Читать книгу Das Ende der Clara - Helmut H. Schulz - Страница 4
DAS SECOND-HAND-SHIP
ОглавлениеKreuzen heißt, der doppelte Weg, die dreifache Zeit und die vierfache Wut.
S e glerweish e it .
Den ganzen kochend heißen Tag lang hatten wir abwechselnd entweder am Strand oder auf den Steinen der Hafenmole gelegen, bei einem frischen Ost, kein Wölkchen am Himmel. Im Strand-Café, einem Holzkasten auf Stelzen mit abblätternder weißer Farbe, hockten die durstigen Trinker und gossen ein Zeug in sich rein, das die Kellner »Baccardi« nannten, süßliche Cola mit Rumverschnitt und Eiswürfeln und einer Zitronenscheibe auf einem Zuckerrand geklemmt. Wir fragten, mit welchem Recht sie diese Mixtur für »Baccardi« ausgaben, und boykottierten aus Protest das Lokal. Und da kam die »CANBERRA« herein!
Wir hoben uns aus unserer Liegestellung wie ein Mann. Ganz leicht lässt sich bei Ost in dieser Stärke überhaupt keine Yacht in unseren Hafen bringen, ein viereckiges Becken mit einer schmalen Einfahrt und einer aus lauter kantigen Steinen aufgeschütteten Mole, eine künstliche Anlage, überwacht von Heinrich Prinz, Prinz Heinrich. Der Skipper hätte seine Yacht leicht an die Kaimauer setzen können. Er hätte halsen müssen, das ganze Schiff auf kleinstem Raum im Stern um sich selber drehen, als wollte es sich über die Schulter blicken, die »CANBERRA« mit dem Bug in den Wind stellen. Ferner hätten ganz fix die Segel weggemusst. Aber wir kannten nur wenige, uns ausgenommen, die es bei diesem Steam gewagt hätten, die Einfahrt zu forcieren und auf der Stelle zu drehen, ohne eine Schramme abzukriegen. Jedenfalls hätte der Wind ausgereicht, um ein Boot aufzuschießen und sachte an einen freien Liegeplatz zu bugsieren, falls es, wie gesagt, dem Maker gelang, rasch genug die Segel zu streichen. Sonst gab es Kleinholz. So ungefähr machten wir es, wenn wir einen guten Tag hatten. Hatten wir keinen, dann blieben wir lieber im Strand-Café und suchten mit einem der Fremden einen Streit, bloß so, zur Unterhaltung.
Aber vielleicht hätte es an diesem Tage auch mit dem schönsten Manöver überhaupt keiner geschafft, und im Hafenbecken lagen die Yachten in dichter Reihe, es war Hochbetrieb, segelnder Amüsiermob, wenig Seefahrer. Der Skipper von der »CANBERRA« hätte sich neben zwei oder drei andere Boote legen müssen, im Päckchen, was auch nicht jedermanns Freude ist. Es gibt solche Leute, die einem ständig übers Boot steigen, sei es, um zu pinkeln oder um nachzuschütten, dass sie wieder pinkeln können, meistens steigen sie einem natürlich übers Heck und durch die Plicht. Andere Zeitgenossen sind dermaßen musikalisch, dass sie ohne Radiolärm nicht leben können. Dem einen und anderen gefällt es auch wenig, dass neben ihm die Essensreste verklappt werden und das Geschirr grob gespült wird.
Also die »CANBERRA« kam herein, und die Jungens auf der Mole schlossen Wetten ab, mit wem sie kollidieren würde. Prinz Heinrich erschien auch schon auf dem Plan, mit Versicherungsformular, die Flüstertüte geschultert, und wartete ab, wie sich die Dinge entwickeln würden. Da sahen wir verblüfft, dass die Yacht wie angehalten stehen blieb, sich unter allem Zeug im Stern drehte, einen Moment später fielen die Segel wie feuchte Lumpen auf den Großbaum herab. Der Bootsmann ließ Anker fallen, mithilfe des Skippers verholten und warpten sie die »CANBERRA« an einen Liegeplatz, eine freie Stelle ganz vorn an der Mole, wo keiner hin will. Wir sahen, wie sie auftuchten und das Baumkleid bändselten, so als ob sie für längere Zeit hier bleiben wollten. Die nötigen Formalitäten machte gleich darauf Prinz Heinrich mit dem Skipper ab.
An sich war an der ganzen Geschichte ja nichts Besonderes. Dass eine Yacht im Hochsommer bei diesem trockenen, windigen, fast stürmischen Wetter hinaus- oder hineinwollte, das war uns schon klar. Wie sich ein Boot verhält, weiß man auch immer erst, wenn man eine Weile darauf gefahren ist. Irgendwie wusste die »CANBERRA« jedoch Bescheid mit sich und mit unserem Hafen, wie wir erlebt hatten. Manche Leute glauben ja, dass die Skipper und die Vorschoter Boote segeln. Das ist aber nur teilweise wahr. In Wirklichkeit verhält es sich so, dass sich nach einer gewissen Zeit Boot und Mann die Gretchenfrage stellen, bleiben wir zusammen, oder gehen wir auseinander? Fällt die Entscheidung für die Beziehung positiv aus und macht die Yacht mit, dann können Sie sicher sein, dass Ihr Boot Ihnen aus dem Schiet hilft, auch wenn Sie mal schwer im Tee sind und alles schon als verschollen und total verloren erscheint. Das aufregendste an der »CANBERRA« waren ihre Linien, nicht das Manöver, das sicher auf das Konto der Yacht kam, und schon gar nicht der Skipper, auch wenn er jetzt die Eignerflagge an der Saling setzte und achtern die dänische Hoheitsflagge fuhr. Um es gleich zu sagen, die »CANBERRA« hatte einen Bug wie der Kopf eines Schwertfisches und einen Heckspiegel nicht größer als ein Suppenteller. Sie lag auch ganz leicht auf Festmacher und Spring. Es sah aus, als wippe und schwebe sie über dem Wasser wie eine mächtige weiße Möwe. Mittschiffs erhob sich eine flache Kajüte, die Plicht war auch man klein, aber das Beste und Schönste an ihr war das Rigg. Aus dem Deck stieg ein hölzerner Mast auf wie einer der Finger Gottes, ein Riesenmast für diese Yacht, und wunderbar schmal und so edel wie die Fessel eines Rassepferdes, mit Saling und Jumpstag, einern Achterstag und lose fallenden Backstagen. Das obere Viertel dieses Mastes bog sich wie eine Peitsche leicht und willig nach achtern.
