlichen Verhandlung durch die Presse gezerrt wirst.“ Schnell machte er, dass er aus dem Haus kam, um ihre Erwiderung nicht mehr hören zu müssen.
Paul Bollmann, der sich am Samstag beim morgendlichen Frühstück immer erst einmal die Börsenkurse zu Gemüte führte, war soviel Glück nicht beschieden. Wie eine Furie stürzte sich seine Angetraute auf ihn. „Hier, in der ‚Allgemeinen‘ ist ein Riesenartikel über den Damenstammtisch!“ Mir diesen Worten warf sie ihm die gerade angelieferte Zeitung auf den Tisch. Mitten auf sein, gerade frisch geschmiertes, Brötchen mit Fleischsalat. „Na, na, klink dich mal wieder ein, Mädchen“, brummte Bollmann, dessen gerade noch erfreut durch die gestiegenen Daxwerte strahlendes Gesicht sich jetzt langsam von freundlich auf angesäuert veränderte. Seine nicht einmal halb so alte Heidelinde war zwar schön anzuschauen und auch in gewissen Dingen durchaus eine Granate, aber an Hirn und dem, was man auch die inneren Werte zu nennen pflegt, mangelte es hingegen. Die dafür vorgesehene Masse war wohl in Titten und Arsch verbraucht worden, die dafür aber immerhin silikonfrei, also naturbelassen, den Blick des Betrachters erfreuten. Schnaufend griff Bollmann sich das Druckerzeugnis und vertiefte sich in den Artikel. „Na, dann habe ich Hanno und Falk ja vielleicht sogar zu Unrecht beschuldigt“, brummte er. Das war nun ganz und gar nicht das, was seine Heidi hören wollte. „Was sagst du da? Zu Unrecht? Willst du damit sagen, dass die Weiber mich nicht aufgenommen haben, war richtig?“ Bollmann stärkte sich erst einmal mit einem Bissen, der das halbe Brötchen aus der Gefahrenzone brachte, nämlich in seinem Mund verschwinden ließ und nach nur zwei, drei Kaubewegungen eine Etage tiefer befördert wurde. „Hmhm, immerhin steht da auch, dass die Damen eine Aufnahme nur einstimmig beschließen können. Das heißt also, dass alle Frauen zustimmen müssen und nicht nur eine, verstehst du?“, verdeutlichte Paul Bollmann seine Worte.
„Natürlich, ich bin ja nicht blöd!“ Diese Anmerkung kommentierte der Makler lieber nicht, schließlich wollte er zu Ende frühstücken. „Also ist es dir egal, ob deine Frau dazu gehört oder nicht?“ Geradezu entsetzt starrte Heidelinde ihn an.
„Eigentlich schon, man kann nicht alles haben, was man will.“ Langsam schaffte sie es, Bollmann wütend zu machen.
„Hast du mir nicht gesagt, mit dir kann ich alles erreichen. Für dich gibt es nichts Unmögliches!“
Bollmann überlegte, ob er sich aufregen sollte oder nicht? Wenn er Heidi so hörte, regte es ihn schon auf. Wenn er an seinen Hausarzt und dessen Worte über sein Herz und seine Blut- und Leberwerte dachte, sollte er sich mäßigen. Nicht nur bei fettem Essen und den geistigen Getränken, sondern auch, was Ärger und Aufregung anging. Er beschloss also, ruhig zu bleiben. „Ich spreche nochmal mit den beiden. Ein paar von den anderen Männern kenne ich auch. Aber nur, wenn du mich nicht mehr drängst und mich jetzt in Ruhe frühstücken lässt. Verstanden?“
Auch Gesche Köster, die fünfzigjährige Ehefrau des Kaufhauskönigs Karl-Heinz Köster, dem Inhaber der „Köster-Kaufhaus-Kette“ mit dem wohlklingenden Namen „Kösters Einkaufsparadies“, hatte den lobenden Artikel über „Ladies Power“ mit zunehmendem Interesse zur Kenntnis genommen. Ihre erwachsenen Söhne waren längst aus dem Haus. Der ältere, Jürgen, studierte in London Wirtschaftswissenschaften und der zweiundzwanzigjährige Ingolf wollte seinen Traum leben und Flugkapitän werden und befand sich in der Ausbildung. Ihr Mann hingegen ging ganz für seine Geschäfte auf und sie überlegte, ob sie sich nicht um die Mitgliedschaft in diesem Stammtisch bewerben sollte? Vielseitig interessiert war sie, klug und teamfähig wohl auch. Also warum nicht. Bei passender Gelegenheit wollte sie ihren Karli darauf ansprechen. Eigentlich, so dachte sie, sollte doch nichts dagegen sprechen.
So, wie Gesche Köster, dachten noch einige, nein, wenn wir ehrlich sind, viele Damen, die sich für einen Teil des Nabels hielten, um den sich die Welt zu drehen habe. Einige unternahmen auch den Versuch, Mitglied dieser illustren Damenrunde zu werden.
Eine davon war Julia Degen, die Gattin des weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannten Strafverteidigers Franck-Walther Degen, der vornehmlich gutbetuchte Wirtschaftskriminelle und Steuerhinterzieher vertrat, aber auch vor der Verteidigung von „gemeinen Straftätern“, wie Mördern und Räubern, nicht zurückschreckte und auch die eine oder andere Figur aus dem Milieu vertrat. Hauptsache, die Kasse stimmte. Und wen er vertrat, der konnte zahlen – auch seine exorbitanten Honorare. So war er eine schillernde Persönlichkeit. Von seinen Mandanten vergöttert, von den weniger erfolgreichen Kollegen beneidet, den Richtern sowohl gefürchtet als auch geachtet und von Staatsanwälten und Polizisten offen gehasst, was ihn aber nicht zu tangieren schien.
Wer ihm aber nicht egal war, das war seine Julia, mit der er seit fünfzehn Jahren – leider kinderlos – verheiratet war. Für sie tat er so gut wie alles und fragte auch nicht, was es ihn kosten könnte, was sich nicht nur auf den schnöden Mammon beschränkte. Sie war sein Leuchtturm. Mit ihr konnte er über alles und jedes reden. Bei ihr konnte er Mensch sein. Verletzlich wie jeder andere auch. Sie verstand ihn. Immer und in jeder Hinsicht und dafür war er ihr über alle Grenzen hinaus dankbar.
Henriette (Henni) Hähnlein, geborene Eisenhart, in der SM-Szene besser bekannt als Madam Chantal, hatte ganz andere Probleme zu lösen. Ihr war ihre, auch bei gewissen Spielchen als Sex-Sklavin dienende Gehilfin Bille, auch Tittenbille genannt, wegen eines Unfalls auf dem Weg zum Dienst, denn Arbeit konnte man diese Art von Dienstleistungen ja nicht so profan nennen, ausgefallen. Üblicherweise hätte sie damit nur ein kleines aber lösbares Problem gehabt. Aber es war die Zeit der Herbstmesse und der Tagungen, die viele betuchte Herren in die Hansestadt spülte, wovon einige auch nicht nur die beruflichen Angelegenheiten im Kopf hatten, sondern vielmehr weg von zu Hause die Sau rauslassen wollten. Da war auch ihr Studio für die speziellen Wünsche ausgebucht und alle ihre Spezialkräfte im schlagenden oder sonstig quälenden Einsatz. Gerade heute aber, sie schaute auf ihre gelbgoldene und mit Diamantsplittern besetzte Armbanduhr, die ihr ein geradezu enthusiastischer Zögling aufgedrängt hatte, und überlegte angestrengt, als ihr privates Handy klingelte. „Nanu, Helga, was will die denn nun?“, murmelte sie und drückte den grünen Hörer. „Na, Helgachen, was gibt es so Wichtiges?“ Je länger sie zuhörte, desto mehr veränderte sich ihr Gesichtsausdruck von genervt auf interessiert.
„Was hast du denn angestellt, dass du mich um zweitausend Euro angehst?“ Sie lauschte kurz, lachte laut auf und entgegnete: „Gut, musst du mir ja auch nicht näher erläutern. Muss aber ja schon ein größeres Ding sein, wenn du dir diese paar Kröten nicht von deinem Mann oder deiner Busenfreundin Etta leihen kannst. Aber, schon gut, ich schenke dir die zweitausend Euro sogar, wenn du in einer halben Stunde in meinem Studio bist. Rote Unterwäsche und Strapse hast du ja wohl.“ Laut drang Helgas entsetzte Stimme aus dem kleinen Wunder der Technik, ohne das heutzutage wohl keiner mehr auszukommen meint. „Ruhig, natürlich sollst du dich nicht prostituieren. Zumindest nicht so, wie du denkst. Also, schwing dich in den Sattel und trab an!“ Chantal, wie wir sie bei ihrer so quälend beglückenden Berufsausübung nennen wollen, lachte laut auf und machte sich an die Vorbereitungen.
Etwa zu dieser Stunde geschahen noch mehrere bemerkenswerte Dinge. Zunächst berichtete der Chefredakteur der „Hamburger Allgemeinen“ seiner freiberuflichen Mitarbeiterin, dass es ihm gelungen sei, die Gläubiger ihrer Stammtischschwester Erika Boll mit sanftem Nachdruck zur Annahme des Vergleichsvorschlages mit erheblichem Forderungsverzicht zu bewegen. Das Ganze sollte im Interesse, sowohl der Zeitung, als auch der betroffenen Gläubiger, medienwirksam herausgestellt werden. Sie möge also bitte dabei anwesend sein und auch ihre Freundin Etta und insbesondere die bekannte Sportreiterin und Großgrundbesitzerin Edelgarde von Toppendorf dazu am Donnerstag gegen 14.00 Uhr in die Redaktion einladen.
