Читать книгу Leberkäs-Porno - Heinz von Wilk - Страница 10
Ehrlich währt am längsten – aber wer nicht bescheißt,
der kommt zu nix
Оглавление»Ja, so isses halt im Leben, Bub. Da musst flexibel sein.« Mit einer schwungvollen Bewegung stellte die Friedl dem Auer einen Teller mit einem selbstgebackenen gedeckten Apfelkuchen hin. Auf dem Kuchenstück wackelte ein Sahneberg in Form des Matterhorns.
Auer schüttelte den Kopf: »Ich hab jetzt echt keinen Hunger, Tante.« Die Friedl stemmte die Hände in die Hüften: »Und wenn du noch einmal Tante zu mir sagst, dann landet der Kuchen auf deiner Rübe, du undankbarer Junge. Und essen musst du, du hast ja nix auf den Rippen.«
Auer setzte sich gerade hin und klopfte sich wortlos auf den Bauch, aber Friedl schüttelte den Kopf: »Ach was, das ist doch alles Luft. Blähungen. Und außerdem: Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Der Otti, der hat immer gesagt, ein Mann braucht einen gewissen Vorbau, damit der arbeitslose Zwerg da unten bei Regen ein Dach über dem Kopf hat. Iss jetzt. Die Arbeit läuft dir nicht davon. Erinnerst du dich an den Maurer Georg, den nichtsnutzigen Sohn von den Maurers in der Marienberger Straße? Der ist Tapezierer geworden. Na ja, dass der kein Gehirnchirurg wird, das hat man schon früh erkannt. Die hellste Kerze in Gottes großem Kronleuchter war der nie. Aber Tapezierer? Und was für einer. Ich hab den mal in Aktion gesehen. Der konnte im Stehen schlafen, mit dem Leimwaschel in der Hand. Der ist ihm auch in der aufrechten Tiefschlafphase nicht aus den Fingern gerutscht. Für so was brauchst du natürlich auch ein gewisses Talent. Und zu mir hat er mal gesagt, dass er am liebsten den Tapeten beim Trocknen zuschaut.«
Fasziniert beobachtete der Auer die Tante, die auch nach dieser langen Rede keine Luft zog. Nicht sichtbar, jedenfalls.
»Tante, wie war das jetzt mit dem Bänker Brunner und dem Onkel Ottfried?«
»Wie war das … wie war was? Das ist ein Geben und Nehmen gewesen. Ich sag mal so, die Sparkasse oder die Raiffeisen und wie sie alle heißen, die hätten doch nie im Leben dem Otti seine schrägen Vorhaben finanziert. Denk mal nach. Du gehst in eine Bank und sagst: ›Grüß Gott, Bernrieder mein Name. Ich mach jetzt wieder mal einen Puff auf, und deswegen sollten Sie ein paar Flocken über den Tisch wachsen lassen. Wie ich Ihnen das zurückzahle, das überlegen wir uns ein anderes Mal.‹ Nein, nein, Bub. Da musst du vorsichtig ran, da musst du taktieren und schauen, was der Bänker will. Vielleicht einen schnuckeligen Alfa für die Gattin? Oder eine nette Kreuzfahrt, oder doch lieber eine Wohnung am Gardasee?«
»Und so hat sich der Otti den Brunner gekascht?«
»Was für eine ordinäre Ausdrucksweise. Die beiden waren Jugendfreunde, man kannte und mochte sich. Daraus ist eine kreative, flexible Geschäftsbeziehung entstanden. Alle haben gut dran verdient.«
Auer starrte sie an: »Wow, jetzt sag bloß, du hast das alles von Anfang an gewusst, Friedl?«
