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Im Bootshafen stand Eis auf den Pfützen, es wehte kühl, von der Wasserseite herein. Er betrachtete eine Welle die Bootsreihe, so schwankt en die Masten der Jachten wie große Grashalme. Die Fallen schlugen gegen das Holz, oder der Draht brachte irgendein Metall zum Klingen.

Grau bestimmte den Morgen, der Himmel war bezogen und das Wasser draußen zeigte kleine kurze Wellen. Die noch unbelaubten Uferbäume schüttelten Regen aus den Ästen. Am gegenüberliegenden Ufer zog sich ein braungelber Streifen toten Schilfs in ganzer Breite am See entlang. Der Wald dahinter schien beinahe schwarz.

In der Fahrrinne wühlte ein Schleppzug das Wasser auf. Weil der Wind vom Land her wehte, klangen die Motorgeräusche des Schleppers nur gedämpft zum Hafen herüber.

Bachmann stand auf einem der Bootsstege, die Hände in den Taschen der gefütterten Lederjacke, den Kragen bis zu den Ohren hochgeschlagen. Er war fast allein. An einem der hinteren Stege machte sich ein Mann an einer Jacht zu schaffen. Flüchtig nahm Bachmann wahr, dass der Mann hinauswollte.

'Seltsames Vergnügen', dachte Bachmann, 'bei so solchem Wetter rauszufahren. Bei mir wenigstens ist es kein Vergnügen. Ich habe was vor.'

In Wahrheit wäre er gern zurückgefahren, aber der Bursche, welcher ihm das Boot verkauft hatte, war heute früh telefonisch nicht mehr zu erreichen gewesen. Deshalb hatte Bachmann den Termin einhalten müssen, stand nun hier und fror.

Er verließ den Bootssteg, und suchte den Weg zum Ausgang. Schon überlegte er, ob er sich lieber ins Auto setzen sollte, wo er vor dem Wind geschützt saß, da fuhr ein Motorrad bis an das Tor heran, hielt, ein Mann stieg ab, bockte die Maschine auf und band den Helm los. Es war der Verkäufer.

Bachmann ging rasch auf ihn zu. Sie gaben sich die Hände. Dann lief der Verkäufer los, es Bachmann überlassend, ihm zu folgen. Der betrat gleich hinter dem Verkäufer das Bootshaus.

"Haben Sie schon abgedeckt?, fragte der junge Bursche beiläufig, schlüpfte aus den Sachen, hängte alles sorgfältig ins Spind und zog warmes festes Zeug an, auch Gummistiefel.

"Nein", sagte Bachmann, "ich wusste ja gar nicht, ob Sie kommen." In der Art wie der Bursche gefragt hatte, lag etwas Geringschätziges für Bachmann.

"Wollen Sie mit dem feinen Zwirn da auf den Kahn?", fragte der Verkäufer mit Hohn.

Bachmann zuckte die Schultern. Der Junge hätte den Jahren nach sein Sohn sein können. Der Körper des Bürschchens war schlank, die Haut brünett. Über der Nasenwurzel stand eine tiefe schräge Falte zwischen lebhaften braunen Augen, die zuweilen etwas Stechendes hatten. Dem Gesicht fehlte es an Offenheit. Anscheinend war sich der Junge dessen bewusst, denn er vermied es Bachmann anzusehen. Das Kinn des Jungen fiel flach ab.

Seinen Widerwillen gegen das Bürschchen unterdrückend, schloss sich Bachmann an, als der Junge zum Steg lief. Bachmann sah ihn schnell und kundig die Plane abdecken. Das Boot schwankte unter dem Gewicht des Jungen. Als Bachmann sein Boot betrat, legte es sich so stark auf die Seite, dass er fast abgeglitten und ins Wasser gefallen wäre. Er balancierte, vorsichtig geworden, nach hinten und ließ sich auf der Bank nieder. Der Junge sprang schon wieder nach vorn und löste die Befestigungen.

"Nehmen Sie den Bootshaken und halten Sie uns von den anderen ab", sagte er in verletzend befehlendem Ton.

Bachmann tat es so gut er es vermochte, das heißt ungeschickt.

"Wäre es nicht vernünftiger zuerst den Motor anzustellen", sagte er ärgerlich, während er mit der Stange nach dem Nachbarboot angelte.

Ohne Antwort stieg der Junge in die Kajüte.