Weniger erfreut war Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume, die zu eben dieser Stunde vom Postzusteller die Mitteilung der Staatsanwaltschaft erhielt, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 Strafgesetzbuch eingeleitet worden sei.
Ausgesprochen überrascht hingegen zeigte sich der Notar Falk v. Tarla, als ihm seine Empfangsdame mitteilte, dass ihn der Herr Rechtsanwalt Franck-Walther Degen zu sprechen wünsche. „Der Strafverteidiger Degen?“ „Ja, genau der.“ Falk überlegte kurz und fragte nochmals nach: „Hat er gesagt, um was es geht?“ „Nein, er sagte nur, um eine persönliche Angelegenheit.“ „Na gut, schicken Sie ihn rein!“, rang sich der Notar durch. Obwohl die nächsten Vertragsparteien bereits im Wartezimmer warteten, war er einfach neugierig, was der Kollege, zu dem er persönlich nie wirklich Kontakt hatte, außer bei einigen offiziellen Empfängen, wohl von ihm wolle?
Kurz darauf saß dieser ihm gegenüber und lobte die noble Ausstattung der Kanzlei. „Nun, Herr Degen, wer Verträge in gewisser Größenordnung beurkundet, kann ja schlecht im Parkhaus residieren. Aber es warten bereits die nächsten Parteien. Also, worum geht es?“
Der eloquente und eigentlich nie um Worte verlegene Strafrechtler hatte es jetzt schwer, die richtigen Worte zu finden. „Nun, aber lachen Sie bitte nicht, es geht um diesen Stammtisch ‚Ladies Power‘.“
Nun war es an dem Notar, ein wenig geistreiches, aber umso überraschteres, Gesicht zu machen. „Wie bitte?“
Degen lächelte fast schüchtern: „Ja, Ihre Gattin, und auch die des Kollegen Altmann, sind doch wohl so etwas wie die Gründerinnen dieses mittlerweile sehr bekannten Clubs, wenn ich richtig informiert bin.“
„Das schon, aber so ganz verstehe ich nicht, was ein so bekannter Strafverteidiger, wie Sie es ja nun einmal sind, mit diesem Stammtisch zu schaffen hat?“
Degen lächelte verlegen: „Nun, meine Frau Julia hat mich gebeten, einmal vorzufühlen, ob es in Betracht kommt, dass sie dort aufgenommen werden könnte.“ Nun war es heraus.
Und richtig, wie von ihm erwartet, ja befürchtet, fing der Notar schallend an zu lachen. „Nein, ist es jetzt schon soweit gekommen, dass die Damen ihre Männer vorschicken?“
So nicht, alter Freund, der du nicht bist, dachte Degen und antwortete nun seinerseits mit süffisantem Grinsen im Gesicht. „Nun sagen Sie nicht, Herr v. Tarla, dass ich der erste Mann bin, der für seine Gattin vorfühlt!“
Das Lachen verging Falk. Wusste der Kerl etwa was? Hatte er etwa auch mit Bollmann oder den anderen Klienten, die gerade jetzt wieder an ihn und Hanno, nach diesem Scheißartikel, herangetreten waren, zu schaffen? Verwunderlich wäre das nicht. Makler, Fuhrunternehmer und Banker oder Vermieter können durchaus auch insoweit Probleme bekommen. „Naja, der Allererste sind Sie nicht, Herr Degen, aber ich weiß nicht, was ich da tun soll? Sie haben doch auch aus der Presse entnommen, dass die Damen Aufnahmen nur einstimmig beschließen“.
Degen lächelte jetzt seinerseits maliziös. „Habe ich, aber etwas Fürsprache wäre schon gar nicht schlecht. Ich würde mich im Erfolgsfall gern dafür verwenden, dass meine Mandanten für etwaige Verträge Ihre Beauftragung in Erwägung ziehen. Ich vertrete einige Bauunternehmen und, wie Sie aus der Presse ja wissen, auch den Vorstand eines Großkonzerns in einer leider öffentlich gewordenen Steuersache. Auch von daher wäre sicherlich eine gewisse Empfehlung nicht nachteilig.“ Nun, wenn es ums Geldverdienen ging, war Falk, wie auch Kollege Hanno, immer gesprächsbereit. „Ich spreche mal mit Hanno, vielleicht trinken wir einmal ein Bierchen zu dritt, was meinen Sie, Herr Kollege?“
Der Kollege stimmte erfreut zu und verabschiedete sich höflich und vergaß auch selbstverständlich nicht, die besten Grüße an die Frau Gemahlin auszurichten.
Helga Altmann hingegen wusste nicht so recht, was sie tun solle? Sie war doch keine Dirne. Aber sie brauchte die Kohle dringend, weil ihr ein bedauerliches Missgeschick unterlaufen war, dass sie – gerade in der jetzigen Situation – Hanno auf keinen Fall beichten wollte und in diesem speziellen Fall sich auch einfach schämte, sich an Etta zu wenden. Eigentlich ein ganz alltägliches Versehen. Vielleicht ausgelöst auch von der nervlichen Belastung durch das Drängen Hannos, sich gefälligst für die Aufnahme der Ehefrauen seiner Klienten zu verwenden. Während sie, Ablenkung suchend, durch eine der teuren Parfümerien der Stadt schlenderte und sich gerade ein Duftwässerchen ihrer Marke „Charlene X“ ausgesucht hatte, klingelte ihr Handy. Versehentlich drückte sie das Gespräch weg, statt es anzunehmen. Bei der Suche nach der Anrufliste benötigte sie beide Hände und steckte dabei das störende Fläschchen in die Tasche ihrer Jacke. Dieses war nicht nur beobachtet, sondern sie dabei auch von einer der Überwachungskameras gefilmt worden. Noch bevor sie ihr Gespräch beendet hatte, stand der Ladendetektiv hinter ihr und bat sie in sein Büro, wenn man das kleine Kabuff mit einem alten Schreibtisch, Computer und sechs Bildschirmen, die den ganzen Laden zeigten, so nennen mag.
Ihrer Beteuerung, das teure Parfüm nur eingesteckt zu haben, weil sie nicht wusste, wohin damit beim Telefonieren, danach aber selbstverständlich das Handy zurückstecken und die kleine Packung wieder in die Hand nehmen und zur Kasse gehen wollte, glaubte der Mann ihr nicht und erklärte, die Polizei rufen zu müssen. „Nur das nicht!“, entfuhr es der geschockten Frau daraufhin spontan und lieferte dem etwas ungepflegt wirkendem Mann, der so gar nicht in dieses ansprechende Ambiente passen wollte, die Vorlage zu seinem Erpressungsversuch. Die ohnehin nervlich überforderte Helga unterschrieb daraufhin ihr Geständnis, das vernichtet werden würde, wenn sie innerhalb einer Woche dem Kerl zweitausend Euro übergeben würde. Erst hinterher dachte sie darüber nach, dass ihr ja doch erst eine Straftat nachgewiesen werden konnte, wenn sie ohne zu bezahlen die Kasse passiert hätte. Doch nun hatte sie unterschrieben und wer sollte ihr jetzt noch glauben? So dachte sie und die Zeit drängte. Spätestens in zwei Tagen sollte sie zahlen. Also, was tun? Helga staffierte sich wie gewünscht aus. Die rote Unterwäsche, seit Jahren nicht zum Einsatz gekommen, war zwar etwas eng geworden, aber damit konnte sie sich schon noch sehen lassen. Die schwarzen Strapse passten ja nicht so ganz, aber darüber musste Henni halt hinwegsehen, tröstete sie sich und machte sich, nachdem sie sich vorher mit einem kräftigen, dreifachen Cognac gestärkt hatte, noch immer etwas beklommen auf den Weg. Zu neuen Ufern oder noch tieferen Abgründen? Nun, bald würde sie es wissen, dachte sie und ein leichter Schauder durchfuhr ihren Körper.
Franck-Walther Degen war noch gar nicht ganz in der Tür seiner kleinen Kanzlei, als er den aufgeregt winkenden Arm seiner Sekretärin, einer hübschen, vielleicht etwas kräftigen, Frau mit ausdrucksvollem Gesicht und Kurzhaarfrisur wahrnahm. „Nanu, Chris, was gibt es Wichtiges?“
Christine winkte ihn zu sich und flüsterte in sein Ohr: „Der Geldadel wartet, Sieglinde Hammerschmidt-Blume.“
Degen grinste: „Na denn mal rein mit ihr!“ Dreißig Minuten später war er um ein lukratives und kaum arbeitsaufwändiges Mandat reicher.
Auch Helga Altmann war reicher, um zweitausend Euro, um es genau zu sagen. Und das, was sie dafür tun musste, war eigentlich kaum der Rede wert. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass sich doch relativ viel Geld so schnell und vor allem anderen, so leicht, verdienen ließ.
Gerade einmal eine gute Stunde waren ihre Dienste benötigt worden. Und sogar ihre Anonymität blieb absolut gewahrt. Dafür sorgte eine kleine goldfarbene Maske, die Chantal ihr aufsetzte, während sie ihr beschrieb, was die ihr zugedachte Aufgabe beinhaltete. Und diese war nun fürwahr alles andere als schwer. Vielleicht etwas unangenehm, aber nur zu Beginn der Therapie, wie Chantal das, was sie ihren Klienten angedeihen ließ, zu bezeichnen pflegte. Wenn Helga ehrlich war, musste sie sogar zugeben, dass es ihr tatsächlich etwas Spaß gemacht hatte. Insbesondere, wenn sie sich vorstellte, dass ihre Rutenschläge nicht diesen etwas dicklichen und hamsterbackigen Typ, sondern ihren Göttergatten Hanno treffen würden. „Na, siehst du, Helgachen, war doch gar nicht so schwer, oder?“ Chantal grinste süffisant. „Ich hatte sogar den Eindruck, es hat dir etwas Spaß gebracht.“
„Das hast du gemerkt?" Helga war überrascht. „Ja, ging Bille, das war die, für die du eingesprungen bist, fast genauso“, antwortete Chantal, immer noch mit schelmischem Grinsen im Gesicht.