Sie lächelte süß: »Friedl, wie schön du das sagst, Bub. Sicher hab ich alles gewusst. Fast alles, jedenfalls. Wir waren ja verheiratet. Und wenn ich ein Schnitzel esse, dann will ich ja auch wissen, wo das Geld dafür herkommt, oder? Der Otti und ich, wir haben fast keine Geheimnisse voreinander gehabt. Gell, Otti, so war’s doch, oder?« Dabei streichelte sie zärtlich über die Sanduhr und drehte sie um: »Hier steht er viel besser, als da irgendwo auf dem Friedhof eingebuddelt zu sein, findest du nicht auch, Max? Und mit den Strenggläubigen hat er es eh nie so gehabt. Er hat zu seinen eigenen Göttern gesprochen. ›Besser ein Hohlkreuz, als gar nicht religiös‹, hat er mal zum Stadtpfarrer gesagt. Und der hat ihm geantwortet: ›Ja, aber unser lieber Gott sieht trotzdem in jedes seiner Schäfchen hinein‹, und mein Otti hat geantwortet: ›Das erklärt seine stete Abwesenheit am besten.‹«
Die Asche rieselte lautlos, und Friedl meinte: »Jetzt schau nur her, wie er sich freut, weil wir von ihm reden.«
»Und die Sissi? Hat der Otti da auch seine Hände im Spiel gehabt?«
Die Friedl ging zur Glasschiebetür, öffnete sie und machte ein paar Schritte auf die Dachterrasse hinaus. Es war immer noch schwül und die Sonne war hell wie ein zorniges Auge eines Zyklops. Der Himmel hatte dieses typisch Bayerisch-Blau-Flirrende, und in der Luft war der Geruch von gegrilltem Fleisch. Na ja, ein bisschen streng war er vielleicht, der Duft, der, vermischt mit schlanken, hellen Rauchfetzen, von unten hochstieg.
»Die da unten grillen schon wieder auf dem Balkon. Und du kannst nichts dagegen machen, auch wenn dir das ganze Haus gehört. Ist das nicht schlimm, dass man als einheimischer, rechtschaffender Immobilienbesitzer keinerlei Rechte mehr hat? Aber jetzt bist du ja hier, Bub. Vielleicht könntest du mal runtergehen und den Kameltreibern eine auf die Kauleisten geben. Würdest du das für deine alte, gebrechliche Tante machen, Schätzchen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie schnell bis zur Brüstung vor, beugte sich darüber und flötete nach unten: »Ja, der Herr Özgür, das riecht aber schön, was Sie da grillen. Mhm, da kriegt man ja einen richtigen Heißhunger. Was ist denn das? Ausschauen tut es ja echt lecker? Ah, das sind Schweinswürstel, gell? Das seh ich gleich. Ham Sie die vom Lohberger? Der macht unglaublich gute Schweinswürstel. Und die Kümmelsülze erst. Kennen Sie die? Bei Ihnen zu Hause isst man doch viel Kümmel in irgendeinem Gesülze, oder?«
Sie legte den Kopf schief und lauschte auf die Männerstimme vom unteren Balkon. »Was ist das? Gehackte Hammelinnereien? Ganz allerliebst, ehrlich. Wie? Nein danke, sehr lieb von Ihnen, aber wir haben ja unseren Fischtag heute, wir sind streng religiös, der Maxi und ich. Wo sind denn Ihre reizenden fünf Kinder heute? Wie? Nein, nein, die stören mich nicht, ich habe gerne Kindergeschrei, wenn ich Yoga mache. Und ich versteh ja eh nicht, was die da so rumkreischen in ihrer Dings … äh … Sprache. Guten Appetit noch mit Ihren Hammelbrocken da, Herr Özgür, gell? Und grüßen Sie Ihre Frau, Ihre schleierhafte Gemahlin. Tschühüs!«
Jetzt denkst du dir, die Friedl und Yoga? Dabei hat sie mal gesagt: »Motzen ist mein Yoga!« Das war, als der Otti noch gelebt hat und meinte, sie soll doch mal yogieren oder Pilatus oder wie das heißt machen oder sonst was Chinesisches, dann kommt sie vom Brandy weg. Aber was sag ich? Geholfen hat’s nix, und hier geht’s schon weiter.