Das Boot lag in voller Länge quer zum Steg. Es wippte auf und nieder, trieb aber nicht ab, wie Bachmann befürchtet hatte. Der Diesel fiel in sein eigentümlich nagelndes Geräusch. Seinen Platz am Steuer einnehmend, ließ der Junge den Motor warmlaufen.

"Welchen Gang Sie fahren, ist ziemlich egal", belehrte er Bachmann. "Anders als beim Auto. Sie werden schon sehen. Na, Sie wissen ja Bescheid. Der Volvo draußen gehört wohl Ihnen."

Die Rede des Jungen klang ganz so, als verstünde dieser viel von Motoren.

"Den Scheck haben Sie mit?", fragte er knapp und sachlich.

Bachmann griff sofort in seine Jacke und holte die Brieftasche hervor. Er fühlte sich von den Blicken des Bürschchens belauert, als er den Scheck herausnahm.

Das Boot lief ruhig, überwand leicht die kleinen Wellen und reagierte wie es Bachmann schien vorzüglich. Draußen war der Wind stärker spürbar als im Hafen. Und vom Wasser stieg feuchte Kälte auf. Bachmann fröstelte, aber er griff nach. dem Steuer, als ihn der Junge mit einem Blick dazu aufforderte. Die Hand auf dem Schaft, spürte Bachmann wie das Boot seitlich ausbrach. Er erschrak und drückte so heftig gegen das Holz, dass sein Boot sich augenblicklich in die neue Richtung legte. Bachmann musste einen halben Bogen steuern, ehe er sein Boot wieder auf Kurs bekam.

Der Junge warf einen Blick auf den Scheck, steckte ihn ein und reichte Bachmann einen zusammengefalteten Zettel. Als Bachmann ihn fragend ansah, erklärte das Bürschchen unverschämt: "Wollen Sie denn nicht wissen, was sie gekauft haben? Ist wohl eine Bagatelle für Sie."

"Was sind Sie eigentlich von Beruf?", fragte Bachmann einlenkend.

"Studiere", erwiderte der Junge kurz angebunden.

"Ich habe seinerzeit in Moskau studiert", sagte Bachmann ein bisschen schwärmerisch. "Ich war übrigens einer der Ersten. Sie verstehen? Neulehrer kurz nach dem Krieg, dann Student - wir alle hatten damals ungeheure Bildungslücken. Zugleich aber litten wir unter unserem Unwissen stärker als ihr Heutigen."

Zu spät bemerkte er den Fehler.

Gleichgültig geradeaus sehend zündete sich der Junge eine Zigarette an. Bachmann hoffte auf eine Frage des Bürschchens; er hoffte darauf, aber nichts kam.

"Philosophie", bemerkte Bachmann, "die Mutter der Wissenschaften. Das und noch manches andere habe ich studiert."

Das geringschätzige Lächeln des Jungen traf ihn schon nicht mehr. Er fragte sachlich: "Was studieren Sie?"

Plötzlich begann der Motor auszusetzen.

"Halten Sie auf den Turm da drüben zu", sagte der Junge gemacht geschäftig, "dahinter kommt gleich die Schleuse. Der Fluss wird schmal."

Er warf die Zigarette weg und stieg in die Kajüte hinunter. Der Motor blubberte, das Boot verlor an Fahrt. Nun erschien der Junge mit einem großen Kanister, turnte nach vorn und füllte Treibstoff nach. Bachmann bemühte sich den Turm anzusteuern. Der Junge kam nicht wieder nach hinten, sondern blieb vorn hocken.

Der Fluss verengte sich. Rechts und links rückten die Ufer heran. Häuser und Stege, auch Umschlagplätze von Industrieanlagen sah Bachmann. Er fragte sich, wie lange ihn der Junge noch allein am Steuer lassen wollte, denn vorn zeigten sich die Schleusenanlagen. Ungefähr wusste Bachmann, wie eine Schleuse arbeitete, und der Junge wusste, dass er, Bachmann, nichts von Booten verstand. Neben der Schleusenanlage befand sich ein Steg. Bachmann sah ein rotes Licht. Er begriff, dass die Einfahrt gesperrt war, aber er wusste nicht, wie er sein Boot zum Stehen bringen sollte. Manches ging ihm durch den Kopf jetzt. Er musste viel lernen, und er beschloss, das Lernen nicht lange aufzuschieben. Schon gar nicht würde er sich eine Blöße geben vor dem Bürschchen da vorn, das gebeten sein wollte. Mit dieser Jugend nehme ich es noch als Sterbender auf!

