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I. Buntes Allerlei

Von Schleichern, Dränglern und Knallern

Das Problem ist ein klassisches, und der Konflikt zwischen Erleichterung und Schicklichkeit ist schon immer ein heftiger gewesen. Doch Elisabeth I. (1533-1603) zeigte hinsichtlich ihrer quälenden Koliken da keine Hemmungen: Die Lady-Cracker der damaligen englischen Königin genossen einen legendären Ruf.

1920 brachte die Stuttgarter Firma „Melo“, wie Alfred Limbachs keckem Büchlein „Der Furz“ zu entnehmen ist, unter dem Motto „Gesundheit macht Laune zu Schönem und Heiterem“ einen „Geruchsverbesserer“ auf den Markt. Dabei handelte es sich um ein sinnreich geformtes Röhrchen von sechs Gramm Gewicht, das wahlweise mit Rosen-, Narzissen- oder Maiglöckchenparfüm gefüllt werden konnte und für stolze 50 Mark zu haben war. „Bei Einsetzung des Glockenspieles“ waren 25 Prozent mehr zu berappen.

Was aus dem Superzäpfchen geworden ist, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Allerdings darf gemutmaßt werden, dass zumindest die umworbene schwäbische Kundschaft eher mit kostenlosem Mutterwitz – „Was koin Zins zahlt, muass direkt naus“ – das plötzliche Aufkommen von heftigen Bauchwinden zu parieren wusste als mit einem tiefen Griff in den Geldbeutel.

Noch viel schlauer war freilich laut „Der Furz“ der Franzose Joséph Pujol, der Anfang des 20. Jahrhunderts aus der übermäßigen Ansammlung von Stickstoff, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Methan im Magen-Darm-Trakt bestens Kapital zu schlagen wusste. Er trat im Moulin Rouge regelmäßig als Kunstbrummer auf, und das enthusiastische Gekreische des Publikums war noch in einer Entfernung von hundert Metern zu hören, wenn er „Au clair de la lune“ mal staccato, mal maestoso oder mal andante „intonierte“.

Apropos Kunst: Im ländlichen China ist es durchaus noch üblich, den Kochkünsten eines Gastgebers oder einer Gastgeberin auf besondere Art und Weise zu schmeicheln – nämlich durch die geräuschvolle Entlüftung des Darms. Und in Japan gilt nicht etwa ein plötzlich entwichener Windteufel als Fauxpas schlechthin, sondern das Schnäuzen bei Tisch.

Hierzulande ist das natürlich anders, aber durch dementsprechende Kautabletten sanft und elegant in den rektalen Griff zu bekommen, wenn durch zu viel geschluckte Luft beim hastigen Essen oder durch blähende Speisen wie Erbsen, Bohnen, Linsen et cetera der Gasgehalt im Magen-Darm-Kanal bis auf das Zehnfache anwächst. So ein Ding bei Bedarf eingenommen, und Schluss ist mit pestilenzialischen Schleichern, Dränglern und Knallern.

Die Kunst des Entenklemmens

Mal sind die Aktien im Keller, mal die Zinsen, auf der anderen Seite klettern die Strom- und Gaspreise ins Dachgeschoss. Was bleibt einem da noch anderes übrig, als auf gut Schwäbisch sein „Sach“ zusammenzuhalten, bevor es unweigerlich den Bach runtergeht. Es sei dahingestellt, ob man durch Nichtausgeben wohlhabend wird; immerhin wird man dadurch nicht ärmer, denn was man behält, wahrt den Besitzstand, was man aber hergibt, hat man nicht mehr. Der Schwabe ist da von Natur aus im Vorteil, denn er gibt ungern etwas her – und sei es ein bloßes Entenei.

Wobei wir beim eigentlichen Thema sind, denn ein gekonnter Kniff in Daisy Ducks Hinterteil entscheidet darüber, ob sie aus dem Stall darf oder nicht. Nur die Kunst des Entenklemmens, übrigens wunderbar nachzulesen in Thaddäus Trolls „Deutschland deine Schwaben“, vermag über wirtschaftlich turbulente Zeiten hinwegzuretten getreu dem Motto: „Gut geklemmt ist bestens gespart!“ Nähern wir uns folglich mit Riesenschritten der alles entscheidenden Frage: Wie klemmt man gut?