Friedl kam wieder rein und goss sich einen doppelten Hennessy in ein schweres, geschliffenes Kristallglas: »Am liebsten würd ich mal mit dem Hochdruckreiniger nach unten pfeffern. Aber man kann sich seine Mieter ja nicht aussuchen. Nicht mehr. Früher, ja, da war alles besser, sogar die Mieter. Aber was soll’s, der anatolische Kannibale da unten verdient gut und ist mein Quoten-Ausländer im Haus. Letztes Jahr hab ich im Keller noch drei Somalier gehabt, die haben sich Hühner gehalten, und freitags war immer Hausschlachtung bei denen im Wohnzimmer. Die musste ich aber dann doch rausschmeißen, wo die mit Schafen im Wäscheraum angefangen haben. Da hast du dich erst mit dem Bock arrangieren müssen, dass der dich zur Waschmaschine lässt. Wo sind wir stehengeblieben, Maxi? Ich werde so vergesslich in letzter Zeit. Da hilft nur meine Spätnachmittagsmedizin. Jaja, das Alter kennt keine Gnade.«
Sie leerte das Glas in einem Zug und setzte sich gegenüber dem Auer an den Tisch. Dann hob sie das gestickte Damasttuch an, fasste unter die Tischplatte und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Schublade. »Wo sind denn meine Streichhölzer? Ah ja, hier.« Sie hob ein Heftchen mit dem Aufdruck »Wild Wild West – YOU LOOK FOR GIRLS – WE GOT THE BEST« hoch und riss ein Pappstreichholz ab.
Friedl nahm einen tiefen Zug, der ein Viertel der Filterzigarette in Asche verwandelte. Den Rauch behielt sie ein paar Augenblicke in der Lunge und ließ ihn dann langsam durch die Nase ausströmen. Dann seufzte sie, als sei sie gerade aus einem langen und tiefen Schlaf erwacht: »Jetzt schau nicht so, Bub. Ja, ich hab aufgehört. Aber ab und zu brauch ich eine. So wie jetzt.«
Sie lächelte schwach: »Maxi, mein Schätzchen, sag jetzt nichts, ja? Ich hab das im Griff. Und außerdem ist es gut für die Figur.« Sie klopfte sich mit der Linken auf die Hüfte und blinzelte dem Auer neckisch zu.
Der schaute sie wortlos an. Friedl fächerte theatralisch den Rauch zur Seite: »Schau, Bub, die Sissi ist eine gelernte Schlampe. Mit Prädikat sogar. Eine Prädikats-Schlampe sozusagen. Die hat sich den Brunner geangelt, weil der Geld und Macht und Einfluss hat. Jetzt stell dir bloß einmal vor, da kommt so ein alter Sack in der Nacht nackert ins Schlafzimmer gehumpelt, wackelt mit seinem alten, faltigen Pinsel vor deiner Nase rum und sagt: ›Gell, Mausi, da schaust. Auf geht’s, heut pack ma’s wieder.‹ Hast du in diesen bunten Illustrierten schon mal Fotos vom Mörtel Lugner aus Wien gesehen? Nein? Pass auf: Der hat auch immer so blutjunge Dinger, die er alle »Mausi« nennt. Wahrscheinlich kann er sich keine anderen Namen mehr merken. So, und für die Sissi, da ist der Brunner der Rosenheimer Lugner gewesen. Und der alte Depp ist drauf reingefallen. Liebe macht blind, sagt man. Stimmt aber nicht, ganz im Gegenteil. Der Liebende sieht weit mehr, als wirklich da ist. Und so ist die Sissi seine Traumprinzessin.«
Auer sagte immer noch nichts.