Der Rumpf des Bootes war weiß, die Decks naturfarben, wie wir vermuteten, ein Stabdeck aus Edelholz, Teak, denn wir konnten dünne schwarze Linien darauf ausmachen. Der Großbaum reichte nach achtern über den Kopf des Skippers hinweg. Im Cockpit standen Rad und Kompasssäule in bescheiden spiegelndem Messing. An der Baumnock hingen Blöcke und Schot, überhaupt war alles laufende Gut sparsam verteilt. So also sah die »CANBERRA« aus, die uns an diesem Nachmittag in den Hafen gekommen war. Wir hatten sie noch nirgendwo gesehen, und die anderen Hafenratten, die wir fragten, kannten sie auch nicht. Als Heimathafen war Klintholm aufgemalt, und es gehörte was dazu, dieses Schifflein von MØN bis hierher zu segeln. Die »CANBERRA« begeisterte uns, und es war wohl doch nicht so, wie wir zuerst angenommen hatten, dass ihr Skipper nicht viel von ihr verstand, ein bisschen hatte er schon dazugetan, sie zu uns zu bringen. Dass ihm unser Hafen fremd war, mit seiner elend engen Durchfahrt und der aus Granitblöcken aufgeschütteten Mole, sonst hätte es hier gar keinen Hafen gegeben, sondern höchstens einen Liegeplatz für flachbödige Boote, das konnten wir ihm ja nicht vorwerfen. Jedenfalls aber nahm sich die »CANBERRA« in unserer Flotte aus wie ein Schwan in einer Herde Sauen. Und Prinz Heinrich sagte auch, es handele sich bei dem Eigner um einen Mann von Reputation.
2
Am Abend gingen wir dann doch ins Strand-Café und sahen den Tänzern und den Trinkern zu. Dichte Rauchschwaden hingen unter der Decke des großen, aber niedrigen Raumes. Der Qualm zog nur langsam durch die geöffneten Fenster ab nach draußen. Im Übrigen herrschte die Langeweile vor, obschon das Lokal voller Urlauber und Urlauberinnen war. Ohne Unterbrechung lärmten die Tonsäulen, und irgendein Heini klabusterte sich an seinen Platten ab und beschwor die Leute, nach dem Gedröhn zu tanzen, er sabbelte dermaßen viel und war so ungeheuer einfallsreich, dass Langeweile zwangsläufig aufkommen musste. Wir hatten eben beschlossen, zu gehen, als der Skipper von der »CANBERRA« hereinkam, ein großer dicker Kerl mit einem Bullenbeißergesicht, feist, aber dafür auch ungemütlich. Eigenartigerweise hatten wir ja beim Hereinkommen der »CANBERRA« die Vorstellung eines Seehelden gehabt, schlank und rank, mit weißer Hose und dunkelblauem Blazer und goldenen Knöpfen daran. Hier sehen Sie mal, wie Sie durch den Film versaut werden. Der Skipper sah also ziemlich gewöhnlich aus, energisch schon, anders hätte er das Boot auch nicht segeln können, aber alles doch noch im menschlichen Bereich. Seine Begleiterin, die zugleich sein Maker zu sein schien, gefiel uns hingegen viel besser. Sie wog ungefähr die Hälfte ihres Gemahls, und sie war um anderthalb Köpfe niedriger als er. Außerdem war sie erheblich jünger, höchstens vierundzwanzig, also gewissermaßen vom Skipper auf Zuwachs geheiratet. Während wir den Fall gesprächsweise untersuchten, sahen wir, wie der Dicke in die Tasche seiner verschossenen Jacke griff und ein Papier herausholte. Mit einem Klebestreifen befestigte er den Wisch an der Tür. Danach verließ das Paar den Ort, ohne sich umzudrehen und ohne zu grüßen. Offensichtlich hatte der Skipper nur den Zettel anmachen wollen. Wir machten ihn wieder ab und lasen einen sensationellen Text.
Ich beabsichtige, meine Yacht »CANBERRA« aus bestimmten Gründen aufzugeben, und habe Herrn Kap. Joh. Johannsen als Unparteiischen beauftragt, das Geschäft in die Hand zu nehmen. Herr Johannsen schlägt vor, demjenigen den Zuschlag zu geben, dessen Boot in drei Rennen hintereinander auf dem zwoten Platz einläuft. Teilnehmen können alle Segler offener Jollen. Bedingung ist, dass jedes teilnehmende Boot nur ein Segel führt. Meldung an Herrn Heinrich Prinz, hierselbst, oder an Herrn Kap. Johannsen.
Wir besaßen alle Voraussetzungen, um an diesem Rennen teilzunehmen, und zweifelten nicht daran, dass einer von uns gewinnen würde. Uns irritierte es, dass in der Anzeige kein Kaufpreis genannt war. Irgendwie reizte uns der originelle Einfall, auf diese Weise nach einem Mann zu suchen, der dieses elegante, kapriziöse Schifflein verdiente. Ohne Zweifel hatte sie einen erheblichen Preis. Wie viel kostete sie? Das war die Frage, aber der Fall lag andererseits so, dass wir uns über die Finanzierung erst einmal wenig Sorgen machten. Von Geld stand ja nichts in der Anzeige. Insgeheim trauten wir es diesem Abenteurer zu, das Schifflein einfach zu verschenken. Wir befanden uns in Hochstimmung und gingen, obwohl es ziemlich spät geworden war, zum Prinzen Heinrich, um unsere Meldung abzugeben und um ihn nach diesem Johannsen zu fragen, der musste wohl hier herumhängen. Der Prinz Heinrich fertigte uns kurz ab, er meckerte herum, dass wir ihn wegen dieser Sache geweckt hatten, aber wir bekamen wenigstens einen Tipp, wo wir diesen Johannsen finden konnten. Wir wanderten zum Hafen zurück. Johannsen saß in der Plicht seines Bootes, und wir standen auf der Mole etwa in Augenhöhe mit ihm. Er sagte, alles habe seine Richtigkeit, er nähme unsere Meldung gern auf, wir drängten ihn, uns zu erzählen, was mit dem Skipper los war. Johannsen sagte Folgendes.