„Ja, also, wenn du mal wieder in Verlegenheit bist, Henni“, Helga entschied sich, ihre Stammtischschwester doch lieber mit ihrem richtigen Namen anzureden, „dann gerne!“
„Ich denk an dich, Schätzchen. Gibt zwar nicht immer ganz soviel Kohle, aber es läppert sich. Aber dann und wann wirst du auch mal ein paar alte Flossen an deinen wirklich gut erhaltenen Luxuskörper lassen müssen. Ich hab da ohnehin so ’ne Idee.“
Auch Helgas Mann Hanno hatte eine Idee. Nämlich die, seine Helga nochmals so richtig unter Druck zu setzen, damit sie sich dafür einsetzte, dass Aufnahmeersuchen der Damen Bollmann, Degen und dergleichen positiv entschieden wurden. Nachdem seine Frau nochmals darauf hinwies, dass sie allein da gar nichts tun könne, wandte er sich ab. „Na, dann wirst du eben künftig mit wesentlich weniger Kohle auskommen müssen!“, lautete sein Kommentar.
Auch Annemarie Felten hatte Eheprobleme, die sie sich nie hätte träumen lassen. Am Abend kam ihr Mann Olaf zum ersten Mal in ihrer elfjährigen Ehe total betrunken nach Hause. Auf ihre Nachfrage grummelte er nur: „Alles deine Schuld. Die von dir und deinen Stammtischweibern!“ Mit diesen Worten schubste ihr großer, früher schlanker, jetzt mehr massig gewordener Mann sie beiseite und verschwand in seinem Arbeitszimmer.
Am nächsten Tag, dem Donnerstag, an dem sich für Erika Boll Wichtiges für ihren weiteren Lebensweg entscheiden sollte, trafen gegen dreizehn Uhr dreißig fast gleichzeitig Etta v. Tarla-Hippenstedt und Edelgarde v. Toppendorf im Redaktionshaus der „Hamburger Allgemeinen“ ein, wo eine sichtlich nervöse Erika Boll bereits auf sie wartete.
Der kleine, umtriebige Chefredakteur erwartete sie bereits und stimmte sie auf das Procedere ein.
Während er sprach, blieb sein Blick immer wieder an Edelgarde Freifrau v. Toppendorf haften, die in ihrem jagdgrünen Kostüm mit kurzem Rock und figurbetonter Jacke, schwarzen Wildlederstiefeln zu ihren langen, blonden Haaren und hellblau strahlenden Augen einen atemberaubenden Anblick bot. Die intelligente und lebenserfahrene Frau wusste genau, wie sie auf Männer wirkte, tat aber so, als merke sie nichts.
Dann endlich trafen, kurz nach vierzehn Uhr, die Vertreter der Gläubiger ein. In ihren grauen Anzügen, die zwar teuer waren, aber irgendwie uniform wirkten, erkannte der Eingeweihte sofort den Banker. Nachdem die Herren sich etwas geziert hatten, stimmten sie dann doch dem Vergleich zu, den der Redakteur gleich protokollieren ließ und dann gegen Quittung das gesammelte Geld als Vergleichssumme aushändigte. Zwei, drei Fotos, die eine glücklich strahlende, jetzt schuldenfreie, Erika Boll und die Edelmut ausstrahlenden Banker, umrahmt von Edelgarde, Etta und dem Chefredakteur, zeigten; und schon war die Sache ausgestanden. Die Banken bekamen seit längerer Zeit auch einmal wieder eine positive Presse, was den Verlust mehr als wett machte und die Zeitung bewies einmal mehr, wie sie sich für die kleinen Leute und unschuldig in Not geratenen Menschen selbstlos einsetzte. Also waren eigentlich alle zufrieden.
Das waren sie auch noch am nächsten Tag, bis auf Etta, die mit doch kräftigem Zähneknirschen zur Kenntnis nehmen musste, dass das große Foto eigentlich nur Edelgarde huldigte, und sie und auch die Anderen nur Randfiguren waren. Als sie dann noch lesen musste, dass wohl die bekannte Sportreiterin und Großgrundbesitzerin Edelgarde v. Toppendorf den weit überwiegenden Betrag zum Abschluss des Vergleichs beigesteuert hatte, war ihr der Tag endgültig verdorben.
Aber das war nichts gegen das, was für die Damen des Stammtisches „Ladies Power“ folgen sollte.
Nachdem die Members, wie sie sich jetzt generell selbst bezeichneten, bei ihrer ablehnenden Haltung für die um Aufnahme ersuchenden Damen blieben, kriselte es in vielen Ehen.
Am härtesten traf es Annemarie Felten, deren Mann Olaf nach Vorlage der ersten Ergebnisse der Steuerprüfung beurlaubt wurde und seiner Frau die Hauptschuld anlastete sowie zu trinken begann.
Kurz darauf folgte der Scheidungsantrag. Ebenso erging es auch Helga Altmann. Da beide laut Ehevertrag keine Unterhaltsansprüche geltend machen konnten, waren sie diejenigen, die am meisten verloren.
Der Herbst kam und Weihnachten stand vor der Tür. Nur wenige Wochen waren vergangen – und doch hatte sich soviel geändert. Auch und gerade für die Damen des Stammtisches. Einige Ehen waren gescheitert. Annemarie Felten wohnte zwar noch in dem großen Haus mit ihren Kindern Frank und Ellen, aber wohl nicht mehr lange, da ihr ausgezogener Olaf, der noch immer beurlaubt war und wohl auch kaum wieder seinen Vorstandsposten zurückerhalten würde, wieder ins Haus drängte. Helga Altmann hingegen hatte ihre Koffer und die ihrer Tochter gepackt und war zu ihrer neuen besten Freundin, Henriette Hähnlein, auch Madam Chantal genannt, gezogen. Dort in der Villa in der Sierichstraße bewohnte sie jetzt mit Töchterchen Doreen eine der drei separaten, kuscheligen Dachgeschosswohnungen. Für Doreen bezog Helga den entsprechenden Unterhalt und für die fehlenden Scheinchen arbeitete sie jetzt für Madam Chantal unter dem Künstlernamen „Circe“.
Am 10. Dezember feierte der Stammtisch „Ladies Power“ dann seinen „Nikolaus-Stammtisch“.
Aber alles, wirklich alles, war anders als noch im letzten Jahr.
Annemarie Felten, die Frau des noch immer beurlaubten Vorstands der „Hanseatischen Bürger und Geschäftsbank“, wie auch Helga Altmann lebten in Scheidung. Beide ließen sich von ihrer Stammtischschwester Nadine Göricke vertreten, die ihre Interessen bestens vertrat, aber einräumen musste, dass sich die finanzielle Lage der Damen nicht zu ihrem Besseren wenden ließ.
Das große Wort führte, wie sollte es auch anders sein, Etta v. Tarla-Hippenstedt. Diese hatte sich, wie üblich, bereits in Form gebracht, also reichlich vorgeglüht.
„Aber, Ladies, trotz aller Probleme, die einigen von euch von ihren Kerlen und auch anderer Seite bereitet worden sind, so sind wir uns doch treu geblieben und haben uns weder kaufen, noch erpressen lassen. Darauf sollten wir unser Glas erheben!“ Mit diesen Worten sorgte Etta dafür, dass alle dreizehn anwesenden Ladies ihr gefülltes Glas mit der edlen Flüssigkeit aus der französischen Champagne erhoben und ihr zuprosteten. Das nicht alle der Anderen ihre Fröhlichkeit wirklich teilten, fiel der in Feierlaune befindlichen Etta nicht weiter auf. Vielleicht schaute sie auch mehr auf Erika Boll, die in der Tat ausgesprochen zufrieden und glücklich wirkte. Sie hatte ja auch allen Grund dazu, war sie doch jetzt schuldenfrei und mit ihrem Salon in der Gewinnzone angelangt. Auch Henriette Hähnlein alias „Madam Chantal“, die mit ihrer neuen, in vielen Rollenspielen absolut souverän agierenden, Gehilfin mehr als zufrieden war, hatte wenig Grund zu klagen. Ganz anders Nadine Göricke, die sehr gern klagte, waren doch in Familienangelegenheiten stets lukrative Streitwerte gegeben. Auch wenn sie aufgrund der rechtswirksamen Eheverträge von Helga und Annemarie für diese selbst nur wenig erwarten durfte, so hatte sie doch sofort die Chancen genutzt, auf Festsetzung höherer Unterhaltsbeträge für deren Kinder das Gericht zu bemühen.
