Читать книгу Frederick Soddy - Wegbereiter einer naturwissenschaftlichen Ökonomie - Helmut Federmann - Страница 6
ОглавлениеVorwort
Der englische Chemieprofessor und Nobelpreisträger des Jahres 1921, Frederick Soddy, kann als einer der wichtigsten Vordenker der heutigen Ökologischen Ökonomie angesehen werden. Seine Biographie weist ihn als eine vielseitig interessierte Persönlichkeit aus und er ist damit prädestiniert, ihn als einen „Wanderer zwischen den Welten der Wissenschaften“ zu charakterisieren. Als solcher tritt er mit dem Anspruch an die Wirtschaftswissenschaft heran, eine naturwissenschaftliche Grundlage zu finden: „Soddy war wahrhaftig ein Pionier für die Ökologische Ökonomik, das ‚Mittelstück zwischen dem Elektron und der Seele‘.1 Anders als die Orthodoxe Ökonomik kann die Ökologische Ökonomik stolz darauf sein, einen wirklichen Nobelpreisträger zu ihren Vorfahren zu zählen.“2
Die Lebenszeit Frederick Soddys erstreckt sich vom ausgehenden 19. Jahrhundert, seinem Geburtsjahr 1877, bis tief hinein in das 20. Jahrhundert, seinem Todesjahr 1956. Darin wird er Zeitzeuge von vielfältigen Umwälzungen und gleichzeitig Mitwirkender an grundstürzenden Entdeckungen und Veränderungen der zivilisierten Welt. Diese interpretierte er in oftmals visionärer Art, weit über die gedanklichen Grenzen seiner Zeitgenossen hinaus: Herman Daly, einer der bedeutenden Vertreter der Ökologischen Ökonomie, schreibt: „Soddy was in many ways fifty years ahead of his time.“3
Im Gegensatz zu seinen Konzepten in der Ökonomie, sind die Erfolge in seinem Stammgebiet ausreichend honoriert worden: Im Jahr 1921 erhält Soddy für seine bahnbrechenden Forschungsarbeiten über die Eigenschaften chemischer Elemente den Nobelpreis für Chemie. Er erkennt, dass radioaktive Elemente – bei unterschiedlichem Atomgewicht – gleiche chemische Eigenschaften aufweisen und prägt dafür den Begriff „Isotope“.
Die Ergebnisse seiner Forschungen an spaltbarem radioaktivem Material – gemeinsam mit Ernest Rutherford sowie William Ramsay – liefern ihm das Wissen und die Kenntnis über das unvorstellbar riesige
Energiepotential, welches zukünftig der Menschheit zur Verfügung stehen würde. Seine Vorstellungen darüber, in welcher Weise dieses Potential verwendet werden könnte, stürzen ihn persönlich jedoch in tiefe Nachdenklichkeit über Segen und Fluch von Wissenschaft. Die Mitwirkung und die Mitverantwortlichkeit von Wissenschaftlern der Chemie zur Entwicklung chemischer Kampfmittel, führen ihm vor Augen, wozu Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung benutzt werden können: In Vorahnung der verheerenden Auswirkungen seiner revolutionär neuen Erkenntnisse durch die Hände verantwortungsloser Menschen, ist Soddy in großer Sorge um die militärische und kriegerische Nutzung dieses Potentials. Seine Abscheu gegenüber der Mitwirkung der chemischen Wissenschaft an der Entwicklung von Kampfstoffen bringt ihn dazu, seine radiochemischen Forschungen einzustellen.
Er befasst sich in den folgenden Jahrzehnten mit der Lösung des von ihm so bezeichneten „Ökonomischen Paradoxon“. Damit kennzeichnet er seine Feststellung, dass sich trotz enormen Fortschritten in Wissenschaft und Technik die soziale und wirtschaftliche Situation der größeren Zahl der Bevölkerung nicht grundlegend verbessert. Eine der wesentlichen Ursachen sieht er in einem mangelhaften Finanzsystem.
Frederick Soddy entwickelt eine Sichtweise auf die Wirtschaft, welche aus physikalischen Gesetzmäßigkeiten begründet wird – insbesondere aus den Gesetzen der Thermodynamik. Mit vier Büchern, zwischen 1921 und 1934 geschrieben, setzt Soddy eine idealistisch anmutende Kampagne zur radikalen Umformung der globalen Finanzbeziehungen in Gang. Er wird jedoch im Kreis der etablierten Ökonomie rundheraus als „Spinner“ abgelehnt, seine Werke führen bis heute ein Schattendasein.
Das naturwissenschaftliche Gesamtwerk von Soddy liegt ausführlich dokumentiert und publiziert vor – zumindest in englischer Sprache. In solchen Beiträgen wird mitunter auch sein Interesse an ökonomischen Fragen mehr oder weniger detailliert erwähnt. Im besten Fall wird auch auf seine diesbezüglichen schriftlichen Werke hingewiesen. Bisher fehlt jedoch eine umfassende Darstellung dieses bedeutenden Wissenschaftlers in deutscher Sprache.
Dieses Versäumnis soll nunmehr – im 100. Jubiläumsjahr der Verleihung des Nobelpreises in Chemie an Frederick Soddy – nachgeholt werden. Indem wir Soddys Werdegang darstellen, seine wissenschaftlichen
Arbeiten erläutern und vor allem eine ausführliche Darstellung der sozialökonomischen Überlegungen Soddys vorlegen, soll an einen wichtigen Wegbereiter der Ökologischen Ökonomik erinnert werden. Seine wissenschaftliche Selbstisolation in den späteren Lebensjahren bleibt darin nicht unerwähnt.
Soddys eigensinnige Persönlichkeit mag ihm mitunter im Wege gestanden haben; es wäre jedoch die Pflicht der Nachwelt, sich ihr eigenes Bild von ihm zu machen. In einem Nachruf wird er als großer Idealist beschrieben, der für seine Ziele eintrat, auch wenn er dadurch Nachteile erleiden musste. Mit jungen Menschen, seinen Studenten, ging er sehr rücksichtsvoll und freundlich um. Obrigkeiten und machtvollen Institutionen begegnete er stets misstrauisch. Soddy sollte nicht nur als Schöpfer des Begriffs „Isotopie“ oder als Verfasser provokativer Schriften zu ökonomischen Fragen in Erinnerung bleiben, sondern als außerordentlich kritischer und freier Geist, der mit wissenschaftlichem Anspruch an die grundlegenden Fragen der Gesellschaft herangeht.
Die erstmalige Übersetzung seines Vortrages CARTESIAN ECONOMICS in deutscher Sprache vervollständigt diesen Versuch, ein zutreffendes Bild über einen bedeutenden Wissenschaftler zu erstellen, dessen Ansichten und Äußerungen auf unser Wirtschaftssystem mitunter nicht unumstritten waren, aber immer noch wertvolle Hinweise auf die Kernproblematik geben können.
Die Verfasser und Übersetzer
Helmut Federmann, Königswinter
Philipp Kapp, Roßdorf
im August 2021
1 A.d.V.: Diese Formulierung erschließt sich auf Seite 95 in Politische Ökonomie als Wissenschaft
2 Costanza, R. (2015) S. 39 (Übersetzung d. Verf.)
3 Daly, H. (1980)