"Habt ihr euch die Anzeige auch genau durchgelesen, Jungens?" Uns kam diese Frage ein bisschen sonderbar vor, und er fuhr fort, uns den Fall zu verklickern.
"Es heißt doch, wessen Boot als zweites einläuft, der hat diese kleine Regatta gewonnen, ist euch das ganz klar? Sagt mir noch Bescheid, ob es dabei bleibt, und ... denkt mal über die Geschichte nach, denn einen Haken hat die Sache schon."
Wir brasselten noch viel herum in dieser Nacht, aber es blieb alles Theorie, und wir beschlossen, anderntags die Probe aufs Exempel zu machen. Es sollte also siegen, der sein Boot hinter dem ersten Boot hereinbrachte? Ohne Regel, aber wie bei einer richtigen Regatta. Bloß raus, einem Ziele zu, das sie wohl noch bezeichnen würden. Da stand dann sicherlich eine Yacht, gab dem Angekommenen einen Wisch, der ihm bestätigte, dass nicht gemogelt worden war, und wieder zurück. Ganz einfache Sache. Andere Konkurrenten hatten wir kaum zu fürchten, es sei denn, die Sache sprach sich weiter herum. Viele Einhandsegler gab es bei uns nicht mehr, seit die Schiffer an Bord fernsehen müssen und tagsüber beschäftigt sind, mit Maschinenfahrt, um ihre Batterien aufzuladen.
In aller Frühe, als die Trinker und Tänzer aus dem Strand-Café bei einer guten Dröhnung noch schliefen, machten wir uns also auf. Erst mal liefen wir in einer Linie raus, schossen weiter draußen auf, und das Wetter war auch günstig, es wehte nicht so stark wie am Vortag. Viel Wind hatten wir auch nicht nötig, wollten doch bloß sehen, wie das lief, was geschieht, wenn man hinter dem Vordermann bleiben will. Da ging es uns ziemlich rasch auf, wie hinterhältig diese Anzeige war. Immer wenn sich einer lustvoll vorschieben wollte, fiel ihm natürlich ein, dass er ja hinten bleiben musste, wollte er dieses Rennen gewinnen. Aus allen Lagen ergab sich alsbald immer eine Wuhling von Jollen, die aufschossen, sich ineinander verwickelten, neu an den Wind schlichen, und schließlich hatten wir genug von der Geschichte. Wir waren hereingelegt worden. Ohne Zweifel lachten die im Hafen sich schief über unsere Albernheit, dafür würde Prinz Heinrich schon gesorgt haben. Wir brachen die Versuche ab, liefen wieder ein und machten an der »CANBERRA« fest.
Der dicke Skipper war schon auf, er saß draußen im Cockpit, trank Tee aus einem mächtigen Pott und las in der Zeitung. Auf seinem dicken Kopf hatte er eine Mütze mit Klunker daran, denn es wehte auf einmal wieder scharf über das Haff. Wir fragten ihn, ob wir zu ihm an Bord kommen dürften, und er faltete die Zeitung zusammen, ehe er nickte. So jumpten wir das erste Mal an Bord der »CANBERRA«.
Seither bin ich viele Male auf der Yacht gewesen, und meine Leidenschaft für sie ist eher noch gestiegen. Da haben Sie den Fall, von dem ich sprach, vom Verhältnis des Skippers zu seinem Boot und umgekehrt.
Wir wussten nicht recht wie weiter. Schließlich war es die Sache des Skippers, was er mit seinem Boot machte.
"Wer hat euch eigentlich erlaubt, meinen Zettel abzumachen?", fragte der Skipper.
"Niemand", sagte Hinrichsen, der immer das Maul am weitesten aufreißt, wenn es was zu verklaren gibt. "Hören Sie mal, Kapitän, ihre Idee ist einfach Mist. Es gibt gar kein Rennen, wenn einer hinter dem Ersten bleiben muss, es gibt nur ein Durcheinander von Booten, das ist alles. Sie haben sich auf unsere Kosten amüsieren wollen, aber so dumm sind wir nun doch nicht."
"Erst mal macht ihr den Zettel wieder an", sagte der dicke Skipper nicht unfreundlich, aber mit Nachdruck, und da ich ihn innerlich lachen sah, wurde er mir sympathisch.
"Vielleicht gibt es noch gescheitere Leute, als du es bist, mein Junge", sagte er.
Hinrichsen wurde hitzig, und als ihm die Luft ausgegangen war, sagte der Skipper mit aller Ruhe: "Ihr kennt meine Bedingungen, Jungens. Niemand braucht sie anzunehmen. Strengt mal euren Grips an! Es heißt doch, Sieger ist der, dessen Boot als zwotes reinkommt." "Klar", sagte Hinrichsen, "und das ist eben der Mist. Stecken Sie sich man Ihren Zettel an den Hut." "Sachte", sagte der Skipper, "ihr seid doch sicherlich kluge und gute Jungens, was?"
Da kletterte seine Frau, das junge Ding, aus der Koje, vielleicht weil wir eine Menge Lärm vollführten, und der Skipper stellte sie uns vor.
"Das ist meine Dagmar."
