Читать книгу Mein guter Feind Goethe. Die geheimen Memoiren des Grafen Alexandre de Cagliostro - Heinz-Joachim Simon - Страница 6
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Indem du diese Zeilen liest, gehörst du mir – dem Großkophta. Du wirst am Ende die Welt mit anderen Augen sehen und die heiligen drei Worte den Königen und Fürsten ins Gesicht schreien: Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, und das Fürstenfleisch wird zittern.
Du fragst dich, wer ich bin? Das haben sich schon Kaiserinnen und Könige gefragt. Selbst die größten Geister beschäftigten sich mit mir. Keiner von ihnen fand eine zufriedenstellende Antwort. Manche nennen mich einen Gauner und Scharlatan, andere wiederum einen Wunderheiler, einen Segensmann. Wieder andere raunen, dass ich ein Magier und Alchemist sei. Ich bin das alles, und doch bin ich mehr. Vielleicht kommt meinem Naturell der Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe am nächsten. Ich bin ein Teil Mephistopheles und im anderen Teil der Faust. Der Großschriftsteller erkannte dies, und es ließ ihm keine Ruhe. Insgeheim wünschte er zu sein wie ich, aber dazu hatte er nur in seinen Versen Mut. Es gibt genug Leute, die mich für den weisesten Menschen seit Sokrates halten. Doch es laufen auch Leute herum, die von mir so übel reden, als sei ich der Rattenfänger von Hameln.
Hier will ich bekennen, wer ich wirklich bin. Ich will nicht meine guten Taten verschweigen, aber auch nicht die bösen. Jawohl, das Gemeine war mir Gevatter. Die Kirche hat gute Gründe mich zu fürchten und … zu hassen. Lange konnte sie mir nicht beikommen, aber davon später mehr.
Ich wurde als Giuseppe Balsamo in Palermo geboren und erschuf mich neu und machte aus mir den Grafen Alexandre de Cagliostro, und die ganze Welt bestaunte mich und das mit Recht. Dabei wissen sie nur einen Bruchteil meiner Taten. Ich habe eine Fackel unter die Menschheit geworfen, und daraus wurde ein Brand in allen Völkern, den keiner zu löschen vermag. Niemand konnte behaupten, dass er mir gleicht. Ich gab den Menschen ein, dass man Könige köpfen kann und die Aristokratie auf den Misthaufen der Geschichte gehört. Was ich Danton und Desmoulins diktierte, hat selbst im Vatikan Angst und Schrecken ausgelöst.
Goethe erkannte, welche Gefahr von mir ausging. Er hat mich gefürchtet, war von mir fasziniert, hat mich gehasst und doch bewundert, war mir Feind und Freund zugleich. In Straßburg, London und Paris feierten sie mich, erkannten mich als Großkophta, den Herrn der Loge nach ägyptischem Ritus strikter Observanz. Die Illuminaten argwöhnten mich, sahen in mir einen Konkurrenten. Die Freimaurer zitterten, als ich mich ihnen offenbarte. Ich habe tausend Leben hinter mir und vor mir. Mir war nicht gleich bewusst, wer ich war. Gesichter hatte ich schon früh – aber ich wusste sie lange nicht zu nutzen. Ich, Cagliostro, komme vom Anfang und sehe die Zukunft. Ich betete im Sonnentempel zu Achet-Aton und wanderte mit Moses durch die Wüste zum Sinai. Ich stand in Babylon am Krankenbett des großen Alexander und flüsterte ihm ins Ohr, dass alles vergebens war. Ich riet Cäsar, in den Senat zu gehen, obwohl ihn sein Weib warnte. Ich plünderte mit Alarich Rom und riet dem Dogen Dondolo, die Kreuzfahrer nach Konstantinopel zu schicken, wo sie raubten und plünderten. Die schönen Pferde über dem Portal der St. Markus-Basilika zu Venedig zeugen davon. Jawohl, ich feuerte die Pistole auf König Gustav Adolf ab, und Räuber nahmen ihm Kleider und Stiefel. All das war ich, bin ich und werde ich ewig sein. Ein Wanderer durch die Zeit.
Ich wusste schon als Kind, dass ich anders war. Ich konnte die Gedanken der Menschen lesen. Erst später stellte ich fest, dass ich sogar ihre Handlungen beeinflussen konnte. Ich hätte ein Religionsstifter sein können, wie Jesus, Mohammed oder Buddha. Viel hat dazu nicht gefehlt. Aber auch das Böse hat mich immer angezogen. Böse und Gut haben den gleichen Wert. Aus Bösem entsteht Gutes, und aus dem Guten kann Böses entstehen.
Ich wandelte auf bösen Pfaden. Ströme von Blut färbten die Straßen von Paris. Und dann stellte sich heraus, dass ich Gutes getan hatte. Ich verhalf den Menschen zu einer großen Idee, zu Freiheit und Würde. Wie mein Leben mit Goethe verwoben war, will ich hier bekennen. Warum ich wusste, wie er dachte, handelte, obwohl uns viele Länder und Meilen voneinander trennten? Ich bin der Großkophta, Faust und Mephistopheles zugleich.
Doch genug des Vorworts, höre, wie es begann.