Aber auch Edelgarde v. Toppendorf, die sonst immer die strahlende Schönheit, der das Alter nichts anhaben konnte, zu verkörpern schien, obwohl sie selbst es überhaupt nicht darauf anlegte, schien in Gedanken versunken. Das passte nun so gar nicht zu der attraktiven Dame von Welt, der, außer ihren unübersehbaren körperlichen Vorzügen, auch ein beträchtliches Vermögen bereits in die Wiege gelegt worden war. Obwohl selbst gerade eine Krise durchlebend, war dieses Annemarie Felten gleich bei der Ankunft aufgefallen. Jetzt, wo die Ladies sich in einzelne Gespräche vertieften, sprach sie die sowohl als Sportreiterin, wie auch sonst wohl bekannteste der Stammtischschwestern an. „Du siehst so abwesend aus, Gardi, was bedrückt dich? Kann ich irgendwas für dich tun?“
Fast erschrocken wandte die Angesprochene sich ihr zu. „Na, Anne, du hast wohl mehr zu leiden als ich. Aber nett von dir, dass du fragst.“
„Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein“, leitete Annemarie den Rückzug ein, „aber ich wollte wirklich nur helfen, wenn ich es denn kann.“
Die ebenso attraktive, wie auch intelligente Baronin überlegte kurz und antwortete dann: „Ich glaube eigentlich nicht, aber vielleicht ja doch. Kennst du einen guten, aber wirklich ehrlichen Privatdetektiv? Keinen solch Schlüssellochschnüffler ohne viel Ahnung, der nachher noch seine Auftraggeber erpresst oder was gegen ein paar Scheinchen auf die Kralle an die Presse weitergibt.“
Zu ihrer großen Überraschung nickte Annemarie Felten. „Ich glaube schon. Vor einem knappen Jahr gab es in der Bank ein Problem und da hat Olaf so einen Detektiv, auch auf Empfehlung, engagiert und der hat, womit in der Bank, das heißt bei Aufsichtsrat und Vorstand, niemand wirklich gerechnet hat, ganz schnell den Fall geklärt.“
„Was? Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Das sollten wir aber nicht hier besprechen. Aber hast du nachher überhaupt noch Zeit? Ich meine wegen Frank und Ellen?“ Edelgarde dachte an die Kinder der Freundin, wurde aber schnell beruhigt.
„Die sind diese Woche noch bis Samstag bei Olaf und werden von Oma, also seiner Mutter, betreut und so verwöhnt, dass sie mich kaum vermissen.“
Annemarie schüttelte den Kopf: „Tolle Frau, Olafs Mutter. Bedauert das Ganze sehr, kommt aber im Moment auch nicht an Olaf ran.“
„Weißt du was, Anne, dann verdrücken wir uns gleich und du kommst mit zu mir nach Hause. Wir können dann noch einen guten Rotwein trinken und ich bringe dich dann morgen Vormittag wieder her, damit du deinen Wagen abholen kannst.“
„Also, was möchtest du trinken?“ Edelgarde schaute fragend auf die Stammtischschwester, die zum ersten Mal ihr vor den Toren der Hansestadt gelegenes Landhaus besuchte und von den ganzen Eindrücken fast erschlagen wurde. Neben den Stallungen für die Pferde und das integrierte alte Gutshaus hatte Edelgardes Vater in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein fast ebenso großes Haus im Landhausstil errichten lassen, das sich über drei Stockwerke erstreckte.
In der geräumigen Eingangshalle hingen alte Gemälde, die sich zum Teil über mehrere Meter erstreckten und Schlachtszenen aus vergangenen Zeiten darstellten. Dazu Ölbilder der Vorfahren Edelgardes und anderer Persönlichkeiten. Dazwischen angeordnet, alte Wandteppiche mit wunderschönen Mustern und Waffen aus verschiedenen Epochen. Auf dem Marmorboden standen Rüstungen, wie sie im Mittelalter getragen wurden, sowie riesige Bodenvasen, Fackelhalter und vieles mehr. Ganz anders und modern eingerichtet war der Wohnraum mit den riesigen Fenstern, den hellen Sitzmöbeln aus erlesenen Stoffen und auch weißem Leder. Ein sich über die ganze Wand ziehendes Bücherregal mit sowohl alten, vielleicht sogar über einhundert und mehr Jahre alte, teils in Leder gebundene, Bücher sowie auch neuerer Literatur zog wie ein Magnet die Blicke auf sich. „Toll, einfach toll“, entfuhr es Annemarie, deren Blick jetzt auf einigen Stichen an der Wand verweilte, die einen eingelassenen riesig wirkenden Plasmafernseher vor einer separaten Sitzgruppe einrahmten.
Gardi, wie Edelgarde seit frühester Jugend von ihren Freundinnen genannt wurde, lächelte und füllte zwei edel aussehende Weingläser mit einer rubinroten Flüssigkeit aus einer Kristallkaraffe.
Sie hob ihr Glas Annemarie entgegen: „So, nehm erst mal einen Schluck, und dann erzähl von dem Detektiv.“
Eine Viertelstunde später lehnte sich Edelgarde zurück, nahm einen etwas größeren Schluck aus ihrem Glas und meinte nachdenklich: „Das hört sich gut an. Der Typ könnte mir vielleicht wirklich helfen.“
„Na, da bist du ja ganz gut aus dieser Nummer rausgekommen. Lass es dir eine Lehre sein!“ Staatsrat Dr. Peter Hammerschmidt, selbst Jurist, war ebenso erstaunt, wie andererseits natürlich auch erfreut, wie es diesem Anwalt Degen gelungen war, in so kurzer Zeit die Einstellung des Verfahrens wegen Unfallflucht mit einer simplen Einlassung gegenüber der Staatsanwaltschaft zu bewirken. Einstellung gegen Geldauflage, aber immerhin Einstellung ohne Gerichtsverhandlung und damit ohne Kenntnis der Öffentlichkeit; und – ganz wichtig – ohne Vorstrafe. Damit war der gute Name gewahrt und auch bezüglich seiner Chancen, demnächst neuer Finanzsenator zu werden, keinerlei Nachteil entstanden.
„Ha, das war doch klar. Es hätte doch wohl kein Richter in dieser Stadt geglaubt, dass eine Sieglinde Hammerschmidt-Blume Unfallflucht begeht. Weshalb auch? Getrunken habe ich nicht und wegen der paar Piepen für den Kratzer an der alten Rostlaube? Ist doch lächerlich!“
Sieglinde stampfte zur Bekräftigung ihrer Worte mit ihrem linken Fuß auf den Boden.
„Ist ja gut, ich meine nur, du solltest dich jetzt nicht noch zu weiteren unüberlegten Schritten gegen diese Stammtischfrauen hinreißen lassen.“ „Ach, nachdem du es nicht fertig gebracht hast, für die Aufnahme deiner Frau in diesen Club zu sorgen und ich mich von diesen Weibern so abfertigen lassen musste? Soll ich das etwa hinnehmen? Ich denke gar nicht daran. Eine Sieglinde Blume beleidigt man nicht. Das werden diese hochnäsigen Kühe schon noch merken! Auch Papa meint, dass ich mir das nicht bieten lassen kann. Wer sind denn wir Blumes? Wir stehen doch wohl himmelweit über denen!“
Oh Gott, wie bereute der arme, wenn auch superreich eingeheiratete, Mann einmal mehr seinen größten Fehler. Aber sollte er dieses abgrundtief hässliche Weib und ihre keifende Stimme, gepaart mit ihrem vor Bosheit und Hinterhältigkeit triefenden Charakter, über zehn Jahre ertragen haben, um im Falle einer Scheidung mit leeren Händen dazustehen? Nein! Das hatte er nicht verdient. Niemand, und er schon gar nicht. Ihrem Vater, dem achtzigjährigen Jacob Blume, der noch bis vor wenigen Wochen jeden Tag in der Bank seine leitende Funktion ausgeübt hatte, war erst kürzlich zusammengebrochen. Ein Schlaganfall hatte ihn aus heiterem Himmel getroffen. Aber der alte Mann war bereits wieder auf dem Wege der Besserung. Wie wäre es, wenn dieser sich nicht wieder erholen und Sieglinde als einzige Tochter und Erbin ihm so rechtzeitig folgen würde, dass sie kein Testament mehr errichten könne? Dann wäre er ja wohl der gesetzliche Erbe von vielen Millionen. Dann hätten sich seine erlittenen Qualen doch noch angemessen ausgezahlt. Doch den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Ganz bestimmt nicht. Es blieb wohl ein schöner Traum. Oder? Fast erschrak er bei dem Gedanken und schüttelte über sich selbst den Kopf. Aber zu seinem eigenen Erschrecken, der Gedanke kehrte immer wieder.
„Also, nehmen Sie bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen lassen? Einen Kaffee vielleicht, oder auch ein Wasser?“ Berti Tonner, der noch junge, knapp dreißigjährige Leiter der Hamburger Niederlassung der international tätigen Detektei „Waterhill Detectives“ konnte nicht verhindern, dass sein Blick wohl etwas zu lange auf der schönen Frau verweilte, die ihm an diesem Vormittag so unangemeldet von seiner Sekretärin Karin Thomas ins Büro geleitet wurde. Eigentlich war er mit dem Abschlussbericht eines großen Versicherungsbetruges, der auch zwei Menschen das Leben gekostet hatte, beschäftigt und hatte darum gebeten, nur in dringlichsten Fällen gestört zu werden. Er wollte schon seine Tommie, wie er sein hübsches Vorzimmerjuwel nannte, anknurren. Als er aber dann sah, was für eine Dame sie ihm ins Büro geleitete, leistete er ihr sofort gedanklich Abbitte für den Anraunzer, den sein Hirn bereits formuliert hatte, er aber glücklicherweise auszusprechen noch zurückhalten konnte.