"Ist die auch ein Teil von der »CANBERRA«?", fragte ich ihn. "Kann man sie auch gewinnen?"
"Das macht man selber mit ihr aus", sagte der Skipper. "Ich bin doch kein Sklavenhändler. Aber wenn man Glück hat, kann man sie schon gewinnen."
"Nur Ihre Bedingungen sind leider ganz großer Mist", sagte Hinrichsen eigensinnig.
Diese Dagmar lachte schallend, und mir ging endlich auf, wer sie war, nämlich die Tochter des dicken Skippers und eine echte Wikingerin dazu.
"Die Prinzessin und vom Papa das halbe Königreich dazu, nicht wahr?"
Er nickte, und auch sein Töchterlein nickte heftig. Ich nahm es als ein ganzes Versprechen, und sie gefiel mir vortrefflich. Wir empfahlen uns, gingen ins Dorf und bestiegen unsere Räder, um die umliegenden Häfen abzuklappern, ob dort mal einer was von der »CANBERRA« und dem komischen Dicken und Skipper, sowie seiner schönen Tochter und Prinzessin gehört hatte. Vorher mussten wir noch einen kleinen Streit mit Prinz Heinrich ausfechten, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, von uns wie von anderen Leuten Liegegeld abzukassieren. Wir hatten aber nicht vor, wie andere Leute zu sein, was zu zahlen, und machten, dass wir wegkamen.
3
Wenn einer was wusste, dann Oll-Grell. Ihn suchten wir als Nächsten auf. Er saß da, wo er schon vor sechzig Jahren gesessen hatte, und er tat, was er all die Jahre immer getan hatte, nämlich gar nichts. Manchmal musste er natürlich aufstehen, aber dann nur aus sehr triftigen Gründen. Bei dieser Art zu leben, hatte er beinahe das achtzigste Jahr erreicht, und er wusste alles, was sich auf dem Haff und am Achterwasser abspielte. Offiziell war er als Hilfskraft im Klub beschäftigt, aber weiß Gott, womit.
Wir sagten also: "Tag, Oll-Grell. Kennst du einen Kapitän Johannsen?"
"Gibt es den noch? Segg bloß."
"Kennst ihn also. Wer und was ist er?"
"Funker man bloß, seit undenklichen Tiden is he datt nun wohl."
Wir beschworen ihn, sich nicht die Würmer aus der Nase ziehen zu lassen.
"He is ein Schlitzohr", sagte Oll-Grell mit Händen und Ohren wackelnd. "Wat hebt ihr denn mit oll Johannsen to schaffen?" Wir erzählten ihm, was dieser Johannsen und der Skipper von der »CANBERRA« mit uns vorhatten, also nicht bloß mit uns, sondern mit den Leuten auf dem Wasser hier herum im Allgemeinen. Als wir ausgeredet hatten, feixte Oll-Grell und setzte zu einer Rede an. Nun ist das Platt von Oll-Grell eine fürchterliche Sprache, die nur er selbst und zwei oder drei ganz alte Leute verstehen, die gleich ihm keine Zähne mehr im Maule haben; auch nuschelt Oll-Grell von Hause aus etwas stark. Aber gleichwohl mussten wir herauskriegen, was es mit Johannsen, dem Skipper und der schönen Prinzessin auf sich hatte.
"Diese Dagmar, die kenn ick nich", sagte Oll-Grell, "was die »CANBERRA« betrifft, so kann es sich nur um die Yacht handeln, die vor Jahren alle Preise von Kiel bis Zoppot geholt hat. »CANBERRA« hieß sie damals aber nicht. Nun will he ihr awgeven? Kiek an. Vorsicht, Jungens. Und Johannsen? Vielleicht ist sie dem jetzt eigen?"
Das war ja immerhin etwas, wenn auch nicht viel. Da kam so von ungefähr unser Sekschonsleiter längs, wie Oll-Grell das Wort ins reinste Platt überträgt, damit wir auch verstehen, wer der Mann ist, und fragte, ob Oll-Grell denn auch alles erledigt habe, was ihm aufgetragen worden war, dass er hier rumsitzen und mit uns klönen könne. Da öffnete Oll-Grell seine Jacke und zeigte ihm das schöne Hemd mit dem Segelboot darauf und der Schrift: Bund Deutscher Segler, ein Kleidungsstück, das mal bei einer Haffwoche an Oll-Grell hängengeblieben ist. Seither trägt er das gute Stück, gelegentlich wäscht er es unter der Pumpe aus.
"Wir haben hier nämlich eine Besprechung", sagte Oll-Grell würdevoll. Da mussten wir auch noch dem Sektionsleiter den Fall vortragen, aber der sagte, für Regatten seien allein die Verbände zuständig, niemand sonst. "Privatleute dürfen es überhaupt nicht." "Johannsen ist schon ein Schlitzohr", sagte Oll-Grell. Is ooch keene Regatta nich, sondern man bloß ein Jux för de dummen Jongens."
Der Sektionsleiter nahm uns alle mit in sein Büro zur weiteren Verhandlung der Sache und blätterte in seinen Akten, bis er den Steckbrief der »CANBERRA« gefunden hatte. In Kappeln soll sie erbaut worden sein, und zwar 1935 und immer mal den Besitzer gewechselt haben, war wie eine Hure von Hand zu Hand gegangen, aber offenbar dabei nicht schlechter geworden, sondern immer besser und feinfühliger.
"Hört mal, ihr Jungens", sagte der Sektionsleiter ernst, "das gibt euch nur Ärger. Ist er Däne, dann muss er sie einklariert haben, woraus folgt, dass er sie auch wieder ausklarieren muss. Ist euch das einigermaßen klar? Nicht mal schenken könnte er euch sein Boot, es sei denn, ihr langt tief in die Tasche und legt einen gepfefferten Einfuhrzoll auf den Tisch des Staates. Es ist etwas faul im Staate Dänemark, Hände weg davon. Es hat auch keinen Sinn, ein so altes Boot zu kaufen. Bei jeder Wende rollen euch tausend Liter Wasser von einer auf die andere Seite." Er deutete rüber zur Wiese, wo die Solings standen. "Dort liegt die olympische Zukunft, Jungens!"
