Читать книгу Schmerzeslust - Helmut G Götz - Страница 3
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Schon beim Eintreffen vor dem kleinen Vorstadthäuschen das am Rande von Wien lag, wusste sie, dass sie hier mit etwas konfrontiert sein würde, dass sie bis dato noch nicht gesehen hatte.
Das Haus, typisch für diese Gegend, sauber und gepflegt, mit kleinen Büschen und Blumenbeeten vor dem Haus, einer Rasenfläche die gerade groß genug war, um den Kauf eines Rasenmähers zu rechtfertigen, hatte alles was man sich unter dem vorstellte das man unter den Begriff gutbürgerlich kannte.
„Morgen Maria“, begrüßte sie einer der Kollegen am Eingang.
„Morgen Stefan“, grüßte sie ihn zurück. „Wo ist die Leiche“, fragte sie ihn.
Selbst ihr, die diese Frage nicht das erste Mal gestellt hatte, kam es seltsam vor, in welch selbstverständlichem Ton sie (wieder einmal) danach gefragt hatte.
So, als wäre sie im Supermarkt, um eine der Regalbetreuerinnen zu fragen, wo der Zucker steht.
War das wieder einer jener Tage, an denen sie ihren Job – solche gab es mitunter – Scheiße fand? Sie verwarf die Frage so schnell wie sie aufgetaucht war.
Stefan rückte nicht gleich mit der Sprache raus. Er wirkte bedrückt, fast geschockt.
Maria wunderte sich.
„Siehst ganz schön grün um die Nase aus“, sagte Maria.
Eigentlich kannte sie ihren Kollegen als toughen Typen. Nicht umsonst hatte er über 15 Jahre erfolgreich und
ohne abgestochen zu werden, als verdeckter Ermittler überlebt. In Wien eine reife Leistung, wie sie selbst zugeben musste.
„Was ist“, fragte sie ihn.
Stefan sah sie an, als hätte er einen
Geist gesehen.
„So was hab ich noch nie gesehen“, meinte er kopfschüttelnd.
Ja, er war grün um die Nase.
„Also, wo ist sie“, fragte sie ihn nochmals.
Er wies mit dem Daumen nach rechts, in Richtung der Eingangstür.
„Da unten im Keller!“
Maria sah ihn noch einmal an und begann dann die Treppe hinunter zu gehen. Kaum hatte sie die ersten Schritte gemacht, stieg ihr ein Gestank in die Nase, der ihr nicht neu war.
Verwesung! Hier lag schon seit Längerem ein toter Körper. Sie hasste diesen Geruch, an den sie sich auch nach 20 Jahren noch nicht gewöhnt hatte. Sie kramte in den Taschen ihrer Jeans nach einem Taschentuch und fand eine angebrochene Packung Papiertaschentücher. Sie blieb auf der Treppe stehen, zog eines aus der Packung und hielt es sich vor die Nase.
Unten angekommen, wünschte sie sich, dass sie endlich das Vorhaben in die Tatsache umgesetzt hätte, sich ein kleines Parfümfläschchen einzustecken, mit dem sie das
Taschentuch betupfen konnte.
Die Spurenfahndung war bereits vor ihr eingetroffen. Die Kollegen hatten einen hellen Scheinwerfer aufgestellt, der es ihnen erlaubte, den dunklen Keller bis in den letzten Winkel auszuleuchten. Der Erste der sie begrüßte, kaum dass sie unten angekommen war, war Markus. Wie sie ein alter Hase und von dem sie wusste, dass er auf sie abfuhr.
Was er nicht wusste, war das sie nie im Leben darauf eingehen würde.
„Morgen Maria“, grüßte auch er sie.
Sie hob nur die Hand, erwiderte den Gruß nicht. Stefan hatte Recht gehabt.
Das, was sie sah, verschlug ihr augenblicklich die Sprache.
Ihr fiel augenblicklich auf, dass der Raum anders aussah, wie ein normaler Keller. Hier wurden keine Kartoffel und Äpfel gelagert. Dieser Keller diente anderen Zwecken.
Bei dem Anblick, der sich ihr plötzlich bot, als sie ihren Kopf in die linke hintere Ecke des Raumes wandte, geriet das Aussehen des Kellers in den Hintergrund. Zumindest für den Moment. Der Keller war kaum 30 Quadratmeter groß. Alles in ihm war in Schwarz gehalten. Die Wände, die Decke, selbst der Boden. An den Wänden hingen seltsam altmodisch wirkende Leuchter, deren Glühbirnen ein flackerndes Licht abgaben und das der Umgebung ein geheimnisvolles, fast schon schauriges Flair verlieh.