Bleiben wir zunächst auf der Tierschiene. Wie ließen sich beispielsweise Katzenfutter, Katzenstreu und Miezes Tierarztrechnung bestens einsparen? Genau! Katze abschaffen, selber miauen! Protest ist völlig unangebracht, denn hier ein paar Euro einbehalten und dort gar keine rausgerückt – und schon macht’s ‘nen Schein! Auch in puncto Bekleidung wäre was zu machen. Welche Hinterbliebenen haben sich, selbstverständlich nach angemessener Zeit, nicht schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie mit den Anzügen des Verschiedenen zu verfahren sei. Mit dem diskreten Hinweis, man habe ja, welch Zufall, die gleiche Konfektionsgröße, ließen sich auf der einen Seite Raumgewinn und auf der anderen Seite Glückseligkeit erzielen.

Futura sunt veris clemmis – die Zukunft gehört den wahren Klemmern! Die gehen etwas später in die Kantine, begeben sich mit ihrem Tablett aber nicht zur Essensausgabe, sondern umkreisen mit sicherem Blick diejenigen, die schon am Kämpfen sind, um dann die erlösende Frage zu stellen: „Soll ich dir deine Restroulade abnehmen, bevor es dich zerreißt?“ So lässt sich zum Nulltarif bestens der Magen füllen, und in dem Gefühl, dem Leben wieder einige Moneten abgeluchst zu haben, schmecken am Abend der Zwiebelkuchen vom Vortag sowie das abgelaufene und daher geschenkte Radler umso besser. Manchmal braucht es halt nicht viel, um überglücklich einschlafen zu können.

Exitus auf der Küchenlampe

Sage bloß einer, sie hätte keine Chance gehabt! Natürlich hat sie eine Chance gehabt, sogar mehr als eine, aber sie hat sie alle nicht genutzt! Sich dann aber auf die hell erleuchtete Küchenlampe zu setzen und stur darauf sitzen zu bleiben – welche Torheit! Buchstäblich gebettelt hat die Fliege um den finalen Schlag.

Aus dem Dunkel der Spätsommernacht kam es plötzlich angeflogen, dieses fette, schwarze Ekel. Es fand den schmalen Weg durch das spaltbreit geöffnete Küchenfenster und begann sofort, die Räumlichkeiten zu inspizieren. Knapp unterhalb der Flurdecke flog die Fliege eine kunstvolle Acht, im Arbeitszimmer zwei, im Wohnzimmer drei und im Schlafzimmer deren vier. Dort schien es ihr besonders zu gefallen – Schreck lass nach! Man stelle sich vor, sie landet, während man schläft, auf der Nase, krabbelt in das linke oder rechte Nasenloch, plumpst desorientiert nach unten in den Rachenraum, rutscht panisch geworden die Speiseröhre hinab, um dann im Magen zu landen. Und was macht sie dort? Fliegt eine Acht nach der anderen!

Kurzum: Die fliegende und krabbelnde Gefahr musste raus! Man wollte ja nicht gleich zur Klatsche greifen. Folglich wurde die Balkontür weit geöffnet in der Hoffnung, dass sich der ungebetene Gast prompt ins Freie begebe. Drei Minuten gewartet, fünf Minuten gewartet, doch der Flugakrobat blieb drinnen und setzte sich stattdessen tollkühn auf besagte Küchenlampe, nachdem er um dieselbe noch eine letzte Schleife gezogen hatte. Die Fliegenklatsche verwirbelte übungshalber zunächst etwas Zimmerluft, und dann hat’s patsch gemacht. Gerächt hat sich das Getier schon, denn die angerichtete Sauerei war ordentlich.

Kleine Fluchten

Auf gewohnter Schiene dahingeglitten, und mir nichts, dir nichts dominiert die Alltagsnorm. Man ordert in der Stammkneipe sein Standardgetränk, kauft im Supermarkt sein Standardshampoo, macht sonntags seinen Standardspaziergang, bucht im Reisekatalog ein Standardzimmer, praktiziert beim Liebesakt seine Standard…, ach, lassen wir das, bringt beim politischen Streitgespräch seine Standardargumente und merkt vor lauter „Standard“ gar nicht mehr, dass sich überall Verschnarchtes breitgemacht hat.

Wie wär’s mit kleinen Fluchten aus ritualisierter Behäbigkeit? Sonntags nicht immer durch den Wald traben, sondern am Flussufer entlangspazieren? Oder beim Bäcker nicht immer auf das Wurstbrötchen zeigen, sondern auf den Gemüsekuchen? Oder im Stadtbus nicht immer stur sitzenbleiben, sondern mal den Platz anbieten? Und im Stadion bei Rückstand nicht immer in der Nase bohren, sondern mit den Fingern schnippen.