"Jawoll", sagte Oll-Grell, "bei den Kübeln aus Plast auf der Schafweide. Die Ingenieure haben diesen Dingern irgendwie das Schwimmen beigebracht. Was seggst?"
"Du halt den Sabbel", sagte der Sektionsleiter streng zu Oll-Grell.
Eilig stimmten wir zu, obschon uns die Sache nicht weniger reizte, auch wenn sie oberfaul sein sollte. Wir dachten voller Liebe an die Prinzessein, aber von diesem Mädel wollten wir dem Sektionsleiter doch lieber nichts vertellen. Das war uns selber doch zu abenteuerlich. Wir fragten ihn, ob er wisse, wie man konsequent auf dem zweiten Platz bleiben könne. Er galt als bedeutender Taktiker, und gewerblicher Vermesser war er noch obendrein, neben seiner Arbeit im Klub. Und er tat uns auch den Gefallen und tippte allerhand auf seinem Taschenrechner herum, drehte an seinen verschiedenen Pappscheiben mit Zahlen und Peilungen, und dann sagte er, das müssten wir allerdings selber herausfinden, in der Praxis. Möglich sei es natürlich und vielleicht genauso schwer, wie als erster die Tonnen zu runden und diesen Platz auch zu halten. Er habe uns ja gerade beibringen wollen, den zweiten Platz wie das Feuer zu meiden, so weit wie möglich nach vorn zu segeln, aber es gebe eben zu wenig Talente. Denn wer auf dem ersten Platz liege, dem sei es kaum verwehrt, auch auf den zweiten reinzukommen. Er wollte noch wissen, ob es sich um olympische oder um andere Regeln handele, nach denen das Rennen ausgetragen werde. Also, kurz und gut, viel war mit ihm nicht anzufangen. Oll-Grell rief uns nach: "Johannsen is ein Schlitzohr."
Mehr kam bei unserer Tour nicht heraus, als dass dieser Johannsen wirklich so hieß und Funker war und dass die »CANBERRA« mal einen großen Ruf gehabt hatte. Schon die Existenz dieser Dagmar war dagegen recht zweifelhaft. Ob sie die Tochter des Skippers war, wusste ja keiner ganz genau, er selber hatte es nicht ausdrücklich gesagt.
Ich ging aber davon aus, dass es sich um seine Tochter handelte.
4
Wir saßen auf der Mole, kauten Grashalme und beobachteten die »CANBERRA«. Da kam diese Dagmar und winkte uns zu. Also standen wir auf, wischten uns die Hände an den Buxen ab und machten Shakehands mit dem schönen Kind.
"Hallo, Papa über Bord gegangen?"
"Er macht neue Zettel an", sagte sie, "und was heißt hier Papa? Für euch noch lange nicht Papa."
"Zettel macht er an? Schon wieder? Und was steht drauf auf diesen Zetteln?"
"Die Bitte um Meldung und der Termin des Starts."
"Nun verklicker uns mal, Mädel," sagte Hinrichsen, "wie er sich die Sache denkt. Wie macht man es, um auf dem zwoten Platz zu bleiben? Dein Papa wird es dir verraten haben. Wir können schweigen, wir beide, der olle Wedderkopp hier und ich, Hinrichsen, sowieso."
"Mal auf den Busch klopfen, was?", sagte sie. "So leicht ist die Prinzessin nicht zu haben und das halbe Königreich auch nicht. Strengt euch doch mal an."
"Und wem gehört eure »CANBERRA« denn wirklich? Diesem Johannsen?"
Auf dem Ohr aber war sie vollends taub, wir seufzten und sagten, es gehe nichts über gesprächige Frauen.
"Schön," sagte sie, "es gibt nicht nur eine Lösung, ganz klar. Man kann sich abrackern, um hintennach zu bleiben. Das habt ihr ja schon rausbekommen, aber es gibt eine einzige ganz frische Lösung, die euch auch noch Spaß macht. Wenn er das Boot nicht jedem geben will, sondern dem Richtigen, muss er die Anwärter eben auf Herz und Nieren prüfen. Ihr seid Studenten, was?"
"So fragt man Leute aus", sagte Hinrichsen. Er bot ihr einen Erfahrungsaustausch an, und vielleicht hätte er damit Erfolg gehabt. Daraus wurde dann aber nichts, der Skipper kam, begrüßte uns mit Handschlag, ließ sich von dieser Dagmar auf die stopplige Wange küssen und nahm sie mit. Auf unsere Frage, wie viele Meldungen er denn nun schon habe, erklärte er, vorläufig würden nur wir beide an den Start gehen. Niemand sonst habe sich gemeldet, aber mit zwei Meldungen wäre er ganz zufrieden, zumal er nur Gutes über uns gehört habe.
"Da sehen Sie", sagte Hinrichsen. "Nichts kommt raus bei Ihrer Regatta. Sie ist Mist, Ihre Idee ist einfach Mist."
"Ja, das weiß ich nun schon", sagte der Skipper, "Ihre Meinung haben Sie mir gesagt, und ich wiederhole euch, es gibt einen Weg zum Sieg und sogar einen knochen- und beinharten Weg. Und wer darauf kommt, der verdient die »CANBERRA« auch wahrhaftigen Gottes. Verkaufen kann ich sie jederzeit."
"Können Sie", sagte Hinrichsen, "wir haben Nachforschungen angestellt. Sie war mal eine Größe, ein Stern erster Ordnung, heute ist sie ein bannig alter Kasten.
"Sagt Ihnen der Ort Kappeln was, in Holstein?"
"Kappeln? Wo soll das sein? Nie davon gehört."