„Der Besitzer dieser Gruft sollte sich mal dringend von einem Innendesigner beraten lassen“, dachte sie sich.
Sarkasmus war immer noch ein gutes Mittel, um über die Runden zu kommen.
Von der Decke hing ein Kronleuchter. Nur dass dieser nicht mit elektrischen Glühbirnen funktionierte. Irgendwer hatte Kerzen, anstatt der Glühbirnen, in die Fassungen gesteckt. An der rechten Wand befanden sich eiserne Handhalterungen, Fesseln gleich. In einer der Ecken sah sie einen Käfig, der gerade groß genug war, um einen Menschen darin einzusperren. Unweit davon ein schwarzer Tisch auf dem allerlei Peitschen und Handschellen lagen. Das Beeindruckendste jedoch an diesem Raum, dass sie sah, war ein riesiges Andreaskreuz, vor dem sie nun stand. An diesem hing jene Leiche, die diesen bestialischen Gestank von sich gab.
Doch was sie tatsächlich schockierte war der Zustand des Körpers der daran hing.
Sie war zu schnell, zu nahe an das Kreuz herangetreten. Augenblicklich verspürte sie jenen Würgereiz, den sie unmöglich verhindern konnte. Nicht dass dies ihre erste Leiche gewesen wäre. Die hier hing aber schon länger hier. Dementsprechend der Verwesungsgeruch, der von ihr ausging.
Den Gestank würde sie wieder nur schwer aus den Klamotten bringen!
Die Frau die so grausam hier unten gestorben war, war um nur wenigere Jahre jünger wie sie selbst. Welches sie, ohne das Gesicht gesehen zu haben, schon bestimmen konnte. Der Körper, die Haut – so viel davon noch übrig war, zeigte jene Straffheit, die jüngeren Frauen zu eigen ist. Keine Altersflecken, keine Falten an den Knien oder dem Hals. Das blonde Haar - das grelle Licht des Scheinwerfers half ihr dabei dies bestimmen zu können, schien natürlich zu sein.
Sie hätte gerne das Gesicht der Leiche gesehen, brachte es aber nicht über sich, das Haar auf die Seite zu streichen. Auch an diesem, es schien als wäre es total verschwitzt, klebte Blut. Nein, das Gesicht würde sie noch früh genug sehen. Das was sie im Moment sah, reichte.
Trotzdem, es half nichts. Sie musste näher ran. Obwohl sie sich auf den ersten Blick nicht vorstellen könnte, dadurch etwas noch genauer erkennen zu können, als sie es ohnehin schon tat.
Nicht zuletzt deswegen, weil kaum ein Zentimeter an diesem Körper, heil zu sein schien. Selbst an den Beinen konnte sie nur wenige Stellen entdecken, die nicht von tiefen Narben bedeckt waren. Die Striemen, Schnitten nicht unähnlich, hatten mittlerweile eine dunkle, fast schwarze Färbung angenommen. Sie schienen so tief zu sein, dass man eine Fingerspitze darin stecken konnte. Die Haut um diese Narben herum, hatte jene Bleiche angenommen, die typisch für einen Leichnam war.
Sie mochte sich nicht vorstellen wie er Rücken oder das Gesicht aussah
Markus musste sie zweimal ansprechen, bevor sie reagierte.
„Maria“, sagt er. „Maria“. Erst dann reagierte sie auf ihn. Entgeistert sah sie ihn an, fragend und verwundert.
Markus fasste sie sachte am Arm.
„Ich hab auch eine Zeit lang gebraucht um mit dem Anblick klarzukommen“, gestand er ihr. Er wandte für einen Augenblick den Kopf, sah auf den Leichnam.
„Willst du dich setzen“, fragte er sie.
Sie nickte nur.
Markus sah sich um, suchte nach einer Sitzgelegenheit für sie.
„Komm“, meinte er. „Setz dich hier auf die Stufe.“ Sie tat, was er ihr vorgeschlagen hatte.
Maria legte sich ihre Hände auf beide Wangen, hielt dabei das Taschentuch vor ihre Nase gepresst.
Manchmal blinzelte sie. Der stechend scharfe Geruch, ließ ihre Augen tränen.
Markus setzte sich neben sie auf die Stufe und legte einen Arm um sie.
„Was…!“ Mehr war sie nicht imstande zu sagen.
Markus, der ihr mit einer beruhigenden Bewegung über den Rücken strich, sagte: „Tja, es sieht so aus, als hätten wir es hier mit einer BDSM-Anhängerin zu tun.“ „BDSM“, wandte sich Maria verwundert an ihn.
