Читать книгу Rentnermänner - Helfried Stockhofe - Страница 3

Die jungen und die alten Rentner Wenn Männer ihren Beruf ganz aufgeben und in Rente gehen - ich muss mich auf Männer beschränken, weil ich nur da mitreden kann - kommt die Aufgabe auf sie zu, Zeitgewinn und Wertverlust unter einen Hut zu bekommen. Das ist eher einfach für diejenigen, die nicht die Erfüllung in ihrem Beruf fanden, denn sie verlieren nicht viel, aber schwierig für die Männer, die überwiegend für ihren Beruf lebten. Die meisten von diesen hatten aber zum Glück auch nebenbei noch andere Interessen und Tätigkeiten, die ihnen das Gefühl gaben, etwas wert zu sein. Diese Wertspender können dann in der Rente ausgebaut werden. Ich nenne einige Beispiele:

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Ein Mann, der schon immer sportlich war und es als richtig empfand, sich anzustrengen, sich zu fordern, oder gar sich zu quälen, könnte Rentenzeit dafür nutzen, für einen Halbmarathon zu trainieren oder mit dem Rad lange und bergige Touren zu fahren - wenn schon mit E-Bike, dann natürlich auf der niedrigsten Unterstützungsstufe!

Dafür kommen Männer in Frage, die beispielsweise oft mit ihren Vätern konkurrieren mussten oder von ihnen für große Leistungsbereitschaft - und womöglich nur dafür - anerkannt wurden. Sie müssen den anderen etwas beweisen - aber vor allem sich selbst.

Die Krankenkassen und Krankenversicherungszahler danken es ihnen, weil diese Rentner vermutlich weniger krank sein werden.

Dieser sportlichen Leistungsfähigkeitsdemonstration psychologisch verwandt, ist der Beweis der Potenz durch die Aufnahme eines Studiums an der Universität oder - die altbewährte Variante - durch den Kauf eines dicken SUVs, eines superniedrigen Sportwagens oder eines fetten Motorrads oder was auch immer als Statussymbol herhält - das nötige Kleingeld vorausgesetzt. Auch eine junge schöne Frau, die einen bewundert und gerne mitfährt, wäre nicht schlecht.

Ob alte Studenten jungen AbiturientInnen Studienplätze wegnehmen, weiß ich nicht, aber besonders nützlich scheinen sie mir nicht zu sein. Über die Statussymbol-Rentner jedoch freuen sich BMW und Konsorten - und die vielen dort Beschäftigten. Den ökologischen Fußabdruck dieser Rentner will ich hier einmal nicht diskutieren ...

Ein anderer Mann, einer, der stets durch seine Hilfsbereitschaft auffiel, also ein Helfertyp, steigt nach Rentenbeginn in Ehrenämter ein und kompensiert dadurch das durch die Berufsaufgabe verlorengegangene Wertgefühl.

Solche Männer könnten zum Beispiel in der Kindheit von der kränkelnden oder anderweitig überforderten Mutter für ihre Hilfe gelobt worden sein. Oder sie waren übersehene, benachteiligte oder gar abgelehnte Kinder, die im Helfen eine Chance sahen, doch noch positiv wahrgenommen zu werden - oder zumindest sich selbst gegenüber einen Makel zu kompensieren, der ihnen angetragen wurde.

Über solche Rentner sind viele zu recht froh! Auf sie kann eine Gesellschaft schwer verzichten. Ja, ohne sie würde vieles nicht mehr funktionieren.

Andere Männer wiederum werden mit Renteneintritt ihre Klagen über ihren Gesundheitszustand verstärken. Sie können leider nicht mehr viel tun, weil sie zu krank sind oder krank zu werden drohen ...

Diese Männer wollen vielleicht Beachtung bei ihrer Partnerin finden, was sie mit Wertschätzung verknüpfen, so wie einst bei den Eltern, die ihnen nur Zuwendung schenkten, wenn sie krank waren.

Große Teile der Ärzteschaft, Apotheken, Pflegekräfte und andere Angestellte im Gesundheitswesen leben von diesen Rentnern. Auch sie sind somit durchaus für viele Menschen nützlich. Ich will nicht dagegen rechnen, was sie die Gesellschaft kosten. Überhaupt lasse ich volkswirtschaftliche Überlegungen außen vor, sie müssten ja eine Nutzen-Kosten-Abwägung über das gesamte Leben anstellen.

Aber Achtung: Man darf allen diesen Neu-Rentnern nicht mit tiefenpsychologischen Interpretationen kommen - von wegen Kindheit ... ! Sie würden diese, angeblich "weit hergeholten Überlegungen", als abwertend empfinden und solche hintergründigen Leute als "Doktor Freud" verspotten.