Aufmerksam suchte er auf dem Armaturenbrett nach der Standgaseinrichtung. Versuchsweise trat er die Kupplung. Es war ja überhaupt nur ein Fußhebel da, wie er schnell entdeckte. Auf der Schaltstange las er die Gänge ab. Im Leerlauf konnte er den Motor so weit drosseln, dass sich sein Boot nur noch träge bewegte. Auf den Steg zusteuernd, legte er sachte an. Noch immer machte das Boot Fahrt. Um es zu bremsen, legte Bachmann den Rückwärtsgang ein und gab nur wenig Gas. Das Boot stand jetzt unter tuckerndem Motor.

"Steigen Sie aus und halten Sie das Boot fest." Bachmann wunderte sich selbst über den unfreundlichen Ton, den er anschlug. Der Junge dort hielt die Spielregeln nicht ein. Er tat, was Bachmann einst, ehe er der Bachmann wurde, gehasst hatte, einen Schwächeren seine Überlegenheit spüren zu lassen.

Gelassen kam der Junge nach hinten, legte ein paar Säcke heraus, die das Scheuern der Bordwand am Bollwerk verhindern sollten und verknotete eine Leine am Steg.

"Auf den Motor können Sie sich verlassen", sagte er.

"Ich verlasse mich vor allem auf meinen Kopf'", sagte Bachmann abweisend, "auf meine Hände und meine Willenskraft."

"Ich meine", erklärte der Junge, "Sie haben einen guten Motor, er dreht nicht schnell, aber das ist im Bootsbetrieb auch nicht nötig."

Er redete noch weiter. Da schaltete die Anlage auf Grün, das Schleusentor öffnete sich und Bachmann steuerte sein Boot langsam in die Schleusenkammer hinein.

"Haben Sie das schon mal gemacht?", fragte der Junge. "Wenn Sie nicht aufpassen…", er unterbrach sich, um die Stange mit dem Bootshaken zu nehmen und das Boot an die Mauer heranzuziehen. Während das Wasser in die Kammer stürzte und das Boot allmählich hob, hielt es der Junge an der Eisentreppe fest. Bachmann schaltete den Motor aus.

Die Schleusenkammer ging auf, Bachmanns Boot glitt heraus. Geredet wurde nicht mehr. Der Junge blieb vorn. Bachmann steuerte.

Die Sonne brach durch und es wurde wärmer. Von alledem spürte Bachmann jedoch kaum etwas. Er war mit seinem Boot beschäftigt.

Ohne Zweifel hatte er sich übernommen; er musste zusehen, wie das Bürschchen, der Meister und dessen beide Arbeiter sein Boot aus dem Wasser holten. Sie strengten sich nicht einmal sehr an. Zu viert schoben sie den schweren eisernen Schienenwagen mit dem Boot darauf bis in den Schuppen und setzten es auf Holzböcke um. Bachmann aber lag ausgestreckt auf einer Bank, und die Sonne wärmte seine eiskalten Hände.

Er würde kaum durchhalten, musste er sich eingestehen. Sein Boot wog ungefähr eine Tonne. Nur schwer würde er es allein auf Land bewegen können, und er wusste ja überhaupt noch nicht, was er mit seinem Boot anfangen wollte. Nie hatte ihn der Aufenthalt in Wassernähe sonderlich gereizt. Gebirge war ihm stets lieber gewesen. Weshalb also wollte er einem Traum nachgeben, der ihn zu nichts zwang? Sich nach dieser Fahrt noch etwas vorzumachen, hatte keinen Zweck. Er musste sich als geschlagen bekennen, einen guten Verlierer spielen, sich den Anordnungen seiner Frau und seiner Ärzte ohne Widerspruch fügen; sich zu wehren oder es bleiben zu lassen, lief auf ein und dasselbe hinaus.

Mühsam rappelte er sich auf und ging hinüber in den Schuppen. Unter dem Kiel seines Bootes sammelte sich das Wassers in kleinen Pfützen, aus Ritzen und Kantenstößen tropfte es auf den Zementboden. Ohne Leiter konnte Bachmann nicht über die Bordwand sehen. Und er wagte es nicht, eine Leiter zu holen. Deshalb verzichtete er darauf und schritt sein Boot, diese mächtige Nussschale, ab. Hinten ragte die Schraube, grün bemoost und muschelbesetzt, hervor. Darüber schwebte das Ruderblatt wie die Finne eines großen Raubfisches. Die Form seines Bootes schien Bachmann schön und zweckmäßig, er stellte sich vor, wie der tief gewölbte Rumpf im Wasser schaukelte. Bug und Heck waren höher als die Bordwand. Bachmann beschloss, mit dem Meister über sein Boot zu reden.

