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Kapitel 41 von Helen Carter

Wenige Zeit später hielt der Wagen vor einer vollkommen überfüllten Location, in der der Lärmpegel nur mit dem Rauchnebel konkurrierte, der einem die Sicht und den Atem nahm. Gläser klirrten und die Gäste sahen sich interessiert nach den Neuankömmlingen um.

»Hey, du bist doch Bones«, brüllte jemand und machte stoßende Bewegungen mit dem Unterleib. Er hatte wohl auch den berüchtigten Auftritt gesehen ...

Ashes schleuste sie in Richtung der holzgetäfelten Rückwand. Neben der Bank, auf der sie sich zusammenquetschten wie Hühner auf einer Stange, brannte ein Kamin, der die Hitze noch verstärkte.

Die Crew hatte bereits begonnen, ihr Equipment aufzubauen und musste dabei mit jenen Gästen kämpfen, die ganz nahe dabei sein wollten, wenn es losging.

»Ey, Ashes, das geht so nicht. Ist viel zu laut hier!«, schrie der Kameramann. »Gibt’s hier kein Hinterzimmer?«

Ashes schüttelte den Kopf.

Der Kameramann presste die Lippen zusammen und stieß einen stummen Fluch aus. Jemand brachte der Band Bier. Bones wollte nur nach Hause. Sein Kopf dröhnte und seine Füße in den Stiefeln waren eiskalt.

Der Interviewer war ein hagerer Typ in schwarzer Lederhose und schwarzem Hemd. Sein dunkelblondes Haar hing lang und vollkommen glatt über seine Schultern. »Hi. Ich bin Tobey. Ich werde euch interviewen. Danach filmen wir das ›Meet and Greet‹. Die Gewinnerinnen warten schon an der Bar.«

Bones Blicke wanderten zu den beiden jungen Mädchen, die ganz offensichtlich nicht zum üblichen Publikum dieses Pubs passten. Die eine hatte weiße Haare, die andere schwarze. Ihre Kleidung war das Standard-Emo-Programm.

»Es ist hier verdammt nochmal zu ... LAUT!«, brüllte der Kameramann und Tobey zuckte mit den Schultern.

»Wir müssen halt sehen, dass wir’s irgendwie hinkriegen«, brummte Ashes.

»Als ich den Pub ausgesucht habe, war hier alles leer«, erklärte Tobey mit einer gewissen Genervtheit in der Stimme. »Egal. Wir fangen jetzt an, okay?«, fragte Tobey in die Runde. Er hielt ein Mikrofon mit einer angeklebten Fledermaus vor die Band. »Wir machen erst einen Tontest. Okay?«

Der Kameramann nickte.

»Also ... Hi Freunde der Düsternis! Ich bin TallTobey für ›MetalSat‹ und bin hier in einem saugemütlichen Pub im Herzen des Empire ...« Er drehte sich um und wartete auf ein Nicken. Als es kam, machte er weiter.

Bones bemühte sich um einen entspannten Gesichtsausdruck.

»Und nun ratet mal, wen ich hier getroffen habe? Genau!« Er lehnte sich ein wenig zur Seite, damit der Kameramann die ganze Band einfangen konnte. »Hi, Bones ... Hi, Jungs! Das ist ja ein Hammer, euch hier zu treffen. Was macht ihr gerade?«

»Saufen«, erwiderte Bones mürrisch und leerte sein Bier.

TallTobey lachte schallend. »Ihr habt gerade euer neues Album rausgebracht ... Die kommen bei euch in ziemlich schneller Folge. Bones?«

»Na ja ... Wir haben wohl gerade eine kreative Phase ...« Er begann mit dem nächsten Bier.

»Du willst doch nicht damit sagen, dass wir schlampige Massenprodukte rausbringen, oder?«, setzte Tommy nach.

»Nein! Um Gottes willen! Das Teil ist echt großartig. Und ihr seid damit ja sogar in den Top100 auf Platz 29 eingestiegen.«

»Das hat uns selbst am meisten überrascht.«

»Verdient wäre Platz eins gewesen«, verkündete Dave lachend.

»Sagt ihr auch, dass das jetzt euer bestes Album ist?«

In seinem Kopf breitete sich der Nebel aus. Und das wurde durch die Hitze im Raum nicht gerade besser. Hätte er ein Pfund für jede sich wiederholende Frage bekommen, er wäre einer der reichsten Männer des Landes, dachte Bones. »Jedes Album ist ein Produkt der Phase, in der wir uns befunden haben. Insofern gibt es kein bestes Album.«

»Du schreibst ja alle Texte, Bones. Woher nimmst du deine Ideen?«

»Vom Ficken ...«, sagte Bones trocken.