„Danke, gern ein Wasser. Möglichst mit Kohlensäure, bitte!“ Ja, auch die wohlmodellierte Stimme mit dem gewissen Tempre passte genau zu der teuer gewandeten Schönheit, die jetzt die Beine geziert übereinander schlug und ihm einen Blick auf den halben Oberschenkel gewährte. Passt alles wie gemalt, musste er unwillkürlich denken. Schlanke, aber keinesfalls magere Gestalt mit den richtigen Rundungen. Edles, ovales Gesicht, in dem die strahlend blauen Augen dominierten und mit den roten Lippen und den perlweißen Zähnen zur braunen Gesichtsfarbe einen optimalen Kontrast bildeten.
Dazu das herbstlich passende Kostüm mit dem kurzen Rock und den leichten Stiefeln aus ganz offenbar superweichem Leder in beige-braun.
Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme leicht belegt klang, als er seine Vorzimmerfee bat, das erbetene Wasser zu servieren.
Nach einem gezierten Schluck aus dem Wasserglas kam die schöne Fremde, die sich als Edelgarde v. Toppendorf vorstellte und dem Mann ihre Karte überreichte, ohne Umschweife zur Sache.
So erfuhr der Detektiv, dass seine Besucherin ein großes, ererbtes Gut verwaltete und hier ein Gestüt betrieb, das viele Rassepferde hervorbrachte, die in die ganze Welt verkauft wurden. Gerade war wieder einer ihrer gekörten Hengste für fast vierhunderttausend Euro nach Amerika veräußert worden. Vielleicht war dies der Anlass gewesen für das ihr jetzt zugegangene Erpresserschreiben, das sie ihm zu ihren Worten überreichte.
„Oh, wow, ich bin begeistert“, kommentierte der noch junge, aber durchaus älter wirkende, örtliche Chef der Detektivagentur die Tatsache, dass ihm das Schreiben in einer Plastikhülle überreicht wurde.
Die schöne Dame lächelte: „Auch ich sehe Krimis. Daher sollten auch nur auf dem Umschlag meine Abdrücke sein, da ich das Schreiben mit einer Pinzette angefasst habe.“
Jetzt musste auch Berti Tonner grinsen. „Sehr gut, aber ich glaube kaum, dass wir Fingerspuren finden werden. Aber versuchen muss man es natürlich.“ Er legte die Formularhülle mit Brief und Umschlag beiseite, warf einen weiteren kurzen Blick auf die nicht mehr ganz junge, aber außerordentlich attraktive, Frau und fragte: „Rauchen Sie?“
Erstaunt musterte jetzt sie den Mann. „Ja, wie kommen Sie jetzt darauf?“ Er stand auf und entnahm seiner Schreibtischschublade Ascher und eine Packung Marlboro sowie ein Plastikfeuerzeug mit dem Logo einer Spedition. Die Raucherutensilien auf den Tisch legend antwortete er: „Sie haben Ihre Handtasche mehrfach auf- und zugemacht, dann den Reißverschluss des Nebenfaches aufgezogen und wieder geschlossen. Dort zeichnet sich ein Gegenstand ab, der sehr viel Ähnlichkeit mit einem Zigarettenetui hat.“
Auf ihrem Gesicht zeichnete sich Erstaunen ab, das aber ganz schnell in ein Lachen überging, das auch mit glockenhellen Tönen untermalt wurde. „Ich bin beeindruckt“, kam es immer noch lachend über ihre nur dezent geschminkten Lippen, „dann ist mein Fall ja sicher schon fast gelöst.“
„Nun, schauen wir mal. Aber erst benötige ich noch ein paar Antworten. Wenn der Typ androht, ihre Pferde zu töten oder auch die Stallungen abzubrennen, wenn Sie ihm keine halbe Million zahlen, dann kennt er sich ja wohl auf Ihrem Gut aus.“ Fragend blickte er sie an. „Nun, das muss nicht sein. Mein Name taucht ja hin und wieder in der Presse oder in Pferdesportsendungen auf.“ Tonner schüttelte den Kopf. „Ich würde fast wetten, dass dieser Mensch schon auf Ihrem Gut oder Gestüt gewesen ist. Vielleicht nicht nur einmal.“ „Meinen Sie wirklich?“ Jetzt schaute sie doch etwas erschrocken auf. „Leider ja. Wie viele Leute beschäftigen Sie denn vor Ort?“ „Mein Verwalterehepaar und dessen Sohn, ein Student um die fünfundzwanzig, wohnen in dem alten Gutsgebäude zusammen mit einem Ehepaar, das sich um die Pflege der Pferde kümmert. Dann noch drei Landarbeiter, eine Köchin und eine Frau für die Reinigung der Häuser, also des alten Gutshauses und meines neuen Hauses. Das habe ich mir etwas neben dem alten Gutshof errichten lassen. Alle anderen Beschäftigten, Pferdewirte, Trainer usw., wohnen nicht auf meinem Grund.“ Sie klappte ihr silbernes Etui auf und nahm eine Zigarette mit Goldfilter heraus, ließ sich Feuer reichen und nahm einen tiefen Zug. Anlass für Tonner, sich auch seinerseits ein Stäbchen anzustecken und sein Leben um angeblich weitere fünf Minuten zu verkürzen. „Wie viel Leute beschäftigen Sie denn überhaupt?“
„Um die fünfundzwanzig Personen, einschließlich Büro und Trainer. Für Aussaat und Ernte kommen noch Leute hinzu im Bedarfsfall. Meistens aber nehme ich Lohnunternehmer. Dazu natürlich Fensterputzer, Tierarzt, Lieferanten und so weiter. Einige Leute haben auch Boxen gemietet und stellen ihre Pferde bei mir ein. Aber nur noch wenige, meist Bekannte oder Leute, die ein Pferd bei mir gekauft haben oder ausbilden lassen.“
„Hm, das bedeutet viel Arbeit. Und in Ihrem neugebauten Haus leben Sie mit Ihrer Familie allein?“
Sie lachte erneut auf und wieder erschienen um ihre Augenwinkel viele winzig kleine Lachfältchen und einige, lustig anzusehende, auf dem geraden Nasenrücken, was ihn schon beim ersten Hinsehen fasziniert hatte. „Wenn Sie so wollen – ja. Allerdings besteht meine Familie aus meinem Wallach ‚Prinz‘, der aber in seiner Box untergebracht ist und meinen beiden Hunden. Einem Hannoverschen Schweißhundrüden namens ‚Baldo‘ und meiner Drahthaarhündin ‚Sine‘. Bevor Sie jetzt nachfragen, sage ich lieber gleich, dass es Ehemann oder sonstigen Anhang nicht gibt.“
Irgendwie freute ihn diese Auskunft. Mitten in seine Gedanken hinein fragte Edelgarde v. Toppendorf: „Also, übernehmen Sie den Fall?“ Berti Tonner nickte und wusste bereits, dass er diese Angelegenheit selbst übernehmen würde. Er hoffte nur, dass nicht gerade jetzt irgendein teuer versicherter Mensch das Zeitliche segnen möge, der bei einer der Gesellschaften eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen hatte, für die seine Firma vertraglich tätig war oder ein sonstiger Auftrag hereinkam, der seine persönliche Einschaltung erforderte.
„Gern doch. Aber das, Frau v. Toppendorf, wird nicht ganz billig werden.“
„Das habe ich auch nicht erwartet, Herr Tonner“, erwiderte die Baroness, „die Pferde sind im Übrigen ja auch gegen Unfall, Tod und Entführung usw. versichert.“
„Dann schlage ich vor, Sie suchen schon einmal die Versicherungsunterlagen, auch hinsichtlich der Gebäudeversicherungen, heraus. Ich könnte dann bei Ihnen vorbeischauen und mit Ihnen abklären, ob wir an die Versicherer jetzt schon herantreten? Das erhöhte Risiko müsste wohl ohnehin gemeldet werden. Darüber sollten Sie auch mit Ihrem Anwalt reden. Außerdem möchte ich mir die Örtlichkeiten einmal ansehen.“ „In Ordnung, ich rufe Sie nachher noch an“, bestätigte die neue Klientin zu Tonners Freude.
Natürlich ließ es sich Berti nicht nehmen, diese Frau, die ihn nun wirklich außerordentlich beeindruckt hatte, hinauszugeleiten. Als er in sein Büro zurückkam, hatte er immer noch ihren schwingenden Gang vor seinem geistigen Auge. Das war seiner Sekretärin natürlich nicht entgangen. „Hallo, großer Meister, nicht stolpern!“, schallte es ihm entgegen.
„Nein, Spatzl, aber du musst zugeben, die Frau hat was – oder?“
Tommie legte ihren schelmischen Gesichtsausdruck auf, den Kopf auf ihre ganz eigene Art schief und säuselte mit ihrer gut gespielten Klein-Mädchen-Stimme: „Nein, großer Herr und Meister, darum hat Tommie ja auch gegen die chefliche Anordnung verstoßen und die stolze Dame vorgelassen.“
„Braves Mädchen!“, bestätigte ihr Chef und strich ihr über das lange, mittelblonde Haar. Zurück in seinem Zimmer betrachtete er nochmals den Erpresserbrief. Billiges Druckerpapier, das wohl in der Hälfte aller Drucker der Hansestadt Verwendung fand. Selbst mit Lupe konnte er keine Abdrücke ausmachen. Vielleicht konnte das Labor ja weiterhelfen, aber auch das glaubte er kaum. Blieb noch die Hoffnung auf eine DNA-Spur, aber wohl ebenso unwahrscheinlich. Da gab der Text schon mehr her.