»Jaja, ihr Männer seid doch alle gleich. Jetzt sag doch auch mal was. Weißt, der Otti, der ist auch neben naus wie der Teufel, und er hat geglaubt, ich merke das nicht. Aber so hab ich in den letzten Jahren wenigstens meine Ruhe gehabt. Sex in der Ehe wird eh ziemlich überbewertet. Obwohl, wenn ich so überlege, so ab und zu, da tät’s mich schon noch ein bissel reizen.«
Max grinste, schüttelte den Kopf und sagte: »Zurück zum Thema, Friedl-Tante. Weich mir nicht aus. Wie ist der Brunner zur Sissi gekommen? Wer hat sie ihm zugeführt? Auf die Idee: Jetzt schnapp ich mir den reichen Bänker, auf so was kommt so eine nicht von selber. Wer hat da dran gedreht? Ich hab mich mit dem Brunner unterhalten. Der ist keiner, der auf einem Pferd in den Saloon reitet und sich ein Cowgirl hinten auf den Sattel wirft.«
Friedl starrte entrüstet durch den Rauch: »Pfui. Wie redest du mit einer alten Frau? Ach geh, Bub, jetzt spricht der Polizist aus dir. Dabei wollte deine Mutter immer, dass du zur Post gehst. Mir hätte das übrigens auch gefallen, wenn du das gemacht hättest.«
Auer trommelte mit den Fingern auf den Tisch: »Zur Post, ja? Kennst du die letzten Worte eines Postboten? Pass auf, er geht durch die Gartentüre auf ein Grundstück und marschiert auf das Haus zu. Da kommt was um die Ecke gehechelt. Der Postbote: ›Na, du bist aber ein schönes, großes Hundi. Wo kommst du denn auf einmal … HILFE!‹«
»Den versteh ich jetzt nicht so ganz.«
»Das hat der Postbote auch gesagt, wie er noch mal kurz aus dem Koma erwacht ist. Famous last words. Und weil wir grade davon reden: Ich bin gut zufrieden, so wie mein Leben bis jetzt gelaufen ist. Okay, die Pensionierung hab ich mir anders vorgestellt. Und mein Ein- und Auskommen auch. Aber wie ich immer sage: ›Ein bissel was geht alleweil.‹«
Friedl schaute versonnen zur Decke und nahm noch einen tiefen Zug. Als sie den Rauch ausstieß, sagte sie: »Der Otti hat kurz vor seinem Tod ein Buch von dem Dings, diesem Portugiesen, gelesen. Wie heißt der noch mal? Warte, gleich komm ich drauf. Ja, ich hab’s: Paulo Coelho. Genau. Und der hat geschrieben, hoffentlich krieg ich das noch hin: ›Auch wenn ich all das durchgemacht habe, was ich durchgemacht habe, so bereue ich die Schwierigkeiten nicht, in die ich mich begeben habe – weil sie es waren, die mich dorthin brachten, wohin ich zu gelangen wünschte. Schön, gell? Und da war noch so ein Spruch, den kann ich aber nimmer ganz, glaub ich: ›Wenn du dann so weit bist, setze dich in die Sonne, danke ab, und lebe weiterhin wie ein König‹. Ganz so stimmt das jetzt nicht, aber so hab ich das im Kopf. Er war halt auch trotz allem ein Romantiker, der Otti.«
Sie schloss die Augen. Auer überlegte, dann griff er über den Tisch und berührte ihre Hand: »Der Otti wollte aufhören? Womit?«
Friedl blinzelte ihn erstaunt an: »Hab ich das nicht erzählt? Ein paar Wochen vor seinem tragischen Unfalltod sind wir genau hier gesessen. Der Otti da, wo du jetzt bist. Er hat mich angeschaut und gesagt: ›Friedl, jetzt wird’s Zeit, dass wir uns noch was richtig Schönes gönnen. Eine lange, lange Weltreise vielleicht. Alles erster Klasse. Mit dem, was wir haben, können wir 200 Jahre alt werden, und dann ist immer noch was über.‹«
