Читать книгу Inspiriert und inspirierend - die Bibel - Helmut Gabel - Страница 5

Vorwort

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„Sie werden lachen – die Bibel!“, antwortete Bertolt Brecht auf die Frage, welches Buch ihn am meisten anspreche. Die Heilige Schrift war für ihn offenbar ein inspirierendes Buch, durch das er sich bereichert und angeregt, vielleicht auch herausgefordert fühlte. Ähnlich empfinden es viele Menschen unserer Zeit – nicht nur engagierte Christen, die Sonntag für Sonntag Schriftlesungen im Gottesdienst hören und vielleicht auch selber die Bibel lesen oder in Bibelkreisen Anregungen für ihr Leben bekommen, sondern auch Kirchendistanzierte, denen zumindest einige zentrale Texte der Bibel vertraut sind. Die Psalmen des Alten Testaments, das Hohelied der Liebe aus dem ersten Korintherbrief, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, die Weisungen Jesu in der Bergpredigt empfinden viele Menschen – Engagierte wie Fernstehende, Christen wie Nichtchristen – als bedeutungsvolle und anregende Texte. Die Bibel inspiriert.

Allerdings: Auch außerbiblische Texte inspirieren. Geistliche Texte des Christentums, etwa die „Bekenntnisse“ des heiligen Augustinus, sprechen viele Menschen an. Dasselbe gilt für heilige Schriften anderer Religionen. Mancher literarische Text – etwa „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry oder „Der Prophet“ von Kahlil Gibran – bedeutet Menschen unserer Zeit viel. Ich erinnere mich an eine Trauung, bei der eine Lektorin an den Ambo trat und anhob: „Lesung aus dem Buch vom kleinen Prinzen.“ Und Brautpaare fragen mich manchmal, ob man nicht statt einer biblischen Lesung einen Abschnitt von Kahlil Gibran vorlesen könne; er sei ihnen so wichtig für ihre Beziehung geworden. Biblische und außerbiblische Texte können gleichermaßen inspirierend sein – warum nicht im Gottesdienst einen biblischen Text durch einen anderen ersetzen?

Umgekehrt: Es gibt viele Texte in der Bibel, von denen anscheinend gar keine inspirierende Wirkung ausgeht. Wer die Bibel aufschlägt und ausgerechnet auf die Stammeslisten oder das Lagerstationen-Verzeichnis im Buch Numeri stößt, wird die Heilige Schrift bald enttäuscht weglegen. Und der Gottesdienstteilnehmer, der kurz vor Weihnachten in den Werktagsgottesdienst geht und als Evangelium ausgerechnet den Stammbaum Jesu mit einer Fülle von ihm unbekannten jüdischen Namen hört, wird sich fragen: Was soll das?

Innerhalb und außerhalb der Bibel gibt es Inspirierendes und Nicht-Inspirierendes. Was ist das Besondere an der Bibel? Was unterscheidet sie von den „Bekenntnissen“ des Augustinus, vom „Kleinen Prinzen“, vom Koran, vom Buch der Wandlungen aus der chinesischen Philosophie und anderen ebenso inspirierenden Texten?

Die Antwort der christlichen Theologie verwendet dasselbe Wort, das in den vorausgegangenen Abschnitten oft vorkam: Sie spricht von „Inspiration“ und drückt die Überzeugung aus, die Bibel sei inspiriert, d. h. sie sei unter dem „Anhauch“, der „Einhauchung“ des Heiligen Geistes entstanden. Und eine zweite Aussage taucht gleichgewichtig auf: Die Bibel habe Gott zum „auctor“, zum Urheber. Inspiration des Geistes und göttliche Urheberschaft – diese beiden Merkmale wurden mit allerhöchster kirchlicher Autorität im Ersten Vatikanum (1869–70) der Bibel zugeschrieben und vom Zweiten Vatikanum (1962–65) bekräftigt.

Aber mit diesem Satz „Die Bibel ist von Gott inspiriert“ haben viele ihre Schwierigkeiten, und nicht nur Nichtchristen. Ein Beispiel: Es ist Montag der zweiten Woche im Jahreskreis, Jahr II. Der Lektor trägt die Lesung aus 1 Sam 15 vor: Samuel kündigt dem König Saul an, dass Gott ihn verwerfen wird, weil er nicht, wie von Gott befohlen, die Amalekiter mit Stumpf und Stiel ausgerottet hat. Als der Lektor mit dem Satz schließt: „Wort des lebendigen Gottes“, lese ich förmlich in den Augen der Mitfeiernden: Das ist also Gottes Wort, von Gott inspiriert? Wir sollen wirklich glauben, dass der Gott, von dem wir sagen, er sei die Liebe, die Vernichtung der Feinde befiehlt?