Der sich sportlich anstrengende Mann würde behaupten, sein Verhalten sei gesund und normal. Die anderen seien doch alle zu bequem. Er erhöht seinen Wert also zusätzlich durch die Abwertung der anderen!

Das tut der hilfreiche Mann auch. Aber er sagt es natürlich nicht - oder will es nicht wahrhaben. Er wird auch nicht hervorheben, dass sein soziales Engagement für die Gesellschaft wichtig ist. Nein, er glaubt ganz bescheiden, es nur aus Freude zu tun oder vielleicht auch noch, weil es Gottes Gebot ist oder einfach nur, weil er es für selbstverständlich hält, uneigennützig zu sein.

Der klagende Neu-Rentner wird schlüssig nachweisen, dass er seine Leiden von den Vorfahren geerbt hat, vielleicht auch durch harte Arbeit. Wenn er Glück hat, erhöht sich sein Wert auch dadurch, dass ihn Gesunde bedauern - und dafür bewundern, was er alles aushalten kann.

Und der Potenzler? Der ist ja wohl gänzlich unempfänglich für tiefenpsychologische Interpretationen. Er würde sagen, dass er sich einen Kindheitstraum erfüllt, wenn er studiert oder sich eine Supermaschine zulegt, jetzt, wo er doch genügend Geld und viel Zeit hat. Und er merkt gar nicht, dass die Erwähnung des Kindheitstraums schon wieder die Richtung zeigt.

Nun, es gibt eine Reihe anderer Möglichkeiten, die gewonnene Zeit mit Wert spendenden Tätigkeiten zu verbringen: Mann könnte plötzlich sehr religiös werden oder besonders umweltbewusst oder etwas anderes tun, was als "wertvoll" angesehen wird - oder als "sinnvoll", meist im Sinne von "nützlich für ...".

Übrigens: Die oft empfohlenen Hobbys funktionieren bei Selbstwertverlust nur, wenn sie zu Passionen werden, die große Ablenkung garantieren, wertvolle Ergebnisse zeitigen oder Anerkennung von anderen bringen! Ablenkende Beschäftigungen, die ein Selbstwertverlustgefühl kaschieren, kann man bis zur Sucht ausbauen: Essen, Trinken, Spielen, Fernsehschauen, exzessives Reisen und vieles mehr.

Aber vielleicht gibt es ja auch nicht-süchtige Lebenskünstler, die in sich ruhen und mit sich und der Welt zufrieden sind, wenn sie genüsslich rauchend auf dem Balkon sitzen oder selig schlafend vor dem Fernseher liegen. Auch Urlaubsreisen sind für diese Neurentner etwas Wunderbares. Und die Musik! Was wäre ein Leben ohne die Musik?

Aber was ist mit dem Selbstwertgefühl dieser Spezies? Offensichtlich haben sie davon nichts durch den Wegfall des Berufs verloren, weil die Arbeit vor Rentenbeginn wenig zur Selbstwertsteigerung beigetragen hat, womöglich sogar das Selbstwertgefühl geschwächt hatte. Vielleicht mussten sich die Ärmsten sogar jahrelang durch den Arbeitsalltag hindurchquälen. Gönnen wir daher auch ihnen in der Rente die Lust am Leben!

Nun zu den alten Rentnern, also zu denen, die die Zeit des Übergangs hinter sich haben.

Für sie gibt es recht nette Ausdrücke. Die "Sprachnudel" bezeichnet im Internet alte Menschen als Abstellgreis, Dino, Friedhofsdeserteur, Friedhofsgemüse, Friedhofssalat, Grabverweigerer, Graukappe, Graumütze, Gruftspion, Komposti, Kukidentier, Moderkopp, Verwesungsanwärter. Wirklich alles sehr nett.

Aber ich will ja nicht böse sein. Den vier alten Männern, über die ich hier berichten möchte, gebe ich andere Bezeichnungen:

Der Älteste ist ein "Greis". So nannte man früher einen alten Mann. Dieser Begriff ist inzwischen nicht mehr gebräuchlich. Vermutlich mangelt es ihm an Political Correctness. Die Frau Wiktionary meint - mit "Frau" bin ich hoffentlich auf der sicheren Seite - ein "Greis" sei ein "sehr alter Mensch, meist ein Mann" (warum "meist"?) und sie weist mit einem schönen Beispiel darauf hin, wie sich das Alter der Greise im Verlauf der Zeit verändert hat: In der Laudatio der Königsberger Universität zum 50. (!) Geburtstag von Immanuel Kant habe man diesen mit "Ehrwürdiger Greis" angesprochen! Das war also im Jahr 1774.

Zweihundert Jahre später war ein "Greis" meist schon über 80, heute ist er über 90. Aber "Greis" darf er nicht mehr genannt werden - und er will es auch nicht!