"Nun, mein Sohn", sagte der Skipper, "mit Gerede kriegt ihr mein Boot nicht, ihr Jungens. Sie ist noch immer eine piekfeine Yacht, eine große Schönheit auf den sieben Meeren, und sie braucht eine zarte und manchmal eine harte Hand, wie das bei Frauen so ist. Glaubt es mir, nicht jeder verdient sie."
"Und sie gehört Ihnen?", fragte Hinrichsen.
"Seh ich aus, als ob ich verschenke, was mir nicht gehört?", sagte er. "Bleibt es nun bei eurer Meldung oder was? Sonst ziehe ich einfach weiter."
Wir nickten verdrossen und gingen auseinander. Was blieb denn auch übrig? Er war ein Erpresser, das war er ganz sicher, und er hatte uns an der Angel, das war auch klar.
5
In der Nacht vor dem Rennen schliefen wir wenig. Hinrichsen blätterte in einem Lehrbuch und sagte: "Hör zu, Alter! Ihre Funkanlage ist ausgefallen, die ganze E-Anlage ist zum Deibel gegangen, defekt, nichts funktioniert mehr, kein Strom, alle Chronometer an Bord sind stehen geblieben. Ihr Sextant ist über Bord gegangen, den zweiten haben sie verlegt. Da kommt ihnen der Alte und verlangt ein Mittagsbesteck."
"Blödsinn. Der eine ist über Bord gefallen, der andere ist verlegt?"
"Bitte", sagte Hinrichsen, "hier steht es, wenigstens so ungefähr, also muss es eine solche Situation schon gegeben haben. Hinter solchen Prüfungssachen stecken jahrhundertelange Erfahrungen."
"Gesucht die Mittagsbreite? Ist der Himmel vielleicht bedeckt, und haben sie das Nautische Jahrbuch verheizt, oder ist die Sonne über Stag gegangen? Wenn ich das schon höre!"
"Kluges Kerlchen", sagte Hinrichsen. "Wedderkopp, weshalb sind wir eigentlich beide auf dieses mickrige Weibsbild scharf? Die blamiert uns bis auf die Knochen. Und wir schippern uns da draußen einen ab, und die Burschen lachen sich tot über uns."
"Erstens ist es eine Frage der Berufsehre. Wenn der Skipper sagt, es gibt eine vernünftige Lösung, dann wird das wohl stimmen. Er sieht nicht so aus, als ob er nicht weiß, was er sagt, und vor allem, was er will. Zweitens aber handelt es sich ja um ein Stück Seefahrtsmuseum bei diesem Schifflein, wenn sich sogar der olle Grell an die Yacht erinnert. Sie war ungeschlagen, solange sie einen hatte, dem was an ihr gelegen war. Da sind wir ihr also was schuldig. Drittens geht es um die Prinzessin, wie in den alten Zeiten, als die Seefahrer allesamt auch ein Stück Piraten waren und sich nahmen, was sie wollten, Gold, Land und schöne Frauen. Deshalb nämlich fuhren sie aufs Meer hinaus. Kapiert?"
"Hm," sagte Hinrichsen, "du tickst schon lange nicht mehr ganz richtig. Übrigens, Karten und Seehandbücher hat der Smutje verheizt ... Binden Sie sich einen Stein um den Hals und jumpen Sie über Bord, aber wenn du das so siehst, dann müssen wir beide die Sache wohl durchstehen."
Er hatte auf meine Welle geschaltet, aber was heißt, wir beide? Doch wohl nur einer von uns. Er holte eine Schere und schnippelte zwei Boote aus. Auf dem Fußboden schob er die beiden Schiffchen mit einem Stock hin und her und grübelte über die Lösung nach. Er schrieb sich auf, was er herausgefunden hatte, deckte seine Aufzeichnungen aber mit der Hand ab. Von wegen wir beide.
Ich hingegen war sicher, dass die Lösung nichts mit Taktik, mit Windrichtung, Seegang, Abdrift und dergleichen zu tun hatte, sondern dass sie genial einfach war. Hinrichsen schob das Zeug zusammen und verkündete: "Schiet. Soll die »CANBERRA« zum Teufel gehen mitsamt dieser rotzfrechen Dagmar. Ich mach mich nicht zum Narren, ich trete zurück."
"Jetzt hör du mir mal zu", sagte ich, "da es nur zwei Starter gibt, kannst du nicht einfach das Handtuch werfen. Gegen mich allein kann ich nicht segeln. Dann zieht der Alte wirklich ab, und das wär doch jammerschade, von der Riesenblamage mal ganz abgesehen." "Dann überschlaf es", sagte Hinrichsen. "Ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Aber schön, ich mach vielleicht mit und einer von uns gewinnt das gute Stück. Dann werden die Leute sagen, er hätte sie uns auch schenken können, ein Rennen, mein Junge, ein Rennen wird das im Leben nicht."
6
Wir schliefen also nicht viel in dieser Nacht, aber gegen Morgen muss ich doch gedruselt haben. Im Traum sah ich die »CANBERRA« unter ihrem Zeug und mich am Ruder. Von Dagmar träumte mir nichts, aber ich dachte mir, dass sie in der Kajüte war. Sonderbarerweise hockte ein durchsichtiger Oll-Grell auf der obersten Saling und grölte sein Besan-Schot-An. Die »CANBERRA« machte Fahrt, das Zeug stand voll, aber ich hörte keine Geräusche. Die Yacht wollte mir was mitteilen, auf ihre Weise, auf Weise der Yachten, und vielleicht kam die Lösung auch von dem gläsernen Oll-Grell oben auf der Saling oder von der Dagmar, die es sich heiß wünschte, dass ich sie gewann. Oll-Grell fuchtelte mit den Händen herum, seine Jacke ging immerzu auf, und der Deutsche Seglerbund zeigte sich auf seiner Brust, bis es mir schwarz wurde vor Augen. Dann erwachte ich. Eine Weile lag ich still und suchte mich des Traumes zu vergewissern. Noch beim Aufstehen hatte ich keine Ahnung, was mit mir los war, beziehungsweise, was sie mir im Traum gesagt hatten, vielmehr hatten sagen wollen, aber als Hinrichsen zu mir an den Waschtisch trat, um sich zu rasieren, als er sagte: "Bei dieser verdammten Sache geht eben alles verkehrt, Wedderkopp, unten ist oben, achtern ist vorn, und die Ersten sollen die Letzten sein", da wusste ich mit einem Schlage Bescheid. "Wie war das noch mal gleich? Der Erste soll der Letzte sein? Aber doch das Boot, nicht wahr? Doch nicht der Mann, was? Die »CANBERRA« gehört uns, wir kriegen sie auf die anständigste Art und Weise." Auf dem Wege zum Hafen verklickerte ich ihm dann die Lösung. "Darauf bist du aber nicht von allein gekommen", sagte Hinrichsen misstrauisch, "dieses Weib hat es dir verraten."