Ab und zu die Haare gegen den Strich gebürstet, und die Kopfhaut wird ordentlich durchlüftet!

Hui und pfui!

Vor 2000 Jahren schrieb der römische Dichter Vergil, immer sei „die Frau ein wechselhaftes und veränderliches Wesen“. Und heute? Dasselbe, denn am MON-TAG huscht sie am Schaufenster vorbei, aber Papageienschnabel, Kokosnuss und Segelschiff holen sie zurück. Diese Insignien exotischer Unbeschwertheit finden sich auf einer ausgestellten Sommerhose und lassen sie sofort von den Karibischen Inseln träumen. Bei genauem Hinsehen sind noch ein Seestern, eine Papaya und eine Orchidee auszumachen – und das alles auf weißem Grund. Dann gibt sie sich einen Ruck und geht doch weiter.

Am DIENSTAG steht sie ganz bewusst vor dem Schaufenster. Die ganze Nacht ist ihr die Hose durch den Kopf gegangen. Ziemlich bunt, ja ausgefallen ist diese Textilie schon, etwas Besonderes eben. Bei welcher Gelegenheit zieht man so etwas an? Welche Schuhe und welche Blusen passen dazu? Ist der Preis nicht zu hoch? Dennoch gefällt ihr diese wunderschöne Hose, aber in die Boutique gehen …?

Am MITTWOCH ist sie drin, hat die Hose an und steht vor dem Spiegel. Nicht zu lang, nicht zu kurz, nicht zu weit, nicht zu eng. Passt wie eine Eins! Die Verkäuferin säuselt routiniert: „Nichts Alltägliches, nichts Gewöhnliches, nichts Gängiges!“ – „Aber der Preis!“ – „Ich bitte Sie: bei der Qualität!“ Die so Überzeugte verlässt beschwingt mit einer Tüte unter dem Arm die Boutique.

Am DONNERSTAG kommen die ersten Zweifel. Ins Büro kann sie die Hose nicht anziehen und ins Kino und ins Theater auch nicht. Zu paradiesvogelhaft! Bestenfalls in den Sommerurlaub mitnehmen, aber da trägt sie eher kurz. Was feixt der Gatte? „Aloha am Chiemsee!“ Nicht doch! War das wirklich ein Fehlkauf – zu spontan, ziemlich unüberlegt?

Am FREITAG stöbert sie, natürlich ganz unverbindlich, nach etwas Funktionellem. Die Gelegenheit ist günstig, denn eine andere Verkäuferin ist zugange. Vielleicht lässt sich etwas Alltägliches, Gewöhnliches, Gängiges finden, das sie zu jeder Gelegenheit anziehen kann. Ohne Schnabel, Nuss, Schiff, Stern, Frucht und Blume. Nicht paradiesvogelhaft. Tatsächlich lässt sie sich eine italienische Markenjeans zurücklegen. Auch teuer!

Am SAMSTAG dann die Umtauschaktion. Ob der Differenz springen noch Söckchen heraus, ganz besondere, keineswegs gewöhnliche, jeweils mit aufgestickter Ananas. Ein wenig Karibische Inseln, aber nicht zu auffällig. Nur ganz kurz zum Träumen.

Falsches Denken

Beklage man sich nicht, wenn sich ein paar Wölkchen unter die Sonne schieben und das Sommerblau verzieren. Im November hat man davon geträumt, als einem das Permanentgrau mächtig auf die Stimmung schlug.

Stöhne man nicht, wenn die Sonne wieder zornig herabsticht und die Haut brennen lässt. Im Dezember hat man davon geträumt, als der kalte Ostwind einem die Tränen aus den Augen trieb.

Fluche man nicht, wenn sommers das Wageninnere zur Sauna mutiert und den Schweiß aus den Poren zieht. Im Januar hat man davon geträumt, als man morgens das Eis von der Windschutzscheibe kratzte.

Schreie man nicht, wenn man sich im Sommerurlaub im heißen Sand die Fußsohlen anschmort. Im Februar hat man davon geträumt, als in der heimischen Wohnung plötzlich die Fußbodenheizung ausfiel.

Es scheint so, dass Schopenhauer recht hat: „Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.“

Der Herbst des Schwimmers

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