Max starrte sie an: »Weiter!«
»Ja, was, weiter? Er hat gemeint, er hätte mit dem Glasl und dem Brunner fast alles geregelt. Zwei Dinger ziehen sie noch durch. Irgendwas mit großen Grundstücken. Da wär aber fast alles in trockenen Tüchern. Das wollte der Otti noch machen, dann ist endgültig Schluss, hat er gesagt. Er nimmt sein Geld aus den Betrieben und steigt aus. Fehlen nur noch ein paar Formalitäten, wegen der letzten beiden Sachen. Dann, einen Tag vor den Unterschriften, da sind sie zu der besagten Hütte auf dem Samerberg gefahren, der Glasl und mein Otti. Den Rest kennst du ja.«
»Dann erzähl ihn mir noch einmal, Friedl.«
»Jawohl, Herr Kommissar. Also, sie fahren, der Glasl kommt da hinten am Hundsgraben, am Waldrand, ins Schleudern. Der Wagen fliegt von der Straße ab, knallt seitlich an einen Baum und – peng. Sie haben gesagt, dass der Otti nicht angeschnallt war. Da hab ich mich schon ein bissel schwergetan, das zu glauben. Weil der Otti ja immer so ein Sicherheitsfanatiker war. Aber der Glasl hat’s beschworen, der hat sich selber ein paar Rippen geprellt und ein Knie aufgeschlagen. Ziemlich schlimm. Der ist eine Zeit lang gehumpelt wie der Glöckner von Notre Dame. Ach so, und ein blaues Aug’ hat er auch gehabt. Der war natürlich angeschnallt. Auch bei der Polizei haben die mir später erzählt, Fremdeinwirkung ausgeschlossen, tragischer Unfall. Akte zu, Otti tot.«
Sie wischte sich ein paar Tränen aus den Augen und nahm den Max bei den Händen: »Jetzt haben wir nur noch uns beide, Bub.«
Auer streichelte ihre Hände: »Ich pass schon auf dich auf, Friedl. Was war denn mit dem Geschäftsabschluss? Mit Ottis Ausstieg?«
»Das haben der Glasl und der Brunner geregelt. Ich hab alles unterschrieben, was mir der Brunner hingelegt hat. Zu Misstrauen war kein Grund, denn ich hab im Endeffekt mehr Geld und Immobilien rausbekommen, als ich dachte.«
Ihre tränenumflorten Augen wurden schmal: »Was fragst du auf einmal so blöd? Meinst du, da war irgendwas nicht ganz koscher?«
»Ich hol mir noch schnell ein Bier aus der Küche. Willst du noch einen kleinen Cognac, Friedl?«
»Wer lange fragt, der gibt nicht gerne. Und ja keinen kleinen, Bub, einen vernünftigen. Für meinen alten Kreislauf. Auf kleine Schlucke reagiert der gar nicht mehr. Der braucht jetzt einen Schub.«
Auer kam mit dem Bier und dem Hennessy zurück an den Tisch, und Friedl kratzte sich an der Schläfe: »Nein, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass da was Linkes gelaufen ist. Schau mal, der Brunner, der verdankt dem Otti ja die Sissi, und der …«
Max hob die Hand: »Langsam, Friedl, langsam. Was heißt das genau, dass der Brunner dem Otti die Sissi verdankt? Erklär mir das mal so, dass ich es verstehe, ja? Und warum weiß ich so wenig über den Unfall und das ganze Zeug?«
»Ich brauch noch eine Zigarette.« Sie zündete sich eine an, blies den Rauch aus und wedelte wieder in der Luft herum: »Du warst ja nur ganz kurz da, bei der Urnenfeier. Nicht einmal zum Leichenschmaus bist du geblieben. Und ich wollte schon gerne mit dir reden, aber es ging halt nicht, weil der Herr Polizist in Eile war. Zurück nach München musste er, der Kommissar, während es der alten Tante beinahe das Herz zerrissen hätte vor lauter Gram. So, und jetzt bedrängst du mich? Findest du das schön? Kommt jetzt eine Moralpredigt, von wegen schmutziges Geld und so? Pecunia non olet, mein Lieber. Das haben schon die alten Griechen gesagt, gell?«