Ähnlich am Zweiten Fastensonntag, Lesejahr B. Die erste Lesung aus Gen 22 erzählt, wie Gott Abraham befiehlt, seinen einzigen Sohn als Opfer für Gott zu schlachten. Das soll wirklich Gottes Wort sein?

Mancher tröstet sich damit, dass beide Stellen im Alten Testament stehen und wir Christen doch Gott sei Dank das Neue Testament haben. Aber auch das Neue Testament kann Probleme bereiten: Fest der Heiligen Familie. Die Lektorin, eine selbstbewusste Frau, liest in der Sakristei die zweite Lesung aus Kol 3 durch und erklärt mir dann: Glauben Sie aber bloß nicht, dass ich heute sage: Wort des lebendigen Gottes! Das ist eine Zumutung für jede Frau, wenn da steht: Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter! Das soll Gottes Wort sein, von Gott eingegeben, von ihm inspiriert?

Oder wer manchen „Stern“- oder „Spiegel“-Artikel liest, kann den Eindruck gewinnen: Die Bibel ist ein höchst problematisches Buch, auf höchst zeitbedingte, zufällige Weise entstanden. Da „menschelt“ es allenthalben, da spielen Konflikte der Glaubensgemeinschaft und jede Art von Gruppeninteressen hinein. Wer sie historisch-kritisch betrachtet, für den scheint nicht viel übrig zu bleiben von der göttlichen Inspiration der Schrift. Ich erinnere mich noch, wie mir ein Studienkollege in den siebziger Jahren dezidiert erklärt hat: „Ich glaube nicht an die Inspiration der Bibel. Die Bibel ist eine Sammlung von Dokumenten, in denen Menschen ihre Erfahrungen niedergeschrieben haben, ein Buch wie andere Bücher auch!“

Da kann man allerdings einige Rückfragen stellen: Muss das unbedingt ein Gegensatz sein: menschliche und göttliche Urheberschaft? Was hat dieser Studienkollege von damals für einen Begriff von Inspiration, wenn er die Vorstellung von einer Inspiration der Bibel ablehnt? Orientiert er sich vielleicht allzu sehr an dem, was evangelikal-fundamentalistische Gruppen unter Inspiration verstehen: Die Bibel ist wörtlich von Gott eingegeben und deshalb in allen Punkten wörtlich zu nehmen? Aber ist das die christliche Vorstellung von Inspiration? Was meinte die christlich-theologische Tradition eigentlich, wenn sie von Inspiration sprach? Meinte sie zu allen Zeiten dasselbe? Es lohnt sich, dieser Vorstellung und diesem Begriff der „Inspiration“ der Schrift nachzugehen – mit der Fragestellung im Hintergrund: Enthält die Konzeption von der „Inspiration“ der Schrift vielleicht manches, das auch heute für unser christliches Leben und Denken hilfreich ist, ja vielleicht sogar wichtig und unverzichtbar?

Deshalb wird in einem ersten Kapitel ein Gang durch einige ausgewählte Stationen der Geschichte der christlichen Theologie vorgenommen: Wann hat man angefangen, von einer Inspiration der Bibel zu sprechen? Wer hat angefangen, darüber intensiver nachzudenken? Warum hat man darüber reflektiert? Man hätte es ja auch bleiben lassen und sich mit anderen Themen beschäftigen können! Wer hat sich wann und warum mit der Schriftinspiration befasst? Zu welchen Ergebnissen kam er, und wie sind sie im Gesamt der theologischen Denkgeschichte zu beurteilen?

Dann schließt sich im zweiten Kapitel die Frage an: Wie reden Theologen heute, unter den denkerischen Herausforderungen unserer Zeit, über die Inspiration der Schrift? Was verstehen sie darunter? Das Ziel ist, in einem dritten Kapitel eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie kann man heute von der Inspiration der Schrift sprechen – in Verantwortung vor der Überlieferung der Kirche und zugleich so, dass ein kritischer, suchender, reflektierender Mensch unserer Tage mitgehen kann?

Schließlich wird im vierten Kapitel das Entwickelte dem „Praxistest“ unterzogen: Was wirft dieses Verständnis von „Schriftinspiration“ ab für die konkreten Schwierigkeiten im Umgang mit einzelnen biblischen Texten, insbesondere den sperrigen Texten der Bibel? Was ergibt sich aus diesem Verständnis von Inspiration für die Interpretation der Bibel?

Die folgenden Ausführungen versuchen zu zeigen: Ein theologisch verantwortetes Verständnis der Inspiration der Schrift hilft, die Bibel mit ihren manchmal schwierigen Texten sachgerechter zu verstehen. Es trägt dazu bei, dass die Bibel ihre inspirierende Kraft entfalten kann – für das eigene Leben, die Kirche und die heutige Welt.

Inspiriert und inspirierend - die Bibel

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