TallTobey lachte wieder. »Na ja ... Aber bei dem aktuellen Album sieht das ja anders aus. Da sind viele Balladen dabei ...«

Schnell legte Bones seinen Zeigefinger an die Lippen. »Still!«, zischte er. »Wenn das rauskommt, kauft kein Schwein mehr das Teil!«

Allgemeines Gelächter.

TallTobey fragte etwas.

»Was?«, rief Bones durch den Lärm.

»Ob du ruhiger geworden bist ...«

»Ach so ... Was meinst du damit? Weiber flachlegen?«

»Zum Beispiel.«

TallTobey rutschte ihm wegen des Krachs fast auf den Schoß. »Ich habe deinen Auftritt gesehen, wo du dich ausgezogen hast ... Danach haben die Fans doch garantiert Schlange vor deiner Garderobe gestanden.«

Bones lachte auf. »Nein, eher nicht. Sie waren wohl von meinem Schwanz enttäuscht.«

»Kann ich mir nicht vorstellen. Das ist doch ein echtes Prachtteil. Wie der ganze Kerl.«

Bones mochte die Richtung nicht, in die das Interview lief.

»Reden wir jetzt über meinen Schwanz oder über unsere Musik?«

»Über deinen Schwanz«, versetzte TallTobey lachend.

»Okay. Dann solltest du mit den Mädels da drüben weiterreden, die haben sicher mehr Ideen zu dem Thema.«

Bones Laune sank in den Keller. Er bekam das nächste Bier.

»Hey, Mann ... tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen.« TallTobey schien überrascht von Bones ablehnender Haltung. »Also machen wir weiter mit eurer Musik ... Von diesem Auftritt abgesehen, bekommt man den Eindruck, dass du wirklich zur Ruhe gekommen bist. Du greifst auch mehr Themen aus dem Alltag auf. Vereinsamung, die Gewalt in den Vororten, aber auch das politische Desinteresse der Menschen ...«

»Ich schreibe über Dinge, die mir auffallen, und die ich für wichtig genug halte, um sie anzusprechen ...«

TallTobey nickte und schaute dann auf einen kleinen Zettel. »Wenn ich eure Pläne richtig verstehe, habt ihr als nächstes vor, die USA zu erobern. Stimmt das?«

Genau diese Interviews liebte er. Fragen abhaken und bloß kein Thema vertiefen ... »Sagen wir mal so ...«, hob Bones an.

»Na klar!«, fiel ihm Ashes ins Wort. »Das ist jetzt unser nächstes großes Ziel.«

»Denkt ihr, ihr seid reif für den US-Markt?«

»Fragt sich eher, ob der reif ist für uns ...«, feixte Bones.

Ashes nickte zufrieden.

»Ihr werdet bei drei Gigs als Vorgruppe von ›Metallica‹ auftreten. Ist das nicht der wahrgewordene Traum jeder Metal-Band?«

»Natürlich. Das wird einer der klaren Höhepunkte meines Lebens.«

TallTobeys Augen öffneten sich weit. Also war ihm der zynische Unterton nicht entgangen. »Das klingt jetzt nicht so ... wie soll ich sagen ... begeistert.«

Bones leerte sein Bier und beugte sich ganz dicht vor den Interviewer. »Das wird eine ... ganz ... große ... Sache!« Dann richtete er sich wieder auf. Das Bier begann zu wirken.

TallTobey nickte schnell und durchsuchte wieder seinen Zettel. »Jaaaa ... Dann kommen wir jetzt zu unserem beliebten Preisrätsel. Die beiden Gewinnerinnen vom letzten Mal sind heute Abend bei uns und schon ganz heiß drauf, euch endlich mal Auge in Auge gegenüberzustehen. Es sind Tammy und Jinny.« Er gab den beiden Mädchen ein Zeichen, die sofort ihren Platz an der Theke verließen. »Aber bevor wir die beiden auf euch Jungs loslassen, erst noch unsere heutige Gewinnspielfrage: Wie heißt das aktuelle Album von ›Amon Armath‹?«

Bones zweifelte an seinem Verstand ...

»Für die Gewinner gibt es wie immer ein ›Meet and Greet‹. Diesmal mit ...«

»Charlie Chaplin«, murmelte Bones und es war ihm egal, ob man es hören konnte oder nicht. Er setzte sein frisches Bier an und leerte das halbe Glas. »Genug«, wollte er schreien. »Es reicht!« Aber er schwieg.

»Okay, Mädels ... Sie gehören euch!« Damit schaltete Tall­Tobey sein Fledermaus-Mikro aus und lehnte sich zurück, während es dem Kameramann überlassen blieb, das Event für die Ewigkeit festzuhalten. Zunächst wurden brav Hände geschüttelt, wozu die Band sogar von ihrer Bank aufstand.

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