Hinter dem Wohnhaus entwirrte der Meister Tauwerk. Bachmann trat neben ihn. Die Sonne stand schon recht tief. Es mochte gegen sechzehn Uhr sein. Das hieß, Bachmann hatte gut vier Stunden wie ein Toter geschlafen.

"Was ist mit Ihnen los?", fragte der Meister. Er warf die vom Alter grauen Seile hin und her wie ein Fischer das Netz. "Sie sind uns ja einfach weggeblieben."

Bachmann sagte: "Letzten Herbst hatte ich zwei Infarkte hintereinander. Jetzt geht es mir etwas besser. Ich bin fünfundfünfzig", setzte er hinzu.

"Und da kaufen Sie ein so großes und so schweres Boot?" fragte der Meister erstaunt.

Während er redete, warf und wand er aus dem Haufen Seile kurze und längere Enden. Trotzdem war seine Aufmerksamkeit nicht geteilt. Diese Arbeit ging ihm so leicht von der Hand, dass er dabei zuhören konnte.

"Wie soll ich Ihnen sagen", erklärte Bachmann zögernd, "ich hatte da eine Art Vorstellung. Wenn ich an irgendeiner Sache nochmal Spaß finde, dann mache ich mit dem Leben weiter. Schwer zu sagen, was ich meine." Er lächelte schuldbewusst. "Sind Sie schon mal in solcher Lage gewesen?"

"Nein", sagte der Meister, "in solch einer Lage war ich noch nie und ich werde auch nicht dahin kommen mit meinen gesunden fünf Sinnen."

Bachmann verstand, dass es keinen Sinn hatte weiter zu reden. Er sah auch, dass sich der Meister Mühe gab, seine Redeweise den Erklärungen anzupassen, die er, Bachmann, eben abgegeben hatte. Für diesen Mann war der Tag mit Arbeit ausgefüllt, die getan wurde, weil das so sein musste, weil Arbeit zum Leben des Meisters gehörte. Dachte dieser Mann nach, so war seine Gedankenarbeit immer auf Greifbares gerichtet.

Trocken fuhr der Meister fort: "Sie sind vielleicht oder sicher sogar, ein kluger Mensch, Herr Bachmann, aber ein Spinner. Nehmen Sie es mir nicht übel."

Nun erklärte Bachmann: "Ich glaube jetzt selbst, dass ich mit dem Kauf dieses Bootes einen Fehler gemacht habe", und als der Meister nickte, "es ist ein Jugendtraum, aber zu spät für die Erfüllung. - Ich werde es wegschmeißen, falls mir keiner was dafür gibt."

Es entstand eine lange Pause. Schließlich fragte der Meister: "Was haben Sie eigentlich für den Schrott gezahlt?"

"Fünftausend", sagte Bachmann.

Der Meister zeigte auf das Seilknäuel. "Sie hätten es weggeworfen. Ich stelle mich hin und rette mir ein paar Enden. Nicht bloß, weil Seil Geld kostet. Aber Sie sind anders erzogen worden. Die Zeit ist anders. - Ich habe meiner Frau vor zehn Jahren eine elektrische Uhr gekauft. Sie ist noch sehr gut, aber es gibt keine Zellen mehr, sagte man mir. Der Uhrmacher hat mich ausgelacht. Dabei höre ich, dass wir an allen Ecken sparen." Er unterbrach seine Arbeit und zog eine alte Taschenuhr heraus, "Sehen Sie mal, die ist von meinem Vater, sie geht noch heute ziemlich genau." Wieder nahm er das Seilknäuel.

"Ich versteh ja nichts von Booten", sagte Bachmann wie entschuldigend.

"Und ich bin kein Seiler", schloss der Meister ärgerlich seine Rede.

Bachmann dachte nach. Früher hätte er sicher mit einer großen belehrenden Rede geantwortet; früher als er wie andere an Wunder geglaubt hatte und als er, wo sich keine Wunder einstellen wollten, seine Zuflucht zu Phrasen nahm: Ein neuer Mensch, ein neues Verhältnis zum Eigentum, zur Kultur und was noch alles sollte vom Himmel fallen. Bachmann war sich bewusst, dass er dem Meister früher über den Mund gefahren wäre mit einer nassforschen Antwort, Halbwahrheiten, Unwahrheiten; der schnelle, der sichere Bachmann.