Wenn Sie, vor Geld stinkende Baronin, nicht wollen, dass ihre überteuerten Klepper in der Tierverwertung landen und zu Seife verkocht werden, statt für teures Geld an den dummen Mann oder die noch dümmere Frau gebracht zu werden, dann sollten Sie ernsthaft in Erwägung ziehen, von Ihrem Reichtum einen ganz, ganz kleinen Teil abzugeben und damit vielleicht ein wirklich wertvolles Menschenleben zu retten. Wenn Sie einverstanden sind, 575.000,- € innerhalb einer Woche zu zahlen, dann schalten Sie in der Samstag-Ausgabe der „Hamburger Allgemeinen“ unter VERMISCHTES folgende Anzeige: Ab 01.12. Wurf Jagdterrier, m u. w, mit Papieren abzugeben. Chiffre xy1669. Sollten Sie die Polizei einschalten, sterben nicht nur Ihre Gäule, sondern setze ich Ihnen auch den roten Hahn aufs Dach. Nächste Kontaktaufnahme erfolgt über die Chiffre-Nr.
Mit der Wortwahl und der Rechtschreibung, die nicht so recht zusammenzupassen schienen, da ließ sich vielleicht etwas anfangen. Er zündete sich eine Marlboro an und schenkte sich einen Schluck Wasser aus der nur halb geleerten Flasche in das Glas, aus dem seine Besucherin getrunken hatte. Fast meinte er, den Geschmack ihrer Lippen zu spüren, als er das Glas langsam und in kleinen Schlucken leerte.
„Alter Esel“, schalt er sich halblaut selbst. Die Tante ist mindestens zehn Jahre älter als du und spielt außerdem in einer ganz anderen Liga, gestand er sich ein, als er sich aufmachte, den Erpresserbrief in das Labor zu bringen, mit dem die Detektei seit langer Zeit zusammenarbeitete.
Frohe Kunde dagegen erhielt Etta v. Tarla-Hippenstedt. Nach dem ganzseitigen Zeitungsartikel und dem nachfolgenden Bericht über die Entschuldungsaktion von Member Erika, hatte auch ein großes Nachrichtenmagazin die Story vom Damenstammtisch „Ladies Power“ aufgegriffen. Der Redakteur der„Wochen-News“ hatte nach einigen Versuchen sie endlich erreicht und um ein Interview nachgesucht.
Nur ganz kurz hatte Etta erwogen, den Wunsch mit den anderen Ladies zu erörtern oder diese hinzuzuziehen. Dann aber dachte sie daran, dass bei der Spendenaktion ihr ja Edelgarde den Rang abgelaufen hatte und sowohl auf Foto, als auch im Artikel deutlich mehr Beachtung fand, was sie als ungerecht empfand. So beschloss sie schließlich, das Interview allein zu geben und erst am folgenden Dienstag die Members zu informieren. Schließlich war sie es gewesen, die diesen so bekannt gewordenen Club gegründet hatte. Da durfte sie sich nicht nur als Präsidentin fühlen, sondern das war sie auch. So verabredete sie also mit dem Redakteur, dass dieser seinen Reporter, und selbstredend auch den Fotografen, am nächsten Tag bereits am frühen Nachmittag zu ihr nach Hause schicken möge.
Am Abend dieses so ereignisreichen Tages geschah noch etwas, das weitreichende Auswirkungen haben sollte. „Also, Mäuschen, sei brav und spätestens um halb elf zurück. Ich bin auch gegen Mitternacht wieder da!“ Mit diesen Worten verabschiedete Helga Altmann ihre Tochter, die vierzehnjährige Doreen.
„Ja, Mama, geht klar. Gehst du wieder zu Henni zum Anscha…“, sie unterbrach sich, „äh, ich meine zum Arbeiten?“
Helga Altmann glaubte nicht richtig zu hören. Sie erschrak heftig und ihr Blutdruck stieg sprunghaft in die Höhe und eine knallrote Farbe überzog ihr Gesicht. „Was hast du gesagt? Anschaffen? Ich bin deine Mutter, was fällt dir denn ein?“ Fast hätte Helga ihrem über alles andere in der Welt geliebten Töchterchen eine knallige Backpfeife versetzt.
Doch Doreen war mit ihren vierzehn Lenzen ja nun auch kein kleines Mädchen mehr. Natürlich hatte sie gemerkt, was für ein Gewerbe Henni betrieb. In etwa jedenfalls. „Na, Mama, was machst du denn sonst bis spät in die Nacht bei Henriette? Ich bin doch nicht blöd. Meinst du, ich merke nicht, dass da unten ein Puff betrieben wird?“ Helga war entsetzt. Sie war doch immer so vorsichtig gewesen und zog sich immer erst bei Chantal in der Maske um, wie sie und die anderen Damen die große Umkleide nannten, die in der Tat alle Requisiten für die jeweils gewünschten Rollenspiele enthielt. Aus erschrocken geweiteten Augen sah sie Doreen an und suchte verzweifelt die passenden Worte. Warum fiel ihr denn bloß nichts ein? Sie sah die fragenden Augen ihrer Tochter auf sich gerichtet und konnte nicht antworten. Schließlich senkte sie den Blick und murmelte mit piepsiger Stimme, die ihr einfach nicht gehorchen wollte: „So ist das nicht. Nicht so jedenfalls, wie du denkst.“
„Wie ist es denn, Mama, wie?“ Fast schrie ihr Mädchen ihr die Worte ins Gesicht und unwillkürlich wich die Frau einen Schritt zurück. So hatte sie ihre Tochter ja noch nie erlebt. So erwachsen und vor allem, so wütend. Auch Doreens Gesicht glühte nun. Aber vor Zorn und Wut, wie es schien. Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Wie ist es denn, Mama? Sag es mir! Rede mit mir!“
In Helgas Kopf drehte sich alles. Sie war einfach nicht dazu in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. „Doreen, Kind, ich … ich …“, ihre Stimme wurde brüchig und die zornige Gestalt vor ihr schien zu verschwimmen. Das schöne, ebenmäßige Gesicht ihrer Tochter verblasste und wurde fast durchsichtig. Nur die auf sie gerichteten grünen Augen stachen noch wie zwei grelle Lichter hervor und schienen sie geradewegs zu durchbohren. Dann gingen auch diese Lampen aus und es war nichts mehr da. Gar nichts!
„Mama, Mama, was ist, was hast du!“ Gellend schrie das Mädchen auf, als ihre Mutter vor ihr auf den Boden sank und sich nicht mehr rührte. Ihre Tochter warf sich neben ihr auf den Boden des kleinen Flurs der Dachgeschosswohnung und ergriff mit beiden Händen den Kopf ihrer Mutter. „Mama, sag doch was!“ Da fühlte sie es feucht an ihren Fingern und starrte entsetzt auf ihre kleinen Hände. Blut tropfte von ihrer rechten Hand auf den hellen Teppichboden und hinterließ tiefrote Flecken. Ein weiterer Schrei entrang sich ihrem Mund und Tränen traten in ihre Augen. Stumm vor Entsetzen sah sie, dass sich der helle Boden unter den kupferroten Haaren ihrer Mutter mit einem ganz anderen Rot färbte und anfing im Licht der Flurlampen nass zu glänzen.
Berti Tonner war beeindruckt. Von der stolzen und schönen Edelgarde sowieso, aber auch von dem, was er jetzt hier auf ihrem Gut, und dem angeschlossenen Gestüt erblickte. Saubere Wege, gepflegte Gebäude in hellen, freundlichen Farben. Gepflasterte Stallgassen sorgten dafür, dass das Regenwasser abfließen konnte und auch die Leute, die sich auf dem angrenzenden Trainingsplatz mit einigen Pferden beschäftigten, wirkten zufrieden und ausgeglichen.
„Kommen Sie rein“, winkte ihn die in Reithose und Pullover gekleidete Edelgarde in ihr Wohnhaus, das etwas abgesetzt von den Stallungen, Scheune und auch dem Gutshaus neu errichtet worden war.
„Danke, und alle Achtung. Ich bin beeindruckt!“, ließ Tonner seine Auftraggeberin wissen.
Kurz darauf saßen sich die beiden in dem gemütlichen Arbeitszimmer der Dame des Hauses an einem viereckigen Tisch auf modernen, aber trotzdem bequemen, Ledersesseln gegenüber.
„So, hier sind die ganzen Personalakten. In den grünen Deckeln die meiner jetzigen Beschäftigten und in den blauen die Unterlagen der in den letzten fünf Jahren ausgeschiedenen Leute!“ Edelgarde deutete auf die beiden Aktenstapel, die sich auf dem Tisch türmten. Mit den Worten: „Fangen Sie ruhig an, ich hole uns einen Kaffee“, stand die blonde Frau auf und verschwand durch die Tür. Auch in Reithose und -stiefeln ein mehr als reizvoller Anblick, dem Berti noch Augenblicke nachhing, als sie längst aus seinem Blickfeld verschwunden war. Nur mühsam konnte er seine Aufmerksamkeit auf die Personalakten konzentrieren, wo er mit den ausgeschiedenen Mitarbeitern begann.
Drei Stunden und vier Tassen Kaffee später, im Aschenbecher aus Marmor hatten sich ein halbes Dutzend Kippen angesammelt, hatte der Detektiv das Aktenstudium zunächst beendet. Leider hatte ihn seine attraktive Auftraggeberin bereits nach einigen Minuten wieder verlassen, da sie sich um ein Problem in den Stallungen kümmern musste.
Zwei blaue Deckel hatte er aussortiert und die anderen wieder auf die entfernte Seite des, aus verchromten Beinen und schwerer Kristallplatte bestehenden, Tisches geschoben.