"Nee, der gläserne Oll-Grell oder wer weiß. Die andere Aufgabe habe ich nebenbei auch gelöst. Der Dritte hat den Sextanten beim Alten gefunden, der brauchte den Kasten als Untersetzer für die Teekanne."
"Nun lenk mal nicht ab", sagte Hinrichsen. "Ich dachte, wer von uns gewinnt, ist ganz gleich. Das hört sich jetzt so an, als ob du die »CANBERRA« schon gewonnen hast."
"Kannst ja später mal mitsegeln", sagte ich.
"Und Dagmar? Außerdem funktioniert deine Idee nur, falls sich nicht noch ein Mitbewerber gefunden hat, also wenn nur wir beide mit unseren Booten an den Start gehen."
Und dann machten wir unsere Boote klar. Der Skipper kam mit diesem Johannsen und seiner Dagmar und fragte uns, ob es nun losgehen könne. Und schließlich kam auch Oll-Grell angekrückt, klein und krumm und schwarz wie alter Wantendraht, aber gar nicht durchsichtig.
"Von dir habe ich geträumt, Grell", sagte ich. "Segg bloß? Und was hast geträumt?"
Aber der Kapitän Johannsen kam heran und erläuterte, wie er den Kurs gelegt hatte, und sagte abschließend, wer als Sieger einlaufe, der bekäme von Dagmar ein Etui überreicht. Wir grinsten.
"Verlobungsringe", sagte Oll-Grell.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl schien es mir, jedenfalls für mich bestimmt, aber Verlobung hieß noch nicht Hochzeit, und Heirat war auch nicht die letzte Heuer.
"Also", sagte der dicke Skipper feierlich, "das große Rennen um die alte »CANBERRA« kann beginnen."
"Das geht schon in Ordnung", sagte Hinrichsen, "aber wenn Sie erlauben, Wedderkopp hat sich da was ausgedacht, und das möchte er Ihnen zuvor verklickern, damit es nicht hinterher großen Ärger gibt."
Oll-Grell feixte schon wieder, und der Skipper wurde blass um die Nase, es war ihm wohl nicht recht, jetzt noch einen Vortrag anhören zu müssen. Er gab mir ein Zeichen, dass er bereit war zuzuhören.
"Ich will es kurz machen. Es soll, haben Sie gewollt, ein faires und sauberes, vor allem aber ein wirkliches Rennen werden, ohne Tricks und Finten, sondern hart gesegelt?" Er nickte. "So haben Sie es sich doch gedacht? Und Sieger ist, dessen Boot als erstes einläuft, egal wer es führt, nicht?" "Mann, Johannsen, er ist doch darauf gekommen, wie mich das freut."
"Also dann tauschen wir mit Ihrem Einverständnis jetzt die Boote", sagte ich.
"Aber sicher, man tau", sagte der Skipper.
Das Rennen verlief denn auch glänzend, wir hatten den richtigen Wind auf dem Haff, und der Himmel war blank und hell mit Wolkenfetzen. Jeder hatte des anderen Boot zu führen und musste zusehen, es zu schlagen, damit sein eigenes Boot auf dem zweiten Platz einliefe. Hinrichsen ist wahrhaftig ein Segler vor dem Herren, und wir waren nass wie die Bachkatzen, als wir festmachten. Das große Rennen war damit zu Ende, ich hatte die »CANBERRA« und die Prinzessin mit dem halben Königreich gewonnen, wenn sie es wollte. Sie reichte mir huldvoll das Etui und gab mir einen Kuss, der nicht so besonders ausfiel, aber was nicht ist, das würde schon werden, und sie sagte, sie habe es gehofft, dass einer von uns die »CANBERRA« gewinnen würde. Öffnen sollte ich das Etui nicht gleich, sondern erst drei Tage später. Hinrichsen hatte sich in die Büsche geschlagen, aber ich brauchte ihn auch nicht mehr, ich hatte doch diese Dagmar als Bestmann und Bestfrau. Die Übergabe der »CANBERRA« gelang vorzüglich und musterhaft. Der Skipper stand mit einem Blumenstrauß da, und Prinz Heinrich zückte seinen Schreibeblock, um mir die Liegegebühren aufzuschreiben und um mir eine Versicherung anzudrehen. Um uns herum standen eine Masse Leute, die nicht genau wussten, was hier los war, und die auf einen Schluck Freibier hofften. Daraus wurde aber nichts. Ein bisschen benommen von dem Theater, setzte ich mich auf die Backskiste und studierte die Schenkungsurkunde, ob auch alles in Ordnung war. Mit heutigem Tag ging die Yacht also wahrhaftig in meinen Besitz über, zu ewigen Zeiten in die Hände von Heribert Wedderkopp. Endlich kam Hinrichsen längs, jumpte herüber und gratulierte mir. Zuletzt jumpte auch noch Oll-Grell ins Cockpit, und mir kam eine Ahnung, dass ich ihn mitgeerbt haben könnte und nie mehr los werden würde.
"Was will der denn hier", sagte Hinrichsen.
"Lass ihn man, wirst ihn doch nicht los."