Verändert einen Krankheit so, dass man gleichsam eine andere Sicht auf Menschen und Dinge bekommt, dachte Bachmann, und was treibt einen dann um jeden Unsinn in eine Auseinandersetzung? Der Alte dort hat ja Recht. Es ist ein Widerspruch, den Wert von Uhren zu preisen oder von Autos und deren Lebensdauer zu verkürzen. Aber warum haben wir gerade dann die größte Klappe, wenn wir im Unrecht sind?

"Kommen Sie mal mit zu dem Boot, das Sie wegwerfen wollen", sagte der Meister, "wir werden es uns mal genauer ansehen."

Auf dem Weg über den Platz drehte sich der Meister zu Bachmann um und bemerkte mit einem spöttischen Funkeln in den wässrigen Augen: "Sie müssen viel lernen, Herr, wenn Sie nochmal Spaß am Leben haben wollen, wie Sie sagten. Dann können Sie es vielleicht erleben, dass Ihr Boot auf dem Wasser schwimmt, und Ihren Kindertraum erfüllen Sie sich auch."

Vor Bachmanns Augen bewegte sich der breite Rücken des nicht großen Mannes, der die Beine im Gehen etwas auswärts stellte. Im Nacken zeigte sich eine einzige gerade Falte. Sie verlief quer bis zu den Ohren.

Auf einer umgestülpten Kiste sitzend, sah Bachmann. zu, wie der Meister unter dem Bauch des Bootes herumkroch, hier und da mit einem großen Schraubenzieher kratzte, große Stücke Farbe und Reste einer rötlichen Masse löste. Am Bug war das Holz schwarz, wie verbrannt und krümelig.

Die Welle mit dem bemoosten Propeller ließ sich in der Buchse hin und her bewegen. Sie schlug gegen die Innenwandung und als der Meister den Motor laufen ließ, konnte Bachmann deutlich sehen, wie ausgeschlagen die Lager waren.

Belustigt dachte er: 'Das Bürschchen hat mich also schlicht betrogen!'

Der Meister setzte sich neben ihn auf die Kiste. Sie lächelten sich verstehend an.

"Viel brauchte ich wohl nicht zu sagen, was?", fragte der Meister. "Früher hieß es, jeder Zug bringt einen Dummen aus Berlin. Den muss man zu fassen kriegen. In diesem Falle waren Sie der Dumme."

"Also vergessen wir es", sagte Bachmann. Beinahe war er froh, so leichten Kaufes aus der Sache herauszukommen. Das Geld verschmerzte er leicht.

Aber da sagte der Meister: "Ihr Boot ist Eiche, Diagonal-Karweel, sowas baut man heute nicht mehr. Es hat keinen durchgehenden Kiel, aber die Einzelstücke sind noch gesund. Die Wrangen sind aus Stahl und zwar aus vorzüglichem."

Seltsamerweise wusste Bachmann, dass sich das Wort Karweel ihm nun für immer einprägen würde. Natürlich war es gleichgültig, ob er diese Fachausdrücke kannte oder nicht. Es ging jedoch etwas von dem Meister, eine sachliche Begeisterung, die Bachmann freute.

"Zuerst muss mal die Farbe runter, von vorn bis hinten. Dann kann man sehen, was mit dem Holz darunter wirklich los ist. Die paar Stellen da vorn, die kann man erneuern."

Zustimmend nickte Bachmann.

"Also fangen Sie erst mal an, die Beschläge abzuschrauben", sagte der Meister.

"Die Welle schlägt auch sehr", sagte Bachmann.

"Der Motor ist vollständig hinüber", erwiderte der Meister trocken. "Und außerdem kriegen Sie für diesen luftgekühlten Diesel keinen Erlaubnisschein, wenigstens nicht von mir und von keinem Bootsbauer."

"Nun lachte Bachmann. Gerade der Diesel hatte ihn gelockt. Jetzt stellte sich heraus, dass mit dem Motor nichts los war, und das Bürschchen hatte alles gewusst und ihn gründlich hereingelegt. Auch der Meister lachte.

"Wenn ich Sie richtig einschätze, so geht es bei Ihnen nicht um das Geld", sagte er. "ich allerdings würde mir den Verkäufer vornehmen. Aus Prinzip, und um ein bisschen mehr Ehrlichkeit willen."