Der Max, bass erstaunt über diesen Temperamentsausbruch, winkte ab: »Hör mit den Griechen auf. Was haben die von ihren schlauen Sprüchen? Die sind mittlerweile pleite. Du nicht. Also, wie ist das mit der Sissi gelaufen?«
Friedl trank mit beleidigtem Gesichtsausdruck einen großen Schluck und sagte: »Ja mei, wir haben uns halt eines Abends überlegt, der Otti und ich, dass der Brunner eigentlich eine ganz arme Sau ist. Nicht pekunär, verstehst? Vermutlich hat es am Hormonstau gelegen, auf jeden Fall ist er geschäftlich in letzter Zeit ein bissel arg verkniffen gewesen, hat der Otti gemeint. Und er hat gesagt, dass er gelesen hat, dass ältere Männer schnell einmal den Prostatakrebs oder so was Ähnliches kriegen können, wenn die ganzen alten Leitungen da unten nicht regelmäßig freigespült werden. Also ist der Otti zum Glasl, alias Chili, und hat gemeint, wir binden dem Brunner jetzt etwas Frauenfleisch um, dann wird er auch wieder lockerer im Geschäft.«
»Warum, was war denn vorgefallen, was heißt denn ›verkniffen‹?«
»Ach, Bub, das Übliche. Der Brunner hatte mittlerweile alles, was er wollte: Haus, Boot am Chiemsee, Chalet in Kitzbühel und das Dings da am Gardasee. Alles, bloß keine Frau. Otti hat gesagt, dass sich der Brunner sogar zu solchen Internetsachen angemeldet hat. Weißt schon, da bezahlst du einen Haufen Geld, und die Frau, die du dann kennenlernen willst, die wurde dummerweise kurz vorher abverkauft, also hast du einen Kerl auf dem Bildschirm. Das mit den Frauen war aber nicht das Hauptproblem. Nein, der Brunner wollte generell nicht mehr so richtig, weil ihm seine Beteiligung zu gering war. Er ist plötzlich geldgierig geworden. Doppelten Anteil, das hat er gesagt. Doppelt, oder ich lass das mit euch sein. Und das passte dem Otti und dem Glasl überhaupt nicht. Die haben doch noch ein oder zwei Dinger in der Röhre gehabt, die hätten sie schon gerne durchziehen wollen, weil da ja schon relativ viel Geld dafür geflossen ist. Und wenn der Brunner plötzlich so viel mehr Geld sehen will, dann rechnet sich das nicht mehr.«
»Was für Dinger?«
»Ach geh, jetzt fragst du einer alten, unwissenden Frau ein Loch in den Bauch. Immobiliendinger halt. Das eine, das ist ein Ärztehaus, mitten in der Stadt. 14 Praxen und eine Radiologie mit CT, ambulantes OP-Zentrum und alles, was man sich so vorstellen kann. Allein da hätten die drei in Jahresfrist ein paar Millionen rausgeholt. Ein jeder von denen, wohlgemerkt. Na ja, und dann noch das Studentenwohnheim. Da geht das Grundstück ein klitzekleines Fusselchen in so ein blödes Naturschutzgebiet rein. Ein paar Meter hier, ein paar Meter da. Was soll das, frag ich dich, Bub? Da im Wald leben ein paar quergehörnte Kreuzschnäbler oder wie die heißen. Und so eine Fledermausart, die ist so selten, dass sich die paar, die da rumflattern, selber nicht einmal persönlich kennen. Das Problem könnte der Brunner aber gut über seine Beziehungen regeln. Jetzt nicht das mit den Fledermäusen, sondern das mit dem Grundstück. Du kaufst es billig ein, weil ja eh nie gebaut werden darf. Dann kommen ein paar Sachverständige vom Verein der anonymen Waldvögel, und die schlagen einen Umzug vor.«