7
Vom Skipper sahen und hörten wir nichts mehr. Am folgenden Tag hielt ich es nicht mehr aus und fragte Oll-Grell, ob er wisse, wohin der Alte mit seinem Töchterlein abgekommen war, und ich meinte natürlich diese Dagmar, meinen Siegespreis.
"Ja, isses möglich? Weißt nix? Der ist schon unnerwegens mit sine junge Fruu, nach Affika runter, mit Johannsen. He macht do watt bin Hafen, wie heeßt dat Kaff man bloß?"
"Immerhin", sagte Hinrichsen, "mein Geschmack war sie nicht, zu mickerig und zu näskloog."
"Du hast sie nicht gewonnen", sagte ich. "Deshalb mäkelst du an ihr herum."
"Du aber auch nicht", sagte Hinrichsen, "von wegen Prinzessin und das halbe Königreich dazu."
"Nee", sagte Oll-Grell, "wat et allens jibt."
Mein Blick fiel auf ihn, der war vielleicht als Wache gut. Ich machte ihm ein Angebot, und Oll-Grell stellte seine Bedingungen, immer eine Buddel Schluck im Schapp. Als zweiten Mann heuerte ich Hinrichsen, wie ich es ihm schuldig war. Aber er zierte sich, er wollte kein Notnagel sein. "Bist du doch auch nicht", sagte ich, "bist vollwertiges Mitglied der Mannschaft."
"Ach, und du machst den Alten. Was ist denn eigentlich in dem Etui gewesen?"
"Das soll ich doch erst am dritten Tag aufmachen."
"Wie im Märchen. Quatsch, mach es auf."
Ringe fand ich keine, aber einen Brief vom Skipper an Herrn Wedderkopp.
Mein lieber Junge! Wenn du diesen Brief in Händen hältst, dann schwimmen wir schon. Es hat uns gefreut, dass du und kein anderer die »CANBERRA« erobert hat. Ich habe es immer gewusst, dass es noch Männer gibt, mit Lust auf das Abenteuer. Unter den neuen Seglern ist die »CANBERRA« nichts mehr wert, ein paar Besessene ausgenommen. Selbst wenn ich einen Käufer gefunden hätte, ein solches Boot verkauft man nicht auf Ramsch. Denn diese alte Yacht ist eine der letzten großen Legenden. Du wirst es erfahren, sie segelt jedes vergleichbare Boot ohne Mühe aus. Was mich betrifft, so bin ich auch eine Legende, ich glaube noch immer an die Wirklichkeit der Meere, an Wind und Wogen und an das Unvorhersehbare, Unberechenbare der endlosen blauen Straßen. Lass dir von keinem dieser neuen Philister einreden, es gäbe nichts Neues unter dem Himmel und der Sonne Gottes. Dagmar lässt dich grüßen, sie hat sich im letzten Moment für mich und gegen dich entschieden. Nimm es wie ein Mann. Und nun leb wohl. NS. Die Dänen werden es mir verzeihen, dass ich ihre Flagge geführt habe. Nebenbei hat in alten Zeiten kein Schiff die wahre Flagge gezeigt.
8
Oll-Grell hat sich an Bord der »CANBERRA« eingenistet, von Zeit zu Zeit ruft er an, um mir die neuesten Wunder von der »CANBERRA« durchzusagen.
"Hier ischt Grell, Bootsmann auf die »CANBERRA«. Hello, Wedderkopp, bist du das? Bring Püttingisen mit und bisschen Draht, flexibel, weißt schon Bescheid." Oder: "Hier ischt der Bootsmann Grell von die »CANBERRA« ... Wedderkopp? Wi hebben Wasser in der Kajüte un kein ein Rum nich ...
Sie ist ein schönes Boot und betagt, aber wenn sie in unseren schwierigen Hafen einläuft, bei ungünstigem Wind, dann gibt es schon Leute, die sich das Manöver ansehen, wie sie im Stern sekundenschnell dreht und feststeht wie gehalten. Von Zeit zu Zeit kommt ein Brief aus ferneren Gegenden dieser Welt. Und der Skipper teilt die Geburt eines weiteren Kindes mit.
"Affika ischt heiß", sagt Oll-Grell sachverständig. "Da wird dat nich viel mit slapen, also macht he Kinnings."
"Nee," sagte Hinrichsen, der mittlerweile die ersten Streifen am Ärmel hat und nur noch wenig Zeit zum Segeln findet, "daran liegt das nicht, Grell, es hat was mit der verflixten »CANBERRA« zu tun, die hat den Dicken konserviert."
Das ist wohl möglich.
Soweit, so gut, billig ist die feine alte Yacht aber nicht.
"Trifft keen Armen nich", sagt Oll-Grell und trinkt einen Schluck, "hättet ihr damals nicht die Boote getauscht, so wier allens anners gekommen, nicht? Aber Wedderkopp hat ja pattou die »CANBERRA« gewinnen müssen und das halbe Königreich."
"Sie ist und bleibt ein Second-Hand-Ship", sagt Hinrichsen hinterlistig. "Das heißt, sie ging von Hand zu Hand, und so wird sie es wohl auch weiterhin treiben."
Dies ist die Geschichte der »CANBERRA«, und ich frage mich, ob ich sie jemals wieder loswerde oder loswerden will und was ich anstellen müsste, um sie an die nächste Hand zu bringen, an einen, der sie in Ehren hält und mein Gewissen rein. In meiner Rolle geht es mir ähnlich wie jedem der Besitzer des stevensonschen Flaschengeistes. Er muss jeweils billiger verkaufen, als er selber bezahlt hat. Bezahlt habe ich nicht vorher, sondern hinterher. Übrigens haben weder der dicke Skipper noch dieser angebliche Kapitän Johannsen die Sache mit der Umkehrregel entdeckt, sondern die Araber. Die haben zwei Kamele genommen, zwei Wüstenschiffe sozusagen, mit denen sie es machen konnten. Und es handelt sich auch um eine alte Legende.