"Bei Ihnen ginge es doch wohl auch nicht ums Geld", meinte Bachmann.

"Vielleicht könnte ich die paar Tausend auch verschmerzen, aber ich würde mich doch ärgern, solch einem Kerl aufgesessen zu sein. - Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum ein Wort wie Redlichkeit nicht mehr in der Zeitung steht?"

"Ich muss Ihnen beipflichten", sagte Bachmann, "obwohl jeder natürlich nach wie vor um Recht oder Unrecht weiß."

"Sehen Sie mal, Herr Bachmann", sagte der Meister, "ich habe hier vor vielen Jahren in einer Baracke angefangen. Paddelboote habe ich gebaut, allein, manchmal hat mir meine Frau geholfen oder ein Geselle wollte sich ein paar Mark zur Rente verdienen. Ich konnte ihm ja keinen Lohn zahlen. Für die Paddelboote kriegte ich damals fünf Mark pro Woche Abzahlung. Es waren die Zwanzigerjahre, Arbeitersport kam auf. Die hatten es nicht dicke, und ich? Ich hatte es auch nicht dicke. Manchmal habe ich auf die fünf Mark gewartet, um meine Rechnungen zu begleichen. So allmählich ist hier ein Haus entstanden, die Bootsschuppen. Dann kam der Krieg, ich wurde dienstverpflichtet und musste auf einer Werft Schnellboote bauen, Särge. Die armen Kerls, die damit rausfahren mussten, habe ich mehr als einmal bedauert. Zum Schluss wurde ich noch Soldat und kam in amerikanische Gefangenschaft. Dann nach hier zurück und von vorn angefangen. Das Haus halb abgebrannt. Hier hat SS gelegen, die Dächer undicht, die Boote…"; er brach ab, "warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil es mir wehtut, wenn ich die Vergeudung ringsherum sehe. Dabei ist eigentlich nichts im Überfluss da. Im Gegenteil."

Es war immer so, saßen ein paar Ältere zusammen, kam mit Sicherheit bald die Rede auf die Vergangenheit. Da ähnelten sich die äußeren Schicksale bis zum Zusammenbruch, nicht aber die Lebenswege danach. Der Meister musste wohl dort weitermachen, wo wenigstens noch ein Rest von dem vorhanden gewesen, was er einmal begonnen. Bachmann lobte die Haltung des Mannes im Stillen. Plötzlich auch verstand er, was den Meister geprägt hatte, das Verhältnis zu diesem kleinen und überschaubaren Eigentum.

"Nun, und heute", fuhr der Meister fort, "sind wir dabei zu erhalten, was Generationen vor uns an Booten gebaut haben. - Oder Sie kaufen Plast, von dem noch kein Mensch weiß, wie es sich auf Dauer verhält. Wahrscheinlich fällt es aber eher auseinander als ihr Boot. Und deshalb", der Meister stand auf, zum Zeichen, dass er zum Ende kommen wollte, "sollten Sie sich beimachen. Sie haben ja Zeit, Sie können ja pusseln. Ich an Ihrer Stelle würde mich nicht so leicht geschlagen geben."

Allein geblieben, dachte Bachmann über das alles nach. Er ging hinunter zum Steg und sah die Sonne wie einen rötlichen Ball in einer hellen weißlichen Luft schwimmen. Sie wärmte nicht mehr, vom 'Wasser und von den Wiesen stieg ein kräftiger Geruch auf, feucht und würzig.

΄Na ja΄, dachte Bachmann, ΄das wär’s dann also. Fang mal wirklich an.΄

Vom Haus des Meisters aus telefonierte er nach einer Taxe. Er musste warten, durfte im Wohnzimmer des Meisters sitzen und eine Tasse Kaffee trinken. Die Frau sprach Bachmann nicht an, aber er musterte sie, und er stellte sich vor, wie diese kleine grauhaarige Frau vor vierzig Jahren mit Hand angelegt hatte bei den billigen Paddelbooten.

Die Taxe brachte ihn bis vor die Haustür, Bachmann zahlte und ging wie neulich durch den Keller nach oben in sein Zimmer. Er wollte jetzt von niemand angesprochen werden. Auf dem Tisch an seinem Bett und den kleinen Sesseln lagen Zettel.

Elf Uhr zum Arzt, stand auf den Zetteln. Bachmann legte sie beiseite, wusch sich flüchtig und legte sich zu Bett. Er war erschöpft, aber er fühlte sich ganz wohl.

Bachmanns Boot

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