Weil das Schicksal nicht gnädig ist und unserem Greis ein langes Leben schenkt, steckt er nun in der Leidensphase, da sein Gehirn den Schmerz und alle anderen Quälgeister noch wahrnimmt.

Der Greis findet es ungerecht, dass er nicht sterben darf. Er leidet nicht mehr an, sondern unter seinen Krankheiten und beneidet die bereits Verstorbenen. Er meint, dass ihn eine weitere Krankheit, ein Krebs etwa, nicht stören würde. Und schon gar nicht wäre es ein Glück, den Krebs zu überleben. An irgendetwas muss ja man sterben - und das möglichst schnell. Nun, genau genommen, dachte unser Greis hier in dieser Geschichte noch vor einiger Zeit so. Inzwischen hat sich ja etwas geändert und er will doch noch ein wenig leben.

Da er "fast bis zum Schluss" als Verwalter von Mietshäusern tätig war, anfangs der Häuser seiner Verwandtschaft, später der eigenen, hat er die Selbstwertverlustproblematik weit hinausgeschoben, umso stärker scheint sie ihn nun einzuholen und leidend zu machen.

Den Zweitältesten unserer vier Hauptdarsteller könnte ich "Senior" nennen. Bei diesem Begriff ist es anders: Im Singular gebraucht, wird er gern genommen, weil er jünger macht. Im Plural allerdings lehnen ihn viele Betroffene ab. Wie eine Umfrage ergab, fügt sich allerdings inzwischen schon über die Hälfte der Älteren in ihr "Senioren"-Schicksal. Aber ehrlich: Wer will schon gerne in einem Seniorenheim wohnen oder an Seniorennachmittagen mit Kaffee und Kuchen verwöhnt werden? Da muss Mann auch schon fast ein "Greis" sein! Mein Senior ist allerdings 10 Jahre jünger als der Greis, er ist ein "Seniorennachmittagsrentner". Ja, dieser Begriff beschreibt es besser als "Senior". Und er geht tatsächlich gerne zu den Seniorennachmittagen - wenn auch in besonderer Funktion.

Seine Jungrentnerzeit war sehr schwierig und er hat psychisch stark gelitten, wie wir später noch sehen werden. Jetzt als Seniorennachmittagsrentner geht es ihm gut. Gesundheitlich befindet er sich in der Abfindungsphase, das heißt, die Einschränkungen werden als zum Alter gehörig akzeptiert - und sie sind auszuhalten. Er ist dankbar für das erreichte Alter.

Bis vor kurzem wäre es für ihn noch ungerecht gewesen, wenn er gestorben wäre. Ein schrecklicher Schulkollege von ihm, der ihn stets gehänselt hatte, hätte ihn dann überlebt. Nun war aber dessen Todesanzeige in der Zeitung zu lesen ...

Die Krankheiten bereiten dem Seniorennachmittagsrentner jetzt viel weniger Sorgen und er nimmt nicht mehr an Früherkennungsuntersuchungen teil. Die Ärzte können ihm gestohlen bleiben. Da er gesundheitlich einigermaßen klar kommt und seine körperlichen Einschränkungen akzeptiert, tut er nichts für seine körperliche Ertüchtigung. Trotz der ständigen Einredungen seiner Umwelt! Geistig ist er noch - wie auch die anderen drei - relativ fit.

Der um 10 Jahre jüngere "Prothesenrentner" hofft nach einigen Gelenkersatzgeschenken, dass er weitere, eigentlich anstehende Operationen "übersterben" kann. Er zögert alles hinaus, will nicht zum Ersatzteillager werden. Auch die Prostata muss wohl noch einige Jahre herhalten. Der Tod werde ihn schon noch ereilen, bevor es gar nicht mehr anders gehe und er noch einmal unters Messer müsse. Er versucht, das rechte Maß zu finden zwischen Training zur Beibehaltung körperlicher Fitness und Schonung der verbliebenen natürlichen Gelenke und der anderen Körperteile. Er klagt oft, auch, weil ihn die anderen sonst überfordern würden. Aber er ist noch freiberuflich tätig, kennt daher keine Renteneintrittsselbstwertprobleme.

Körperlich befindet er sich am Ende der Reparaturphase - hofft er zumindest - und kann allen Jüngeren Tipps zum besten Krankenhaus für den Gelenkersatz geben.

Einige Jährchen jünger ist unser "Jungrentner", der vierte im Bunde. Er begann seine "letzte Lebensphase" vor einem Jahr, mit 63. Apropos "letzte Lebensphase": Dazu gratulieren nur junge Leute zu Beginn der Rentenzeit! An den Tod denkt der Jungrentner im Gegensatz zur Krankheit selten. Der liegt viel zu weit entfernt, meint er. Er ist ein Genussrentner, ein bisschen auch ein Helfertyp.