„Ja“, meinte Markus bestätigend. „Du weißt schon,
Peitschen, Fesseln, Handschellen und so weiter.“
Maria wies auf den Leichnam und sagte: „Das waren doch keine Peitschen.“
Markus ging nicht weiter darauf ein. „Sophie Brandtner,
Alter 32“, sagte er.
„Hat sich das Häuschen hier vor rund drei Jahren gekauft. Arbeitet als Sekretärin für ein Notariat in der Innenstadt. Und sie ist BDSM Anhängerin!“
„Verzeihung, war“, fügte er hinzu.
„Woher weißt du das“, wollte Maria von ihm wissen. Nur weil sie da oben hängt, bedeutet das nicht, dass sie…!“
Markus unterbrach sie.
„Und warum denkst du, hat sie in ihrem eigenen Keller ein Andreaskreuz stehen“, wollte er von ihr wissen.
„Außerdem haben wir in einem Wandschrank im oberen Stock mehrere Tools gefunden die eindeutig darauf hindeuten. Peitschen, Fesseln, Nadeln, Masken aus Latex, Videos und so weiter…“, sagte er.
„Glaub´ mir, dass sind keine reinen Sammlerobjekte!“
Maria starre weiter auf den Körper.
„Das hat doch mit BDSM nichts mehr zu tun“, sagte sie protestierend.
„Die Frau ist einfach nur gefoltert worden. Sieh dir mal den Körper an“, forderte sie ihn auf, wobei sie mit einer Hand auf die Leiche wies.
„Was haben die Klugscheißer von der Spurensuche bis jetzt herausgefunden“, wollte sie von ihm wissen.
Langsam gewann sie wieder ihre Fassung.
„Hmm“, begann Markus. „Die sind ja noch dabei, wie du sehen kannst. Tatsache ist, dass sie massiv Blut verloren hat. Sie rätseln aber noch herum ob sie aufgrund der…, Behandlung gestorben ist oder aufgrund eines Herzinfarktes“, ließ er sie wissen.
„Kein Mensch kann so was überleben“, sagte Markus.
„Manche der Wunden sind derart tief…“; setzte Maria erneut an.
„Das bringt man doch nicht mit einer Peitsche zustande!“
„Das glauben die Meds auch nicht“, bestätigte Markus ihr.
„Sie meinen, dass man derartige Wunden nur mit etwas Scharfem, Metallischen, verursachen kann.
„Manche an der Seite sind so tief, dass man die Rippen sehen kann. Genaueres werden wir aber erst erfahren, wenn sie auf dem Tisch war.“
"Mein Gott“, sagte Maria.
„Wer tut denn so was“ fragte sie ihn bestürzt.
„Ich hab keine Ahnung“, sagte Markus. „Aber der, der das getan hat, hat seiner Wut freien Lauf gelassen!“
Markus sah, wie sie ihn entsetzt ansah.
Es vergingen ein paar Minuten, bevor Maria sich von dem
Anblick abwenden konnte.
„Ich muss hier raus“, sagte sie zu ihrem Kollegen. „Ich bring dich hoch“, erwiderte Markus.
„Bis die Spurensicherung fertig ist, dauert es eh noch eine Weile.“
An der frischen Luft angekommen, beugte sich Maria nach vorne, stemmte dabei ihre Hände auf die Oberschenkel. Sie versuchte Luft zu bekommen, merkte, dass sie jeden Moment ihr Frühstück wieder hergeben würde. Zum Glück hatte sie an diesem Morgen außer einer Tasse Kaffee und einem alten Croissant, das noch von gestern übriggeblieben war, nichts gefrühstückt.
Wieder griff sie sich das Taschentuch, um sich den kalten Schweiß von ihrer Stirn abzuwischen und war dann endlich wieder in der Lage, sich aufzurichten.
Markus sah sie besorgt an.
„Warum fährst du nicht zurück ins Büro und ich halt dich auf dem Laufenden“, fragte er sie.
„Die Spurensicherung wird hier noch ein paar Stunden zugange sein. Wenn wir dann alles beisammenhaben, komm ich auch rein und lass dich wissen, was wir haben.“
Marias Blick war starr nach vorne gerichtet.
Noch immer hatte sie den Zustand des Leichnams vor Augen.
„Ja“, begann sie. „Das mach ich auch. Wir sehen uns dann im Büro.“
Mit langsamen Schritten begann sie die Stufen nach oben zu nehmen, um zu ihrem Wagen zu gehen.
Kaum hatte sie sich in ihren Dienstwagen gesetzt, ergriff sie mit beiden Händen das Lenkrad.
Wieder sah sie starr nach vorne. Als es ihr endlich gelang, ihre Fassung zurückzugewinnen, startete sie den
Wagen und fuhr los.