Erneut schlug er den oberen Aktendeckel auf. Er blätterte ganz nach hinten und starrte auf das oben an den Lebenslauf geheftete Foto, das einen gutaussehenden Mann um die Vierzig mit vollen, dunklen Haaren und braunen Augen, sowie gebräuntem Gesicht zeigte. Ein gutaussehender Typ, wie er sich, etwas widerwillig, eingestehen musste. Er vertiefte sich nochmals in den Lebenslauf. Abitur, abgebrochenes Jurastudium und dann Reitlehrer mit Tätigkeiten in der Schweiz, Österreich und auch einigen Jahren Amerika. In Florida, genauer gesagt in Fort Lauderdale. „Wo auch sonst?“, murrte Tonner halblaut vor sich hin.
„Was meinen Sie?“ Erschrocken fuhr der Mann herum und sah erfreut auf die umgekleidete Adelige.
Edelgarde trug jetzt eine tief ausgeschnittene Bluse in unschuldigem Weiß, darunter einen dunkelgrünen, langen Rock zu braunen Stiefeln. Ein atemberaubender Anblick, der ihm ein nicht ganz unbeabsichtigtes Wow entlockte. „Schön, dass Ihnen mein Outfit gefällt“, klang ihre Stimme an sein Ohr, „aber dann verraten Sie mir jetzt auch bitte, was Sie eben gemeint haben?“
„Äh ja“, er grinste jetzt verschmitzt, „und nochmals ja. Ihr Outfit und auch alles darin Verpackte gefällt überaus und ja, verrate ich Ihnen gern, was ich entdeckt habe.“ Die Baronin lachte leise auf und nahm ihm gegenüber Platz, schlug die Beine übereinander und ließ sich Feuer geben. Auch er steckte sich eine weitere Zigarette an und kam dann zur Sache.
„Hier haben wir einen möglichen Kandidaten.“ Während er ihr die Akte hinüberschob, fuhr er fort. „Dieser Alexander Axmann, den Sie vor einem guten halben Jahr entlassen haben. Was war der Grund?“ Edelgarde schlug die Akte auf und blätterte darin, während eine leichte Röte ihr Gesicht überzog. Jetzt frohlockte Tonner innerlich, ohne sich aber nach außen etwas anmerken zu lassen.
„Etwas Persönliches?“ Die Freifrau zuckte zusammen. Fast unmerklich, aber nicht für ihn, der gelernt hatte, auf auch geringste Reaktionen zu achten. Edelgarde v. Toppendorf hatte sich gefangen. „Persönliches? Wie kommen Sie denn darauf?“
„Nun, da hat Sie Ihre Reaktion verraten. Sie sind nicht sonderlich überrascht gewesen, haben dann aber in der Akte, die Sie ja genau kennen, sehr lange geblättert, ohne etwas zu sagen und, als Sie bis zum Passbild auf dem Lebenslauf gekommen sind und darauf geblickt haben, nahmen Ihre Augen für einen Moment einen ganz anderen, irgendwie härteren, Ausdruck an.“
Die Frau blickte halb entsetzt, halb belustigt, auf und musterte sein Gesicht genau. Nein, Schadenfreude oder sonst Nachteiliges konnte sie nicht entdecken. Irgendwie, sie wusste eigentlich selbst nicht warum, war sie nicht unfroh darüber.
„Ich hole uns einen Cognac und brauche auch noch Zigaretten!“ Mit diesen Worten entschwand Edelgarde aus dem Raum. Nachdenklich blickte Berti ihr hinterher. Ganz offenbar war es etwas sehr Persönliches, dass hier zu der Kündigung geführt hatte und die Frau brauchte wohl etwas Zeit, um zu überlegen, wie sie reagieren sollte? Er hoffte nur, dass sie ihm die Wahrheit offenbaren würde. Nicht nur, weil es seine Arbeit erleichtern würde, sondern vielmehr noch, weil er es als Beweis dafür werten könnte, dass diese Frau ihm Vertrauen entgegenbrächte.
Das erschien ihm plötzlich das Wichtigste überhaupt.
Es dauerte einige lange Minuten, vielleicht zehn oder zwölf, die sich für Berti Tonner wie gefühlte Stunden dehnten. Dann endlich erschien Edelgarde mit einer Flasche altem Cognac, die sicherlich den Wochenlohn eines Industriearbeiters gekostet hatte, sowie zwei ebenso teuer wirkenden Schwenkern, aus denen dieser edle Tropfen aus der gleichnamigen französischen Provinz üblicherweise zu sich genommen wird. Auch wenn sich die edle Flüssigkeit in den großen Gläsern fast verlor, war es doch mehr als nur ein guter Schluck, der eingeschenkt wurde, wie Berti dem sinkenden Pegelstand der bauchigen Flasche entnehmen konnte. Aber es dauerte noch etwas, bis er den duftenden Tropfen genießen durfte. „Moment, der Kaffee“, sprach die adlige Dame mit noch etwas belegter Stimme und entschwand aufs Neue, um kurz darauf mit einem Tablett zurückzukehren, auf dem sich Kanne, Tassen und Untertassen nebst Zucker und Kaffeesahne befanden. Als dann auch die dampfenden Tassen vor ihnen standen und er ihr Feuer für ihre Zigarette aus dem silbernen Etui mit dem eingestanzten Wappen reichen durfte, hob die Baronin ihm endlich ihr Glas entgegen. In der Tat, der Cognac war ein Genuss, registrierte er. Weich und samtig und gar nicht so seifig, wie er nach französischen Weinbränden aus der Provinz Cognac immer den Nachgeschmack empfunden hatte.
Dann endlich kam Edelgarde v. Toppendorf zur Sache. Sie berichtete, dass sie den Mann auf Empfehlung einer älteren Freundin ihres verstorbenen Vaters vor drei Jahren eingestellt hatte und in der Tat sich auch bald ein enges persönliches Verhältnis entwickelte. Vor gut sechs Monaten war sie dann dahintergekommen, dass dieser Alexander Axmann sie massiv hinterging und auch noch zwei Freundinnen in Hamburg hatte, denen er von ihrem Geld teure Geschenke machte und auch nicht davor zurückschreckte, sich mit zahlenden Kursteilnehmerinnen einzulassen, als sie für vier Wochen in Amerika weilte. Nachdem sie dann auch noch feststellen musste, dass er Geld von den Gestütskonten für sich abgezweigt hatte, feuerte sie ihn schließlich fristlos. Im Nachhinein, so versicherte die schöne Freifrau mit Nachdruck, habe sie überhaupt nicht mehr verstehen können, wie sie auf diesen Blender hereinfallen konnte? „Nun, ich habe mich wie jede andere dumme Pute verhalten, die merkt, dass sie langsam älter wird und meint, Versäumtes nachholen zu können“, schloss sie ihre Schilderung und ihrer Stimme war die Verbitterung anzumerken.
So ungefähr hatte es sich der Detektiv vorgestellt. Gerade wollte er ihr nahelegen, doch nicht so hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen, da kam sie ihm zuvor. „Sagen Sie es nicht, auch wenn es gut gemeint ist. Ich weiß schon, dass ich mich ziemlich dumm verhalten habe. Sagen Sie mir lieber, wie Sie jetzt vorgehen wollen?“
Dieses Verhalten war in der Tat beeindruckend, wie eigentlich alles an der Frau. Also fügte er sich und erläuterte sein angedachtes weiteres Vorgehen.
Helga Altmann hatte Glück gehabt, wie schon der herbeigerufene Notarzt meinte und die Ärzte im Krankenhaus bestätigten, nachdem sie die Frau näher untersucht hatten. Woher der Ohnmachtsanfall rührte, müssten zwar nähere Untersuchungen ergeben, aber die Kopfverletzung hatte lediglich die Kopfhaut aufgerissen, was bekanntlich immer schlimmer aussieht, als es ist. Schließlich ist die den Kopf umspannende Haut besonders stark durchblutet, so dass immer der Eindruck einer viel gefährlicheren Verletzung bei medizinischen Laien entsteht.
Aber Helga ging es gar nicht gut, was keinesfalls an ihren Verletzungen lag. Außer der Kopfplatzwunde, die von der Vitrine im Flur herrührte, auf deren Kante sie gefallen war, hatte sie auch noch eine Prellung der rechten Schulter davongetragen. Sorge bereitete ihr vielmehr die Tatsache, dass sie nicht recht wusste, wie sie ihrer Tochter ihre neue Tätigkeit erklären sollte? Aber irgendwie musste ihr dieses gelingen, denn diese aufzugeben kam schon aus finanziellen Gründen nicht infrage. Zudem machte es ihr gehörigen Spaß, zu sehen, auf was für abartige Gedanken gerade die Leute offenbar kamen, von denen man es wohl nie erwartet hätte. Aber würde Doreen es verstehen? Wohl kaum! Also, was sollte sie tun? Da klopfte es an der Tür und herein traten, neben der behandelnden Ärztin, Doreen und mit ihr Henriette alias Madam Chantal und – was war denn das? Beide lächelten sie an.
Nachdem die beiden sich vergewissert hatten, dass sie sich nicht schwer verletzt hatte, schmiegte sich Doreen eng an sie und sagte leise, so dass die noch immer im Raum verweilende Ärztin nichts mitbekam: „Alles ist gut, Mama. Henni hat mir erzählt, was du machst. Ist ja nicht das, was ich gedacht habe. Alles ist gut!“
Etta v. Tarla-Hippenstedt hatte sich richtig in Szene gesetzt, wie drei Tage nach dem denkwürdigen Interview aus der „Wochen-News“ nicht nur für die anderen Members des Damenstammtisches zu entnehmen war, sondern auch für diejenigen Damen, denen die Aufnahme in diesen illusteren Kreis nach wie vor verwehrt wurde.
Aber auch die Members reagierten, zumindest viele von ihnen, alles andere als begeistert.