Bei einem Jungrentner steht, wenn die oben angesprochene Melange aus Selbstwertverlust und Zeitgewinn in ein genießbares Etwas verwandelt wurde, die Gesundheitsvorsorge, also Krankheitsvermeidung im Vordergrund, denn er will ja noch etwas tun und erleben! Unser 64-jährige Jungrentner will nichts übersterben, hat hingegen Angst, mit unvermeidlich erscheinenden zukünftigen Erkrankungen seine Lebensqualität einzubüßen. Er will doch noch etwas haben von seiner Rente! Das Stadium des Prothesenrentners möchte er überspringen und es bis zum Seniorennachmittagsrentner schaffen. Doch niemals will er ein Greis werden!

Ob diese auf das Thema Gesundheit bezogenen Gesetzmäßigkeiten für alle Alten gelten? Natürlich nicht. Nicht jeder Greis erlebt eine Leidensphase, nicht jeder Seniorennachmittagsrentner die Abfindungsphase, nicht jeder beendet als Prothesenrentner seine Reparaturphase und Jungrentner laufen auch nicht ständig zum Arzt.

Ich weiß, dass es anderen alten Leuten auch anders geht. Und ich weiß, dass solche Gesetzmäßigkeiten nicht nur mit dem Lebensalter zu tun haben, sondern zum Beispiel auch eine Folge des bisherigen langen Lebens von der Kindheit bis zur Rente sein können.

Unser Greis wurde zwischen den Weltkriegen geboren und hat seine Jugend in der Hitlerjugend verbracht. Dann kämpfte er als junger Mann an der Ostfront um sein Leben. Traumatisiert und auch körperlich versehrt kam er zurück.

1935 kam der Seniorennachmittagsrentner auf die Welt und seine Kindheit bestand jahrelang aus Krieg, mit vielen Ängsten und einem Hunger, der ihn zum Stehlen und Betteln trieb, was wiederum Gewissensbisse und Scham zur Folge hatte.

Als der heutige Prothesenrentner am Ende des Krieges geboren wurde, wusste niemand genau, wer sein Erzeuger gewesen war. Die Kindheit in der Nachkriegszeit war auch bei ihm von Hunger geprägt, doch seine Mutter verzichtete oft zu seinen Gunsten. Ihr war sehr wichtig, dass das auch nach außen hin sichtbar wurde. Je dicker das Kind, desto besser.

In der Kindheit unseres Jungrentners kam es zum großen Wechsel von den Nachkriegswehen hin zum Wirtschaftswunder. Die studentischen Revolten bekam er kaum mit, erst in den Siebzigern begann er sein Studium, also immerhin noch zu Zeiten der sexuellen Revolution.

Sicher gibt es Untersuchungen und fundierte Theorien zu den Zusammenhängen zwischen Leben und Alterserleben. Und auch die Erforschung des Alters wird schon manche Erkenntnisse gebracht haben. Doch ich will hier ja eine Geschichte erzählen und keine Forschungsergebnisse präsentieren.

In meiner Geschichte geht es um Beziehungen und deshalb möchte ich nicht vergessen, dass beim Übergang in die Rente auch die Veränderung in der Häufigkeit und Art sozialer Kontakte beachtenswert ist. Da können viele Beziehungen verloren gehen, aber viele auch neu entstehen oder alte Kontakte besser gepflegt werden. Insbesondere Männer, die vor der Rente schon länger in engen Partnerschaften lebten, wundern sich, was beziehungsmäßig im ersten Rentenjahr alles passiert ... Das zu thematisieren, ist ein extra Buch wert.

Ein anderer Aspekt, der für viele wichtig ist, bleibt bei meinen theoretischen Überlegungen auch außen vor: Die finanzielle Seite. Auch dieses Thema ist für viele ähnlich schwierig wie die Partnerschaftsprobleme. Jedoch nicht bei meinen vier Rentnern:

Der Greis verdient als Eigentümer von Mietshäusern genügend Geld, neben seiner Kriegsversehrtenrente. Der Seniorennachmittagler bessert seine Rente mit fragwürdigen Geschäften auf, der Prothesenrentner hat ein wenig geerbt und kann zusammen mit weiteren fortlaufenden Einnahmen gut davon leben und der Jungrentner hat eine Frau, die gut verdient und später eine gute Rente erhalten wird.

Nun aber zur Geschichte. Ich beginne sie mit dem Jüngsten, dem jetzigen Jungrentner. Ich nenne ihn Rudi. Und ich beginne aus ganz bestimmten Gründen mit seiner Studentenzeit.

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