»Verstehe! Einen Umzug.«
»Nein, tust du nicht. Manchmal muss man die lieben Tierchen zu ihrem Glück zwingen, hat der Otti gesagt. Vielleicht fühlen die sich auf dem Samerberg oder auf der Kampenwand viel wohler, wer weiß? Auf der Herreninsel, mitten im Chiemsee, da haben sie sogar ein Fledermaus-Museum, ja, was denkst du. Und, da staunst du auch, auf der Insel ist das größte Fledermausaufkommen Deutschlands. Vielleicht sind die ja auch alle umgesiedelt worden, wer weiß das schon? Also, um auf die Vorhaben zurückzukommen: Der Brunner sollte im Stadtrat das mit dem Grundstück und den Fledermäusen mithilfe der Gutachten klären, und dann hätte seine Bank auch die Finanzierung übernommen. Und das Grundstück für das Ärztehaus wollten sie dem Kerl abjagen, der es hat, aber nicht bebauen kann, weil er keine Flocken hat, verstehst? Unterm Strich hätten sie alle profitiert. Alle. Die Baupläne sind schon gezeichnet, ein paar Leute haben nette Geschenke bekommen, so was halt, nicht wahr?«
»So, und da kommt jetzt die Sissi ins Spiel?«
»Genau. Der Otti hat gemeint, die Sissi, die könnte den Brunner wieder auf Linie bringen. Der Glasl Chili hat gemeckert, weil er ein bissel in die Sissi verliebt ist. Aber der Otti sagt, Papperlapapp, das darfst du nicht persönlich nehmen. Geschäft ist Geschäft. Ein zweites Stück Apfelkuchen mag ich jetzt auch nicht mehr. Das passt nicht zu dem Cognac. Du warst doch grade am Kühlschrank. Ist da noch ein verträumtes Stückerl von der Kirschtorte drin?«
»Was?« Max, der mit seinen Gedanken ganz woanders war, schaute auf. »Du willst doch ein wenig abnehmen, hast du mir gestern gesagt, oder?«
»Ach was, so was macht man über einen gewissen Zeitraum, und nicht so panisch schnell. Außerdem wird Hüftspeck im Frühjahr zu Frühlingsrollen, im Herbst zu Hüftgold und so weiter. Ein ewiger Kreislauf. Wo waren wir stehengeblieben?«
»Bei der Kirschtorte. Die ist alle. Ist die Sissi auf den Brunner angesprungen?«
Die Friedl schnaufte und verdrehte die Augen: »Ja was glaubst, Bub. Die hat den so toll gefunden wie einen Pickel mitten am Hintern. Aber sie hat natürlich einen gesunden Sinn für das Geschäftliche, da kannst du nicht meckern. Also: Blitzhochzeit, neuer Porsche Cayenne für die Braut, und alle sind glücklich. Sissi trifft sich ab und zu mit dem Glasl, und ab und zu fährt sie ein paar Tage weg und lässt es richtig krachen. Der Brunner meint, sie wäre auf Wellness, Ayurveda, stille Tage im Kloster und solches Zeug. Deshalb hat sie ihm verboten, sie anzurufen, wenn sie weg ist. Meinst du, der Glasl hat sie versteckt?«
»Glaub ich nicht.« Max stand auf.
»Wo willst du hin?«
»Bin bald wieder da. Und dann bring ich dir einen sizilianischen Zitronenkuchen vom Bergmeister mit, ja?«
Friedl kam um den Tisch herum, drückte dem Auer einen Schmatz auf die Backe und gurrte: »Bist doch mein lieber Bub, du.«