„Das hast du ja fein hingekriegt, Etta“, schimpfte Ute Hollmann, „nun geht die ganze Kacke wieder von vorn los. Albert hat mir dieses dämliche Blatt auf den Tisch geknallt und gesagt, jetzt hat er wieder Probleme mit den großen Autohäusern und Werkstätten, bei denen seine Gesellschaft die Abnahmen der Autos durchführt und die Plaketten vergibt. Du weißt doch, dass ich, genau wie Helga, Anne und du ja auch, Probleme mit meinem Mann bekommen habe, weil wir die Frauen von ihren Geschäftsfreunden nicht aufnehmen.“
„Hach, ich habe keine Probleme mit meinem Kerl. Der hat höchstens welche mit mir!“, versetzte Etta, die bereits mehrere ähnliche Anrufe entgegennehmen durfte.
„Außerdem hast du ja wieder einmal derart auf die Tonne gehauen, dass wir jetzt auch in der Politik unsere Stimme erheben werden; und was nicht alles sonst noch. Merkst du denn gar nicht, dass dein Verhalten immer mehr Probleme für uns heraufbeschwört? Nicht alle sind so unabhängig wie du und“, fügte sie nach einer kleinen Pause noch hinzu, „manche von uns wollen auch keinen Stress mit ihrem Mann und ihm auch keinen Kummer bereiten. Denn es soll auch noch Frauen geben, die ihre Ehemänner lieben. Kannst du dich wohl nicht mehr dran erinnern – oder?“
In der Tat hatte es Etta v. Tarla-Hippenstedt für einen Moment die Sprache verschlagen, was bei ihr selten vorkam. Sie stärkte sich mit einem weiteren Drink. Wodka mit etwas Bitter Lemon.
Was die Tante nur hatte? Fahrzeug-Überwachungs-Gesellschaft mbH. So ein kleines, unbedeutendes Unternehmen, das dem TÜV Konkurrenz machen wollte und wo ihr Albert, ein kleiner Dipl.-Ing. es zum Geschäftsführer gebracht hatte. Pah, was war das schon? Sie nahm noch einen größeren Schluck. „Hä, wenn ihr eure Männer liebt, dann sollten sie euch auch lieben und nicht vor ihren Geschäftskarren spannen. Ist doch einfach lächerlich, mich dafür verantwortlich zu machen, dass ihr eure Kerle nicht im Griff habt.“
„Sag mal, bist du schon wieder betrunken? Jetzt wird mir einiges klar. Du hast dieses Interview wohl auch angesoffen gegeben, was?“
Etta wäre fast das schon wieder geleerte Glas aus der Hand gefallen. Was fiel denn dieser Ute ein? Ausgerechnet Ute, die doch nie Probleme gemacht hatte. Wie war die überhaupt zu ihrem Kreis gestoßen? Sie überlegte, aber auf die Schnelle wollte es ihr nicht einfallen. Egal befand sie, so einen Anwurf musste sie sich nicht bieten lassen. Wer war sie denn? Doch keine Ute Hollmann oder so.
„Du vergreifst dich im Ton. So nicht mit mir! Nicht mit einer Etta v. Tarla-Hippenstedt. Dankbar solltet ihr alle mir sein. Wer hat denn ‚Ladies Power‘ gegründet? Ich und niemand sonst. Und wer hat dafür gesorgt, dass wir heute in aller Munde sind? Dass unsere Stimme gehört wird? Auch ich … na ja, und ein paar andere Ladies. Du hingegen hast doch nur davon profitiert. Also spiel dich jetzt bloß nicht auf!“ Mit diesen Worten warf Etta den Hörer auf die Gabel.
Da hörte sich doch wohl alles auf. So eine bodenlose Frechheit. Aber sie war ja nicht nachtragend. Mit einem weiteren Drink würde sie ihre mehr als berechtigte Empörung hinunterspülen und dann hoffentlich bald eine sich zerknirscht entschuldigende Ute am Telefon haben und ihr, edel, hilfreich und gut, wie sie ja nun einmal von Natur aus war, die ersehnte Absolution nicht verweigern, nahm sie sich vor.
„Na, das passt ja“, freute sich Berti Tonner, als er den Hörer auflegte.
„Was passt, großer Meister?“, fragte die allgegenwärtige Sekretärin Karin Thomas, genannt „Tommie“ und linste ihrem Chef über die Schulter.
„Aha, also hat er ihn am Haken, den bösen Buben, der die schöne Tante um ihre Kohle bringen will.“
Berti grinste: „Noch nicht ganz, Tommie-Maus, aber es sieht ganz so aus, als wenn mein erster Eindruck richtig ist.“ Der Detektiv deutete auf die von ihm anlässlich des Telefonates notierten Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft auf dem Blatt Papier vor sich. „Fünf Ermittlungsverfahren wegen Betruges, Heiratsschwindel, Urkundenfälschung. Aber nur eine Verurteilung vor acht Jahren und danach nichts mehr.“
„Tommie kombiniert, der Typ ist klüger geworden und hat sich nicht mehr erwischen lassen.“
„Mag sein, oder er hat sich immer rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Schließlich war er die letzten Jahre vor seiner Einstellung bei Frau Baronin angeblich in Amerika. Außerdem ist die einzige Verurteilung wegen Urkundenfälschung erfolgt. Ich hoffe mal, dass ich noch nähere Infos über die einzelnen Taten und die Umstände der Einstellung und auch der Verurteilung bekomme.“
„Soll ich mal anfragen, wegen Eintragungen im Schuldnerverzeichnis und Insolvenzregister?“, dachte Tommie mit.
„Ja, Spatzl, gute Idee, mach das. Der Brief hat ja leider nichts hergegeben, wie das Labor gemeldet hat.“
Einen wahren Wutanfall erlitt Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume, als sie auf dem Weg in die Vorstandsetage des Bankhauses „Blume, Silberzweig, Kropf Nachf. KG a. A.“ am altehrwürdigen Ballindamm noch einen kurzen Blick auf die andere Seite des Korridors warf, wo sich die kleine Sitznische für wartende Kunden vor den Besprechungsräumen befand. Wie immer waren dort die neuesten Tageszeitungen und auch Zeitschriften ausgelegt. Ihr Blick fiel auf die „Wochen-News“, die obenauf lag und ihr längliches Gesicht verzerrte sich in die Breite, was ihr ein noch hässlicheres Aussehen verlieh. Ursache hierfür war der im Innenteil angekündigte Bericht:
„ Ein Damenstammtisch bewegt Hamburg “
Sie riss das Blatt förmlich an sich, schlug die Seite fünfzig auf und sah das Konterfei ihrer derzeitigen Lieblingsfeindin Etta v. Tarla-Hippenstedt breit lächelnd und in Farbe. Im ersten Impuls wollte sie die Illustrierte zusammenknüllen und in den nächsten Papierkorb werfen. Im letzten Moment beherrschte sie sich und steckte sich das Druckerzeugnis unter den Arm und verschwand, ohne die Damen im Vorstandssekretariat auch nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn vielleicht zu grüßen, in ihrem Büro. Mantel und Schal achtlos auf das Sofa ihrer Besprechungsecke werfend, sank sie in ihren Schreibtischstuhl und vertiefte sich in den Artikel.
Zweimal las sie die erneute Lobhudelei der Presse für diesen Klub. Besonders die Tatsache, dass diese Weiber sich jetzt auch noch zu politischen Themen äußern wollten, brachte sie innerlich zum Kochen.
Was bildeten sich diese Tratschen eigentlich ein? Ja, wenn Frauen wie sie, die es zu etwas gebracht hatten, etwas darstellten im Leben, sich berechtigterweise Gedanken über das Allgemeinwohl machten, dann war das schon in Ordnung und wohl auch überfällig. Aber die wahre weibliche Intelligenz, also Frauen ihres Kalibers, die blieben ja draußen vor.
Erneut blätterte sie die dritte Seite des ausführlichen Artikels auf, wo die einzelnen Members mit Namen und Beruf aufgelistet waren. Vor Wut knirschte sie mit den teuren Implantaten, die so gar nicht zu ihrem wenig ausdrucksvollen Gesicht passen wollten; strahlend weiß und makellos hinter dünnen, verkniffenen Lippen, die freiwillig wohl kein Mann küssen würde. „Members, hach, dass ich nicht lache“, brach es aus ihr hervor. Und Ladies, welch hochgestochene Bezeichnung für Anwalts- und Notariatsgehilfinnen, Krankenschwestern oder gar eine Friseuse. Naja, gut, diese Pferdefrau, diese Edelgarde v. Toppendorf, die Frau mag ja ihr vielleicht gerade das Wasser reichen können. Aber eine Etta v. Tarla-Hippenstedt wohl kaum, trotz angeheiratetem Adelstitel doch eher eine Habenichts, zumindest im Vergleich zu ihr. Vorsitzende Richterin, mmh, aber doch weit unter ihr einzuordnen. Anwältin, Journalistin und, was war das denn, ging es ihr durch den knochigen Schädel, Henriette Hähnlein, schon der Name ein Witz. Selbstständige Unternehmerin, dümmer geht´s ja gar nicht. Was die wohl unternimmt? Nein, jetzt war Schluss! Jetzt hatte sie genug von diesem Verein. War nicht auch die Frau von dem Kaufhauskönig Köster abgelehnt worden? Hochangesehener Geldadel der Hansestadt. Na gut, kein Vergleich zu der Familie Blume, aber immerhin keine Niemands. Und die Frau von diesem Degen, dem Strafverteidiger, der sie da rausgepaukt hatte, die wollte doch auch unbedingt in diesen Verein. Da müsste sich doch was machen lassen!